Theologie ist die öffentliche Dimension des Gebets: Wäre das nicht der eigentliche Gegenstand des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“?
Der Satz „Nur Gott sieht ins Herz der Menschen“ läßt sich umkehren: Das Herz läßt sich definieren als das, was von Gott gesehen wird. Das Herz, als Ort der Barmherzigkeit, wird im Hebräischen mit dem Namen der Gebärmutter bezeichnet. Die Beziehung der Mutter zu dem Kind, das in ihrem Schoße heranwächst, ist das Realsymbol der Barmherzigkeit, nicht die bloße Gesinnung, auf die das Herz sich bezieht. Gründet hierin nicht das Wort, daß Gott den Propheten im Mutterleib beruft?
Hängt nicht das „leer, gereinigt und geschmückt“ in dem Gleichnis von den sieben unreinen Geistern mit dem Anfang des Schöpfungsberichts zusammen: Die Erde aber war wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund, der Geist Gottes brütend über den Wassern? Sind die sieben unreinen Geister der Widerruf der sieben Schöpfungstage?
Der zweite Schöpfungsbericht durchkreuzt den ersten.
Das Programm der Dialektik der Aufklärung ist heute von der Theologie aufzunehmen. Das wäre die einzige Möglichkeit der Begründung ihrer Legitimation nach Auschwitz.
– Nach Auschwitz: die Erde wüst und leer;
– nach der kopernikanischen Wende: Finsternis über dem Abgrund;
– die Theologie: der Geist Gottes brütend über den Wassern.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Abgrund und die Finsternis darüber.
Steckt in dem Präfix Er-, mit dem die Begriffe Erscheinung, Erfahrung, Erlebnis, Erfolg u.ä. gebildet sind, das Personalpronomen der dritten Person singular männlich, seine Sprachlogik, die verandernde Gewalt des Weltbegriffs, der Öffentlichkeit, des Neutrum wie auch des Staates, die auch der Trinitätslehre zugrundeliegt?
Der Begriff der Erscheinung ist ebenso, wie er ein naturwissenschaftlicher Begriff ist, auch ein politischer Begriff: Jede Erscheinung ist auf Öffentlichkeit bezogen. Zu den Konstituentien der Öffentlichkeit gehören die subjektiven Formen der Anschauung (ebenso wie die Begriffe Natur und Welt). Die kopernikanische Wende hat (durch die Vorstellung des unendlichen Raumes) diesen Begriff der Öffentlichkeit begründet, der dann zur Grundlage und zum Motor des Säkularisationsprozesses geworden ist.
Drückt nicht in der Konstitutierung der Öffentlichkeit und ihrer Trennung von der Privatsphäre die Trennung zweier Aspekte des Raumes: des Sehens vom Gesehenwerden sich aus: die Leugnung des Angesichts?
Kritik des Bußsakraments oder die zweite Leugnung: Mythisch ist jede Form der Sündenvergebung, die nicht auch die Intention zur Versöhnung mit dem Opfer mit einschließt. Gibt es in der Kirche überhaupt noch einen Versöhnungsbegriff, der nicht von strategisch-taktischen Herrschaftsinteressen bestimmt ist? Hat die Kirche nicht ihre Vollmacht, Sünden zu vergeben, verspielt?
15.5.1995
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