Die kopernikanische Wende hat Welt und Natur in ein universales Labor verwandelt, in einen Experimentierraum der Herrschaft. Ihr gegenständliches Korrelat ist das durch die Begriffe Natur und Welt logisch aufgeteilte, ästhetisierte und organisierte Reich der Erscheinungen. Die kopernikanische Wende war der Katalysator der Vergesellschaftung von Herrschaft. (Der Säkularisationsprozeß ist der Rechtsstreit gegen die durchs Bild der Hölle verzauberte Welt; sein Ergebnis ist ein universaler Schuldspruch, der keine Berufung mehr zuläßt). Die kopernikanische Wende hat das „Buch des Lebens“ neutralisiert, das Licht in das sie die Welt gerückt, konstituiert sich durchs Vergessen. Das Bild der Hölle war der Preis für einen von jeder Erinnerung an Herrschaftskritik gereinigten Himmel. Es war der Preis für die historische Vergegenständlichung und Neutralisierung der Prophetie (die, nachdem Herrschaftskritik durch Judenfeindschaft ersetzt wurde, zum Modell des modernen Nationalismus geworden ist, in dem nicht Gott ein Volk, sondern die Nation in ihrem Gott sich selbst erwählt; jeder Nationalismus ist idealistisch: Idolatrie). War nicht das Dogma das Labor, der Experimentierraum der Aufklärung und des Nationalismus? Läßt die ungeheure Ambivalenz der paulinischen Theologie, in der großartige Einsichten mit einem merkwürdigen Vorurteilsgebräu sich mischen, aus der Verschiebung des Perfekt ins Vergangene im Zusammenhang der Übertragung der Theologie aus dem hebräischen Sprachraum in den griechischen sich ableiten? Hätte Paulus die sprachlogische Differenz zwischen dem Griechischen und Hebräischen und ihre Spiegelungen im Begriff der Objektivität begriffen, seine Theologie hätte die Erfüllung des Christentums sein können. Bezeichnet nicht das Christentum insgesamt die Phase zwischen dem Tod am Kreuz und der Auferstehung: eine 2000-jährige descensio ad inferos?
Im NT gibt es dreimal den Namen Jakobus (den Zebedäus-Sohn, den Sohn des Alphäus und den Herrenbruder) und zweimal den Namen Judas (Thaddäus und Iskariot). Was bedeuten die Namen Alphäus und Thaddäus (Alpha und ?), und worauf verweist die vergleichbare Namensbildung (die gleich Endung -däus) in Zebedäus und Thaddäus? Ist es von Bedeutung, daß bei Jakobus Verwandschaftsbezeichnungen die Individualität kennzeichnen, bei Judas hingegen „sachliche“, verwandschaftsneutrale Bezeichnungen? Binden und Lösen: Drückt in dem in Antiochien entstandenen Namen der Christen – ähnlich wie im Namen des Paulus oder im Flavius des Flavius Josephus – eine Patronats- und Klientel-Beziehung sich aus? Und haftet diese Struktur (auf der Grundlage der Vergöttlichung Jesu) dem Christennamen nicht immer noch an, während die messianische Erinnerung, die auch darin enthalten ist, vollständig verdrängt ist (die Klientel-Beziehung, deren Spuren bis in den Kern der Theologie hinein sich nachweisen lassen, ist die genaue Umkehrung der messianischen Erinnerung, Produkt ihrer Transformation ins Herrendenken)? Die Schrift sieht in drei Fällen das Verbrennen als Todesstrafe vor: – wenn ein Mann eine Frau und zugleich deren Mutter heiratet (3 Mos 2014), – im Falle der Unzucht der Tochter eines Priesters (ebd 219) und – wenn einer gebanntes Gut (Kriegsbeute) sich aneignet (Jos 715). Hat nicht – die Kirche, als sie sich selbst zum „neuen Israel“ ernannte, eine Frau und zugleich ihre Mutter geheiratet; – war die Einführung des Priestertums, die Schaffung eines neuen Kults die Unzucht der Tochter eines Priesters; – und war nicht der Hellenismus (und in seinem Kern der affirmative Weltbegriff) „Banngut“ im strengen Sinne und das Dogma das Produkt seiner Aneignung durch die Kirche; und waren etwa die Scheiterhaufen der Kirchen, zusammen mit den von ihr genährten Höllenvorstellungen, Formen der projektiven Verarbeitungen einer Schuld, die nach sprachsymbolischer Logik nur durch Feuer sich hätte „sühnen“ lassen? War der Bann das Gegenstück der Heiligung? Beide definieren sich durch ihren Gegensatz zum Eigentum, zum Besitz. Im Zusammenhang des Exodus wurden zweimal Botschafter ins Land Kanaan geschickt: Beim erstenmal gehörte Josue zu den Botschaftern, beim zweitenmal waren es die Botschafter Josues. Zu Jon 1: Wer ist Jona, und wer ist Amittai (2 Kön 1425: Jerobeam, der „tat, was dem Herrn mißfiel“, gewann gleichwohl – auf das Wort des Propheten Jona ben Amittai – das Gebiet Israels zurück, von Hamath bis zum Meer der Araba), wo liegt Gat-Hefer (vgl. Jos 1913: im Gebiet Sebulons, mit anderen Städten, u.a. Bethlehem)?
5.9.1995
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