• 01.12.87

    Schuld, Materie, Herrschaft: Schuldverschubsystem = Herrschaftsmittel; Selbstfreisprechung, Selbstentlastung zu Lasten anderer; schlechtes Gewissen macht gefügig. Das „pathologisch gute Gewissen“ funktioniert nur durch Projektion: indem es die Opfer zu Tätern macht.

    Die Verführbarkeit aller gründet im Selbstmitleid und in der Härte.

    Beruf und Humanität lassen sich nur noch mit den Fähigkeiten Münchhausens zusammenbringen: vor allem mit der Fähigkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

  • 13.12.87

    Heideggers Frage nach dem „Sinn von Sein“ profitiert von ihrer Zweideutigkeit. Gemeint war „Sinn“ im Sinne von Bedeutung (die fundamentalontologische Untersuchung als phänomenologische Bedeutungsanalyse); der Anklang an die Frage, ob das Sein sinnvoll sei („Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“), schien jedoch nicht unerwünscht zu sein; mit Sicherheit hat diese Äquivokation die Rezeption Heideggers zumal in Deutschland gefördert.

  • 25.12.87

    Die Unfähigkeit, allein zu sein oder in Gegenwart anderer längere Zeit zu schweigen, scheint mit der allgemeinen Anfälligkeit zur Paranoia zusammenzuhängen: Sprechen mit anderen hat immer mehr die Funktion, Abwehr- und Verteidigungsstrategien in einem Umfeld, in dem jeder von jedem sich bedroht fühlt, zu entwickeln. Wer allein ist oder mit anderen (in Gegenwart anderer, die auch schweigen) schweigt, gerät in Panik. Eingeübt werden diese Verlassenheitsängste zumal in den Weihnachtstagen.

  • 26.12.87

    Habermas‘ Aufsatz „Die Verschlingung von Mythos und Aufklärung“ (in: K.H.Bohrer: Mythos und Modern. Ffm. 1983) lesen: Hier scheint präzise die Differenz der Frankfurter Schule zu ihren Urhebern beschrieben zu sein (die soweit geht, daß Hauke Brunkhorst bereits vom „Scheitern“ der DdA spricht; vgl. „Die Welt als Beute“ in: „Vierzig Jahre Flaschenpost. Die Dialektik der Aufklärung 1947-1987, hrsg. von Willem van Reijen und Gunzelin Schmid Noerr, Ffm. 1987, S. 154ff, insbes. S. 182f). Grund der Differenz scheint der undifferenzierte Begriff des Mythos zu sein, der hier im Sinne Bultmanns, nicht aber in dem Benjamins verstanden zu werden scheint. Danach wird der Begriff des Mythos nicht dem der Befreiung, sondern dem der wissenschaftlichen Aufklärung, letztlich dem naturwissenschaftlichen Weltbegriff, entgegengesetzt, in dem der gleiche Schicksals- und Verblendungszusammenhang wiederkehrt, dem Aufklärung einmal opponierte. Wer diese Konsequenz aus der DdA zieht, hat sie nicht verstanden und verharrt verstockt in dem Bereich, den sie kritisiert.

  • 03.01.88

    Umschlag von Quantität in Qualität: Ist das eigentlich die gleiche Qualität, die am Anfang unterdrückt, verdrängt wurde? Wie verhalten sich die beiden Unmittelbarkeiten? Ist die neue Qualität „besser“?

    Ist Erinnerung die Schwerkraft des Geistes? Gibt es auch für die Erinnerung ein Gravitationszentrum, ein System von Schwerezentren? (Grundlage einer parakletischen Geschichtsphilosophie)

    Zusammenhang von Aufklärung, Licht und räumlicher Vorstellung: Entdeckung der räumlichen Perspektive und des Inertialsystems. Darin gründet sowohl der Erfolg als auch das Scheitern des Idealismus (Hegels Logik, insbesondere der Begriff der Reflexion, gewinnt ihr Zwingendes aus räumlichen, nicht aus sprachlichen Zusammenhängen; anders wäre sie nicht idealistisch, sondern theologisch gewesen).

  • 23.01.88

    Das fixierende „ist“ des Urteils verwandelt seinen Gegenstand in ein Ding mit Eigenschaften (Subjekt mit Prädikat: Der Verurteilte wird sistiert, sein Objektcharakter ist Folge und notwendiges Sinnesimplikat seiner Schuld, das Urteil konstitutives Moment des Schuldzusammenhangs; Prädikate, Begriffe sind Ausdifferenzierungen von Schuld: Zusammenhang mit der Ontologie). Ist jedes Urteil Schuldurteil, Freispruch kein Urteil? Bedeutung und Grenze der Transzendentalphilosophie (Zusammenhang von transzendentaler Ästhetik und Logik, Raum und Zeit und Urteilslehre). Urteile begrenzt auf Erscheinungen, Einheit der Konstituentien beider.

    Gefängnisse dienen der Aufrechterhaltung der Logik.

  • 29.01.88

    Eine Revolution, die Opfer fordert, ist eine contradictio in adjecto. Das Ziel der Revolution steht nicht an deren Ende, sondern ist in ihr selbst präsent. Es drückt sich eher in den Mitteln der Revolution als in dem, was man sich gemeinhin als ihr Ziel vorstellt, aus. Die Revolution ist zuallererst eine Revolution der Mittel, nicht der Ziele. Jegliche Instrumentalisierung verhindert die Revolution, verwandelt sie in ihr Gegenteil, macht sie zu einem Agenten der Gegenrevolution, die bis heute immer stärker gewesen ist.

  • 30.01.88

    Können Opfer „Revolution machen“, ohne aus der Opferrolle herauszutreten? Ist die Revolution überhaupt etwas anderes als dieses aus der Opferrolle Heraustreten?

    Dagegen scheint es eines der charakteristischen Merkmale der Studentenbewegung gewesen zu sein, wenn deren Mitglieder – und zwar wie es scheint bewußt – sich mit der Rolle der Opfer in dieser Gesellschaft (nicht mit den Opfern dieser Gesellschaft) identifizierten. Wenn sie der Gesellschaft im Bilde ihrer Opfer vor Augen hielt, was sie nach Faschismus und ohne Aufarbeitung der Vergangenheit immer noch repräsentierte, provozierte sie – voraussehbar und nicht zufällig – in steigendem Maße Verblendung und Wut, das Wiederaufleben des Faschismus. Die Identifikation mit der Opferrolle war ebenso Voraussetzung wie Haupthindernis einer wirklichen Änderung der Verhältnisse: Unverkennbar die Verführung zu Selbstmitleid und Paranoia sowie – in der Theorie, im Bewußtsein – zum Konkretismus (eine Gefahr, der insbesondere die ökologische Bewegung ausgesetzt zu sein scheint), schließlich die Unfähigkeit, die eigene Rolle in dieser Situation überhaupt noch zu reflektieren.

  • 07.02.88

    Primo Levi beschreibt das Leben in Auschwitz: Erschreckend, wie leicht Strukturen und Lebensbedingungen von heute darin sich wiedererkennen lassen. – „… jene Scham, die die Deutschen nicht kannten, die der Gerechte empfindet vor einer Schuld, die ein anderer auf sich nimmt und die ihn quält, …“ (Primo Levi: Ist das ein Mensch. München, 1988, S. 182).

  • 22.02.88

    In der Talkshow am Freitag (19.02.) Diskussion u.a. mit Frau Noelle-Neumann über ihr neues Buch: Die verletzte Nation.

    Die wesentlichen Kritikpunkte wurden angesprochen:

    – Die „verletzte Nation“ ist in Wahrheit die verletzende: Selbst das Leiden der Deutschen ist sinnvoll nur zu begreifen als Folge ihrer (Un-)Taten;

    – insbesondere das Leiden in den vierziger Jahren hat (als Grund des Selbstmitleids) dazu beigetragen, das Grauen, das man selbst verursacht hatte und das in der täglichen Zeitung ebenso wie in jedermanns Nachbarschaft sichtbar war, auszublenden, unsichtbar zu machen, es in den blinden Fleck zu rücken; nur so ist es verständlich, wenn nach dem Kriege alle – subjektiv ehrlich – sich auf das Nicht-Gewußt-Haben herausreden konnten;

    – Stolz ist – soweit überhaupt – begründbar nur durch Leistungen; Stolz auf Goethe, Beethoven und das deutsche Land ist irrational, pathologisch;

    – zum „Autoritätsverlust“:

    . wer „untergräbt“ denn permanent die Autorität von Eltern, Kirche und Staat?

    . wie kann man nach den Studien über den autoritären Charakter noch so unreflektiert die Wiederherstellung von Autorität und Vertrauen in die Autorität als Ausweg aus der Krise anpreisen?

    . wie kann man – nachdem Instrumentarien zur Analyse von Meinungen entwickelt, erprobt und bekannt sind – so auf „Forschungsergebnisse“ sich berufen und dann noch Folgerungen daraus ableiten, die aller bisherigen Forschung Hohn sprechen?

  • 27.02.88

    Kann es sein, daß mit dem Verschwinden der Gottesidee (die im übrigen lange vor dem Verschwinden des manifesten Gottesglaubens einsetzt) etwas in der Struktur des Subjekts derart sich verändert, daß auch die Anwendung der Psychoanalyse davon berührt wird? Verschwindet nicht zugleich auch der Ödipuskomplex; und zwar in der Folge von Änderungen in der Ich-Struktur, die die Relation von Neurose und Psychose im Kern verändert haben? Sind diese Änderungen u.a. Grund dafür, daß in der Schizophrenie-Forschung heute Therapie-Möglichkeiten entdeckt werden können, die es vor achtzig Jahren einfach noch nicht gab? Ist m.a.W. die Normalität heute der Psychose näher als die Neurose? Ist der Faschismus historisch erkennbar geworden? (Vgl. hierzu nochmals Theweleits „Männerphantasien“).

    Die Narzißmus-Diskussion scheint den gleichen Sachverhalt als Anlaß gehabt zu haben: Eine Theorie der Gesellschaft, die aus dem Stand der Naturbeherrschung (dem Erkenntnisstand der Naturwissenschaften) zu entwickeln wäre, müßte das Problem auflösen können. Der Feminismus ist ein ebenso begründeter wie ohnmächtiger Protest gegen diesen gegenwärtigen Weltzustand.

  • 28.02.88

    W.Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, in: Ges.Schr. Bd. I, S. 305, 306, 308, 333.

    „Notstand und Notwehr“: Dieser Arbeitstitel von Günther Anders geht davon aus, daß eine Einwirkung auf das Zentrum der Verhältnisse außer durch Gewalt nicht mehr möglich ist. Das bedeutet aber, daß eigentlich die Theorie bereits resigniert hat und es nur noch um der Selbsterhaltung willen darauf ankommt, überhaupt etwas zu tun. Der Kern des Ansatzes ist Verzweiflung (allerdings nicht unbegründete).

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