• 16.07.88

    Die Nazizeit hat bei den Beteiligten (und den Nachfahren) Rechtfertigungszwänge für Tatbestände, die nach den Kriterien persönlicher Schuld kaum noch sich dingfest machen lassen, ausgelöst, die dann in den neuen Schuldzusammenhang (der „zweiten Schuld“) erst hineingeführt haben; insbesondere die Hypostasierung des Rechts (vor dem diese Schuld sich nicht fassen läßt) hängt hiermit aufs folgenträchtigste zusammen. Wenn der Satz „Ideologie ist Rechtfertigung“ stimmt (wie übrigens auch die theologische Umkehrung „Rechtfertigung ist Ideologie“), dann ist ein Zustand erreicht, der droht, reine Ideologie zu werden. Vor dem Recht sind offensichtlich die Beamten (Richter, öffentliche Verwaltung, Polizei), ohne die die Verbrechen nicht möglich gewesen wären, unschuldig, während die, die es wirklich sind, an der Last des Entsetzlichen zerbrechen. Hier läßt sich mit Händen greifen, was Benjamins Hinweise auf den Zusammenhang von Recht, Schicksal und Mythos in der Realität bedeuten. (Luthers Rechtfertigunglehre war die notwendige Folge seiner verzweifelten Anerkennung der „rechtmäßigen Obrigkeit“: das Tor für den Einbruch des Mythos ins Christentum hat Paulus eröffnet; Zusammenhang der Rechtfertigungslehre mit der paulinischen Rechtfertigung der Herrschaft und dem Ausschluß der Frauen! – Gibt es eigentlich ein matriarchalisches Recht? Ist das Recht gleichursprünglich mit dem Patriarchat? Hat es irgendwann einmal Richterinnen gegeben? Sind Recht, Patriarchat und Mythos gleichursprünglich?)

    Barock als Ideologie-Generator: Die Reformation hat die Kirche unter Rechtfertigungszwang gestellt, die Gegenreformation hat das Gesetz der Rechtfertigung rein durchgesetzt.

  • 17.07.88

    Das einzige Mittel gegen Rechtfertigungszwänge ist das Einbekennen der Schuld. Das aber treibt der „Rechtsstaat“ erbarmungslos aus.

  • 22.07.88

    Individuelle (justiziable) und „kollektive“ (ethische/theologische) Schuld stehen in einer fatalen Wechselbeziehung (die den Zusammenhang von Recht und Mythos begründet): Das Bestehen auf individueller Schuld und die Freisprechung aller, deren Schuld juristisch nicht faßbar ist, begründet, verstärkt und vollendet den Schuldzusammenhang, der nur noch messianisch aufzulösen ist.

    Grund ist die Beziehung des Rechts zum Eigentum: dieses Verhältnis macht alle Nichteigentümer apriori schuldig, während es die Besitzenden tendentiell freispricht. Genau dieser Kitt hält die Gesellschaft zusammen. Arbeit befreit von Schuld, ist insofern Begründung des Selbstbewußtseins, Mittel der Selbstbildung des Menschen; dieser Zusammenhang läßt sich erst auflösen, wenn es gelingt, den Schein- und Verblendungszusammenhang des Rechts aufzulösen (insbesondere die Funktion der Strafe). Der materielle Schuldbegriff ist nicht unabhängig vom ethisch-theologischen; dieser ist durch „Umkehr“ aus dem ersten abzuleiten (Parteinahme für die Armen).

  • 23.07.88

    Unterscheidung der juristischen von der ethischen Person; „Ich“ sagen kann nur diese, während jene – ähnlich dem „transzendentalen Subjekt“, das mit ihm den gemeinsamen Ursprung hat – ausschließlich als Produkt von Vergesellschaftung (Intersubjektivität) sich begreifen läßt. Vor allem jedoch unterscheiden sich beide durch ihr Verhältnis zur Schuld: Die ethische Person ist in Schuld verstrickt, aus der sie sich nur befreien kann, soweit sie diese Verstrickung sich eingesteht, sich der Schuld bewußt wird; die juristische Person wird in dem Maße, in dem sie Schuld vermeidet, der Schuld sich entzieht, zum Ursprung des Schuldzusammenhangs (wie das einzelne Objekt im Raum zum Ursprung eines Inertialsystems: sie wird somit zum Ursprung des Materialismus, auf den sie so wütend reagiert, weil sie in ihm sich erkannt, durchschaut fühlt) und damit absolut schuldig. Das Problem des Christentums und seiner Geschichte scheint daraus herzurühren, daß es diese beiden getrennten Personbegriffe nicht nur nicht unterscheidet, sondern daß sie versucht hat, sie in eins zu setzen (Konsequenzen für die Trinitätslehre?). Aber kann die juristische Person selig werden? Oder gibt es im Bereich des Rechts überhaupt einen Ausblick auf das, was mit der Idee des seligen Lebens einmal gemeint war? – Das Schlimme ist, daß man es den Leuten ansehen kann, daß sie ans selige Leben nicht mehr glauben, daß aber niemand es mehr sieht.

  • 24.07.88

    Marx‘ Feststellung, daß die Gesellschaft nur vor Aufgaben gestellt wird, die sie auch zu lösen vermag, hat auch eine sehr fatale Bedeutung: Der Kampf der Kolonisierten gegen den Kolonialismus setzte (mit Aussicht auf Erfolg) genau dann ein, als die Kolonialherren sich in die Lage versetzt sahen, die Abhängigkeit mit anderen, wirksameren Mitteln aufrechtzuerhalten: anstatt mit der direkten Gewalt von Militär und Polizei mit der indirekten des Kapitals (der Schuldenabhängigkeit). Einer ähnlichen Auslegung ist die „Sklavenbefreiung“ z.B. in den USA fähig (vorausgegangen ist in den Anfängen des Kapitalismus, in der Phase der „ursprünglichen Akkumulation“, die „Bauernbefreiung“). Die „Befreiung“ war jedesmal die Freisetzung von „Proletariat“ (Menschen, die außer ihrer Arbeitskraft kein Eigentum haben, insbesondere keine Produktionsmittel besitzen).

  • 02.08.88

    Der Materialismus ist weniger die Benjaminsche „Puppe“, die, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, immer gewinnt, er ist vielmehr die Theologie selber in der heute allein noch vertretbaren Gestalt. Ob er „immer gewinnt“, ist mehr als zweifelhaft; eher ist er Ausdruck der Verzweiflung, die dem heutigen Zustand der Welt angemessen ist, und zugleich der ohnmächtige und wütende Schrei nach der Theologie.

    Adornos „Vorrang des Objekts“, auf den bei ihm der Materialismus sich zusammenzieht, drückt das aus: dieses „Objekt“ ist die Leerstelle, die zurückgeblieben ist, nachdem Natur zum Verschwinden/Verstummen gebracht wurde durch den Abstraktions- und Entfremdungsprozeß, durch den Prozeß der Instrumentalisierung, die am Ende auch das Subjekt ergreift.

  • 03.08.88

    Das „Objekt“, das Mehr gegenüber dem durchs Subjekt Konstituierten, muß sich von allem Konstituierten, vom Ding und seinen Eigenschaften, von den Kausalverhältnissen, mit einem Wort: vom Gegenstand des Denkens, vom Korrelat der transzendentalen Logik, (wie das „Ding an sich“) unterscheiden. Es ist damit freilich nicht unbestimmbar; es ist nicht nur das einfache Unbestimmbare, sondern entsteht an der Grenze des Bestimmbaren; das aber ist nach Franz Rosenzweig nicht ein Unbestimmbares, sondern es sind mehrere, deren jedes auf andere Weise unbestimmbar ist, damit aber wiederum bestimmbar. Das Nichts, von dem die Philosophie ausgeht, die Nacht des Nichtwissens, ist nicht nur ein Nichts, nicht nur eine Nacht, sondern es sind mehrere; und ihre Zahl ist bestimmbar.

  • 8.5.1997

    Das Angesicht ist die Utopie, die kein Endpunkt, sondern ein Anfang ist.

    Double bind: Produkt der Trennung von Angesicht und Sprache (hinter dem Rücken über je­manden/etwas sprechen). Problem der Maske, der persona.

    Die ekklesia unterscheidet sich von der synagoge durch den Anspruch auf Öffentlichkeit.

    Die Würde und die Bedeutung der Kritik der reinen Vernunft liegt u.a. darin, daß sie das Prin­zip der Objektivität, und damit den Grund der Einheit des Subjekts, ins Subjekt verlegt hat. Hier gründet der kantische Begriff der Autonomie.

    Der Begriff des Falschen hat als Norm den des Richtigen, nicht den der Wahrheit. Beide gründen im Richten, im Erkennen nur insoweit, wie es im Richten begründet ist: im Wissen.

    Orthodoxie: Das Dogma ist bloß richtig, nicht wahr.

    Das Richtige verhält sich zur Wahrheit wie das Reich der Erscheinungen zum Angesicht.

    Es gibt zwei Arten, Probleme durch die Art, wie man auf sie reagiert, unlösbar zu machen: das verdinglichende Mitleid des Zuschauers und der Ärger, die spontane Abwehr durch Schuldverschiebung.

    Die Idee der unendlichen Ausdehnung des Raumes verwischt und neutralisiert die Unter­scheidung von Herrn und Beherrschten. Sie ist Grundlage und Teil der Hegel’schen Dialektik von Herr und Knecht.

    Gloria Patri: Als Genitiv würde der Ausdruck die Ehre bezeichnen, die der Vater hat, als Dativ bezeichnet er die Ehre, die wir ihm geben.

    Trotz mit dem Dativ bezeichnet meinen Trotz gegen etwas, Trotz mit dem Genitiv den Wider­stand der Sache.

    Ist die Vertauschung von Genitiv und Dativ in den Medien nicht die sprachlogische Konse­quenz aus der Trennung von Information und Meinung (aus dem Objektivierungszwang)? Und liegt hier nicht das Problem, an dem Habermas, nachdem er einmal gegen die Reflexion von Natur sich vorentschieden hat, vergeblich sich abquält? Hat deshalb die Linguistik (und die darin gründende Wissenschaftstheorie) für Habermas eine so zentrale Bedeutung gewon­nen? Gründet Sprache in der Fähigkeit zur Reflexion der Natur („Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“)?

    Die homousia begründet einen Begriff des Wesens, der seitdem von dem des Scheins nicht zu trennen ist. Hegels Logik hat diesen Zusammenhang erstmals reflektiert.

    Zu homousia: Es gibt beide Sätze:

    – Ich und der Vater sind eins (Joh 1030) und

    – über den Tag und die Stunde weiß niemand etwas, weder die Engel im Himmel, noch der Sohn, sondern allein der Vater (Mk 1332).

    Sind die „Werte“ die Blätter des Feigenbaums? In dem heute um sich greifenden Markenfeti­schismus wir die Einheit des Wertbegriffs und der Bekenntnislogik offenkundig.

    Ist Erev rav mit der Rotte Korah untergegangen?

    Buch Daniel: Haben Feuerofen und Löwengrube etwas mit Ägypten und Babylon zu tun?

    Der Begriff der Ökumene gleicht der Konstruktion der Europäischen Union darin, daß beide allein auf der Verwaltungsebene sich bewegen.

    Der Satz „Die Verurteilung löst den Schrecken nicht auf“ gilt nicht nur für den Nationalsozia­lismus, sondern für die gesamte Geschichte der Aufklärung als Teil des historischen Objekti­vationsprozesses: für den bis heute unreflektierten herrschaftsgeschichtlichen Zusammen­hang der Aufklärung.

  • 7.5.1997

    Mit dem Inertialsystem (der Verlagerung der Herrschaft in die Dingwelt) hat sich die Bedeu­tung des „es gibt“ so verändert, daß es theologisch nicht mehr brauchbar ist. Der Gott, den es gibt, ist das Tier aus dem Meer.

    Der historische Objektivierungsprozeß zerstört die Sprache von innen, indem er eine Sprachkonstruktion erzwingt und befördert, in der die Sprache nur noch von außen auf die Dinge sich bezieht. Er schneidet die Sprache an ihrer Wurzel ab: am Namen, und ersetzt die benennende Kraft durch die bekennende Gewalt. Realsymbol des Lebens der Sprache ist der göttliche Name.

    Das Subjekt des Objektivierungsprozesses ist das Tier.

    Die Utopie ist der Versuch der Säkularisation der Idee des Ewigen, des göttlichen Namens.

    Durch den Namen „Sohn Davids“ ist der Name des Messias aufs Politische bezogen.

    Der Raub der Sabinerinnen ist ein symbolischer Ausdruck der Gewalt, die Rom dann den Religionen der von ihm unterworfenen Völker angetan hat. Der Raub der Sabinerinnen endet im Pantheon.

    Die Beziehung der Erfahrung zum Wissen gründet in der Enttäuschung. Diese Konstellation hat ihren Grund in der Logik des apagogischen Beweises. Im Kontext dieser Logik sind Ur­teile falsch oder richtig; ihre Wahrheit bleibt davon unberührt. Hierauf bezieht sich die Vor­stellung der Kaballah, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind.

    Die Dimensionen des Raumes sind einerseits deckungsgleich und insoweit ununterscheid­bar, als jede das Abbild der anderen ist; sie sind zugleich qualitativ von einander unter­schieden.

    Hat der apagogische Beweis etwas mit den Wolken des Himmels zu tun, mit den ausgefran­sten Enden des Raumes?

    Was hat der Bogen in den Wolken mit der Astrologie und was haben beide mit dem Men­schensohn auf den Wolken des Himmels zu tun?

    Das Inertialsystem unterwirft die Dinge dem horror vacui. Bezieht sich hierauf nicht das pau­linische Wort, daß die ganze Kreatur seufzt und in Wehen liegt und auf die Freiheit der Kin­der Gottes wartet?

    Wie hängen die kopernikanische Wende und die Entdeckung des Blutkreislaufs mit der Ver­männlichung der Geburtshilfe und mit der Geschichte der Hexenverfolgung zusammen? Die moderne Medizin hat den menschlichen Körper in eine Maschine und die Geburt und die Ge­burtshilfe in einen technischen Vorgang verwandelt.

    Zu den reflektierenden Urteils Kants: Es gibt Urteile, die sind widerlegbar, ohne daß ihre Wahrheit davon berührt wird.

    Ist die Logik der Medien die Logik des double bind (und gründet die „Wahrheit“ der Informa­tion in der Geltungskraft des apagogischen Beweises)? Drückt in der Sprache der Information nicht etwas anderes sich aus als in ihrem Inhalt? Und ist das Genitiv-Dativ-Problem nicht der genaueste Ausdruck davon?

    Das göttliche Ding oder die Sprache der Blasphemie: Nach dem Etymologischen Wörterbuch (dtv) ist das Substantiv der Statthalter der Ontologie in der Grammatik und zugleich der histo­rische Grund der Großschreibung im Deutschen (der sogenannten „Hauptwörter“). Das ver­bum substantivum ist das Sein.

    Läßt nicht die Logik der Verurteilung an der Argumentation sich demonstrieren, die der Verur­teilung des Banns und dem Satz, David sei ein Mörder, zugrunde liegt (die davon abstra­hiert, daß diese Argumentation heute in der Logik sich bewährt, die der Neufassung des Asyl­rechts in der BRD zugrunde liegt)? Das Institut des Banns enthält die Erinnerung an die der Staatenbildung zugrunde liegende und im Staat sich reproduzierende Brutalität, deren Wur­zeln bis in den Gottesnamen zurückreichen.

    Ist die „altorientalische Geschichte“ nicht das Produkt einer Sprachlogik, deren Konstruktion am Begriff des Substantivs sich entfalten läßt? Die Möglichkeit, daß die gleiche Sache in verschiedenen Traditionen unter verschiedenen Namen tradiert wird, wird nicht erkannt. Statt dessen werden verschiedenen Namen substantivisch verschiedene Objekte zugeordnet, die die wirkliche Geschichte aufsprengt, verwüstet, und die Erinnerung neutralisiert.

  • 6.5.1997

    Der Übergang von den subjektiven Formen der Anschauung zum Inertialsystem entspricht dem Akt der Verurteilung, in dem die Natur der Naturwissenschaften sich konstituiert, er entspricht zugleich dem Prozeß, über den der Faschismus sich reproduziert, in dem er aus einer bloßen „Weltanschauung“ zu einem Strukturelement der Realität und damit unkenntlich wird.

    Gen-Forschung: Wenn der Begriff der Rasse heute aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist, dann nicht, ohne durch Metastasenbildung auf neue Weise in der Realität selber sich auszubreiten. Vgl. auch die Metaphern, die heute an den Stellen erscheinen, an denen früher einmal der Name des Geistes seine Sprachheimat hatte.

    Im Übergang des Faschismus von der Seite des Begriffs auf die des Objekts drückt ein sehr tiefreichender Sachverhalt sich aus: Er ist nicht mehr als isolierte Erscheinung dingfest zu machen und verliert (mit Unterstützung der politischen Öffentlichkeitsarbeit) seinen Namen.

    Theologie heute: Natur, den Inbegriff des Stummen, Namenlosen, zum Sprechen bringen. Verurteilung (insbesondere die des Faschismus) ist die Verführung zur Stummheit. Deshalb sind Tiere stumm. An dieser sprachlogischen Stelle hat der Begriff der Kollektivscham einen sehr präzisen politischen Auftrag.

