Die Opfertheologie und die daran anschließende (die Kirche als Verwalterin des Heilgutes begründende) Gnadenlehre rückt durch die gleiche Form der Instrumentalisierung (der „Verweltlichung“), die insbesondere dann die Geschichte der Naturerkenntnis und -beherrschung charakterisiert, die Gläubigen auf die Täterseite, blasphemisiert die Theologie, entmündigt die Christen, macht die Lehre für politische Zwecke verfügbar, polarisiert den Terror (nach innen durch die Unterwerfungsbereitschaft, durch Verführung zur Identifikation mit dem Aggressor; nach außen durch das Angebot von Opfern für Entlastungsaggressionen – Heiden, Häretiker, Juden, Frauen; durch Exkulpierung offenen Terrors). Sie eröffnet den masochistischen Nachfolgebegriff (durch stellvertretendes Leiden) und verdrängt den realen: Nachfolge als Übernahme der Schuld der Welt, als Verantwortungsfähigkeit. An die Stelle einer säkularisierten Theologie, einer Theologie, die selber Opfer der Säkularisation geworden ist (in der Geschichte des Dogmatisierungsprozesses), müßte eine kritische Theorie der Geschichte der Säkularisation treten, eine theologische Erkenntniskritik als Kritik des Herrendenkens in der Theologie (als Selbstreinigung der Theologie): die Vergangenheit ist nicht frei verfügbar.
Zu Lyotards Reflexionen über Auschwitz (Verbrechen sind nicht mehr justiziabel, weil es gelungen ist, die Spuren und die Zeugen restlos zu beseitigen): Die zynische Anwendung dieses Prinzips findet heute bereits öffentlich, z.T. mit Zustimmung der Öffentlichkeit, jedensfalls ohne nennenswerte Kritik, vor allem aber in gesetzlichem Rahmen statt; gegen freigegebene Opfer (Mitglieder einer „terroristischen Vereinigung“) ist jede Schikane möglich und zulässig, die nicht juristisch dingfest zu machen ist (wenn sie unter einem Vorwand erfolgt, gegen den rechtlich wirksame Einwände nicht möglich sind). Moral ist nicht einklagbar.
Anwendung der psychoanalytischen Interpretation der „Schaulust“ (vgl. II, S. 452) auf den philosophisch-wissenschaftlichen Theorie-Begriff (und auf das Verhältnis der kantischen Anschauungsformen zur transzendentalen Logik, zur kritischen Begründung des Wissensbegriffs).
Die psychoanalytische Ableitung des jüdischen Bilderverbots (K. Abraham, sh. D. II, S. 457) vergißt den erkenntniskritischen Zusammenhang, auf den das Bilderverbot verweist (die Theorie-Kritik). Das Bilderverbot, das allen Menschen-, Welt- und Gottesbildern den theologischen Grund entzieht, trennt die jüdische Religion sowohl vom Mythos wie von der Philosophie (der postmythischen Schwester des Mythos); es hat einen Begriff der Erkenntnis zur Folge, der das Unrecht des Wissens und der Gegenstandslogik aufzulösen trachtet durch eine parakletische, an der Idee des Namens sich orientierende Erkenntnis. Frage, ob nicht in diesem bisher uneingelösten Erkenntniszusammenhang auch der patriarchalische Grundzug der jüdischen Religion (ihre letzte Bindung an den Mythos) sich auflöst. Hat die feministische Theologie dem vielleicht schon vorgearbeitet?
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