18.2.1997

Das Gewissen ist das Organ der Sensibilität, der moralischen Wahrnehmung: es ist ein Erkenntnisorgan. Wer das Gewissen (im Kontext der transzendentalen Ästhetik, unterm Bann der subjektiven Formen der Anschauung) zu etwas rein Innerlichem macht, macht es zur Quelle von „Schuldgefühlen“. Dieses Gewissen beurteilt nur post festum die vergangenen Handlungen (das eigene Tun); zu diesem Gewissen gehört der Rechtfertigungszwang (gehören die Abwehrmechanismen und die Feindbildlogik).
Was ist das für ein merkwürdiges Konstrukt, das, indem es rechtfertigt, verurteilt und freispricht zugleich? Ist dieses „Gewissen“ nicht der Inbegriff der Logik der subjektiven Formen der Anschauung, der transzendentalen Ästhetik?
Das Gewissen, das nur noch innerlich ist, ist der Luxus in einer versteinerten und gnadenlosen Welt.
Ist nicht der letzte Satz des Jakobusbriefs der Schlüssel zur Gnadenlehre?
Zu Hegels Satz: „Für den Kammerdiener ist der Held kein Held“ ist zu bemerken: Ein Held, der einen Kammerdiener hat, ist kein Held.
Ist Held eine ästhetische Kategorie? Was (nicht „wer“) ist der Held des Romans (ein Identifikationsobjekt, das ästhetische Pendant des Objekts: Beziehung zum Weberschen „Charisma“)? Gibt es Helden ohne Feindbildlogik, und gehört nicht zur Figur des Helden die Idee des stellvertretenden Opfers? Ist nicht die Figur des Helden der Knotenpunkt der Instrumentalisierung (im Helden gewinnt die Logik der Instrumentalisierung, die transzendentale Ästhetik, Selbstbewußtsein)? – Was hat die Figur des Helden mit dem „Fürsten dieser Welt“ und mit der Astronomie zu tun? Helden sind fleischgewordene Götter. Helden sind die Abgeltung des Opfers als Opfer an das Selbst.
Gibt es außer dem biblischen Schöpfungsbericht noch eine andere Kosmogonie, die auch die Entstehung des Lichts mit einschließt?
Pharao, der Titel des ägyptischen Königs: Hat die aristotelische Unterscheidung von oikos und polis etwas mit der Unterscheidung von Mizrajim (Pharao und das Sklavenhaus) und Babylon (Tempelwirtschaft) zu tun?
Stecken nicht im Namen der politischen Ökonomie, deren Kritik Marx sich vorgesetzt hatte, die polis und der oikos?
Bei Rosenzweig kommen Ägypten und Babylon nicht vor, dafür neben Griechenland Indien und China und neben Juden und Christen der Islam. Das aber heißt: Rosenzweig war kein Prophet, sondern ein Philosoph.
Bei Daniel kommt Ägypten nicht vor (erst bei Johannes kommt neben Babylon auch Ägypten vor: die Plagen). Wer Ägypten verstehen will, muß die Finsternis begreifen.
War die Erfindung der Sumerer ein Konstrukt zur Absicherung des Antisemitismus, gehört sie nicht in den Kontext der historischen Bibelkritik, deren Ziel die Neutralisierung der Prophetie gewesen ist? War nicht das Ziel der historischen Bibelkritik die Kritik der Erwählung Israels, die sie zu einem Exempel des Nationalismus gemacht hat, um so die exkulpatorische Logik zu retten? Kern der historischen Bibelkritik war die Verwerfung der Gottesfurcht.
Hat die kabbalistische These. daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, etwas mit der apokalyptischen Versiegelung (und mit der Lösung der sieben Siegel) zu tun?
Gibt es nicht Motive aus der heroischen Tradition, die sowohl auf Moses als auch auf Jesus sich anwenden lassen?
Ist die Stummheit des Helden die Folge seiner Beziehung zum Ursprung der Kunst, zur Ästhetik, auch zu den subjektiven Formen der Anschauung? Sind Helden die ersten Objekte der Anschauung? Wenn die Stummheit des Helden mit dem Ursprung der Raum- und der Objektvorstellung zusammenhängt, ist sie eine Bestimmung innerhalb der Sprache. Und wie hängt die Distanz zum Objekt, die in der Stummheit des Helden sich ausdrückt, mit dem bara, mit dem biblischen Schöpfungsbegriff zusammen (wie auch mit dem Namen der Barbaren und der Hebräer)?
Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht: Ist nicht das Himmelsblau das über die Finsternis gezogene Licht, das Rot des Feuers die über das Licht gezogene Finsternis? – Vgl. Goethes Farbenlehre.
Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Haben Mond und Sonne etwas mit der Scham und mit dem Blick der Andern, mit dem Urteil, zu tun?
Et verbum caro factum est: Ist dieses Fleisch der Inbegriff der Nacktheit und der Scham. Der ans Kreuz Geheftete war nackt.
Drückt in der Apokalypse die Beziehung der Wahrheit zur Öffentlichkeit sich aus, die auch dem Martyrium zugrunde liegt?
Mene, tekel upharsin: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden. Die Wand ist die Projektionsfläche, die die Rationalität der Naturwissenschaft begründet. Ist das Menetekel (die Schrift an der Wand) der Grund der Naturwissenschaft? Das Menetekel ist das Symbol der Logik der Schrift; und hat es nicht auch etwas mit dem Geld, mit Mine und Schekel, zu tun? Ist die Kunst (der subjektlose Traum der Politik, den das Genie, die „Natur im Subjekt“, träumt) der Traum des Nebukadnezar?


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