    Zur Urgeschichte der transzendentalen Logik: In der Astrologie drückt erstmals die herr­schaftsgeschichtliche und sprachlogische Konstellation der Objektbildung, der Urteilsform, der subjektiven Formen der Anschauung und des Objektbegriffs, sich aus.

    Ursprungsgeschichte des Substantivs (vgl. auch Etymologisches Wörterbuch, dtv, S. 1391f): Mit dem Ursprung des Neutrum wurden Nominativ und Akkusativ, in der Konsequenz des Übergangs von den subjektiven Formen der Anschauung zum Inertialsystem, die in der Sprache der Medien sich manifestiert, wird die sprachlogische Funktion und Bedeutung von Dativ und Genitiv vertauscht. – Haben die Schlange (der Drache), das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande etwas mit diesen sprachlogischen Veränderungen zu tun?

    Es ist die zweite Vertauschung (die von Dativ und Genitiv), in der die transzendentale Logik ins Vorurteil abstürzt, hier liegt die Wurzel der Logik, die die Geschichte der Naturwissen­schaften mit der Hexenverfolgung und mit Auschwitz verbindet.

    Negative Engellehre: Mit der Vertauschung von Dativ und Genitiv, die (wie die Elektrodyna­mik und in ihrer Konsequenz die Mikrophysik in der Physik) das Kausalitätsprinzip affiziert, verwandeln sich die Medien in unschuldige Boten, die nur informieren, die fähig und ver­pflichtet sind, Information und Meinung zu trennen und wertfrei über Ereignisse in der Welt zu berichten, die deshalb alles meiden, was sie zum Eingreifen nötigen könnte.

    Die Angleichung von Akkusativ und Nominativ im Neutrum (die das Neutrum begründet und die Sprachlogik insgesamt verändert hat) war ein Mittel der Konstituierung des Objekts, der sprachlogischen Begründung von Herrschaft; die Verwechslung von Genitiv und Dativ ist Ausdruck der Verwirrung der herrschaftslogischen Strukturen der Sprache, der Verlagerung der Herrschaft in die Dingwelt, das Tor der moralischen Enthemmung der Sprache.

  • 5.5.1997

    Zur Kritik des Begriffs der Geschichte gehört die Kritik der Vorstellung des Zeitkontinuums, die der Objektivierung der Geschichte zugrunde liegt. Geschichte, wie sie bis heute verstan­den wird, ist das Produkt einer Neutralisierung der Vergangenheit, die verhindert, daß die Gegenwart in ihr sich wiedererkennt. – Enthält nicht Benjamins Hinweis auf die paradoxe Be­ziehung des jüngst Vergangenen zur Gegenwart (nichts ist so veraltet wie die jüngst vergan­gene Mode) einen Fingerzeig?

    Welche Länder werden mit dem bestimmten männlichen Artikel genannt, wie der Irak, der Iran, der Libanon, der Sudan, der Senegal, der Kongo? Was bedeutet und welche Funktion hat hier der bestimmte Artikel? Hat er mit der Substantivierung des Nomen, mit dem Über­gang vom Nomen zum Substantiv, zu tun? Wodurch unterscheidet sich das Substantiv vom Nomen? Macht der Artikel das mit Namen benannte Subjekt zum Objekt, sind die subjektiven Formen der Anschauung Produkte der logischen Entfaltung des bestimmten Artikels?

    Zwei Erklärungsmöglichkeiten:

    – aus der islamischen Vergangenheit (Beziehung des bestimmten Artikels zum Gottes­namen?),

    – aus der kolonialistischen Vergangenheit?

    In beiden Fällen Objektstatus der Länder, die (sei es aus religiösen, sei es aus Gründen der kolonialen Abhängigkeit) keinen Subjektstatus, keine nationale Souveränität im Sinne des modernen Nationbegriffs hatten?

    Drei Arten der Bildung des bestimmten Artikels:

    – the, der, to: die deiktische Funktion des bestimmten Artikels,

    – ha (hebräisch), hä/ho (griechisch): das Auslachen,

    – el/il (spanisch, italienisch), al (arabisch): Zusammenhang mit dem semitischen Got­tesnamen (El, Elohim, Allah)?

    Elohim ist der Name des Gerichts und der Schöpfung; JHWH Elohim der des Sündenfalls und des Fluchs.

    Rosenzweig: „Ja, das Ihr ist grauenhaft. Es ist das Gericht.“ (Stern, Ausg. Suhrkamp, S. 264) Hängt das euch (2. Pers. Plural) mit dem Wort ewig zusammen (vgl. dtv – Etymologisches Wörterbuch, S. 304/308)?

    Ist nicht die Vorstellung des Zeitkontinuums der Fluch, der über der Erde schwebt?

    Bei Hegel liegt Hoffnung allein in dem Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann.

    Hat nicht erst der Islam die Heiden erfunden, die „Ungläubigen“?

    Die Wolkensäule am Tag und die Feuersäule in der Nacht: Hat das etwas mit dem Bogen in den Wolken und dem Menschensohn auf den Wolken des Himmels zu tun?

    Greuel am heiligen Ort: Wenn der Faschismus über seine Verurteilung sich reproduziert, wandert er dann nicht von der Seite des Begriffs auf die des Objekts, aus der Schuldzusam­menhang der Welt in die „unschuldige“ Natur? Diese Metamorphose ist genauer zu bestim­men. Wie hängt die „Unschuld“ der Natur (die in ihrem Gesetzesgehorsam gründet, in ihrem Gegensatz zur Freiheit) mit ihrer Begriffs- und Namenlosigkeit zusammen?

    Wenn die Heuchelei die Reverenz, die das Laster der Tugend erweist, ist, ist dann nicht die Bekenntnislogik die logisch durchorganisierte Heuchelei (die Ursprungsgestalt der subjekti­ven Formen der Anschauung)?

    War nicht der Bann über Spinoza eine verschärfte Fassung des Banns über Uriel da Costa, und hat darin nicht die Amsterdamer Synagoge sich selbst verurteilt?

    Die Vorstellung, daß Gutes nur von Gutem und Böses nur von Bösem kommt, ist rassistisch.

  • 4.5.1997

    Sind nicht die Selbstmorde von Masada über Worms, Uriel da Costa, Walter Benjamin bis Primo Levi prophetisch, bilden sie nicht den andern Suicid in sich ab, auf den die Menschheit zwangshaft sich zubewegt, auf den Selbstmord der Gattung, der alle zu unschuldigen Tätern und die Opfer zu Schuldigen macht?

    Der Antisemitismus ist nur noch irrational, aber er hat seine eigene Rationalität, und hierin liegt seine Verführungskraft: in der Hypertrophie des Gerichts. Es ist die Verführungskraft des kurzen Prozesses, in dem der Ankläger der Richter ist und eine Verteidigung nicht mehr zu­lässig ist. Die Rationalität dieses Verfahrens leitet aus der Wurzel der Gewalt sich her; es ist eine Rationalität, die an der Macht sich orientiert.

    Das Inertialsystem, das Geld und die Bekenntnislogik sind die logischen Zentren nicht eines Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs, sondern des Macht-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs. Der Staat hat Herrschaft mit der Gewalt verkuppelt und damit eine Logik auf den Weg gebracht, die den Armen schuldig werden läßt.

    Läßt sich die Astrologie nicht aufschlüsseln anhand der logisch-praktischen Beziehung von Krieg und Handel und der Geschlechterbeziehungen im Patriarchat?

    Das Problem der Öffentlichkeit liegt darin, daß in ihrer gegenwärtigen Verfassung Öffentlich­keit und Schuldreflexion sich ausschließen. Deshalb braucht der Staat eine „Privat-„, nämlich eine Geheimsphäre, die die Staatstreue der Bürger fördert, indem sie die Wahrnehmung und Reflexion des staatlichen Handelns verhindert. Er wird hierbei von den „Medien“ ebenso wie von Wissenschaft und Justiz, den Institutionen der Öffentlichkeit, die zu Schuldreflexion-Ver­hinderungs-Instituten geworden sind, unterstützt; das wichtigste Instrument der Schuldrefle­xion-Verhinderung (der Verdrängung) ist das Instrument der Objektivierung: die Anschauung, das Bild (deshalb gewinnen BILD und Fernsehen für den Begriff der Öffentlichkeit immer deutlicher paradigmatische Züge).

    Gegen Habermas: Der Begriff der Öffentlichkeit ist nicht mehr empirisch, durch Abstraktion von den bestehenden Institutionen der Öffentlichkeit, zu gewinnen, sondern nur als Produkt einer Konstruktion, deren Elemente in der Reflexion und Kritik einer empirischen Öffentlich­keit, in der Information und Verdummung untrennbar sich verbinden, überhaupt erst sich kon­stituieren. Außer in den Spuren dieser Reflexion gibt es noch keine Öffentlichkeit, die diesen Namen verdient.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie