Jede Wunde ist eine Widerlegung der Geometrie.
Das Absterben des Staates, der Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern, ist konkret das Absterben des Nationalstaates. Das aber verweist auf einen Vorgang, der identisch ist mit einem Prozeß im Kern der Erkenntnis, der Vernunft, des Wissens. Der Fokus, in dem das Bewußtsein und die Wirklichkeit auf einander sich beziehen, ist der Staat, der nur als Nationalstaat sich begreifen läßt, und auf den Hegels Wort von der Natur, die den Begriff nicht halten kann, sich beziehen läßt, wenn es nicht überhaupt hier seinen Ursprung hat. Die anorganische Natur, auf die der Staat als organische Lebensform, als Organismus, sich bezieht, ist die Ökonomie.
Das Absterben des Staates ist der Grund des Absterbens der Vernunft. So hängt die Fundamentalontologie mit dem Faschismus zusammen.
Der biblische Schöpfungsbericht läßt auch als Ursprungsgeschichte der der staatlich organisierten Objektivität sich begreifen (ist nicht die erste Natur durch die zweite vermittelt?). Zum dritten Schöpfungstag: Das Land (auch ein Synonym für den Staat), der feste Boden unter den Füßen, hängt mit dem Grund der Ökonomie, der Währungshoheit und dem Gewaltmonopol des Staates zusammen. Blut und Boden war nicht zufällig eine faschistische Parole. Das Land ist die Nation, das Meer der Inbegriff dessen, was draußen ist, des Fremden. Was bedeuten in diesem Kontext die biblischen Hinweise auf die „Inseln“ (im Kontext der Genealogie Japhets), und hängt hiermit das apokalyptische Wort, daß das Meer am Ende nicht mehr sein wird, zusammen?
Das „Gegebene“ und das „Es gibt“: Ist nicht der Gebende, das Subjekt des Gebens, der Staat: der Staat, der die Welt eigentumsfähig macht (vgl. die Beziehung von Sein und Meinen)?
Zur Kritik der Deutschlehrer-Frage „Was hat der Dichter damit gemeint?“: Die Objektivität der Wahrheit ist eine durch die Reflexion der Sprache vermittelte; deshalb ist sie niemals Gegenstand des Meinens.
Wenn die Ökonomie das Meer ist (vgl. Apk), hat dann das Recht etwas sowohl mit dem Sand am Meer als auch mit den Sternen des Himmels zu tun?
Während die Bäume die Erkenntnis repräsentieren, repräsentieren die Tiere die Stämme, Völker, Sprachen und Nationen.
Was passiert in einer Welt, in der die Nation ihre identitätskonstituierende Kraft verliert (vgl. Bosnien)?
Herrschaftskritik und Fähigkeit zur Schuldreflexion gehören zusammen; ihre Trennung begründet das Schuldverschubsystem, den (nationalen ebenso wie den individuellen) Egozentrismuis. Nur in diesem Kontext läßt der Verblendungszusammenhang, der im Rechtfertigungszwang gründet, sich auflösen.
Das Bekenntnis ist die durch den Rechtfertigungszwang vermittelter (und entstellte) Gestalt der Wahrheit.
Turmbau zu Babel: Die Sprachen wurden verwirrt, als die Nation als Exkulpationsagentur sich konstituierte. Diese Exkulpationsagentur (und ihre Logik, die Bekenntnislogik) trägt patriarchale (phallische) Züge; ihr Bild ist der Turm.
Rohe Natur: Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, heißt u.a., daß sie im Kontext des Begriffs als verurteilte erscheint, daß sie ähnlich wie der Verbrecher, der in den Knast gesteckt wird, aus der Herrschaftsordnung des Begriffs herausfällt, zum reinen Objekt der Gewalt wird.
Die Empfindlichkeit, mit der Politiker heute auf den Satz „Soldaten sind Mörder“ (oder auch, was damit zusammenhängt, auf das Kruzifix-Urteil des BVG) reagieren, rührt daher, daß nicht die „Ehre der Soldaten“ angegriffen wird, sondern der Staat als die das Tun der Soldaten (oder auch der Staatsanwälte, der Richter) exkulpierende Macht. Der Staat ist eine Mordmaschine.
Geld macht sinnlich: Diese Sinnlichkeit ist das den Organismus des Staates belebende und dirigierende Prinzip. Dem Bilde der „rohen Natur“ liegt die Logik des Geldes zugrunde.
Die Konstellation „Völker, Stämme, Sprachen und Nationen“ taucht in der Johannes-Apokalypse auf; sie zitiert eine Stelle aus den toledot, den Genealogien Japhets, Hams und Sems (Gen 10). Im Falle Japhets, mit dem Hinweis auf die „Inseln“, in abweichender Reihenfolge. Bei Daniel (und an einigen Stellen in der Apk) fehlen die Stämme? Wie sieht das bei den Apokryphen aus?
Das Gelächter Pharaos: Der ungeheuerliche, blasphemische Zynismus des antisemitischen Liedverses „die Wellen schlagen zu, die Welt hat Ruh“. Hier wird der Exodus widerrufen; den Beweis des Widerrufs hat Auschwitz geführt.
„Der Mensch“ (der Jude, der Asylant, der Ausländer): Der Kollektivsingular ist ein Produkt des Schuldverschubsystems. Indem es die Gattung schuldig spricht, sie in Kollektivhaft nimmt, meint sie den Inbegriff des Andersseins, der alle anderen mit einschließt, den Sprechenden aber ausnimmt; die gleiche Logik liegt dem Massenbegriff zugrunde.
Das Geld als Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft und sein genetischer Zusammenhang mit dem Phänomen der Schuldknechtschaft.
Das Gefühl, daß die Theologie mit den Naturwissenschaften nicht koexistieren kann, findet eine Bestätigung in dem „tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam“, das mit der Verheißung verknüpft ist: „und die Pforten der Unterwelt werden sie (sc. die ecclesia) nicht überwältigen“ (Mt 1618). Die Unterwelt, das Totenreich, das wäre die vollendete Vergangenheit, der Grund einer Gegenwart, die als Präsens auf der Grundlage der verdrängten Vergangenheit sich konstituiert. In den Naturwissenschaften nimmt der Prozeß dieser Verdrängung (die Hegelsche Arbeit des Begriffs) den Schein einer bestehenden Welt an. Dieser Schein ist das Produkt einer unvermeidbaren kollektiven Verdrängung, deren Agent in den Subjekten die Bekenntnislogik ist (und erst daraus abgeleitet die subjektiven Formen der Anschauung, mit der Form des Raumes im Kern: die Bekenntnislogik geht der Ausbildung und Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung voraus, sie bleibt in ihnen erhalten, wird durch sie automatisiert und ist in ihnen bewußtlos wirksam und tätig). Die Konstituierung des Inertialsystems, in dem die subjektiven Formen der Anschauung sich vergegenständlichen, ist der Versuch, die Pforten der Unterwelt zu schließen.
„Was bedeutet dieses Leid der Unschuldigen? Zeugt es nicht von einer Welt ohne Gott, von einer Erde, auf der allein der Mensch das Gute und das Böse mißt? Die einfachste Reaktion wäre, auf Atheismus zu erkennen. … Doch mit welch borniertem Dämon, welch merkwürdigem Zauberer habt ihr denn euren Himmel bevölkert, ihr, die ihr ihn heute für verödet erklärt? Und weshalb sucht ihr unter einem leeren Himmel noch eine vernünftige und gute Welt?“ (Levinas: Die Thora mehr lieben als Gott, in Schwierige Freiheit, S. 110)
19.12.95
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