17.08.1996

Autoritätshörigkeit hat ihre Wurzeln im Rechtfertigungszwang: Führer ist, wer die Verantwortung für das, was einer tut, auf sich nimmt, den Handelnden vom Druck der Verantwortung entlastet, wer ihm die Schuld abnimmt. Daß das im Ernst nicht gelingt, läßt am „eliminatorischen Antisemitismus“ sich demonstrieren. (Übernimmt heute, nach der kollektiven Verdrängung des Schreckens und auf der Grundlage dieser Verdrängung <der Verdrängung durch kollektive Verurteilung>, nicht das Recht genau diese Funktion, insbesondere in den Bereichen, in denen es dazu dient, Gemeinheit zu decken: bei der Polizei, in Staatsschutzprozessen und in Knästen?) Instrumentalisiertes Feindbild oder der logische Kern der Verhärtung des Herzens: Ist nicht das durch die transzendentale Ästhetik, durch die subjektiven Formen der Anschauung, vermittelte apriorische Objekt, die Grundlage der transzendentalen Logik, das Produkt einer apriorischen Verurteilung und Verdrängung, ist nicht die transzendentale Logik, die Konstruktion synthetischer Urteile apriori, das (aus der Bekenntnislogik hervorgegangene) Modell des Vorurteils? Wenn Aufmerksamkeit das natürliche Gebet der Seele ist, dann ist der eliminatorische Antisemitismus die reinste Form des Atheismus. Was hat die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos mit den Versuchungen Jesu in der Wüste zu tun? War Hiob der erste, der die Plagen als Versuchungen erfahren hat? Was haben die zehn ägyptischen Plagen, und was hat die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos mit der Ursprungsgeschichte der subjektiven Formen der Anschauung zu tun? Sollte es nicht ein essentieller Teil der rechtsstaatlichen Grundsätze sein, daß Verwaltungsentscheidungen ebenso wie Gerichtsurteile für die, die davon betroffen sind, verständlich sein müssen? Das aber würde bedeuten, daß fast alle raf-Urteile dieser Forderung nicht genügen. Müßte nicht der Buchtitel „Versuche, die raf zu verstehen“ ein wenig variiert werden: „Versuche, die raf-Prozesse zu verstehen“? Denn auch diesen Versuch scheint die Öffentlichkeit längst aufgegeben zu haben; deshalb nimmt sie sie nicht mehr wahr. Es gibt zwei Begriffe der Reinheit: Der eine würde dem der Reinheit der Lehre entsprechen, der die Umkehr voraussetzt und in der Heiligung des Gottesnamens, der Einigung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, sich erfüllt. Der andere steht unterm Rechtfertigungszwang und agiert ihn aus; dieser Begriff der Reinheit, den man den hygienischen nennen könnte, manifestiert sich in Reinheitszwängen, die von der Ansprechbarkeit durch die Waschmittelreklame über den Begriff der klinischen oder auch chemischen Reinheit bis hin zum eliminatorischen Antisemitismus reichen. Ist nicht der Prozeß der Dogmenentwicklung der Versuch, den ersten Reinheitsbegriff unter den Bedingungen des zweiten zu realisieren? Dieser Begriff der Reinheit der Lehre kommt ohne Antijudaismus, ohne Verurteilung der Häresien und Verfolgung der Ketzer, aber auch ohne Hexenverfolgung nicht aus. Er hat in der Theologie sich etabliert, nachdem an die Stelle des Märtyrers der Confessor trat. Die Bekenntnislogik ist ein Instrument der Abwehr: ein Präventivverfahren gegen Schuldgefühle und Schuldreflexion zugleich. Läßt sich die Geschichte der Theologie im Bann der Bekenntnislogik nicht als die Umkehrung und Radikalisierung der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos begreifen, mit der Taufe als Wiederholung des Untergangs im Schilfmeer als Anfang, über die Tötung der Erstgeburt und die allgemeine Finsternis bis hin zu den Fröschen (den unreinen Geistern) und zur Verwandlung des Wassers in Blut (der Verwandlung, die Taufe blutig an denen vollstreckt, die sich nicht wollen bekehren lassen)? Durch die Bekehrung ist die Umkehr zu einem Instrument der Herrschaft geworden. „Ein Wind weht vom Paradies her“ (Walter Benjamin): Ist das kreisende Flammenschwert ein Ventilator? Die Enden der Erde: Sind das nicht die Pforten der Hölle und des Paradieses zugleich? Zu den Flüssen des Paradieses gehört auch der Euphrat. An dem „großen Strom Euphrat“ – sind auch die vier Engel gebunden, die beim Schall der sechsten Posaune losgebunden werden, um, nachdem sie für die Stunde, den Tag, den Monat und das Jahr sich bereitgemacht hatten, den dritten Teil der Menschheit zu töten (Off 914); – auf den gleichen Strom wird die sechste Zornesschale ausgegossen, da vertrockneten seine Wasser, damit den Königen vom Aufgang der Sonne der Weg bereitet würde. „Und ich sah aus dem Munde des Drachen und aus dem Munde des Tieres und aus dem Munde des falschen Propheten drei unreine Geister wie Frösche <herauskommen>. Sie sind nämlich Dämonengeister, die Zeichen tun, die zu den Königen des ganzen Erdkreises ausziehen, um sie zum Krieg am Tag des allmächtigen Gottes zu versammeln.“ (Off 1612ff)


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