Die Bekenntnislogik verdinglicht das Bekenntnis und macht den Bruch, auf den der Name des Symbolon noch hinwies, unkenntlich: Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie (vgl. § 77 der Kr.d.U.).
Der Ausdruck „dingfest machen“ stammt aus dem Wortfeld des Thing und bezieht sich auf die Festnahme eines Beschuldigten. Ist in dieser Wortbildung nicht die Isolationshaft schon vorgebildet?
Unterscheiden sich Genitiv und Dativ wie Privateigentümer und Staat, und sind sie nicht wie diese aufeinander bezogen? Und hängt das grammatische Problem, das insbsondere Journalisten mit dem Gebrauch dieser Kasus haben, mit den objektiven Problemen des gegenwärtigen Stands der politischen Ökonomie zusammen (die im Kontext der objektiv gewaltsamen Durchsetzung der Marktmechanismen dahin tendiert, den Staat aus seiner Eigentümerfunktion zu entlassen)? Ist dieses grammatische Problem (und nicht nur dieses) nicht der Reflex eines politisch-ökonomischen Problems?
Kann es sein, daß BAW und Senat deshalb aus der Klemme, in die sie sich im Hogefeld-Prozeß selber hineinmanövriert haben, nicht wieder herauskommen, weil, wenn hier auch nur eine kleine Lücke sich auftut, mehr daraus hervorquellen wird als die Probleme dieses Prozesses?
Als in den Stammheim-Prozessen die Verteidigung zum „Hilfsorgan der Rechtspflege“ gemacht wurde, ist das Gericht zu einem Hilfsorgan der Bundesanwaltschaft geworden. Diese definiert seitdem, was Rechtspflege heißt.
Was mir nachträglich an der Marxismus-Rezeption der 68er (die keine Marx-Rezeption war) auffällt, ist, daß ein Thema völlig übersehen und dann verdrängt worden ist, das einzige Thema übrigens, das an die Notwendigkeit der Reflexion, das kantische Erbe in der marxschen Theorie, erinnert: das Problem des falschen Bewußtseins. Deshalb ist der Begriff der Ideologie, wie übrigens schon im Sowjetmarxismus, zu einem reinen Kampfbegriff geworden und die marxsche Theorie selber zu einem Herrschaftsinstrument. Der Begriff der Politik, der im Rahmen dieser Logik dann sich herausgebildet hat, war vom faschistischen fast nicht mehr zu unterscheiden, eine Mischung aus Ideologie, Machtpolitik und Propaganda. Hier wiederholt sich etwas, was im Christentum schon vor anderthalb Jahrtausenden das erste Modell des Selbstverrats vor Augen geführt hat: im Prozeß der Dogmatisierung, des Verrats der eigenen Ursprünge und Tradition durch Selbstinstrumentalisierung im Interesse der Partizipation an der Herrschaft und ihrer Absicherung von innen. Das dogmatische Christentum hat die erste Version des Zuges, der heute in den Abgrund rast, geliefert.
Im Dogma ist die Theologie verstummt und zu einem Instrument der Instinktregulierung des animalisierten Gesellschaftskörpers geworden (im Kontext dieses Vorgangs hat die „Sexualmoral“ ihre zentrale Funktion und Bedeutung gewonnen: als Urteilsmoral, nicht jedoch als das moralisch allein zu begründende Verbot, den Andern zu instrumentalisieren). Aber hat nicht Jona seine Sprache endgültig erst im Bauch des großen Fisches wiedergefunden?
Den Menschen ist die Sprache gegeben, auf daß sie denen, deren Leiden sonst stumm bleiben würden, zur Sprache verhelfen. Dämonisch ist die Sprache, die, was ohnehin unten ist, zusätzlich noch zur Stummheit des Objekts verurteilt.
Standort Deutschland: Unter dieser Parole droht das ganze Land zur Garnison der Industrie zu werden, und die Deutsche Bischofskonferenz bewirbt sich als einziges militärbischöfliches Amt, das die Moral der Truppe garantieren will.
Zum währungspolitischen Auftrag der Deutschen Bundesbank: Hat nicht die Stabilisierung der Währung etwas mit der Orthogonalisierung des ökonomischen Inertialsystems, des Referenzsystems der Wirtschaft, zu tun? (Ist die Bundesbank die Erbin der kaiserlichen Marine, die das Staatsschiff im wogenden Weltwährungsmeer „stabilisieren“ und auf Kurs halten soll?)
Kann es sein, daß Heide Platen, wenn sie in der taz von heute die „Prozeßbeobachterin“ erwähnt, die „zu Beginn der Verhandlung“ Birgit Hogefeld „Größenwahn, Realitätsverlust, Übersteigerung der eigenen Rolle, Wichtigtuerei und Selbstmitleid … vorgeworfen“ hat, damit von sich selbst in der dritten Person spricht? Diese Konstellation wäre, wenn sie zuträfe, ein wahrhaft erhellendes Modell journalistischen Selbstverständnisses heute. Journalisten sind ja nur „neutrale Beobachter“ dessen, wovon sie berichten, und keinesfalls haftbar zu machen für ihr dummes Geschwätz von gestern, zu dem eine immer punktueller und erinnerungsloser werdende Öffentlichkeit sich selbst und die Welt macht.
Wenn es überhaupt noch eine Rekonstruktion des autonomen Subjekts im Sinne der Aufklärung geben soll, dann wäre sie nur an der Stelle noch möglich, den der Satz: „Nur Gott schaut ins Herz der Menschen“, aufs genaueste bezeichnet.
Die Erklärung Birgit Hogefelds ist ein Modellfall der Erinnerungsarbeit. Wäre diese Aufarbeitung der eigenen und der Geschichte der RAF nicht auf die Geschichte insgesamt zu übertragen? Diese Erklärung liefert den Beweis, daß ihre Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus für sie nicht nur eine rhetorische Formel war.
Birgit Hogefeld: Nur wer rücksichtslos gegen sich selbst ist, hört auf, es gegen andere zu sein; wer seine eigene Ehre darein setzt, von den Mitteln der Abwehr, der Verdrängung, der Schuldverschiebung und der Projektion, mit einem Wort: von der Feindbildlogik keinen Gebrauch mehr zu machen.
Ist die Gleichzeitigkeit des Hogefeld-Prozesses und des Erscheinens des Buches von Daniel Jonah Goldhagen vielleicht doch providentiell?
Dieses Gericht hätte eine Chance, das Vertrauen in eine Justiz, deren Ziel die Gerechtigkeit ist, und die ihre Aufgabe nicht darin sieht, die Rachebedürfnisse zu befriedigen, die die Welt heute so massenhaft produziert, erstmals zu schaffen.
Was es mit dem „Insektenstaat“ auf sich hat, läßt an folgenden Assoziationen sich demonstrieren:
– an Reinhold Schneiders Reflexionen über Insekten in seinem schwärzesten Buch „Winter in Wien“;
– unterm Gesetz eines tiefsitzenden Rache- und Harmoniebedürfnisses landet das Interesse an Insekten bei den Bienen (der Vorsitzende des 5. Strafsenats am OLG Frankfurt, der den Hogefeld-Prozeß leitet, ist auch Vorsitzender des Deutschen Imkerbundes);
– am Stichwort Insektenforscher;
– am Stichwort Spinnenphobie;
– dazu am Beelzebul, dem Herrn der Fliegen, dessen Reich zefällt, wenn es in sich uneins ist.
Haben die Mücken, das Geziefer und die Heuschrecken in der Geschichte der „ägyptischen Plagen“ etwas mit dem Konstrukt „Insektenstaat“ zu tun (und gehört hierzu nicht auch die merkwürdige Verknüpfung der Heuschrecken mit den Pferden in apokalyptischem Zusammenhang, aber auch schon in in der Parallele der Heuschrecken-Plage zum Untergang der pharaonischen Streitmacht im Schilfmeer)?
Feindbild-Logik: Als Natur wird die Welt sich selbst zum Feind (schon bei Kant stehen Natur und Welt nicht idyllisch nebeneinander wie Lukacs‘ Grandhotel und der zugehörigen Abggrund).
Es gibt eine Feindbild-Symbiose; aber läßt sich dieses Konstrukt nicht auch umkehren: steckt im Kern jeder Symbiose die Feindbild-Logik (und verweist das nicht auf den mit der Trinitätslehre universal gewordenen imperativen Gehalt der dogmatischen Theologie)?
Die Umkehr, die unsere Theologie in eine Theologie im Angesicht Gottes verwandeln würde, hat ihr Modell nicht mehr an einer Drehung im Raum, sondern eher am Umstülpen, an einem Akt, durch den ein linker Handschuh in einen rechten sich umformen läßt. Steckt ein Hinweis darauf nicht in der Geschichte von der Buße Ninives, in der Verdopplung ihres Ausgangspunkt, der einmal beim Volk, das zweite mal beim König liegt?
Die Natur ist der Inbegriff des Unbewußten, ohne das es Bewußtsein nicht gibt. Sie ist der Mülleimer der projektiven Objekt-Beziehung, die das Bewußtsein konstituiert.
Creatio mundi ex nihilo: Ist das Strafrecht der Versuch, im Konzept der Strafe jenes Nichts herzustellen, aus dem das Absolute, das im Staat sich verkörpert, die Welt erschafft? Die Logik des nationalsozialistischen Antisemitismus scheint in diesem Konstrukt zu gründen und ließe leicht aus ihm sich herleiten. Das Strafrecht ist eine Maschine, die die Todesfurcht erzeugt und verdrängt zugleich, indem es ihr die Chance verweigert, als Gottesfurcht sich zu begreifen (der Stern der Erlösung hat diese Beziehung der Todes- zur Gottesfurcht erstmals ins Licht gerückt).
Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch: Gilt das nicht für die Anwendung der Mittel der Objektivierung auf die Objektivationsgeschichte selber?
Wenn K. meint, daß die Schwarz-Weiß-Malerei der RAF doch nicht (wie es nach ihrem Eindruck Birgit Hogefeld tut) auf die RAF selber angewendet werden dürfe, so wäre dazu nur zu sagen, daß der Abgrund, den die Schwarz-Weiß-Malerei erzeugt, leider nur mit den Mitteln der Schwarz-Weiß-Malerei sich zeigen läßt. Hier gibt’s keine Grautöne und keine Farben mehr. Der Abgrund ist das Schwarze Loch. Wer der Gegenseite sich anpaßt, von ihrer Logik sich anstecken läßt, stärkt sie nur.
Zur Theorie des Feuers: Die Hölle, ist das nicht ein Produkt der Verkörperung und Totalisierung des „hinter dem Rücken Gottes“, das im Angesicht Gottes sich auflösen, im Leuchten Seines Angesichts in Licht sich verwandeln wird? Wer vorher schon die Hölle leugnet, ist ihr bereits verfallen. Die Hölle wird bestehen „per omnia saecula saeculorum“, was nicht heißt: in alle Ewigkeit, sondern in aller Weltzeit. Wer die Hölle leugnet, leugnet die Erinnerung, und ein Verfahren dieser Leugnung ist das Verfahren der Vergegenständlichung ihres Objekts: die Historisierung.
Wenn das Feuer im Namen des Himmels das Wer symbolisiert, ist dann nicht die Hölle ein Symbol der Unerlöstheit Gottes? Löst sich dann nicht mit der Selbsterlösung Gottes auch der Feuerpfuhl, nachdem der Drache, die Tiere und der Tod ihm überantwortet worden sind: in der Erkenntnis des Gottesnamens und im Leuchten Seines Angesichts?
Das falsche Bewußtsein ist eine Folge der Verdrängung der Vergangenheit, nur: auch durch Historisierung ist die Vergangenheit zu verdrängen. Deshalb haben deutsche Historiker den Goldhagen als Angriff erfahren.
Der letzte, heute vielleicht allein noch mögliche „Gottesbeweis“ wäre der, der aus der Einsicht in die Unmöglichkeit einer ursprünglichen Vergangenheit sich ableiten ließe. Gäbe es eine ursprüngliche Vergangenheit, dann müßten alle Blätter eines Baumes einander gleich und mathematisch rekonstruierbar sein, und es dürfte nur eine Tiergattung und eine Insektenart geben.
Hat nicht die Trinitätslehre Gott zu einem Gott gemacht, der wegsieht (zu einem autistischen Gott), und ist das nicht der bewußtlose imperative Gehalt dieser Theologie, die in ihren Gnaden- und Rechtfertigungslehren dieses Wegsehen zum Kern ihrer Lehre von der Sündenvergebung gemacht hat? Auch hier gilt die Levinas’sche Asymmetrie: Wegsehen darf allein das Opfer, nicht der Täter, darf der Andere, nicht ich.
Was unter anderem an unserer Theologie falsch ist:
– das Wegsehen,
– die Entsühnung der Welt (das Korrelat der creatio mundi ex nihilo),
– die Individualisierung des Seelenheils (so als habe es mit dem Zustand der Welt, mit der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, nichts zu tun),
– die Unfähigkeit, den ungeheuren Verdrängungsblock, der der Rezeption des Weltbegriffs sich verdankt und der in der Bekenntnislogik sich manifestiert, noch zu reflektieren,
– die Übersetzung des Begriffs Theologie mit „Rede von Gott“, die offensichtlich ein Theologie-Verständnis ähnlich stabilisieren helfen soll wie die Orthogonalität das Inertialsystem und die Bundesbank die Währung, den Geldwert.
