7.1.96

Die Verurteilung des Faschismus hängt zusammen mit dem Status der Vergangenheit, den sie bestätigt. Die Verurteilung schließt jedes „Verständnis“ aus, sie begründet aber eben damit den nicht mehr durchschaubaren Wiederholungszwang. Die Verurteilung ändert nichts, sie ist so etwas wie ein magischer Akt, ein Akt der Exkulpation; sie gehört in den Zusammenhang der Bekenntnislogik, die auch nichts ändert, nur den Urteilenden aus dem Objektbereich der Schuld heraushilft (Problem der Sündenvergebung und der Rechtfertigungslehre). Kann es sein, daß das Interesse an der Verurteilung in einem anderen Interesse verwurzelt ist: sich ein Alibi zu verschaffen (vgl. die Position von Habermas im Historikerstreit)? Und verweist das nicht auf die Zweideutigkeit, den dämonischen Charakter der Verurteilung und des Rechts? Ist das Weltgericht ein Instrument der Verdrängung des Bewußtseins des Jüngsten Gerichts?
Die Verurteilung ist die aufgeklärte Gestalt der Totenbeschwörung: Indem sie den Schrecken der Erinnerung und das Grauen durch Personalisierung zu bannen versucht, weigert sie sich, dessen fortbestehende Ursachen wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Die Verurteilung des vergangenen Faschismus, mit der man glaubt, der Komplizenschaft, in die heute alle verstrickt sind, entrinnen zu können, macht den gegenwärtigen unsichtbar (verleiht der nachfaschistischen Welt den Schein der Normalität).
Der Begriff des „dramaturgischen Handelns“ (Theorie des kommunikativen Handelns, S. 135ff), der am Schauspiel sich orientiert, und zu dessen Voraussetzungen ein Publikum, eine Gesamtheit von Zuschauern, gehört, wirft ein Licht auf die kopernikanische Wende, die, durch den ihr korrespondierenden Begriff des unendlichen Raumes, die Natur insgesamt zu einem ästhetischen Objekt gemacht hat. Das Sonnensystem ist ein Schauspiel, aufgeführt auf der Bühne der subjektiven Form der äußeren Anschauung. Kopernikus hat die Natur zu einer Totalität gemacht, in der der Mensch nicht mehr vorkommt. Die kopernikanische Wende hat gleichsam den Habitus des Zuschauers ontologisiert; daraus hat Kant mit seinem Konzept der subjektiven Formen der Anschauung die philosophischen Konsequenzen gezogen. Fürs Publikum gibt es zwar Normen (Kriterien der Beurteilung), aber keine Moral: In eine Schauspiel greift man nicht ein (die ästhetische Grenze ist eine Vergangenheitsgrenze).
Beachte den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs der Erfüllung in den Evangelien:
– Mt: der einzige, der extensiven Gebrauch macht von dem Begriff der Erfüllung der Schrift,
– Mk: gebraucht diesen Begriff der Erfüllung der Schrift nur zweimal (und beidemale in eindeutigem Zusammenhang mit der Passion),
– Lk: hier sind Personen mit dem Heiligen Geist, mit Schrecken, mit Freude erfüllt, und hier erfüllt sich die Zeit, nicht die Schrift,
– Joh: hier erfüllt sich die Zeit, das Haus (mit dem Duft des Öls), auch die Schrift.
Welche Verben werden mit „Erfüllen/Erfüllung“ übersetzt:
– gemo/gemizo (bin erfüllt, erfülle mit),
– teleioo/teleiosis (vollende, Passiv: in Erfüllung gehen/ Vollendung, Erfüllung),
– pleroo/pleroma (erfülle, vollende/Erfüllung, Vollzahl, Mt, Mk, Lk),
– pimplemi (fülle mit <Eifersucht, Hl. Geist, Zorn>, Lk).
Joh 33/7 und 331: das anothen bedeutet sowohl „von oben her“ als auch „von neuem“: Ist der Himmel die zukünftige Welt?


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie