Adorno

  • 7.2.1995

    Das griechische Wort für Religion „threskeie“ wurde ursprünglich nur auf fremde Religionen angewandt, erst seit Augustus „bezeichnet das Wort … jeden Kult, ob er nun einheimisch oder fremd ist“ (Benveniste, S. 506). War nicht die persische (achämenidische) Praxis, fremde Kulte nicht nur anzuerkennen, sondern zu restituieren und zu fördern (vgl. Esra und Nehemia), ein Vorläufer des römischen Pantheon, und verweisen nicht beide auf den Beginn einer Emanzipation der imperialistischen Politik von der Religion und Instrumentalisierung der Religion, die dadurch erst zu einem gesellschaftlichen Sonderbereich (und zu einem Spiegel der Herrschaftsgeschichte) geworden ist: Seitdem ist jede Religion eine fremde Religion, eine Religion, die in sich selbst den Widerstreit zwischen Tradition und „Bekehrung“ (zwischen der Fremdheit des Vergangenen und der der anderen Religionen) austragen muß. Seitdem ist die Klärung ihrer Beziehung zur Herrschaftsgeschichte eines der ungelösten Probleme der Religion. Das Christentum hat mit dem Theologumenon der „Entsühnung der Welt“ dieses Problem nur vertagt, nicht gelöst.
    Die Ableitung, die Laktanz und Tertullian dem Begriff der religio geben, wenn sie es auf ligare (statt richtig auf legere) zurückführen (Benveniste, S. 507), mag etymologisch falsch sein (es müßte dann religatio, nicht religio, heißen), logisch bezeichnet sie genau den Schritt, den das Christentum über das Religionsverständnis im Römischen Reich hinaus macht: die Wendung der Skrupel, der Bedenken, die die Menschen von bestimmten Handlungen zurückhält, ins Affirmative: in die „Rückbindung“ an einen Gott, der seinen eigenen Sohn opfert, um eine Welt zu „entsühnen“, die im imperialen Rom (und in den seine Strukturen nicht aufhebenden, sondern fortentwickelnden Nachfolge-Reichen) unerlöst bleibt. Eine Religion, deren Hauptaufgabe (ohne daß sie es selbst bemerkt hätte) die Rechtfertigung des Bestehenden (und nach der Vergesellschaftung der Herrschaft in der Gestalt des verweltlichen Subjekts die Rechtfertigung eben dieses Subjekts) geworden ist, wird zwangsläufig zu einem Institut der „Rückbindung“, der Verstrickung ins System: zur Leugnung der Freiheit, die sie in ihrem Ursprung verkörperte. Index dieser Geschichte sind der Ursprung und die Geschichte des Weltbegriffs, dessen theologische Rezeption die Selbstblendung der Religion zur Folge hatte.
    Hat sich nicht schon in Hegels Bemerkung, daß die Natur den Begriff nicht halten kann (was anhand der Existenz verschiedener Tierarten beweist), das Scheitern der Reichsidee angekündigt? Bezeichnet diese Bemerkung nicht genau die Verblendung im Kern der preußischen Reichsidee? Endet nicht Hegels Astronomie in der Planetentheorie; der Fixsternhimmel bleibt außerhalb seiner Philosophie, weil er außerhalb des Bereichs der List der Vernunft bleibt?
    Ist nicht der Tierkreis das Realsymbol der äußeren Beziehungen der Staaten untereinander, während das Planetensystem auf die Innenstruktur der Staaten sich bezieht? Haben der Orion und die Plejaden etwas mit Gog und Magog (oder mit den beiden apokalyptischen Tieren, mit dem Tier aus dem Meer und dem Tier vom Lande) zu tun, mit der Beziehung von Politik und Religion?
    Heideggers Philosophie leugnet den Satz, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden.
    In der Form, in der Habermas Adornos Satz vom „Eingedenken der Natur im Subjekt“ zitiert, steckt der ganze Habermassche Wissenschaftsfundamentalismus, der im übrigen ein Stück linker Tradition war und einer der Gründe für das Scheitern des real existierenden Sozialismus gewesen ist.

  • 6.2.1995

    Der Satz, daß das Wort eintrifft, muß unterschieden werden von dem, wonach das Wort sich erfüllt. Diese Unterscheidung konvergiert mit der von „Unheils-“ und „Heilsprophetie“.
    Das Christentum hat durch den projektiven Gebrauch der „Unheilsprophetie“ sich selbst zu deren Objekt gemacht.
    Das Christentum: ein erloschener Vulkan, Hegelkritik: aus der Asche das Licht rekonstruieren.
    In der Schrift wird unterschieden zwischen dem „offenen Himmel“ und der „Entrückung“. Stephanus sah den Himmel offen (und Jesus zur Rechten Gottes sitzen), Paulus wurde in den dritten Himmel entrückt. Ezechiel sah in seiner Anfangsvision (in der er die Merkaba, den Thron Gottes, sah) den Himmel offen, später wurde er aus der Verbannung nach Jerusalem, in den Tempel, entrückt.
    Die Geduld, und zwar die aktive Geduld, gehört zur Barmherzigkeit, während die passive Geduld, die bloß zuschauende Erwartung (die Physik und das Fernsehen) zum strengen Gericht gehört.
    „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ und „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen“: Ist die in diesen Sätzen (zu denen auch das Wort Marias an die Diener gehört: „Was er euch sagt, das tut“) angesprochene Mutter Jesu nicht das Symbol der Kirche, ähnlich auch die Familie (seine Mutter und seine Brüder und Schwestern), die ihn für irre hält und ihn aus dem Verkehr ziehen möchte? In diesem Zusammenhang kommt der Vater nicht mehr vor (er wird nur noch einmal, beim Besuch Jesu in Nazareth, erwähnt: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“).
    Erscheint nicht die Vater-Imago (anstelle des realen Vaters) erstmals beim Besuch des Tempels in Jerusalem: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein mußte, was meines Vaters ist?“
    Ist das zölibatäre Verständnis der Keuschheit (und die ihm zugrunde liegende Form der Mutterbindung) nicht die Institutionalisierung der Weigerung, den Vater zu ehren?
    Die kopernikanische Wende ist der Beleg für die Wahrheit des Satzes: „Was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein“. Hat nicht die Rechtfertigungslehre Luthers hierzu die Begründung und den Schlüssel geliefert?
    Als das Symbolum zum Bekenntnis (und die Kirche zur Konfession) wurde, ist durch Abstraktion vom Gegenblick (und durch Verinnerlichung der Scham) das Inertialsystem begründet worden. In dieser Konstellation gründet der Begriff der Erscheinung (wie in der Scham die gesamte Geschichte der Ästhetik, des Mythos und der Kunst). Hier ist das Bekenntnis zu der Waffe geworden, die auch den trifft, der von ihr Gebrauch macht. Die Bekenntnislogik hat das Symbol gelöscht; geblieben ist das verdinglichte Dogma.
    Die Unterscheidung zwischen Symbolum und Bekenntnis hängt zusammen mit der zwischen Umkehr und Bekehrung. War die Bekehrung eine Erfindung der iro-schottischen Mönche?
    Die Bekehrung ersetzt ebensowenig die Umkehr wie die Befreiung die Freiheit (und das Bekenntnis die Gotteserkenntnis).
    Zur Stimme der Neurosen: Hat nicht Hegel an der Stimme katholischer Priester deren Heiserkeit bemerkt?
    Das parakletische Denken ist die Umkehr des apologetischen Denkens; das apologetische Denken steht unterm Bann des Rechtfertigungszwangs (Rosenzweig: Gott hat nicht die Religion, sondern die Welt erschaffen).
    Ideologie ist Rechtfertigung. An diesem Satz aus den Soziologischen Exkursen von Horkheimer und Adorno läßt sich demonstrieren, was mit dem Konzept einer „Säkularisation aller theologischen Gehalte“ gemeint ist. Dieser Satz rückt Johannes 129 in die Perspektive des Nachfolgegebots.
    Die Verkörperung der Sünde der Welt ist das Tier. Ist nicht das Absolute der Drache, und das Tier aus dem Meere, dem der Drache seinen Thron, seine Macht und große Gewalt gab, die Verkörperung der politischen Herrschaft? Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande (das „zwei Hörner hat wie ein Lamm und redet wie ein Drache“): Ist das nicht die Parodie der Trinitätslehre, zu der sie heute aus objektiven Gründen zu werden droht?
    Das Tier aus dem Meer ist der Fisch, der den Jonas verschlungen hat; und das Zeichen des Jonas, ist das nicht die dreifache Leugnung (die Distanz zwischen Kreuz und Auferstehung)?

