Adorno

  • 3.4.1995

    Es gibt eine Beziehung der sinnlichen zur sprachlichen Welt, die an der Beziehung des Lichts zu den Dingen sich demonstrieren läßt. Mit dem Licht, mit seiner verborgenen dialogischen Struktur (seiner Beziehung zum Angesicht), ist auch die Sprache erschaffen. Das Angesicht ist die sinnliche Manifestation der Sprache, es schließt nicht nur das „Du sollst nicht töten“ mit ein, sondern das „Liebet eure Feinde“.
    Ist nicht die Scheidung von Freund und Feind ein Werk des Weltbegriffs (ein Grund jeder Kosmologie), und entspringt nicht genau an dieser Stelle der Name des Teufels? Hier gründet die Unterscheidung des Teufels vom Satan, als dessen „Sohn“ er sich fassen läßt: Der Ankläger vor Gott (der Satan) ist für den Angeklagten der Versucher (der Teufel).
    Gott erweist sich daran, daß er nicht die Welt, wohl aber Himmel und Erde erschaffen hat.
    Hat die Wüste (und die Zahl vierzig) beim Exodus und bei der Versuchung Jesu etwas mit dem tohuwabohu im Schöpfungsbericht zu tun?
    Gibt es zur Verinnerlichung des Schicksals, der der Ursprung des Christentums folgt, und zur Verinnerlichung der Scham, die aus der Islamisierung des Christentums hervorgeht, eine dritte Stufe, auf die das Wort vom „Greuel am heiligen Ort“ sich bezieht (und die den Fundamentalismus begründet)?
    Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral“ trifft den Fundamentalismus in der Wurzel. Die Sexualmoral ist die durchs Schuldverschubsystem (durch den Weltbegriff) neutralisierte Gestalt der Herrschaftskritik. Deshalb ist jeder Fundamentalismus sexistisch. Ist nicht die Abtreibungsdebatte der letzte (und vergebliche) Versuch, die Sexualmoral als Instrument der Neutralisierung von Herrschaftskritik zu erhalten, und kehren nicht die Elemente der Neutralisierung in der Abtreibungsdebatte wieder? Sie verschiebt die Schuld auf ein Objekt, durch das die Herren, die dieses Instruments sich bedienen, vor der Gefahr sicher sind, sich selbst damit identifizieren zu müssen, die Frauen.
    Das innerkirchliche Produkt der Neutralisierung der Herrschaftskritik war die Bekenntnislogik, mit der Opfertheologie im Kern. Zu den „Nebenwirkungen“ der Bekenntnislogik gehört die Sexualmoral.
    Mit der „Entsühnung der Welt“ wurde Herrschaft freigesprochen. Der kantische Versuch einer Definition der Totalitätsbegriffe Natur und Welt (in der Antinomie der reinen Vernunft) ist in sofern interessant, als Kant hierbei beiden Begriffen bescheinigt, daß sie „gelegentlich ineinanderfließen“, und zugleich die Differenz beider mit den Begriffen des Dynamischen und Mathematischen definiert, deren Ursprung und Anwendung in die transzendentale Logik fällt und hier zu den Konstituentien des Wissens (der Kategorien) gehört.
    Die Schwachstellen der Hegelschen Philosophie:
    – die „List der Vernunft“,
    – der Begriff des Scheins und
    – das Verhältnis der Natur zur Idee (derzufolge die Idee die Natur „frei aus sich entläßt“, wobei diese Natur dann „den Begriff nicht halten kann“: nach Hegel dürfte es – und das rückt seine Philosophie in einen apokalyptischen Zusammenhang – zur Gattung Tier nur eine und nicht verschiedene Arten geben).
    Diabolik: Die Bekenntnislogik hat erste und zweite Natur getrennt: sie hat die erste zu einer Funktion der zweiten gemacht und zugleich die zweite in den Schatten der ersten gestellt. Das war der Grund des Ursprungs des Nominalismus.
    Schall und Rauch: Die Ausbildung der Fähigkeit, mit den Ohren zu denken (das mit dem „Bekenntnis des Namens“ Gemeinte), hätte Hitler seiner Wirkungsmöglichkeit beraubt.
    Binden und Lösen: Ist nicht Odysseus die Imago der Kirche, die den Gläubigen die Ohren verstopft und sich selbst, um dem gehörten Wort nicht folgen zu müssen, an den Mast des Schiffes binden läßt?
    Montevideo liegt auf der anderen Seite der Welt: Ist der Winter die Rückseite des Sommers und der Herbst die Rückseite des Frühlings?
    Mit der Steinigung des Stephanus geht eine Epoche zu Ende: Er war der Letzte, der den Himmel offen sah. Und die neue Epoche beginnt mit Saulus, der später Paulus hieß.
    Hat nicht die raf, als sie glaubte, die strafende Gewalt des Rechts sich aneignen zu können, deren eigene mythische Gewalt, die Gewalt der Institution und deren Macht über die Köpfe der Menschen, unterschätzt (und deshalb verstärkt)?

  • 31.3.1995

    Schaffen nicht die Law- and Order-Leute die Voraussetzungen dafür, daß alle Widerstände gegen den Ausbruch jugoslawischer Verhältnisse abgebaut werden?
    Welche logischen Widerstände mußten abgebaut werden, um das heliozentrische System zu installieren?
    Das Christentum ist bis heute eine Bekehrungsreligion (die Voraussetzungen dafür hat Paulus geschaffen), aber keine Religion der Umkehr.
    Die Mathematik (und der Begriff des Wissens), Bekenntnislogik (und Naturbegriff), der Staat (und Weltbegriff): In welcher Beziehung stehen diese drei Dinge zu einander? Ist nicht die Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive und Judikative) ein Bild der Form des Raumes, seiner Dreidimensionalität, Grund der Unterscheidung von Gesetz, Begriff und Erscheinung in den mathematischen Naturwissenschaften?
    Der Staat hat den Nominalismus begründet, indem er die Stummheit des Helden (Prototyp des platonischen und gnostischen Demiurgen) in die Objektivität hineingetrieben hat.
    Der theologische Ursprung des Rassismus liegt in der Vater-Sohn-Beziehung und in dem „gezeugt, nicht geschaffen“.
    Modell des Relativitätsprinzips war die Äquivalenz und Reversibilität von Geldbewegung und Warenbewegung, begründet im Kreislauf des Geldes nach Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip (zusammen mit der Eröffnung des unendlichen Raumes und der Konstituierung der Gravitationszentren im Banken- und Kreditwesen). Erst mit der Möglichkeit der wechselseitigen Substitution (der wechselseitigen Vertretung) und der Reversibilität beider konstituiert sich das Tauschprinzip und das Trägheitsgesetz zugleich.
    Ist nicht die Abtreibungsdebatte ein nachgerade apokalyptisches Beispiel des Schuldverschubsystems?
    Bekenntnislogik: An ihren Feinden kannst du sie erkennen (jedes Bekenntnis hat eine Leiche im Keller).
    Exkulpationslogik: Sich über jemanden empören, mit dem man um keinen Preis identifiziert werden möchte (weil man in ihm nicht erkannt werden möchte).
    Apologetik, sakramentale Gnadenverwaltung und Konfessionalismus: die Erbsünden der Theologie. Gegen die Apologetik steht das verteidigende Denken, gegen die sakramentale Gnadenverwaltung das Wort: „Barmherzigkeit, nicht Opfer“, und gegen den Konfessionalismus die Kritik der Bekenntnislogik und das Bekenntnis des Namens.
    Die verhängnisvolle Rolle insbesondere der schelerschen Wertphilosophie lag darin, daß sie die Selbstreflexion der Objektivität abgeschnitten und durch die Mechanismen der Empörung ersetzt hat. Die Empörung liefert der Unmoral den Komfort des moralischen Bewußtseins, auf den keiner mehr verzichten möchte. Hier liegt die Wurzel eines jeden Fundamentalismus.
    Wodurch unterscheidet sich die Entomologie Ernst Jüngers von den Insektenforschungen Reinhold Schneiders (Winter in Wien)?
    Zwei Hinweise auf den Zusammenhang von Sprache und Theologie:
    – Ist nicht die Schlange in der Geschichte vom Sündenfall ein Symbol für die sprachlogische und sprachhistorische Funktion des Neutrum (im Ursprung der indoeuropäischen Sprachen); und
    – hat nicht der Satz Wittgensteins: „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ etwas mit dem Sündenfall zu tun?
    Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner zu lieben mehr fähig ist: Dieser Satz trifft die Rechtfertigungszwänge, denen alle nach Auschwitz unterliegen, im Kern.

  • 29.3.1995

    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit begründet den Weltbegriff und installiert im Subjekt den Mord-, Rache- und Rechtfertigungstrieb. Die Opfertheologie hat diesen Trieb bewußtseinsfähig gemacht, ihn aber mit dem Konzept der „Entsühnung der Welt“ zugleich gerechtfertigt und stabilisiert.
    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das Gegenteil der Erinnerung, der innere Kern des Verdrängungsapparats, der über den historischen Objektivationsprozeß auch die Vergangenheit noch in seinen Dienst nimmt. Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit treibt die Zukunft aus der Vergangenheit aus, macht sie erst wirklich zur toten Vergangenheit: Das ist die conditio sine qua non ihrer Vergegenständlichung. Das aber bedeutet, daß Erinnerungsarbeit nicht auf die Geschichte sich beschränken läßt: Sie schließt auch die Natur mit ein. (Ulrich Sonnemann: Zukunft ist von außen wiederkehrende Erinnerung; daher hat die Gedächtnislosigkeit keine.)
    Enthält das Griechische in den im Lateinischen bereits verdrängten Konjugationsformen (insbesondere in Aorist und Medium) Erinnerungsspuren seines Ursprungs?
    Wenn die drei Dimensionen des Raumes drei verschiedene Formen seiner Beziehung zur Zeit repräsentieren, steckt dann nicht in der Linearisierung der Zeit ein Konstruktionsfehler?
    War nicht das Newtonsche Konzept des absoluten Raumes Reflex und Grundlage historischen (herrschaftsgeschichtlichen) Absolutismus, aus dessen Bann wir bis heute nicht herausgetreten sind?
    Der Fundamentalismus verwechselt die zweite Natur mit der ersten.
    Enthält nicht die Figur des Henoch in den pseudepigraphischen Schriften des Alten Testamentes Hinweise zur Lösung der Beziehung von Astronomie, Zeitmessung und Schrift?
    Die Orthogonalität macht das Ungleichnamige gleichnamig. Ist nicht die christliche Theologie (als Theologie hinter dem Rücken Gottes) das Opfer dieses bis heute unbegriffenen Mechanismus?
    Sind nicht Pflanzen und Tiere verschiedene Formen der Verkörperung der Beziehung des Lebendigen zur Zeit?
    Wenn Recht im Namen des Volkes gesprochen wird, ist dann nicht das Volk das Kollektivsubjekt, das zur Entlastung der Richter in Haftung genommen und eben dadurch zur Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt wird? Dieser Begriff des Volkes drückt genau das aus, was dann vergeblich versucht wurde, im Namen der Heiden vom Begriff des Volkes, aus dem er sich herleitet, zu trennen. So wurde der Name der Heiden neutralisiert und dem griechischen Namen der Barbaren angeglichen. Das Wort, das in unseren Bibeln mit Heiden übersetzt wird, heißt im Original Völker.
    Wenn die Sekten die Apokalypse als Angstgenerator benutzen, beuten sie dann nicht einen Mechanismus aus, den die Kirchen zuvor installiert haben? Und dagegen hilft nicht das Tabu auf der Apokalypse, sondern dagegen hilft einzig die Selbstaufklärung der Apokalypse. Und die ist möglich.
    Johann Baptist Metz auf die innere Differenzierung des Begriffs des Universalen hinweisen:
    – Gericht und Barmherzigkeit, Vergangenheit und Zukunft, Ich und Du (Asymmetrie),
    – Rind und Esel (Joch und Last),
    – Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral“,
    – Levinas: Die Attribute Gottes stehen nicht im Indikativ, sondern im Imperativ,
    – Ontologie als vergeblicher Versuch, die Ethik als prima philosophia zu leugnen.

  • 11.3.1995

    Wenn Empfindlichkeit pathologisch ist, wer ist dann ihr Subjekt? Der Empfindlichkeit geht es um den Schutz der Bäume, unter denen Adam sich versteckte, als Gott ihn beim Namen rief.
    Ist nicht der Ausdruck „Entfremdung“ doch korrekt? Bezeichnet er nicht die Xenophobie, Grund und Produkt der Anpassung an die Welt, die das Subjekt, indem es das Fremde abstößt, von innen aufzehrt und auslöscht, „sich selbst entfremdet“? Die Entfremdung, indem sie das Fremde abwehrt, richtet sich auf am Anderen, dem sie dann sich angleicht. Entfremdung ist ein anderer Ausdruck für Veranderung. Das Verhältnis zu den Fremden ist der Gradmesser der Autonomie. Der Andere und der Fremde verhalten sich wie Joch und Last, wie Begriff und Name. Hängt nicht die Ambivalenz der christlichen Symbole mit dem Verschwinden des Rinds aus dem Kreis dieser Symbole zusammen, mit der Konsequenz, daß sowohl die Auflösung des Jochs (das Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt) als auch seine Unauflösbarkeit (die Opfertheologie und das Konstrukt der Entsühnung der Welt durch den Opfertod Jesu, das zur Geschichte der Aufklärung als Geschichte der Selbstlegitimation des Bestehenden gehört) als Grund christlicher Erfahrung sich anbieten?
    Verweist nicht auch der Satz: Das Rind kennt seinen Eigner, der Esel die Krippe seines Herrn, auf das Verhältnis von Fremdheit und Anderssein? Fremdheit und Anderssein sind geschieden durch die subjektiven Formen der Anschauung (durch den Kelch, dessen Inhalt das Anderssein der Dinge ist). Sie sind geschieden wie der Ewige vom Überzeitlichen.
    Ist nicht die Welt, deren Fundament der Gerechte ist, eine andere als die, deren Fundament die Naturwissenschaften sind?
    In welchem Verhältnis stehen Sodom, Jericho und Gibea (die biblischen Exempel der Xenophobie) zu einander?
    – Auf Sodom bezieht sich die Stelle im Hebräer-Brief, daß die Fremden als Engel sich erweisen. Aber Lot, der anstelle der von der xenophoben Meute herausgeforderten Fremden seine Töchter anbietet (jedoch vor dieser Konsequenz durch die Engel geschützt wird), wird selber später von seinen (von ihm verratenen) Töchtern betrunken gemacht und erzeugt mit ihnen Moab und Ammon. Über die „Moabiterin Rut“ gehören Lot und seine Töchter zum Stammbaum Davids und Jesu.
    – In Jericho ist es nicht das Volk, sondern der paranoide König, der von der Hure Rahab die Herausgabe der Fremden, der Kundschafter Josues, fordert. Rahab, die die Fremden rettet, wird als einzige Einwohnerin Jerichos auch gerettet und gehört ebenfalls zum Stammbaum Davids und Jesu.
    – Gibea ist die Geburtsstadt Sauls. Ein Levit, der als Fremder im Gebirge Ephraim lebt, kommt mit seiner bethlehemitischen Nebenfrau auf dem Heimweg als Fremder nach Gibea, ein Mann, der selbst als Fremder in Gibea lebt, nimmt ihn auf. Als die xenophobe Meute der benjaminitischen Einwohner Gibeas seine Herausgabe fordert, gibt er seine Nebenfrau heraus, die zum Opfer der Meute wird. Bethlehem, der Heimatort der Frau, ist der Geburtsort Davids und Jesu.
    Sodom wird durch Schwefel und Feuer, Jericho durch den Posaunenschall der Israeliten, Gibea nach einem Vergeltungskrieg ganz Israels an dem einen seiner Stämme, in dem diese schreckliche Tat begangen wurde, zerstört.
    Der Begriff unterscheidet vom Namen durch die Monologisierung, durch seine äußerliche, durch die „dritte Person“ vermittelte Beziehung zum Objekt, gleichsam durch ein in ihn installiertes, gegen das Objekt gerichtetes Lachen: durch die subjektiven Formen der Anschauung, die das Objekt zum Objekt erstarren machen.
    Der Name unterscheidet sich vom Begriff dadurch, daß er (wie nach Emanuel Levinas die Attribute Gottes) die Trennung von Indikativ und Imperativ suspendiert: er steht im Imperativ (er ist als Name zugleich Gebot – aber eines, das in der Objektivität der Sprache, und subjektiv im Hören, gründet). Oder – in Abwandlung eines Satzes von Herrmann Cohen: auch für den Namen gilt, daß er kein Attribut des Seins, sondern des Handelns ist (so wie die Attribute Gottes die Qualität des Namens, nicht des Begriffs haben). Ist nicht Joh 129 ein Teil des Namens Jesu, und rückt nicht das „Bekenntnis (homologein) des Namens“ diesen ins Zentrum des Nachfolgegebots? Die Theologie wird durch die wiederzugewinnende Kraft des Namens (durch die Heiligung des Gottesnamens oder als Theologie im Angesicht Gottes) überhaupt erst zur Theologie.
    In der Beziehung zum Namen gründet, was Adorno einmal „eingreifende Erkenntnis“ nannte. (Aber was bedeutet in Gesetzen und Urteilen das „Im Namen des Volkes“; ist der „Name des Volkes“ das allen Gesetzen und Urteilen zugrunde liegende Gewaltmonopol des Staates?)
    Der Johanneische Logos bezieht sich auf die Kraft des Namens (und nicht auf den „Begriff“). Die Differenz liegt in Joh 129, eine Stelle, die falsch übersetzt werden mußte (mit fatalen Konsequenzen für die gesamte Theologie), um den Anschluß der Theologie an die Philosophie sicherzustellen. Die Frage, ob das Dogma der Hellenisierung der Theologie oder der Enttäuschung der Parusieerwartung sich verdankt, ist falsch gestellt: Beide Thesen bezeichnen nur zwei verschiedene Aspekte des gleichen Sachverhalts.
    Die Vision rührt an das Schauen Gottes, nicht an die „Anschauung Gottes“, eine contradictio in adiecto.
    Stehen nicht die Siegel (mit denen das Buch versiegelt ist) für den Namen? Und wenn die sechs Richtungen des Raumes nach kabbalistischer Anschauung auf sechs Aspekte des Gottesnamens versiegelt sind, kommt das nicht der Wahrheit der apokalyptischen Siegel nahe? Das Problem des Raumes ist nur im Kontext der Rekonstruktion (der Wiederherstellung) der benennenden Kraft der Sprache aufzulösen.
    Das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, ist auch das Lamm, das würdig ist, die Siegel zu lösen: Nach dem Wort vom Binden und Lösen ist etwas von dieser Kraft an die Kirche übergeben worden (die dann ihr Talent im Dogma vergraben hat); das aber setzt voraus, daß das Auf-sich-Nehmen der Sünde der unters Nachfolgegebot fällt.
    Kann es sein, daß das Verhältnis des Feminismus zur Kirche in dem Satz der Martha vorm Grab des Lazarus vorbezeichnet: „Herr, er riecht schon“ (Joh 1139)?
    Die christliche Theologie hat immer aus zweiter Hand gelebt: die der Kirchenväter von Philo und die der Scholastik von Maimonides. Kann es nicht sein, daß das Werk Franz Rosenzweigs heute eine ähnliche Bedeutung hat, wir sie nur noch nicht erkannt haben?
    Wenn Ezechiel die Namen Daniels und Hiobs zusammen mit dem des Noe nennt, so rückt er beide in eine Beziehung zum Stammvater der Menschheit nach der Sintflut. Verweist es aber nicht zugleich auch darauf, daß bereits für Ezechiel Hiob und Daniel (deren Namen er kennt) zusammen mit Noe an die Qualität und den Charakter des Gerechten rühren? Welche Bedeutung hat diese Stelle für die historische Bibelkritik, für die historische Zuordnung der Bücher Daniel und Hiob?

  • 2.3.1995

    Die Opfertheologie (und die Tradition des Menschenopfers, mit dem Ziel der „Entsühnung der Welt“) gehört zu den Konstituentien des Weltbegriffs.
    Zentral scheint bei Heinsohn das Tabu auf der Gesellschaftskritik zu sein, die er insgesamt der „Linken“ zuordnet. Dieses Tabu gründet in der Unfähigkeit, den Bann, der auf dem Bestehenden liegt, zu brechen, die Logik der Selbstlegitimation des Bestehenden zu durchschauen.
    Durch das Symbol des Kelches sind Prophetie und Apokalypse aufeinander bezogen und miteinander verknüpft. Auf dieses Verhältnis bezieht sich die Geschichte von Traum und Vision im Buch Daniel. Der Fundamentalismus, den es erst unter nachapokalyptischen Verhältnissen gibt, ist der Unzuchtsbecher: die Subsumtion des Kelches unter den Kelch.
    Die erste Traumgeschichte, in der Nebukadnezar einen Traum hatte, ihn dann aber vergessen hat (das bezieht sich schon auf das „denn sie wissen nicht, was sie tun“), Daniel dann diesen Traum nicht nur deuten, sondern vorab überhaupt erst finden soll, ist die Eröffnungsgeschichte zum Verständnis der Apokalypse insgesamt: einen vergessenen Traum finden und dann auslegen.
    Der Schrecken der Tiere (nach der Sintflut): Ist das nicht der Schrecken, von dem Walter Benjamin spricht in seiner Bemerkung, daß die Tiere sich erkannt wissen von einem Namenlosen (als Objekte einer subjektlosen Erkenntnis). Und ist es nicht der gleiche Schrecken, der nach der Bemerkung Rosenzweigs über die „verandernde Kraft“ des ‚ist‘, der Kopula, von jedem Urteil (von der objektivierenden Gewalt des Urteils) ausgeht und in jedem „Wissen“ als dessen innere Qualität sich niederschlägt (auf die Auflösung dieses „Schreckens“ zielt das Adornosche Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt). Es gibt kein Urteil, dessen Objekt nicht in diesem Urteil sich mißverstanden weiß; deshalb ist das Urteil kein Mittel theologischer Erkenntnis (es sei denn einer Theologie „hinter dem Rücken Gottes“). Der Schrecken der Tiere rührt an einen zentralen sprachgeschichtlichen und -philosophischen Sachverhalt: an das in der Sprache verborgene Problem des Weltbegriffs. Am deutlichsten manifestiert sich der Ursprung dieses Schreckens im Lachen (zu einer Theorie des Urteils gehört der Hinweis, daß die Beziehung von Objekt und Begriff als Beziehung von Schrecken und Lachen sich begreifen läßt, wobei das Objekt, die Materie, durch den Schrecken, den das Lachen des Begriffs in ihnen erzeugt, zum Objekt, zur entqualifizierten Materie, erstarrt). Jedes Lachen hat Teil an der Erzeugung des Schreckens, dessen Subjekt im Weltbegriff sich konstituiert, und als dessen Objekt die Natur sich erweist. Vgl. hierzu Büchners „Lenz“, Nietzsches „Fröhliche Wissenschaft“, das Victor Hugo-Zitat in der „Dialektik der Aufklärung“ und den Sohar (Lachen schlimmer als Zorn).
    Vor diesem Hintergrund wird deutlich, weshalb Jesus in den Evangelien niemals lacht, wohl aber die Dämonen austreibt.
    Kommunikationstheorie des Lachens: Lachen ist Ausdruck sowohl der Freude als auch ihrer „anderen Seite“. Das Lachen über einen Witz bedarf ebenso eines Objekts (über das gelacht wird) wie auch des Zeugen, der zugleich der Adressat des Witzes ist. Der, der den Witz erzählt, darf bei einem „guten Witz“ nicht lachen. Umgekehrt kann man lachen auch, ohne daß ein Witz vorausgeht: Lachen ist unmittelbar „ansteckend“, sich aus eigener Kraft selbst fortzeugend wie die Form des Raumes. Das Lachen bringt die subjektive Form der Anschauung, die historisch-genetisch auf die kommunikative Struktur des Lachens sich zurückführen läßt, auf ihren Begriff.
    Als Moment in der Konstituierung des Objekts gehört das Lachen zur Geschichte der Aufklärung: Es setzt die Distanz zum Objekt, die der Aufklärung zugrunde liegt. Die Welt ist das neutralisierte Lachen, die Natur der im Objekt neutralisierte Schrecken.
    Der leere Raum ist das Realsymbol der Beziehung von Lachen und Schrecken (der unreine Geist findet das Haus, in das er dann mit sieben weiteren unreinen Geistern zurückkehrt, „leer, gereinigt und geschmückt“).
    Herrschaft wird erkauft mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die dann auch das Vergangene nicht unangetastet läßt. Das „stark wie der Tod“ und „schwer wie die Gruft“ (Martin Buber: „gewaltsam wie der Tod“ und „hart wie das Gruftreich“) im Hohenlied der Liebe drückt genau das aus.
    Drückt nicht das Wort passio beides aus, das Leiden und die Leidenschaft (wie die Geschichte das vergangene Geschehen und den Bericht darüber)?
    Es gibt eine List der Herrschenden und eine List der Schwachen. Sie unterscheiden sich dadurch, daß, während die List der Herrschenden die Dummheit derer, die sie betrügt, erst produzieren muß, die List der Schwachen die substverschuldete Dummheit der Herrschenden bereits vorfindet. Die erste gehört zu den Ursachen und Gründen des Schuldzusammenhangs, die zweite zu den Auswegen aus ihm.

  • 1.3.1995

    Die 42 Auschwitz-„Theorien“, die Heinsohn zusammenstellt und „widerlegt“, erinnern nicht zufällig an die kantischen Antinomien der reinen Vernunft, die Argumente Heinsohns an die „apagogischen“ Argumente Kants: Sowohl die (meisten der) „Theorien“ als auch deren Widerlegung sind wahr. Das ungute Gefühl, das einen beschleicht, wenn man sieht, wie Heinsohn die „Elemente des Antisemitismus“ aus der Dialektik der Aufklärung zur „Theorie“ zusammenstutzt, gründet darin. Für die Gesamtkonstruktion Heinsohns scheint die Verarbeitung des apokalyptischen Elements entscheidend zu sein. Durch einen Trick wird es vorab „unschädlich“ gemacht: durch das naturhistorische Konstrukt der Venus-Katastrophe, auf deren Erinnerung die Apokalypse generell reduziert wird; so verliert die Apokalypse durch Projektion ins Vergangene (als Erinnerung an eine vergangene Naturkatastrophe) jede „prophetische“, auf die Zukunft bezogene Bedeutung. Nur, was Heinsohn übersieht: Die Apokalypse ist zwar seit je (in der Urgeschichte des Fundamentalismus seit Augustinus) als Angst-Generator, als ein Mittel, die Menschen in einen Zustand zu versetzen, in dem sie beherrschbar sind, genutzt worden (in diesem Sinne war auch Hitler ein Apokalyptiker) – und gegen diesen Gebrauch richtet sich das Verfahren, das in der Geschichte der Aufklärung ebenfalls seit je als Mittel der Angstbearbeitung genutzt worden ist: die Projektion ins Vergangene. So, durch die gleichen Formen der Verdrängungsarbeit, hat die Aufklärung in der Ursprungsgeschichte der Philosophie den Mythos und das Schicksal, und mit dem Ursprungskonstrukt der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung (mit dem Inertialsystem) die Projektionen der Angst und des schlechten Gewissens in einer keineswegs „entsühnten Welt“ zu bewältigen versucht. Etwas anderes ist es jedoch, wenn man versucht, in der Apokalypse, in ihren Symbolen und Bildern, den rationalen Kern zu entdecken, sie als ein Mittel der Angstbearbeitung zu nutzen.
    Der Preis für seine (von ihm nicht reflektierte) apagogische Beweisführung ist die Identifizierung des jüdischen „Monotheismus“ mit dem philosophischen und die Ausscheidung der Apokalypse aus der Prophetie.
    Die heinsohnsche „Ursachenforschung“ trägt gleichsam bekenntnis-technische Züge: Wer die Ursache kennt, kann sie abstellen. Das Ergebnis ist eine Knopfdruck-Philosophie. Zugleich scheint ihr Motto zu sein: „Dixi et salvavi animam meam“, ein Satz, der bei Ezechiel eine ganz andere Funktion und Bedeutung hatte, jedenfalls nicht auf die Rechtfertigung derer abzielte, die glauben, doch nichts ändern zu können, und deshalb wenigstens rechtbehalten wollen.
    Adorno hat einmal auf die ihn erschreckende Erfahrung aufmerksam gemacht, daß Studenten weithin nur noch auf eine sehr instrumentalisierte Weise erfahrungsfähig sind, daß sie aus dem, was einer sagt, nur noch heraushören, wofür oder wogegen es sich richtet. Unter dem Bann dieser Fixierung scheint auch das heinsohnsche Konzept zu stehen; das ist es, was er aus den Auschwitz-Theorien vorab herauszuhören scheint. So entartet Kritik zum Grabenkrieg im Bekenntniskampf.
    Das apagogische Argument (dessen Logik damit zusammenzuhängen scheint) rührt an die Grenzen der Beweislogik, wie auch der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist. Das aber verweist darauf, daß die Explosion von Gemeinheit, als welche der Faschismus in der Erinnerung sich enthüllt, außerhalb der Beweislogik liegt. Es gibt keinen Wahn, der nicht auch von einer nur ihm eigenen Logik beherrscht wird. Und um einen Wahn aufzulösen, bedarf es auch der Kritik der Logik, die ihn beherrscht. Diese Kritik der Logik ist nicht irrational, sondern die Freisetzung einer Rationalität, die den Bann des Wahns bricht. Zentral in der Kritik der Logik ist die Kritik des Rechtfertigungszwangs, die die Fähigkeit zur Schuldreflexion mit einschließt. Logische Zwänge sind auch Rechtfertigungszwänge, sie gehorchen dem Exkulpationstrieb. Ihre Überzeugungskraft gründet in der exkulpatorischen Wirkung des Objektivationsprozesses. Insofern hängt Auschwitz in der Tat mit dem, was in Joh 129 die „Sünde der Welt“ heißt, zusammen.
    Zur Auflösung der Problems des apagogischen Beweises (die ein Problem der Logik der Schrift ist) trägt das Jesaia-Wort vom Rind und Esel bei, die Unterscheidung von Joch und Last, die Reflexion der Asymmetrie im dialogischen Kern der Sprache, von der das geschriebene Wort abstrahiert (die Logik der Schrift neutralisiert die Asymmetrie von Ich und Du, Zukunft und Vergangenheit, Himmel und Erde). Hierzu gehört der ungeheure Gedanke Kants, daß allein die Hoffnung das Gleichgewicht der apagogischen Beweise, das die Antinomie der reinen Vernunft begründet, zu stören vermag.
    Habermas: Die subtilste Art des Vatermords ist die, sich selbst zum Erben zu erklären. Eine Erbschaft kann nur antreten, wer davon ausgeht, daß der Erblasser tot ist. Das Erbe setzt die Enteignung der Toten, die Aufhebung ihrer Eigentumsfähigkeit, voraus. Steht nicht das Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, gegen die Form der Erbschaft unterm Gesetz des Privateigentums, die das uneingeschränkte Verfügungsrecht mit einschließt (und jeden Anspruch der Toten gegen uns ausschließt)? Vater und Mutter ehren heißt, aus der Rolle des Erben heraustreten. Vgl. dagegen die auf das Erbschaftsinstitut reflektierenden Erörterungen bei Paulus, aus denen u.a. der Begriff des „Neuen Testaments“ sich herleitet. Das Testament regelt die Erbschaft und setzt den Tod des zu Beerbenden voraus, während der Bund auf das Verhältnis freier Partnern sich bezieht. Die Vorstellung, das Christentum habe Israel beerbt, ist der Grund des christlichen Antijudaismus (mit der Folge der Neutralisierung der Prophetie, die im Antisemitismus, im Judenmord, endet).
    Zum Kontext des Begriffs des Erbes gehört der Weltbegriff, der aufgrund der Erbschafts-Konstellation in ihm den (am Ende eskalierenden) Generationenkonflikt aus sich entläßt.
    Nietzsches Wort „Gott ist tot, wir haben ihn getötet“ ist keine theoretische Feststellung, sondern Ausdruck einer verzweifelten Erfahrung. Die christliche Theologie war seit ihrem Ursprung eine Tod-Gottes-Theologie, ein nekrophiles Konstrukt. Das Wort „Gott ist tot“ steht erstmals in der „Fröhlichen Wissenschaft“. Hier ist erstmals das Lachen als Argument erfahren worden, dem Nietzsche nichts mehr entgegenzusetzen hat, und an dem er zugrunde gegangen ist. Der Sohar hat es noch gewußt: Lachen ist schlimmer als Zorn. Nietzsches Philosophie: Der verzweifelte Ausdruck der Hilflosigkeit und Ohnmacht im Angesicht des Lachens; darin gründet sowohl die Lehre vom Übermenschen und vom Willen zur Macht als auch deren metaphysisches Korrelat, die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen.
    Das apokalyptische Symbol des Lachens ist der Unzuchtsbecher.
    Haß der Welt: Die Scham macht den Andern (und der Inbegriff aller andern ist die Welt) zum Richter über das Subjekt, setzt das Weltgericht an die Stelle des Jüngsten Gerichts.
    Traum und Vision haben im Buch Daniel eine Entwicklungsgeschichte:
    – Vom Traum des Nebukadnezar, über den das Buch Daniel objektiv, in der dritten Person, berichtet, den Nebukadnezar vergessen hat, und den Daniel, bevor er ihn erklären kann, erst rekonstruieren muß,
    – über den Traum, den Nebukadnezar (in der ersten Peron) selbst erzählt, und den Daniel dann auslegt,
    – über Belsazar und die Schrift an der Wand, die Daniel erklärt,
    – über das Traumgesicht des Daniel,
    – bis zu den Gesichten Daniels.
    Beschreibt diese Geschichte die Ursprungsgeschichte des „Gesichts“, der apokalyptischen Vision?
    Die Getsemane-Geschichte wird unauflösbar, wenn das Kelch-Symbol in dieser Geschichte nur auf den privaten Tod Jesu, auf das Schicksal, das ihm widerfährt, bezogen wird. Vor diesem Hintergrund verdampft das Kelch-Symbol zu einem erbaulichen Vergleich, wird der Kelch gleichsam „innerhalb“ des Kelchs verstanden (der Kelch auf sich selbst angewendet): So wird der Kelch zum Unzuchtsbecher (Subsumtion des Kelches unter den Kelch: die Verwechslung von Joch und Last, Rind und Esel). Hiermit hängt es zusammen, wenn in den Texten des Christentums nur Esel und Lamm (das im Opfer für die Erstgeburt des Esels eintritt) noch erinnert werden, die Erinnerung ans Rind aber verschwunden ist.
    Klingt nicht im philosophischen Begriff der Erscheinung (und im Namen der Phänomenologie) der Name des Festes der Epiphanie, der „Erscheinung des Herrn“, nach?