Zur pharaonischen Verhärtung des Herzens: Das Problem der Theologie gleicht dem der fast unmöglichen Rekonstruktion des Raumes aus der Sicht und Erfahrung des Objekts (nicht des Subjekts, dem diese Sicht und diese Erfahrung apriori versperrt ist). Der Raum ist der Inbegriff des Schuldverschubsystems: Er exkulpiert das Subjekt, indem er die ganze Schuld aufs Objekt verschiebt, gleichsam die Levinas’sche Asymmetrie vom Grunde her leugnet. Die christliche Gnaden- und Rechtfertigungslehre, die Individualisierung der Sündenvergebung, die durch die Logik der subjektiven Formen der Anschauung automatisiert wird (und seitdem der Religion als Vermittlung nicht mehr bedarf), hat dem vorgearbeitet. In der säkularisierten Welt hängt die Sündenvergebung nicht mehr vom Sündenvergeben ab, nur noch vom Haben oder Nicht-Haben: Wer hat, dem ist schon vergeben (und der hat es nicht nötig zu vergeben), und wer nicht hat, dem kann auch nicht mehr vergeben werden (wer ist er überhaupt, daß er sich anmaßen könnte, uns zu vergeben, damit auch wir ihm vergeben?).
„Niemand kann zwei Herren dienen“: Wir haben das Sündenvergeben (die Erlösung) dem Geld überlassen. So ist das Geld unser Gott geworden: Es ist der Schöpfer einer durch es selbst entsühnten Welt, der Welt, in der wir leben, einer Welt, die alle schuldig spricht, die an der magischen Substanz des Eigentums nicht teilhaben.
68er
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30.10.1996
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27.10.1996
Die Grenzen der Asymmetrie sind die Grenzen der Barmherzigkeit: Für die Barmherzigkeit bin ich niemals Objekt, ist der Andere (für mich) niemals Subjekt. Barmherzigkeit schließt Selbstmitleid prinzipiell aus.
Die Welt lernt nur verstehen, wer in andere sich hineinversetzen kann: Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Unterscheidet sich das Christentum nicht dadurch von der Prophetie, daß es – außer den Armen und den Fremden – auch die Herrschenden in die Intention der Barmherzigkeit mit einschließt, allerdings im Sinne des Jakobus-Worts: des Triumphs der Barmherzigkeit über das Gericht?
In der Schrift ist der Name des Geistes der Name der Barmherzigkeit als erkenntnisleitendes Prinzip. Zu diesem Namen gehören die drei Sätze: von der Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz, von einer Zeit, in der keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen, und vom Geist, der die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken.
Die Idee der Barmherzigkeit gründet in der Idee des Ewigen und trennt sie vom Überzeitlichen. Gegen die Verwechslung des Ewigen mit dem Überzeitlichen richtet sich Levinas‘ Begriff der Asymmetrie, auch der Satz vom Rind und vom Esel.
Zur Herauslösung von Joh 129 aus der Opferthologie und zu seiner Einbeziehung ins Nachfolgegebot gibt es keine Alternative mehr.
Hat nicht auch die Jesaias-Stelle über den Leviatan und die Schlange etwas mit dem Neutrum zu tun? – Ist das Neutrum der Turm, der bis an den Himmel reicht, die sprachlogische Gewalt, die den Namen des Himmels (schamajim) sprengt und die Sprachen verwirrt? Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Beziehung des deutschen Namens des Himmels zu dem des Hammers (Nietzsche hat „mit dem Hammer philosophiert“). In welcher Beziehung steht die Geschichte vom Turmbau zu Babel zur Sintflut, und hat der Bogen in den Wolken (an der Stelle, an der einmal der Menschensohn erscheinen wird) etwas mit dem Feuer im hebräischen Namen des Himmels zu tun?
Hängt der erkenntnistheoretische Begriff des Gegebenen mit dem Dativ zusammen, verweist nicht der Ursprung beider auf die Geschichte des Staates (ist die Verwechslung von Genitiv und Dativ in der Sprachlogik der Medien nicht ein Indiz für zunehmende Privatisierung staatlicher Aufgaben, für die fortschreitende verwüstende Gewalt der Marktkräfte)? Haben Genitiv und Dativ etwas mit der Unterscheidung von Land und Meer im Sinne des § 257 der Hegelschen Grundlinien der Philosophie des Rechts zu tun?
Was sind das für Sträucher, unter denen Adam sich versteckte, unter den Hagar sich legte, auch Elias legte sich unter einen Strauch sowie Jona; haben die etwas dem Gleichnis vom Senfkorn zu tun (sowie mit der Jotam-Fabel und dem Baum im Buch Daniel)?
Nach dem Register zur Hegel-Ausgabe von Suhrkamp kommt der Begriff der Anklage in der Hegelschen Philosophie nicht vor. – Vgl. aber die Anmerkung zu § 225 der Rechtsphilosophie, in der Hegel auf die „Charakterisierung einer Handlung nach ihrer bestimmten verbrecherischen Qualität (ob z.B. ein Mord oder Tötung) … im englischen Rechtsverfahren“ verweist, in dem sie „der Einsicht und Willkür des Anklägers überlassen“ sei, während er sonst etwas unserer Strafprozeßordnung Vergleichbares nicht zu kennen und insbesondere die Konstellation Ankläger, Angeklagter, Verteidiger und Richter, nicht für erwähnenswert zu halten scheint (wie zu vermuten ist, aus Gründen, die mit der Konstellation, die seinem Begriff der Dialektik zugrundeliegt, zusammenhängen: nicht nur, daß diese Konstellation mit der prozessualen nicht kompatibel ist, ein Vergleich würde das Moment der Gewalt in Hegels Konstrukt kenntlich machen).
Ist nicht der Titel Staatsanwalt das Produkt eines logischen Kurzschlusses, ein Stück verhängnisvoll automatisierter Staats- und Rechtslogik (ein systemwidriger Hegelianismus im logisch aus anderen Gründen determinierten Strafrecht)? Der Titel Staatsanwalt instrumentalisiert (und neutralisiert) beide: den öffentlichen Ankläger und den Staat.
Zu Off 13: „Wie für das Prinzip des Familienlebens die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung ist, so ist für die Industrie das nach außen sie belebende Element, das Meer.“ (Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 247; Hervorhebungen geändert, H.H.) Vgl. hierzu Carl Schmitt: Land und Meer, Stuttgart 19933, in der er in einer Nachbemerkung von 1981 auf diese Hegel-Stelle hinweist.
Das Lamm, das stumm zur Schlachtbank geführt wird: Liegt die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt nicht darin, daß er der Schmach und der Schande, die die Welt aus ihren eigenen Voraussetzungen erzeugt und deren Objekt er wurde, sich nicht widersetzt, sie widerstandslos auf sich nimmt und eben damit reflexionsfähig macht, ihrer endgültigen Instrumentalisierung die Grundlage entzog? So begründete er den Akt der Befreiung.
Wer das Opfer instrumentalisiert, landet bei der Heldenverehrung, im Bann des Mythos. So gehört die deutsche Einrichtung der „Kriegsgräberfürsorge“ zur Logik einer Staatsmetaphysik, die immer noch versucht, dem Krieg einen höheren Sinn zu verleihen, indem sie unterstellt, daß diese Opfer nicht umsonst waren, und so die Toten nochmal schändet und verhöhnt.
Seit wann gibt es Krieger- und Heldendenkmäler? Stammt diese Tradition nicht aus der Geschichte der „Befreiungskriege“, die nur so hießen und keine waren: Befreit wurde nur der Nationalismus als Ideologie, in deren Folge dann der christliche Antijudaismus endgültig zum Rassen-Antisemitismus geworden ist, seine eliminatorische Qualität gewonnen hat.
Heute gibt es für die Philosophie nur noch die eine Möglichkeit: die der Selbstreflexion, des Übergangs in Prophetie.
Der Staat wird zum Insektenstaat in dem Augenblick, in dem er glaubt, seine Aufgabe darin zu erkennen, zum Ungeziefer-Vernichtungs-Staat werden zu müssen. Oder: Es gibt kein besseres Mittel, den Staat zum Insektenstaat und Gemeinschaften zu Heuschreckenschwärmen zu machen, als wenn man ihnen die Aufgabe der Ungeziefer-Bekämpfung gibt. Das Böse konstituiert sich in der Pflicht, das Böse zu vernichten.
Definiert nicht der Satz aus dem Jakobusbrief, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums bekehrt, seine eigene Seele rettet, die Idee der Unsterblichkeit der Seele neu (und erstmals in einem vernünftig nachvollziehbaren Sinn)?
Wie hängt das Ahnden mit dem Ahnen zusammen? Nach dem Eingangssatz von Schellings Weltalter wird die Zukunft „geahndet“ (nicht geahnt). Hängt das Ahnden sprachlich mit Begriffen wie Gemeinde, Behörde zusammen (durch das gleiche abschließende, perfektische -de), damit aber in der Sache mit dem Logik und Bedeutung des Naturbegriffs (als es Inbegriffs aller Objekte von Urteile)? Ist die Konstituierung des Objekts (und damit des Naturbegriffs) nicht in der Tat Produkt einer Konstruktion, in der „die Zukunft geahndet“ wird, und das in einem dem strafrechtlichen Gebrauch des Wortes Ahnden durchaus angemessenen Sinne? Ist nicht der Objektbegriff, und mit ihm der Naturbegriff, der ihn absichert, Produkt einer Konstruktion, in der die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, zur Vergangenheit verurteilt wird? Im Objekt- und damit im Naturbegriff wird in der Tat „die Zukunft geahndet“. Die Logik des Objektbegriffs ist die Logik des Anklägers (des „Staatsanwalts“). – Wie hängen die RAF-Prozesse mit Schelling zusammen?
Der „blinde Fleck der Logik“ gründet in ihrem apriorischen Objektbezug, und es gibt keinen Begriff, der diesen blinden Fleck genauer bezeichnet als der der Natur.
Haben nicht der Ursprung und die Logik der historischen Bibel-Kritik etwas mit der Ursprungsgeschichte des modernen Nationalismus zu tun, zu deren Vorgeschichte auch Spinozas „Pantheismus“ gehört? Jeder Nationalismus ist ein Pantheismus, und der spinozasche dessen allgemeine logische Form.
Als die Amsterdamer Synagoge den Bann über Spinoza verhängte, hatte sie zwar formal Recht, zugleich aber hatte sie die wirkliche Intention des Denkens Spinozas gröblich verkannt, die nicht mehr durch einen Bann zu verurteilen, sondern allein durch Reflexion aufzulösen gewesen wäre. Gibt es nicht eine sehr merkwürdige Korrespondenz zwischen dieser Spinoza-Geschichte und der Geschichte Sabbatai Zwis?
Ist nicht Lessings Ring-Fabel insofern unvollständig, als es sich nicht um drei getrennte Ringe handelt, sondern um die ineinander kreisenden Räder der ezechielischen Vision?
Die Beziehung der Elektrodynamik zum Licht hat etwas mit der Beziehung des Dogmas zum Zentrum der christlichen Tradition, das erst im Kontext einer Theologie im Angesicht Gottes sich enthüllt, zu tun.
Bezeichnet nicht der Name der Barbaren den Rohstoff, aus dem die ersten Waren genommen worden sind: Sind nicht die Barbaren potentielle Sklaven, der menschliche Rohstoff der ersten Handelsware? Und gehört nicht der Name der Name der Barbaren zur Ursprungsgeschichte des heutigen Weltzustandes, in dem die „dritte Welt“ immer noch in erster Linie Rohstofflieferant ist?
Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung ein Instrument, das mit der Ursprungsgeschichte der Warenform und mit der des Dingbegriffs zusammenhängt, in dieser Ursprungsgeschichte mit seiner eigenen, die es doch zugleich verdrängt, konfrontiert wird? Sie sind damit ein Instrument der Verdrängung der eigenen Ursprungsgeschichte. So aber sind die Naturwissenschaften zu automatisierten Instrumenten der Selbstlegitimation des Bestehenden und der kollektiven Selbstverblendung zugleich geworden.
Der Faschismus unterscheidet sich vom Nationalsozialismus insbesondere dadurch, daß der Antisemitismus in ihm nie die Funktion und Bedeutung gehabt hat, die er im Nationalsozialismus hatte. Kann es sein, daß die Verwechslung beider Begriffe auf Seiten der Linken etwas damit zu tun hatte, daß der Marxismus als Herrschaftsinstrument (als Ideologie, wie er dann selbst sich nannte) den Gebrauch des Antisemitismus nicht mehr grundsätzlich auszuschließen vermochte? Wer den Nationalsozialismus als Faschismus bekämpft, blendet damit genau den Grund aus, aus dem er antisemitisch war: das Feindbilddenken als identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft. Die Unterscheidung von Nationalsozialismus und Faschismus rechtfertigt nicht den Faschismus, aber sie vermeidet die Verharmlosung des Nationalsozialismus, die in der Gleichsetzung beider liegt.
