6.8.96

Der Satz, daß Gott ein Gott der Lebenden, nicht der Toten sei, klingt nach in dem anderen: „Laßt die Toten ihre Toten begraben“, der sich auf die Väter bezieht. Welche Väter gibt es in den Evangelien (außer Joseph, Zacharias, Zebedäus u.a. auch den Simon von Cyrene <der das Kreuz getragen hat, und der nur dadurch näher bestimmt wird, daß er der Vater zweier Söhne, des Alexander und des Rufus, ist>, den Jairus, den römischen Offizier)? Der Rassismus ist das auf den Kopf gestellte, ins Biologische gewendete Symbol. Und der Antisemitismus ist der Kern des Rassismus, nicht nur eine seiner Anwendungen. Der Weltbegriff hat einen herrschaftslogischen Kern, der erst in der Geschichte sich gebildet hat. Der teleologische Ursprung der Metaphorik ist vermittelt durch den Primat der Kausalität, die selber unter dem Apriori der Selbsterhaltung steht. Real ist die Sprache der Kausalität und Selbsterhaltung, alles andere ist metaphorisch. Das Realitätsprinzip ist auf die Kausalität eingeschworen, ein Schwur, der sich selbst als Zeugen anruft: Modell der Beziehung der transzendentalen Logik zur transzendentalen Ästhetik. Die subjektiven Formen der Anschauung sind im wörtlichen Sinne Formen der Verschwörung (auf der Basis eines Schwurs, den jeder bei sich selbst schwört, wobei er die Welt zum stummen und falschen, aber unwiderlegbaren Zeugen, zum augenlosen Augenzeugen, macht – Parodie der Beziehung Jesu zum Vater.) Die Metaphorik ist das Residuum des Namens. Gehört nicht zum philosophischen Begriff der Autonomia die Ataraxia, die sich vom Mitleid nicht mehr hinreißen läßt? Aber dieser (bürgerliche) Begriff der Autonomie gründet in der finanziellen Unabhängigkeit, von der die Armen apriori ausgeschlossen sind. Die wahre Einsicht wäre eine, die sich unmittelbar mitteilt und deshalb nicht mehr erfragt zu werden braucht. Die Geschichte der Verklärung auf dem Berge Tabor wäre wahr, wenn sie sich Petrus, Jakobus und Johannes unmittelbar mitgeteilt hätte, wenn diese sie nicht nur gesehen hätten. Die mittelalterliche Eucharistieverehrung und -spekulation hat das Geheimnis des Worts an die Mathematik (das Hören ans Sehen) verraten. „Wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich“: Wer das Kreuz auf sich nimmt, hat es nicht mehr vor Augen, kann es nicht mehr vergegenständlichen. Ist dieser Satz nicht die Widerlegung der Opfertheologie? Und sind die Evangelien nicht insgesamt ein Akt des Eingedenkens gegen die paulinische Objektivierung, die die Abstraktion überhaupt erst möglich macht, die dann im Credo sich ausdrückt (in dem das Leben Jesu zum „incarnatus est de Spiritu Sancto, ex Maria Virgine, et homo factus est; crucifixus etiam pro nobis, sub Pontio Pilato passus et sepultus est“ zusammenschnurrt)? Der Bruch zwischen Paulus und den Evangelien, den das Dogma zudeckt, wird thematisiert in der Apokalypse. Hat nicht der Faschismus auch die Sieger in seinen Strudel mit hereingezogen? Hängt das Problem, das um die Begriffe aioon, oder saeculum, aeternitas, sich herumrankt, nicht damit zusammen, daß die Herrschaftsgeschichte zum logischen Zentrum des Weltbegriffs geworden ist? Die Herrschaftsgeschichte hat das Überzeitliche vom Ewigen geschieden. Woher kommen und was bedeuten diese Worte, die die Idee des Ewigen umkreisen? Von der Botschaft der Sterne hat die Kirche nur die Boten, die Engel, zurückbehalten, wobei sie die dämonischen Ursprungs- und Elementarmächte der Einfachheit halber (und zur Legitimation der kirchlichen und weltlichen Hierarchien) mit zu den Engeln gezählt hat. Die Austreibung der sieben unreinen Geister steht noch aus (und ist nicht durch die Ersetzung des Sabbath durch die dies dominca schon erfüllt). Gehört nicht auch der Name des Barabbas zur evangelischen Geschichte der Verwerfung der Väter? Die Idee des Absoluten gründet im Rechtfertigungszwang und endet im Wiederholungszwang (deshalb ist