Adorno

  • 11.5.1995

    Liebet eure Feinde: Das heißt nicht, daß wir sie als Feinde lieben sollen, sondern daß wir in der Feindschaft, in der eigenen wie auch in der des Feindes, den Bann der Vergangenheit (und darin den eigenen projektiven Anteil) erkennen.
    Die kopernikanische Wende war der Beginn und das gegentändliche Korrelat sowohl des bürgerlichen Autonomie-Konzepts als auch der Vergesellschaftung von Herrschaft: Seit der kopernikanischen Wende (die die Kritik des „Anthropomorphismus“ radikalisiert hat) gibt es kein wirksames Argument mehr gegen den Mord. (Spiegeln sich nicht im Verhalten der vom Kolonialismus Befreiten die Erfahrungen mit den ehemaligen Kolonialherren wider; wiederholen die befreiten Völker und ihre neuen Herren nicht wie unter einem Zwang das gleiche Verhalten, das ihnen zuvor von den europäischen Herren eingebläut worden ist?)
    Prophetie heißt nicht die Zukunft voraussagen (so wie ein Physiker das Ergebnis eines Experiments voraussagt). Die Zukunft, auf die die Prophetie sich bezieht, ist eine, die der prophetischen Erkenntnis nicht äußerlich ist; die Beziehung des Wissens zu seinem Objekt (das an der Beziehung zu Vergangenem sich orientiert) ist für die Prophetie kein Maßstab: Prophetische Erkenntnis sprengt die Grenzen des Wissens, indem sie vom Bann der Vergangenheit sich befreit, der auf dem Wissen liegt. An den Grund der Prophetie rührt die Bemerkung aus der Vorrede zur Dialektik der Aufklärung: „Nicht um die Konservierung der Vergangenheit, sondern um die Einlösung der vergangenen Hoffnung ist es zu tun“ (Neupublikation 1969, S. 5).

  • 9.5.1995

    Steckt nicht in dem Satz aus der Dialektik der Aufklärung: „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“ (Neupublikation 1969, S. 19), die ganze Kritik des Inertialsystems und der Raumvorstellung? Die Distanz zum Objekt und die Beziehung des Herrn zum Beherrschten gründen in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Ist nicht, was bei Kant Erinnerung heißt, eine in die Vergangenheit zurückprojizierte Planung?
    Sind die Planeten Instrumente zur Austarierung des Zeitkontinuums (und damit auch des Inertialsystems: des dreidimensionalen Raumes)?
    Das Menetekel: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden, ist ein frühes Symbol des Inertialsystems (und jeder Ästhetik): der Abstraktion von der Schwerkraft.
    Was haben Rind und Esel mit der Gravitation zu tun? Gibt es nicht auch eine astronomische Anwendung des Satzes vom Rind und Esel (auch ihrer Beziehung zum Opfer, zur Auslösung der Erstgeburt)? Sind nicht Sünde und Schuld die moralischen Äquivalente der Gravitation (und Objekt und Begriff Reflexe der Abstraktion von der Gravitation)?
    Ist die Technik der Esel und die Ökonomie das Rind? Und ist nicht die Beziehung von Technik und Ökonomie (von äußerer und innergesellschaftlicher Naturbeherrschung) ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Beziehung von Astronomie und Banken? Verweist nicht die Unterscheidung der Zentralbanken von den Geschäftsbanken und innerhalb der Geschäftsbanken die Unterscheidung von Depositen- und Kreditbanken auf den Grund der Dreidimensionalität des Raumes?
    Was bedeutet eigentlich der Spruch „quod licet Jovi non licet bovi“?
    War nicht die Astrologie so etwas wie das frühe Modell einer Regierung: mit Jupiter (Baal?) als Regierungschef, Mars (Nebu?) als Verteidigungsminister, Venus (Ischtar?) als Familienminister und Merkur als Handels- und Wirtschaftsminister; Saturn wäre dann der Finanzminister? Von den klassischen Ressorts fehlen (aus rekonstruierbaren Gründen) insbesondere der Außen- und der Justizminister.
    Und ist nicht die Musik das Echo des Seufzens der Kreatur, das am Ende seinen Wiederhall in den Posaunen des Gerichts und den sieben Donnern finden wird? (Haben die sieben Donner etwas mit dem Brüllen JHWHs zu tun, oder auch damit, daß der Himmel am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollen wird, und hängt es damit zusammen, daß ihre Botschaft nicht niedergeschrieben werden durfte?)
    Der übermächtige Rachetrieb im Nachkriegsdeutschland, der die Politik, das Recht, aber auch die privaten Verhältnisse durchsetzt, gründet in den Racheängsten nach Auschwitz. Die Kollektivscham hat die Kollektivschuld nicht aufgelöst, sondern stabilisiert und zugleich verdrängt. Durch Transformation in die Kollektivscham ist die Kollektivschuld unauflösbar geworden.
    Läßt sich nicht an dem Thalesschen „Alles ist Wasser“ die Beziehung von Selbstreflektion und Vergegenständlichung sich demonstrieren. Was bei Aristoteles aus diesem Satz geworden ist, ist bereits ein Produkt der Veranderung der Thalesschen Intention.
    Den Positivismus aus dem Gesetz der doppelten Negation ableiten.
    Im Begriff des Notwendigen bezeichnet die Not eher das Subjekt als das Objekt des Wendens.
    Drückt nicht das Moment der Abwehr in der Habermasschen Philosophie aufs deutlichste in der Irrationalisierung der Mimesis (im Nachwort zur Neupublikation der Dialektik der Aufklärung) sich aus (hier prallt der Habermassche Gedanke von der Härte des unreflektierbar gewordenen Raumes ab)?
    Newtons Theorie des absoluten Raumes war darin begründet, daß die Drehung des Raumes um eine seiner Achsen zwar die Form des Raumes, nicht aber die Bewegungen in ihm, unberührt läßt. Das Relativitätsprinzip gilt nur für Translationsbewegungen (für geradlinig gleichförmige Bewegungen), nicht für Rotationen. Ein ruhender Körper in einem um eine seiner Achse rotierenden Raum läßt sich von der Kreisbewegung eines Objekts in einem ruhenden Raum durch das Auftreten von Zentrifugalkräften (in denen die Inertialkräfte sich manifestieren) unterscheiden. Reale kreisförmige Bewegung (wie die Planetenbewegungen im kopernikanischen System) sind in einem Inertialsystem nur möglich, wenn die Zentrifugalkräfte durch Gegenkräfte aufgehoben werden, die nicht auf Inertialkräfte sich zurückführen lassen (wie z.B. die Gravitationskräfte). Noch verwickelter werden die Probleme im Falle der Anwendung des Inertialsystems auf das Licht: Die Erscheinung der Fortpflanzung des Lichts im Raume zieht zwangsläufig (und keineswegs nur empirisch) den ganzen Formalismus der Elektrodynamik und der Mikrophysik (einschließlich des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Paradoxien der Mikrophysik) nach sich: Das Inertialsystem verwandelt die Welt in die Totalität dessen, was der Fall ist.

  • 1.5.1995

    Die Erkenntnis des Guten und Bösen, die daran sich orientiert, wofür oder wogegen einer ist, orientiert sich damit am Prinzip der Selbsterhaltung.
    Erinnerungsarbeit heißt nicht sich dessen erinnern, was man einmal empfunden hat, sondern in die Erinnerung zurückrufen, was man von der Sache her hätte empfinden müssen und auch empfunden hätte, wäre das Wahrnehmungsvermögen nicht durch Rechtfertigungszwänge blockiert gewesen. Ziel der Erinnerungsarbeit ist nicht die Bewahrung der Identität, sondern ihre Sprengung: Wo Es war, soll Ich werden. Identitäten gibt es nur im Bann des Feind-Denkens.
    Die 68er Bewegung läßt sich daran erkennen, daß sie für ihre Eltern (für ihr Versagen unterm Faschismus) sich schämte. Aber blieb nicht die Scham in den Schatten dessen, wofür sie sich schämte, gebannt: den Schatten des Faschismus?
    Die Beziehung des ersten zum zweiten Teil des Stern der Erlösung ist das Modell einer Umkehr, die auch die Natur vom Bann der Naturwissenschaften zu befreien vermöchte. Das Christentum hat seit seinem Ursprung die Umkehr mit der Bekehrung verwechselt: Dadurch ist es zu einem Teil der Geschichte der Aufklärung geworden. Der Begriff der Bekehrung gehört zur Ursprungsgeschichte des modernen Objektivationsprozesses, der an den Bekehrten zuerst erprobt worden ist. Unter dem Bann dieser Konstellation steht die christliche Theologie (als Bekenntnistheologie) seit ihrem Ursprung. Das Bekenntnis bezieht sich in ähnlicher Weise auf die Wahrheit wie die Bekehrung auf die Umkehr: nämlich als Form ihrer Instrumentalisierung; beide sind Teil der Herrschaftsgeschichte, der Geschichte der Naturbeherrschung, in die das Christentum verstrickt ist.
    Zur Konstruktion der Mechanik und zum Bild der Stoßprozesse, die nicht zufällig am Verhalten von Billardkugeln demonstriert werden, gehört das Bild einer ebenen und glatten Fläche: die Realabstraktion vom Einfluß und von den Wirkungen der Gravitation, die Eliminierung der Fallbewegung. Das so Eliminierte kehrte dann als vergegenständlichtes Gesetz im Gravitationsgesetz, das zu den Konstituentien des Inertialsystems gehört, wieder.
    Entspricht nicht die Abstraktion vom Fall im Konzept des Inertialsystems in der Gesellschaft die Abstraktion von der Arbeit im Prozeß ihrer Subsumtion unters Tauschprinzip? Ist nicht die Logik, die das Geld aus dem Tauschverhältnis (statt aus der Institution der Schuldknechtschaft) herleitet, ein Teil der Logik, die das Inertialsystem als naturgegeben hinnimmt und von dem Abstraktionsprozeß, in dem es entspringt, abstrahiert? Den gleichen konstitutiven Abstraktionsschnitt (der dann in den Antinomien der reinen Vernunft reflektiert wird) vollzieht in der Transzendentalphilosophie Kants das Konstrukt der subjektiven Formen der Anschauung.
    Die Geschichte der Erfindung von Instrumenten (der Verdinglichung der Objekte) setzt historisch und genetisch die Entdeckung des Feuers voraus: Prometheus hat die Menschen den Gebrauch des Feuers gelehrt. Gibt es zu diesem Mythos eine Parallele in der Tradition der Bibel?
    Zu Metz‘ Bemerkung, daß man auch nach Auschwitz noch beten könne, weil auch in Auschwitz gebetet worden sei, wäre zunächst zu fragen, ob die Frage Adornos, ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne, auf das Gebet überhaupt sich übertragen läßt. Müßte im Falle des Gebets die Frage nicht heißen, wie man nach Auschwitz noch beten kann (ohne die Opfer zu verraten), nicht aber, ob man nach Auschwitz noch beten kann (diese Frage wäre zu erledigen mit dem Hinweis, daß, wer nach Auschwitz nicht betet, die Opfer nochmals verrät). Zu ergänzen wäre einzig, daß nur die Beantwortung der ersten Frage die Bejahung der zweiten zu begründen vermag.
    Lag nicht die Frage, wie man nach Auschwitz noch beten kann, unbewußt schon der Problemlage, aus der die „liturgischen Bewegung“ hervorgegangen ist, zugrunde; wobei die „Liturgiereform“ nur nur als Ausdruck dieses Problems, nicht als dessen Lösung sich erwiesen hat. Die Frage nach der Möglichkeit der öffentlichen Repräsentanz des Gebets nach Auschwitz, scheint mir, ist noch unbeantwortet. Ist diese Frage nicht eine Frage an die Theologie, die in der These sich zusammenfassen läßt:
    Die christliche Theologie ist seit den Kirchenvätern eine Theologie hinter dem Rücken Gottes,
    es käme aber darauf an, endlich Theologie im Angesicht Gottes zu treiben.
    Hierzu einige Erläuterungen:
    – Im Angesicht und Hinter dem Rücken, Beispiel: Kinder in der Familie („machen wir Gott autistisch?“),
    – Cohen/Levinas: Die Attribute (der Gegenstand der Gotteserkenntnis) sind Attribute des Handelns, nicht des Seins, sie haben den Charakter des Gebots (Der Satz: Gott ist barmherzig, heißt: Seid auch ihr barmherzig),
    – Sehen und Hören: Begriff und Name (Rosenzweig und Ernst Schlenker oder die Heiligung des Gottesnamens),
    – Theologie und Naturwissenschaften (Objektivation und Instrumentalisierung),
    – Apologetik, Rechtfertigung und parakletisches Denken,
    – das Gebet als Erinnerungsarbeit (die Vergangenheit offenhalten),
    – Camilo Torres: Revolution, Opfer und Gebet (Mt 522f, Mk 1125; vgl. Elena Hochman und Heinz Rudolf Sonntag: Christentum und politische Praxis: Camilo Torres, Frankfurt 1969, S. 92ff u. 108),
    – Reinhold Schneider: Allein den Betern kann es noch gelingen …,
    – Joh 129 und die sieben Siegel der Apokalypse,
    – der Weltbegriff.
    Zu Mt 1619 und 1818: Hat nicht die Kirche bis heute nur gebunden, nicht gelöst?
    Gunnar Heinsohn hat kürzlich auf die „Methode der parallelen Rätselkumulation“ aufmerksam gemacht: „Sie besagt, daß ein Einzelrätsel leichter zu lösen ist, wenn man es mit benachbarten Rätseln gleichzeitig angeht und einen gemeinsamen Grund für alle sucht.“ („Parallele Rätselkumulation – ‚Warum Auschwitz?’“, Zeitensprünge 1/95, S. 56f) Heinsohn verweist auf mehrere Beispiele, bei denen die Lösung eines Rätsels durch den direkten Zugriff nur erschwert, wenn nicht blockiert wurde, während sie durch Häufung paralleler Rätsel aus deren wechselseitiger Beziehung sich gleichsam von selbst ergab. Alle Beispiele, die er hierbei anführt, beziehen sich auf „Rätsel“, die selber wieder in einer merkwürdigen wechselseitigen Beziehung stehen und auf ein gemeinsames Zentrum zu verweisen scheinen. Und die Vermutung ist vielleicht nicht ganz unbegründet, daß die „Lösungs“-Methode selber auf einen gemeinsamen logisch-systematischen Grund zurückweist.

  • 30.4.1995

    Verhalten sich nicht Objekt und Begriff wie Angesicht und Name?
    Daß die Distanz zum Objekt (nach der Dialektik der Aufklärung) durch die Distanz vermittelt ist, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, gehört zu den Wurzeln des Weltbegriffs und verweist auf die vom Weltbegriff nicht abzulösende Herrschaftsstruktur. Im Erkenntnisapparat drückt sich das in den subjektiven Formen der Anschauung aus.
    Hic et nunc: Während die Unendlichkeit des Raumes ein Binneneffekt ist: ein in der über die Beziehungen der Punkte im Raum sich fortpflanzender Effekt der Struktur des Raumes (jeder Raumpunkt, jedes Hier, ist Ursprung des ganzen Raumes), ist die Vorstellung des Zeitkontinuums ein Außeneffekt: Sie bildet sich in der Subsumtion der Zeit unter die Vergangenheit, in einem Akt, in dem ich mich an das Ende einer an sich unendlichen Zeitreihe oder das (in der Zeit verschiebbare) Jetzt (und mit ihm die Vergangenheit) absolut setze, damit aber zugleich die Zukunft (ihre Differenz zur Vergangenheit) auslösche. Durch ihre Objektivation mache ich die Vergangenheit erst zur Vergangenheit, tilge ich die Erinnerung an die Auferstehung. Diesen Frevel sucht die Erinnerungsarbeit zu heilen. Diese Erinnerungsarbeit verhält sich zur Objektivation der Vergangenheit wie das Gericht der Barmherzigkeit zu seinem Objekt: zum gnadenlosen Weltgericht.
    Gegen die Objektivation der Geschichte (gegen das Gericht über die Vergangenheit) richtet sich der Satz: Mein ist die Rache, spricht der Herr.
    Im Inertialsystem erweist sich die wirkliche Funktion und Bedeutung der kantischen subjektiven Formen der Anschauung, die zum Inertialsystem erst dann sich verselbständigen (und zugleich ihre innere Logik freilegen), wenn die subjektiven Formen der Anschauung nicht mehr auf das eigene Anschauen, sondern auf das Anschauen der Andern, das in der eigenen sich spiegelt, bezogen werden: Jeder Raumpunkt, nicht nur der, an dem ich selber mich befinde (und dieser eigentlich erst durch Reflexion auf die Logik seiner Reproduktion außer mir), ist Ursprung des Inertialsystems. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Vergesellschaftung der Erfahrung und des Denkens im Subjekt, das Instrument der „Veranderung“, deren Produkt die Erscheinungen sind, die Kant dann auch von den Dingen, wie sie an sich selber sind, unteschieden hat. Die verkürzte Form der Logik, die das Reich der Erscheinungen organisiert (der Logik der Veranderung), drückt in den kantischen Totalitätsbegriffen, insbesondere in den Begriffen Natur und Welt, sich aus.
    Ist nicht die Spenglersche Sicht zu radikalisieren: Das „organische“ Wachsen der Kulturen ist kein pflanzenhaftes Wachsen (ist nicht in eine Folge von Kreisläufen einbezogen), sondern die Evolution und die Bildungsgeschichte des Tieres (vgl. Hegels Satz, daß „die Natur den Begriff nicht zu halten“ vermag und seine Begründung: Eigentlich dürfte es keine verschiedenen Arten geben, sondern innerhalb der Logik einer aus der Idee frei entlassenen Natur nur ein Tier).
    Die paulinische Gesetzeskritik gewinnt ihre ungeheure Bedeutung, wenn man sie aus dem antijudaistischen Kontext, in den die kirchliche Tradition sie versetzt hat, herauslöst und sie auf ihren Grund zurückführt: Das Gebot wird verfälscht, wenn man es zum Gesetz macht. Vgl. hierzu
    – Cohens und Levinas‘ Bemerkungen über die Attribute Gottes (die Cohen zufolge Atttribute des Handelns, nicht des Seins, sind, und nach Levinas im Imperativ, nicht in Indikativ stehen (der Satz: Gott ist barmherzig, bedeutet: sei auch du barmherzig),
    – Adornos „erstes Gebot der Sexualethik: der Ankläger hat immer unrecht“ (der Ankläger – der „Widersacher“ – macht aus dem Gebot für mich ein Gesetz für alle: aus der Richtschnur des Handelns einen Maßstab des Urteils für andere),
    – Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar (und zum Vergleich Jer 3134),
    – das deuteronomistische Wort vom Rind und Esel (Joch und Last),
    – den Begriff der „Erbsünde“, der nicht auf die Sexuallust, sondern auf die Urteilslust (die das Gebot für mich in ein Gesetz für alle transformiert), zu beziehen ist,
    – den Begriff des Gesetzes selber, der die Sünde von der Tat auf das Urteil über die Tat verschiebt (von der Handlung aufs Erwischtwerden), und seine Funktion bei der Begründung des Rechts und der Selbstbegründung des Staats,
    – das projektive Erkenntniskonzept, den Objektivationsprozeß, die Begriffe Natur und Materie, den Weltbegriff, insgesamt auf den philosophischen Erkenntnisbegriff,
    bezieht. Hier erst wird die Gnadenlehre konkret.