Ist nicht diese Verwechslung des Nationalsozialismus mit dem Faschismus ein Indiz dafür, daß die 68er Linke von der Gefahr eines undialektischen Materialismus, des Konkretismus, des Feindbilddenkens, der Unfähigkeit zu Reflexion (der Verdrängung des Problems des „falschen Bewußtseins“), nie sich hat freimachen können? Genau dieses Apriori, diese Vorentscheidung, die sie nicht mehr zu reflektieren vermochte, hat diese Linke dazu verleitet, im Recht nur ein Machtinstrument (und in der Macht ein neutrales Instrument) zu sehen, mit der Folge, daß sie das Gemeinsame der nationalsozialistischen Konzentrationsläger mit dem Archipel Gulag oder des Volksgerichtshofs mit den stalinistischen Prozessen nicht mehr wahrzunehmen vermochte; sie hat sie unfähig gemacht zur Rechtskritik (zur Kritik des Staates von innen).
Es sollte heute nicht mehr zulässig sein, die gemeinschaftsstiftende Kraft einer Idee mit ihrer befreienden Kraft zu verwechseln. Identitäts- und gemeinschaftsstiftende Kraft gewinnt eine Idee nur, wenn sie die Wahrheit verrät, sie gegen ein stabiles Feindbild eintauscht und auf die Kraft der Reflexion verzichtet. Zentrum der Reflexion ist die des Objektbegriffs, von dem es in der Dialektik der Aufklärung heißt, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. Der Objektbegriff ist von den Herrschaftsstrukturen in der Gesellschaft nicht zu trennen. Herrschaftskritik, die diese Reflexion nicht leistet, sie ausspart, reproduziert die gleichen Herrschaftsstrukturen, die sie zu kritisieren glaubt, wird selber zum Instrument von Herrschaft.
Der Objektbegriff ist ein Denkmal und ein Repräsentant der Überwindung und Versklavung des Feindes und zugleich des Ursprungs der Geschichte der Zivilisation. Diese Wunde im Kern der Zivilisation gilt es reflexionsfähig zu halten, anstatt sie über Feindbilder immer wieder zu verdrängen.
Das Ganze reicht zurück in die subjektiven Formen der Anschauung, deren Funktion und Bedeutung anhand der unterschiedlichen Folgen des Anschauens für den Anschauenden und den Angeschauten sich demonstrieren läßt. Zu diesen Folgen gehört es, daß sie, indem sie das Angeschaute zum Objekt machen, seine Wahrnehmung, die sie doch begründen sollen, gerade verhindern, sich als Wahrnehmungsverhinderungsapparat etablieren. Sie liefern die Farbe und den Pinsel, mit denen die Fenster in dem Zug, der in den Abgrund rast, bemalt werden.
In der RAF bestrafen die Staatsschutzsenate ihr eigenes Prinzip.
In einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der RAF wird man nicht davon abstrahieren können, daß die RAF der Reaktion den Vorwand geliefert hat, mit dessen Hilfe sie sich rekonstruieren und reetablieren konnte. -
10.10.1996
Das Feindbild subsumiert die praktische Vernunft unter die transzendentale Logik, unter das System synthetischer Urteile apriori.
In Deutschland ist nun mal das das Recht funktional, ohne inhaltliche Beziehung zur Idee der Gerechtigkeit. Durch den Titel Staatsanwalt ist hier der öffentliche Ankläger eine bloße Funktion: Anwalt des Staates. Nicht er erhebt und vertritt die Anklage, sondern durch ihn hindurch der Staat, der ihn zugleich von der moralischen Verantwortung entlastet, exkulpiert (das Organisationsprinzip der Eigentumsgesellschaft).
Ist nicht die Kombination Petrus, Jakobus, Johannes wichtiger als die Kombination Petrus, Paulus, Johannes (die zur Konstruktion einer paulinischen Kirche führte, in der Reformation)? Blieb nicht auch der Protestantismus durch eine Art symbiotischer Feindschaft noch an die katholische Kirche gebunden? Etwas anderes ist die Kombination Rom, Jerusalem und Patmos.
Wenn Jakobus an die zwölf Stämme in der Diaspora schreibt, nimmt er da nicht ausdrücklich Bezug auf die Zerstörung Jerusalems?
Was haben die Träger gleicher Namen im Neuen Testament mit einander zu tun:
– Johannes der Evangelist mit dem Täufer, auch mit Johannes Markus;
– Jakobus der Sohn des Zebedäus mit dem „Herrenbruder“ (der ihm als Leiter der Gemeinde in Jerusalem folgte und dann zu den „drei Säulen“ gehörte);
– Simon Petrus mit Simon von Cyrene und dem Namensgeber der Simonie;
– der andere Judas (der Bruder des Jakobus, auch ein Herrenbruder?) mit dem Verräter?
Haben die sieben Köpfe und zehn Hörner des Drachens und des Tieres etwas mit den siebzig Völkern zu tun?
Zu dem Satz (auf der Rückseite des Buches von Pablo Richard): „Die Apokalypse entsteht in einer Zeit der Verfolgung“, bleibt zu fragen, ob nicht (und ggf. wie) die Verfolgungen mit dem Ereignis der Zerstörung Jerusalems zusammenhängen.
Wäre nicht besser als das Beispiel des Lustmörders, auf das Horst-Eberhard Richter hinweist, das der Nazis, deren Taten eine Dimension erreichten, in der es möglich war, jeden öffentlichen Hinweis (auf Dinge, die ohnehin alle wußten) als Greuelpropaganda zu dementieren.
Kann es sein, daß das Problem Birgit Hogefelds damit zusammenhängt, daß die eliminatorische Gewalt der Ächtung, der sie ausgesetzt ist, auf beiden Seiten aus der gleichen Quelle stammt: aus der „existentiellen“ Abwehr jeder Reflexion der deutschen Vergangenheit? Würde nicht diese Reflexion den symbiotischen Feindbild-Clinch, der für beide Seiten identitätsstiftend ist, von innen sprengen.
Unterscheidet sich nicht dieser Prozeß von anderen RAF-Prozessen dadurch, daß hier erstmals (allerdings nur auf der Seite der Angeklagten und ihrer VerteidigerInnen) Ansätze zu erkennen sind, den Bann der Logik der Empörung (den Feindbild-Clinch) zu brechen?
Wer blind und mechanisch den eigenen Rechtfertigungszwängen gehorcht, gleichsam sich selbst zu ihrem Objekt macht, betreibt, ohne es selbst zu merken, das Geschäft des Feindes: nicht nur, daß er unfähig wird, potentielle Verbündete vom wirklichen Feind (den er nicht mehr erkennt, da er ihn an seine reale Ohnmacht gemahnt, auf den er nur noch reagiert) zu unterscheiden. Er ernennt alle, die „gegen ihn“ sind, zu Feinden, um an ihnen dann (vor sich selbst und im Ghetto der Bekenntnisgemeinschaft, als deren Teil er sich begreift) gefahrlos seinen Mut unter Beweis stellen zu können. (Empörung macht blind. Der „Weltanschauungskrieg gegen den Bolschewismus“, der die Kirchen dem Faschismus als Verbündete zugeführt hat, war ein Vernichtungskrieg; er hat zugleich das Empörungs-Klima geschaffen, in dem die „Endlösung der Judenfrage“ in Angriff genommen werden konnte.)
Das Feindbild begründet den dämonischen Geheimbereich, die zweideutige Beziehung der Politik zur Öffentlichkeit. In diesem Kontext wird das angebliche Nichtwissen der Nachkriegs-Deutschen, die die Nazizeit mit erlebt haben, verständlich. Vor allem: Es läßt sich nicht mehr damit begründen, die Nazis hätten ihre Verbrechen ja selber geheim gehalten. Diese Geheimhaltung war, was die Judenpolitik und die Konzentrationslager betraf, in jeder Hinsicht durchlässig, ein bewußt erzeugtes Klima des Gerüchts, das den doppelten Zweck verfolgte (und erfüllte): ein allgemeines Klima der Bedrohung zu schaffen, in dem jeder wußte, auf welche Seite er sich zu schlagen hatte, und so zugleich den Antisemitismus zu fördern. Es gab Dinge, die alle wußten, von der sie aber auch wußten: darüber darf man öffentlich nicht reden. Das Klima der allgemeinen Bedrohung war zugleich ein Klima der erzwungenen Komplizenschaft. – Hat das nicht die Nazizeit überlebt? Gibt es nicht auch heute wieder Dinge, die alle wissen, über die man aber nicht reden darf?
Das Feindbild erfüllt diese entlastende Funktion: In den Feind braucht man sich nicht mehr hineinzuversetzen. Genau darin gründet seine identitäts- und gemeinschaftsstiftende Funktion. Es befreit von moralischen Hemmungen (von den Hemmungen des Gewissens), es begründet das pathologisch gute Gewissen, den gemeinsamen Wahn.
Das identitäts- und gemeinschaftsstiftende Element des Feindbildes ist zugleich Teil einer symbiotischen Bindung an den Feind.
Ist nicht die RAF zu sehr Ausdruck einer Krise, als daß sie schon als Teil ihrer Lösung sich begreifen ließe? Nur soviel ist wahr: Die Erkenntnis und Reflexion der Krise bedarf des Versuchs, die RAF zu verstehen, und das Feindbild RAF verschärft nur die Krise, anstatt zu ihrer Lösung beizutragen. Jedenfalls gehört der Versuch einer strafrechtlichen Lösung des RAF-Problems zu den Instrumenten der Krisen-Verschärfungs-Strategien.
Hat nicht die Linke seit der Besetzung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung immer wieder die Neigung bewiesen, an den schwächsten Stellen der „Front“ den eigenen Mut zu erproben? Ist sie nicht freiwillig (oder auch im Bann einer Verblendung durch Empörung, die sie nicht mehr zu reflektieren vermochte) in die Diskriminierungsfallen hineingerannt?
„Übervater“: Er hätte Freud lesen müssen („Totem und Tabu“): Der Vatermord vermag Brüderhorden zu begründen, Opfer- und Bekenntnisgemeinschaften, denen die blinde und bewußtlose Identifikation mit den verinnerlichten Vätern (Nationalismus als Sinnesimplikat jeder symbiotischen Feindbindung) als ihr Grundgesetz einbeschrieben ist, nicht aber den Akt der Befreiung.
Skinhead-Logik: Wer aus jeder Kritik „den Feind“ heraushört, macht sich selbst blind, ohnmächtig und dumm und braucht dann zur Selbsterbauung Mutproben.
„Es gibt nichts tierischeres als ein reines Gewissen“: Dieser Satz (der die Logik aller Opfer- und Bekenntnisgemeinschaften in ihrer Wurzel trifft) bezeugt die Sensibilität und Aktualität der Autorin, die ihn geschrieben hat: Er rechtfertigt nicht nur den Nobel-Preis, der ihr jetzt zuerkannt wurde; er ist ein Schlüssel zur Erkenntnis der Wurzeln des Faschismus.
War das nicht der Fehler der 68er: daß sie die Schrecken des Faschismus (die Schrecken, die der Versuch, Faschisten zu verstehen, auslöste) mit Hilfe der „unbedingten Verurteilung“ (der Empörung, die dann das „reine Gewissen“ erzeugte) geglaubt hat, verdrängen zu können?
Rührt nicht die Psychologie-Feindschaft daher, daß die hier geforderte Reflexion die geliebten Feindbilder zersetzt (Reflexion hat mit dem, was die Nazis „Wehrkraftzersetzung“ nannten, zu tun)?
Es gibt so etwas wie einen logischen Feind-Clinch: Sie kommen (wie das Subjekt vom Objekt) von einander nicht mehr los. (Ist nicht das Identitätsproblem ein Problem der Einheit des Objekts und der Welt wie auch ein Problem des Feindbildes, das diese Einheit garantiert; und lag darin, in seiner gemeinschafts- und identitätsstiftenden und zugleich moralisch enthemmenden Funktion, nicht die zentrale Bedeutung des Antisemitismus für den deutschen Nationalsozialismus?)
Wer bei H.-E. Richter nicht mehr hinhören kann – und da dürften sich in der Tat alle „Obrigkeiten“ mit den „Starrköpfen aus der RAF“ einig sein – will eigentlich garnicht wissen, was wirklich passiert ist, er wills nur entweder verurteilen oder rechtfertigen. Und genau diese Diskussion, die diese Alternative unterläuft, wäre notwendig. Dazu, scheint mir, liegen erste Ansätze sowohl in dem Beitrag von Birgit Hogefeld als auch in den Anmerkungen Horst-Eberhard Richters vor. Daß diese Diskussion vielleicht sogar zu allererst mit der Vergangenheit, die nicht vergehen will, zu tun hat, damit, daß Auschwitz, je weiter wir uns in der Zeit von ihm entfernen, uns immer näher rückt, …
Kann es sein, daß die symbiotische Feindbindung einen für beide Seiten gemeinsamen Grund hat: die Vergangenheit nicht an sich heranzulassen?
Hängt nicht die besondere Verführbarkeit des deutschen Volkes (zu der das Werk Daniel Jonah Goldhagens erneut einschlägiges Beweismaterial vorgelegt hat) mit einem auch hier in diesen Prozeß hineinwirkenden Staatsverständnis zusammen, ein Staatsverständnis, das unter anderem auch die Transformation einer Angeklagten zum Feind (und damit den Rückfall in die Logik des Vorurteils, die die Zumutung, in die Angeklagte sich hineinzuversetzen, apriori abwehrt und diesen grundhumanen Akt mit dem Stichwort Sympathisant grundsätzlich diskriminiert) zu erklären vermag?
Feind/Sklave/Ausländer/Ware? Ist nicht der Feind (das Objekt der reflexionslosen Verurteilung) das Grundmodell des Objektbegriffs?
Man muß begreifen, daß die „unbedingte Verurteilung“ (auch die des Faschismus) nicht nur ein Instrument gegen den Faschismus ist, sondern ebensosehr ein Erbe des Faschismus: Sie ist die Basis und der Kristallisationskern der deutschen Staatsmetaphysik.
Es gibt nicht nur eine Psychologie des Vorurteils, es gibt auch eine Logik des Vorurteils; und wäre deren Analyse nicht vielleicht sogar wichtiger?
Ein Luxus-Zug, der auf den Abgrund zurast:
– Die Rechten verriegeln und bewachen die Türen (daß ja niemand hereinkommt) und schmeißen alle raus, die nicht hineingehören,
– die Politiker und die Medien bemalen die Fenster und geben die Bilder als die Außenwelt aus, die sie unsichtbar machen,
– die Gerichte leugnen die Bewegung des Zuges, die Außenwelt und den Abgrund und verurteilen jeden, der daran erinnert.
Aber hat eigentlich wirklich jemand daran geglaubt, daß es helfen würde, in dem mit wachsender Geschwindigkeit dahinrasenden Kapitalismus-Express das Personal zu erschießen; käme es nicht vielmehr darauf an, seine Technik, die Beschleunigungsmechanismen (die nur als gemeinsame Mechanismen des Zuges und seiner Außenwelt sich begreifen lassen) zu studieren, um den Sturz in den Abgrund vielleicht doch im letzten Augenblick noch zu verhindern?
Weshalb die Paranoia die Welt falsch abbildet: Dient nicht das Feindbild auch dazu, das Handeln des Feindes zur Rechtfertigung des eigenen Handelns zu mißbrauchen, zugleich aber die Folgen dieses Mißbrauchs (ihre Reflexion) auszublenden?
Eine sprachlogische Anmerkung
Es fällt auf, daß die Vertreter der Bundesanwaltschaft im Hogefeld-Prozeß den Begriff Bekennerschreiben konsequent vermeiden und durch „Selbstbezichtigungsschreiben“ ersetzen; mittlerweile hat dieser Begriff auch in der Berichterstattung der Presse Eingang gefunden. Es dürfte nicht uninteressant sein, die etwas wirre Logik dieser Sprachkonstruktion ein wenig genauer zu betrachten:
– Im normalen Sprachgebrauch zeichnet sich der Begriff der Bezichtung durch seinen direkten, nach außen gerichteten Objektbezug aus: Bezichtigt wird immer ein anderer (im Falle der Verdächtigung, der Denunziation, der Anklage); hinzu kommt, daß bei einer bloßen Bezichtigung die Tatbeteiligung noch nicht feststeht, daß sie problematisch und noch nachzuweisen ist. Der reflexive Gebrauch des Begriffs findet sich eigentlich nur im Falle des begründeten Zweifels an der Wahrheit einer solchen „Selbstbezichtigung“ (z.B. wenn jemand sich selbst bezichtigt, um einen anderen zu decken): Bezichtigt wird einer, der die Tat leugnet, und das gilt auch für die „Selbstbezichtigung“, die stellvertretend für den wirklichen Täter dessen Tatbeteiligung leugnet.
– Sprachlogisch ist der Begriff der Selbstbezichtigung auf den Fall des Bekenntnisses nicht anwendbar, ein „Selbstbezichtigungsschreiben“ ist kein Bekennerschreiben. – Teil der staatsanwaltlichen Logik, eines strategischen, instrumentalisierten Gebrauchs der Logik, erzwungen durch den Kontext des politischen Prozesses (in der Nazizeit reichte die Denunziation, eines Beweises bedurfte es dann nicht mehr)?
– Adressat eines Bekennerschreibens ist die Öffentlichkeit, Adressat einer Selbstbezichtigung ist die Anklagebehörde; so wird die Tat durch die Sprache entpolitisiert und unter die Strafrechtslogik subsumiert (die Subsumtion unter die Strafrechtslogik wird mit Hilfe des Reflexionsverbots schon ins Vorfeld der Ermittlung und Anklage verlegt);
– wer sich zu einer Tat bekennt, will die Gründe der Tat öffentlich machen; durch den Begriff der Selbstbezichtigung werden diese Gründe (und d.h. in diesem Falle: der politische Hintergrund und die politischen Motive der Tat) schon im vorhinein ausgeblendet;
– Selbstbezichtigung ist so etwas wie eine Selbst-Denunziation, der Begriff bezieht den diskriminierenden Ton, der den kriminellen Charakter der Handlung ins Licht rückt, mit ein, er unterstellt als Absicht der Täter, was der Ankläger nur heraushört; die „Selbstbezichtigung“ macht die Tat noch verwerflicher, weil der sich selbst Bezichtigende sich zu etwas Verabscheuungswürdigem bekennt, damit aber sich selbst aus der Gemeinschaft der Verurteilenden ausschließt (nicht die Tat, sondern das Sich-Ausschließen aus dieser Gemeinschaft ist der zu sanktionierende Akt); oder auch: das Bekenntnis zu einer Tat greift die Rechtsordnung an, indem es intendiert, einer kriminellen Handlung den Schein des Normalen, des Erlaubten, einer ungestraft öffentlich zu machenden Handlung zu geben versucht (ein anderer, der nicht der Täter ist, würde dagegen durch die Denunziation ein öffentliches Interesse, deren Grenzen mittlerweile ohnehin die Staatsanwaltschaft definiert, wahrnehmen);
– liegt es nicht in der Konsequenz dieser Logik, daß am Ende das Konstrukt der „Nestbeschmutzung“ (als ein Akt kollektiver „Selbstbezichtigung“) zu einem Strafrechtstatbestand und damit kriminalisiert wird?
Ensteht hier nicht so etwas wie eine Schuldautomatik, die in der Logik der Verurteilung gründet? Es kommt nicht darauf an, daß man kein Unrecht tut, sondern allein darauf, daß man sich nicht dazu bekennt, sondern es unbedingt verurteilt und verabscheut; ob die, die es verurteilen, es möglicherweise selber tun, ist fast schon unerheblich. -
21.09.1996
Wenn die sieben Siegel etwas mit den sieben Planeten zu tun haben, ist dann nicht der Himmel das Buch des Lebens, das aufgerollt (abgeschlossen und geöffnet) wird, wenn die sieben Siegel gelöst werden?
Gilt nicht der Satz über den Faschismus, daß die bloße Verurteilung nicht hilft, sondern der Schrecken zu reflektieren ist, auch fürs Patriarchat insgesamt. Und ist die Instrumentalisierung des Schreckens (in der bloßen Verurteilung des Faschismus wie des Patriarchats) nicht die Falle der Urteilslogik? Hat die „Venus-Katastrophe“ etwas mit diesem Vorgang zu tun, und sind die „Planeten“ die kosmischen Repräsentanten dieser Urteilslogik? Sind die sieben Siegel (wie auch die sieben Planeten, die Wege des Irrtums) Ausdruck objektiver Zwänge, die aus der Verdrängung des Schreckens (an den die paulinischen Elementarmächte erinnern) resultieren? Ist die Astrologie eine Urteilstheorie?
Die frühe Kirche hat (nach der Rezeption des Weltbegriffs und nach dem Ursprung der Bekenntnislogik) die dämonischen Elementarmächte der Paulusbriefe zu Engelshierarchien gemacht.
Venus und Merkur sind sonnennahe Planeten, Jupiter und Mars sonnenferne (und auf eine komplizierte Weise auf den Mond bezogene) Planeten. Und gehören Uranos und Pluto auf ähnliche Weise zum Saturn? (Vgl. die Neunzahl der pseudodionysischen Hierarchien: Seraphim/Cherubim/Throne, Herrschaften/Mächte/Kräfte, Fürstentümer/Erzengel/Engel, peri tes ouranias hierarchias.)
Ist Saturn der Planet der Personalpronomina (erste, zweite, dritte Person bzw. m/f/n)?
Läßt die Theologie Martin Bubers aus seiner Übersetzung des Gottesnamens (ER, 3. Pers. m.) sich rekonstruieren: aus der Verwechslung des Gottesnamens mit dem Namen Adams? Rührt nicht daher die Affinität seiner Bibelübersetzung (wie auch seiner Bibel-Interpretation) zum Feudalismus? Hatte nicht schon die Orthodoxie, die dogmatische Theologie, Christus mit Adam, den, der die „Sünde der Welt auf sich genommen“ hat, mit dem Sünder, der nur das Bewußtsein der Sünde verdrängt hat, verwechselt?
Die erst mit dem Dogma entstandene Vorstellung, daß das Reich Christi kein Ende haben wird, heißt eigentlich, daß die Welt unerlösbar ist: die Erlösung wurde ad kalendas graecas vertagt (mit der endlosen Verschiebung seiner Wiederkunft und der Leugnung der Auferstehung). Für die Kirche hatte die Auferstehung mit dem Dogma und seiner Verschmelzung mit dem Bürgerrecht des Imperium Romanum sich „erfüllt“.
Ist das Ganze nicht (im wörtlichen Sinne) eine Wahnsinnsgeschichte (ebenso wie auch die Astrologie eine Wahnsinnsgeschichte ist)? Aber eine, an deren Lösung die Rettung der eigenen Seele gebunden ist?
Die naturwissenschaftliche „Lösung“ des Astrologieproblems, hat den Wahnsinn psychotisiert: Sie hat den Wahnsinn ans Selbsterhaltungsprinzip gekoppelt, an das Prinzip der Vergesellschaftung von Herrschaft. Sie hat die translunarische Welt an die Gesetze der sublunarischen Welt geknüpft, sie hat die untere Welt zur oberen Welt gemacht, aber auf der Schiene der Urteilslogik: der Verdrängung des Schreckens (sie hat damit diese und die zukünftige Welt verraten). Kehren nicht die neuen „kritischen Bewegungen“ (der nach-68er-Bewegungen) wiederum die Urteilslogik (mit der Folge der Verinnerlichung des Schreckens)?
Gegen Kant (und gegen Hegels Logik): Es gibt nicht eine transzendentale Logik (die, in sich selbst reflektiert, zur Idee des Absoluten führt), sondern es gibt sieben transzendentale Logiken. Und deren Repräsentanten sind die sieben Planeten.
Wenn das Bekenntnis das bara verdrängt, so verdrängt es Himmel und Erde, die großen Meeresungeheuer und das Ebenbild Gottes (an dessen Stelle die homousia des vergöttlichten Sohnes tritt). Und dieser Fehler ist nicht dadurch zu heilen, daß das facere im Deutschen mit erschaffen übersetzt wird, es bleibt ein demiurgisches Machen, es verbleibt im Bannkreis der Naturbeherrschung.
Sind die ägyptischen wie auch die apokalyptischen Plagen nicht eigentlich Schrecken (die Objektseite der Urteilserfahrung)?
Die Lösung der sieben Siegel gibt den Blick auf die Schrecken frei (der Faschismus, der diesen Anblick nicht erträgt, erschlägt die, die ihn verkörpern oder ihn laut werden lassen). – Es kann nicht das Ziel sein, daß der Staat sein wahres Gesicht zeigt, sondern es kommt allein darauf an, daß er an den Folgen seines Handelns gemessen wird.
Sind die sieben Planeten nicht ebenso viele Knotenpunkte der Abstraktion und Verdrängung? Hängt ihre Konstituierung und Erscheinung nicht mit dem Problem der Beweislogik (mit dem kantischen Problem des apagogischen Beweises) zusammen, ebenso mit dem Problem der Genesis des pathologisch guten Gewissens (mit der Logik der Schuld): mit dem Problem, auf das sich das Wort Jesu bezieht „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, mit dem Problem der „Wege des Irrtums“ und der Bekehrung des einen Sünders, mit der Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden? Gehört hierzu nicht auch das Väterproblem in den Evangelien? Und hängt die „Heilung der Schwiegermutter des Petrus“ mit diesem Problem zusammen?
Der ungeheuerliche Verdrängungsakt am Ende des letzten Krieges, der doch so „natürlich“ war, wäre endlich aufzulösen. Hierbei wäre die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos eine unentbehrliche Hilfe.
Heute in der FR ein Hinweis auf ein Buch mit dem Titel „Blut. Von der Magie zur Aufklärung“. Es ist offensichtlich ein medizinisches Buch, aber ist es nicht zugleich ein theologisches Buch?
Im Angesicht und Hinter dem Rücken (vorn und hinten): Bezieht sich nicht Rechts und Links auf das Vorn und Hinten des Andern, und das Oben und Unten auf das Angesicht und den Rücken Gottes?
Nur über die Schuldreflexion (für die im Stern der Erlösung die Todesfurcht steht) ist der Verblendungszusammenhang aufzulösen.
Die griechische Sprache verhält sich zur lateinischen wie die (prädogmatischen) subjektiven Formen der Anschauung zum (postdogmatischen) Inertialsystem. -
18.09.1996
Wer bereschit, das erste Wort der Schrift, anstatt mit „im Anfang“ mit „im Prinzip“ übersetzt (Ton Veerkamp?), bringt zwar eine notwendige Korrektur, aber verschiebt er das Problem nicht doch nur von der zeitlichen (naturalen) auf die logische (weltliche) Ebene, transportiert er es nicht aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik, mit der Gefahr der Vergöttlichung des transzendentalen Subjekts?
Erfüllt der gegenwärtige Weltzustand nicht die Voraussetzungen, auf die das Wort sich bezieht, daß der Vater am Ende, wenn der Sohn ihm alles unterworfen hat, alles in allem sein wird?
Ist das Heideggersche „Dasein“ nicht ein Produkt der subjektiven Formen der Anschauung, das alte tode ti, nach seiner philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Transformation und nach Verdrängung des Bewußtseins seiner Ursprungsbedingungen (vergleichbar der Geschichte des „Seins“ nach der Hypostasierung des Begriffs und der Abspaltung vom Possessivpronomen der dritten Person singular männlich)?
Ist nicht das Begreifen ein instrumentalisiertes Besitzergreifen (nach Abstraktion vom Besitzer)?
Wäre es nicht Aufgabe der Erinnerungsarbeit, die Abstraktions-und Verdrängungsschritte, die unser Bewußtsein konstituieren, zu rekonstruieren? Und ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Spiegel der Ursprungsgeschichte dieses Bewußtseins?
Läßt sich das Johannes-Evangelium in Beziehung setzen zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos (und hat der Kreuzestod etwas mit dem Opfer zu tun, das den Ägyptern ein Greuel ist)? Entspricht nicht das erste Wunder Jesu (bei der Hochzeit zu Kana) der ersten der ägyptischen Plagen?
An welchen ägyptischen Plagen hat Aaron Anteil, sind es nicht fast die gleichen, in denen auch die ägyptischen Zauberer vorkommen (1 – 4 <!> u. 6; die Zauberer dagegen 1 – 3 u. 6)?
Welche Motive bleiben unerledigt: die Prophetenschaft Aarons, das Opfer (das den Ägyptern ein Greuel ist)?
Der Versuch, die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos zu entschlüsseln, gelingt nur als Selbstversuch. Und beschreibt nicht diese Geschichte aufs genaueste die Genesis des Irrwegs des Sünders, an dessen Bekehrung die Rettung der eigenen Seele gebunden ist? Allein an diesem Modell, nicht aber an der verkürzten und egozentrischen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, läßt sich das Problem der Gnade demonstrieren: die Bekehrung des Sünders ist nicht erzwingbar, sie liegt nicht in unserer Macht, aber gleichwohl können wir nicht davon lassen. Jede Zwangsbekehrung ist eine verzweifelt-hybride Leugnung der Gnade. Selbst, was in der Moderne Mission heißt, hat etwas von dieser Zwangsbekehrung an sich, gleichgültig, ob durch den Appell an die Übermacht der „westlichen Welt“, für die das Christentum heute steht, oder durch die Mittel, die von denen der Reklame allzu oft nicht zu unterscheiden sind (jede Reklame intendiert die Heiligung des Markennamens und die Bekehrung des Konsumenten zu dem im Markennamen gegenwärtigen Warengott – hat nicht Ludwig Ehrhard gelegentlich von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ gesprochen?).
Bekehrung: „ginosketo hoti ho epistrepsas hamartolon ek planes hodou autou …“ (Jak 520).
Reinhart Staats weist darauf hin, daß die Opfertheologie, die Lehre vom Sühnetod Jesu, westlichen Ursprungs ist, daß erst seit Tertullian das pro nobis an das crucifixus angehängt wurde (vgl. S. 160). Liegt hier nicht der sprach- und bekenntnislogische Kern der von Tertullian geprägten lateinischen Begrifflichkeit der Theologie (bis hin zum Gebrauch des Personbegriffs in der Trinitätslehre)? Diese Begrifflichkeit aber hat dann die Sprache und die Logik der westlichen Philosophie nach dem Ende des Mittelalters geprägt.
Das Subjekt ist zum erkenntnistheoretischen Subjekt in dem Augenblick geworden, in dem es sich selbst zum Objekt geworden ist (durch präventive Mimesis ans Objekt die Konstituierung des Objektbegriffs vorbereitet hat). Das aber ist allein über die subjektiven Formen der Anschauung, die nicht nur die Objektvorstellung, sondern mit ihr auch das Selbstverständnis des Subjekts determinieren, gelaufen. Mit der Vergesellschaftung von Herrschaft, und d.h. mit der Aufrichtung der Grenzen zwischen Subjekt und Objekt (mit den subjektiven Formen der Anschauung, die diese Grenzen definieren), wurden diese Grenzen zugleich aufgehoben, ist das Subjekt zu einem Teil der Objektwelt geworden.
Jürgen Ebach, dem zur Apokalypse nur die atomare Drohung, nicht aber die faschistische einfällt, wäre darauf hinzuweisen, daß er damit bereits von einer Entlastungslogik Gebrauch macht, die in Deutschland nie, auch nicht von der 68er Bewegung (die raf eingeschlossen), durchbrochen worden ist. Deshalb hat Daniel Goldhagen die deutsche Öffentlichkeit so unvorbereitet und so empfindlich getroffen.
Der kopernikanische Blick auf die Welt entspricht dem Blick des Historikers auf die Geschichte: Der vergegenständlichende Blick ist der Seitenblick, der Blick der Selbstobjektivierung, des Aus-sich-Heraustretens und Sich-von-außen-Sehens. Das Medium dieser Bewegung ist räumlich und zeitlich zugleich: Das Verhältnis der Äußerlichkeit, das der Raum herstellt, ist tingiert durch die Logik der Projektion ins Vergangene. Wenn der Historiker die Vergangenheit vergegenwärtigt, so projiziert der Naturwissenschaftler das Gegenwärtige in die Vergangenheit. Erst diesem Blick eröffnen Raum und Zeit sich ins Unermessliche, werden sie zum Maß der Dinge, das selber jedem Maß sich entzieht.
Alle Chronologie-Konstrukte (die historischen wie die naturwissenschaftlichen) sind Rechtfertigungskonstrukte, die dazu dienen, die Gegenwart gegen die Schuldreflexion zu immunisieren (sie gegen den Anblick Gottes abzuschirmen). Das Inertialsystem ist atheistisch.
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist ein Konstrukt, das zunächst nur auf die mathematische Form des Raumes sich bezieht; hier liegt einer der Gründe Kants, den Raum als subjektive Form der Anschauung zu bestimmen. Realität hat die Reversibilität gewonnen
– in der Mechanik, in der Bestimmung der Stoßprozesse, bei denen Richtung und Gegenrichtung (in der zur Fallrichtung senkrechten Ebene) dynamisch nicht unterscheidbar sind, sodann
– im Gravitationsgesetz, die auch den Fall, die Beziehung von Oben und Unten unter dieses Gesetz subsumierte;
– mit der Elektrodynamik wurde diese Reversibilität auf die Zeit übertragen, die Zukunft endgültig unter die Vergangenheit subsumiert.
Erst zu den Maxwellschen Gleichungen gehört das Inertialsystem.
Die Vergegenständlichung der Vergangenheit läßt die Zukunft nicht unberührt: Durch Antizipation ihrer Vergangenheit macht sie die Zukunft für Herrschaft verfügbar. Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, hat sowohl gesellschafts- als auch wissenschaftskritische (und in dem Sinne „naturwissenschaftliche“) Bedeutung.
Merkwürdig, daß wir für die Physik (im Kontext der Naturbeherrschung) den griechischen Naturbegriff verwenden, im Kontext der Ästhetik und der Theologie hingegen den lateinischen. Hätte ein Buch wie das des Johannes Scottus Eriugena (de divisione naturae) auch über die physis geschrieben werden können? Gehört nicht der Standardtitel der Vorsokratiker (peri physeos) in einen andern sprachlogischen Zusammenhang? Sind nicht der „natürliche Ort“ und „das Leichte“ des Aristoteles nur im Kontext der physis denkbar (während im Naturbegriff das ortlose Inertialsystem und die universale Schwere bereits mitgesetzt sind und in der lateinischen Theologie ihre sprachlogischen Entsprechungen haben)? Für die Griechen ist die Welt ein geschmückter Leib (kosmos), für die Römer ein gereinigtes All (mundus).
War die Arena das Konzil der Märtyrer, die real den wilden Tieren ausgesetzt wurden, in denen sie das Römische Imperium erkannten? Und waren die Konzilien domestizierte Arenen (in denen der physische Kampf durch den geistigen ersetzt wurde und die Märtyrer, nach Identifikation mit dem Aggressor und Partizipation an der Macht, zu Bekennern geworden sind)?
Wenn die „Einheit des Reiches“ zu den Charakteristika des Reiches des Beelzebub gehört (während das Reich des Vaters viele Wohnungen hat), hat dann die Kirche nicht in der Tat in den Konzilien (in der Geschichte des Glaubensbekenntnisses, in der sie immer wieder die Autorität der Kaiser in Anspruch genommen hat) versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben?
Bezeichnet nicht das ex nihilo in der Schöpfungslehre den Akt der Verdrängung, und wäre nicht gerade dieses nihil endlich zu reflektieren? Was übrigens Kant als erster getan hat, als er eine begriffliche Differenzierung des nihil (in der Kritik der reinen Vernunft) vorlegte. Diese Differenzierung ist dann bei Hegel in der Einheit von Sein und Nichts untergegangen, die dem Begriff des Negativen diese unendlich schwere Bedeutung verliehen hat (es zur treibenden Kraft seiner Dialektik, der Logik, gemacht hat). Erst Franz Rosenzweig, der das Nichts als ein Nichts des Wissens (als seine innere Grenze, und damit als ein dreifaches Etwas) zu bestimmen versucht hat, hat das Problem einer Lösung nähergebracht. Erst Franz Rosenzweig hat die Grenze der Erkenntnis ins Wissen verlegt, das Nichtwissen als ein konstitutives Element des Wissens, das durch Erkenntnis aufzuheben wäre, begriffen.
Als die Deutschen nach dem Krieg unisono verkündeten, sie hätten „von nichts gewußt“, haben sie das Wissen selbst zu einem Instrument der unglaublichsten Verdrängung gemacht. Der Satz wird wahr, wenn man dieses Nichts substantivisch nimmt: davon nämlich haben sie (sehr wohl) gewußt.
Gibt es nicht drei Demonstrativpronomina zum Nichts: dieses, jenes und das andere Nichts, und haben diese drei etwas mit Rosenzweigs Gott Mensch Welt zu tun?
Ein „pflichtbewußter Hund“, der einen Ast im Maule schleppt (und so davon abgehalten wird, Spaziergänger anzufallen): Sind es nicht generell die Pflichtbewußten, die – unter dem Zwang ihrer Pflicht – nicht mehr wissen, was sie tun? -
6.7.96
Marktkolonialismus: Ist das Schuldenproblem der Dritten Welt, insbesondere auch in Lateinamerika, nicht auch darin begründet, daß das belastbare Eigentum in den betroffenen Ländern in fremder Hand sich befindet? Die multinationalen Konzerne entziehen der Idee der Nation im wörtlichsten Sinne den Boden.
Eigentumsgesellschaften sind Eroberungsgesellschaften (die Revolution gegen den Feudalismus ist nur die eine Seite der Sache, der Ausbreitungs- und Eroberungstrieb die andere). Eigentum gibt es nur im Kontext staatlicher Organisation des Eigentums: Liegt die Lücke des Heinsohnschen Konzepts etwa darin, daß er das nationale Problem ausblendet, damit aber auch die Affinität der Eigentumslogik zum Nationalismus (vgl. die Jugoslawienkrise, aber auch den Slogan „Standort Deutschland“)? Ist die Ausblendung der sie fundierenden Beziehung zur Nation nicht ein Teil der Eigentumslogik, die ohne diese Abstraktion nicht zu halten ist?
Wer den Ursprung des Geldes auf den des Eigentums zurückführt, darf eigentlich die Ursprungsgeschichte des Eigentums nicht ausblenden, wobei das Problem auf den Ursprung des Eigentums nicht mehr sich eingrenzen läßt. Auch die Naturwissenschaften gründen in der Eigentumslogik, die nur zusammen mit einer Kritik der Naturwissenschaften sich reflektieren läßt. Und darin liegt das Grundproblem der Kritik der Naturwissenschaften, daß sie die Kritik der Eigentumslogik voraussetzt und mit einschließt: als Kritik der Funktion der Naturwissenschaften im Prozeß der Selbstlegitimation des Bestehenden.
Faszinierend wäre die Analyse der Beziehung des Ursprungs und der Geschichte des Eigentums zur Geschichte der Sexualität, zum Ursprung der Sexualmoral.
Ist nicht der Begriff der Gnade seit Augustinus ein Produkt der gleichen Abstraktion (der gleichen Halbierung), der auch der Ursprung und die Entfaltung der „subjektiven Formen der Anschauung“ sich verdanken: der Konstituierung der Trägheit, des Objektseins, der Passivität, am Ende des Selbstmitleids: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott“? Im Kontext der vergegenständlichten Natur gibt es keinen „gnädigen Gott“!
Hat nicht der Begriff des Eigentums in der Ökonomie den gleichen Stellenwert und die gleiche Funktion wie der Begriff der Trägheit in den durchs Inertialsystem definierten Naturwissenschaften?
Es gehört zur Ambivalenz des Namens Jesu („Jesus Christus“), daß er so wie der Name einer Privatperson klingt, während er doch den Anspruch erhebt, der Name des Messias zu sein (den aufgrund dieser Privatisierung niemand mehr kennt, wie anhand des Problems der Vergöttlichung Jesu leicht sich nachweisen läßt). Wenn die „Todesangst“ Jesu in Getsemane nicht auf die abstrakte Privatperson, sondern zugleich auf die messianische Kraft, die sie verkörpert, und auf den Zustand der Welt, an dem diese Kraft sich mißt, bezogen wird: auf die Angst des Mißlingens, erhält dann diese Geschichte nicht eine ganz andere Bedeutung, ein ganz anderes Gewicht? Drückt die privatisierende Gewalt des Ereignisses nicht exakt in dem Schlaf der Apostel sich aus? Sie haben im wörtlichsten Sinne diese „eine Stunde“ verschlafen. Auch der Messias kann es nicht alleine, er kann es nicht für sich sein.
Ist Christ ein Name, mit dem ich benannt bin, oder ein Begriff, unter den ich subsumiert werde?
Das himmlische Jerusalem der Apokalypse, ist das nicht das nicht das Gegenstück der Schechina im Exil? Ist nicht die christliche Ära die Zeit der Restituierung des geschändeten, verwundeten, zerschlagenen Jerusalem, an deren Ende es als himmlisches Jerusalem (als geschmückte Braut) wiederkehrt? Aber das himmlische Jerusalem wird eines sein, in dem kein Tempel mehr ist.
1968 hat das Generationenproblem erstmals an den Grund der Welt gerührt.
Worauf bezieht sich die Unterscheidung der Bücher, die geöffnet werden, von dem „anderen Buch“, das auch geöffnet wird (Off 2012)? Ähnlich wurde vorher schon zwischen Engeln und „anderen Engeln“ unterschieden (vgl. auch Petrus und den „anderen Jünger“ im Johannes-Evangelium). Was bedeutet dieser Begriff des „anderen“? Das „andere Buch“ ist das „Buch des Lebens“, während die „Bücher“ auf die „Schriften“ zu verweisen scheinen (die in der Passion und Auferstehung Jesu „sich erfüllen“). Bezieht sich das „andere Buch“, das Buch des Lebens, auf etwas, das man im Hinblick auf die Erfüllung der Schrift die Erfüllung des Worts nennen könnte? Und haben dieses „andere Buch“ wie auch die „anderen Engel“ (und der „andere Jünger“) etwas mit dem „einen Sünder“ zu tun (über den größere Freude im Himmel herrscht als über 99 Gerechte) – und mit der verlorenen Drachme? Und bezieht sich darauf der letzte Satz des Jakobus-Briefs?
Wenn Reinhold Schneider als toter Hund am Fuße des Kreuzes begraben sein, an der Auferstehung nicht teilhaben wollte, steckte darin nicht der wahrhaft begründete Widerwille gegen die Opfertheologie, der Widerwille gegen die (erst heute?) unerträgliche Vorstellung, durch das Blut dieses Opfers von Sünden rein gewaschen zu werden?
Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Wie wahr ist der Plural in diesem Satz. Nackte Tatsachen, das sind die vom Blick der Barmherzigkeit entkleideten Tatsachen. Ist nicht die Nacktheit ein logischer Begriff, hat sie nicht Anteil an der Allgemeinheit des Begriffs, als Reflex der Abstraktion, in der der Begriff sich konstituiert?
Nachdem Ham die Blöße seines Vaters nicht zudeckte, wurde nicht er, sondern sein Sohn Kanaan dafür verflucht. Hat nicht jedes Geschwätz, jedes Gerede über andere (das Gerede „hinter dem Rücken“ des Andern, das die Gunst seiner Abwesenheit nutzt), jede projektive Verarbeitung der Unfähigkeit, die eigene Schuld zu reflektieren, und deshalb zur eigenen Entlastung des Mittels der Schuldverschiebung sich zu bedienen, Teil an diesem Mechanismus des Aufdeckens der Blöße? Der Gebrauch, den jede Apartheid und jeder fundamentalistische Rassismus von der Ham-Geschichte macht, greift schon deshalb zu kurz, weil der Fluch nicht Ham (den Hitzigen), sondern Kanaan (den Händler) trifft, damit aber nicht einen Typus des Rassismus, sondern einen der Ökonomie (der eigentumsbegründenden Gelwirtschaft).
Gibt es nicht in einem der Theaterstücke Becketts, im „Endspiel“, einen Ham (zusammen mit Estragon)?
Hat Rosenzweigs Kritik des All (die er mit der sprengenden Kraft der Todesfurcht begründet) etwas mit den weißen Kleidern in der Apokalypse zu tun (mit der Bedeckung der Nacktheit)? „Die Nackten kleiden“, auch das gehört zu den Werken der Barmherzigkeit. Unterm Bann der Eigentumslogik, die durch ihren Systemgrund die Barmherzigkeit ausblendet, die Dinge entkleidet, sie nackt vor Augen stellt, sind wir nur noch Aufdecker der Blöße. Nach Jakobus haben die Reichen „den Gerechten verurteilt, getötet; er widersteht euch nicht“ (56).
Der Gottesname in dem Satz, daß der Gepfählte ein Fluch Gottes ist, ist der Name Elohim (Dt 2123).
Sind nicht die Werke der Barmherzigkeit insgesamt auch Explikationen des Gebots der Heiligung des Gottesnamens? Wie verhalten sich die Werke der Barmherzigkeit („die Hungrigen speisen, die Nackten kleiden …“) zu den Werken, auf die Jesus verweist, als Johannes ihn durch seine Jünger fragen läßt, ob er es sei, der da kommen soll („die Blinden sehen, die Lahmen gehen …“)? Sind nicht die Werke der Barmherzigkeit die Weiterführung dieser Werke?
Verweist der Begriff des Realsymbolischen, der auch die Werke der Barmherzigkeit überhaupt erst gehörig ins Licht rückt, nicht auf die Namenskraft der Sprache, die deren kommunikative Eingrenzung und Abstraktion sprengt? Und rührt dieser Begriff des Realsymbolischen nicht an die Intention, die die Erfüllung der Schrift in die des Wortes zu transformieren trachtet? Die Heiligung des Gottesnamens bezieht sich auf den gleichen Sachverhalt. Barmherzigkeit, nicht Opfer.
Das Inertialsystem (und in ihm die subjektive Form der äußeren Anschauung) macht die Dinge eigentumsfähig
– durch Orthogonalisierung des Raumes, die jede Umkehr in eine andere Richtung des Raumes überführt,
– durch Eliminierung der Umkehr aus dem Begriff der Erkenntnis, durch Fixierung auf die intentio recta,
(beide Momente sind durch das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum miteinander verknüpft)
– durch Veränderung ihrer Beziehung zur Sprache (die mit der Form der Anschauung gesetzte intentionale Objektbeziehung löscht die der Sprache, dem Namen, innewohnende Kraft der Erkenntnis, sie ersetzt den Namen durch den Begriff). -
3.7.96
Gegen den 68er Bruch: Der Faschismus war keine Naturkatastrophe, und das Horkheimer-Wort, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen dürfe, wird heute durch Umkehrung wahr: Vom Kapitalismus darf nicht reden, wer vom Faschismus schweigt.
Die 68er Bewegung hat den faschistischen Zivilisationsbruch als Kulturbruch ratifiziert. Mit der Beziehung zum (weiterhin realen) Staat hat sich auch die Beziehung zur Sexualität, das Verhältnis von Eigentum und Besitz, verändert. Die traditionelle Sexualmoral war Ausdruck der am Eigentumsbegriff sich orientierenden Beziehung der Person zu sich selbst. Ist nicht an die Stelle der Eigentumsbeziehung (deren Respektierung die Sexualmoral leisten sollte) das Besitzverhältnis (an die Stelle des Respekts vor dem Andern die Freiheit der Güternutzung) getreten? Gibt es (nach der Globalisierung des Marktes und der Verrottung des Staates) überhaupt noch „Eigentum“? Ist sein Verschwinden nicht am Verschwinden des Tabus auf der Sexualität (mit den Folgen, die das insbesondere für den weiblichen Teil der Gesellschaft hatte) ablesbar?
Das Privateigentum konstituiert die Privatsphäre (den idiotes).
Rühren die Probleme der Theorien Heinsohns nicht daher, daß er einem Theorie- und Objektivitätsmodell sich verpflichtet fühlt, daß aus der Physik stammt? Die vermittelnde Kategorie scheint der Eigentumsbegriff zu sein, der in der Tat einmal den Naturbegriff konstituiert hat: Der Eigentumsbegriff verhält sich zur Geldwirtschaft wie die träge Masse zur Physik insgesamt.
Die begriffliche Trennung von Eigentum und Besitz, die mit der von Tausch- und Gebrauchswert zusammenhängt, determiniert die Widersprüche, die Heinsohns Konzept durchziehen (vgl. z.B. S. 129 und 137 zum Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Geschichte).
Wenn Heinsohn die Geschichte sowohl braucht als auch abwehrt, so drückt sich darin genau die Ambivalenz seiner Theorie aus: Er braucht die Geschichte als Mittel zur Erkenntnis der Logik der Ökonomie, er muß sie abwehren, weil sie diese Logik zugleich zum Sprechen zu bringen droht.
Besitz ist eine Gebrauchskategorie, Eigentum eine Geldkategorie (vgl. Heideggers Unterscheidung des Zuhandenen vom Vorhandenen). Hat nicht Polyani den Ursprung der Eigentumsgesellschaft sehr viel genauer beschrieben, nämlich anhand der Übertragung der Wareneigenschaften auf Grund und Boden (Eigentum), auf die Arbeit (Lohnarbeit) und aufs Geld (Banken)? Heinsohn selber verweist darauf, daß die Lohnarbeit erst in der modernen Entwicklung hinzukommt; verweist das nicht auf eine qualitative Differenz auch beim „Eigentum“ und beim Geld (doppelte Buchführung)?
Der philosophische Reflex des Eigentumsbegriffs ist der Begriff der Substanz (der mit dem Begriff des Substantivs das Verständnis der Grammatik und der Sprache verändert hat, der das Nomen gelöscht und die Sprache zu einem Mittel der Information gemacht hat).
Das Substantiv ist eine Fortbildung des Begriffs der Substanz. Drückt nicht im Begriff des Substantivs eine qualitative Veränderung im Eigentumsbegriff sich aus?
Der Konkretismus Heinsohns manifestiert sich nicht nur in der Theorie der Venus-Katastrophe (in der Ersetzung der gesellschaftlichen Naturkatastrophe durch eine reale kosmische Katastrophe), sondern auch in seinem Eigentumsbegriff, der ihm zu einem festen Grundlagenbegriff wird, und an dem er den historischen Prozeß, dem er entspringt und in dem er sich verändert, nicht wahrnimmt. Die Trennung von Eigentum und Besitz manifestiert sich in den Änderungen der ökonomischen Gesellschaftformen, in der Übertragung der Geschäftsführung an ein Management und im Ursprung und in der Entfaltung und Ausdifferenzierung der Verwaltung (die die Besitzfunktionen des Eigentums realisiert). Aber ist nicht das Eigentum unabhängig vom Besitz (vom Gebrauch, der es qualifiziert) eine leere Abstraktion? Wie das Eigentum im ökonomischen Prozeß sich verändert, kann man heute von jedem Landwirt (noch krasser freilich an den Vorgängen in der Dritten Welt, die jetzt langsam anfängt zu begreifen, was ihr geschieht) erfahren.
Durch seinen Eigentumsbegriff wird dieses Buch zum Kompendium einer Hausbesitzer-Ideologie.
Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war notwendig, weil der genetische Zusammenhang des Eigentumsbegriffs mit dem Begriff und der Praxis der Gewalt in der Gesellschaft ausgeblendet wird. Gehört nicht der Eroberungskrieg (wie am modernen Kolonialismus drastisch sich zeigen läßt) zur Ursprungsgeschichte des Eigentums (die Ureinwohner der kolonialisierten Länder „kennen keine Schrift, kein Geld, sind nackt“; sie sind deshalb nicht fähig, über ihren Besitz wie über Eigentum zu verfügen; als „Wilde“ sind sie apriorische Objekte von Gewalt)?
War die Kosntituierung des Eigentums das Ergebnis einer Revolution von innen (bei den Griechen als Revolution gegen den mykenischen Feudalismus), oder war sie das Ergebnis einer Eroberung von außen, durch umherstreifende Brüder- und Männerhorden (Rom, die Hapiru, die „Hebräer“)? Unterscheidet sich darin nicht das Eigentums-Buch vom Patriarchats-Buch Heinsohns?
Irgendjemand hat einmal die Tempel als Säkularisations-Instrumente beschrieben (Entzauberung der Welt durch Konzentration des Heiligen im Tempel). Eine ähnliche Funktion scheinen die christlichen Kirchen, Kathedralen und Dome im Mittelalter gehabt zu haben. Als Säkularisations-Instrument hat der Tempel die Welt eigentumsfähig und damit zur Welt gemacht; deshalb gehören zur Tempelwirtschaft die Kosmogonien.
Waren der Islam das Persien, Frankreich und England hingegen das Griechenland des Mittelalters? Dann war Deutschland das Rom.
Adorno hat mich in die Lage versetzt, mein Faschismus-Trauma zu bearbeiten; anders wäre ich das Opfer dieses Traumas geworden.
Heinsohn: der Drewermann der Nationalökonomie?
Die Orthogonalität ist das Abstraktionsgesetz der Erkenntnis, sie ist zugleich das Formprinzip des Urteils. Durch die Orthogonalität werden die Richtungen des Raumes getrennt und unterschieden und zugleich zueinander in Beziehung gesetzt; das gleiche Formgesetz gilt für die Beziehung von Raum und Zeit und dann auch für die Beziehung von Raum und Zeit zur Materie. Die Orthogonalität (die Entdeckung der Winkelgeometrie durch die Griechen) ist das Modell der Beziehung von Begriff und Objekt. Wie hängt die Entdeckung der Orthogonalität mit dem Ursprung des Eigentumsbegriffs, mit der Unterscheidung von Eigentum und Besitz und mit dem Ursprung des Staates zusammen?
Im Buch Josue wird das Land Kanaan durchs Los auf die Stämme Israels verteilt. Wann und auf welche Weise erfolgte die individuelle Eigentumsbegründung (zusammen mit der Begründung weiblicher Erbrechte)? In der Bibel wird vom Kauf eines Grundstücks nur im Hinblick auf kanaanitisches Eigentum (bei Abrahams Kauf des Grundstücks für das Grab Saras und bei Davids Kauf der Tenne Araunas) berichtet.
Sind die Probleme, vor die die Philosophie in jeder Epoche neu sich gestellt sieht, die logischen Probleme des Eigentums; und ist die Philosophie deshalb der Reflex der Herrschaftsgeschichte?
Das Armutsgebot, das wir heute ganzen Erdteilen aufzwingen, der Export der Armut in die Dritte Welt: Die Eigentumslosigkeit schlägt die Eigentumslosen zur bloßen Natur, macht sie zu einer brachliegenden Ressource, für die es keine Verwendungsmöglichkeiten mehr gibt: zu herrenlosem Gut.
Nachdem die Aufklärung, und ihrer Folge Kant und der deutsche Idealismus, der Natur schöpferische Kräfte angedichtet hat, hat da nicht Marx, als er glaubte, im Proletariat das Subjekt der Revolution zu erkennen, daraus nur die Konsequenz gezogen (das Proletariat: die Verkörperung er resurrectio naturae)?
Werden heute nicht alle Siege zu Pyrrhus-Siegen?
Ist nicht jede Personalisierung ein Indiz mangelnder Autonomie? Zitiert nicht jede Personalisierung (und jeder Konkretismus) die kollektive Absicherung einer Projektion?
Hängt nicht die mittelalterliche Fälschungsgeschichte mit den übermächtigen Legitimationsbedürfnissen, die die Begründung der Eigentumsgesellschaft wachgerufen hat, zusammen? -
28.6.96
Katholische Konfliktunfähigkeit: Man redet nicht mehr offen miteinander, sondern hinterm Rücken übereinander. Konflikte werden nicht mehr ausgetragen, sondern durch Ausgrenzung und Verurteilung über die Köpfe der anderen hinweg: durchs Richten entschieden. Dem entspricht ein Glaube, der nur noch am individuellen Seelenheil, nicht mehr am Zustand der Welt sich orientiert, aber auch eine Praxis des Betens, die nur noch Rituale und Privatanliegen kennt, nicht mehr die Intention der Versöhnung, die auch die Theologie, ihren Erkenntnisbegriff, im Kern verändern würde. Ist das Ganze, die Fixierung auf eine Theologie hinter dem Rücken Gottes, zu der es keine Alternative mehr zu geben scheint, nicht ableitbar aus der theologischen Rezeption des Weltbegriffs, dem Instrument des Schuldverschubsystems? Gründet diese Konfliktunfähigkeit nicht in dem, was im NT die Sünde wider den Heiligen Geist heißt? Der Begriff schließt aufgrund seiner monologischen Struktur die Intention der Versöhnung ebenso aus wie die subjektiven Formen der Anschauung die Sprache, die die Richtungen des Raumes unterscheidet (und darin die Idee der Barmherzigkeit begründet). Das kantische „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ spricht den Grund des Bilderverbots aus. Das Denken verwandelt die Erkenntnis in „meine Vorstellungen“ und verfällt durch diese Abstraktion selber den „Elementarmächten“, von denen es einmal zu befreien vorgab: der Idolatrie. In der Auseinandersetzung mit der Natur haben die Menschen das politische Denken gelernt. Seitdem steht jede Gestalt der Politik unter dem Bann der Natur. Die historische Bibelkritik hat die Schrift entkleidet, so daß sie am Ende nackt war. Dem ist die Philosophie vorausgegangen: Das Absolute ist der nackte Gott. Stimmt es, daß Pythagoras zuerst den Begriff des kosmos geprägt und gebraucht hat (vgl. Uschi Berretz: Das Weibliche im Mythos, in: Zeitensprünge 2/96, S. 234)? Das würde bedeuten, daß der Name der Kosmologien und Kosmogonien retrospektiv ist, den historischen Blick auf etwas bezeichnet, was selber etwas ganz anderes war? Wenn die Liebe „eine Menge Sünden zudeckt“, so gründet das in ihrer Arglosigkeit, darin, daß sie völlig unparanoid ist. Das Geld leistet nur scheinbar das Gleiche: durch die Instrumentalisierung, in der es gründet, wird es zu einer Quelle der Paranoia; es ist nicht die Arglosigkeit, die die Sünde der andern nicht sieht, sondern die List, die dem andern den Blick auf die eigene Sünde verstellt. Die Liebe läßt sich in die Logik des Schuldverschubsystems, die mit dem Geld sich entfaltet, nicht hineinziehen. Verhält sich nicht der Raum zum Licht wie das Geld zur Liebe? Die indoeuropäischen Sprachen, die unterm Apriori des Inertialsystems stehen, das in ihnen sich entfaltet hat, sind Verkörperungen des gekreuzigten Worts. War nicht die 68er Bewegung die ironische Erfüllung, und damit die Widerlegung des Adornoschen Konzepts einer „vollständigen Säkularisierung aller theologischen Gehalte“? Und hat nicht in der Tat schon Adorno in der Benjamin-Rezeption die Weichen falsch gestellt, allerdings auf andere Weise, als es die „Argument“-Kritik darzustellen und nachzuweisen versucht hat? Hat es nicht einen hohen symbolischen Stellenwert, wenn Adorno im wörtlichsten Sinne Opfer einer Aggression durch Nacktheit geworden ist, einer Aggression, die Schmidt-Noerr nicht einmal mehr als solche zu erkennen vermag? In jeder Empörung steckt ein Keim der Verdummung, der Widerstand dagegen, in die Entstehungsgeschichte dessen, worüber man sich empört, sich hineinzuversetzen. Was heißt „durch die Blume sprechen“? Es ist offensichtlich das Gegenteil der offenen, frontalen Kommunikation (die den andern als Subjekt anerkennt). Es ist die reflektierte Form des „im Angesicht des Andern (in seiner Gegenwart) hinter seinem Rücken Redens“ (war nicht die Sprache der Auguren eine Vorform des „durch-die-Blume-Sprechens“?). Mobbing ist ein Verwaltungsgewächs, eine Büroblume. Seit wann sind Büros mit Pflanzen und Blumen zugestellt? Und seit wann gibt es die Theorie, daß Blumen ein Büro „menschlicher“ machen? Ist es nicht die „Unschuld“ der Blume (die Subjektlosigkeit, die der Schuld nicht fähig ist), die diesen metaphorischen Gebrauch des Namens der Blume zu begründen vermöchte? Kommen in der Bibel Blumen vor (Lilien, Narzissen, Mandelblüte, das Blühen des Feigenbaums, des Weinstocks, die Blume des Grases)?
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15.6.96
Als Hegel die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik transformierte, hat er die Logik ästhetisiert. Die Spuren davon sind in der Hegelschen Logik nachzuweisen, insbesondere im Stellenwert und in der Funktion des Begriffs des Scheins, aber auch im Konzept der „List der Vernunft“ und nicht zuletzt in der Idee des Absoluten selber. So ist die Hegelsche Logik zur dialektischen Logik geworden.
Sind nicht die von Daniel Goldhagen herausgearbeiteten Elemente des deutschen Vernichtungs-Antisemitismus in Strukturen aufzuweisen, die den Faschismus deshalb überlebt haben, weil er nie wirklich aufgearbeitet worden ist, insbesondere in der schrecklichen Neigung der Deutschen, sich ständig in den Augen der anderen (des „Auslands“) zu sehen? Dem entsprechen die öffentlichen Reaktionen auf Anschläge auf Ausländer, an denen ein deutscher Innenminister nur schlimm fand, daß sie „im Ausland“ einen so schlimmen Eindruck machen? (Wenn es das Ausland nicht gäbe, dann dürften wir’s?) Die Taten selbst und ihre entsetzlichen Folgen wurden nicht einmal wahrgenommen. Seitdem laufen alle Meldungen über Anschläge auf Wohnungen, in denen Ausländer wohnen, solange die Täter noch nicht ermittelt wurden, mit der stereotypen Erklärung, „ausländerfeindliche Motive“ seien nicht erkennbar.
Nach 68 haben wir eine Form der Auseinandersetzung mit dem Faschismus gefunden, die es nicht mehr nötig hat, wirklich an die Wunde rühren. Auch das ist ein Resultat der „68er Bewegung“, die aus dem Bann der Logik ihrer Eltern nie herausgetreten ist.
Hat die Grundthese Daniel Goldhagens nicht schon in den „Minima Moralia“ gestanden: in dem Hinweis auf das Gespräch im Eisenbahnabteil, das in seiner Konsequenz auf einen Mord hinausläuft? Diese Gespräche gibt es auch heute noch, nur daß niemand mehr die Sensibilität aufweist, die die Voraussetzung wäre, um die Konsequenzen dieser Gespräche noch wahrzunehmen.
Was hat Jean Amery, Primo Levi, Paul Celan in den Selbstmord getrieben, wenn nicht die Erfahrung, daß die schrecklichen Erinnerungen am steinernen Herz der Gegenwart abgeprallt sind, die Öffentlichkeit nicht erreicht haben?
Es gibt einige Lieblingsvokabeln der deutschen Medien, an denen man das demonstrieren kann. Dazu gehört das Adjektiv „selbsternannt“, auch der Hinweis von Autoren, die mit dem Faschismus sich befassen, daß es ihnen nicht darauf ankäme, „das Entsetzen zu konservieren“. Hier trifft sich die prinzipielle Gehorsamsbereitschaft gegenüber dem Bestehenden mit dem drohenden Hinweis, daß man auf die Gefühle derer, die den Schrecken und das Entsetzen nicht mehr loswerden (die sie „konservieren“), keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht. So wurden die letzten, die sich noch erinnerten, unter Quarantäne gestellt, als wären sie Aussätzige.
Haben die Emotionen, die das Stichwort „Rinderwahnsinn“ provoziert, die nicht unbegründet sind, nicht auch etwas mit diesem verdrängten antisemitischen Bodensatz zu tun?
Die antisemitische Tradition wurde u.a. konserviert durch eine Tradition, die von den Flüchtlingswitzen nach dem Krieg bis hin zu den Türkenwitzen der 80er Jahre reicht, bevor diese Tradition dann in einer manifesten Ausländerfeindschaft explodierte. Es gibt in der Tat einen Zusammenhang zwischen dem Antisemitismus und einer Witz-Tradition, zu der auch die an Stammtischen wie in der Politik allgegenwärtigen sexistischen Zoten gehören, an denen die Mechanismen der Demütigung des Opfers und der Komplizenschaft der Lachenden sich demonstrieren lassen.
Dazu gehört auch eine Logik, die in völliger Umkehrung der Grundsätze der Gastfreundschaft davon ausgeht, daß Fremde als „Gäste“ in Deutschland sich anzupassen haben.
Wer an diese Dinge erinnert, wird prompt darauf hingewiesen, daß es diese Dinge doch nicht nur in Deutschland gibt, sondern auch in den USA, in Frankreich, in Polen und wer weiß, wo sonst noch. Als ob das eine Entschuldigung wäre.
Sind nicht Vorurteile generell synthetische Urteile apriori, und ist nicht eines der ersten das antisemitische Vorurteil? Das kantische „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ ist zum logischen Repräsentanten des Kollektivs, des Nationalismus und seiner Derivate geworden.
Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat Einstein die Lichtgeschwindigkeit und den ganzen Bereich der Erscheinungen, auf den sie sich bezieht, von der empirischen auf die systemische Ebene verschoben. Es war die besondere Leistung der „Kopenhagener Schule“, daß sie, indem sie Einstein für veraltet erklärte, diese Einsicht verdrängt hat. Das gilt vor allem für ihre deutsche Version, für die Gruppe um Heisenberg und Weizsäcker. So brauchten sie sich um die Irritationen der speziellen Relativitätstheorie nicht mehr zu kümmern, ersparten sich aber zugleich die Peinlichkeiten der „deutschen Physik“.
Wird nicht heute das Konzept der Gewaltenteilung dadurch obsolet, daß die Gewalt, um deren Teilung es geht, aus der Politik in die Ökonomie gerutscht ist? Gesetzgebung, Verwaltung und Richten: Heute vereinigt sich das in der Gewalt, die im Tauschprinzip (im Wertgesetz, in der normativen Gewalt des Marktes) sich verkörpert.
Ist nicht die Gewaltenteilung ein Säkularisat der Trinitätslehre und durch sie vorbereitet? Und hängen nicht beide auf eine unterirdische Weise mit der Dreidimensionalität des Raumes, mit den Verdrängungsprozessen, in denen dieses Konstrukt sich konstituiert, zusammen: mit der Abstraktion von den qualitativen Differenzen der räumlichen Dimensionen? -
10.6.96
Im „Neuen Denken“ spricht Franz Rosenzweig vom „hintertückischen, verandernden Wissen des Denkens“ (Franz Rosenzweig, Die Schrift, hrsg. Karl Thieme, S. 193). Ist nicht die Bekenntnislogik ein Produkt der Anwendung der Logik des Wissens auf den Glauben? Nur fürs Wissen gilt, daß zwei einander widersprechende Sätze nebeneinander nicht bestehen können. Vgl. hierzu das Wort vom Beelzebub.
Das Wort „Ihr sollt nicht schwören, eure Rede sei ja, ja, nein, nein“ richtet sich auch gegen die Logik des Wissens, die (in den zugrundeliegenden Formen der Anschauung) auf einen Schwur sich gründet, der das All (die Welt) als Zeugen anruft. Jeder Beweis gründet in einem Schwur (in einer Zeugenschaft).
Sind die Emanationen der transzendentalen Ästhetik, neben den subjektiven Formen der Anschauung insbesondere das Geld und die Bekenntnislogik, die allesamt Instrumente der Instrumentalisierung sind, nicht apriorische, institutionalisierte Formen des falschen Zeugnisses?
Das allen hierarchischen Strukturen zugrundeliegende Verhältnis von Delegation, Verantwortung und Exkulpierung läßt sich am Beispiel der Hundehalter demonstrieren: Wenn der Hundehalter das Handeln, das er sich selber verbieten muß (die Aggression gegen einen Fremden) an den Hund delegiert, sind beide exkulpiert: der Hund, der seine Pflicht tut, aber nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, weil er nicht weiß, was er tut, und der Hundehalter, der es ja nicht selbst getan hat.
Die 68er Bewegung, der Antifaschismus als Kirche, oder die vollständige Verwirrung der Bekenntnislogik: Gibt es nicht heute einen philosemitischen Antisemitismus, eine Orthodoxie des Verrats und einen sexistischen Feminismus. Hat der Greuel am heiligen Ort etwas mit dem Glauben an die magische Kraft des Urteils zu tun?
Ist nicht die Furcht vor dem Tod, mit der der Stern der Erlösung anhebt, eine stellvertretende Furcht, ein Produkt des verdrängten Bewußtseins, daß die Geschichte die Produktionsstätte eines riesigen Leichenberges ist, eines Leichenberges, in dessen Anblick alle Unsterblichkeitshoffnungen verdampfen? Die Todesangst (und seine christliche Verarbeitung in der Opfertheologie) war der Motor der Identifikation mit der Welt, der Identifikation mit dem Aggressor, der diesen Leichenberg produziert hat, während der Leichenberg selber als Repräsentant dessen zu begreifen wäre, was seit dem Ursprung der Zivilisation Natur heißt (Natur ist der Name des Knotens, der zu lösen ist).
Franz Rosenzweig hat einmal auf die Komik hingewiesen, die in der Geschichte der ägyptischen Froschplage steckt, bei der die Frösche in die Betten und in die Backtröge eindringen (Ex 8). Haben diese Frösche etwas mit den Fröschen in der Apokalypse zu tun (den drei Fröschen, die aus dem Munde des Drachen, des Tieres und des falschen Propheten kommen – Off 1613)?
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum (die Neutralisierung der Unterschiede von vorn und hinten, rechts und links, oben und unten) gehört zu den Konstituentien sowohl der Orthogonalität als auch des Objektbegriffs. Beide, die Orthogonalität und der Objektbegriff, gehören zusammen. Die Orthodoxie hat mit der objektkonstituierenden Logik, mit der Logik des Wissens, diese Orthogonalität in die Lehre hineingebracht (sie „hintertückisch verandert“). Eine Orthodoxie in diesem Sinne kennt nur das Christentum.
Gott hat die Finsternis erschaffen und dann das Licht gebildet. Steckt nicht in dem Slogan „Bewahrung der Schöpfung“ ein Stück der Intention, die die Finsternis, in der es sich eigentlich ganz gut leben läßt, vor diesem Licht bewahren möchte? Die Finsternis war die letzte der ägyptischen Plagen, vor der Tötung der Erstgeburt.
Hat nicht das Christentum immer wieder die Bibel nur zur Illustration der Gegenwart benutzt – so ist die Schrift erbaulich geworden -, während es darauf ankäme, die Gegenwart im Licht der Schrift zu begreifen? Nur so wird aus dem Instrument der Rechtfertigung eins der Befreiung. Wurzelt nicht der Glaube an die Magie des Urteils im Rechtfertigungszwang (der die 68er Generation so überfallen hat, daß sie keinen andern Ausweg mehr sah). Blasphemischer Text eines HJ-Liedes: „Unsere Fahne flattert uns voran, unsere Fahne ist die neue Zeit, unsere Fahne führt uns in die Ewigkeit, ja, die Fahne ist mehr als der Tod.“ -
31.5.96
Die kantisch-hegelsche Definition der Wahrheit als „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“, die unterstellt, daß Wahrheit ohne Versöhnung möglich sei, ist unerfüllbar.
Gershom Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Frankfurt/M. 1972:
– Nach kabbalistischer Anschauung ist es der Hahnenschrei, der die Macht des strengen Gerichts, die am Abend die Welt beherrscht, bricht; danach werden die Geister und Dämonen keine Gewalt mehr haben. (S. 195, vgl. auch Anm. 48, S. 277)
– Magie ist nach der Kabbala ein erst im Sündenfall Adams, des ersten Menschen, sich eröffnendes Vermögen; magisches Wissen ist ein Wissen um die Blätter vom Baum der Erkenntnis (die gleichen Blätter, mit denen die ersten Menschen ihre Blöße verhüllten); „erst in der Nacktheit Adams … bricht die Magie als ein Wissen ein, das diese Nacktheit verhüllen kann“. (S. 228) Ist das formalisierte Bekenntnis die rationalisierte Gestalt der Magie?
– Gershom Scholem zitiert eine (bei Hieronymus zitierte) Stelle aus Origenes, wonach der Rock aus Fellen („die Gewänder aus Haut“) die Materialisierung des Leibes symbolisiert. „Diese These findet sich auch öfters in der kabbalistischen Literatur.“ (Vgl. Anm. 37, S. 283) Bezieht sich diese „Materialisierung des Leibes“ auf die der Willkür entzogenen vegetativen Prozesse des lebendigen Organismus?
– An anderer Stelle verweist Scholem auf die im christlichen Hexen-Wahn wiederkehrende Vorstellung von dämonischen Wesen, in denen reine Geistigkeit und Sexualität eine dämonische (diese Form der Dämonie konstituierende) Verbindung eingehen (succubi und incubi, vgl. S. 203). Reflektiert diese Vorstellung nicht eine Phase im Objektivierungsprozeß, in der Geschichte des Begriffs (und der Sprachlogik): die Konstituierung des gegen die Sprache sich verselbständigenden Objektbegriffs, die Trennung von Ding und Sache, den Ursprung und die Rezeption des Dingbegriffs, schließlich den Ursprung des modernen Naturbegriffs (das Korrelat des apokalyptischen „Unzuchtsbechers“)?
Ende der Prophetie: Der Objektbegriff ist der ins Sehen transformierte (der der Sprache entkleidete, zum Verstummen gebrachte) Gottesname.
Es stimmt nicht ganz, daß der Kaiser im Märchen nicht vorkommt: Er wird durch die Figur des Teufels repräsentiert, aus der er nur mit Hilfe des Antisemitismus herausgebracht, getilgt werden konnte (durch die Identifizierung von Teufel und Jude, die schon in der Gnosis, in der projektiven Identifizierung des Demiurgen, der eigentlich den Kaiser und die Form der staatlichen Institutionen, die er repräsentiert, bezeichnet, mit dem jüdischen Schöpfergott, aufs deutlichste hervortritt).
Kaiser, Teufel und Objektbegriff (Dingbegriff) bilden eine (sprach- und bewußtseinslogische) Konstellation. (Die Krisen der römischen Kaisergeschichte spiegeln die Unfähigkeit wider, Sache und Ding zu trennen. Das ist erst dem mittelalterlichen Christentum auf der Basis der Eucharistieverehrung gelungen.)
Ist die Trinitätslehre der Inbegriff der drei ersten ägyptischen Plagen als Dauerplage (was die Reduzierung auf die sieben Plagen der Apokalypse, auf das „Lösen der sieben Siegel“, erklären würde)? Ist die Kirche das instantisierte Pantheon (und so zum Bekenntnisgrund der imperialen Weltverfassung geworden)?
Beitrag zur Kritik der Physik: Die Feuer der Hölle, das sind die Feuer der Empörung, die im entzündeten Ich auflodern und an dessen Ohnmacht (an der Ich-Schwäche) sich nähren.
Haben nicht die Ableger der 68er Bewegung, von der raf bis zu den Grünen, sich in den Verstrickungen einer Logik verfangen, die die Realität zum Betonblock gerinnen läßt, einer Logik, die seitdem die Öffentlichkeit beherrscht, sie gegen jede kritische Reflexion der Wirklichkeit und gegen Selbstreflexion abschirmt? Antje Vollmer hat ebenso wenig begriffen, was im Hogefeld-Prozeß abläuft, wie Birgit Hogefeld selber. -
29.5.96
In welcher Beziehung stehen Skulptur und Bild zum Raum? Die Skulptur steht im Raum, dessen dämonische Gewalt, vor der der Tempel sie nur scheinbar abschirmt, in ihm sich reflektiert; sie hat den Raum außer sich, wird dadurch selber zum räumlichen Objekt. Das Bild öffnet die Grenze des Raumes, der als subjektive Form der Anschauung durch den Betrachter verinnerlicht wird, während er zugleich in der perspektivischen Organisation des Bildes sich reproduziert.
Aufklärung ist Feindaufklärung.
In der Kabbala und im Märchen gibt es Könige, aber keinen (weltkonstituierenden und -beherrschenden) Kaiser. Von der Kabbala unterscheidet sich das Märchen durch die Gestalt des Prinzen, die in der Kabbala nicht vorkommt. Woher kommt der Name des Prinzen, hat er etwas mit dem christlichen Rezeption (und Umformung) des Märchens (und mit dem Gestalt des Erstgeborenen) zu tun? Weist der Prinz nicht deutliche messianische Züge auf?
Der Habermassche „Verfassungspatriotismus“ – ein Wort, das in einer Zeit geprägt wurde, als die Verfassung bereits demontiert wurde – war ein Stück Zwangskomplizenschaft, die (ähnlich wie der Angriff der raf auf den Staat, nur von der anderen Seite her) die kritische Theorie zum Verstummen gebracht hat. – Kein Zufall, daß die 68er Bewegung das Problem des falschen Bewußtseins verdrängt hat. Damit aber war der Schlüssel zur kritischen Theorie des Faschismus verloren; der „Kampf gegen den Faschismus“ sah sich auf Mittel, die selber dem Arsenal des Faschismus entstammten, verwiesen: Es gab für ihn keine anderen mehr.
Die 68er Bewegung steht unter dem Bann eines Provokationszwangs, der, indem er gegen die „Autoritäten“, vorab gegen die eigenen Eltern, sich richtet, vor den unerfüllbaren Forderungen des Über-Ichs kapituliert, damit aber der Ich-Bildung den Boden entzieht.
Die Verwerfung der Barmherzigkeit (des Gedankens, daß es ein reines Draußen nicht gibt) führt direkt in die Paranoia (in die Zwänge der Logik der verfolgenden Unschuld).
Zum Ursprung des Römischen Rechts: War nicht das erste Handels- und Privatrecht Kriegsrecht (Produkt der inneren Organisation des Imperialismus)?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie