12.06.90

Das Rätsel D. scheint sich zu lösen in „Krieg und Christentum“, schon im Vorwort: Es ist sein Begriff des Politischen, der selbst neurotische Züge aufweist (depressive Kritik-Unfähigkeit). Genau gegen diesen Politikbegriff, nicht neben ihm, als gleichsam unpolitische Religion, ist Freiheit überhaupt erst zu begründen, die sich jedoch dann bei D. in dem gleichen Schuldzusammenhang wieder verstrickt, aus dem sie herausführen soll, und deshalb des göttlichen Trostes bedarf.

D.’s „Politik“ ist eine, an der man sich nur die Hände schmutzig machen kann, die notwendig die Folgen nach sich zieht, die dann niemand mehr verantworten kann. Aber da hilft dann D.’s Therapie. D’s Politikverständnis schließt eigentlich jeden politischen Widerstand aus (und schändet so nachträglich den historischen: er war ja nutzlos), es entmündigt und infantilisiert den Gläubigen (nicht zufällig gibt es – zumal in Deutschland -diesen auffälligen physiognomischen Trend zum Baby-Face in der Politik; es gibt bereits viele Menschen, die offensichtlich nicht mehr alt werden, nur noch irgendwann plötzlich vergreisen).

Nach der Realisierung der Einen Welt (in der es keine unberührten Enklaven, keine Schlupfwinkel mehr gibt, in der alles mit allem zusammenhängt) ist die Haltung des Zuschauers (der Verzicht aufs Eingreifen) insgesamt unmoralisch geworden; in dieser Welt gibt es zur Nachfolge (zur Übernahme der Schuld der Welt, zum Prinzip Verantwortung) keine Alternative mehr.

Vgl. Christina von Brauns „Mutter Staat“ (Die schamlose Schönheit des Vergangenen, S. 73f)

D.’s Religion: sublimierter Inzest? Das Angenommen-Werden eine Erlösung unter dem Vorbehalt des Fortbestehens der schuldbehafteten Beziehung? (Vgl. das „Rauschen des Blutes“, überhaupt die Affinität von Kitsch und Wiederholungszwang).


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