„Unverhofftes Wiedersehen“: Ist meine Rückkehr zu den Problemen der Nachkriegszeit nach der beruflichen Latenzzeit nicht wie ein Auftauchen in einer Welt, die inzwischen eine ganz andere geworden ist? Und ist eine Lösung der alten Probleme ohne die Reflexion der veränderten Voraussetzungen überhaupt möglich? – Merkwürdige Erfahrung bei der Lektüre der Aufsätze von Karl Thieme in dem Band „Gott in der Geschichte“. Das Buch hätte heute so nicht mehr geschrieben werden können, aber heißt das nicht auch, daß Einsichten, die dieses Buch enthält, heute nicht mehr (oder fast nicht mehr?) möglich sind?
Organische Entwicklung: Es gibt einen Darwinismus der Technik und einen Darwinismus der Ökonomie. Beide gründen in einem in der Sache sich reflektierenden und reproduzierenden Selbsterhaltungstrieb. Ist nicht das Auto das Totem der Moderne, und ist der Menschensohn das Gegenstück zum Autosohn?
Die Kritik des Urteils rührt an das mysterium iniquitatis. Die Hypostasierung des Urteils ersetzt die Erkenntnis der Dummheit durch die Verurteilung, transformiert die Dummheit in Bosheit. Den Bösen kann man nicht ändern, man kann ihn nur „abschaffen“, während man die Dummheit bekämpfen kann.
Das Jesus-Wort „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ ist eine Aktualisierung des prophetischen Worts „Mein ist die Rache, spricht der Herr“.
Beitrag zur Lehre von der Auferstehung: Der Fundamentalismus will die Vergangenheit konservieren, weil er an ihrer Rettung verzweifelt.
War meine These, die Philosophie sei der Corpus Christi mysticum, eigentlich so weit von Thiemes These, daß die Kirche das Subjekt der Geschichte ist, entfernt?
Als Schrift ist die Prophetie überzeitlich (und korrespondiert dem Kreuzestod), als Wort ist sie ewig (und korrespondiert Seiner Wiederkunft).
Wer das Vergangene nur verurteilt, verhält sich strategisch, er will das ausblenden, dessen Erbe er ist. Wer die Vergangenheit verurteilt, wird zu ihrem Opfer, verstrickt sich in sie.
Wer heute sagt, daß er das Entsetzen nicht konservieren wolle, ist ein Erbe der Opfertheologie, die den Kreuzestod, indem sie das Erschrecken verdrängt, konserviert. Gerade wer den Schrecken nicht konservieren will, konserviert ihn.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Säkularisationsprodukt der lutherischen Rechtfertigungslehre. Sie begründen und stabilisieren den Schuldzusammenhang, indem sie ihn ausblenden. In diesem Akt des Ausblendens konstituiert sich die Natur.
Hat nicht das Buch Jona den Effekt der subjektiven Formen der Anschauung auf den einfachsten Nenner gebracht: das Nicht-unterscheiden-Können von Rechts und Links.
Nach der Sintflut setzte Gott den Bogen in die Wolken; mit welcher Begründung?
– „Dann sprach Gott zu Noah und zu seinen Söhnen, die bei ihm waren: Ich aber, siehe, ich richte einen Bund auf mit euch und euren Nachkommen und mit allen lebenden Wesen, die bei euch sind, Vögeln, Vieh und allem Wild des Feldes bei euch, mit allen, die aus der Arche gekommen sind.
– Ich will einen Bund mit euch aufrichten, daß niemals wieder alles Fleisch von den Wassern der Sintflut soll ausgerottet werden und niemals wieder eine Sintflut kommen soll, die Erde zu verderben.
– Und Gott sprach: Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und allen Lebewesen, die bei euch sind, auf ewige Zeiten: meinen Bogen stelle ich in die Wolken; der soll ein Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde. Wenn ich nur Wolken häufe ob der Erde und sich der Bogen in den Wolken zeigt, dann will ich des Bundes gedenken, der da besteht zwischen mir und euch und allen lebenden Wesen, und niemals wieder sollen die Wasser zu einer Sintflut werden, die alles Fleisch verderbe. Und wenn der Bogen in den Wolken steht, will ich ihn ansehen, um des ewigen Bundes zu gedenken zwischen Gott und allen lebenden Wesen, die auf Erden sind.
– Und Gott sprach zu Noah: Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich aufrichte zwischen mir und allem Fleisch, das auf Erden ist. (Gen 98-17)
Die Anmaßung des Richtenden drückt sich aus in dem Satz: Das wirst du mir büßen.
Kritik des Begriffs der Buße: Der Begriff der Buße gründet im Begriff der Umkehr. Er wäre zu konkretisieren am Magnificat: Gewaltige stürzt er vom Throne und erhöht Niedrige.
30.6.96
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