der Staat die sterbliche Gestalt des Absoluten: es gibt keine andere). Das Ganze ist das Unwahre: Die Wege des Irrtums sind die Wege des in sich selbst zurückkehrenden Kreisens. Wenn die Metaphorik teleologischen Ursprungs ist, ist dann nicht das Geld ein metaphorisches Instrument? Oder: Wenn das Inertialsystem die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, ist dann nicht das Geld die Umkehrung dieses Aktes, nämlich die Subsumtion der Vergangenheit unter eine Zukunft, die selber schon unter die Vergangenheit subsumiert ist? Das Geld ist das Instrument, mit dessen Hilfe das Subjekt (über die subjektive Form der inneren Anschauung) sich an das Ende der Zeitreihe setzt, um durch die Erhebung über die Zeit autonom zu werden. Unter dieser Prämisse wird das Bekenntnis zum flatus vocis, durch seine Trennung vom Namen wird es zur im Unendlichen verhallenden Stimme. Hängt es nicht mit der Verdrängung des Namens und des Angesichts zusammen, wenn der Name der Welt auch als Name für alle Menschen sich verwenden läßt? Der Andere wird zum bestimmten Anderen nur durch den Namen; für sich ist er nur ein Anderer für Andere. Der bestimmte Artikel ist nur der Repräsentant des Namens in der Sprache, während der unbestimmte Artikel das unter den Allgemeinbegriff fallende Objekt bezeichnet (ein Objekt unter vielen: an sich ein Kollektivum). War die Vätertheologie nicht erst möglich, nachdem aus dem Gesalbten, dem Messias Jesus, der Jesus Christus geworden ist, und der Name Christus zum Allgemeinbegriff, der alle Christen unter sich befaßt? War es nicht der Trick der homousia, daß sie den Sohn dem Vater gleichgesetzt hat? Laßt die Toten ihre Toten begraben: Liegt die logische Funktion dieses Tods der Väter nicht in der Beziehung der Väter zum Begriff, in ihrer „zeugenden“ (die Gattung begründenden) Funktion. Ist nicht der Rassismus die logische Konsequenz aus der Väterreligion (und der Antisemitismus sein Kern)? Der Zölibat ist die fundamentalistische Version eines logischen Sachverhalts. Bezeichnet nicht der Unzuchtsbecher, ähnlich wie der Taumelbecher und der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, ein logisches Problem (hat das Wissen mit dem Kelch, und haben Natur und Welt mit Grimm und Zorn zu tun, und liegt hier der Schlüssel zum „Unzuchtsbecher“)? Das Possessivpronomen ist das principium individuationis, und zwar sowohl für den Besitzer und Eigentümer wie für den Besitz und das Eigentum. Auf den beiden Seiten des Schaufensters, durchs Schaufenster getrennt, sind Ware und Käufer nur Exemplare einer Gattung, erst im Kauf (durch die Eigentumsbeziehung) gewinnen sie Individualität, Ununterscheidbarkeit. Erst der Fernsehmoderator, der sich selbst verkauft, gewinnt (als die Ware, zu der er sich macht) Individualität. Wer wissen will, wo der Filmstar der zwanziger Jahre geblieben ist, sollte sich den Fernsehmoderator ansehen (nicht den Darsteller der Fersehserie, der hinter seiner Rolle, die ihn zum Nachbarn aller macht, verschwindet: Derrick ist nicht Tappert, sondern Tappert ist Derrick; auf der Straße würde ich ihn als Derrick „erkennen“). Das Charisma ist eine Qualität, die in der Eigentumslogik gründet. Der Führer war die Verkörperung der sich selbst anpreisenden und verkaufenden Ware; deshalb war er auch die Verkörperung des Antisemitismus. Er war die Verkörperung einer Ware, die ihr Massendasein leugnete: die Uniform als signum individuationis. Er war nur die Matrix, das Modell einer Massenproduktion, mit dem Antisemitismus als Produktionsmittel. Der ungeheure Verdrängungsakt, der mit einem Schlage alle Deutschen von der Schuld befreit hat, hängt damit zusammen: Alle haben ihre Anschauungen (ihr Feindbild) wie ein Hemd gewechselt, ihre Verstrickung wie die Uniform abgelegt. Der Produktionsapparat ist erhalten geblieben, er wurde noch gebraucht.


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