  • 27.2.1995

    Die Vision des Ezechiel hängt zweifellos nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell mit der Situation in der babylonischen Gefangenschaft zusammen, mit einer bestimmten Phase in der Geschichte der Prophetie. Mit dieser Vision gründet (und entspringt) auch die Apokalypse in der durch Babylon bezeichneten neuen Geschichtssituation, im Zeitalter der Weltreiche als Teil der Ursprungsgeschichte des Staats (und der Astronomie).
    Die Sünde der Welt auf sich nehmen, heißt: den Staat und die Welt reflexionsfähig halten.
    Das Inertialsystem ist die Materie, aus der das kreisende Flammenschwert geschmiedet ist. Es ist Produkt der Neutralisierung des Feuers, des Namens und des Angesichts.
    Haben die „Gleichnisse“ Jesu mit dem „Bild und Gleichnis Gottes“ in der Schöpfungsgeschichte zu tun?
    Sind nicht die Armut am brennenden Dornbusch (Ziehe deine Schuhe aus, …), der Gehorsam (das Hören) am Sinai und nur das Keuschheitsgebot apokalyptisch: in der Hure Babylon vorbezeichnet?
    Haben Armut, Gehorsam und Keuschheit etwas mit Gottesfurcht, Umkehr und Nachfolge zu tun? Und ist nicht Nachfolge die Wahrheit des Bekenntnisses (von dem es nur durch die Umkehr getrennt ist), und insofern das Neue, das als Antwort auf den Ursprung des Weltbegriffs mit dem Christentum in die Welt gekommen ist? Und hängen nicht die drei Gestalten des Kelches: Zornesbecher, Taumelbecher und Unzuchtsbecher hiermit zusammen? Wie das Keuschheitsgebot auf den Unzuchtsbecher, so bezieht sich das Armutsgebot auf den Kelch des göttlichen Zorns und der Gehorsam auf den Taumelbecher.
    Die Stämme, Völker, Nationen und Sprachen, sind das nicht die vier Formen der kollektiven Vergangenheit, die uns beherrschen?
    Auch die entzauberte Welt steht noch unter einem Bann, aber es gibt keinen Weg zurück. Zu ergänzen ist: Mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist auch das Nach-vorne-Denken zur Regression geworden. Deshalb erinnert Hegels Idee des Absoluten an den Swinegel, an das „Ich bün all do“.
    In Rosenzweigs „deus fortior me“ ist das me sehr wörtlich zu nehmen: als Ich, mit Vor- und Zuname.
    Das Christentum hat aus Angst vor dem Feuer den Namen und das Angesicht geleugnet, sie durch den Begriff und die Person ersetzt. Wenn die Person zum Träger des Namens geworden ist, so ist darin das Vergessen des Namens schon mit eingebaut.
    Das mystische Nu ist die Erinnerungspur des Zeitkerns der Wahrheit, des Mediums der Prophetie. Im kirchlichen Gebet erinnert nur noch das per saecula saeculorum an diesen Zeitkern der Wahrheit.
    Aus dem Gefängnis der apologetischen Selbstbezogenheit und des theologischen Autismus ausbrechen (nach Rosenzweig hat Gott nicht die Religion, sondern die Welt erschaffen): Das geht nur unter dem Signum des Parakleten, des verteidigenden Denkens.
    Im letzten Wahlkampf wurde man insbesondere aus Kreisen der christlichen Partei mit dem unverschämten Ansinnen behelligt, daß man von einer bestimmten Einkommenshöhe an eigentlich nur noch diese „christliche“ Partei wählen dürfe. Dieser Appell ans unmittelbare Eigeninteresse (an die Solidarität des Klassenkampfs von oben), der im übrigen im deutschen Recht seine Stütze findet, ist er nicht die reale Verführung zur Sünde wider den heiligen Geist: Das verteidigende Denken wird als Verrat an den Zielen dieser Partei erfahren?
    Droht nicht die Apologetik zum Greuel am heiligen Ort zu werden? Unterm Rechtfertigungszwang wird das Verteidigen vom Objekt aufs Subjekt (und auf die Gemeinschaft, durch die das Subjekt sich definiert) umgelenkt.
    No pity for the poor: So heißt ein Kapitel in Adornos Untersuchung über die autoritäre Persönlichkeit. Gewinnt dieser Satz im Zeitalter der Schuldenkrise in der Dritten Welt nicht kosmischen Dimensionen?
    Die mathematischen Naturwissenschaften sind die Erben des Dogmas geworden. Ihre legitimatorische Funktion für das Bestehende hat ihre Wurzeln im Dogmatisierungsprozeß, mit dem die Säkularisation in der Theologie begonnen hat (mit der opfertheologischen Objektivation und Instrumentalisierung des Kreuzestodes). Steht nicht dagegen das Wort: Ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu holen, und ich wollte, es brennte schon?
    Wie hängt die Kritik der Naturwissenschaften, der politischen Ökonomie und der Bekenntnislogik mit den drei evangelischen Räten zusammen? Ist nicht die Abstraktionsgeschichte, der die Raumvorstellung sich verdankt, die Wurzel von allem; die Raumvorstellung als Verletzung des von Jesaia übermittelten Gebots zu Rind und Esel?
    Schwachsinnige Frage, ob die Tiere in den Himmel kommen (so der Titel einer Sendung im Fernsehen gestern): Sie sind schon im Tierkreis und in den Sternbildern am Himmel.
    Kann es sein, daß die Arche, mit der auch die Tiere vor der Sintflut gerettet wurden, etwas mit dem Tierkreis zu tun hat? Ist die Arche Noahs der symbolische Inbegriff der „Häuser“ des Tierkreises?
    Welche Sternzeichennamen gibt es, und welche Tiere sind darunter enthalten (Stier und Widder, die Schlange, die Fische, der Löwe, der große und der kleine Bär)? Gibt es nicht eine Beziehung zwischen den Heroen des Mythos (die an den Sternenhimmel versetzt wurden) und den Tieren der Sternzeichen? Hat das heroische Zeitalter nicht etwas mit dem apokalyptischen (und geschichtsphilosophischen) Tierbegriff zu tun? „Das steinerne Herz des Unendlichen erweichen“: Bezieht sich darauf nicht das Wort vom Lösen (vom Orion über den gordischen Knoten bis zum Wort an Petrus und die Kirche)?
    Ist das Verhältnis des Autors zum Leser, dieses asymmetrische Verhältnis von Nähe und Fremdheit (ein Strukturelement der Logik der Schrift), nicht ein realsymbolischer Hinweis auf die Astronomie?