  • 25.1.1995

    Der Dingbegriff ist ein Reflex des Präsens.
    Symbolisiert das Herniederfahren Gottes beim Turmbau zu Babel den Ursprung der indoeuropäischen Sprachen? Und hat dieses Herniederfahren etwas mit der Inkarnation des Logos zu tun?
    Zu Liebe und Barmherzigkeit: Zwar ist die Liebe stark wie der Tod, aber sie erreicht die Toten nicht mehr. Diese Grenze überschreitet nur die Barmherzigkeit.
    Die Sünde der Welt auf sich nehmen heißt anerkennen, daß die Vergangenheit nicht nur vergangen ist, während die „Entsühnung der Welt“ gleichbedeutend ist mit Verurteilung der Vergangenheit: Sie macht sich das Todesurteil, das über die Vergangenheit ergangen ist, zueigen. Die Entsühnung der Welt ist das Werk der unbarmherzigen „Arbeit des Begriffs“ (oder auch des gnadenlosen Weltgerichts). Die Kurzformel dafür heißt Rechtfertigung. Und die Vergegenständlichung der Geschichte (die sie gegen die Erinnerungsarbeit immunisiert) ist die Vorausssetzung des Objektbegriffs, der Verdinglichung der Gegenwart (ihrer Immunisierung gegen die prophetische Erkenntnis). Sprachlicher Ausdruck dessen sind das Neutrum und das Präsens. Das Präsens ist der Riegel vor der Prophetie. Das Neutrum entzieht die Vergangenheit der Erinnerung und der Reflexion und begründet die Macht des Vergangenen über die Gegenwart. Hegels List der Vernunft gehört zu den Konstituentien des Neutrums, das in der Idee des Absoluten sich erfüllt. Erst im Kontext des Neutrum gibt es so etwas wie das hinterhältige Denken, die reservatio mentalis, den Betrug, die Verstellung.
    Hurerei und Unzucht sind keine sexualmoralischen, sondern herrschaftskritische Kategorien, und nur als solche sind sie auch sexualmoralische. Man kann, ohne dem Fundamentalismus zu verfallen, die sexualmoralische Bedeutung von der herrschaftskritischen nicht trennen. Deshalb hat jeder Fundamentalismus sein Zentrum in der Sexualmoral.
    Adornos Satz: „Erstes Gebot der Sexualmoral: Der Ankläger hat immer Unrecht“, ist eine Übersetzung des jesuanischen Satzes: „Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“. Sind nicht alle Fundamentalisten Steinewerfer?
    Ist nicht die Umkehr durch die Privatisierung der Buße in der Ohrenbeichte zum Herrschaftsmittel geworden (Zusammenhang mit der Ausbildung der Raumvorstellung)?
    Die kritische Theorie der Frankfurter Schule war ein Dualis.
    Die Geschichte der dreifachen Leugnung Petri ist ein Gleichnis, das sich auf die Beziehung der Erfüllung des Worts zur Logik der Schrift bezieht. (Sind nicht die Leugnungen Petri immer mit dem Verrat des Judas verwechselt worden?)

  • 21.1.1995

    Zum projektiven Denken: Der Grund der Finsternis liegt in der Vergangenheit; die Verfinsterung der Dinge gründet in ihrer Subsumtion unter die Vergangenheit. Das Licht, das die Vergangenheit wirklich erhellen würde, wäre das im Buch des Lebens noch verschlossene Licht. Dieses Buch wird lesbar, wenn „der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt“.
    Zur Logik der Schrift: Das Buch ist das Grab des Autors. Gründet die Idee der Auferstehung nicht darin, daß auch die der Logik der Schrift unterworfene Sprache nicht endgültig tot ist, daß sie wieder zum Leben erweckt werden kann?
    Verweisen die Totenerweckungen in der Schrift nicht alle auf die Beziehung der Logik der Schrift zur Erfüllung des Wortes? (Welche Erweckungsgeschichten gibt es: die vom Jüngling zu Nain, von der Tochter des Jairus und vom Lazarus?) Kann es sein, daß die Schrift (oder das Dogma?) am Ende als das leere Grab sich erweist (es war das Grab des Joseph von Arimathaea, „der ein Jünger Jesu war – freilich im geheimen, aus Furcht vor den Juden“ – Joh 1938)? Wird nicht erst in diesem Zusammenhang deutlich, was es mit dem Logos auf sich hat?
    Wie verhalten sich Ereignis und Geschehen zueinander? Das eine ist reflexiv, das andere objektiv (es ereignete sich, es geschah). Gibt es eine sprachliche Beziehung des Ereignisses zum Eigenen, zum Eigentum, zur Eigentlichkeit?
    Adornos Bemerkung, daß das Selbst in theologischem Zusammenhang gründet, wäre zu korrigieren: Wie der Begriff des Absoluten, zu dem es gehört, fällt es in die Ursprungsgeschichte des Staates (zusammen mit dem Eigentumsbegriff). Es gründet im Kontext der Ästhetik (vgl. Rosenzweigs Bemerkung über die Beziehung des Selbst zum Kunstwerk). Das Selbst ist ein Reflex der subjektiven Formen der Anschauung; deshalb scheinen sich diese der Reflexion zu entziehen (und deshalb mußte Hegel die Antinomien der reinen Vernunft, die Kant auf die transzendentale Ästhetik bezogen hatte, aus dieser herausnehmen und in Logik transponieren, was nur mit Hilfe des Konzepts der List der Vernunft möglich war; so wurde das Gesetz der Erscheinungen zum Begriff des Scheins).
    Konstruktion der Ästhetik: Das Selbst ist der Reflex einer Erfahrung, in der einer sich als anderer für andere erfährt: Es gehört in den Kontext der Geschichte der Scham.
    In der Jotam-Fabel kommen neben dem Dornenstrauch, der zum König wird, der Feigenbaum, der Weinstock und der Ölbaum vor.
    Sind nicht die Bäume und Sträucher, unter denen Adam, als er erkannte, daß er nackt war, sich verbarg, die Ahnen der Bäume der Jotam-Fabel? – Nathanael stand unterm Feigenbaum, als Jesus ihn als „wahren Israeliten, ohne Falsch und Tadel“ erkannte.
    Ist nicht das Inertialsystem der Dornenstrauch, und das durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit korrigierte Inertialsystem der „brennende Dornbusch“?
    Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Löst dieser Satz nicht das Rätsel des Absoluten? Ist das Absolute (der Schatten, den das Selbst auf Gott wirft) nicht die Grube, die wir andern graben, und in die wir dann selber hineinfallen? Hier erweist es sich, daß das Absolute die Reflexionsgestalt des Raumes ist. Hat die Grube nicht etwas mit dem Kelch und mit dem Richten zu tun? Nur das Gebot der Feindesliebe schützt vor dieser „Grube“.
    Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Diesen Effekt der List der Vernunft hat Hegel nicht begriffen.
    Ist nicht die Natur die Grube, in die wir die Schöpfung gestürzt haben? Und ist der Satz von der Grube nicht auch auf die Kirche zu beziehen, wogegen allein das Wort steht, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden (die Grube, die die Kirche den andern gegraben hat, war die Höllenvorstellung: das Äquivalent der Gottesfurcht im Schuldverschubsystem des Weltbegriffs, des Herrendenkens; sie ist ohne die Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral, durch die sie dann nur noch auf andere sich bezieht – und auf den Urteilenden selbst nur insoweit, als er selbst als anderer für andere sich erfährt -, nicht zu denken: Unzucht ist der apokalyptische Name für den richtenden Gebrauch der Sexualmoral).
    Die subjektiven Formen der Anschauung (die transzendentale Ästhetik) sind der Inbegriff der Grube, die wir andern graben, und in die wir selber hineinfallen.
    Die Logik der Schrift abstrahiert von der dialogischen Struktur der Sprache (vom Hören), das Inertialsystem (das in den subjektiven Formen der Anschauung gründet) vom Licht, vom Gesehenwerden, vom Angesicht. Zur Logik der Schrift gehört als Projektionsfolie der Begriff des Barbaren, zum Inertialsystem der des Wilden (das Antlitz des Hundes).

  • 3.1.1995

    Ist nicht die „Bruderschaft“, als Form der Allgemeinheit, die in der gemeinsamen Beziehung zum „Vater“ gründet, das Medium, in dem die Logik der Schrift (und mit ihr der Begriff des Wissens) sich entfaltet: das Medium der Vergesellschaftung, des Objektivierungsprozesses und der Verweltlichung (Ursprung des Neutrum, Bekenntnislogik)?
    Fantastisch die Ableitung des Begriffs „frei“ (und der „Liebe“) aus dem Selbstmitleid, dem Bedürfnis geliebt zu werden (Benveniste, S. 257ff): Folge des Opfers der Vernunft, das die Bedingung der Aufnahme in die Brüderhorde ist: deren späterer Repräsentant ist das Bekenntnis, dessen Logik hier entspringt.
    Der Begriff des Tieres und der der Selbsterhaltung sind korrelative Begriffe; deshalb gehört der Weltbegriff, der Inbegriff der gegenständlichen Korrelate der Selbsterhaltung, zu dem des Tieres. Die Menschwerdung beginnt mit der Fähigkeit, das Selbsterhaltungsprinzip zu reflektieren.
    Ist nicht mit der „affektiven Beziehung zum Selbst“, die dem indoeuropäischen Begriff der Freiheit zugrundeliegt, der Grund dafür gelegt worden, daß im Deutschen das Sein sowohl das allgemeine Possessivpronomen als auch den Infinitiv des Hilfsverbs „Sein“ bezeichnet (vgl. S. 257 und S. 260)? Diese affektive Beziehung zum Selbst ist Teil eines Schuldzusammenhangs, den das Christentum theologisch verankert hat: Sie konstituiert sich in einer Gestalt der Selbst-Exkulpierung (der „Sündenvergebung“), die über das theologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ (der Opfertheologie und ihrer theologischen Konnotationen) vermittelt ist (und dem Verweltlichungsprozeß seine Schubkraft verleiht).
    Raub der Sabinerinnen: Der Funktion der „angeheirateten Verwandschaft“ im Kontext der indoeuropäischen Institutionen liegt eine im Eigentumsprinzip gründende Rechtsbeziehung zugrunde. Ihr Ursprungsmodell ist der Frauenraub, der der ersten Gestalt der Ehe in der Männerhorde ähnlich zugrunde liegt wie der Diebstahl dem Handel. Gründet das Institut des Privateigentums (sowie der Ehe und des Staates) nicht doch generell in der gewaltsamen Aneignung der Beute durch nomadisierende Männerhorden (das erste rechtsfähige Eigentum waren Sklaven und Frauen)?
    Benveniste hat nur bedingt recht, wenn er versucht, den Begriff des philein, des Liebens, aus der Possessivbeziehung herauszulösen. Selbstverständlich ist er nicht auf die positive, dingliche Eigentumsbeziehung eingeschränkt; aber konstituiert er sich nicht in einer Eigentumsordnung, die auch das Subjekt, den Eigentümer, in ihren Bann zieht und verändert (im Kontext des Ursprungs des Staates, dessen Vorläufer die Brüderhorde ist, und der die Eigentumsordnung, in der es dann Eigentum als Privateigentum überhaupt erst gibt, konstituiert). Wer die Idee des richtigen Handelns, und wer Schuld und Verantwortung an den König und die durch ihn gesetzte Rechtsordnung delegiert, wer sie von der Barmherzigkeit trennt, bleibt unversöhnt, anfällig fürs Selbstmitleid, süchtig danach geliebt zu werden.
    Das Geliebt-werden-Wollen ist ein apriorischer Tatbestand im Herrschaftsbereich der Ontologie und diese eine Emanation des Staates.
    Das Christentum ist dem Liebessyndrom verfallen, als es die Prophetie vor dem Hintergrund des Theologumenons seiner Erfüllung im Christentum als erledigt und abgetan, wie in der vorchristlichen Vergangenheit, so auch heute nur für die Juden zuständig, definierte. Dieses Konstrukt gehört in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus. Der Antisemitismus war immer schon ein Rädchen im Exkulpationsmechanismus.
    Die logischen Strukturen, in die (Glaubens-)Bekenntnis und Sündenvergebung heute geraten sind, werden durchsichtig in der Reklame (die Adorno zufolge den Tod verschweigt).
    Der Fundamentalismus ist der Greuel am heiligen Ort: Er ist nicht mehr durch bloße Verurteilung zu bekämpfen, sondern allein durch Reflexion und Auflösung des Schuldzusamenhangs, zu dessen Konstituentien die Verurteilung und zu dessen Folgen der Fundamentalismus gehören.
    Die Schlange, die das klügste aller Tiere war, hat das Wissen erfunden. Welche Beziehung besteht zwischen der Schlange (dem saraph) und den Seraphim? Nicht die Seraphim, sondern die Cherubim mit dem „kreisenden Flammenschwert“ stehen vor dem Eingang des Paradieses.
    Wut ist ein unkeuscher Zorn. Die Empörung hat ihn zur kleinen Münze gemacht, für den täglichen Gebrauch (im Tratsch) umgeformt. Wessen Bild trägt diese Münze?
    In welcher Beziehung stehen die kantischen Antinomien der reinen Vernunft zur Logik des Beweises, was bedeuten sie für die Logik des Beweises? Im Zusammenhang des Rechts gibt es drei Beweisverfahren: den Zeugenbeweis (hierzu gehören das Martyrium und die Folter), den Indizienbeweis (ausgebildet in der Geschichte der Hexenvefolgung) und das Geständnis (das Judesein war einmal das absolute, vom Juden nicht mehr widerrufbare Geständnis). Als „sicherstes“ Verfahren gilt das Geständnis, in dem der Angeklagte die Schuld auf sich nimmt („gesteht“): Dieses Verfahren spricht den Richter frei, während der Zeugen- und der Indizienbeweis der Würdigung durch den Richter unterliegen, ihn in die Verantwortung mit hereinnehmen. – Im Recht führt das Bekenntnis der Schuld, die Übernahme der Verantwortung, nicht zur Befreiung, sondern zum Urteil und zu der als Strafe neutralisierten Rache; der Zeugenbeweis unterliegt dem Verdacht des falschen Zeugnisses, während der Indizienbeweis die Möglichkeit des Fehlurteils (der Täuschung oder des Irrtums) nicht ausschließt.
    Verweist nicht das Phänomen der Fälschungen in der Geschichte auf ein herrschaftsgeschichtliches Problem? Die Fälschung gehört ebenso zur Herrschaftsgeschichte wie Mord und Raub; sie gehört zur Herrschaftsgeschichte als Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der projektiven Erkenntnis: als Schatten des dem Erkenntnistriebs innewohnenden Exkulpationstriebs. Hegels List der Vernunft gehört in diesen Zusammenhang. Die Geschichte der Fälschung vollendet sich in der Vorstellung des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit: in der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (der Objekte der kantischen Antinomien).
    Das hängt zusammen mit der eigentumsbegründenden Kraft und Funktion des Staates, dem Nationalismus als Manifestation der Gewalt gegen die konkurrierenden Eigentumsansprüche anderer Nationen.
    Es wäre zu untersuchen, ob und wie die anwachsenden Einbruchs- und Diebstahlsphantasien in den Medien und in der Gesellschaft logisch mit der anwachsenden Xenophobie zusammenhängen.
    Sind nicht die Stämme und Völker, Sprachen und Nationen Denkmäler der Geschichte der Konstituierung der Raumvorstellung?

  • 23.12.1994

    Die Vorstellung des unendlichen Raumes ist ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Die Form des Raumes ist die Selbstbegründung der Homogenität der Zeit, der Vorstellung des Zeitkontinuums. Der Preis dieser Logik ist der Begriff der Materie.
    Das Inertialsystem hat, indem es das Objekt zum Begriff gemacht hat, den Begriff zum Objekt gemacht: es hat die Sprache neutralisiert. Darauf bezieht sich das „gelegentlich ineinander laufen“, von dem Kant im Zusammenhang mit seiner Definition der Begriffe Natur und Welt spricht, und das war zugleich die Grundlage für Hegels Prämisse, daß die Identität von Objekt und Begriff schon geleistet ist. In dieser Prämisse ist die Hegelsche List der Vernunft begründet.
    Blochs Bemerkung, daß die Schöpfung nicht am Anfang war, sondern erst am Ende sein wird, wäre noch zu berichtigen: der Anfang selber (der nicht vergangen sein kann, sondern an dem Zukunftsmoment in der Idee des Ewigen teilhat) wird erst am Ende sein. Die ganze Vergangenheit hat ein noch unabgegoltenes Moment in sich.
    Hat der erste Teil des Stern der Erlösung, der mit der Todesfurcht anhebt, mit Gethsemane und mit dem Kelchsymbol zu tun?
    Die Bemerkung in der Dialektik der Aufklärung, daß die Geschichte der Zivilisation die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers ist, verweist auf die Beziehung des Weltbegriffs, des Schwellenbegriffs der Zivilisation, zum Opfer: auf eine Beziehung, die die Funktion der Opfertheologie für die Konstitution des Weltbegriffs ins Bewußtsein hebt. Der Mythos hat der Verinnerlichung des Opfers vorgearbeitet, die Geschichte des Opfers in eine Engführung gebracht, die die Verinnerlichung des Opfers erzwungen hat.
    In jeder Empörung steckt etwas von der Lust an dem, worüber man sich empört. Deshalb sagt das Bild, das die Antisemiten von den Juden haben, mehr über die Antisemiten als über die Juden. Sind nicht die Naturwissenschaften ein Produkt der Empörung über die Natur (die in dieser Empörung überhaupt erst als Natur sich konstituiert)? Speist sich nicht die Urteilslust aus der Empörungslust, und bezieht sich darauf nicht das Keuschheitsgebot und das Symbol des Unzuchtsbechers?
    Die philosophische Kritik am Anthropomorphismus war seit je das Instrument der Verdrängung der Barmherzigkeit. Ist nicht die Geschichte der Hysterie die Geschichte des Schicksals dieser Verdrängung (und zugleich ein Hinweis auf den Ursprung der Frauenfeindschaft im historischen Prozeß der Aufklärung)?
    Die Selbstlegitimation des Bestehenden leistet der Naturbegriff; deshalb ist die Kritik der Naturwissenschaften so schwer und so notwendig.

  • 22.12.1994

    Zum Begriff der Umkehr: Gehören nicht Levinas‘ Hinweis auf die imperative Struktur der Attribute Gottes, Rosenzweigs Bild vom Koffer und das letzte Stück aus Adornos „Minima Moralia“ und sein Konzept einer negativen Dialektik zusammen?
    Welch entsetzliche Menschenverachtung liegt in dem militärischen Gebrauch des Begriffs „Zivilbevölkerung“ (gibt es überhaupt noch einen anderen Gebrauch)? Zumal vor dem Hintergrund, daß es bereits Vernichtungewaffen gibt, die Häuser und Gerät aber unversehrt lassen und nur Bewohner und Benutzer, die Menschen, töten: die sogenannten „sauberen Waffen“. Wird nicht unter einer „sauberen Umwelt“ bereits eine von Menschen nicht beschmutzte Umwelt verstanden? Zivilbevölkerung: das sind die überflüssigen und nur im Wege stehenden „peanuts“ des Krieges (in einer Welt, in der es bereits „saubere“, arbeiterfreie Industrien gibt).
    Ist nicht die Eskalation der Schutzobjekte eigentlich eine Eskalation gefährdeten Objekte? Angefangen hat’s mit dem „Luftschutz“, mit dem sich die Zerstörung der deutschen Städte ankündigte, dem folgten der Kinderschutz, Natur- und Umweltschutz, Denkmalschutz und am Ende der Schutz der Zivilbevölkerung.
    Das reale Objekt eines Objektschutzes ist das Eigentum; Menschenrechte, Bevölkerungen, Minderheiten sind nur als Ausnahmen Schutzobjekte.
    Die Selbstlegitimation des Bestehenden gründet in der apriorischen und systematischen Ausblendung der Herrschaftsstrukturen durch den Positivismus. Der Kern dieses Mechanismus liegt in den Naturwissenschaften; sein Preis ist der projektive Erkenntnisbegriff, der den Naturbegriff begründet. Dieses projektive Moment im wissenschaftlichen Erkenntnisbegriff ist sehr genau aufgefaßt in der Konstruktion des Stern der Erlösung: in den drei Gestalten des Nichtwissens, das zunächst durch das (mythische) Projektionspotential der Namen der drei Gegenstände des Nichtwissens ausgefüllt wird, das dann durch Umkehr der theologischen Idee der Wahrheit (in der Konstellation Schöpfung, Offenbarung, Erlösung) zugeführt wird.
    Überzeugen ist unfruchtbar: Das Bekenntnis ist durch seine Beziehung zur Schuld nicht objektivierbar und nicht auf andere übertragbar. Es mag sich anderer in einem Bekenntnis wiedererkennen, jemanden von einem Bekenntnis „überzeugen“ heißt aber, es der Beweislogik unterwerfen, die es von innen zerstört. Jeder Bekehrungsversuch treibt den Teufel mit Beelzebul aus. Aber gleichwohl kann man nicht nur für sich und nicht alleine Christ sein, sondern nur mit anderen (die Gemeinschaft der Bekennenden ist eine Gemeinschaft der Einsamen).
    Als Jesus die Jünger aussandte, gab er ihnen den Auftrag, die
    – Kranken zu heilen,
    – Tote aufzuerwecken,
    – Aussätzige rein zu machen und
    – Dämonen auszutreiben (Mt 108).
    Auf die Anfrage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, verwies Jesus auf das, „was ihr hört und seht:
    – Blinde werden sehend und Lahme gehen,
    – Aussätzige werden rein und Taube hören,
    – Tote werden auferweckt und Armen wird die frohe Botschaft gebracht, und
    – selig ist, wer sich an mir nicht ärgert“ (Mt 114f).
    Im Auftrag an die Jünger fehlen
    – die Blinden und Lahmen, die Tauben, die Armen und die Seligpreisung,
    in der Antwort an den Täufer
    – die Krankenheilung und die Austreibung der Dämonen.
    Wenn die Antwort Jesu an den Täufer am ersten Schöpfungsbericht sich orientiert, dann entspricht die Seligpreisung dem Sabbat.
    Die Verunreinigung kommt nicht von außen, sondern von innen (Mt 1511ff): Heißt das nicht, daß die Dämonengeschichte insgesamt auf die Kirche zu beziehen sind (und die Geschichte von den sieben unreinen Geistern auf die Geschichte von der dritten Leugnung)?
    Der Knotenpunkt des Inertialsystems (der dem Begriff des Objekts zugrunde liegt) ist das Produkt einer Abstraktion von der Totalität des Organismus, und das wiederum ist das Produkt der Abstraktion vom Angesicht.
    Das Inertialsystem ist das Realsymbol der Widerlegung, Überwindung und Verdrängung (leer, gereinigt und geschmückt, Mt 1244). Indem man das Vordere nach hinten, das Rechte nach links und das Obere nach unten gebracht hat, hat man das Hintere zum Vorderen, das Linke zum Rechten und das Untere zum Oberen gemacht (Ursprung der Herrschaftslogik).
    – Das Angesicht steht gegen den Herrschaftszusammenhang,
    – der Name gegen den Schuldzusammenhang und
    – das Feuer gegen den Verblendungszusammenhang.
    Im Kontext des Inertialsystems gibt es kein Angesicht, keinen Namen und kein Feuer mehr.
    Mit dem Weltbegriff macht man sich den Blick des andern zueigen: So gibt es zur Nacktheit keine Alternative mehr (systematischer Grund der Privatsphäre und der Sexualmoral, auch des Keuschheitsgebots).
    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, aber der Rechtsstaat eröffnet der Niedertracht Tür und Tor (Tür und Tor beziehen sich auf das Haus und die Stadt oder auf das Haus und den Hof).
    Zu Reinhold Schneiders „Allein den Betern kann es noch gelingen“: Ist das Schwert in diesem Vers nicht das biblische Schwert, das Realsymbol der Logik der Schrift?
    Nur über die Reflexion der Logik der Schrift ist es möglich, die Schrift dem Bann des Fundamentalismus zu entreißen.
    Ist Hegels Bemerkung zur französischen Revolution (bis heute nie gesehen, daß die Welt sich auf den Kopf gestellt hat) nicht schon auf Alexander zu beziehen, der die Welt begründet hat, indem er sie auf den Kopfe stellte (darauf bezieht sich die Geschichte von der Durchschlagung des gordischen Knotens)? Alexander hat das Geheimnis der Philosophie, ihren Zusammenhang mit der Begründung der Zivilisation, in seiner Welteroberung in die Realität überführt und offenkundig gemacht.
    Die merkwürdige sprachliche Bildung des Dingbegriffs: die Verknüpfung des deiktischen „D“ und mit dem Suffix „-ing“ (vgl. das maskulinisierende „-ling“). Die historische Wurzel wäre zu suchen im Thing, in der altgermanischen Gerichtsstätte, die im Dingbegriff sich reflektiert. Die verdinglichte Welt ist alles, was der Fall ist.
    Zur Beziehung von sach- und sprachphilosophischer Reflexion: Hat das unterscheidende -pr- etwas mit den Hapiru zu tun?

  • 21.12.1994

    Die Trinitätslehre ist das Produkt der herrschaftslogischen Verarbeitung der Theologie (gleichsam die Isolationshaft Gottes); deshalb war sie der Kristallisationskern der Häresien.
    Das Hegelsche Weltgericht (der Weltgeist in Aktion) ist ein anderer Ausdruck für die selbstlegitimatorische Kraft des Bestehenden.
    Das Marktgleichgewicht ist die Nachbildung der Äquivalenzbeziehungen, die das Inertialsystem in die Natur induziert.
    Kann es sein, daß der Himmel sich einmal als Realsymbol der Schrift und die Erde als das des Wortes enthüllen wird? Vgl. hierzu die Himmelsheere (Sabaoth), das Himmelreich, die Himmelfahrt, das Sich-Öffnen der Himmel, die Entrückung in den dritten Himmel, den Vater, „der du bist in den Himmeln“, dessen Wille geschehe „wie in den Himmeln so auf Erden“. Gehören in diesen Zusammenhang nicht die Vögel des Himmels und das Buch des Lebens? Am Ende wird der Himmel sich „wie ein Buch“ aufrollen.
    Zur Kritik der Unmittelbarkeit in den Naturwissenschaften: Nach der „Dialektik der Aufklärung“ ist die Distanz zum Objekt vermittelt durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. Wer davon abstrahiert und (positivistisch) an der Unmittelbarkeit des Objekts festhält, gleichgültig, ob es sich um Billardkugeln, Planeten oder Elektronen handelt, verhält sich wie das naive Ökonomie-Verständnis, das die Tätigkeiten des Kaufmanns, des Angestellten und des Arbeiters unter den Oberbegriff Arbeit subsumiert und schließlich den Lohn des Arbeiters zu den Kosten zählt, die die „wirkliche“ Arbeit, nämlich die des Geldes, so erschweren und belasten. Aus diesem Geldbegriff wäre der horror vacui abzuleiten, auf dessen Realisierung der politisch-ökonomische Prozeß heute hinausläuft, aber auch das ökonomische Korrelat des physikalischen Energie- und Entropiebegriffs (und das physikalische Korrelat des Mehrwertbegriffs) zu bestimmen.
    Aus welchen Ursprungsbedingungen stammt die Erfindung der Null (und der negativen Zahlen), und welche gesamthistorische Bedeutung hatte diese Erfindung (Indien, der Islam und die Scholastik)?

  • 7.12.1994

    Das Geld (der Marktautomatismus) läßt die Armen schuldig werden (die Begründung findet sich dann schon). Das war der Grund, weshalb seit den Kirchenvätern die concuspicentia als Träger der Erbschuld begriffen wurde: Opfertheologie und Vergöttlichung Jesu, Folgen der Instrumentalisierung des Kreuzestodes, gehorchten gleichsam in vorauseilendem Gehorsam immer schon der Logik des Kapitals; so haben sie ihr vorgearbeitet. Eine wichtige Rolle in diesem Prozeß spielte die neudefinierte Funktion der Sexualmoral, der die Kirche verfallen ist, weil sie den Mechanismus nicht durchschauen konnte. (Vgl. hierzu Hinkelammert, Kritik, S. 269ff, insbesondere auch die Anm. S. 271, sowie den transzendentallogischen Zusammenhang des Marktautomatismus mit dem Inertialsystem.)
    Der „persönliche Gott“ ist der magische Helfer der Einsamen, der Gott der Sexualmoral.
    Läßt sich die Beziehung von Barbaren und Hebräern aus der unterschiedlichen Stellung zur Schuldknechtschaft, und d.h. zur Logik des Kapitals, herleiten?
    Der Erkenntnisbegriff reicht weiter als der des Wissens. Es war der Grundfehler des deutschen Idealismus, daß er beide in eins gesetzt hat. (Hängt nicht auch das mit dem Wort vom Rind und Esel zusammen: das Rind ist ein Opfertier, während die Erstgeburt des Esels durch ein Lamm ausgelöst wird?)
    Die prophetische, die messianische und die parakletische Erkenntnis sind drei Stufen der Erkenntnis, die auf die Trinitätslehre zurückweisen (auf die Gründe des Antijudaismus, der Ketzerverfolgung und der Frauenfeindschaft). Hat die dritte Leugnung etwas mit der Sünde wider den Heiligen Geist zu tun, die Selbstverfluchung Petri mit der Leugnung der parakletischen Form der Erkenntnis?
    Das Urteil ist das Instrument der Veranderung oder der Verweltlichung des Denkens.
    Joch und Last: Wird mit dem Jesaia-Wort nicht die Sünde der Opfertheologie bezeichnet, die das Auf-sich-Nehmen der Last, der Sünde der Welt, zum Joch (zur Last für andere) gemacht, es zur Rechtfertigung der Unterdrückung benutzt hat? Die Last nehme ich auf mich, das Joch lege ich anderen auf. Und das ist die Verführung des Inertialsystems wie auch des Tauschprinzips (insgesamt des Schuldverschubsystems), daß sie Last und Joch identifiziert. Adornos Kritik des Identitätsprinzips zielt genau auf diesen Sachverhalt. Der Satz über Rind und Esel enthält die Kritik des Weltbegriffs, der die Identifizierung von Joch und Last zur Grundlage hat. Vgl. hierzu Rosenzweigs Satz: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr, oder auch das Jesus-Wort: Mein Joch ist sanft und meine Bürde leicht (Mt 1130).
    Die Philosophie, und nach ihrer Hellenisierung auch die Theologie, hat seit je das Herrendenken frei- und seine Opfer schuldiggesprochen.
    Erwarten sich die Menschen heute nicht von der Religion und von der sie beherrschenden Gottesvorstellung einen Schutz gegen Gott? Die Idee des Absoluten ist nicht nur ein grandioses philosophisches Konstrukt, sondern das Produkt der Instrumentalisierung Gottes, das die Religion heute beherrscht. Mit der Instrumentalisierung Gottes wird das Aggressionspotential, das in uns steckt: die unaufgearbeitete Schuld, auf die Außenwelt abgeleitet; vergessen wird, daß die Sündenvergebung ans Sündenvergeben gebunden ist.
    Drückt sich beim Hinkelammert (in den Partien, in denen er über Popper nur schimpft) nicht noch ein Stück Hilflosigkeit aus?
    Dieser ungeheuerliche Mechanismus: Wir haben die Armut in die Dritte exportiert, und nutzen sie nun als Hebel, um sie über den Lohndruck, den sie heute erzeugt, wieder zu reimportieren.
    Massen sind nur durch ihr „Gewicht“ in einem Gravitationsfeld (auf einer Waage) meßbar. Ist diese Logik auf den Ursprung des Gravitationsfeldes (beim fallenden Apfel auf die Erde, beim Planetensystem auf die Sonne) überhaupt anwendbar, übertragbar? Können die Sonne, die Erde, der Mond oder die Planeten gewogen werden?
    Merkwürdige Vermischung von Empirie und Logik: „Den entscheidenden Erkenntnisfortschritt über den Anfang unseres Universums hat 1929 der amerikanische Astronom Edwin Powell Hubble bewirkt. Er stellte bei seinen Beobachtungen im Weltall fest, daß je weiter die Galaxien von uns entfernt sind, sie umso schneller von uns wegfliegen.“ (Amand Fäßler, Direktor des Instituts für theoretische Physik und Dekan der Fakultät für Physik der Universität Tübingen, in Publik Forum vom 02.12.94, S. 50). Hubble hat die Rotverschiebung der Spektrallinien der Sterne in Abhängigkeit von ihrer Entfernung entdeckt. Die Vorstellung der Expansion des Weltalls beruht auf einer Interpration dieses Sachverhalts auf der Basis des Doppler-Effekts. (Auf S. 52 fordert Fäßler: „Wir müssen gegenüber allen Ideologie sehr skeptisch sein …“)
    Was das kopernikanische System so nützlich gemacht hat, war, daß man sich dieses Planetensystem so schön vorstellen konnte, daß man es auf eine Bildebene projizieren (es der Logik der Schrift unterwerfen) konnte. Die Vermittlung dieses Bildes durch die Logik der Schrift blieb unreflektiert. So wurde die Unterscheidung zwischen dem Im Angesicht und dem Hinter dem Rücken gegenstandslos: Es gab nur noch ein Hinter dem Rücken. Dieser Schritt hat die „Wirklichkeit“ zur Erscheinung gemacht. Nicht zufällig hat Kant sein Konstrukt der transzendentalen Ästhetik, der subjektiven Formen der Anschauung, aus denen die transzendentale Logik abgeleitet ist, als eine Konsequenz aus der „kopernikanischen Wende“ verstanden.
    War nicht die machsche Kritik der Atomistik ein Versuch der Rekonstruktion des Objekts aus Empfindung und Logik, der sehr kantisch ist, zugleich ein Reflex der Probleme der damaligen Äthertheorien? Die Auflösung dieses Problems (u.a. durch die spezielle Relativitätstheorie Einsteins, durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) war einer der Gründe des Ursrpungs des Neopositivismus, des logischen Empirismus, für den die Rekonstruktion des Objekts aus dem Chaos der Empfindungen nicht gelöst, nur obsolet geworden ist. Die veränderte Logik der neuen Naturwissenschaften (die mit der veränderten Logik der Ökonomie aufs merkwürdigste konvergierte) drückte dann in veränderten Positionen sich aus (Problem der Kausalität, der Anschauung, des „Beobachters“). Das ist das Problem der Beziehung der Naturwissenschaften zum „kulturellen Milieu“. Aus dem Konstitutionsproblem wurde ein innerlogisches Problem, dessen Gegenstandsbedeutung ungeklärt geblieben ist (vgl. Poppers „Falsifikations“-Theorem).
    Wer an der Atomvorstellung festhält und weiterhin nach den letzten Bestandteilen der Materie sucht, wird sich damit abfinden müssen, daß er auf immer neue Zwiebelschalen stößt.
    Wer die Postmoderne für ein weltanschauliches Problem, gleichsam für ein Bekenntnisproblem, hält, verharmlost das Problem; die Postmoderne spiegelt in Wahrheit die innerlogischen Probleme des derzeitigen Standes der Aufklärung wider.
    Sind die flektierenden Sprachen nicht Fortbildungen der agglutinierenden Sprachen, die Affixbildungen Weiterbildungen der Determinanten, die selber schon als erste Spuren der Logik der Schrift in der Sprache zu begreifen sind? Spiegelt die Trennung der Sprachen nicht verschiedene Phasen der Verschriftlichung der Sprache wider, und war vielleicht das Bilderverbot gegen den „Fortschritt“ der indogermanischen Sprachlogik gerichtet?
    Kann es sein, daß das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande sich auf die Geschichte der christlichen-jüdischen Beziehung seit dem Urschisma bezieht?
    Der Begriff des „vollkommenen Wissens“ wäre anwendbar nur auf eine tote Welt, auf eine endgültig abgeschlossene Vergangenheit. Die Allwissenheit als Attribut Gottes unterscheidet sich von der Erkenntnis, die Gott allein zugesprochen werden kann, durch eine qualitative Differenz: durch die Abwesenheit der Barmherzigkeit. Wissen ist gnadenlos, ihrem eigenen Objekt, auf das es sich von nur außen bezieht, fremd; die göttliche Erkenntnis wäre das Gegenteil davon: das Angesicht Gottes als eine Erkenntnis, in der seine Objekte sich selbst ohne Angst wiedererkennen.
    Das Wissen ist (wie die Begriffe Natur und Welt) ein Produkt der Logik der Schrift; auf ein „All“, das vorauszusetzen wäre, wenn es so etwas wie ein vollkommenes Wissen geben sollte, läßt es ohne Selbstwiderspruch nicht sich beziehen (die Entfaltung dieses Selbstwiderspruchs ist die Hegelsche Logik, in der die Stelle des „vollkomenen Wissens“ von der Idee des Absoluten, der Spiegelung des Subjekts im Unendlichen, besetzt wird).
    Die Geschichte ist ebensowendig das Weltgericht, wie Gott der Herr der Geschichte ist. Nach Hegel bezeichnet der Begriff der Geschichte sowohl die vergangenen Begebenheiten als auch ihre Darstellung, die erinnernde Vergegenwärtigung des Vergangenen; verweist das nicht auf einen logischen und sachlichen Zusammenhang beider? Wird nicht das Vergangene erst durch seine Erinnerung zum Vergangenen? Vollzieht die historische Erinnerung und Vergegenwärtigung des Vergangenen (seine Vergegenständlichung im Kontext der Fundierung der Institution des Privateigentums und der Begründung des Begriffs) erst die Taufe der Vergangenheit am Vergangenen? In welcher Beziehung steht dieser Begriff der Geschichte zum Weltbegriff (zum Wertgesetz und zum Inertialsystem)? Gibt es einen Weltbegriff ohne die Abtrennung (und Vergegenständlichung) der Vergangenheit als Geschichte? Gehört diese Abtrennung nicht als ein konstitutives Moment zum Begriff der Geschichte und zur Konstituierung ihres Objekts, der Gegenwart, die nur so zu einem Teil der Geschichte wird (zur Konstituierung sowohl der Geschichte als auch der Welt, die erst durch ihre Beziehung zur eigenen Geschichte als Welt sich konstituiert)? Aber bedeutet das nicht auch, daß sowohl der Bann der Natur als auch der der Geschichte beide in einen Schuldzusammenhang rückt, der ihre Beziehung zur Wahrheit verhext? (Epos, Gegenständlichkeit, Logik der Schrift: nicht nur die Naturwissenschaft, auch die Geschichte ist ein Verdrängungsinstrument; vgl. die Funktion kontrafaktischer Urteile in der Geschichte; Prophetie und Apokalyptik; Fälschungen in der Geschichte).
    Durch ihre historische Vergegenständlichung ist die Geschichte zu einer Kolonie der Gegenwart geworden. Die Gegenständlichkeit der Geschichte ist eine ästhetische, keine reale: Grund des Objektbegriffs und des Begriffs des Wissens, der ohne das Moment des Scheins nicht zu begründen ist.
    Ohne den Weltbegriff kein „persönlicher Gott“; beide stützen sich gegenseitig. Atheistisch ist erst die zur kritischen Masse zusammenschießende verweltliche Welt (der Faschismus, der zum Staatskapitalismus gewordene „real existierende Sozialismus“).
    Ist das Präsens Produkt der erinnernden Vergegenwärtigung des Vergangenen, die versperrte Gegenwart (durch die zeitlichen Formen des Konjugationssystems – durch Präteritum, Plusquamperfekt, Futur II – vermittelt wie der Nominativ durch die Kasus, durch Akkusativ, Genitiv und Dativ)?
    Zur Ableitung und Kritik des Gehorsams: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ. Ihre Erkenntnis ist prophetische Erkenntnis, die nicht den Gehorsam begründet, sondern das autonome Tun als Erfüllung des Worts. Der Gehorsam verwandelt den Imperativ in einen Indikativ, das Gebot ins Gesetz: er steht unter dem Bann der Logik der Schrift (Folge der Objektivierung des Attribute Gottes).

  • 27.11.1994

    Wichtiger Hinweis auf den Zusammenhang von Gebet und Versöhnung bei Mk (1125). Gibt es dazu Parallelstellen bei den anderen Evangelisten? (Nur Mt 523, hier jedoch nicht aufs Gebet, sondern aufs Opfer bezogen.)
    Beim Opfer ist nur von der Versöhnung „mit dem Bruder“ die Rede (ist nicht die Ver-„söhn“-ung, die an die Vater-Sohn-Beziehung in der Trinität erinnert, ein patriarchalischer Begriff; ist der Begriff der „Versöhnung“ auf „Töchter“ oder „Schwestern“ überhaupt anwendbar)? Verweist das nicht (ähnlich wie die „Brüder“ in den Apostel-Briefen, vielleicht sogar im Zusammenhang damit) auf eine Grenze in der christlichen Botschaft (auf die Funktion des Kelchsymbols im NT)? Liegt hier der Grund, daß Frauen keine Bekennerinnen sein konnten und ihnen nur der Weg der Virginitas, der „Unschuld“, offenblieb? Es gibt nur eine Stelle in den Evangelien, an der die Sündenvergebung auf Frauen bezogen wird – außer bei Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde. Zur Ehebrechering hatte Jesus gesagt: „Auch ich verurteile dich nicht; geh, sündige von jetzt an nicht mehr“, von einer Vergebung der Sünden ist nicht die Rede. Nur von der „großen Sünderin“ heißt es, daß ihr viel vergeben werden wird, da sie viel geliebt hat, und anschließend: „Deine Sünden sind dir vergeben“.
    Hat das Christentum mit der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu nicht einen Weg der Verinnerlichung beschritten, der der Erlösung jede Möglichkeit, sich öffentlich und materiell zu manifestieren, den Weg verbaut hat?
    Kritik an Belo würde anzusetzen haben bei der unzureichenden Berücksichtigung symbolischer Begriffe (insbesondere des Kelchsymbols) und beim unkritischen Gebrauch des Mythos-Begriffs (die Unterscheidung von Himmel und Erde ist nur dann mythisch, wenn der Weltbegriff der Dialektik der Aufklärung enthoben ist: wenn der mythische Bann, den er auf die Dinge legt, verdrängt und geleugnet wird.
    Ist nicht der „Greuel der Verwüstung“ nach der Geschichte der Verinnerlichung des Tempels (der Verinnerlichung des Opfers) anders zu lokalisieren: nämlich im Subjekt selber (im Selbst)?
    Ist nicht die Orthogonalität, die, nachdem sie in der Theologie als Orthodoxie sich durchgesetzt hat, in der Sprache als Orthographie sich durchsetzt, Produkt und Manifestation der Unterdrückung und Verdrängung der Barmherzigkeit, der dann nur noch die Möglichkeit verblieben ist, als Hysterie sich zu äußern?
    Die Naturwissenschaften haben das Erbe des Kampfes der Orthodoxie gegen die Häresien angetreten: Sie sind ein Opfer der Illusion geworden, es genüge, entgegenstehende Anschauungen zu widerlegen. Der Verdrängungsprozeß, der in der Bildungsgeschichte der Orthodoxie sich durchgesetzt hat, setzt sich fort in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung.
    Müßten wir nicht in einer Welt, in der die Normalität zum Ausdruck tiefer psychotischer Störungen zu werden droht, während in den Psychosen die Normalität hilflos vor der Welt kapituliert, aufhören, das neutestamentliche Phänomen der Besessenheit psychiatrisch zu interpretieren?

  • 14.11.1994

    Wer nicht mehr weiß, was er tut, weiß auch nicht mehr, was er „anrichtet“: welches Gericht er vorbereitet. Der Weltbegriff trennt das strenge Gericht von der Barmherzigkeit. Das ist der Grund des Hegelschen Weltgerichts. Der Preis war die Erfindung der Natur: Produkt der projektiven Verarbeitung der Barmherzigkeit. Es wird erst anders, wenn die Christen aufhören mit der projektiven Verarbeitung der Prophetie und Apokalypse, wenn sie die Apologetik durch verteidigendes Denken ersetzen. Bezeichnet nicht die Differenz zwischen apologetischem und verteidigendem Denken den Unterschied zwischen Schrift und Wort? Das Subjekt der Psalmen wie auch das der Angst und des Schmerzes in Getsemane ist nicht die Privatperson (David oder Jesus), sondern Israel. Ton Veerkamps Bemerkung, daß die Kirchen von der postmodernen Geschmackslage nicht getroffen werden, weil sie „dazu … nicht zynisch genug“ seien (Autonomie …, S. 340), ist wahr und unwahr zugleich: Es ist wahr, daß die Kirchen aus Systemgründen Hemmungen erzeugen, die den subjektiven Zynismus ausschließen. Aber die gleichen Hemmungen produzieren auch die Unfähigkeit, den Zynismus zu reflektieren: Sie haben ihre Wurzeln in dem objektiven Zynismus, auf den Adorno anspielte, als er (in den Minima Moralia) bemerkte, heute sei schon jeder Katholik so schlau wie früher nur ein Kardinal. Dazu zwei Fragen:
    – Gibt es nicht einen Zusammenhang zwischen der objektiven postkonzilialen Postmoderne in der Kirche und dem vatikanischen Fundamentalismus, und
    – hängen nicht beide zusammen mit der Unfähigkeit, mit dem objektiven Zynismus dessen transzendentallogischen Grund in der kirchlichen Theologie: die Bekenntnislogik (das Verhältnis von Feigenblatt und Frucht) zu reflektieren?
    Der „informelle Sektor“ (Veerkamp, Autonomie …, S. 348) ist ein Produkt und das genaue Pendant des Spekulationsgeschäfts auf der Seite der Produktion (die Armutsproduktion und -vermarktung ist der reale Schatten des Systems: seitdem der Armutsbedarf der dritten Welt gesättigt ist, wird die Armut in die Erste Welt reimportiert; Beispiel: die EG-Agrarmarktordnungen vernichten die agrarischen Ressourcen draußen und drinnen gleichzeitig).

  • 8.11.1994

    Die christliche Orthodoxie, die dogmatische Theologie, hat mit Rind und Esel gemeinsam gepflügt. So hat sie der modernen Aufklärung den Boden bereitet.
    Haben Rind und Esel etwas mit dem Verhältnis von Schrift und Wort zu tun?
    Mit Einstein und Planck war die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis grundsätzlich beendet. Was danach folgte war die Rache der Mechanik: Ein Kampf zwischen Kopf und Wand, wobei übersehen wird, daß diese Wand ein Produkt des eigenen Kopfes ist.
    Der Raum ist der Taumelbecher, das Geld der Kelch des göttlichen Zorns und die Bekenntnislogik der Unzuchtsbecher. Das Bekenntnis war der Anfang der Verinnerlichung der Scham. Deshalb war der Confessor ein männlicher Heiligentyp und sein weibliches Pendant die Virgo (Jeremias war der einzige unverheiratete Prophet, und Rom war der legitime Erbe Babylons).
    Die Bekenntnislogik hat die Frau zu einem mä on gemacht.
    Gehört nicht die Verknüpfung von Virginitas und Unschuld zur Exkulpationsautomatik: Folge der Verschiebung der Erbsünde von der Urteilslust in die Sexuallust?
    Zur Theologie gehört auch das Studium der invisible hand (u.a. wegen ihrer Beziehung zum ausgereckten Arm und zur starken Hand).
    Sollte nicht einmal Schluß sein mit der projektiven Anwendung der apokalyptischen Symbole, nach dem Motto: Da wir ja gerettet sind, kann es sich nur auf die andern beziehen?
    Hat das Paulus-Wort, wonach die Frau durch Gebären sühnt, etwas mit dem Naturbegriff zu tun?
    Metapher, Allegorie, Symbol: leer, gereinigt und geschmückt.
    Der Begriff der Unzucht hat mit etwas mit der Affirmation der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit zu tun: mit der Instrumentalisierung des Kreuzestodes und dem Ursprung der Opfertheologie.
    Seit dem Konzept der Opfertheologie, seit die Kirche sich zum Nutznießer des Kreuzestodes gemacht, sich auf die Seite der Täter gestellt hat, weiß sie nicht mehr was sie tut. Seitdem gehört das Sakrament der Beichte in die Tradition des Satzes „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.
    Die negative Dialektik ist der Versuch, unter den Bedingungen der Logik der Schrift dieser Logik nicht zu verfallen.
    Auch für die Wundergeschichte gilt, daß es mit dem stupenden Anschauen nicht getan ist: Das Entscheidende an den Wundergeschichten ist ihr imperativischer Gehalt. Auch die Wunder sind aus dem Bann des Indikativs zu lösen. Und hat Er’s nicht selbst gesagt, daß seine Jünger die gleichen Taten vollbringen werden, wenn nicht größere?
    Edgar Morins Bemerkungen über die Wirkung der Identifikationsmechanismen im Kino (mit dem Hinweis auf die im Gefängnis dem Selbstmitleid ausgelieferten SS-Täter) wäre anzuwenden aufs Fernsehen: Die Ohnmacht derer, die in die Handlung nicht eingreifen, dem Wort nicht antworten können, verstärkt die Exkulpationsmechanismen, die das Fernsehen bedient (Fernsehen als Parodie auf den imperativen Charakter der Attribute Gottes).
    Durch Reklame wird Konsum zur Buße (Teil der Exkulpationsautomatik und Folge des gemeinsamen Pflügens mit Rind und Esel).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie