17.09.1996

Die ins Autoritäre transformierte Fassung des achten Gebots: „Du sollst nicht lügen“ verletzt das authentische Gebot: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“, indem sie die Reflexion auf den Andern aus dem Gebot ausblendet; sie versperrt der Gotteserkenntnis den Weg und unterbindet die Heiligung des Gottesnamens an der Wurzel.
Rind und Esel: Mit der Bindung der Wahrheit an den Objektbegriff (an die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“) wird das dialogische Element ausgeschieden, damit aber auch die Fähigkeit zur Schuldreflexion, die von der im Objektbegriff installierten Verurteilungsautomatik aufgesogen wird; die Intention der Versöhnung, ohne die die Wahrheit nicht zu denken ist, wird neutralisiert. Die dem Objektbegriff inhärierende Verurteilungsautomatik (der Rechtfertigungstrieb) ist ein Teil der den Objektivationsprozeß vorantreibenden Triebkräfte. Sie macht das Denken, indem sie es ans Urteil bindet, zum Instrument seiner eigenen Isolationshaft: jeder Ausbruchsversuch prallt an der Härte des Objekts ab. (Staatsanwälte und Richter in Staatsschutzprozessen sichern mit dem Staat, den sie schützen, die Härte und Unverletzlichkeit eines Bewußtseins, das am Objektbegriff seine Norm hat; sie schützen mit dem Staat den Objektbegriff <dem Repräsentanten des Eigentumsbegriffs im Bewußtsein> vor kritischer Reflexion.) Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ist ein Teil der Geschichte der Konstituierung des Objektbegriffs (Mizrajim ist sowohl das Sklavenhaus als auch der Eisenschmelzofen).
Das rechtskräftige Urteil stellt die „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“, zu deren Konstituentien somit das Gewaltmonopol des Staates gehört, her.
Das Zeichen des Jona: Ist nicht jedes Gebet ein Gebet im Bauche des großen Fisches? Und sind nicht Leviathan und Behemoth im Buch Jona in dem großen Fisch, der Jona vor den Wogen des Meeres rettet, und im Vieh, das an der Umkehr Ninives teilnimmt, präsent? Deshalb genügt die Umkehr des Volkes alleine nicht, auch der König und das Vieh müssen umkehren (was für den König bedeutet, daß er keiner mehr ist: Gott gedenkt der Menschen, die Rechts und Links nicht unterscheiden können, und des Viehs, nicht aber des Königs).
Hoffnung für Jona findet ihren Ausdruck erst in den letzten Versen des Jakobusbriefs: „Wer einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, der wird seine Seele vom Tode retten und eine Menge Sünden zudecken.“ (520) – Dieser Satz geht einen entscheidenden Schritt über das ezechielische „dixi et salvavi animam meam“ hinaus: Es genügt nicht mehr, es nur gesagt zu haben, hier wird die Rettung der Seele an die Bekehrung des Sünders gebunden. Und ist das nicht ein Zeichen der Äonenwende: Den Christen ist der Erfolg (der von der nicht erzwingbaren Umkehr des Andern abhängt) nicht mehr gleichgültig. Nur: Die „Mission“, die „Bekehrung der Völker“, ist nicht schon dieser Erfolg; die Mission hat nur die 99 Gerechten hervorgebracht, aber den einen Sünder vergessen (bezieht sich hierauf nicht die Geschichte von den sieben unreinen Geistern, die im zweiten Petrusbrief nachhallt – sh. Mt 1245/Lk 1126 und 2 Pt 220)?
Die Wege des Irrtums, das sind die Wege derer, die nicht mehr wissen, was sie tun (und gibt es nicht heute schon zu viele, die – wie Hitlers willige Vollstrecker – alle ihre Pflicht tun, aber nicht mehr wissen, was sie tun?). Karl Thiemes Wort, daß Jesus das erste Opfer war, das nicht mehr um Rache zum Himmel schreit, kommt der Sache mit dem Kreuz sehr viel näher als die ganze Opfertheologie, es sei denn, daß es endlich gelingt, diese Bitte (die Barmherzigkeit für die, die Rechts und Links nicht unterscheiden können) in das Verständnis der Opfertheologie mit hereinzunehmen und so die Opfertheologie zu einem Instrument der Transformation des Rachetriebs in Barmherzigkeit zu machen („Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“).
Beispiele für das Wort von den Wegen des Irrtums sind sowohl die Verwaltungen (sind alle hierarchisch organisierten Institutionen) als auch die „Wege der Planeten“ (die in der frühmittelalterlichen Theologie einmal zur Legitimierung hierarchischer Ordnungen gedient haben).
Die Fähigkeit zur Schuldreflexion ist von den Strategien der Schuldvermeidung zu unterscheiden. Die eine ist befreiend, die andere führt über die Verurteilungslogik in die Verstrickungen hinein, in das projektive, vergegenständlichende, dem Rechtfertigungszwang unterworfene Erkenntnismodell. Die Unterscheidung hängt zusammen mit der des Namens vom Begriff und der der Idee des Ewigen vom Überzeitlichen.
Die Unterscheidung von Grund und Ursache verweist auf den Zeitkern der Wahrheit. Ökonomie und Naturwissenschaft begründen die Universalität des Kausalitätsprinzips, in deren Kontext Gründe (wie die „sekundären Sinnesqualitäten“) subjektiv und gegenstandslos werden. Gründe verweisen auf ein teleologisches Moment, das im historischen Objektivationsprozeß sich verflüchtigt hat.
Was hat die Seinsfrage mit der Judenfrage zu tun? Ist Heideggers Fundamentalontologie der Holocaust der Philosophie? Vgl. die „Jonafragen“ bei Ebach (Kassandra und Jona, S. 154).
Zum Gravitationsgesetz gehört die Vorstellung des „absoluten Raums“, zu den Maxwellschen Gleichungen das Inertialsystem.


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