  • 21.2.1995

    Das Elend der Kommunikationstheorie (und der Linguistik) ist ihre Unfähigkeit, die erkennende und benennende Kraft der Sprache zu reflektieren. Das Nomen ist zum Substantiv geworden, und die Kommunikationstheorie zur Rache des Begriffs an der Sprache. Aber ist das nicht die logische Konsequenz daraus, daß in beiden die sprachlogische Struktur und Funktion der Grammatik vergessen wurde? Beide sind durchs Neutrum geblendet. Man könnte auch sagen: Die Kommunikationstheorie steht unter dem Bann der (Mono-)Logik der Schrift: Sie verwechselt die Welt im Kopf des Theoretikers mit der Welt.
    Auschwitz ist ebenso unvergleichbar wie in der Sprache der Name unvergleichbar ist. Das schließt nicht aus, daß es andere Namen und daß es Metastasen von Auschwitz gibt.
    Dem Ausdruck „gequälte Natur“, mit dem Habermas das Adornosche „Eingedenken der Natur im Subjekt“ glaubte berichtigen zu müssen, ist die Neutralisierung der Natur im Habermasschen Philosophiekonzept vorausgegangen.
    Und sie erkannten, daß sie nackt waren: Wodurch unterscheidet sich der Rock aus Fellen von den Feigenblättern? Ist das Feigenblatt nicht der Anfang der verandernden Kraft, aus der der Weltbegriff erwachsen ist?
    Die phonetische Aufschlüsselung der Buchstabenschrift im Hebräischen scheint auf die griechische und lateinische und auf die nachfolgenden europäischen Sprachen nicht anwendbar zu sein. Kann es sein, daß es prophylaktische Gründe sind, die die Anwendung verhindern, weil die Ergebnisse erschreckend wären? Hat das Neutrum die Sprache ihrem phonetischen Ursprung entfremdet hat? Und hat die Spiegelung am Neutrum auch die Etymologie tangiert und verfremdet? Die Logik der Schrift hat ihre verandernde, neutralisierende Kraft bis in diese Sprachschicht entfaltet (mit dem Ich als Statthalter des Neutrum im Subjekt)?
    Sind die Differenzen zwischen den verschiedenen Gestalten der Mystik in den drei „Welt“-Religionen (Kabbala, christliche Mystik, Sufismus) sprachgeschichtlicher Natur? Das hic et nunc (grammatisch das Präsens) ist der (dem Neutrum und dem Ich korrespondierende) Reflexions- und Spiegelungspunkt, an dem Prophetie und Philosophie sowohl sich scheiden als auch auf einander sich beziehen. Diese Scheidung vollendet sich in den „subjektiven Formen der Anschauung“, den Reflexionsformen und Stabilisatoren des „intentionalen Akts“, der umkehrlosen Erkenntnis (des Wissens).
    Die indoeuropäischen Sprachen haben das hic et nunc zum überzeitlichen Präsens gemacht.
    Wie hängt die mittelalterliche Eucharistie-Verehrung (und die „Monstranz“) mit dem Stellenwert und der Konstruktion der bestimmten Artikel im Deutschen, mit der Verknüpfung des vom Nomen abgelösten Demonstrativum mit den Formen der Deklination, zusammen? Ist nicht in der Konstruktion des bestimmten Artikels im Deutschen, in dem „der da“, die Selektion, die Hybris der Säkularisation des Jüngsten Gerichts (des Hegelschen „Weltgerichts“) in Auschwitz, vorgebildet?
    Der Faschismus war eine Knechtsrevolte: der Aufstand Kanaans.
    Schuldgefühle nach Auschwitz hatten die Überlebenden aus dem Volk der Opfer, nicht die Täter; zur Infamie dieses Ereignisses gehörte es, daß es den Tätern und ihren Angehörigen die Möglichkeit offenhielt, durch Flucht in die Rolle des Zuschauers sich vor sich selbst freizusprechen, in die Opfern aber den Stachel des Bewußtseins einpflanzte, Komplizen des Verbrechens geworden zu sein.
    Die Gottesfurcht ist die Furcht vor einem Gericht, in dem die Opfer unseres Handelns und unserer Versäumnisse gegen uns als Richter sich erweisen werden. So hängt die Gottesfurcht mit der Idee des Jüngsten Gerichts zusammen.
    Mein Joch ist sanft und meine Last leicht: Würde auch nur einer noch diesem Satz glauben, würde er die ganze Theologie verändern.
    Zum Problem des Gebets (zur Theologie als Gebet) vgl. Mk 1125.
    Läßt sich das Problem der Dialektik an dem Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ demonstrieren? Dieser Satz ist nicht objektivierbar, er läßt sich nicht verallgemeinern. Nur das Opfer kann ihn sprechen; kein Täter darf ihn von seinem Opfer fordern. Was im Munde des Opfers das Humanste wäre, wird im Mund des Täters zur Waffe, die ihn ein zweites Mal erschlägt. Darauf bezieht sich das Prophetenwort vom Rind und Esel. Gründet nicht der Bann, der auf der christlichen Theologie lastet, darin, daß sie Last und Joch identifiziert?
    Das Lamm, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, ist das Lamm, das für die Auslösung der Erstgeburt des Esels eintritt.
    Das göttliche Gebot ist eine (befreiende) Last für mich, kein (verknechtendes) Joch für andere. Dazu wird es im Kontext des Urteils, dessen Kritik in dieser Konstellation gründet.
    Hängt nicht die Urteilsform mit der Ursprungsgeschichte der indoeuropäischen Sprachen, mit dem Ursprung des Neutrum, der Struktur des Wissens, der Philosophie und des Natur- und Weltbegriffs, zusammen? Die Urteilsform. die über die subjektiven Formen der Anschauung (und in Wechselwirkung damit über die Geldwirtschaft und die Bekenntnislogik) in der Objektivität sich verankert, macht das befreiende Gebot zum verknechtenden Gesetz.
    Die Bekenntnislogik, die die Neutralisierung der erkennenden Kraft der Sprache, ihre kommunikationstheoretische Denaturierung, voraussetzt, ist die geschichtliche Gestalt der dritten Leugnung.

  • 13.2.1995

    Gemeinheit ist ein projektives Verhalten; sie gehört zu den (Ab-) Gründen des Wissens.
    Das „Liebet eure Feinde“ ist ebensosehr ein ethisches wie ein erkenntniskritisches Gebot.
    Die Doppelbedeutung des Wortes Geschichte hängt damit zusammen, daß Geschichte nur für uns: gewußte Geschichte ist (und daß die Objektivierung die Geschichte wie das Inertialsystem die Natur verändert); mit der Taufe der Vergangenheit, mit ihrer Konstituierung durchs Wissen wird sie gleichsam überdeterminiert. In dieser Überdeterminierung gründet das kontrafaktische Urteil, das vergebliche Wenn-Dann. Durch ihre Objektivation wird die Geschichte aus dem Kontext herausgelöst, in dem ihre Beziehung zur Wahrheit gründet: ihr prophetisches Verhältnis zur Gegenwart, zur Aktualität.
    Genesis: Durch den prophetischen Erkenntnisbegriff wird der Anfang ins Allernächste gerückt.
    Kelle: Steht nicht unser Schöpfungsbegriff unter dem Apriori des Kelchs (des Bechers, der Schüssel, des Topfs)?
    Die Gravitation steht im Zeichen der Gewalt des Unteren über das Obere (oder des Abimelech), die Optik und die Elektrodynamik (das objektivierte Licht) im Zeichen der Gewalt der Linken über die Rechte (der linkshändigen Benjaminiten). In der Mechanik gewinnt das von Hinten Gewalt über das Vorne. Nur durchs Inertialsystem bezieht sich jedes Moment auf das Ganze, das es nicht gibt.
    Sind nicht die göttlichen Verheißungen allesamt Gebote, und erst im Tun erfüllen sie sich als Verheißungen?
    Die Grammatik ist die Logik der Sprache; in ihr ist die Vergangenheit präsent, die so lange Macht über uns haben wird, wie wir vergessen, sie zu reflektieren. Es müßte eigentlich möglich sein, den Begriff der Barbaren aus der Logik der griechischen Sprache, aus ihrer Grammatik, abzuleiten: Im Zentrum stünde hierbei das Problem des Neutrum. Nicht zufällig gehört zu den Konnotationen des Begriffs der Barbaren der Stammelnde.
    „Mein ist dein, und dein ist dein“ (Scholem, Hauptströmungen, S. 101): Ist das nicht eine Erläuterung des Namens der Barmherzigkeit (der im Namen der Gebärmutter wurzelt), und wirft es nicht zugleich ein Licht auf das Wort „hysterische Panikmache“? Löst nicht die Idee der Barmherzigkeit unterm Bann der Selbsterhaltung in der Tat panische Existenzängste aus?
    Der philosophische Existenzbegriff notiert und suggeriert, daß es zur Selbsterhaltung keine Alternative mehr gibt, daß die ihm korrespondierende Welt eine Wolfswelt ist, und daß man dann, wenn schon nicht ein edler, so doch ein geadelter Wolf sein möchte (darauf verweist der Begriff der Eigentlichkeit, der dem Existenzbegriff Patina verleiht).
    Eigentlichkeit: Man möchte vom Gott geliebt sein, aber von dem in dieser Liebe sich manifestierenden Gebot sich zugleich dispensiert wissen.
    Durch die Logik, die der Religion im Säkularisationsprozeß zugewachsen ist, durch die Bekenntnislogik, ist die Religion zu einem Herrschaftsmittel geworden, ist sie von innen blasphemisiert worden.
    Die urzeitliche Katastrophe, von der der Dialektik der Aufklärung zufolge die Tiere zeugen, ergreift heute die Menschheit: Darauf beziehen sich das apokalyptische Bild des Tieres und sein Gegenbild, das des Menschensohns. Hat nicht der Ursprung des Weltbegriffs (im Kontext der Geschichte des Ursprungs des Staates und der Philosophie) mit jener urzeitlichen Katastrophe zu tun?
    Auf die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die den Begriff konstituiert, antwortet die Theologie mit der Errettung der vergangenen Hoffnung, die an den Namen sich heftet.
    (Der deutsche Adler hat sich geteilt in die Bundestagshenne und den Ämtergeier.)

  • 12.2.1995

    Die ganze Skala der Empfindlichkeit, von der pathologischen Verletzbarkeit bis hin zur Majestätsbeleidigung, steht unter dem Satz: „De mortuis nihil nisi bene“ (unter dem Gesetz des ersten Todes).
    Die magischen Attribute der monarchischen Institutionen hängen mit ihrer Beziehung zum Totenreich zusammen.
    Dritte Leugnung: Über die Adornosche Bemerkung, wonach heute schon jeder Katholik so schlau ist wie früher bloß ein Kardinal, ist die Entwicklung inzwischen noch hinausgegangen. Der real existierende Katholizismus ist atheistischer als die Welt, der er sich angepaßt hat.
    Der Verzauberung der Welt, auf die sich der Säkularisationsprozeß bezieht, ist das Werk des Christentums, Produkt seiner Unfähigkeit, den Bann des Mythos aufzulösen, der erst im Christentum wirklich böse geworden ist. Die Unfähigkeit, Joh 129 zu begreifen, hat den Grund für die Dämonisierung der Welt geschaffen (für ihre Remagisierung), die dann ihre projektiven Opfer in den Juden, Ketzern und Hexen gefunden hat, allesamt Realsymbole des katholischen Mythos: der Teufels- und Höllenvorstellung. In diesen Zusammenhang gehören auch die mittelalterlichen „Geschichtsfälschungen“, die ebensfalls als Produkte logisch überdeterminierter Spontanprojektionen sich begreifen lassen (Herrschaftsgeschichte ist Bewußtseinsgeschichte).
    Die Entzauberung der Welt hat die Hölle zur Natur neutralisiert. Der moderne Naturbegriff ist selber ebensosehr Produkt wie Medium und Instrument projektiver „Erkenntnis“. Grund und Korrelat des Naturbegriffs ist die Verinnerlichung der Scham (die seine Stellung in der Geschichte des Sündenfalls markiert), ist das symbiotische Element, das bei Rousseau in der Wiederkehr des Inzestmotivs sich anzeigt.
    In der Theologiegeschichte wäre das Syndrom der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit an der Geschichte der Umformung des Symbolum ins Bekenntnis nachzuweisen und zu demonstrieren. Die Bekenntnislogik war das Todesurteil der Theologie, Instrument der Verdrängung und Verwerfung einer Theologie im Angesicht Gottes.
    Das „Hinweggenommen“ in Joh 129 ist wahr als Verheißung und als Gebot, nicht als indikativische Feststellung (als „nackte Tatsache“). War es nicht die opfertheologische Idee der „Entsühnung der Welt“, die Ihm mit der Last auch noch das Joch aufgebürdet (die Ochs und Esel gemeinsam vor den Pflug gespannt) hat?
    Die Sprachlogik ist die Vergangenheit, die nicht vergeht: In ihrer gegenwärtigen Gestalt gehört sie zu den Konstituentien der Welt, die Auschwitz hervorgebracht hat.
    Sind (im Kontext der Auslegung des Symbols durch Eleazar von Worms) nicht noch die Dornen von den Disteln zu unterscheiden? Sind die einen nicht Prdukt der neutralisierten Umkehr der andern (und ist ihre Einheit nicht die „subjektive Form der äußeren Anschauung“)? Die Jotham-Fabel, der brennende Dornbusch und die Dornenkrone haben es nur mit den Dornen zu tun.
    Haben die Dornen und Disteln etwas mit dem Feuer und dem Wasser zu tun? Ist das Wasser das unter die Vergangenheit subsumierte Feuer?
    Das Inertialsystem ist die Wand der fensterlosen Monade.
    Die Identitätslogik abstrahiert von der Dreidimensionalität des Raumes. Hegels Dialektik ist der Versuch, die Identitätslogik mit der Dreidimensionalität des Raumes zu versöhnen.

  • 10.2.1995

    Ästhetik und Massenwahn, Drama und Prozeß: Der Faschismus war das Produkt einer Inszenierung, zu der die Massenaufmärsche ebenso gehörten wie die einstudierten Wutanfälle des „Führers“ und der von oben angeordnete „spontane“ Pogrom; Inszenierungen sind die Rituale der Staatsschutzprozesse: von der MP-bewehrten Polizei vor dem Gerichtsgebäude über die entwürdigende Eingangskontrolle, der die Besucher ausgesetzt sind, bis zur Ausstattung des Gerichtssaals, die insgesamt ein vorverurteilendes Klima schaffen. Inszenierungen sind möglich in einer Welt, die nicht mehr durchs Angesicht Gottes, sondern durchs Anschauen aller (durchs Gesetz der Schamlosigkeit) sich definiert. Diese Welt ist das Produkt der kopernikanischen Wende; die erste Getalt ihrer Selbstreflektion war die kantische Philosophie. Die Waren bedürfen der Inszenierung durch die Reklame, die Privatexistenz der Selbstinszenierung durch Beruf, Wohnung und Kleidung (als Bühne, Kostüm und Ausdrucksmittel der „Rolle der Persönlichkeit“). Zu den ersten Inszenierungen gehören die Kulte der Religionen und die Rituale der Herrschaft: der byzantinische Herrscherkult und die Eucharistie-Verehrung im Mittelalter, die die Kulisse bildete für die Juden-Pogrome, die Ketzer- und Hexenverfolgungen.
    Inszenierungen gibt es, seit es Zuschauer gibt. Sie setzen einen Begriff der Welt voraus, zu dessen Konstituentien der Zuschauer (das Bewußtsein des Von-allen-Gesehen-werdens), die „Öffentlichkeit“ (ein Euphemismus für die biblischen Nacktheit), gehört.
    Sind nicht die Tiere Produkte erstarrter, nicht mehr reflexionsfähiger Öffentlichkeiten, Produkte des „Bewußtseins“, von einer namenlosen, nicht ansprechbaren Instanz gesehen zu werden; hat nicht jede Gattung ihre eigene, sie definierende Öffentlichkeitsdefinition? Menschen leben im Angesicht Gottes, die Tiere im Angesicht Adams. Deshalb wartet „die ganze Schöpfung … sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ (Röm 819ff).
    Haben nicht die apokalyptischen Tiere mit diesem Begriff der Öffentlichkeit zu tun, sind sie nicht Reflexionsformen der Öffentlichkeit?
    Wer die Reflexion der Natur (das Eingedenken der Natur im Subjekt) verweigert, verweigert die Reflexion des Eigentums: Die kopernikanische Wende hat dem Prinzip der Selbsterhaltung die kosmologische Begründung gegeben. Sie hat das Sich-auf-sich-selbst-Beziehen des sturen Eigeninteresses ontologisiert.
    Die Arbeit des Begriffs, deren Geschichte mit der Hegelschen Philosophie nicht beendet war, hat das, was einmal das Substantielle hieß, zermahlen.
    Die Mathematik ist keine rationale, sondern eine ästhetische Wissenschaft.
    „Euch gebührt es nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater nach seiner eigenen Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist über euch kommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und ganz Judäa und Samarien bis ans Ende der Erde (heos eschatou täs gäs).“ (Apg 18) Die Erde hat demnach nicht ein Ende, sondern mehrere Enden: welche sind schon erreicht, und welche stehen noch bevor?.
    Sind nicht die „drei Abmessungen des Raumes“, wie Kant sie nennt, drei Formen seiner Beziehung zur Zeit?
    Es gibt die Himmelsheere, die Vögel des Himmels und die Wolken des Himmels. In welcher Beziehung stehen diese drei zu einander?
    Die Rache Gottes ist die Rache der Barmherzigkeit über das gnadenlose Gericht. Und sind nicht der Zorn und der Grimm (der Inhalt des Taumelkelchs) die Außenseite dieser göttlichen Barmherzigkeit, die göttliche Barmherzigkeit im Bann und im Kontext der Logik der Schrift? Theologie heute müßte sich zur Sprache dieses Gerichts der göttlichen Barmherzigkeit machen. Findet nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“, sein Begriff der bestimmten Negation und sein Votum für das Nichtidentische, darin seine Begründung?
    Hängt nicht das Wort von den zwei Auferstehungen (in der Apokalypse des Johannes) mit den Beziehungen der Dimensionen des Raumes zur Zeit zusammen?

  • 8.2.1995

    Verhalten sich im Hogefeld-Prozeß die Richter und die Bundesanwälte nicht so, als wären sie die Angeklagten? Man hat das Gefühl, als könnten sie selbst an die Konstrukte der Anklage, die dem Verfahren zugrunde liegen, nicht glauben, so daß sie die fehlende eigene Überzeugung (auch die fehlenden Beweise) durch Aggressivität ersetzen müssen: durch beleidigte Empörung, durch den polemischen Ton, durch „Schimpfen“. Die Plädoyers der Bundesanwälte gleichen denen von demagogischen Verteidigern in schlechten Filmen, die zu glauben scheinen, nur so auf die Entscheidung der Schöffen Einfluß nehmen zu können. Hier aber gibt es weder Schöffen noch wirkliches Publikum (das durch die entwürdigenden Formen der Eingangskontrolle dem Prozeß ferngehalten wird); so gibt der Ton, in dem Zeugen befragt oder Plädoyers vorgetragen werden, nur Sinn, wenn man sie als Mittel der Selbstüberredung begreift. Der Eindruck entsteht, daß sie sich selbst „besoffen reden“ müssen, weil sie nur in diesem Zustand fähig sind, das zu glauben, was sie glauben, als Anklage vertreten zu müssen. Souverän wirken vor diesem Hintergrund nur die Angeklagte und ihre Verteidiger.
    Erinnert dieses Verfahren nicht zwangshaft und bewußtlos an die Ursprungsgeschichte des Opfers? Die projektive Umkehrung der Beziehungen, in der Richter und Ankläger sich als Angeklagte erfahren, die durch das Urteil über den Angeklagten bestrebt sind, sich selbst freizusprechen, macht den Angeklagten tendentiell zum Opfer. Erinnert diese Logik nicht an die des Ursprungs des Staates und des Weltbegriffs, in dem sie entsprungen ist: in der projektiven Schuldverarbeitung durchs Opfer im Kontext der Tempelreligion? Darauf bezieht sich das Prophetenwort: Barmherzigkeit, nicht Opfer. Werden nicht in jedem Opfer in Wahrheit der Richter und das Gericht, die im Opfer (nicht im Priester) sich verkörpern, geopfert? Das Menschenopfer, der Opferpfahl und die Statue, zusammen mit der Apotheose des Opfers (seine Erhöhung im Sternzeichen), gründen in dieser Logik. Wird die Entfaltung dieser Logik nicht begleitet von der Ausbildung der Raumvorstellung (der subjektiven Form der Anschauung)?
    Das destruktive Potential dieser Gesellschaft erwächst aus dem Trieb, sich an andern dafür zu rächen, was man sich selber antun muß.
    Die Philosophie verwechselt die Fremden mit den Anderen, während die Prophetie in der Selbstreflexion im Fremden wurzelt. Die Identifizierung des Fremden mit dem Anderen ist die Grundlage des Begriffs der Natur und der Materie, sie begründet die Formen der projektiven Erkenntnis (den Bereich der synthetischen Urteile apriori); hierauf bezieht sich das prophetische Verbot, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen.
    Hängt das astrologiehistorische Problem der Beziehung des Tierkreises zu den Planeten hiermit zusammen? Waren nicht die mythischen Götter prima facie Planetengötter, während die Welt der „Fixsterne“ die Projektionsfolie des heroischen Zeitalters war und die Sternzeichen auf die Apotheose der Heroen (und auf die adamitische Benennung der Tiere) zurückweisen.
    Aristoteles, Thomas, Hegel: Nach der kosmologischen Begründung der aristotelischen Philosophie (der reinsten Verkörperung der Logik der Schrift) hat diese beim heiligen Thomas ihre theologische und bei Hegel ihre geschichtsphilosophische Anwendung gefunden (in der Idee des Absoluten, der Selbstreflexion des Subjekts im Unendlichen).
    Die Schrift begründet die Welt, das Geld die Natur.
    Das Selbst, die Ästhetik und der Schuldzusammenhang. Kunst ist eine Form der Schuldverarbeitung vor der Sündenvergebung. Ihr objektives Substrat sind die Reflexionsformen des Selbst, das selber im Schuldzusammenhang sich konstituiert, während es in der Gotteserkenntnis, in der prophetischen wie in der messianischen und parakletischen Erkenntnis, sich auflöst. Auch die subjektiven Formen der Anschauung (der Grund der Mathematik) sind Emanationen des Selbst. Das Selbst ist das Signum des Todes. Die Tiere sind zu Gattungen, in denen ihr Selbst beschlossen ist, erstarrt, als sie von Adam benannt wurden. Das Selbst ist das Korrelat der Welt, nicht Gottes (gegen Adornos Bemerkung in den Minima Moralia).

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