  • 22.4.1995

    Nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit: Gehört das Opfer zur Geschichte der projektiven Erkenntnis (zur Ursprungsgeschichte des Staates)?
    Adornos gelegentliche Bemerkung, daß man vom Selbst wahrscheinlich nur in theologischem Zusammenhang reden könne, bezeichnet genau den Kern seiner Bindung an die Ästhetik. Sie wird wahr nur, wenn man im Selbst nicht das eigene, sondern das des Andern begreift. Die Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen, ist nur theologisch zu begründen.
    Das Gebot der Nächstenliebe (Lev 1918) wird in der Fassung überliefert: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Dieses „wie dich selbst“ lautet in wörtlicher Übersetzung des hebräischen Textes „er ist wie du“ (Buber: Halte lieb deinen Genossen, dir gleich); es heißt nicht „er ist wie ich“. Erst im griechischen Text des NT erscheint das Selbst: „wie dich selbst“ (Mt 2239: agapäseis ton pläsion sou hos seauton – vgl. auch Mk 1231, Lk 1027).
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind nicht gleichwertig; beide sind durch die jeweils andere vermittelt: Die Vorstellung des Raumes setzt die Vergegenständlichung der Zeit (die Vorstellung eines Zeitkontinuums) voraus, die selber ein Produkt der Verräumlichung ist, die Form ihrer Beziehung zum Raum zur Grundlage hat. Die Form des Raumes konstituiert sich in diesem doppelten Akt: über das Konstrukt der Verräumlichung der Zeit. Das Inertialsystem ist das Produkt dieser doppelten Abstraktion; darin gründet seine Logik, in der Redundanz der Wechselbeziehungen der einzelnen Momente.
    Die Verräumlichung der Zeit hat ihre sprachliche Vorgeschichte in den Konjugationsformen, durch die die indoeuropäischen Sprachen z.B. von den semitischen sich unterscheiden, in der Bindung der Verben an die Zeit, ihrer Subsumtion unter die Zeit, die hier erstmals eine gegen das Tun und Leiden der Menschen selbständige Realität gewinnt (Grund der mythischen Schicksalsidee). Diese Konjugationsformen sind gemeinsam entsprungen mit dem Neutrum (dem dritten Geschlecht) und mit den Steigerungsformen des Adjektivs; sie sind Ausdruck einer tiefgreifenden Veränderung der inneren Logik der Sprache. Wenn es im Hebräischen keine Entsprechungen zu den Totalitätsbegriffen gibt, die die Geschichte der Philosophie beherrschen, zu den Begriffen des Wissens, der Natur und der Welt (an denen die idealistischen Systeme nach Kant sich abgearbeitet haben), so hängt das mit diesem sprachgeschichtlichen Vorgang, mit der seitdem differierenden Sprachlogik, zusammen. Diese Differenz läßt sich an der Beziehung zum Fremden, in der sprachliche und gesellschaftliche Strukturen sich durchdringen, demonstrieren: an den Namen der Barbaren und der Hebräer. Während die griechische Sprache zur eigenen Stabilisierung die Projektionsfolie der Barbaren (als distanzierende, vergegenständlichende Kollektivbezeichnung der Anderen) geschaffen hat, war die hebräische schon in ihrem Namen (in dem die Benennung durch andere als Selbstbezeichnung übernommen wird) auf die Reflexion der eigenen Fremdheit verwiesen. Diese inverse Beziehung zum Fremden ist ein gesellschaftlicher Reflex der grammatischen Differenzen.
    Gehören nicht die Namen der Barbaren und der Hebräer zur Ursprungsgeschichte der Schrift? Gehört nicht der phönizische Ursprung der Schrift (der Ursprung der Buchstabenschrift im Bedürfnis des Handels nach einer Schrift, die fremde Sprachen in ihrer Lautgestalt wiederzugeben in der Lage ist) zu den Voraussetzungen, aus denen die Namen der Barbaren (der die Fremden und die Stammelnden zugleich bezeichnet) und der Hebräer hervorgegangen sind? Nicht das Geld, sondern die Schrift gründet im Tauschprinzip; das Geld gründet in der Schuldknechtschaft (in der Tempelwirtschaft). Die Logik der Schrift ist die Logik der Entfremdung. Wie hängt der Name des Logos (und die theologische Idee der Erfüllung des Worts) mit dem Namen der Schrift (und dem Topos der Erfüllung der Schrift, die von der des Wortes wie der Kreuzestod von der Auferstehung sich unterscheidet) zusammmen? Die gegenwärtige Phase der Geschichte der Aufklärung (wie auch der Politik und der Ökonomie) scheint sich auf eine dramatische Weise in die Ursprungsgeschichte der Schrift und des Geldes (in die Ursprungsgeschichte des Staats und des Weltbegriffs) zurückzuschlingen.
    Die Theologie im Angesicht Gottes ist eine Theologie, in der Gott nicht mehr als Objekt vorkommt: der Anfang einer areligiösen Theologie.
    Der Schatten des Faschismus: das ist die Nacht der dritten Leugnung. Auf diese Nacht verweist das Krähen des Hahns in der Geschichte der drei Leugnungen.
    Joh 129, sein Kontext in der Johannes-Apokalypse: Das Kelchsymbol in der Prophetie und in Gethsemane, das sich auf das durchs Anschauen verhexte Denken bezieht, auf die Selbstverstopfung der Ohren durch die „optische“ Grundlegung des Denkens, auf die Unfähigkeit zu Hören (das deshalb in der christlichen Tradition durch den Gehorsam ersetzt wurde). Das Schiff des Odysseus, der Pfropf in den Ohren der rudernden Mannschaft und der Strick, mit dem Odysseus sich an den Mast hat binden lassen, gehören zusammen; und das Ganze hat etwas mit dem Kelch und den subjektiven Formen der Anschauung zu tun, auch mit dem „Grauen, Grube und Garn“ bei Jeremias. War nicht das Erlösungskonzept, das an den Begriff der Entsühnung der Welt sich anschloß, daran, daß „das Lamm … die Sünde der Welt hinweggenommen“ (und nicht, wie es bei genauer Übersetzung heißen müßte, auf sich genommen, H.H.) hat, für die andern das Grauen und die Grube, für die Christen aber das Garn, in das sie hoffnungslos sich verstrickten? Entsprechen nicht der Grube die subjektiven Formen der Anschauung (sowie der Begriff und, als dessen Totalitätsbegriff, die Welt), dem Grauen das Erstarren der Dinge zum Objekt (die „Erscheinungen“ und die Natur) und dem Garn die davon nicht zu trennende Selbstverstrickung des Subjekts (oder der Begriff des Wissens, der Grund und die Totalität dieser Selbstverstrickung)? Das Grauen ist das gegenständliche Korrelat der verinnerlichten Scham, der Grund der Erstarrung des Objekts, die Grube die Verkörperung des Schreckens (dessen gegenständliches Korrelat das Grauen ist) und das Garn das Symbol der Selbstverstrickung des Subjekts in diese Konstellation. Diese Konstellation wäre zu demonstrieren am Ursprung des Massenbegriffs, an der Bekenntnislogik, an der Gestalt des apokalyptischen Tieres (und seiner Beziehung zum Weltbegriff): des Tieres aus dem Meere, dem der Drache seine Macht verliehen hat, und des Tieres vom Lande, Inbegriff und Symbol des falschen Propheten, der Selbstlegitimation der Welt.
    NB: Die Bekenntnislogik ist aus dem gleichen herrschaftsgeschichtlichen Grunde indifferent gegen ihren Inhalt geworden, aus dem der Begriff der Materie von seiner Beziehung zu den materiellen Qualitäten sich emanzipiert hat. Die Austauschbarkeit der Bekenntnisinhalte ist Ausdruck des Stands der Naturbeherrschung. Damit hängt es zusammen, wenn gesagt wurde, daß mit der Reformation die häresienbildende Kraft erloschen sei (seitdem gibt es keine Häresien mehr, nur noch Sekten).
    Im Begriff der Masse schlägt die projektive Gewalt, die einmal in den Namen der Barbaren und der Wilden sich ausdrückte, ins Innere der Zivilisation zurück (in der gleichen logischen Konstellation, der auch im Ursprung des Antisemitismus sich ausdrückt). Deshalb wird das Zeitalter des Antichrist das Antlitz des Hundes tragen. Der Begriff der Masse ist das Realsymbol einer Logik, die die Theologie verhext, er bezeichnet aufs genaueste den Bann, aus dem der Name Gottes zu befreien wäre: Bezieht sich nicht hierauf das Gebot der Heiligung des Gottesnamens?
    Als das Christentum in die Welt hinausging, stand es im Bann des Weltbegriffs (der Philosophie und des Römischen Reiches). Dieser Bann drückte in der Theologie in ihrer vergegenständlichenden Gewalt (in der Theologie hinter dem Rücken Gottes), in der Logik der Orthodoxie, in der Bekenntnislogik, und in den durch sie determinierten inhaltlichen Bestimmungen des Dogmas (von der Opfertheologie über die Vergöttlichung Jesu bis in die Trinitätslehre) sich aus. Die Grundlegung dieses Konstrukts war die Leistung des Paulus (der nur Apostel, nicht aber Jünger Jesu war: seine Legitimation war das Zeugnis der Auferstehung, nicht die Nachfolge).
    Die Bekenntnislogik ist ein Teil der Logik des Weltbegriffs. Deshalb ist die Theologie zu einem Teil der Geschichte der Aufklärung (im Sinne der Dialektik der Aufklärung) geworden.
    Die moderne Aufklärung ist keine Häresie, sondern Ergebnis und Produkt der Selbstentäußerung der Theologie, die nur deshalb ohnmächtig gegen die Aufklärung ist, weil sie unfähig ist, darin sich wiederzuerkennen („da verließen ihn alle Jünger und flohen“).

  • 20.4.1995

    Wenn Scham die Fähigkeit ist, sich selbst in den Augen der Andern zu sehen („da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“), dann ist die Naturwissenschaft die Fähigkeit, die Dinge durch die Augen der Andern zu sehen: die endgültige Vertreibung aus dem Paradies.
    Kritik ist der Versuch, die Rechtfertigungszwänge, die von den Verhältnissen ausgehen, zu durchbrechen. Paulus, der den Rechtfertigungszwang in die Theologie eingeführt hat, war aus eben diesem Grunde nur „entrückt“, aber er hat nie „den Himmel offen“ gesehen. War der Grund der Stellung des Begriffs der Rechtfertigung in der paulinischen Theologie nicht die Rolle des Paulus beim Tod des Stephanus?
    Zu Philosophie Adornos: Leider hat nicht jeder seinen Max Horkheimer.
    Zur Kritik der Eucharistie: War nicht die Matrosen-Uniform der Erstkommunikanten in Deutschland eine (kaiserliche) Vorform der Jungvolk-, HJ- und dann SA-Uniform?
    Homousia: Der Logos, ist das nicht in der Tat das Wort, bei dem der Sohn den Vater nimmt, und durch das er dann mit ihm eins wird (den Bann der väterlichen Autorität, dadurch daß er sie sich selbst zueigen macht, bricht)?
    Hat nicht Alphaeus etwas mit Alpha/Aleph zu tun? Worauf bezieht sich dann der Name des Thaddaeus (Zusammenhang mit thodah, Lob, Lobpreis: Thaddaeus – Laudans)?
    Kindheitserinnerungen haben etwas mit der „anderen Seite“ der Welt zu tun.
    Die Rezeption des Weltbegriffs hat die Theologie zu einer Theologie hinter dem Rücken Gottes gemacht, die dann zwangsläufig die Opfertheologie, die Vergöttlichung Jesu und die Trinitätslehre nach sich gezogen hat. Hierauf beziehen sich das biblische Kelchsymbol, das Wort über die Ärgernisse und die Geschichte der drei Leugnungen Petri. Die Beziehung des Logos zur Schöpfungslehre läßt sich sowohl auf die creatio mundi ex nihilo, als auch auf den ersten Satz der Genesis (die Erschaffung des Himmels und der Erde, die mit der creatio mundi nicht identisch ist) beziehen; im ersten Falle wird der Logos zum Begriff (fällt er in den Zusammenhang der Logik der Schrift), im zweiten Fall verweist er auf die erkennende Kraft der Sprache und auf die Erfüllung des Worts.

  • 17.4.1995

    Die mathematische Rationalität ist eine der Ebene (die ihr Gegenteil als Spiegelung in sich enthält). Das Problem kommt herein mit der Tiefe, die die Mathematik als Physik realisiert: mit dem Plastischen, mit dem Widerstand, mit der Schwere. Hierbei verweist die Schwere auf die Gravitation, der Widerstand auf die Mechanik und das Plastische auf das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Die dritte Dimension ist als deren Norm das Innere der Fläche. Und verhalten sich nicht Norm und Fläche wie die Gravitation zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit?
    Ethik: Ist das nicht heute der Versuch, Perspektiven und Rechtfertigungen für institutionelles Handeln zu gewinnen (allgemeingültige Normen)? Ethik richtet sich an Institutionen; das gilt auch für die „personalistische Ethik“ (für die Wertethik, die sich an die Repräsentanz der Institutionen in Subjekt richtet, an die „Person“). – Merkwürdig, daß ich Adornos Satz zur Sexualethik als einen Satz zur Sexualmoral in Erinnerung habe: Verhält sich die Ethik zur Moral wie die Ästhetik zur Kunstphilosophie? Schließen nicht Moral und Kunstphilosophie die Vergegenständlichung dessen mit ein, was Adorno in der Reflexion halten möchte? Aber sind nicht Vergegenständlichung und Reflexion siamesische Zwillinge, die sich nicht von einander trennen lassen, ohne daß beide sterben?
    An welchen Stellen kommt der Kaiser im NT vor? (Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, Mt, Mk, Lk. – Wir haben keinen König als den Kaiser, Joh. – Vgl. die Kindheitsgeschichte bei Lk und Paulus in der Apg.)
    Ist die Sünde wider den Heiligen Geist nicht aus ihren Folgen zu erschließen: Sie wird weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben. Nicht vergeben aber wird dem, der selber nicht vergibt, der zur Verteidigung des Andern nicht bereit oder fähig ist, weil er mit dem Ankläger sich identifiziert. Das aber ist das Prinzip der Welt, der Grund ihrer Verführungsgewalt.
    Müßte nicht insbesondere die Kirche endlich begreifen, was der Satz bedeutet: Mein ist die Rache, spricht der Herr? Dieser Satz schließt jede kirchliche Komplizenschaft mit der Rechtsordnung, der gesellschaftlichen Organisation des Rachetriebs, aus. Hiernach dürfte sich die Kirche durchs Gewaltmonopol des Staates nicht mehr dumm machen lassen. Die Idee des Staates gründet im Prinzip der Vergesellschaftung der Rache, und das Gewaltmonopol des Staates („Alle Gewalt geht vom Volke aus“) hat seine Wurzeln im unaufgelösten Rachetrieb der Menschen. Ist nicht der Staat selber der Terrorist, den er projektiv mit dem 129a verfolgt? Müßte nicht endlich der Faschismus zum Gegenstand einer Selbstaufklärung der staatlich organisierten Gesellschaft werden (zum Gegenstand einer Selbstaufklärung, die die Sensibilisierung für Gewalt zum Ziele hat)?
    Rotes Tuch: Ein Staat, der geliebt werden will, ist wie ein Stofftier, das die Liebe instrumentalisiert und ausbeutungsfähig macht (war nicht die goldene Statue des Nebukadnezar das erste Stofftier?). Der Staat, der geliebt werden will, ist eine Projektion derer, die den Staat (den „Schöpfer der Welt“) als Ich-Stütze brauchen: Ihnen werden alle, die dieser Stütze nicht bedürfen, zu Objekten der Wut. Ist das nicht ein Hinweis auf Bölls Sakrament des Büffels (und auf das Verständnis der Tatsache, daß das Symbol des Rindes in der christlichen Symbolwelt nicht mehr vorkommt, weshalb das Symbol des Esels unverständlich geworden ist).
    Der „Götzendienst“ gehört (wie die antiken Kosmologien) zur Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs.
    Beruht nicht die gesamte Physik auf der Übertragung des Tauschprinzips auf die Erscheinungen der Natur (die in diesem Akt zur Natur erst wird)? Das Instrument dieser Übertragung war einmal der Begriff, der dann im Inertialsystem sich entfaltete und vollendete, sich aus seinem eigenen Grunde selbst erzeugte und begriff. Das Inertialsystem hat die Natur in ein System mathematischer Äquivalenzbeziehungen aufgelöst (sie damit in einen mathematischen und einen dynamischen Teil aufgespalten).
    Ulrich Sonnemanns „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“: War das nicht eine Paraphrase zum Thema „Im Angesicht und Hinter dem Rücken“?
    Theologie wird wieder möglich, wenn es gelingt, die Beziehung von oben und unten aus dem Räumlichen ins Sprachliche zurück zu transformieren.
    Im 18. Kapitel des Johannes-Evangeliums steht ein Satz über Petrus, mit dem „angedeutet“ werden soll, „durch welchen Tod er Gott verherrlichen werde“ (V. 18f), während es über Johannes heißt: „Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an?“
    Haben sich die Gewichte nicht schon so verschoben, daß es nicht mehr um das Neue unmittelbar, um das zukünftige Neue, sondern nur noch um das Neue im Alten, um das vergangene Neue geht? Nicht, daß die Vergangenheit uns hilft, wir müssen dem Vergangenen helfen.
    Herrschaft, Gewalt und Macht: Auch Frieden und Gerechtigkeit sollen herrschen. Eine ähnliche Bedeutung von Gewalt und Macht scheint es nicht zu geben. Wie es Herrschaft über andere (und mit ihr Knechtschaft) gibt, gibt es auch Gewalt über andere (Sklaverei); Macht hingegen wird an anderen ausgeübt. Herrschaft ohne Beherrschte wäre denkbar, wenn sie die Herrschaft aller ist. Gewalt und Macht hingegen enthalten (wie die transzendentale Logik) eine apriorische Beziehung zum Objekt in sich, von dem sie (wie das Urteil) abhängig sind.
    Der Satz „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“ wäre zu korrigieren: Es kommt darauf an, das Erbe zu reflektieren, daß man nicht davon besessen wird.
    Tiere haben die Scham (den Blick der Andern) verinnerlicht und instrumentalisiert: In der Farbe ihres Fells oder ihres Federkleids, aber auch in ihren wesentlichen (Flucht- und Aggressions-) Merkmalen. Die Scham gehört zum logischen Existenzgrund und zu den Formbestimmungen der Gattung.
    Zu dem Titel „Die Autorität der Leidenden“ (J.B.Metz): Wäre hier nicht zu unterscheiden zwischen dem Leiden der Anderen und dem eigenen Leiden, zwischen Last und Joch (das Leiden der Anderen ist meine Last, die ich auf mich zu nehmen habe, mein Leiden ist ein Joch, das ich anderen auferlege)? In jedem Fall ist die Verführung durchs Selbstmitleid zu reflektieren. Dieser Unterschied rührt an die Differenz zwischen dem steinernen Herzen und dem Herzen aus Fleisch, zwischen Barmherzigkeit und strengem Gericht.
    „Die Autorität der Leidenden“: Gibt der Begriff der Autorität die Intention von J.B.Metz korrekt wider?
    Der Satz aus den Passionsgeschichten „Den Andern konnte er helfen, sich selbst nicht“ liefert den Schlüssel zum Verständnis des Ganzen. Durch diesen Satz werden die Richtenden überführt.
    Sind die Disteln und Dornen nicht das Symbol des Staates (der zum Fluch über Adam nach dem Sündenfall gehört)?
    Sind nicht die sieben unreinen Geister die durch Selbstbezogenheit verunreinigten Geister: das Inertialsystem?
    Das Bekenntnis ist die geheuchelte Nachfolge, seine pharisäische Form (das „getünchte Grab“).
    Dritte Leugnung: Die Selbstverfluchung beginnt dort, wo die Paranoia anfängt, von den Freunden sich verfolgt zu fühlen, um sie dann präventiv zu Feinden zu erklären („Viel Feind, viel Ehr“). Zugleich wird man sich jedoch selbst zum Feind: Prinzip des Faschismus, der darin sein eigenes Gemeinschaftsprinzip, das Band, das alle „zusammenschweißt“, erkennt.
    Das Sakrament des Büffels: Der Büffel ist eine Art des Rindes. Es verweist auf das im Christentum verschwundene Stieropfer. Hat nicht die Kirche den Opferbegriff seit je zweideutig gehalten, so daß beides, das Sakrament des Lammes und das des Büffels darunter verstanden werden konnte? Vgl. Horkheimer: Das Christentum ist die menschenfreundlichste Religion; aber es gibt keine Religion, in deren Namen solche Untaten begangen worden sind.
    Der Letzte, der den Himmel offen sah, aber nicht mehr genau zu beschreiben vermochte, was er dort sah, war Swedenborg.
    War nicht die Auferstehung, das Hervorgehen aus dem Felsengrab, in das ihn Joseph von Arimathäa gelegt hatte, auch ein Bild der Geburt?
    Die Väter der Apostel:
    – Simon (und Andreas?) war der Barjonas, der Sohn des Johannes;
    – Jakobus und Johannes waren die Zebedäussöhne;
    – war Nathanael der Bartholomäus (und wer ist Tholomäus)?
    – der kleine Jakobus war (der Sohn) des Alphäus (und der andere Judas, nicht Ischarioth, sein Bruder?).
    Zu Judas Ischarioth: Steckt in dem Beinamen „isch“, der Mann, und die Pluralendung -oth? Und hat das -ari- etwas mit dem Löwen (vgl. Ariel: leo dei, symbolischer Name für Jerusalem) zu tun? Verweist diese Zusammensetzung (Judas als einer der „Löwenmänner“) auf zelotische Herkunft? (War Paulus ein Judas redivivus, mit Stephanus anstelle von Jesus: Beide, Judas und Paulus, handelten im Sold bzw. im Auftrag der Hohenpriester?)
    Vulgata, hebraicorum, chaldaeorum et graecorum nominum interpretatio:
    – Joseph – Augmentum, Domini Augmentum,
    – Simon – Obediens,
    – Andreas – Fortissimus,
    – Jacob – Supplantator,
    – Johannes – Gratiosus, Pius, Misericors,
    – Nathanael – Donum Dei,
    – Bartholomaeus – Filius suspendentis aquas,
    – Matthaeus – Donatus,
    – Levi – Copulatus,
    – Thomas – Abyssus, Geminus,
    – Judas – Laudatus,
    – Thaddaeus – Laudans,
    – Zebedaeus – Dos, Dotatus,
    – Iscariot – Vir occisionis,
    – Jonas – Columba,
    – Lazarus (Eleazar) – Dei adjutorium,
    – Barthimaeus – filius caecus,
    – Israel – Praevalens deo,
    – Hebraeus – Transiens,
    – Amalek – Populus lambens
    – Aegyptus (hebr. Misraim) – Angustiae, sive tribulationes,
    – Pharao – Dissipans,
    – Nabuchodonosor – Planctus judicii,
    – Gog (Agag) – Tectus,
    – Magog – De tecto,
    – Saul – Postulatus, Commodatus,
    – David – Dilectus,
    – Daniel – judicium Dei,
    – Cana – Zelus, Aemulatio.
    Was haben Visionen und Träume mit dem Exil (und mit der politischen, herrschaftsgeschichtlichen Konstellation, zu der das Exil gehört)? War (neben den Träumen des Pharao) der Traum des Nebukadnezar das Urbild des Traumes? Ezechiel hatte seine Vision „am Flusse Chebar, unter den Verbannten“ (Kap. 1 u. 10), aber nach Jerusalem wurde er (durch den Geist Gottes) „entrückt“ (Kap. 11), um dort die Greuel zu sehen, während der Tempel am Ende Gegenstand von „Gottesgesichten“ im Land Israel, auf einem sehr hohen Berg, war (Kap. 40-48).
    Gründet das Problem, daß Apokalypsen unter fremden Namen geschrieben wurden (ähnlich der Pseudodionysius und der Sohar), in der logischen Konstruktion von Vision und Traum?
    Konstruktion eines parakletischen Begriffs der Kritik: In der Ursprungsgeschichte der Naturwissenschaften, von Kopernikus bis Newton, wurde der Himmel (zusammen mit Hölle und Fegefeuer) aus dem Raum hinauskomplimentiert. Newtons „absoluter Raum“ (der bei Kant zur subjektiven Form der Anschauung geworden ist) war das „leere Grab“ des christlichen Himmels.

  • 15.4.1995

    Wenn die Attribute Gottes Attribute des Handelns und nicht des Seins sind, liegt dann nicht die „entsühnende“ Kraft des „Opfers“ in der Identifikation mit einem Gott, der seinen Sohn straft, um die Welt zu entsühnen? Wird hier nicht der eigene Sado-Masochismus durch Vergöttlichung legitimiert? Die Opfertheologie enthält in der Tat eine Schuldgefühle-Neutralisierungs-Automatik; aber deren Resultat ist nicht identisch mit der Befreiung von Schuld. Ist das nicht ein Teil der gleichen Desensibilisierung, der die gesamte Natur durch die Naturwissenschaften unterworfen wurde, durchs Inertialsystem. So verweist der Ursprung des Inertialsystems auf die Geschichte der Opfertheologie.
    Der Heilige Geist: Das ist das Leuchten Seines Angesichts; und dieses Licht wird das Antlitz der Erde erneuern.
    Persönlichkeit in der Verwaltung: Wer „persönlich“ angesprochen wird, wird als einer angesprochen, der am Mana der Macht teilhat. In der Regel werden Chefs „persönlich“ angesprochen; „Mitarbeiter“, die „persönlich“ angesprochen werden, setzen sich dem Verdacht aus, bestechlich zu sein.
    Hat nicht die Einführung des Personbegriffs der Theologie eine Wendung gegeben, durch die sie insgesamt ins Maskuline verhext worden ist. Das drückt bei Tertullian in der Vorstellung sich aus, daß Frauen, wenn sie in den Himmel kommen, dort zu Männern werden. Zum Personbegriff gehört der Bekenntnisbegriff: Confessor aber ist ein dem männlichen Heiligen vorbehaltenes Attribut. Diese Verhexung betrifft insbesondere die Lehre vom Heiligen Geist, dessen Personalisierung die Neutralisierung der prophetischen Tradition zwangsläufig nach sich gezogen hat. Nur so konnte der Heilige Geist zum Garanten kirchlicher Machtansprüche werden. Die Vorstellung, daß der Geist am Ende die Erde erfüllen wird, wie die Wasser den Meeresboden bedecken, ist im Kontext der verdinglichten Trinitätslehre nicht mehr nachvollziehbar. Und das „Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae“ ist gegenstandslos geworden, ebenso wie die Vorstellung, daß in dem Neuen Bund keiner den andern mehr belehren wird, weil alle Gott erkennen. Die Personalisierung des Heiligen Geistes ist ein Reflex des steinernen Herzens.
    Ist nicht die ecclesia triumphans eine Zwangsvorstellung, ein Produkt wirrer theologischer Machtphantasien?
    Gehört nicht auch zur Ursprungsgeschichte des Neutrums und zur Geschichte der Vergegenständlichung der Zeit der Ursprung des reflexiven Moments (der reflexiven Formen der Konjugation) in der Sprache? Zu den Manifestationen der Reflexion gehört das apologetische Moment, die Rechtfertigung, das Bewußtsein des Selbst, auch der Personbegriff, der Ursprung des Objektbegriffs, in dem die Reflexion sich vergegenständlicht. (Gehören in diesen Zusammenhang im Griechischen der Aorist und das Medium?) Dieses reflexive Moment ist der sprachliche Grund der Verräumlichung der Dinge (der Sprachgrund des Inertialsystems), es hat mit der Neutralisierung der Kraft des Namens die Sprache insgesamt verhext. Die reflexiven Strukturen im Bereich der Verben sind die Grundlage der Begriffsbildung und ein Reflex der Herrschaftsgeschichte. Man begreift die hebräische Sprache und Grammatik erst dann, wenn man ihre Differenz zum Griechischen (zu den indoeuropäischen Sprachen) begreift. Das Subjekt dieser Grammatik ist nicht die Einzelperson (das Subjekt der Psalmen ist nicht die historische Person David, sondern Israel); die Bildung theophorer Personennamen in der israelischen Geschichte hängt damit zusammen (und der blasphemische Charakter des „Ich bin’s“).
    Die reflexiven Formen der Sprache lassen sich vom projektiven Begriff der Erkenntnis (vom Vorrang des Sehens und von der Konstituierung des Wissens) nicht trennen, sie vergegenständlichen die Natur und begründen die Welt (während Gott die Erde gründet und den Himmel aufspannt). Die Sprachlogik des Hebräischen ist dagegen eine Logik des Hörens (und dessen Subjekt ist Israel: Höre Israel).
    Wie verhält sich das reflexive zum symbolische Denken?
    Wenn die Vision mit dem Traum verglichen wird, so darf die Differenz nicht vergessen werden: Die Vision ist ein Taggesicht, der Traum ein Nachtgesicht. Es ist nicht unwichtig zu unterscheiden, wer Visionen und wer Träume hat. Der Prophet hat ein Gesicht, Träume haben die Herrscher. Wie zeigt sich die Beziehung von Gesicht und Traum in der Apokalypse? Und was hat es zu bedeuten, wenn im NT über Träume Weisungen erteilt werden (an Joseph und Petrus)? Wie verhält sich das Gleichnis zum Gesicht, gibt es in der hebräischen Bibel Gleichnisse?
    Bei Gott ist kein Ding unmöglich: Der Satz, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, ist eine Anleitung zur Gotteserkenntnis. Das Gebot, das ich im Kontext der Gotteserkenntnis erkenne, wird durch die Frage, ob es erfüllbar ist oder nicht, nicht berührt. Ob die Erfüllung des Gebots möglich ist oder nicht, ist für seinen Anspruch unerheblich. Nicht unerheblich aber ist die Erkenntnis der Kluft, die das Gebot von seiner Erfüllung trennt; sie heißt Gottesfurcht und ist in der Tat der Anfang der Weisheit.
    Ist nicht die Geschichtsschreibung die Finsternis über dem Abgrund (der Vergangenheit): die Austreibung der Gottesfurcht aus der Erkenntnis der Vergangenheit?
    Alles Lebendige strebt nach dem Licht: Aber wenn das an den Blumen sich manifestiert, ist dann nicht unser Auge, das ihre Farben wahrnimmt, ein Teil dieses Lichts, schließt dann nicht das Streben nach dem Licht auch das Streben, von einem Auge gesehen zu werden, mit ein? Die Blume: der Beweis, daß das Aufdecken der Blöße auch mit dem Schein der Unschuld zusammengehen kann. Und verweist nicht das gleichzeitige Auftreten der Blüten und der Säugetiere in der Evolutionsgeschichte auf einen hochsymbolischen Zusammenhang (ähnlich wie das gleichzeitige Auftreten der Bäume und der Primaten)?
    Die darwinsche Evolutionstheorie war sowohl eine Bestätigung als auch eine Widerlegung der Hegelschen Philosophie: die Bestätigung des „organischen“ (am Prinzip der Selbsterhaltung sich orientierenden) Geschichtsverständnisses und die Widerlegung des Satzes, daß die Natur den Begriff nicht halten kann (nach Hegel dürfte es eigentlich keine verschiedenen Arten geben).
    Haben nicht Horkheimer und Adorno durch ihr Wirken in Frankfurt der Nachkriegsgeschichte in Deutschland nur eine Atempause verschafft?

  • 14.4.1995

    Gibt es eine Beziehung des Buches Josue, des Berichts über die Eroberung Kanaans, zu den historischen Fälschungen im Mittelalter? Die Eroberungs-Berichte scheinen Rache-Phantasien in historischem Gewande zu sein, die nicht unmittelbar auf historische Ereignisse sich beziehen lassen. In der Phantasie wird dem Feinde das angetan, was man selbst von ihm erfahren hat. Hierzu ist das achte Gebot heranzuziehen: Hier wird kein „falsches Zeugnis wider den Nächsten“ abgegeben, hier wird nur gelogen. Aber das ist der ganze Unterschied: Während das falsche Zeugnis den Unschuldigen dem Gericht überliefert, verbietet das Gebot „Du sollst nicht lügen“ dem Opfer, seine realen Leiden über Rachephantasien zu verarbeiten: Es versperrt die Fluchtwege, und läßt nur den Ausweg der Identifikation mit dem Aggressor (der Konstituierung des Weltbegriffs). Drückt nicht in der Diskriminierung der „altorientalischen Rachephantasien“ die Angst der Täter sich aus, diese Rachephantasien der Opfer könnten vielleicht doch einmal wahr werden? Aber davor steht das Wort „Mein ist die Rache, spricht der Herr“. – Im Unterschied zum Buch Josue dienten die mittelalterlichen Fälschungen nicht der Verarbeitung der Leidenserfahrung, sondern der Herrschaftssicherung: Nur die Herren, die von den Untertanen fordern, sie sollten nicht lügen, können im Vertrauen darauf lügen, nicht erwischt zu werden. Und erst diese Lüge ist zugleich ein falsches Zeugnis wider den Nächsten.
    Christen, sind das nicht die, die das Opfer dessen, der „sein Leben für sie hingegeben“ hat, hinnehmen und sich davon nicht irritieren lassen?
    Sind die Texte Adornos nicht so formuliert, daß jede Kritik dem Verdacht der Projektion sich aussetzt, auf sie selbst zurückfällt? Die Kritik trifft nicht Adorno, sondern die eigene Phantasie, die an unverstandenen Adorno-Sätzen sich entzündete.
    Die Sexualethik, wenn sie sich nicht als Kritik der Gewalt begreift, wird selber zu einem Instrument der Gewalt. Darin gründet die Verführungskraft des Fundamentalismus. Und es ist kein Zweifel: Die Geschichte der Sexualität ist in die Geschichte von Herrschaft und Gewalt, die ihre Wurzel in der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur, in der Geschichte der Ökonomie, hat, verflochten. Sie ist ein Indikator dieser Geschichte.
    Hysterie: Der Name und die Sache erinnert an das Verhältnis von Barmherzigkeit und Kunst. Das Leiden, aus dem die Kusnt sich speist, ist das Leiden an der Unmöglichkeit, barmherzig zu sein. Und wem der Weg in die Kunst versperrt ist, wird „hysterisch“. In diesem Terrain ist die Abtreibungsdebatte angesiedelt.
    Johannes Paul II: Und er verfluchte sich selbst und leugnete abermals.
    Das Rad ist das Symbol der Reversibilität. Zur Reversibilität gehört die Orthogonalität als Norm, das säkularisierte Gebot: das Gesetz. (Fällt die Erfindung des Rades mit dem Ursprung des Rechts zusammen?)
    Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang ist der Reflex des Raumes in der Sprache (der Schatten, den der Raum auf die Sprache wirft).
    Der Raum ist das Instrument der Instrumentalisierung. Darin liegt seine selbstlegitimatorische Kraft, an der alle Argumente, die es gegen die Hypostasierung des Raumes gibt, abprallen.
    Ist nicht die Tatsache, daß es nur eine begrenzte Zahl nichteuklidischer Geometrien gibt, ableitbar aus der Logik der Konstruktionselemente der euklidischen Geometrie?
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezieht sich auf eine Sphäre, die im Querdenken gründet: Was für den andern vorn und hinten ist, ist für mich, der ich ihn von außen anschaue, rechts und links. Die Beziehung des Lichts zur „Finsternis“, zum Dunklen, aber auch zur Scham (zur Fähigkeit, sich in den Augen anderer zu sehen), hängt damit zusammen.
    Das Inertialsystem ist das im „Querdenken“ gründende „von allen Seiten hinter dem Rücken“. Es ist das System, das in der Geschichte der Objektivierung der Dinge hinter dem Rücken dieses Objektivierungsprozesses als dessen Referenzsystem sich gebildet hat (und die kantischen subjektiven Formen der Anschauung sind die Formen ihrer subjektiven Adaptation: Formen der Identifikation mit dem Aggressor).
    Ohne das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das das Inertialsystem reflexionsfähig gemacht hat, wäre die erkenntnistheoretische Diskussion des Inertialsystems nicht möglich.
    Zum Problem der Knäste, die seit je auch selber Brutstätten der Verbrechen waren, die sie eindämmen sollten: Käme es nicht auch hier darauf an, die irren Kreisläufe der Planeten endlich zu durchbrechen? Und bezieht sich nicht auch darauf das Wort: „Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein“?
    Stephanus sah den Himmel offen: Verweist das nicht auf einen Begriff der Vision, die die Blockade, für die das Planetensystem (die paulinischen Archonten) steht, zu durchdringen vermag? Auf den Ursprung dieser Blockade des Sehens (auf seine Trennung von dem im Begriff der Vision, des Gesichts bezeichneten Sehen) bezieht sich das Wort: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Diese Blockade des Sehens hat sich in den subjektiven Formen der Anschauung, in deren Kontext die Welt zu „allem, was der Fall ist“, geworden ist, als Selbstblockade enthüllt. Hier gründet die Differenz zwischen Stephanus und Paulus: Der eine sah den Himmel offen, der andere wurde in den dritten Himmel entrückt.

  • 9.4.1995

    Nehmen die Kerubim in der Paradieses- und Sündenfall-Geschichte und in der Vision des Ezechiel die Stelle ein, die im Schöpfungsbericht die Feste des Himmels einnimmt? (Der Herr der Heerscharen ist der, der auf den Kerubim thront; aber: der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße.)
    Bei Ezechiel kommt der Name des Himmels nur als Äquivalent der göttlichen Gesichte und als Attribut der Vögel und der Sterne vor (und nicht als der Thron). – Und in der Paradieses- und Sündenfall-Geschichte? Hat die Schlange etwas mit der Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern scheidet, und mit den großen Seetieren zu tun (am Ort der Scheidung, am Eingang des Paradieses, lagern die Kerubim)?
    Wenn am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt: Ist das das Buch, das der Apokalyptiker ißt, und es ist „im Munde süß, im Magen bitter“? Im Munde süß: Ist das nicht die sapientia?
    Haftet nicht an der Lehre von den vier Elementen (und den vier humores) der Mangel, daß das Bittere und das Süße darin nicht vorkommt (nur die äußeren, quasi physikalischen Qualitäten: trocken und feucht, warm und kalt)?
    Grimm und Zorn sind durch ihre Richtungsdifferenz zu unterscheiden: Was als Zorn nach außen sich kehrt, geht als Grimm nach innen.
    Die Beziehung des Kelches zu den subjektiven Formen der Anschauung gründet in der beiden gemeinsamen Abstraktion von der Gottesfurcht.
    Haben die Verben erschaffen, creare und ktizein (hebr. bara) außer ihrer gemeinsamen Bedeutung auch gemeinsame Konnotationen?
    Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit – endlich lesen? Reflektiert nicht der Begriff der Öffentlichkeit die Herrschaft des männlichen Blicks (den objektivierenden Bann des Weltbegriffs), und sein „Strukturwandel“ die Geschichte dieses männlichen Blicks? Gründet der habermassche Begriff der Kommunikation, des Diskurses, sein Begriff der Objektivität als Intersubjektivität, nicht in dieser Konstellation, auch seine Weigerung, Natur in die Reflexion mit aufzunehmen? Zugrunde liegt die Neutralisierung der dialogischen Struktur der sprachlich fundierten Objektivität, die Leugnung des Lichts (oder die Leugnung der Scham, der Wurzel der asymmetrischen Struktur des Begriffs der Objektivität, auch der „Öffentlichkeit“: die Scham ist zusammen mit ihrem objektivitätsbegründenden Pendant, dem Weltbegriff, der Grund der Asymmetrie zwischen mir und dem Andern).
    Kritik des Absoluten: Das Eine ist nicht nur das Andere des Anderen. Die Beziehung des Einen zu seinem Anderssein (zu seinem Sein-für-Andere) ist asymmetrisch: Die Scham bezeichnet die Grenze. Die Idee des Absoluten leugnet diese Schamgrenze; sie begründet den Objektbegriff und eröffnet das Reich der Gemeinheit.
    Urbild der Gemeinschaft ist die Schicksalsgemeinschaft: die Volksgemeinschaft. Zu den Gründen jeder Gemeinschaft gehört die Bekenntnislogik; wie diese ist die Gemeinschaft ein Produkt der Vergesellschaftung, kein Ausweg daraus. Die Gemeinschaft transformiert die Asymmetrie der Scham ins Kollektiv: Der schambegründende (und so die Gemeinschaft „zusammenschweißende“) Außenblick wird dingfest im Feindbild (dem stärksten Kitt jeder Gemeinschaftsbildung).
    Die raf hatte diese ungeheure Bedeutung, dem Feind im Innern der Gemeinschaft ein Symbol zu geben. In dieser neuen Konstellation, die die Nachkriegsära kennzeichnet, gehört zur Gemeinschaft als Gegenbild die Bande (Produkt der Externalisierung der Familienbande). – Gehört nicht auch Stammheim zu den Metastasen von Auschwitz (und ist das, was hier geschehen ist, deshalb so schwer aufzuarbeiten)? Fast macht es schon keinen Unterschied mehr, ob die Tode von Stammheim auf Mord oder Selbstmord zurückzuführen sind: Auch der Selbstmord wäre nur als induzierter Selbstmord in einem ungeheuren vorurteils-logischen Konstrukt, das längst beide Seiten ergriffen hatte, zu begreifen. Das dämonische Zwielicht und die dämonische Zweideutigkeit, die diese Ereignisse kennzeichnen (und die es so schwer machen, Taten der raf und das Handeln der Geheimdienst des Staates auseinander zu halten), beherrschen die ganze Nachgeschichte über die Startbahn-Morde bis hin zu Bad Kleinen (über Ingo Herbst zu Steinmetz). Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, läßt sich an der Geschichte des linken Terrorismus in Deutschland wie an einem Laborfall studieren.
    Umkehrung der transzendentalen Logik: Hat nicht die Bundesanwaltschaft die selffulfilling prophecy (oder auch das double bind) längst zu einem technischen Instrument der Erkenntnisgewinnung (der „Ermittlung“) und der technischen Beherrschung der Strafverfahren gemacht (und das Urteil am Ende zu einem synthetischen Urteil apriori)?
    Was bedeutet es, wenn in der speziellen Relativitätstheorie ein empirisches Moment zu einem apriorischen des Systems geworden ist? In welche Beziehung werden die Kategorien Ding und Ereignis gerückt (Tatsache: der Begriff ist im 18. Jhdt aus dem engl. matter of fact, dieser aus dem lat. res facti entstanden)?
    Beziehung der „Sünde der Welt“ zu den „subjektiven Formen der Anschauung“ (Kritik der Form des Raumes): Den Begriff der Sünde aus dem autoritären Kontext (aus dem Blick des Herrn) herauslösen.

  • 7.4.1995

    Es gibt einen Naturgrund sowohl der Herrschaft als auch der Schrift. Der Begriff ist der gekreuzigte Name (damit die Schrift, genauer: die Logik der Schrift, erfüllt werde): Im Kontext von Joh 129 erweist sich der Name des Logos als Ausdruck der benennenden Kraft der Sprache. Realhistorisch wie auch im Realsymbol des Kreuzestodes ist der Name gekreuzigt, gestorben und begraben, ist er nur als Erinnerung: als Begriff noch gegenwärtig (der Begriff ist das durch die Logik der Schrift vergegenständlichte Wort). Diese Erinnerung verhält sich zum vergangenen Ereignis wie der Begriff zum Objekt: Sie erreicht es nicht, bezeichnet es bloß. Raumfahrt: der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort. Ursprung der Theologie: Tod und Auferstehung Jesu haben sich angeboten als symbolische Lösung eines logischen Problems in der Ursprungsgeschichte der philosophischen Aufklärung (eines Problems, das in ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte im Kontext des Römischen Reiches entstanden ist). Grund dieser symbolischen Lösung war die Vergegenständlichung und Neutralisierung des Opfers, sein Preis dessen Verinnerlichung (das Opfer der Vernunft). Ist nicht der Tod der Initiator der Kunst wie des Mythos? Und wenn Paulus auf das Seufzen und die Wehen der ganzen Schöpfung hinweist: verweist er damit nicht auf das innerste Geheimnis der Kunst wie des Mythos? Die ungeheure Bedeutung der kantischen Antinomienlehre liegt darin, daß sie eine Beziehung der transzendentalen Ästhetik, der subjektiven Formen der Anschauung, zur Sprache herstellt. Ist die affirmative Trinitätslehre eine Verkörperung der drei Versuchungen Jesu, und weisen diese nicht zurück auf die drei Vorphasen des Sechstagewerks (tohuwabohu, Finsternis über dem Abgrund und den über den Wassern brütenden Geist Gottes)? Kann es sein, daß die ersten beiden Schöpfungstage auf das tohuwabohu, der dritte und vierte auf die Finstenis über dem Abgrund und der fünfte und sechste auf den Geist über den Wassern sich beziehen? Hinter dem Rücken: Ist der Verdacht gänzlich unbegründet, daß der Verfassungsschutz sowohl im Fall der Startbahnmorde als auch jetzt im Verfahren gegen Birgit Hogefeld die vollendeten Tatsachen geschaffen hat, die in den beiden Fällen die Anklage begründe(te)n. Was beim Celler Loch mißglückt ist, kann das nicht auch hier versucht worden sein? Wenn man davon ausgeht, daß es keine Erfindungen ohne fundamentum in re (ohne Naturgrund) gibt, dann lassen sich auch Barbaren und Wilde als Erfindungen bezeichnen. Erfindungen sind zweckorientierte technische Verfahren der Naturbeherrschung; dieser Definition entsprechen auch die Namen der Barbaren und Wilden, die beide als projektive Formen der Verarbeitung von Erfahrungen im Interesse politischer Ziele (als Produkte des Vorurteils) sich begreifen lassen. Vorurteile sind Techniken der Naturbeherrschung auf der Basis der zweiten Natur. Antisemitismus und Xenophobie lassen ohne diesen technischen Aspekt nicht sich begreifen. Seit je war Rechtfertigung, war die legitimatorische Begründung des Bestehenden, war Apologetik nur möglich im Kontext von Vorurteilsstrukturen. Die transzendentale Logik Kants war der erste Versuch der Selbstreflexion dieser Vorurteilsstrukturen. Erster Grundsatz der Ästhetik: Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, daß sie nackt waren. Und der öffentliche Blick, der die Scham erweckt, ist immer noch der männliche Blick. Hören und Sehen, Gesicht und Wort: Die Unterscheidung Seines Bildes vom Bilde Gottes in der Geschichte der Erschaffung des Menschen (in denen Gott als Subjekt und als Objekt erscheint): Hat sie vielleicht ein Echo in der Vision des Stephanus, der „die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen“ sah und ausrief: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“. Verhalten sich die Herrlichkeit Gottes und Jesus zum offenen Himmel und zum Menschensohn wie Sein Bild zum Bilde Gottes? – Paulus wurde nur entrückt, er hat nicht den Himmel offen gesehen. Aber gehört vielleicht die unterschiedliche Fassung der Bekehrung Pauli in Apg 9 und 22 in diesen Zusammenhang (haben die Begleiter die Erscheinung gesehen oder gehört)? In den gleichen Zusammenhang gehören die beiden Stellen in der Paradieses-Geschichte: Sie waren nackt, und sie schämten sich nicht, und: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. – „Wenn dies zu geschehen anfängt, so richtet euch auf und erhebt euer Haupt: denn es naht eure Erlösung“ (Lk 2128). Wenn es in der Dialektik der Aufklärung heißt, daß die Distanz zum Objekt vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt: Bezeichnet das nicht auch ein sprachliches Phänomen? Apokalyptik: Die Erfindung der Tiefenzeit (und die homogene Zeitvorstellung) ist eine Existenzbedingung des Tieres. Und ist nicht die Abtreibungsdebatte der Versuch der projektiven Verarbeitung eines apokalyptischen Sachverhalts? Erst im Kontext des Weltbegriffs gibt es den diabolos. Und die Engel- und Dämonenlehre (im Kontext der Apokalyptik) gehört zur Vorgeschichte der transzendentalen Logik.

  • 4.4.1995

    Die Sprache ist in einer Verfassung, in der nicht mehr der Inhalt des einzelnen Urteils und seine Begründung, sondern nur noch die Konstellation, in der beide erscheinen, über die Wahrheit des Urteils entscheidet. Urteile sind heute generell wahr und falsch zugleich. Das gilt für die Wissenschaft wie fürs Recht. Die transzendentale Logik reflektiert genau diesen Zusammenhang: Mit der apriorischen Begründung des Wissens wurde seine Beziehung zur Wahrheit neutralisiert (sind die Dinge, wie sie an sich sind, unerkennbar geworden). Die transzendentale Ästhetik bezeichnet die Gewalten, die diesen Zustand herbeigeführt haben: die subjektiven Formen der Anschauung (zu denen neben Raum und Zeit auch das Geld und die Bekenntnislogik gehören).
    Das Absolute ist der „Schöpfer der Welt“ und der Vater der Lüge. Die noesis noeseos, der aristotelische Ursprung der Idee des Absoluten, ist das Produkt der Anwendung der Orthogonalität aufs Denken (oder die Selbstreflexion der Urteilsform, die selber wiederum der Orthogonalität sich verdankt). Das „Nichts“, aus dem der Theologie zufolge Gott die Welt erschaffen hat, ist das antizipierte Produkt der dreifachen Leugnung (zu deren Geschichte die Opfertheologie und die Bekenntnislogik gehört).
    Die Entfaltung der Raumvorstellung ist ein Vorgang, der seine Entsprechung in der Sprache hat. Hat das etwas mit Japhet zu tun (Raum schaffe Gott dem Japhet, daß er wohne in den Zelten Sems, Kanaan aber sei ihm Knecht – Gen 927)?
    Hängt die Empfindlichkeit der Ärzte (und ihrer Standesorganisation) damit zusammen, daß sie imgrunde wissen, wovon sie abstrahieren und was sie mit dieser Abstraktion anrichten? Und hängt die Tatsache, daß die Professoren in der Rangordnung des öffentlichen Ansehens vom ersten auf den vierten Rang gerückt sind, mit der Deregulation des Wissens zusammen?
    Hat die Beziehung von Sinus und Tangens etwas mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu tun, mit der im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich manifestierenden Beziehung von Raum und Zeit?
    Hat die creatio ex nihilo nicht ihre genau bestimmbaren Objekte (Himmel und Erde, die großen Seetiere und den Menschen, aber nicht „die Welt“)?
    Durch die historische Objektivation wird das Vergangene aus der Zone, auf die allein die Idee der Auferstehung sich bezieht, herauskatapultiert. Nach Jesus ist der „Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs … ein Gott der Lebenden, nicht der Toten“. Ist nicht diese Nacht des Todes, in die wir das Vergangene eintauchen, die Nacht, auf die sich die Gethsemane-Geschichte und der Hahn in der Geschichte von den drei Leugnungen bezieht? Kann es sein, daß die Auferweckung der Toten von Bedingungen abhängt, die auch in unsere Hand gelegt sind? Die christliche Unsterblichkeitslehre hat die Idee der Aufstehung (durch Rückbeziehung aufs Ich) neutralisiert. Wenn es im neuen Weltkatechismus der Kirche heißt, daß Himmel und Erde nur ein mythischer Ausdruck für alles, was ist, sei, wird dann nicht dem Wort vom Binden und Lösen die Grundlage entzogen?
    Die Erinnerung an Auschwitz muß, wenn sie an den Bereich der Wahrheit rühren will, auch das mit einschließen, was durch Auschwitz aus der Erinnerung getilgt werden sollte.
    Auschwitz ist die Erinnerung daran, daß der Tod unser Werk ist („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“). Und so hängt Auschwitz in der Tat mit dem Ursprung und der Geschichte der Naturwissenschaften zusammen, insbesondere mit ihrem Ursprung in der Opfertheologie.
    Die Idee der Auferstehung ist erst dann wieder denkbar, wenn sie nicht mehr mit der Verdrängung des Bewußtseins, daß der Tod das Schrecklichste ist, verbunden ist. Dieser verdrängte Schrecken kehrt als das Movens des historischen Aufklärungsprozesses, als die Wut der Objektivierung, wieder. Die Opfertheologie war der vergebliche Versuch der Selbstheilung dieser Wut. Sensibilität ist die Fähigkeit, die Schmerzen, die wir durch die Bedienung des Apparats, der unser Leben erhält, anderen zufügen, erfahrungsfähig zu halten. Die Fähigkeit zur Rekonstruktion der Erfahrung der Objekte von Herrschaft (die memoria passionis?) ist der Grund der Fähigkeit, den vergessenen Traum Nebukadnezars zu rekonstruieren und zu deuten (der Grund, aus dem die Apokalypsen hervorgegangen sind). Repräsentant dieser Objekterfahrung ist der Kreuzestod Jesu; die Opfertheologie hat diese Erfahrung durch Instrumentalisierung verdrängt. Ist es zulässig, die Rekonstruktion der Objekterfahrung als den wirklichen Inhalt der Opfertheologie zu bezeichnen (in der Konsequenz des Satzes „Barmherzigkeit, nicht Opfer“)?
    Die Idee der Barmherzigkeit ist ohne die Vorstellung, daß das Vergangene nicht nur vergangen ist, nicht zu halten: Sie schließt die Idee der Auferstehung (und damit die Sprengung des Naturbegriffs) mit ein. Im Licht der Idee der Barmherzigkeit gibt es eine geheime Korrespondenz zwischen der unerlösten Vergangenheit und und den schrecklichen Instrumenten des Todes in der Gegenwart: von den Knästen über die Irrenhäuser, Schulen und Kasernen bis zu den Religionen, die das Haus „leer, gereinigt und geschmückt“ für den Einzug der sieben unreinen Geister vorbereiten: „Und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten“.
    Ursprung und Ziel: Bewegt sich der historische Objektivationsprozeß nicht bewußtlos und mit wachsender Verblendung auf den Anfang zu, den er zugleich unsichtbar und unkenntlich macht? Und bezieht sich nicht darauf das Wort vom „Greuel der Verwüstung am heiligen Ort“. Die Dialektik der Aufklärung war ein erster Versuch, diesen Greuel der Verwüstung von innen zu begreifen. Hat dieser Greuel der Verwüstung nicht zentral etwas mit dem Zustand der Kirche zu tun, und ist das nicht eine Konsequenz daraus, daß die Kirche selbst das Lösen noch ins Binden mit hereingenommen hat (und so den Punkt, auf den sich das Wort vom Lösen bezieht, sowohl hervortreibt wie auch zugleich auf eine entsetzliche Weise unkenntlich macht)? Das tohuwabohu, ist das nicht der Kern und das Resultat des Objektivationsprozesses? In der Geschichte der jüdischen Mystik wurde es auf die Beziehung von Form und Materie bezogen; heute „erfüllt“ (und enthüllt) es sich im Inertialsystem.
    Ist auf der südlichen Halbkugel die Beziehung von Himmel und Erde invers zu der auf der nördlichen Hälfte der Erde? Steht nicht die Entdeckung der südlichen Halbkugel in Zusammenhang mit der kopernikanischen Wende, und waren beide nicht eine Folge und eine Ausweitung der Erfindung des Neutrum (dem Turmbau zu Babel)?
    Die Philosophie hat den Zeitkern der Wahrheit durch das tode ti, das hic et nunc, das Hier und Jetzt (vgl. die Hegelsche Diskussion hierzu in der Phänomenologie des Geistes) getilgt. Seitdem ist ihr Gegenstand das „Überzeitliche“, das vom Ewigen dadurch sich unterscheidet, daß es unterm Bann der Vergangenheit steht. Das tode ti ist das originäre Instrument der List der Vernunft (die damit am Ende sich selbst überlistet).
    Nach Otto Karrer (Anmerkung zu Joh 15, zu katalabein – fassen, greifen, NT, S. 251f) drückt „das griechische Zeitwort … durch den sog. Aorist das immer Gültige aus, wie in Sprichwörtern“, während „die Medialform … empfangenden Sinn“ hat.

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