Was unterscheidet eigentlich den Günter Grass (sh. FR von heute) von Heinrich Böll? – Was bei Heinrich Böll Melancholie und Erbitterung war, ist bei ihm Resignation, böse Nachrede. Auch Günter Grass scheint auf sein eigenes Handeln nicht mehr zu setzen, sondern darauf zu warten, daß es einer für ihn tut. Heinrich Böll war moralisch involviert, Günter Grass ist bloß Zuschauer. Auf Günter Grass scheint das Bild vom Hotel Abgrund zuzutreffen; der Abgrund, in den er schaut, das ist die Bühne, auf die er die Gegenwart transponiert, um ihr als Zuschauer beiwohnen zu können.
Hängt es nicht mit der kantischen Illusion zusammen, wenn Günter Grass auf den ungeheuren Reichtum verweist, dem nur die im Grundgesetz vorgesehene soziale Verpflichtung implantiert werden müßte, um eine heile Welt zu schaffen? Ist nicht die Vorstellung, was man mit Geld alles machen kann, die Vorstellung derer, die es nicht haben? Und ist nicht der Reichtum heute nur noch um den Preis des Bewußtseins des Ertrinkens, der Panik, zu haben? Sind nicht die Reichen unter dem notwendigen Schein ihres Reichtums heute die Armen, sind sie nicht die wahren Opfer in einer ihnen mißgünstigen, feindlichen Welt (so die Innensicht des Reichtums – und hat diese „Innensicht“ nicht etwas mit den subjektiven Formen der Anschauung zu tun, mit den in diese Formen eingebauten Mechanismen der Verblendung)?
Es gibt keinen Trost mehr, sondern nur noch den Ausweg, den niemand mehr sieht.
Die Kritik der subjektiven Formen der Anschauung ist der Beginn der Sprengung der Feindbildlogik; und der kantische Erkenntnisbegriff, demzufolge wir nur das an den Dingen erkennen, was wir in sie hineinlegen, bezeichnet genau das Moment der Projektion, das von der Feindbildlogik nicht zu trennen ist. Es sind die Totalitätsbegriffe Kants, die die Feindbildlogik fundieren und absichern. Hierauf bezieht sich das Wort: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae.
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes ist eine Theologie im Bann der Feindbildlogik, die dann zwangsläufig apologetisch ist.
Zu Luzia Sutter Rehmann: Gibt es beim Daniel das apokalyptische Motiv der Geburtswehen?
Ist nicht die Opferlogik eine die Geburtswehen verhindernde und verlängernde Logik? Bezieht sich nicht auch hierauf das Wort: Barmherzigkeit, nicht Opfer?
Der Menschensohn: Ist das nicht das Kind der Geburt, die die messianischen Wehen ankündigen? Was bedeuten in diesem Zusammenhang die Wolken des Himmels?
Luthers Satz: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“ war der Beginn der Flucht nach Tarschisch, der im Bauche des großen Fischs endete.
Wenn die Kirche begreift, daß Auschwitz das Ende der Lehre vom stellvertretenden Sühneleiden ist, hat sie den ersten Schritt zu ihrer eigenen Bekehrung getan.
Goldhagen und die Castor-Transporte: Ist nicht auch Goldhagen ein Angriff auf einen Entsorgungsvorgang?
Gibt es eigentlich einen deutlicheren Hinweis als den, daß das Wort Gottes ein Name ist, den niemand kennt als der, der ihn trägt? – Hat das nicht etwas mit dem zweiten Schöpfungstag zu tun, an dem der im Anfang erschaffene Himmel zum Namen der Feste des Himmels wird?
Ein Hinweis, den Heinrich Böll einmal gegeben hat, läßt sich noch präzisieren: Während das Kapital von Marx in Ideen gründet, die den Einsatz des eigenen Lebens rechtfertigen, rechtfertigt das Hitlersche Machwerk „Mein Kampf“ nur den Judenmord: das Opfer des Lebens der Anderen. Hiermit hängt es zusammen, wenn der Satz sich begründen läßt, daß im Nachkriegs-Atheismus Hitler nachträglich noch siegt (und der marxistische Atheismus bewußtlos diesen Sieg antizipiert, den Sozialismus in den Faschismus überleitet). Haben nicht die stalinistischen Prozesse das Opfer für die Idee, das dem Sozialismus zugrundeliegt, durch Universalisierung instrumentalisiert?
Sind nicht die Einsteinsche Denkmodelle vom fahrenden Zug und vom frei fallenden Fahrstuhl Weiterbildungen der kantischen subjektiven Formen der Anschauung? Aber was drückt sich in dieser Transformation aus?
Ist nicht das Relativitätsprinzip der Grund jeder Ästhetik (die Wurzel des Bildes)?
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24.2.1997
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23.2.1997
Wenn es die logische Affinität der Naturwissenschaft zur politischen Ökonomie gibt, müßte sich dann nicht aus der mimetischen Rekonstruktion der Erfahrung aus ihren politisch-ökonomischen Bedingungen (aus der Fähigkeit, in die Erfahrung des andern unter Reflexion der politisch-ökonomischen Bedingungen seiner Erfahrung sich hineinzuversetzen) so etwas wie ein symbolisch-metaphorischer Zugang zur Kosmologie ergeben?
Das Relativitätsprinzip begründet das Verfahren der Konstituierung des Raumes als subjektive Form der Anschauung, den Raum dadurch zu neutralisieren, daß der eine Raum über den anderen gezogen wird. Ist nicht dieser Raum das logische Kontinuum, in dem die Ökonomie sich entfaltet (und der im Entfaltungsprozeß der Ökonomie sich bildet): das Geld? Bezeichnet das Relativitätsprinzip am „Unzuchtsbecher“ das Moment der Unzucht?
Gestern ein Bericht in der FR über Haie. Danach sind Haie zwar keine Säugetiere, aber die kleinen Haie schlüpfen im Bauch ihrer Mutter aus ihren Eiern und fressen dort z.T. sich gegenseitig, so daß z.B. von 70 – 80 ausgeschlüpften Haien nur zwei im Bauch der Mutter überleben und dann ins Freie gelangen.
Die Tiere des fünften Tags sind die eierlegenden Tiere (Fische und Vögel). Die Säugetiere sind (mit den Menschen) die Tiere des sechsten Tags.
Sind nicht die Säugetiere nach der Evolutionstheorie gleichzeitig mit den blütentragenden Pflanzen entstanden?
Das Atheismus-Problem im Marxismus ist zu lösen allein über die Reflexion des Faschismus. Auch im Sozialismus bezeichnet der Atheismus den Sieg Hitlers.
… et dimitte nos debita nostra sicut et nos dimittimus debitoribus nostris, et ne nos inducas in tentationem, sed libera nos a malo.
Hat nicht der Traum des Nebukadnezar etwas mit dem Ursprung des Bekenntnisses zu tun?
Das Richtige ist nicht das Wahre, das Richtige ist das Unwiderlegbare.
Wie hängt das salomonische Urteil (über die beiden Frauen, die sich um das eine Kind stritten) mit dem danielischen (über die beiden Alten, die sich an der Susanna rächen wollten) zusammen? Salomo apelliert an den Mutterschoß, das Organ der Barmherzigkeit, Daniel enthüllt die Verwundbarkeit des ungerechten Urteils?
Tratsch und Gewitter; Tratsch als Instrument der Demoralisierung, Demoralisierung als Herrschaftsmittel. Aus dem Tratsch kann man nur eines lernen: Gegen die darin installierte mythische Gewalt, kommt keiner an; zur Identifikation mit dem mythischen Aggressor gibt es keine Alternative. Wen’s trifft, den trifft’s.
Das Licht ist der Naturgrund aller Zwecke (die Grenze des Kausalitätsprinzips).
Gestern in der Sendung über die Höhlenbilder von Lascaux der Hinweis, daß Tiergruppen nicht verschiedene Tiere, sondern möglicherweise verschiedene Bewegungsphasen der Bewegung eines Tieres abbilden. Ist die Höhlenmalerei ein Vorläufer des Kinos? Ist die Höhle (auch das Kino ist eine Höhle) eine Variante des Mutterschoßes (und das Fernsehen der Greuel am heiligen Ort: die endgültig instrumentalisierte Barmherzigkeit)?
Zur Genese des Vorurteils: Welche Rolle spielt hier das Verbot der Neugier? Wird nicht mit der Neugier die Erfahrungs- und Lernfähigkeit, eine nicht restlos ins „Wissen“ übersetzte Beziehung zur Welt, verboten? Ist nicht die Rückübersetzung jeder Erfahrung ins schon Bekannte das Ziel des ganzen Objektivierungsprozesses (und wird damit nicht die Erfahrung der ganzen vergangenen Menschheit verraten)? Ist die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis auch die Geschichte der Selbstzerstörung der Lernfähigkeit?
Kopernikus und Newton haben das Ungleichnamige (Oben und Unten) gleichnamig gemacht, was haben Maxwell und Einstein getan?
Zum Begriff der Öffentlichkeit: War nicht das Kollosseum die öffentliche Löwengrube, und wurde nicht, als die Scheiterhaufen öffentlich gemacht wurden, die Öffentlichkeit selber verbrannt? Auch Auschwitz war öffentlich, allerdings in der fürchterlichsten Gestalt: als Gerücht. Darauf wäre der von Habermas mißbrauchte Titel vom „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ zu beziehen: In der kollektiven Verdrängungsleistung der Deutschen, die die Kollektivscham dann besiegelt hat, ist die Öffentlichkeit selber verbrannt worden. Seitdem gibt es keine mehr.
Der Begriff der Information bezeichnet den Pfropf, der heute die Erfahrungsfähigkeit verstopft.
Das Feindbild, die Urteilslust und der Unzuchtsbecher.
Das Perfekt, das vom Handeln ins Sein (in die Vergangenheit) transformiert wird, spaltet sich auf in Sein und Haben (in Politik und Ökonomie). Hier liegt der Ursprung der Auxiliarien, der Hilfesverben, in denen die Gewalt der politischen Ökonomie sich ausdrückt. Das Problem Namens (des Symbolischen, des Metaphorischen) gründet in der Beziehung dieser beiden Formen des Perfekts.
Name und Begriff sind nicht vergleichbar. Ihr Verhältnis ist das der Umkehr.
Der Historismus, der die Vergangenheit des Perfekt ratifiziert, ist das Prinzip der Zerstörung des Symbolischen (der Zerstörung der Prophetie). Sind nicht alle Motive der Apokalypse aus dieser Transformation des Perfekt ableitbar? Die Idee der Auferstehung drückt den Widerspruch zwischen der Kraft des Namens und der „historischen Realität“ (der Ratifizierung der Vergangenheit der Geschichte) aus. Das Subjekt der symbolischen Erfahrung ist die Barmherzigkeit. -
22.2.1997
Barmherzigkeit, nicht Opfer: Gründet die Logik und die Geschichte der Opfer in ihrer Beziehung zur Barmherzigkeit? Und endet die Geschichte der Opfer (als Geschichte ihrer Introversion) in der Zerstörung der Barmherzigkeit durch Instrumentalisierung?
Hatte der Knoten, den Alexander durchschlagen hat (die Instrumentalisierung der Barmherzigkeit und die Trennung und Konstituierung des Natur und des Weltbegriffs), etwas mit dem Problem des apagogischen Beweises zu tun? -
21.2.1997
Hat die Grenze zwischen Wachen und Traum etwas mit der Grenze der Nationen, Völker und Sprachen zu tun? Gibt es Träume erst, seit es Fremdherrschaft gibt (Pharao und Nebukadnezar)? Haben die Namen der Barbaren und Hebräer etwas mit dieser Traumgrenze zu tun (ebenso wie der Weltbegriff etwas mit der Nation: mit Verdrängung und Reflexionsverweigerung)?
Ist der Traum in der Schrift ein männliches Privileg (ein Privileg der Herrschenden, der Alten, der Väter)?
Bei Matthäus träumen Joseph und die Magier, und am Ende die Frau des Pilatus (Mt 128, 212f,19. 2719).
Nach Judas „beflecken (‚gewisse Menschen‘, die sich eingeschlichen haben, oder auch ‚die Engel, die ihre Würde nicht bewahrten …‘) … in ihrem Traumzustand in gleicher Weise das Fleisch, die Herrschergewalt aber verachten sie, Majestäten aber lästern sie“ (Jud 14ff, vgl. 2 Pt 210).
Ist die Joseph-Geschichte, in der der Oberbäcker gehängt wird (und nimmt nicht Joseph, der die Getreidevorräte anlegt, dann seine Stelle ein?), die Geschichte der Instrumentalisierung der Barmherzigkeit? -
20.2.1997
„In dubio pro reo“: Dieser Grundsatz ist eine praktische Konsequenz aus dem grundlegenden Satz, daß das Unwiderlegbare nicht schon die Wahrheit ist. Feindbilder sind wegen des Rechtfertigungsinteresses, das in sie investiert wird, unwiderlegbar (Rechtfertigung ist ein Imperativ post festum, der dann zum Imperativ apriori, zum Trägheits-Imperativ, wird: zum Gemeinheits-Imperativ; Rechtfertigung erzeugt den Wiederholungszwang); sie sind Instrumente der Entlastung, der Exkulpierung. Sie gründen in der Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die sie durch projektive Verarbeitung stabilisieren (Inertialsystem). Zum Stand der naturwissenschaftlichen Aufklärung: Heute dringt die Feindbildlogik in die Familienbeziehungen ein: Darin gründet das double-bind-Syndrom. Die subjektiven Formen der Anschauung (die Produkte der Abstraktion vom Blick des Andern) sind Stabilisierungen des double-bind-Syndroms: die Wege des Irrtums. Ist das Planetensystem die Leugnung des göttlichen Angesichts? Was hat es mit dem Namen, den niemand kennt außer dem, der ihn empfängt (oder der ihn trägt), auf sich (Off 217, 1912)? Ist nicht der „gesunde Menschenverstand“ ein – anstatt an Begriffen – an der Sprache, an ihrer benennenden Kraft, sich orientierender Verstand? Die Kommunikationstheorie setzt diese benennende Kraft der Sprache, ohne die es eine Kommunikation nicht geben würde, einfach nur voraus, anstatt sie zu reflektieren.
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19.2.1997
Die Nackten kleiden: Nacktheit ist nicht nur eine ästhetische, sondern zugleich eine logische Kategorie. Der Begriff der „nackten Tatsachen“ ist nicht unbegründet. Die Logik, der der Begriff der Nacktheit angehört, ist die Logik der Schuld (sie bezeichnet das Moment der Schuld am Urteil): Wie nur der aus den Verstrickungen der Schuld sich befreit, der die Last nicht verdrängt, sie auf sich nimmt, kleidet nur der, der die Nackten kleidet, auch sich selbst, ist nur wer die Nackten kleidet, selbst nicht mehr nackt. Ist das nicht ein Hinweis zum Verständnis des evangelischen Rats der Keuschheit, der auf ein Werk der Barmherzigkeit verweist, ist nicht die Sexualmoral als Urteilsmoral „unkeusch“, obszön? – Nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten und aus dem Paradies vertrieben waren, „gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Danach brauchten sie, um ihre Blöße zu bedecken, die Feigenblätter, die „Gott der Herr“ dann durch „Röcke aus Fellen“ ersetzte.
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18.2.1997
Das Gewissen ist das Organ der Sensibilität, der moralischen Wahrnehmung: es ist ein Erkenntnisorgan. Wer das Gewissen (im Kontext der transzendentalen Ästhetik, unterm Bann der subjektiven Formen der Anschauung) zu etwas rein Innerlichem macht, macht es zur Quelle von „Schuldgefühlen“. Dieses Gewissen beurteilt nur post festum die vergangenen Handlungen (das eigene Tun); zu diesem Gewissen gehört der Rechtfertigungszwang (gehören die Abwehrmechanismen und die Feindbildlogik).
Was ist das für ein merkwürdiges Konstrukt, das, indem es rechtfertigt, verurteilt und freispricht zugleich? Ist dieses „Gewissen“ nicht der Inbegriff der Logik der subjektiven Formen der Anschauung, der transzendentalen Ästhetik?
Das Gewissen, das nur noch innerlich ist, ist der Luxus in einer versteinerten und gnadenlosen Welt.
Ist nicht der letzte Satz des Jakobusbriefs der Schlüssel zur Gnadenlehre?
Zu Hegels Satz: „Für den Kammerdiener ist der Held kein Held“ ist zu bemerken: Ein Held, der einen Kammerdiener hat, ist kein Held.
Ist Held eine ästhetische Kategorie? Was (nicht „wer“) ist der Held des Romans (ein Identifikationsobjekt, das ästhetische Pendant des Objekts: Beziehung zum Weberschen „Charisma“)? Gibt es Helden ohne Feindbildlogik, und gehört nicht zur Figur des Helden die Idee des stellvertretenden Opfers? Ist nicht die Figur des Helden der Knotenpunkt der Instrumentalisierung (im Helden gewinnt die Logik der Instrumentalisierung, die transzendentale Ästhetik, Selbstbewußtsein)? – Was hat die Figur des Helden mit dem „Fürsten dieser Welt“ und mit der Astronomie zu tun? Helden sind fleischgewordene Götter. Helden sind die Abgeltung des Opfers als Opfer an das Selbst.
Gibt es außer dem biblischen Schöpfungsbericht noch eine andere Kosmogonie, die auch die Entstehung des Lichts mit einschließt?
Pharao, der Titel des ägyptischen Königs: Hat die aristotelische Unterscheidung von oikos und polis etwas mit der Unterscheidung von Mizrajim (Pharao und das Sklavenhaus) und Babylon (Tempelwirtschaft) zu tun?
Stecken nicht im Namen der politischen Ökonomie, deren Kritik Marx sich vorgesetzt hatte, die polis und der oikos?
Bei Rosenzweig kommen Ägypten und Babylon nicht vor, dafür neben Griechenland Indien und China und neben Juden und Christen der Islam. Das aber heißt: Rosenzweig war kein Prophet, sondern ein Philosoph.
Bei Daniel kommt Ägypten nicht vor (erst bei Johannes kommt neben Babylon auch Ägypten vor: die Plagen). Wer Ägypten verstehen will, muß die Finsternis begreifen.
War die Erfindung der Sumerer ein Konstrukt zur Absicherung des Antisemitismus, gehört sie nicht in den Kontext der historischen Bibelkritik, deren Ziel die Neutralisierung der Prophetie gewesen ist? War nicht das Ziel der historischen Bibelkritik die Kritik der Erwählung Israels, die sie zu einem Exempel des Nationalismus gemacht hat, um so die exkulpatorische Logik zu retten? Kern der historischen Bibelkritik war die Verwerfung der Gottesfurcht.
Hat die kabbalistische These. daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, etwas mit der apokalyptischen Versiegelung (und mit der Lösung der sieben Siegel) zu tun?
Gibt es nicht Motive aus der heroischen Tradition, die sowohl auf Moses als auch auf Jesus sich anwenden lassen?
Ist die Stummheit des Helden die Folge seiner Beziehung zum Ursprung der Kunst, zur Ästhetik, auch zu den subjektiven Formen der Anschauung? Sind Helden die ersten Objekte der Anschauung? Wenn die Stummheit des Helden mit dem Ursprung der Raum- und der Objektvorstellung zusammenhängt, ist sie eine Bestimmung innerhalb der Sprache. Und wie hängt die Distanz zum Objekt, die in der Stummheit des Helden sich ausdrückt, mit dem bara, mit dem biblischen Schöpfungsbegriff zusammen (wie auch mit dem Namen der Barbaren und der Hebräer)?
Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht: Ist nicht das Himmelsblau das über die Finsternis gezogene Licht, das Rot des Feuers die über das Licht gezogene Finsternis? – Vgl. Goethes Farbenlehre.
Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Haben Mond und Sonne etwas mit der Scham und mit dem Blick der Andern, mit dem Urteil, zu tun?
Et verbum caro factum est: Ist dieses Fleisch der Inbegriff der Nacktheit und der Scham. Der ans Kreuz Geheftete war nackt.
Drückt in der Apokalypse die Beziehung der Wahrheit zur Öffentlichkeit sich aus, die auch dem Martyrium zugrunde liegt?
Mene, tekel upharsin: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden. Die Wand ist die Projektionsfläche, die die Rationalität der Naturwissenschaft begründet. Ist das Menetekel (die Schrift an der Wand) der Grund der Naturwissenschaft? Das Menetekel ist das Symbol der Logik der Schrift; und hat es nicht auch etwas mit dem Geld, mit Mine und Schekel, zu tun? Ist die Kunst (der subjektlose Traum der Politik, den das Genie, die „Natur im Subjekt“, träumt) der Traum des Nebukadnezar? -
17.2.1997
Zu Rosenzweigs Kritik des „All“: Der Allbarmherzige ist der Unbarmherzige. Allbarmherzigkeit ist eine Barmherzigkeit, die nur noch rechtfertigt, nicht mehr gerecht macht, die vor der Macht als Grund der Welt kapituliert (vgl. die Ausführungen Kippenbergs zur islamischen taqiyya in „Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen“, S. 459ff). Eine Sündenvergebung, die nicht mehr gerecht macht, ist nur noch eine Verdrängungshilfe: Das leisten die subjektiven Formen der Anschauung besser. Die Abstraktion vom Blick des Andern ist die Abstraktion von Schuld (vom verurteilenden Blick des Andern), nicht ihre Aufhebung; sie dispensiert von der Anstrengung der Versöhnung. Deshalb gehört zu der mit der Geschichte der Naturwissenschaften verbundenen Subjektivierungsgeschichte die Subjektivierung der Schuld zu Schuldgefühlen. Die subjektiven Formen der Anschauung haben die Erlösung automatisiert. Der Allbarmherzige ist der Prototyp der subjektiven Formen der Anschauung (ohne die es den Begriff des All nicht geben würde). Die Barmherzigkeit hingegen ist konkret. Barmherzigkeit ist die individualisierende Kraft der Erkenntnis, sie hat Teil an der erkennenden Kraft des Namens. Gerechtigkeit hingegen ist die gleichmachende Gewalt, Ursprung des Begriffs: Sie kann Rechts und Links nicht mehr unterscheiden (und in der Folge auch Oben und Unten, Vorn und Hinten). Der Welt liegt die Gewalt zugrunde, der Erde die bis heute verborgene und ungehobene Barmherzigkeit.
Liegt nicht der Fehler der LXX und der gesamten, darauf sich stützenden hellenistischen Tradition darin, daß hier adonai, der Deckname des Gottesnamens, mit „der Herr“ anstatt mit „mein Herr“ übersetzt worden ist?
Die irdischen Väter repräsentieren in der Familie die Außenwelt und das Realitätsprinzip, der himmlische Vater Jesu dagegen die Barmherzigkeit als Inbegriff der zukünftigen Welt.
Beim Versuch, die Schrift zu verstehen, wird man eines beachten müssen: In der Schrift ist ein Vergleich niemals nur ein Vergleich, ist ein Gleichnis nicht nur ein Gleichnis. Wer in der Verheißung an Abraham das „Wie“ (zahlreich wie der Sand am Meer und wie die Sterne des Himmels) begreift, hat die Schrift begriffen.
Ist die Geschichte vom barmherzigen Samariter nicht mehr als eine moralische Fabel, und hat sie nicht etwas mit der Begegnung Jesu mit der Samariterin am Brunnen zu tun? -
16.2.1997
Wie hängen die drei Leugnungen Petri und die drei Versuchungen Jesu mit den drei „Abmessungen“ des Raumes zusammen?
War nicht der Veit Harlan-Film „Opfergang“ eine Parabel für den in den Abgrund rasenden Zug: Eine Parabel für das „Erbarmen“ mit denen, die in diesem Zug um keinen Preis die Wahrheit zur Kenntnis nehmen wollen? Und ist nicht die Geschichte vom Rabbi und dem Reichen eine Parabel fürs Christentum, das dem untergegangenen Reich sein Pferd wiedergegeben hat und jetzt als Herold vor ihm herrennt?
Die, die daneben sitzen und sich auf die Sache nicht einlassen, sind es, die mir vorhalten, ich hielte mich raus.
Der Weltbegriff präsentiert die Schöpfung in einer Verfassung, in der sie einen Herrn braucht, das aber zugleich leugnet.
„Unterwürfigkeit“ ist nicht an sich schlecht, sondern nur als Instrument des Herrendenkens. Das Tabu über die Unterwürfigkeit führt in den Zwang, jede Situation zu meiden, in der man unterwürfig sein muß; das aber ist der direkte Weg ins Herrendenken. Der Vorwurf der Unterwürfigkeit trifft den Barmherzigen.
Der Rabbi in der Geschichte vom Rabbi und dem Reichen nimmt den Schein der Unterwürfigkeit in Kauf, behält aber den Kopf oben, während der Opfergang nur die Schuldreflexion verdrängt.
Ist nicht Daniel der Hinweis darauf, daß das Sich-in-den-Andern-Hineinversetzen etwas anderes ist als das Sich-mit-ihm-Identifizieren? Nur wer in den Andern sich hineinversetzen kann (wer ihn versteht), lernt sich selbst verstehen. Aber ist nicht das der – auch gewollte – Effekt der subjektiven Formen der Anschauung, daß sie genau von diesem Sich-in-den-Andern-Hineinversetzen dispensiert und so den Weg zu seiner Instrumentalisierung freimacht? Darin gründet die Fernsehsucht.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Grund des Rangordnungsdenkens (und der Identifizierung). Wie hängt das Rangordnungsdenken, das Denken in hierarchischen Ordnungen, mit dem Fleischessen zusammen?
Mein ist dein, und dein ist dein: Ist das nicht der Schlüssel zum Materiebegriff? Das Sich-den-Kopf-anderer-Leute-Zerbrechen ist dagegen die genaue Umkehrung dieser Logik, es geht von dem Grundsatz aus: „Mein ist mein, und dein ist mein“. Ist nicht der Begriff des Seins die Neutralisierung des Problems? -
15.2.1997
Gemessen an der Apokalypse ist das offizielle Christentum der Durchbruch des Heidentums im Christentum.
Die Sünde der Welt: Ist die Orthogonalität, der Realgrund jeder Abstraktion, der Realgrund der Sünde, und ist der subjektive Ausdruck der Orthogonalität die Person (bei Paulus das Fleisch)?
Im Begriff des Bekenntnisses steckt das ganze theologische Problem der Öffentlichkeit.
Jedes Bild ist ein Feindbild, und die Feindbildlogik ist das Erbe der Idolatrie.
Es gibt keine Gesellschaftskritik ohne Naturkritik. Nur: An der Natur wäre ein Kritikbegriff zu demonstriereen und zu erlernen, der nicht mehr auf Widerlegung zielt.
Die Idee der Auferstehung, und mit ihr die Engel- und Dämonenlehre, ist zusammen mit dem Weltbegriff entstanden.
Hat die Schriftrolle bei Sacharja (Sach 51ff) etwas mit dem Himmel, der am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollt, zu tun?
„Und er sprach zu mir: Das ist der Fluch, der über das ganze Land ausgeht; denn alle Diebe sind – wie lange schon! – straflos geblieben, und alle, die in meinem Namen falsch schwören, sind – wie lange nun schon! – straflos geblieben. Ich habe ihn ausgehen lassen, spricht der Herr der Heerscharen, daß er eindringe in das Haus des Diebes und in das Haus dessen, der in meinem Namen falsch schwört, und in seinem Haus sich festsetze und es verzehre samt seinem Holz und seinen Steinen.“ – Ähnlich die Elberfelder Übersetzung.
Buber: „Er sprach zu mir: Dies ist der Eidfluch, der ausfährt übers Antlitz all des Landes. Denn alles, was stiehlt, ihm nach wirds von hier weggeräumt, und alles, was schwört, ihm nach wirds von hier weggeräumt. Ausfahren lasse ich ihn, Erlauten ists von Ihm dem Umscharten, daß er komme ins Haus des Stehlers und ins Haus dessen, der schwört bei meinem Namen zum Lug, inmitten seines Hauses nachte und samt seinen Holzbalken und seinen Steinen es vernichte.“ – Vgl. auch Zunz (hier repräsentieren das Stehlen und der Schwur die beiden Seiten der Schriftrolle). -
13.2.1997
Im Talmud wird unter Hinweis auf Hab 311 unterschieden zwischen den Wohnungen von Sonne und Mond und ihrer täglichen Bewegung am Firmament (Nedarim 39 b, Ausgabe R. Mayer, S. 144). Zwei Bemerkungen und eine Frage dazu:
– Ist das nicht ein Hinweis auf die „Wege des Irrtums“, die „Planetenbewegungen“, zu denen auch die Bahnen der Sonne und des Mondes gehören?
– Und wirft das nicht ein Licht auf die Bedeutung des Namens der „Sternendiener“, gehören nicht die Wege des Irrtums insgesamt zu einem System, in dem es zum Fall keine Alternative gibt („Tagtäglich wirft man sich vor euch nieder, und ihr leuchtet doch“)? – Ist die Schwere (die Gravitation) der Sternendienst der Materie?
– Was hat es mit den „Pfeilen und Speeren“ auf sich, die Gott nach Hab 311 und den Erläuterungen des Talmud hierzu auf Sonne und Mond wirft, weil sie sich den Sternendienst gefallen lassen? – Sind sie die „andere Seite“ des Raumes?
Barmherzigkeit, nicht Opfer: Hat das etwas mit dem Satz zu tun, daß die Gotteserkenntnis die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken? Hat das Opfer etwas mit den Wassern zu tun?
Zu Goldhagen: „Die Forschung fängt erst an“ (ein Bericht in der FR von heute über eine Vortragsreihe an der Universität Freiburg). Da fordert Ulrich Herbert, daß „die Auseinandersetzung mit dem Verbrechen (dem Holocaust, H.H.) vom moralisch betroffenen Gemüt (sic!) in den analysierenden Kopf zu verlegen“ sei. Ergebnisse dieser Verlegung:
– „Die Zahl der ermordeten Sinti und Sinti (liegt) offenbar weit unter der in der Öffentlichkeit kursierenden Zahl …“
– Die „Wirtschafts- und Ernährungspolitik, hier besonders Nachschubprobleme beim Heer, spielten eine größere Rolle als bisher angenommen. Da die Moral der Truppe (wie jeder Armee) von der Verpflegung abhängig war, mußten ‚unnütze Esser‘ – und das waren vor allem Frauen und Kinder – beseitigt werden“ (Hervorhebung von mir, H.H.).
Vgl. außerdem den Bericht über den Vortrag von Götz Aly (die im „Kontext der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik und ihres Scheiterns … selbstgeschaffenen Zwänge …“; „von der Vernichtung war verklausuliert erstmals in einem Brief Eichmanns vom November 1940 die Rede, …“ (Hervorhebungen von mir, H.H.) – Hitlers Rede vorm Reichstag zu Beginn des Krieges scheint Götz Aly unbekannt zu sein).
Die „Forschung“, die „jetzt erst anfängt“: Ist das nicht eine Forschung, die den Schrecken durch Objektivierung bannen soll: durch Ratifizierung seiner Vergangenheit. Das empfindliche Gemüt der Mörder soll geschont werden.
Unfähigkeit zur Identifikation (Abwehr und Projektion), Urteilsmagie und Personalisierung gehören zusammen. -
12.2.1997
Die Welt ist alles, was der Fall ist: Hat Wittgensteins Philosophie etwas mit dem Allgemeinen Relativitätsprinzip zu tun, ist sie die Verkörperung des frei fallenden Fahrstuhls?
Die Christen haben seit der Eingliederung der Kirche ins römische Imperium (seit der Konstituierung der Theologie hinter dem Rücken Gottes) die Erlösung mit der Euphorie in dem frei fallenden Fahrstuhl verwechselt. Mit der zentralen Funktion des Falls in der Logik der Theologie hinter dem Rücken Gottes hängt es zusammen, wenn für diese Theologie die Hölle seit je realer war als der Himmel.
Antisemitismus: Der Zustand der Welt reißt die Institutionen in den Abgrund, in denen die Hoffnung sich verkörpert. Der Mechanismus des „Beweises“: die sind auch nicht besser, zerstört alles.
Als die moderne Aufklärung die Unendlichkeit von Raum und Zeit „bewiesen“ hatte, gab es kein Halten mehr.
Diese Logik ist die der Personalisierung, die H.G. Kippenberg soziologisch an der Figur des am ha’arez festmachen möchte (am Königsland, am Modell des Königs als Schützer der Armen), damit aber mit Hilfe der gleichen Logik erklärt, die er eigentlich selbst erklären müßte, aber nicht durchschaut. Beziehen sich die Gleichnisse Jesu, auf die er verweist, wirklich alle auf die Situation der Landbevölkerung im Königsland, nicht auch auf den Großgrundbesitz von Stadtbewohnern?
Die Logik der Personalisierung ist ein Teil der Bequemlichkeit und des Komforts, die heute zu Grundlagen der Weltanschauungen und damit mörderisch geworden sind.
Löwengrube und Feuerofen: Die Wirkung der Medien läßt sich heute sowohl unterm Bilde des Drachenfutters wie unter dem des Brennmaterials, mit dem der Feuerofen geheizt wird, fassen. Als die Nazis das gesunde Volksempfinden ins Recht einführten, haben sie im Recht die Feuer der Hölle entzündet, und diese Feuer werden heute weiter genährt. Der Feuerofen, das ist der Ofen der Empörung. An der Empörung nährt sich der Rachetrieb (sie ist nicht seine Wurzel, nur sein Alibi).
Die räumlich-dingliche Höllenvorstellung ist ein logisches Sinnesimplikat der Theologie hinter dem Rücken Gottes.
Die Himmel: Das ist kein Pluralis, sondern ein Dualis (schamajim, wie auch Mizrajim). Drückt darin das Verhältnis von Gericht und Barmherzigkeit sich aus? Ist das Wasser das Gericht (und steckt nicht in dem Thales’schen „Alles ist Wasser“ schon das Inertialsystem), und das Feuer die Barmherzigkeit (das Feuer des Himmels, das die Kirche in die Hölle projiziert hat)?
Ist das Licht der Realgrund der Sprache?
Die Sinnfrage entscheidet sich nach dem Adressaten: Der Sinn für mich (der Sinn von Sein, aber auch jede sinnliche Qualität) ist zu unterscheiden vom Sinn an sich: vom Namen Gottes.
Wie hängt die Sinnfrage mit der Sinnlichkeit zusammen?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie