09.09.1996

„Rede von Gott“: Der Begriff der Rede gehorcht der Logik des Monologs, der Selbstgettoisierung des Geistes, des kollektiven Autismus. Zur Rede gehört eine Sprache, die den Dialog ausschließt, die nur von den „Anhängern“ noch verstanden wird und alle andern ausgrenzt; geredet wird nicht mit anderen, sondern über andere. Es gibt keine Rede ohne Feindbild, das als gemeinschaftsbildendes Element den Raum erzeugt (und qualifiziert), in dem die Rede sich entfaltet (das technische Medium, in dem die Rede sich vollendete, war das Radio). Das der Rede zugrundeliegende Denk- und Erkenntnismodell ist ebenso paranoid wie eliminatorisch; die Rede lebt von den Ängsten der Hörer, die sie selbst in ihnen erzeugt, indem sie sie zur Stummheit verurteilt. Ihre Logik ist die Bekenntnislogik, die im Antisemitismus sich erfüllt. Die Rede ist der sprachliche Reflex des Inertialsystems (die Innenseite der Verdinglichung, zu deren komfortabler Ausstattung die Rede beitragen möchte). Zur inneren Logik der Rede gehört es, daß es Namen nur außerhalb dieses Raumes gibt: deshalb kennt sie Namen nur als Feindnamen; sie vergeht sich am Gebot der Heiligung des Gottesnamens. Theologie wird durch die Logik der Rede zur Theologie hinter dem Rücken Gottes; nur eine Theologie im Angesicht Gottes vermag den Bann dieser Logik zu lösen (Vorsicht: Sprengen kann diesen Bann nur Gott. Unsere Aufgabe wäre es, ihn zu lösen. – „Was ihr auf Erden lösen werdet, …“). Theologie als Rede von Gott ist im wörtlichen Sinne verantwortungslos. Ist nicht das -burg in der Bezeichnung teutoburgensis ein Indiz dafür, daß die Germania des Tacitus eine mittelalterliche Fälschung ist (Kluge verweist zur Begründung der ahd. Herkunft des Wortes „burg“ auf Tacitus)? Die aufgeregte Diskussion um das Buch von Daniel Jonah Goldhagen beweist nicht nur, daß Goldhagen recht hat; sie beweist zugleich, daß die empfindlichste Stelle der Deutschen ihr Deutschtum, ihr Nationalbewußtsein, ist. Diese Empfindlichkeit aber verweist auf den Grund des eliminatorischen Triebs der deutschen Ideologie, die den Faschismus überlebt hat.


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