13.09.1996

Die Anbetung bezeichnet den Übergang der Religion von ihrem moralischen Begriff zur Ästhetisierung (das ästhetische Objekt konstituiert sich mit dem Urteil). Zu den historischen Grundlagen der Ästhetisierung der Theologie, die übers Dogma sich entfaltet hat, gehört die merkwürdige Verbindung von Mönchstum und imperialer Reichsideologie, die die Geschichte der Konzilien bestimmt (und 381 unter Theodosius in Konstantinopel vollendet wurde).
Die Gestalt der Anbetung, die im Mönchstum sich verkörpert, ist seit je ein Instrument der Ästhetisierung, der Mythisierung des Christentums gewesen. Mönche sind Zeloten, die, um ihre Kräfte zu sammeln, in die Wüste gehen, dort aber vergessen haben, weshalb sie in die Wüste gegangen sind.
Geschichte und Natur sind zu ästhetischen Objekten geworden, zu deren Ursprungsgeschichte diese theologische Vorgeschichte dazu gehört.
Der Materialismus (zu Ralph Stürmer) ist befreiend nur als Forschungsmaxime, nicht als Weltanschauung: Hier hat er Teil am Problem des Schuldverschubsystems, das nur entlastet, indem es zugleich die Last durch Verdrängung vermehrt. Der metaphysische Materialismus ist ein Instrument des Schuldverschubsystems, der Transformation der Last ins Joch.
Wenn die (pseudohistorischen) Hethiter in Wirklichkeit die Kappadozier sind, sind sie dann nicht ein Konstrukt zur Abschirmung, Legitimierung und Stabilisierung des Antisemitismus?
Ehe Abraham ward, bin ich: Hat Jesus damit nicht die jüdische Geschichte zur Gegenwart gemacht? Und ist sie nicht in der Tat nur so gegem ihren antisemitischen Mißbrauch gefeit?
Das Präsens (das gegen die Vergangenheit sich definiert) ist der blinde Fleck in der indoeuropäischen Grammatik und Sprachlogik. Die veränderte Konstruktion des Perfekt in den modernen Sprachen, seine Bildung mit Hilfe der Hilfsverben, hat dieses Perfekt zu einer präsentischen (und deshalb „vollendeten“) Vergangenheit gemacht. Im Verein mit dem Präsens, das in der Hilfsverb-Konstruktion des Perfekt wiederkehrt, ist das Perfekt der Deckel auf der Vergangenheit (das philosophische „Wesen“ ist ein Perfekt). Das moderne Korrelat dieses Deckels ist das Inertialsystem, das Produkt der Vergegenständlichung der subjektiven Formen der Anschauung (in dem diese subjektiven Formen der Anschauung sich selbst zum Gegenstand der Anschauung machen). Im Inertialsystem streicht die Subjektivität sich selbst durch, wird die Erinnerung an die kantischen Antinomien gelöscht.
In der deutschen Rezeption der kantischen Philosophie wurde die Erkenntniskritik seit je als Instrument der Legitimation des Kritisierten (der Naturwissenschaft) aufgefaßt, wurde das kritische Element verdrängt.
Das Inertialsystem ist das Korrelat der Ontologie, der Hypostasierung des Seins.
Abgestiegen zur Unterwelt: Ist dieser Abstieg nicht durch die Erfindung der Hölle perhorresziert worden? Und hat nicht diese Erfindung den Weg zum Himmelreich verschlossen?
Die Hölle bezeichnet präzise den Objektbereich der Verurteilung und des Vergangenen zugleich. Die Vergegenständlichung der Höllenvorstellung war das Korrelat der Apologetik, der Rechtfertigungszwänge. Erst das Inertialsystem hat die Höllenvorstellung abgelöst und vertrieben.
Personalisierung: Im Kontext der Höllenvorstellung sind die Juden, die Ketzer, die Frauen zu Verkörperungen und Agenten des Teufels geworden.
In diesem Zusammenhang wäre leicht nachzuweisen, weshalb in politischen Prozessen die Strukturen des Vorurteils und der in seinem Kontext ausgebildeten Verfolgungsformen sich reproduzieren (und weshalb sie offensichtlich geeignet sind, das Vorurteil neu zu beleben).
Wird hier nicht – über die Mechanismen des Schuldverschubsystems, der Ablenkung, des Blitzableiters, des Sündenbocks, die alle am Ende nicht mehr helfen werden – eine Situation vorbereitet, aus der es kein Entrinnen mehr geben wird? Trifft sich nicht hier die Auflösung des Problems des Schuldverschubsystems, des Vorurteils, des Antisemitismus, mit der Auflösung des Problems des Inertialsystems? Und bezieht sich nicht auf beide der Satz vom Lösen: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?
Das „Abgestiegen zur Unterwelt“ kommt nur im apostolischen Glaubensbekenntnis vor, während es im N und NC (wie übrigens die Höllenvorstellung in allen Symbola) fehlt; wodurch unterscheidet sich das apostolische Bekenntnis sonst noch von den übrigen (hinsichtlich des Ursprungs, des Inhalts und des Aufbaus)?
Gehört die „Venus-Katastrophe“ zur Ursprungsgeschichte des Begriffs der Unzucht (und zur Ursprungsgeschichte der Sexualmoral, der Urteilsmoral)? Und ist diese Geschichte nicht ein Teil der Ursprungsgeschichte der Herrschaftsinstitutionen, des Staats? Ist die Venus-Katastrophe ein anderer Ausdruck für die Verdrängung und Transformation der Herrschaftskritik (in deren Kontext die Sexualmoral immer noch gehört)?
Ist es der Welt-Auftrag der „Geschichte“, das Bewußtsein zu verdrängen, daß die Vergangenheit die Hölle ist?
Wenn die Vergangenheit die Hölle ist, und das Inertialsystem das Produkt der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, bezieht sich dann nicht das Wort von den Pforten der Hölle, die die Kirche nicht überwältigen werden, auch aufs Inertialsystem?
Gehört nicht die indoeuropäische Grammatik (der Turm, der bis zum Himmel reicht und die Sprachen verwirrt hat) in den gleichen Zusammenhang?
Der Name der Hebräer ist der explizite Verzicht auf die projektive Verarbeitung der Erfahrung, die zur Grundlage der indoeuropäischen Sprachen (die der Barbaren: der Ausgrenzung der Fremden, bedürfen) geworden ist.
Wie auch die Lazarus-Geschichte und die Gestalt der Maria Magdalena gehören die Totenerweckungen und die Vertreibung der Dämonen in den Evangelien zusammen. Welche Totenerweckungen und welche Dämonen-Austreibungen gibt es (der Jüngling von Naim, der Sohn des Jairus, Lazarus; welche Dämonen-Austreibungen außer der Austreibung der Legion in die Schweine und der Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern)?
Wie hängen der Stoß, die Gravitation und die Lichtgeschwindigkeit, die Objektivationsformen, die sie repräsentieren, zusammen, liegt hier nicht die letzte Orthogonalitätsbeziehung, die auch der Vorstellung des Inertialsystems (des Produkts der Vergegenständlichung der subjektiven Formen der Anschauung) zugrunde liegt? Sind Stoß, Fall und Lichtsgeschwindigkeit Repräsentanten des Schicksals der Kausalität, der Wechselwirkung und der Teleologie im historischen Objektivationsprozeß?
Die Aufklärung ist das Produkt der Intrumentalisierung der Wahrheit (das Produkt der Ausscheidung, der Eliminierung der Reflexion aus der Wahrheit).
Biblische Zoologie: „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.“ Sind hier nicht die Werke des sechsten und fünften Tages beisammen?


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