Eine Überschrift in der FR von heute: „Grams-Eltern wenden sich an EU-Kommission“. Erst im Text heißt es dann korrekt, daß die Eltern von Wolfgang Grams (die keine „Grams-Eltern“ sind) vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg (die keine „EU-Kommission“ ist) Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben haben. Inzwischen scheinen nicht mehr nur in der BILD-Zeitung Überschriften auch dem Zweck zu dienen, den Text der Meldung, auf den sie hinweisen, zugleich zu vernebeln. Läßt sich nicht am vorauseilenden Gehorsam solcher „Versprecher“ der Zustand der Öffentlichkeit und die Existenz eines durch die Naturkräfte der Bewußtseinindustrie erzeugten und gesteuerten öffentlichen Unbewußten erkennen? Die Nazis hatten den Spruch: „Keiner soll hungern und frieren“, den der Volksmund dann so ergänzte: „Wer’s doch tut, kommt ins KZ“. Ist nicht mit der Verdrängung der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen auch die Wahrnehmungsfähigkeit verdrängt worden, die in dieser aufhellenden Ergänzung sich ausdrückte? Das Feindbild ist ein Naturheilmittel, weil es eine Naturkraft ist; es gehört zu den Konstituentien des Naturbegriffs selber, zu dessen sprachlichen Korrelaten der Name der Barbaren und das Neutrum gehören, und deren Logik in der Geschichte des Objektbegriffs und in der Konstituierung und Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung sich vollendet. Zielte nicht hierauf Adornos programmatisches Wort vom „Eingedenken der Natur im Subjekt“? Als das Christentum den Namen des Logos mit dessen griechischer Tradition in eins setzte, hat es sich in seinem Verhältnis zum Kreuzestod auf die Seite der Täter gestellt. Das war der Beginn der zweiten Kreuzigung, der Instrumentalisierung des Kreuzestodes durch die Opferthologie. Läßt das Christentum insgesamt als ein Akt des Tikkun sich begreifen, der Rettung durch Identifizierung mit dem Feind, einer Rettung, die durch den Verrat, den Abfall, hindurchmuß? War nicht die Bubersche „Begegnung“ eine Ersatzhandlung für das, was den Christen eigentlich notgetan hätte: die Reflexion der Naturkräfte, von denen das Christentum sich bis heute nicht hat befreien können? Das Dogma ist die Wahrheit, aber im Stande einer durch die Dogmatisierung (die Bekenntnislogik) verdrängten und ausgegrenzten Reflexion. Durch die Vorstellung einer „Teilhabe am innertrinitarischen Prozeß“, die die Theologie insgesamt verhext, ist der imperative Gehalt der Theologie, der allein eine Theologie im Angesicht Gottes zu begründen vermöchte, ästhetisiert und neutralisiert worden. So wurde aus der Nachfolge die imitatio, aus der Übernahme der Sünde der Welt deren Hinwegnahme, aus der Gottesfurcht die erbaulichen Formen der Frömmigkeit. Diese Vorstellung hat die theologischen Erkenntniskräfte wie die Spinne die in ihren Netzen gefangene Beute gelähmt. Metz‘ Wort, daß man nach Auschwitz nicht mehr so Theologie treiben könne, als habe es Auschwitz nicht gegeben, ist, wie mir scheint, nur durch Reflexion der Verwurzelung der Theologie in der Philosophie, nicht durch Abstraktion von dieser Beziehung, einzulösen. Die Reflexionen Rosenzweigs über das Verhältnis von Theologie und Philosophie im Stern der Erlösung, sind hier hilfreich. Das göttliche Attribut der Barmherzigkeit, das im Imperativ, nicht im Indikativ steht, rührt an das sprachlogische Problem des grammatischen Geschlechts. Die Erinnerung daran ist im hebräischen Namen der Barmherzigkeit, der der Name der Gebärmutter ist, aufbewahrt. Das erinnert zugleich an den sprachlogischen Zusammenhang der Beziehung von Indikativ und Imperativ mit dem des grammatischen Geschlechts: an den genetischen Zusammenhang des Indikativs mit dem Ursprung des Neutrum. Es ist das gleiche Sprachproblem, das auch der Idee einer Theologie im Angesicht Gottes zugrundeliegt, an die Forderung, die dem Begriff der Lehre innewohnt: den imperativen Gehalt der göttlichen Attribute in den Indikativ zu übersetzen (und nicht, wie es das Dogma tut, durch den Indikativ zu neutralisieren, oder ins Ästhetische zu übersetzen). Allein die Schuldreflexion vermag den Bann zu brechen unter dem die Theologie seit der Rezeption der philosophischen Idee der Unsterblichkeit der Seele steht. Verweist nicht die Geschichte vom Sündenfall, wenn man in ihr die Schlange als Symbol des Neutrum, und ihre Geschichte mit Adam und Eva als ein Bild der Neubestimmung des grammatischen Geschlechts, des Männlichen und des Weiblichen, durch das Neutrum, begreift, auf das Problem des grammatischen Geschlechts? Läßt sich dieses Problem des grammatischen Geschlechts nicht an der Sprache Kants demonstrieren, wenn er den Erkenntnisbegriff sowohl in femininer als auch in neutrischer Bedeutung verwendet (die Erkenntnis, das Erkenntnis)? Das, so scheint mir, rührt an eines der tiefsten Probleme der kantischen Philosophie; die Sprachlogik, die darin sich ausdrückt, scheint aus logischen Struktur der Probleme sich herleiten zu lassen, die den Zwang der philosophischen Revolution, deren Ausdruck Kants Werk ist, begründen. Es rührt an eine Schicht in der kantischen Philosophie, die von seinen Nachfolgern dann konsequent verdrängt worden ist: an den Ursprung der drei Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur und Welt; zu Natur und Welt vgl. den großartigen Definitionsversuch Kants in der Kritik der reinen Vernunft, im ersten Abschnitt der Antinomie der reinen Venunft). Nicht zufällig standen Fichte, Schelling und Hegel unter dem Systemzwang, diese Begriffe – nach Verdrängung der Reflexion ihres logischen Ursprungs – nacheinander abzuarbeiten.
Wie wäre die Frage, welcher Teil eines Menschen zum Regieren der wichtigste ist, eigentlich zu beantworten angesichts einer Regierung, die Entscheidungen, die allein von den Interessen ihrer Klientel bestimmt sind, während die Argumente, die sie öffentlich begründen sollen, schmückende Rhetorik und von Waschmittel-Reklame nicht mehr zu unterscheiden sind, nur noch „durchsetzt“ und Probleme, die dieses Verfahren zwangsläufig produziert, nur noch „aussitzt“? Ist nicht die Folge ein Begriff von Öffentlichkeit, der Erfahrungen, Kritik und Reflexionsfähigkeit, das eigentliche Element demokratisch-bürgerlicher Beteiligung, auf ähnliche Weise ausschließt wie RAF-Prozesse, die u.a. die Aufgabe zu haben scheinen, dieser Logik den Charakter einer rechtlichen Norm zu verleihen, das Selbstverständnis der Angeklagten?
Adorno hat einmal die Situation eines Gesprächs in einem Eisenbahnabteil beschrieben, in der man, um einen Streit zu vermeiden, sich gezwungen sieht, den Anschauungen eines Mitreisenden nicht zu widersprechen, die imgrunde auf einen Mord hinauslaufen. Gehört diese Situation nicht zum Bild des Zuges, der in den Abgrund rast? Und beschreibt sie inzwischen nicht etwas vom Zustand der Öffentlichkeit insgesamt? Die Bundesanwaltschaft als Verkörperung des Inertialsystems (als eines Konstrukts aus Verachtung, Hohn und Zynismus), und das von ihr verkörperte Anklage- und Beweisverfahren als Verfahren der reinen Objektkonstruktion (mit der Idee des Objekts als eines Konstrukts, zu dem es keine kommunikative Beziehung mehr gibt, das nur noch Objekt eines apriorischen Urteils ist: sind nicht die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen der Versuch, dieser Konstruktion die Gewalt einer objektiven, sinnlich erfahrbaren Realität zu verleihen)? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos beschreibt einen objektiven, nicht nur einen moralischen Sachverhalt. Aber gilt das nicht für die Prophetie insgesamt? Ägyptische Finsternis (ist „Finsternis Mizrajims“ nicht deutlicher?): die Entfaltung des blinden Flecks der Logik zur Totalität.
Adorno
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26.10.1996
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24.10.1996
Auch wer Probleme hat, wenn er das politische Selbstverständnis der RAF mit ihren Taten in Zusammenhang bringen will, wird gleichwohl darauf bestehen müssen, daß dieses politische Selbstverständnis auch in der juristischen Aufarbeitung der Taten mit reflektiert wird.
Wenn Einstein auch die Fallbewegung als Trägheitsbewegung (für die das Relativitätsprinzip gilt, begreift und davon ausgeht, daß im Innern eines frei fallenden (außer Kontrolle geratenen) Fahrstuhls nicht erkennbar ist, ob der Fahrstuhl ruht oder in freiem Fall sich bewegt, abstrahiert er dann nicht von dem Gefühl der Schwere, das in einem (in einem Schwerefeld) „ruhenden“ Fahrstuhl gleichwohl die Schwere fühlbar ist: Es bedarf des „freien Falls“, um dieses Gefühl gegenstandslos zu machen. Verweist dieser Tatbestand nicht auf den Unschuldstrieb, der, wenn er seine Erfüllung sucht, eigentlich den Zustand des „freien Falls“ sucht, den Moment der Katastrophe, die er zu verdrängen sucht? (Ist nicht die Bewegung der Ökonomie, wenn sie nach dem Konzept des Neoliberalismus rein dem eigenen Bewegungsgesetz folgt, eine Bewegung des freien Falls?)
Wie hängt das Allgemeine Relativitätsprinzip, die Unterscheidung des Leichten und des Schweren, mit dem Satz von Rind und Esel (Joch und Last – auch Wasser und Feuer?) zusammen? Ist nicht das Leichte das Korrelat des Jochs, das man andern auferlegt? Hat der Hinweis auf das Feuer im 1. Petrusbrief etwas mit der Logik des Leichten (mit dem noch Aristoteles das Feuer zusammenbringt) zu tun, ist das Feuer, dem am Ende der Drache, der Satan und der Tod überantwortet werden, die Innenseite des Leichten, eine Folge des Unvermögens, in andere sich hineinzuversetzen, der leere Kern des Herrendenkens?
Enthält nicht die Allgemeine Relativitätstheorie eine Staatstheorie, verweist sie nicht auf die Sphäre des Politischen, während die Spezielle Relativitätstheorie auf die der Ökonomie, auf die Logik des Tauschs, verweist? Wittgensteins Satz, daß die Welt alles ist, was der Fall ist, rückt die Welt in eine konstitutive Beziehung zum Staat.
Läßt die Beziehung von Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie, als die Beziehung von Tauschprinzip und Macht, an der Beziehung von Merkur und Sonne (oder an der von Merkur und Jupiter) sich demonstrieren?
Wer einer Sache die Grundlage entzieht, überantwortet sie dem freien Fall.
Haben die Versuche, die Theologie von der Lehre von der Erbsünde zu befreien, nicht doch sehr viel mit den Verhältnissen im Innern von Einsteins Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist, zu tun?
Ist das Konstrukt des Falles nicht in der Geschichte vom Sündenfall aufs genaueste beschrieben?
Der letzte Satz in der Entgegnung auf Horst-Eberhard Richter, erinnert an eine Bemerkung, die Georg Lukacs zuerst auf Schopenhauer, später dann auf Adorno bezogen hat, das Wort vom „Grand Hotel Abgrund“ (vgl. Lukacs: Theorie des Romans, Neuauflage 1962, S. 17). Ich meine, die Konstellation, die Lukacs damals bezeichnen wollte, wird genauer getroffen, wenn man das Bild vom ortsfesten Hotel und dem Abgrund daneben dynamisiert und durch das eines Luxuszugs, der auf den Abgrund zurast, ersetzt.
Die Feindbildlogik ist die Folge eines kollektiven Unschuldstriebs, aus dessen Konstruktion die Elemente dieser Logik sich herleiten lassen:
– Unfähigkeit, Schuldgefühle durch Reflexion aufzulösen, Abwehrmechanismus,
– Empörung (automatisierte Verurteilungslogik),
– Schuldentlastung durch Schuldverschiebung, Exkulpation durch Empörung, moralische Enthemmung durchs Feindbild,
– identitäts- und gemeinschaftsstiftend in einer Welt, die sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet,
– Feindbild und Gegenfeindbild, Feindbild-Clinch, symbiotische Feindbindung; so werden beide Seiten zu Symptomen des Problems als dessen Lösung sie sich selbst verstehen,
– Verwechslung und Austauschbarkeit von Solidarität und Komplizenschaft,
– Faschismus-Schock, „Kollektivscham“ (Neutralisierung der Schuld durch Verrechtlichung),
– Exzesse der Gemeinheit.
Die Feindbildlogik ist die Mutter des Vorurteils, das in diesem Prozeß über die Schwächen der Beweisführung hinweghelfen wird.
Sind nicht beide Seiten in den RAF-Prozessen Opfer eines schrecklichen Irrtums, und ist es nicht dieser spiegelbildliche Irrtum, die sie wie in einem Clinch an einander fesselt?
Der Staat, den die Staatsschutzsenate schützen, ist der gleiche Staat, dessen Anwälte die Ankläger sind; deshalb sind beide in Staatsschutzprozessen nur noch schwer zu unterscheiden. Dieser Staat ist der Kern des Unschuldgenerators, der das eigentliche Objekt des Staatsschutzes ist.
Ist nicht die Konstruktion von Staatsschutzsenaten ebenso pervers wie der Zustand des Staates, der sie hervorgebracht hat.
Ist nicht der höhnische und zynische Ton, mit dem die Bundesanwaltschaft die VerteidigerInnen, die Mutter der Angeklagten, die Zuschauer und auch einen Zeugen, wenn seine Aussage nicht in ihr Konstrukt paßt, angreift, eigentlich ein Indiz dafür, daß sie mit dem Rücken zur Wand steht? Nur ist zu befürchten, daß das Gericht sich selbst in der gleichen Situation sieht und am Ende ein Solidaritäts-Urteil fällen wird, das dann aber nur noch wenig mit der Angeklagten zu tun haben wird. Der Eindruck ist ohnehin kaum noch abzuweisen, daß die Dauer des Verfahrens kein Indiz der Gründlichkeit des Verfahrens, sondern nur eine Konzession an eine Öffentlichkeit sein wird, die nicht merken soll, daß es eigentlich ein kurzer Prozeß war, daß das Urteil schon im Voraus feststand.
Auch wer den Terrorismus für einen verhängnisvollen Irrtum hält, wird gleichwohl in den dadurch verhexten Texten der RAF Elemente entdecken können, deren Vedrängung ebenso verhängnisvoll wäre.
Zur Kritik des Weltbegriffs gehört das Bewußtsein, daß die Grenzen des Bewußtseins, die diese Kritik überschreiten möchte, eins sind mit den Grenzen des Weltbegriffs, um deren Kritik es geht.
Auch Hegels Begriff des Weltgerichts gründet in einem justitiellen, nicht aber in einem theologischen Gerichtsbegriff.
Ist nicht die Öffentlichkeit gleichursprünglich mit dem Recht? Waren nicht die Foren, die dann zu Märkten geworden sind, ursprünglich Gerichtsstätten (vgl. auch den Namen der ekklesia und den auf die Versammlung im Tor verweisenden hebräischen Ursprung dieses Namens, auch die Wortgeschichte von Ding)?
Der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht, gehört auch zu den Sätzen, die nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen.
Die Sprache, nicht jedoch die Kunst, rührt an den Grund der Schöpfung. Die Kunst rührt an den des Staates und der Welt.
Wer die apokalyptische Stimmung mit dem Hinweis auf die Atombombe zu begründen versucht, blendet genau die Sphäre aus, in der die Apokalypse in der Lage wäre, sich als Lichtquelle zu erweisen.
Verschiebt Jürgen Ebach nicht den Grund und die Bedeutung des hebräischen Namens der Barmherzigkeit ins Neutrische, wenn er sie anstatt auf die Gebärmutter auf den Unterleib bezieht?
Zur Verharmlosung der Unterscheidung von Rechts und Links gehören die Einfügungen in den Text durch Jürgen Ebach, das „noch“ im letzten Satz des Buches Jona und das „nämlich“ in den beiden Wiederholungspassagen, bei der Umkehr Ninives und beim Ärger des Jonas.
Nach dem Geist der Utopie stand Ernst Bloch vor der Frage, ab er das symbolische und metaphorische Sprachverständnis, in dem der Geist der Utopie geschrieben wurde, ins Realsymbolische hereintreiben oder zur Rhetorik entmächtigen sollte. Er hat sich für die Rhetorik entschieden, und das in der Folge der materialistischen Wendung seiner Philosophie. War nicht Benjamins Hinweis auf den buckligen Zwerg in der ersten seiner Geschichtsphilosophischen Thesen eine Antwort an Ernst Bloch?
Läßt sich nicht am Kyffhäuser der Unterschied zwischen Sage und Mythos verdeutlichen? Während der Mythos unter offenem Himmel sich entfaltet, gehört zu den Bedingungen der Sage eine caesarisch bestimmte Welt, in der der Himmel durch Herrschaft verdunkelt ist. In Babylon ist der Mythos zur Sage geworden: Gilgamesch war der erste Sagenheld. Und in Babylon ist die Prophetie zur Apokalypse geworden.
Ist nicht alles Mitleid heute verhext? – Aber gleichwohl darf man es nicht preisgeben. -
19.10.96
Es kommt nicht darauf an, Schuldgefühle zu vermeiden oder loszuwerden, sondern sie reflexionsfähig zu machen, und es kommt nicht auf die Bewahrung der Identität, sondern auf die der Lernfähigkeit an. Wer, um seine Identität zu wahren, Schuldgefühle nur abwehrt, anstatt sie zu reflektieren, wird lernunfähig.
Wer Schuldgefühle nur abwehrt, für den wird jeder, der Schuldgefühle weckt, zum Feind (Logik des Antisemitismus; Tötung des Urvaters).
Als Habermas den Verfassungspatriotismus erfunden hat, hat er das Gewissen (und mit ihm den Quell seiner philosophischen Inspiration) an die Verfassung delegiert.
War nicht die kantische Unterscheidung eines femininen von einem neutrischen Erkenntnisbegriff (die/das Erkenntnis) ein Versuch, Erkenntnis vom Bann der Reversibilität freizuhalten?
Der Feind meines Feindes ist nicht in jedem Falle mein Freund; aber er ist nicht schon deshalb, weil er nicht mein Freund ist, mein Feind. Diese eindeutige Reversibilität gibt es nur auf der Grundlage der Logik des Feindbildes.
Die schwindelerregende Logik, die den gegenwärtigen Weltzustand beherrscht, läßt sich nur durch ein Feindbild auf einfachere Strukturen bringen, aber nur um den Preis der Selbstverblendung.
Die Bekenntnislogik gründet in dem gemeinsamen Nenner eines gemeinsamen Feindbildes. Die Selbstghettoisierung durch ein gemeinsames Feindbild ist das logische Modell der subjektiven Formen der Anschauung und der Isolationshaft.
Zum Projekt Selbstaufklärung gibt es keine Alternative mehr.
Wer heute im Ernst Kritik der politischen Ökonomie zu treiben versucht, kann sich nicht auf die Kritik der Ökonomie beschränken in der Erwartung, daß die politischen Konsequenzen sich daraus von selbst ergeben, sondern er muß die Kritik der politischen Ursprünge der Ökonomie (Ursprung der Ware in Raub und Eroberung: die Sklaven und die Frauen sind die ersten Waren) in die Reflexion mit einbeziehen. Ihr gegenwärtiger Ansatzpunkt wäre die heute epidemisch sich ausbreitende Xenophobie.
Der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos geht die Geschichte der ursprünglichen Akkumulation, der Aneignung des Eigentums an Grund und Boden und der Grundlegung des Sklavenhauses Ägypten durch Joseph voraus. So dialektisch ist die Bibel. Nur das Sklavenhaus Ägypten konstituiert sich als Sklavenhaus in dem Augenblick, als ein Pharao kommt, der sich Josephs nicht mehr erinnert: der die Ursprungsgeschichte des Sklavenhauses verdrängt. Diesen Pharao, der auch JHWH nicht kennt, und zu dem Moses dann im Namen des Gottes der Hebräer spricht, trifft die Geschichte der zehn Plagen und der Verhärtung des Herzens. Für ihn wird Moses zum Gott und Aaron zu seinem Propheten.
Ist nicht Mizrajim ein sprechender Name, dessen Verstummen im Griechischen (schon in der LXX) und dann in der christlichen Tradition Buber in seiner Bibelübersetzung ratifiziert.
Enthält der Name der Hebräer, in dem die Fremdheit und der Blick der andern Völker reflektiert wird, nicht die Forderung, diesen Blick auszuhalten und die Schuld, das Korrelat dieses Blicks, reflexionsfähig zu halten? Schon Abraham war ein Hebräer. Ebenso bekennt sich Jona vor den Schiffsleuten als Hebräer, und ebenfalls Judith im Lager des Holofernes. Jona verkündet Ninive den Untergang, Judith tötet den Holofernes.
Die giftige Atmosphäre im Hogefeld-Prozeß gehört zu den Naturqualitäten eines RAF-Prozesses.
Zum Zug, der in den Abgrund rast: Unsere Gerichte halten sich ans allgemeine Relativitätsprinzip Einsteins, wenn sie die beschleunigte Bewegung als einen der Ruhe äquivalenten Zustand ansehen (wenn sie die Bewegung des Zuges, die Außenwelt und den Abgrund leugnen): Ist der Zug ein Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist? Das allgemeine Relativitätsprinzip gründet in dem Theorem der Identität von träger und schwerer Masse, und es ist die Grundlage der Theorien vom Urknall und von den schwarzen Löchern. Verkörpert nicht das allgemeine Relativitätsprinzip das Gesetz der Katastrophe im Zentrum der Physik? Und ist die Logik dieses Prinzips nicht die gleiche Logik, die auch dem Schuldbegriff zugrunde liegt (der Konstellation von Feindbild-Symbiose, Abwehrmechanismen und Projektion)?
Verhält sich die spezielle Relativitätstheorie zur allgemeinen wie die Barmherzigkeit zum Gericht?
Das Feindbild konstituiert das Bild von der Schwere der Schuld (um die es im Kampf gegen die RAF jetzt allein noch zu gehen scheint).
Läßt der Jakobus-Satz, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums befreit, seine Seele rettet, nicht auf das Werk Horheimers und Adornos anwenden?
Wer das Böse nur verurteilt, gewinnt zwar für sich den Schein der Unangreifbarkeit, er trägt aber nichts mehr bei zur Auflösung des Banns des Bösen.
Sed libera nos a malo: Das Übel ist etwas, das uns zustößt, während wir im Namen des Bösen mitgemeint sind. Die Strafe befreit nicht vom Bösen, sie verewigt es (das Ideal der Strafe ist die Strafe für eine unendlich schwere Schuld). Dem Konzept der „Endlösung der Judenfrage“ lag die Vorstellung einer Erlösung der Welt durch Bestrafung derer, auf die die Antisemiten ihre eigenen Schuldgefühle projiziert hatten, zugrunde.
Die Fähigkeit in einen Angeklagten sich hineinzuversetzen, hängt im Falle der RAF von der Fähigkeit zur Reflexion der deutschen Vergangenheit ab: Sind nicht die Urteile in den RAF-Prozessen allesamt auch Versuche, auf diesem Wege die Vergangenheit endlich loszuwerden?
Die „kleine Verschiebung“, die die messianische Zeit von der Vorgeschichte trennt, ist die Verschiebung der Logik der Verurteilung von der Vergangenheit in die Gegenwart: Es ist die gleiche Verschiebung, die aus dem Weltgericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht macht: der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht.
Schmerz und Schrecken: Nicht der Schrecken lähmt, sondern der Schmerz, der den unaufgelösten Schrecken noch in sich enthält. Nur wer dem Schrecken standhält, entwickelt die Kräfte des Widerstands (die Kräfte, die in den Mechanismen der Empörung und Verurteilung bloß verpuffen; Empörung und Verurteilung führen auch dort noch zum Einverständnis mit dem Bestehenden. wo man glaubt, es zu bekämpfen). -
18.09.1996
Wer bereschit, das erste Wort der Schrift, anstatt mit „im Anfang“ mit „im Prinzip“ übersetzt (Ton Veerkamp?), bringt zwar eine notwendige Korrektur, aber verschiebt er das Problem nicht doch nur von der zeitlichen (naturalen) auf die logische (weltliche) Ebene, transportiert er es nicht aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik, mit der Gefahr der Vergöttlichung des transzendentalen Subjekts?
Erfüllt der gegenwärtige Weltzustand nicht die Voraussetzungen, auf die das Wort sich bezieht, daß der Vater am Ende, wenn der Sohn ihm alles unterworfen hat, alles in allem sein wird?
Ist das Heideggersche „Dasein“ nicht ein Produkt der subjektiven Formen der Anschauung, das alte tode ti, nach seiner philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Transformation und nach Verdrängung des Bewußtseins seiner Ursprungsbedingungen (vergleichbar der Geschichte des „Seins“ nach der Hypostasierung des Begriffs und der Abspaltung vom Possessivpronomen der dritten Person singular männlich)?
Ist nicht das Begreifen ein instrumentalisiertes Besitzergreifen (nach Abstraktion vom Besitzer)?
Wäre es nicht Aufgabe der Erinnerungsarbeit, die Abstraktions-und Verdrängungsschritte, die unser Bewußtsein konstituieren, zu rekonstruieren? Und ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Spiegel der Ursprungsgeschichte dieses Bewußtseins?
Läßt sich das Johannes-Evangelium in Beziehung setzen zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos (und hat der Kreuzestod etwas mit dem Opfer zu tun, das den Ägyptern ein Greuel ist)? Entspricht nicht das erste Wunder Jesu (bei der Hochzeit zu Kana) der ersten der ägyptischen Plagen?
An welchen ägyptischen Plagen hat Aaron Anteil, sind es nicht fast die gleichen, in denen auch die ägyptischen Zauberer vorkommen (1 – 4 <!> u. 6; die Zauberer dagegen 1 – 3 u. 6)?
Welche Motive bleiben unerledigt: die Prophetenschaft Aarons, das Opfer (das den Ägyptern ein Greuel ist)?
Der Versuch, die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos zu entschlüsseln, gelingt nur als Selbstversuch. Und beschreibt nicht diese Geschichte aufs genaueste die Genesis des Irrwegs des Sünders, an dessen Bekehrung die Rettung der eigenen Seele gebunden ist? Allein an diesem Modell, nicht aber an der verkürzten und egozentrischen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, läßt sich das Problem der Gnade demonstrieren: die Bekehrung des Sünders ist nicht erzwingbar, sie liegt nicht in unserer Macht, aber gleichwohl können wir nicht davon lassen. Jede Zwangsbekehrung ist eine verzweifelt-hybride Leugnung der Gnade. Selbst, was in der Moderne Mission heißt, hat etwas von dieser Zwangsbekehrung an sich, gleichgültig, ob durch den Appell an die Übermacht der „westlichen Welt“, für die das Christentum heute steht, oder durch die Mittel, die von denen der Reklame allzu oft nicht zu unterscheiden sind (jede Reklame intendiert die Heiligung des Markennamens und die Bekehrung des Konsumenten zu dem im Markennamen gegenwärtigen Warengott – hat nicht Ludwig Ehrhard gelegentlich von der „Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft“ gesprochen?).
Bekehrung: „ginosketo hoti ho epistrepsas hamartolon ek planes hodou autou …“ (Jak 520).
Reinhart Staats weist darauf hin, daß die Opfertheologie, die Lehre vom Sühnetod Jesu, westlichen Ursprungs ist, daß erst seit Tertullian das pro nobis an das crucifixus angehängt wurde (vgl. S. 160). Liegt hier nicht der sprach- und bekenntnislogische Kern der von Tertullian geprägten lateinischen Begrifflichkeit der Theologie (bis hin zum Gebrauch des Personbegriffs in der Trinitätslehre)? Diese Begrifflichkeit aber hat dann die Sprache und die Logik der westlichen Philosophie nach dem Ende des Mittelalters geprägt.
Das Subjekt ist zum erkenntnistheoretischen Subjekt in dem Augenblick geworden, in dem es sich selbst zum Objekt geworden ist (durch präventive Mimesis ans Objekt die Konstituierung des Objektbegriffs vorbereitet hat). Das aber ist allein über die subjektiven Formen der Anschauung, die nicht nur die Objektvorstellung, sondern mit ihr auch das Selbstverständnis des Subjekts determinieren, gelaufen. Mit der Vergesellschaftung von Herrschaft, und d.h. mit der Aufrichtung der Grenzen zwischen Subjekt und Objekt (mit den subjektiven Formen der Anschauung, die diese Grenzen definieren), wurden diese Grenzen zugleich aufgehoben, ist das Subjekt zu einem Teil der Objektwelt geworden.
Jürgen Ebach, dem zur Apokalypse nur die atomare Drohung, nicht aber die faschistische einfällt, wäre darauf hinzuweisen, daß er damit bereits von einer Entlastungslogik Gebrauch macht, die in Deutschland nie, auch nicht von der 68er Bewegung (die raf eingeschlossen), durchbrochen worden ist. Deshalb hat Daniel Goldhagen die deutsche Öffentlichkeit so unvorbereitet und so empfindlich getroffen.
Der kopernikanische Blick auf die Welt entspricht dem Blick des Historikers auf die Geschichte: Der vergegenständlichende Blick ist der Seitenblick, der Blick der Selbstobjektivierung, des Aus-sich-Heraustretens und Sich-von-außen-Sehens. Das Medium dieser Bewegung ist räumlich und zeitlich zugleich: Das Verhältnis der Äußerlichkeit, das der Raum herstellt, ist tingiert durch die Logik der Projektion ins Vergangene. Wenn der Historiker die Vergangenheit vergegenwärtigt, so projiziert der Naturwissenschaftler das Gegenwärtige in die Vergangenheit. Erst diesem Blick eröffnen Raum und Zeit sich ins Unermessliche, werden sie zum Maß der Dinge, das selber jedem Maß sich entzieht.
Alle Chronologie-Konstrukte (die historischen wie die naturwissenschaftlichen) sind Rechtfertigungskonstrukte, die dazu dienen, die Gegenwart gegen die Schuldreflexion zu immunisieren (sie gegen den Anblick Gottes abzuschirmen). Das Inertialsystem ist atheistisch.
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist ein Konstrukt, das zunächst nur auf die mathematische Form des Raumes sich bezieht; hier liegt einer der Gründe Kants, den Raum als subjektive Form der Anschauung zu bestimmen. Realität hat die Reversibilität gewonnen
– in der Mechanik, in der Bestimmung der Stoßprozesse, bei denen Richtung und Gegenrichtung (in der zur Fallrichtung senkrechten Ebene) dynamisch nicht unterscheidbar sind, sodann
– im Gravitationsgesetz, die auch den Fall, die Beziehung von Oben und Unten unter dieses Gesetz subsumierte;
– mit der Elektrodynamik wurde diese Reversibilität auf die Zeit übertragen, die Zukunft endgültig unter die Vergangenheit subsumiert.
Erst zu den Maxwellschen Gleichungen gehört das Inertialsystem.
Die Vergegenständlichung der Vergangenheit läßt die Zukunft nicht unberührt: Durch Antizipation ihrer Vergangenheit macht sie die Zukunft für Herrschaft verfügbar. Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, hat sowohl gesellschafts- als auch wissenschaftskritische (und in dem Sinne „naturwissenschaftliche“) Bedeutung.
Merkwürdig, daß wir für die Physik (im Kontext der Naturbeherrschung) den griechischen Naturbegriff verwenden, im Kontext der Ästhetik und der Theologie hingegen den lateinischen. Hätte ein Buch wie das des Johannes Scottus Eriugena (de divisione naturae) auch über die physis geschrieben werden können? Gehört nicht der Standardtitel der Vorsokratiker (peri physeos) in einen andern sprachlogischen Zusammenhang? Sind nicht der „natürliche Ort“ und „das Leichte“ des Aristoteles nur im Kontext der physis denkbar (während im Naturbegriff das ortlose Inertialsystem und die universale Schwere bereits mitgesetzt sind und in der lateinischen Theologie ihre sprachlogischen Entsprechungen haben)? Für die Griechen ist die Welt ein geschmückter Leib (kosmos), für die Römer ein gereinigtes All (mundus).
War die Arena das Konzil der Märtyrer, die real den wilden Tieren ausgesetzt wurden, in denen sie das Römische Imperium erkannten? Und waren die Konzilien domestizierte Arenen (in denen der physische Kampf durch den geistigen ersetzt wurde und die Märtyrer, nach Identifikation mit dem Aggressor und Partizipation an der Macht, zu Bekennern geworden sind)?
Wenn die „Einheit des Reiches“ zu den Charakteristika des Reiches des Beelzebub gehört (während das Reich des Vaters viele Wohnungen hat), hat dann die Kirche nicht in der Tat in den Konzilien (in der Geschichte des Glaubensbekenntnisses, in der sie immer wieder die Autorität der Kaiser in Anspruch genommen hat) versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben?
Bezeichnet nicht das ex nihilo in der Schöpfungslehre den Akt der Verdrängung, und wäre nicht gerade dieses nihil endlich zu reflektieren? Was übrigens Kant als erster getan hat, als er eine begriffliche Differenzierung des nihil (in der Kritik der reinen Vernunft) vorlegte. Diese Differenzierung ist dann bei Hegel in der Einheit von Sein und Nichts untergegangen, die dem Begriff des Negativen diese unendlich schwere Bedeutung verliehen hat (es zur treibenden Kraft seiner Dialektik, der Logik, gemacht hat). Erst Franz Rosenzweig, der das Nichts als ein Nichts des Wissens (als seine innere Grenze, und damit als ein dreifaches Etwas) zu bestimmen versucht hat, hat das Problem einer Lösung nähergebracht. Erst Franz Rosenzweig hat die Grenze der Erkenntnis ins Wissen verlegt, das Nichtwissen als ein konstitutives Element des Wissens, das durch Erkenntnis aufzuheben wäre, begriffen.
Als die Deutschen nach dem Krieg unisono verkündeten, sie hätten „von nichts gewußt“, haben sie das Wissen selbst zu einem Instrument der unglaublichsten Verdrängung gemacht. Der Satz wird wahr, wenn man dieses Nichts substantivisch nimmt: davon nämlich haben sie (sehr wohl) gewußt.
Gibt es nicht drei Demonstrativpronomina zum Nichts: dieses, jenes und das andere Nichts, und haben diese drei etwas mit Rosenzweigs Gott Mensch Welt zu tun?
Ein „pflichtbewußter Hund“, der einen Ast im Maule schleppt (und so davon abgehalten wird, Spaziergänger anzufallen): Sind es nicht generell die Pflichtbewußten, die – unter dem Zwang ihrer Pflicht – nicht mehr wissen, was sie tun? -
16.09.1996
Bezeichnen der Schurz aus Feigenblättern und der Rock aus Fellen Stufen der Sprachentwicklung? Und schließt die Übersetzung des Gebotes „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider Deinen Nächsten“ in das Gebot „Du sollst nicht lügen“ nicht die Konsequenz mit ein, daß jeder (insbesondere aber die Kinder, an die das Gebot in erster Linie gerichtet zu sein scheint) in voller Nacktheit sich zeigen soll? Diese Fassung des Gebots ist obszön, in ihr enthüllen sich die, die Gebrauch von ihr machen, als Voyeure. Dieses Gebot perhorresziert die Phantasie, damit aber die Fähigkeit der Kinder, mit der Welt sich auseinanderzusetzen, es macht sie wehrlos. Das „Du sollst nicht lügen“ hängt mit der Verurteilungslogik zusammen.
Welche Logik steckt in dem Ausdruck „unverschämt“? Logik ist Sprachlogik, zu deren Elementen nicht nur die sprachimmanenten Momente gehören, wie Wortbedeutung und deren Varianten, die Grammatik und die Satzbildung, sondern ebensosehr die Sprachsituation (es gibt keine herrschaftsfreie Kommunikation). Für sich genommen sind die sprachimmanenten Elemente der Sprachlogik technische Elemente. Wer der Reflexion dieser technischen Elemente nicht fähig ist, ist kommunikationsunfähig, bleibt bloßes Objekt der Verurteilungsautomatik (verschämt und gehorsam).
„Unverschämt“ ist ein eliminatorischer Begriff. (Kafkas Brief an seinen Vater läßt sich als ein zwangsläufig hilfloser Versuch verstehen, sich gegen den Vorwurf der Unverschämtheit zu wehren.)
Zum Keuschheitsgebot: Hängt die Befreiung des Katholizismus vom Bann nicht davon ab, ob es gelingt, die Sexualmoral als eines der Produkte der Verdrängung der Sprachreflexion (als Nebenprodukt der Dogmatisierung) zu begreifen? Die indikativische Sexualmoral (die Sexualmoral als Gesetz) ist der Kern des Schuldverschubsystems.
Jürgen Ebachs Bemerkung zu dem Abschnitt aus dem Minima Moralia „Herr Doktor, das ist schön von Euch“, daß Adorno „zuletzt das Leben selbst aus dem Blick verliert“ (Kassandra und Jona, S.66), habe ich zunächst nicht verstanden. Diese Bemerkung entzündet sich an dem Satz Adornos: „Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in dem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt …“. Aber wird dieser Satz, in dem „Natur“ zum Spiegel der Katastrophe wird, in deren Anblick er geschrieben wurde, nicht der gleichen (vergewaltigenden) Logik unterworfen, die auch das Verhältnis des Dogmas zu den biblischen Texten, aus denen es einmal „abgeleitet“ wurde, beherrscht? Die Bemerkung, daß Adorno „das Leben selbst (was immer in diesem Kontext darunter verstanden werden mag, H.H.) aus dem Blick verliert“, wenn er sein Entsetzen über den Autismus der Bäume ausdrückt, die weiterhin blühen, als wäre nichts geschehen, wenn das Grauen die Welt überfällt, erinnert mich an den neudeutschen theologischen Slogan von der „Bewahrung der Schöpfung“, der eigentlich die „Natur“ und mit ihr die Herrschaftslogik, das steinerne Herz der Welt, meint, in deren Kontext Natur sich konstituiert.
Was symbolisieren Bäume? Gibt es nicht einen Zusammenhang zwischen dem, was man den deutschen Charakter nennen könnte, und der deutschen Waldreligion? Bäume sind aufrecht, trotzen dem Unwetter und allen Stürmen, vor allem aber sind sie im wörtlichsten Sinne verstockt und der Empathie völlig unfähig (hängt nicht die Erkenntnis des Guten und Bösen mit der Verstockung zusammen?). Bonifatius hat zwar die heilige Eiche gefällt, aber, wie es scheint, gefruchtet hat’s nichts.
Durch ihre Verstockung (als Holz) werden die Bäume zum Grundmaterial der Möbel und des Feuers. Im Griechischen ist hyle der Name der Materie. Läßt sich der Kohle und dem Erdöl auch eine geschichtstheologische Bedeutung abgewinnen? Gehört nicht zur Geschichte der Verwendung des Baumes der Pfahl, die Säule, die Statue?
Hängen hyle und physis sprachlogisch auf ähnliche Weise zusammen wie materia und natura, und liegt nicht dazwischen die Verstockung des Herzens (physis ist männlich, natura weiblich)?
Ist es nicht an der Zeit, die Geschichte der Verstockung des Herzens Pharaos endlich einmal genauer sich anzuschauen? Die Verstockung des Herzens Pharaos steht in Abhängigkeit von seiner Entscheidung, das Volk nicht ziehen zu lassen.
Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos eine Abfolge von Symbolen, die sexueller, sprachlicher und herrschaftsgeschichtlicher Natur zugleich sind? Aber erst Babylon hat den hieros gamos vollzogen (hierauf verweist der apokalyptische Unzuchtsbecher).
Wie im Himmel, so auf Erden: Als Gott am zweiten Tag die Feste schuf, die er dann Himmel nannte, hat er mit dieser Feste die oberen von den unteren Wassern getrennt. Von den Wassern unter dem Himmel heißt es dann am dritten Tag, daß sie an einem Ort sich sammeln, damit das Trockene sichtbar werde. Entspricht dem etwas bei den „oberen Wassern“? Ist der Gottesname der „eine Ort“, an dem diese Wasser sich sammeln sollen, und steckt das hinter dem Gebot der Heiligung des Gottesnamens? Ist nicht der biblische Schöpfungsbericht (eigentlich die ganze Thora) „kos-mogonisch“ (weltbegründend) und prophetisch (himmelaufspannend) zugleich, und verleiht das der Thora das Übergewicht über die Prophetie?
Tenach: Ist nicht in der Tora (im „Gesetz) vereint, was in den Nebiim (Propheten) und Ketubim (Hagiographien) getrennt ist?
Die Differenz von Rind und Esel ist die Differenz von Gesetz und Gebot (Joch und Last).
Es gibt keine Kollektivschuld, aber es gibt nur die eine Chance, den Wiederholungszwang zu brechen, wenn durch Erinnerungsarbeit die Sünde der Welt reflektierbar gemacht ist. Und ist das nicht die Geisttaufe?
Die Entlastungskonstruktionen, die mit der Historisierung des Holocaust als Zugabe (aufgrund der Logik der Historisierung) sich einstellen, haben die Deutschen endgültig zu einem Volk von Zwangsneurotikern gemacht.
Behemoth: Ist das nicht ein Abstraktum die Gehölz, und kann man es nicht mit Getier übersetzen?
Die Schrift ist ein durchsichtiger Körper, aber man muß lernen, mit den Ohren zu sehen, um hindurchblicken zu können. Aber es ist das Inertialsystem, es sind die subjektiven Formen der Anschauung, die die Ohren verstopfen. Die kantische Philosophie ist das Gegenteil einer dogmatischen Philosophie, sie ist der Beginn der Reflexion des Grundes, aus dem der Dogmatismus erwachsen ist.
Sollte man im Credo nicht das visibilium et invisibilium, das Sichtbare und das Unsichtbare, durch das Erhörte und das Unerhörte ersetzen?
Der Himmel ist ein plurale tantum. In der Schrift steht der Himmel im Plural. Das Einheitsprinzip dazu: Ist das nicht die Einzigkeit Gottes, die Einheit des Gottesnamens.
Das aufgedeckte Antlitz wird aufgedeckt durch das Leuchten seines Angesichts.
Die Erde ist kein Planet. Haben nicht die Planeten etwas mit den subjektiven Formen der Anschauung zu tun: der Saturn mit der Form der inneren Anschauung, die anderen sechs Planeten mit den sechs Enden der Richtungen des Raumes, der Form der äußeren Anschauung?
Kommt nicht das Konstrukt aus dem Sohar, daß die Enden der Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, der Astrologie auf eine gefährliche Weise nahe? Und bezeichnet nicht Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, den neutestamentarischen Einspruch gegen die Astrologie? -
10.09.1996
Der Objektbegriff zieht die Verurteilungslogik nach. Die subjektiven Formen der Anschauung, die die Verurteilung zum Maß der Logik machen, sind das Produkt einer Implosion der Rechtfertigungslogik, die glaubt, dem vernichtenden Urteil dadurch entrinnen zu können, daß sie sich auf die Seite der Urteilenden (der Gemeinschaft der Urteilenden in Wissenschaft und Recht, sowie angesichts des Faschismus des Urteils des Auslands) begibt, mit den urteilenden Instanzen sich identifiziert. Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit drückt im Raum in der Reversibilität aller Richtungen sich aus: in der Subsumtion der Rechten unter die Linke, des Im Angesicht unter das Hinter dem Rücken und des Oben unter das Unten (die Säkularisation der Theologie). Ist nicht der Säkularisationsprozeß insgesamt die Wassertaufe (die Sammlung der Wasser an einem Ort und das Sichtbarwerden des Trockenen), die auf die Geisttaufe wartet? Goldhagen: Je weiter wir uns von Auschwitz entfernen, umso näher wird es uns rücken. Der Rassismus macht die Nationalitätsgrenzen zu Rassengrenzen. Verweist nicht die Zusammenstellung von „Völkern, Stämmen, Nationen und Sprachen“ in apokalyptischen Texten auf diese Abgrenzungen: auf ein System von Abstraktionschnitten? Auschwitz hat das Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ in die Nähe des „Abgestiegen zur Hölle“ gerückt. Dieser schreckliche Mechanismus: Anstatt zu begreifen, daß in den Folterstaaten, in Bosnien, auch in der RAF, uns unsere eigene Vergangenheit einholt, nutzen wir sie als Exkulpationsmittel: „Die sind auch nicht besser“. Ihr Deutschsein ist die empfindlichste Stelle der Deutschen: Käme es nicht darauf an, auf den dieser Empfindlichkeit zugrunde liegenden Trieb das Keuschheitsgebot anzuwenden? Carl-Friedrich von Weizsäckers Bemerkung, daß die naturwissenschaftliche Entwicklung der zwanziger Jahre (gemeint war die Geschichte der Kopenhagener Schule) einer „Explosion von Genie“ sich verdanke, hat einen anderen Sinn, als ihm bewußt war: War nicht auch der Faschismus eine Explosion der Tradition, die im Geniebegriff gründete? Siehe hierzu die kantische Definition und Bestimmung des Geniebegriffs, der auch diesen exkulpatorischen Effekt hatte: Nicht ich bin es, sondern die Natur in mir ist die schöpferische Kraft, der die großen Werke der Kunst, der Musik, der Philosophie, der Literatur, und am Ende auch der Naturwissenschaften, der Ökonomie und der Politik sich verdanken. Wenn von Hitlers „Charisma“ die Rede war, und wenn Hitler selbst als ein Werkzeug der Vorsehung sich verstand, so stand das in dieser Tradition. Die bisher einzige richtige Antwort hierauf war Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“, der Versuch, diese Sphäre (und in ihr den Bann des Geniebegriffs) durch Reflexion aufzuhellen.
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24.08.1996
Der postdogmatische Charakter der lateinischen Sprache gründet in ihrer instrumentalisierenden Sprachlogik. Die lateinische Sprache ist die Sprache des Römischen Imperiums, dessen Herrschaftslogik sie widerspiegelt. Hegel hat schon die römische Religion als Religion der Zweckmäßigkeit bezeichnet (vgl. Philosophie der Weltgeschichte, Dritter Band: Die griechische und die römische Welt, Meiner 1944, S. 677); dieser Charakter hat sich im lateinischen Christentum erhalten. Ist das Futur II eine lateinische Erfindung, oder findet es sich schon im Griechischen (mit Hilfsverb-Konstruktion, in Anlehnung an den Perfekt Konjunktiv/Optativ)? Perpetuum mobile: Der eliminatorische Charakter des deutschen Antisemitismus gründet in einem Mechanismus, der darauf hinausläuft, daß man die Opfer für das bestraft, was sie den Tätern antun, wenn sie sie zwingen, sie zu verfolgen und zu töten. Und strafen kann sie man nur, wenn man sie, bevor man sie tötet, quält und demütigt. Dieser Mechanismus, dessen naturwüchsige Form der Antisemitismus ist, wurde in der Folter zu einem technischen Verfahren, zu dem eine spezielle Ausbildung und Konditionierung der Folterer gehört, instrumentalisiert. Steht nicht die Frage Heideggers: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts, unter dem Bann des theologischen Konstrukts der creatio mundi ex nihilo? Hat Heidegger damit nicht den Abgrund eröffnet, der hinter diesem Konstrukt sich auftut, den Abgrund nicht zuletzt einer Politik, die den Problemen, die sich ihr stellen, nicht mehr gewachsen ist, und deshalb den Verdrängungsraum des nihil eröffnet? Einer Wirtschaftspolitik, für die Arbeit nur ein Kostenfaktor ist, werden die Arbeitenden zum nihil. Steckt nicht in der Diskriminierung der Slawen, die Erinnerung an die Sklaven, die in ihrem Namen mit enthalten ist? Und sind die Sklaven nicht das logische Verbindungsstück zwischen Arbeitern und den unterworfenen, zur Sklaverei gezwungenen Fremden? Für die (antisemitische) Logik des Es waren die Slawen, der Bolschewismus und das Judentum eine einzige graue Masse, in der sich nichts mehr unterscheiden ließ. Ist es wirklich reiner Zufall, daß gleichzeitig im naturwissenschaftlichen Begriff der Masse die Akzente sich verschoben haben, in Richtung der Zerstörungskräfte, die der Masse innewohnen (und deren Beherrschung zum Testfall der gesellschaftlichen Naturbeherrschung geworden ist)? Sklaven und Arbeiter: Fremdarbeiter und Gastarbeiter erinnern an den Ursprung der Arbeit in der Sklaverei; Kriegsgefangene und Angehörige unterworfener Völker waren (als Sklaven) die ersten Arbeiter, die durch ihre Tätigkeit im Dienst fremder Herren sich definierten. Nur die Herren verstanden sich als Menschen, während die Sklaven, die nicht über sich selbst verfügen konnten, der Natur zugerechnet wurden, die sie bearbeiteten; Menschsein war (ebenso wie eine ökonomische) auch eine nationale Kategorie. Die wirre Ausländer-Diskussion (das „Das kann doch nicht wahr sein“, mit dem einer seine Wahrnehmung kommentierte, daß man „fast keine Deutschen mehr“ sieht) gründet in dieser Unterscheidung von Mensch und Sklave, die der Unterscheidung von Deutschen und Ausländern zugrunde liegt. Der Wahrheitsbegriff, der in dem „Das kann doch nicht wahr sein“ zitiert wird, ist der der „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“; in seinen identitätstiftenden logischen Grundlagen steckt real ein nationalistisches Element (deshalb war die Logik so wirksam, wonach nur Deutsche Menschen und zur Weltherrschaft berufen waren; Juden waren keine Menschen). Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt sei durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, entfaltet heute seine unheilvolle Logik: In der positivistischen Beharrung auf der intentio recta steckt die ganze Herrschaftsmaschinerie, die Ausblendung der Arbeiter, der Haß auf die Fremden und die Verachtung der Ausländer. Im Kern dieser Logik, sie gleichsam stabilisierend, steckt ihr ästhetischer Grund, stecken die subjektiven Formen der Anschauung, insbesondere die Raumvorstellung. Ist nicht der Name des Gottesknechts der Kern der Nachfolgelogik? Und müßte die Xenophobie nicht eigentlich Gastfeindschaft heißen (die Bekenntnislogik hat der Gastfreundschaft den Boden entzogen)? Habermas braucht die Theologie nicht mehr: die Naturwissenschaften liefern ihm einen entsühnten Weltbegriff ohne den Umweg der Opfertheologie. Gehört nicht zur Kritik der Moderne die Reflexion der Geschichte ihres Begriffs? Ist er nicht zuerst im Namen der devotio moderna aufgetreten, und gehort zur devotio moderna nicht die Ersetzung der Nachfolge durch die imitatio (Thomas a Kempis)? Die Vernichtungsphantasien, die die Bilder der Masse auslösen, sind das Produkt einer projektiven Verschiebung des Bewußtseins der Ich-Vernichtung, der Selbst-Aufgabe, die das „Aufgehen in der Masse“ impliziert. Darin gründet die Brisanz, das – weiß Gott – nicht Ungefährliche des Slogans „Wir sind das Volk“. Wer sich selbst als Volk, und d.h. als Teil einer Schicksalsgemeinschaft begreift, ist auf dem Sprunge, zum Schicksal für andere zu werden. Die Nazis haben den Judenmord als präventive Notwehr verstanden. Die Katstrophe wird absehbar, wenn es zu der Logik, die den Faschismus beherrschte, keine Alternative mehr geben wird: wenn die Theologie aufgibt. Wenn der Atheismus siegt, und es gibt auch einen Atheismus in der Theologie, hat Hitler gesiegt. Es gibt eine Situation, in der die Theologie auf den einfachen Satz sich reduziert, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht. Dem selbstreferentiellen, projektiven und paranoiden Blick der Welt ist dieses Herz verschlossen. In den gleichen Zusammenhang gehört der Satz, daß das Jüngste Gericht nicht das Hegelsche Weltgericht ist, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Hegels Satz: „Das Eine ist das Andere des Anderen“, ist der Schlüssel für diesen ganzen Bereich. Das Andere ist das Andere für mich (und für alle Anderen); die Logik des Andersseins ist die Logik des Reichs der Erscheinungen, das beherrscht wird von den Totalitätsbegriffen Natur und Welt. Die Differenz zwischen den Kosmogonien und den Kosmologien, die die Grenzscheide markiert zwischen Mythos und Philosophie, kehrt in den Kosmologien, im Bereich der Philosophie, wieder als Differenz von Natur und Welt. Alle Naturbegriffe sind durch den Weltbegriff domestizierte kosmogonische Begriffe, während alle Weltbegriffe im Naturbegriff reflektierte kosmologische Begriffe sind. Alle Weltentstehungslehren sind Mythologien, nicht zuletzt auch die Theorie vom Urknall, die die aus dem Entropiebegriff entwickelten Endtheorien in eine Anfangstheorie umgekehrt hat.
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16.08.1996
Zum Milgram-Experiment verweist Goldhagen auf eine Studie, die nachweist, daß es in diesem Experiment nicht um Gehorsam, sondern um „Vertrauen“ ging (Hitlers willige Vollstrecker, S. 665, Anm. 19). Heißt das gleiche Vertrauen in der christlichen Tradition nicht „Glaube“?
Gründet die Logik dieses Glaubens nicht in der gleichen Konstellation, zu der auch der individualisierende Akt des Ursprungs des Charakters gehört (vgl. hierzu Rosenzweigs „Stern der Erlösung“), und verweist diese Konstellation nicht auf die Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs? Korrespondiert der Charakter nicht dem Gattungsbegriff im Tierreich und dessen Beziehung zum Weltbegriff, und ist er nicht (wie auch der Glaube) eine der Reflexbildungen des Weltbegriffs im Subjekt? Gibt es noch andere (wie es scheint, genau bestimmbare und abzählbare) Reflexbildungen des Weltbegriffs im Subjekt, und ist der Kern dieser Reflexbildungen in den subjektiven Formen der Anschauung verborgen, die durch ihre neutralisierende Gewalt zugleich als Instrument der Verblendung in ihnen sich erweisen? Gründet hierin das Problem der sieben unreinen Geister, von denen Maria Magdalena befreit wurde?
Ist nicht jeder Götzendienst Sternendienst?
Sh. die ungeheure Geschichte im Buch Jonas: Erst das Volk, dann der König, und der König ruft mit dem Volk dann auch das Vieh, „Rinder und Schafe“, zur Buße auf. Rinder und Schafe sind Opfertiere; Esel wurden nicht aufgerufen.
Ist es nicht ein gemeinsamer Hang zum Populismus, der, indem er in vorauseilendem Gehorsam den kollektiven Rechtfertigungszwängen folgt, taz und Publik Forum immer mehr aus ihren kritischen Anfängen heraus- und in immer gefährlichere Zonen hineintreibt? Symbolfigur dieses Trends in Publik Forum ist mittlerweile wohl Eugen Drewermann, der sich seinen Mut an der heute ohnehin ohnmächtigen Kirche beweist, während er zugleich jede wirkliche Herrschaftskritik denunziert.
In den dreißiger Jahren gab es eine Schallplatten-Reklame, die mit einem Bild warb, auf dem ein Hund aufmerksam einer Schallplatte lauscht; dazu der Slogan „die Stimme seines Herrn“. So hat das ganze Volk bei „Führer-Reden“ vorm Lautsprecher gesessen.
Hat der Nationalsozialismus nicht das Instrumentarium gleich mitgeliefert, das den kollektiven Verdrängungsakt am Ende des Kriege ermöglichte? Die Verbrechen der Nazis waren mit ihrer „Weltanschauung“ nicht rational (durch Begründung), sondern nur durch die Bekenntnislogik (durch ein Verurteilungs- und Rechtfertigungssystem) verbunden, die es ermöglichte, die Verbrechen durch den kollektiven Bekenntniswechsel (durch ein anderes Verurteilungs- und Rechtfertigungssystem) gleich mit zu verdrängen. Seitdem hat – bis in die Theologie hinein – das Bewußtsein sich ausgebreitet, daß es auf den Inhalt einer Religion (eines „Bekenntnisses“) garnicht so sehr ankommt, sondern nur darauf, eine zu haben. Die Instrumentalisierung der Bekenntnislogik durch Nazis, die der Kern des „eliminatorischen Antisemitismus“ war, ist offensichtlich nicht mehr rückgängig zu machen.
Naturwissenschaft: Selbstverblendung durch Erkenntnis.
Gründen die drei evangelischen Räte in ihrer Beziehung zu den drei transzendentalen Formen der Logik:
– die Armut in der Beziehung auf die durchs Tauschprinzip (durchs Geld) beherrschte Welt,
– das Hören in der Beziehung auf die durchs Inertialsystem (durch die „subjektiven Formen der Anschauung“) beherrschte Natur und
– die Keuschheit auf die Beziehung zu den durch die Bekenntnislogik von Selbstreflexion und Herrschaftskritik „befreiten“ Formen der Erkenntnis und des Wissens? – Ist die Bekenntnislogik der „Unzuchtsbecher“?
Hat der „Dieb in der Nacht“ etwas mit der Tötung der Erstgeburt, die um Mitternacht erfolgte, zu tun?
Jesus wußte sich zu den verlorenen Kindern Israels gesandt; Paulus hat begriffen, daß die Rettung Israels nur über die Völker (die „Heiden“) möglich ist; die Kirche hat daraus die Verwerfung Israels abgeleitet, anstatt in der Rettung Israels die eigene zu begreifen. Auschwitz ist der Greuel am heiligen Ort.
Die Ängste, die während des Krieges insbesondere in der katholischen Kirche verbreitet waren: Heute die Juden, morgen sind wir dran, waren nur insoweit unbegründet, als sie nach der Niederlage der Nazis ihren Urheber verloren zu haben schienen. Aber hatten sie ihn wirklich verloren, hatte die Kirche, als sie vergaß, daß sie selbst mit zur Ursprungsgeschichte dieser „Urheberschaft“ gehörte, diese nicht schon so sehr verinnerlicht, daß sie für sie nur nicht mehr sichtbar (dafür aber umso gefährlicher geworden) war? Mit dem Verrat der Juden, deren Leiden sie nicht wahrzunehmen fähig war, hat die Kirche sich selbst verraten. Ausdruck dieses Verrats ist nicht zuletzt der Zustand der Theologie heute.
Die Deutschen mögen Hitlers willige Vollstrecker gewesen sein (und sie waren es), aber war Hitler nicht der „willige Vollstrecker“ des Selbstverrats der Kirche? Der Antisemitismus hat kirchliche Wurzeln, Deutschland war nur das Treibhaus, in dem diese Pflanze zu ihrer vollen Pracht sich entfalten konnte.
Kann es sein, daß das Hethitische, in dem das Neutrum durch den Verzicht auf die grammatische Geschlechtertrennung erkauft war, zur Ursprungsgeschichte der indoeuropäischen Sprachen gehört? Ist der Ursprung des Neutrum durch die sprachliche Verdrängung des Weiblichen vermittelt (das in der Folge dann nur in dritten Person wieder erscheint, während im Hebräischen die Geschlechtertrennung auch in der zweiten Person noch gilt)?
Wenn Hitler in der „Masse“ eine weibliche Komponente erkannte, steckt darin nicht die merkwürdige sprachlogische Beziehung des Feminimum zum Plural im Deutschen? Beim bestimmten Artikel, wo das Femininum zur Grundlage des Plural geworden ist, erscheint im Genitiv und Dativ des femininen Artikels die Nominativform, beim Plural im Genitiv die Nominativ-, im Dativ die Akkusativform (!) des singularen maskulinen Artikels, in beiden Fällen sind Eigentum und Herrschaft sowie das Geben, Gewähren, auf einen männlichen Adressaten bezogen. Es ist davon auszugehen, daß diese sprachlichen Beziehungen nicht zufällig sind, daß es sich nicht nur um äquivoke Beziehungen handelt, sondern (wie auch im „Sein“, das sowohl den Infinitiv des Hilfsverbs wie auch das Possessivpronomen der dritten Person singular bezeichnet) sprachlogische Beziehung, die zu entschlüsseln wäre. Nicht auszuschließen, daß die Ontologisierung einer männlichen Possessivbeziehung im Namen des Seins den Schlüssel hierzu liefert.
Der Rassismus blendet die Herrschaftskritik aus, er erspart sich die Reflexion dadurch, daß er einem sprachgeschichtlichen Sachverhalt einen biologischen substituiert. Die Logik dieser Substitution ist im Weltbegriff vorgebildet, durch den Weltbegriff determiniert. Im Grunde ist jede Sprachforschung, die die Geschichte der Sprache vom herrschaftsgeschichtlichen Prozeß trennt und an die Geschichte von Völkern und Stämmen bindet, immer noch rassistisch.
Hat nicht die lateinische Sprache, und zwar unter einem großen sprachlogischen Zwang, das Evangelium durchs Dogma ersetzt?
Der Satz, daß der Menschensohn Herr des Sabbath ist, hat etwas mit der Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern (die ebenso wie der Sabbath auf das antike moralisch-kosmologische Verständnis des Planetensystems, auf die Astrologie, verweist) zu tun.
Wachet und betet: Ist das nicht die Aufforderung zur Erinnerungsarbeit? Der Nazi-Slogan „Deutschland erwache“, der eigentlich auf das vollständige Vergessen, auf die Unterdrückung des Eingedenkens, zielte, ist das Produkt einer schrecklichen Verschiebung. Dieses „Deutschland“, das seiner nicht spotten läßt, ist der Kern und der Inbegriff einer pathologischen Empfindlichkeit, der Energielieferant der antisemitischen Wut und Aggression. Im Kern dieses Namens steckt eine, wie es scheint, unheilbare Paranoia.
Mit der Begründung seiner Entscheidung, Jude zu bleiben, hat Franz Rosenwzeig gleichzeitig Vorkehrungen getroffen gegen ein Mißverständnis des Sterns der Erlösung. Er hat jedes missionarische Verständnis dieses Buches im Vorhinein ausgeschlossen, er hat der Proselytenmacherei, aber auch einem etwaigen Wunsch eines Christen, nach der Lektüre dieses Buches zum Judentum zu konvertieren, einen Riegel vorgesetzt, der nicht mehr zu lösen ist. Aber war der Preis dieser Abgrenzung, die Bindung des Jüdischen ans Blut, nicht zu hoch?
Das griechische physis ist männlich, das lateinische natura (wie die daraus abgeleitete Natur) feminin; darin spiegelt sich die unterschiedliche Sprachwurzel, die im Griechischen auf die Zeugung, im Lateinischen auf die Geburt verweist. kosmos und mundus sind beide männlich, die deutsche Welt ist feminin. Kann es sein (und hängt das hiermit zusammen), daß die Namen der Nationen im Deutschen (wie der Name mizrajim im Hebräischen – heißt deshalb der ägyptische König Pharao?) Kollektivnamen sind, während sie in den alten (und in den anderen europäischen) Sprachen sonst durch ein grammatisches Geschlecht bestimmte individuelle Begriffe sind? Liegt nicht die Schwierigkeit (und der Wendepunkt) darin, daß der logische Status der Namen der Nationen zusammen mit dem mittelalterlichen „Realismus“, der den Begriffen objektive Realität zuerkannte, in der Ursprungsgeschichte des den Nominalismus begründenden Inertialsystems obsolet geworden und untergegangen ist?
Im Deutschen sind die Namen der Nationen Kollektivbegriffe und Totalitätsbegriffe zugleich, die wie die Gattungsnamen durch Gebrauch des (bestimmten oder unbestimmten) Artikels auf die „Exemplare“ der Nation (oder der Gattung) sich beziehen. Sie sind eigentlich hypostasierte Adjektive: sie drücken eine gemeinsame Eigenschaft unterschiedlicher Individuen aus. Nationen stehen wie Gattungen in Konkurrenz zum Weltbegriff …
In welcher Beziehung stehen Nationennamen zu den Abstrakta, zur Hypostasierung von Eigenschaften, die in der Regel mit Suffixen wie -heit oder -keit gebildet werden? Welche sprachlogische Bedeutung haben die Bildungen auf -tum (wie Deutschtum, Judentum, Heidentum, aber auch Reichtum, Eigentum u.ä.)?
Sind nicht das Gerundium, auch das Supinum (die nicht auf Ei-genschaften, sondern auf Tätigkeiten sich beziehen), lateinische Vorläufer dieser Abstrakta? In imperialen Zusammenhang werden die Abstrakta durch ihre Beziehung auf Eigenschaften (die zusammen mit dem Dingbegriff sich konstituieren) gerückt, die die Dinge beherrschbar machen (Zusammenhang mit dem Ursprung des Trägheitsprinzips).
Sind die philosophischen Akzidentien nicht die ersten hypostasierten Adjektive?
Der Unterschied zwischen physis und natura drückt in der Frage sich aus, ob Eigenschaften durch Zeugung oder durch Geburt vererbt werden. (Hat nicht die Trinitätslehre diese beiden Aspekte getrennt: der innertrinitarischen Zeugung ohne Geburt entsprach die homousia, der irdischen Geburt ohne Zeugung die Inkarnation, die Menschlichkeit des Gottessohns. Und wenn Paulus „Römer von Geburt“ war, war er dann nicht Römer „von Natur“, und konnte die Geburt nicht durch eine Adoption ersetzt werden?)
Die Ware, die nur noch Exemplar eines Kollektivs ist, so daß die Exemplare nicht mehr von einander sich unterscheiden lassen (eines Kollektivs von Dingen mit identischen Eigenschaften, in denen das Wesen und die Qualität der Ware begründet ist), ist weiblich! Waren nicht Sklavinnen die ersten Waren? – Wie hängt der Name einer Nation mit dem eines Markenartikels zusammen, der ihn heute zu beerben scheint?
Hängt die Ware mit dem Imperfekt von Sein („war“) zusammen wie das Possessivpronomen der dritten Person männlich mit dem Infinitiv Sein?
War nicht der Name Edom („Roter“) der erste auf eine Eigenschaft gegründete Name (und Edom war der Name der ersten Königtümer, später der Deckname für Rom)? Im Lateinischen entspricht ihm der Name Rufus! (Simon von Cyrene war der Vater des Alexander und des Rufus: Klingen darin der Hellenismus und das Römische Reich an? – Paulus hatte mit Rufus eine gemeinsame Mutter?)
Gehören das Symbol und der Typos zum Begriff einer Erkenntnis, die an der Idee der Auferstehung sich orientiert (die Idee der Auferstehung verändert die Erfahrung von Natur und Geschichte)? Die Idee der Auferstehung gilt nur den Andern, niemals dem, der sie hegt: Sie ist Teil der Hoffnung, die uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben ist.
Das Harmloseste, das man von den Angriff auf Adorno, den Schmid-Noerr mit völlig unzureichenden Kategorien beschreibt, sagen kann, ist, daß hier zwei Welten auf einander geprallt sind. Aber sind nicht auch in Auschwitz zwei Welten auf einander geprallt? Ich befürchte, daß man nicht ausschließen kann, daß das Bewußtsein, daß Adorno Jude war, mit hereingespielt hat. Ich würde gerne wissen, was aus den jungen Frauen geworden ist.
Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war ein Mittel, historische Prozesse reflexionsfähig zu machen; es hat dann allerdings zugleich die so reflektierte Geschichte wieder historisiert (und zwar dadurch, daß man, nach dem gleichen Prinzip, das bereits den mythischen Kosmologien zugrundelag, einem Prozeß der zweiten Natur einen der ersten substituiert hat).
Kann es sein, daß das Wort der drei Weisen aus dem Morgenland: Wir haben seinen Stern gesehen, auf ein politisches und nicht auf ein astronomisches Ereignis sich bezog? -
15.08.1996
Unter den neutestamentlichen Namen kommen Abraham und Isaak, Moses und Aaron, David und die Namen der Propheten nicht vor (mit zwei Ausnahmen: Zacharias ist Sacharja, und Simon Petrus wird einmal als Barjona, Sohn des Jonas, bezeichnet). Die am häufigsten vorkommenden Namen sind: Simon und Judas, Jakobus und Johannes, Joseph; auffällig sind der jüdische Gebrauch griechischer (und römischer) Namen: Andreas, Philippus, Alexander (Petrus, Paulus, Rufus). Bei den Frauen ist Maria fast ein Standard-Name, dazu Elisabeth, Hannah, Martha, Salome, Susanna.
Unterstellt nicht dieses falsche Adorno-Zitat von Habermas „Eingedenken der gequälten Natur“, daß Adorno nur mit dem Negativen sich befaßt habe (nur mit der gequälten Natur, nicht mit der anderen Natur, was immer das sein mag)? Wer der Natur-Kritik glaubt enthoben zu sein, verdrängt die Wahrnehmung des Schreckens und verliert die Fähigkeit zur Kritik des Bestehen.
Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ein Hinweis darauf, was mit dem einen Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, gemeint ist? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos ist die Ursprungsgeschichte des steinernen Herzens, das am Ende durch ein fleischernes ersetzt wird. Steckt nicht hinter dieser Ersetzung des steinernen durch ein fleischernes Herz ein politisches und ein sprachlogisches Problem zugleich (und sind nicht die zentralen politischen Probleme zugleich auch sprachlogische Probleme)?
Der Symbolbegriff schließt den affirmativen Gebrauch aus; es gibt keine ein für allemal gültigen Zuordnungen der Symbole zu ihren Bedeutungen. Das Symbol ist ein Reflexionsmedium, das gegen die verdinglichende Gewalt des Urteils sich richtet, diese Gewalt gegenstandslos macht. Es ist der Vorschein der Erfüllung des Worts, die nicht mehr nur im Medium der Sprache sich vollzieht.
Beziehen sich nicht die drei Verdrängungsakte, die die Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis als ihr Schatten begleiten:
– die Verdrängung der Sinnlichkeit (die in den Objekten keinen Halt mehr findet),
– die Verdrängung der Kritik (deren Subjektivierung zur bloßen Meinung) und am Ende
– die Verdrängung der Schuld (die zu einem pathologischen Gefühl wird, von dem das aufgeklärte Subjekt sich freizumachen hat -hierher gehört der ungeheure Verdrängungsakt, der nach dem Krieg die Schrecken des Faschismus durch Objektivierung der Erfahrung entzogen hat),
auf die drei theologischen Themen, die am Angesicht, am Feuer und am Namen sich entzünden? Ist nicht das Angesicht der Schlüssel zur sinnlichen Erfahrung, das Feuer das Symbol der Beziehung der Kritik zur Idee der Wahrheit, und ist es nicht der Name, der die Fähigkeit der Erinnerung und Reflexion der Schuld begründet? Schuld wird zu einem pathologischen Gefühl, wenn der Name (wie der Gottesname in der Trinitätslehre) zu Schall und Rauch wird.
Verhalten sich nicht Angesicht und Name wie Nähe und Ferne, und sind nicht beide durch das Feuer auf einander bezogen? Ist nicht der Name das unendlich Ferne, das Gesicht das unendlich Nahe, bezeichnen sie nicht die beiden Grenzen der räumlichen Unendlichkeit (die des unendlich Großen und des unendlich Kleinen), die durch die Orthogonalität auf einander bezogen sind?
Wenn das Angesicht und der Name etwas mit der Form des Raumes zu tun haben, dann hat die Reflexion und Kritik der Form des Raumes etwas mit der Heiligung des Gottesnamens zu tun: mit der Idee des Leuchtens Seines Angesichts.
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Plancksche Strahlungsformel rühren gemeinsam an das im Orthogonalitäts-Problem verborgene Problem des Feuers.
Die Sinnfrage (die John L. Berger zufolge die Grundfrage der Religion ist) leugnet die Auferstehung. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, ontologisiert den Habitus des „neutralen Zuschauers“, der weder neutral noch bloß Zuschauer ist, er ontologisiert den Habitus des Herrenblicks (den heute das Fernsehen kultiviert); er leugnet die moralische Gemeinschaft mit der Welt und zerstört das moralische Selbstverständnis der Menschen. Wer nach dem Sinn von Sein fragt, möchte die Last der moralischen Pflichten, die darin gründet, daß das Sein keinen von ihrem moralischen Verständnis (von der Sensibilität, von der Fähigkeit zur Wahrnehmung des Leidens) unabhängigen Sinn hat, loswerden. Das Bedürfnis nach Sinn ist eine Konsequenz aus dem objektivierenden Verständnis des Seins.
Die Frage nach dem Sinn von Sein ist antisemitisch (eine Ursprungsgestalt des eliminatorischen Antisemitismus im Sinne Daniel Goldhagens).
Gibt es außer dem Blut des Abel und dem Leiden der Israeliten im Sklavenhaus Ägypten noch andere Dinge, die „zu Gott, zum Himmel schreien“? Ist der Schrei die Ursprungsgestalt des Gottesnamens?
Der Hinweis, daß es nicht nur die eine, allen gemeinsame Welt (die eine Projektion unseres menschlichen, am Selbsterhaltungsprinzip geschulten Verstandes ist), sondern verschiedene, nach Gattungen getrennte Welten gibt, daß zu jeder Nation, zu jeder Sprache, zu jedem Beruf, insbesondere aber zu jeder Tiergattung (und diese Zuordnung ist die exemplarische) eine eigene Welt gehört, ist nicht metaphorisch, sondern in der Logik des Weltbegriffs selber begründet.
Vgl. hierzu:
– Kants Definition der Begriffe Natur und Welt sowie Hegels Begründung für seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten könne, weil es dann nämlich keine verschiedenen Gattungen und Arten der Tiere geben dürfe: zur einen Welt gibt es nur ein Tier;
– aber auch die Geschichte der Benennung der Tiere durch Adam, an die die kantische Definition des Weltbegriffs rührt, und das apokalyptische Symbol des Tieres, das in Hegels Bemerkung über die logische Beziehung von Tier und Welt sich entschlüsselt: das Symbol des Tieres ist ein sprachlogisches Symbol;
– und schließlich die Geschichte der Tieropfer, die ihr apokalyptisches telos im Opfer des Tieres und des falschen Propheten finden wird.
Hat das Tier aus dem Meere etwas mit der griechischen (der prädogmatischen), das Tier vom Lande etwas mit der lateinischen (der postdogmatischen) Sprache zu tun?
Wie hängt das Feuer mit dem Dingbegriff, und wie hängen beide mit der Geschichte der Instrumentalisierung zusammen? -
14.08.1996
Erst durch Historisierung (durch deren musealisierende, verfremdende Wirkung) wird Religion zur Religion: zum Götzendienst.
Historisierung und die ausgrenzende Beziehung zu Fremden (die in den Namen der „Barbaren“ oder „Heiden“ sich ausdrückt) gründen in einer gemeinsamen Logik, die der ethnologische Blick (dessen apriorisches Objekt im Namen der „Wilden“ sich anzeigt) dann radikalisiert.
Ist diese Historisierung nicht der Motor der Dynamik, die die Geschichte der Philosophie beherrscht? Erst als vergangener wird der philosophische Gedanke, der in seinem Ursprung einer unmittelbaren Einsicht sich verdankt, gegenständlich, wird er zum Gegenstand der Reflexion eines andern. Ist es nicht die gleiche Vergegenständlichung, die das Licht zu einer elektromagnetischen Wellenbewegung macht, die mit Lichtgeschwindigkeit sich fortpflanzt? Wird diese Beziehung zu Vergangenem nicht durch den Raum (als Form der Äußerlichkeit) zu einer präsentischen Gewalt (zum indoeurpäischen Präsens), und ist diese Gewalt nicht die Grundlage der naturwissenschaftlichen Erkenntnis?
Feuer und Wasser, die im hebräischen Namen des Himmels eins werden, bezeichnen die beiden Seiten der einen Grenze, die die Zukunft von der Vergangenheit trennt: das Wasser aus der Sicht der Vergangenheit, das Feuer aus der der Zukunft.
Überschätzt Goldhagen nicht doch das Gewicht von „Anschauungen“, die Bedeutung ideologischer Schulung? Der Antisemitismus wird durch die Praxis gelernt, als deren Rechtfertigung er dann dient. Der Antisemitismus kommt gleichsam post festum; es gibt eine vorausgehende Grundentscheidung zur Gemeinheit, die dann des Antisemitismus, an dessen Wahrheit ohnehin niemand glaubt, zur eigenen Entlastung und Rechtfertigung sich bedient. Adressat dieser Entlastung und Rechtfertigung sind die Anderen, ist die Öffentlichkeit, deren Zustimmung das Wissen um die Unwahrheit der Ideologie verdrängen hilft. Die Verdrängung nährt und steigert die Wut, die in den Handlungen der Antisemiten sich entlädt. Und das Vorurteil hilft dann, die letzten Hemmungen zu beseitigen. Damit hängt es zusammen, wenn der Antisemit (wie auch der Sexist) von seinem Objekt nicht mehr loskommt. Es wäre eine interessante Aufgabe zu untersuchen, was es ist, was Angehörige der Polizei so anfällig fürs Vorurteil macht, ob und auf welche Weise diese Anfälligkeit mit ihrem „Auftrag“, mit den Zwängen, in die ihre beruflichen Pflichten und ihre Tätigkeit sie verstricken, zusammenhängt.
Es ist eine gemeinsame Logik, die die kirchliche Folterpraxis im Mittelalter mit der Brutalität und Gemeinheit der Nazis verbindet. Schon die mittelalterlichen Pogrome, Ketzer- und Hexenverfolgungen waren „Säuberungsaktionen“, deren Ziel es war, die Reinheit der Lehre und die Einheit der christlichen Welt wiederherzustellen und zu erhalten. Die Logik, die dem zugrundelag, war die Bekenntnislogik, zu deren Konstituentien seit je das einheitsstiftende Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter und der Sexismus, die Frauenfeindschaft, gehörten.
Auf S. 624 (Anm 68) bemerkt Goldhagen, daß hinsichtlich der subjektiven Reaktionen der an den Mordaktionen Beteiligten nur „von ‚Ekel‘ … die Rede sein (kann), nicht aber von ‚Scham’“. Vgl. hierzu Kants urteilslogische Bemerkung zum „Ekel“ in seiner Kritik der Urteilskraft (ist nicht Kants Bemerkung über den Ekel in der Kritik der Urteilskraft eine notwendige Konsequenz aus seinem Begriff der Lust und des Geschmacks?).
Waren die insbesondere bei Aktionen gegen Juden auftretenden Grausamkeiten und Brutalitäten (die spezifische Gemeinheit) nicht Mittel zur Gewöhnung an das Unfaßbare? So machte man die Taten auch für sich selbst, vor dem eigenen Bewußtsein, irreversibel. Das, was man ihnen antat, war der Beweis, daß es zu Recht geschah.
Akten konstituieren das Inertialsystem der gesellschaftlichen Welt; zu ihrer Erstellung und Bearbeitung bedarf es der Verwaltung, deren Handeln an das gleiche Recht gebunden ist, das den Akten praktische Relevanz verleiht.
Die Urteilsmagie gründet im Strafrecht, das das Urteil über die Strafe zu einem Instrument staatlicher Gewalt macht, seine Folgen aber zugleich ins gesellschaftliche Unbewußtsein der Knäste verdrängt (die Gefängnismauern sind Hilfsmittel der gesellschaftlichen Verdrängung), in denen die Gemeinheit herrscht, die kein strafrechtlicher Tatbestand ist. Das Urteil löst den Schrecken nicht auf, es verdrängt und reproduziert ihn.
Entspringt nicht das „Restrisiko“ der Atomkraftwerke, das jederzeit zur Katastrophe sich ausweiten kann, dem gleichen Sicherheitsdenken, das auch dem Strafrecht und dem militärischen Kalkül zugrunde liegt? Zu diesem Sicherheitsdenken gehört seit je das Wegsehen, die selektive Wahrnehmung der Realität, das dem Handeln der Polizeibattaillone im letzten Krieg, auch den Exzessen der Judenverfolgung, zugrunde lag.
Von der Verurteilung der Häresien, die dem Prozeß der Dogmenbildung zugrunde lag, ist nach ihrer vollständigen Säkularisierung die Urteilsmagie zurückgeblieben. Das Urteil ist von der Bekenntnislogik (von den „subjektiven Formen der Anschauung“) nicht abzulösen. Hier liegt die christliche Wurzel des Faschismus sowie jeder Art von Staatsterrorismus. Die Globalisierung des technischen und ökonomischen Instrumentariums der europäischen Zivilisation ist durch die Einforderung der Menschenrechte allein nicht zu humanisieren, notwendig wäre, diesen Prozeß durch Erinnerungsarbeit reflexionsfähig zu machen. Das Medium dieser Erinnerungsarbeit aber ist die Theologie.
Zum „Scheusal Ägypten“: Ist nicht das gesellschaftliche Subjekt, dem das Opfer der Israeliten ein Greuel ist, das „Scheusal“? Und das Wort des Moses: „Den Ägyptern ist ein Greuel, was wir dem Herrn, unserm Gott opfern, wie es der Herr befohlen hat; wenn wir vor den Augen der Ägypter opfern, was ihnen ein Greuel ist, so steinigen sie uns“ (Ex 826), ist das nicht der zentrale, das Verständnis der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos insgesamt eröffnende Satz?
Steckt nicht das methodische Problem des symbolischen Schriftverständnisses im Problem der Beziehung der hebräischen zur griechischen (indoeuropäischen) Sprachlogik: im Problem des Ursprungs und der sprachlogischen Entfaltung des Neutrums? Hier geht es nicht darum, welches die „wahre Sprache“ ist. Vielleicht könnte man den Sachverhalt so umschreiben: Sind nicht die „Symbole“ der Schrift (wie die Schlange, die Dornen und Disteln oder der Kelch) Ausdruck eben jener sprachlogischen Elemente, durch die indoeuropäischen Sprachen von der hebräischen sich unterscheiden (wie das Neutrum, die grammatischen Grundlagen der Vergegenständlichung und Verdinglichung, schließlich die in den indoeuropäischen Formen der Konjugation vorgebildeten „subjektiven Formen der Anschauung“)? Paradigma dieser Symbolik ist der Name der Hebräer selbst: die bis in die Struktur der Sprache hineinreichende Selbstwahrnehmung als Fremde für andere; ein Name, dem im Griechischen der Name der Barbaren (die projektive Vergegenständlichung der Fremden als Grundlage des eigenen „hellenistischen“ Selbstverständnisses) gegenüber steht.
Ist nicht die Herrlichkeit Gottes das Leuchten Seines Angesichts? Und wenn es heißt, daß der Menschensohn „auf den Wolken des Himmels“, „in großer Macht und Herrlichkeit“ wiederkommen wird, hat das nicht etwas mit diesem Leuchten Seines Angesichts zu tun?
Haben nicht die gleichen Dinge, die Paulus ausblendet, während die Evangelien davon berichtetn, auch sprachlogische Bedeutung. Liegt nicht in den Wundergeschichten eine sprachlogische Sprengkraft, die nur dem Fundamentalismus und der selbstzufriedenen Erbaulichkeit verborgen bleibt? Oder auch: Wie verhalten sich die „symbolischen“ Wundergeschichten zu den „typologischen“ Personengeschichten (Maria Magdalen und die sieben unreinen Geister; die gesamte Petrus-Geschichte, vom Messias-Bekenntnis über das „Weiche von mir, Satan“ bis zu den drei Leugnungen; die Petrus/Jakobus/Johannes-Geschichten; die beiden Lazarus-Geschichten)?
Hat die Bitte der Zebedäus-Söhne: „Verleihe uns, daß wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen dürfen in deiner Herrlichkeit“ (Mk 1037, bei Mt 2020ff ist es die Mutter der Zebedäus-Söhne, die ihn für ihre Söhne fragt) etwas mit dem andern Satz zu tun: „Und mit ihm kreuzigten sie zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken“ (1527, vgl. Mt 2738, Lk 2332ff, Joh 1918)?
Ist das Wort Jesu am Kreuz an seine Mutter und an Johannes nicht auch ein Adoptionsakt (wie die Gottessohnschaft bei der Johannes-Taufe und auf dem Berg der Verklärung, oder auch die Saulus-Paulus-Geschichte, der möglicherweise eine Alexander-Saulus-Geschichte vorausgeht)? Ist nicht die Adoption das Modell der „Wiedergeburt“ (die auch das Paulus-Wort, er sei „Römer von Geburt“ anders verständlich machen könnte)?
Ist Joseph von Arimathäa der Adoptivvater des gekreuzigten Jesus?
Was bedeutet es, wenn es heißt, daß Simon von Cyrene „vom Felde“ kam (Mk 1521, Lk 2326, vgl. Mt 2732; nach Joh 1917 trug Jesus sein Kreuz selber)? Ist hier ein Feld im agrarischen Sinne gemeint (das Feld von Bauern oder Hirten), gab es in der Nähe Jerusalems solche Felder? War Simon ein Tagelöhner?
Mit der Rezeption des Weltbegriffs werden auch Theologie und Religion dem Gesetz der Instrumentalisierung unterworfen, das sich dann in der Bekenntnislogik ausdrückt. Ist nicht die Bekenntnislogik die Gewalt, die beide, die Theologie und die Religion, von innen her angreift und aufzehrt (ein Prozeß, den sie im Innern beider gegen beide anstrengt und führt), sie, ohne daß die Betroffenen es merken, in ihr Anderssein transformiert: sie bewußtlos säkularisiert? Notwendig wäre es, diesen Prozeß endlich zu begreifen (durch Erinnerungsarbeit und Reflexion).
Liegt Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ nicht an der Schwelle des Umschlags zur Prophetie, auf den Joh 129 sich bezieht: des Auf-sich-Nehmens der Sünde der Welt; ist nicht das Eingedenken der Natur im Subjekt selber schon das „Auf-sich-Nehmen der Sünde der Welt“? Adorno zitiert in diesem Satz die Kritik der Urteilskraft, in der Kant mit dem Begriff einer „Natur im Subjekt“ die ästhetische Produktivkraft des „Genies“ bezeichnet; der Adornosche Satz erinnert zugleich an die Intention Georg Lukacs‘, der erstmals die Kunst anstatt aus der Sicht des Konsumenten aus der des Produzenten zu begreifen unternommen hatte.
Haben die drei Weisen aus dem Morgenland etwas mit den „Zauberern“ in der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos zu tun?
„… der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis“: Das Erste ist nicht das Bessere. Ist das nicht die biblische Grundlage der Kritik des Ersten (und der Väter)?
Neuer Kannibalismus: Sind wir nicht dabei, im Leib der Sprache die Gebärmutter durch den Bauch zu ersetzen: die Barmherzigkeit durchs Fressen (die Schlange frißt den Staub, den Adam produziert)?
Das eine verlorene Schaf und die verlorene Drachme (Lk 154ff): Der eine Sünder, über den, wenn er umkehrt, im Himmel mehr Freude sein wird als über 99 Gerechte, sind das der Staat (das verlorene Schaf) und die Kirche (die verlorene Drachme)? -
10.08.1996
Daniel Goldhagen zitiert auf S. 87 ein Flugblatt aus dem Rheinland (aus dem 19. Jhdt.), in der es heißt, „die Welt überhaupt“ werde von dieser Frage (der Emanzipation) angerührt. Erinnert diese Wendung nicht tatsächlich an den Zusammenhang des Antisemitismus mit der Geschichte des Weltbegriffs?
Der Faschismus ist Ausdruck einer Zwangslogik, deren Bann allein durch Reflexion zu brechen ist. Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleiche, die sie gleichwohl falsch abbildet, trifft genau diesen Sachverhalt.
Hängen die Sätze „Ich bin das Licht“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ mit dem Licht des ersten Schöpfungstags zusammen, zu dessen Vorgeschichte der Geist über den Wassern gehört? Und bezieht sich hierauf die Wahl des ersten Tages als dies dominica, als Herrentag, sowie der Satz, der Menschensohn sei Herr des Sabbats (was nicht auf seine Abschaffung, sondern auf seine Erfüllung zielt)?
Erst ein Volk, das sich aus dem Bann, bloß Volk (bloß Schicksalsgemeinschaft) zu sein, löst, das auf Erden löst, was dann im Himmel gelöst sein wird, entrinnt der Gefahr des Antisemitismus (was liegt zwischen dem Lösen des sechsten und des siebten Siegels?).
Liegt nicht das innere Problem des Christentums, wie auch die Lösung des Rätsels der Apokalypse und ihrer Beziehung zur Prophetie, darin, daß es nicht mehr nur um die Beziehung zweier Seiten (Innen und Außen, Im Angesicht und Hinter dem Rücken), sondern um die Konstellation der sechs Seiten eines Objekts (hat dieser Hinweis etwas mit der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos und mit der des Übergangs von der Eucharistielehre zum Inertialsystem zu tun)?
Muß man nicht bei der Entschlüsselung der Geschichte von den zehn ägyptischen Plagen davon ausgehen, daß die Plagen, wie sie hier beschrieben sind, aus der Sicht des Pharao sich darbieten (so wie für ihn JHWH der Gott der Hebräer ist)? Und wurde eigentlich das „Scheusal Ägyptens“ schon geopfert?
Das Problem der Verhärtung des Herzens Pharaos verweist auf das Problem des pathologisch guten Gewissens, auf die Ursprungsgeschichte der Bekenntnislogik (und damit des Weltbegriffs, des Herrendenkens, des Staates). Vgl. dazu die Geschichten
– der drei Jünglinge im Feuerofen (Daniel),
– des Martyriums der sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk),
– der Sara und des Dämons Asmodai (Tob) und
– der Maria Magdalena und der sieben unreinen Geister.
Oder insgesamt: Das Christentum schließt den Frieden mit der Welt aus.
Hat die Konstellation, in der die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos sich löst, etwas mit der Konstellation zu tun, in der die Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Planckschen Strahlungsformel durchsichtig wird?
Haben die drei ersten Plagen etwas mit den kantischen Totalitätsbegriffen zu tun, und kommt die Natur aus dem Wasser und die Welt vom Lande (die Tiere der Apokalypse)?
Wer waren die „ägyptischen Zauberer“, und von welchem Punkt an konnten sie, was Moses und Aaron taten, nicht mehr nachmachen, wann sagten sie. Das ist der Finger Gottes?
Das Wort „Der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis …“ ist an Seinen „Gesalbten Cyrus“ adressiert.
War nicht am Ende des Krieges die schlagartige Verdrängung dessen, was man vorher gewußt hat, der Preis für die „Bewältigung“ der Vergangenheit durch bloßen Gesinnungswechsel, durch Eintritt in die Gemeinschaft aller, die die Vergangenheit nur zu verurteilen brauchten, um sich davon loszusagen? Verdrängt werden mußte neben dem eigenen Anteil an dieser Vergangenheit insbesondere auch, was man über die Beteiligung der anderen wußte: Selbst die Verdrängung (die kollektive Amnesie) gehorchte noch den in der Nazizeit eingeübten Gesetzen der Komplizenschaft (steckt nicht im Begriff der Gesinnung ein kollektiver, bekenntnislogischer Anteil: Paradigma der Gesinnung ist die nationale Gesinnung).
Die im Umkreis der Habermas-Schule gängige Kritik der Postmoderne trägt ausgesprochen projektive Züge. Und ist nicht in der Tat die habermassche Kommunikationstheorie ein postmodernes Konstrukt, das sich von der französischen Postmoderne nur dadurch unterscheidet, daß sie kein Bewußtsein davon hat, daß sie es nicht weiß?
Einer der Effekte des Inertialsystems ist die Irreversibilität der Zeit. Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist die Basis und die Voraussetzung dieser Irreversibilität der Zeit; ohne die irreversible Zeit wäre die Ausdehnung des Raumes, wären die räumlichen Beziehungen der Orte im Raum nicht definiert. Sie macht so die Grenze zur Vergangenheit zu einer absoluten, sie ist zugleich das Instrument der Instrumentalisierung der Erinnerung, der Löschung der Kraft des Eingedenkens.
Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das logische Prinzip, das die Vergangenheit absolut setzt und sie der Erinnerung, dem Eingedenken entzieht. Diese Logik arbeitet mit der instrumentalisierten Form der Erinnerung, die das Eingedenken ausschließt. Darauf, auf die Kritik dieser instrumentalisierten Erinnerung, zielte Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ (nicht das Eingedenken der „gequälten Natur“, so Habermas).
Ist nicht das Inertialsystem die Form einer Beziehung zur Objektivität, die auf einer kollektiven Amnesie (auf den „subjektiven Formen der Anschauung“) sich gründet und sie zugleich reproduziert? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Reflex des „stummen Inneren der Gattung“ im Subjekt? Und gehört die Selbstreflexion im Spiegel des Auslands zur Logik dieser durchs Inertialsystem festgeschriebenen Beziehung zur Objektivität, die mit dem Wort, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, nicht mehr anfangen kann?
Das Inertialsystem ist der Reflex des Selbsterhaltungsprinzips, es ist in sich selbst herrschaftsgeschichtlich, und d.h. durch die Geschichte des Staats als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern, als Organisationsform einer Gesellschaft, die auf der Grundlage der Geldwirtschaft auf dem Prinzip der Selbsterhaltung sich gründet, vermittelt.
Welche wirklichen „Erfolge“ hat die Weltraumforschung (neben der Erfindung der Teflonpfanne) aufzuweisen? Zu nennen wäre:
– zunächst einmal ihr rüstungstechnischer Beitrag zur Entwicklung von Waffensystemen (die Raketen sind nutzbar als Trägersysteme);
– hinzu kommt ihre „ökonomische“ Funktion auf der Grundlage der Satelliten-Technik, die neben der Wetterforschung insbesondere die Globalisierung der Telekommunikation gefördert hat (und mit ihr die Globalisierung der Marktgesetze, zu deren Folgen auch die fortschreitende „Privatisierung“ aller ökonomischen und kommunikativen Einrichtungen, nicht zuletzt des Fernsehens: ihre Subsumtion unters Wertgesetz, gehört).
Wer das bereschit am Anfang der Genesis mit „im Prinzip“ übersetzt, kommt der Sache sehr nahe: Gemeint ist ein „logischer“, kein zeitlicher Anfang, nur wäre dieser Begriff der Logik genauer zu bestimmen: Er gehört zur Logik des Namens, nicht des Begriffs. -
1.8.96
Stephanus sah die Himmel offen und „den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 756). Wenn sich heute die Himmel öffneten, was würden wir sehen? Meine Entscheidung, Benediktiner zu werden, war – außer durch meine Beziehung zu Wolfgang Mias, die dann eher zu einem Hemmnis geworden ist – im wesentlichen auch durch zwei Bücher bestimmt: durch Henri Bremond: Das wesentliche Gebet (Regensburg 1936), und durch Theodor Filthauts Darstellung der Mysterientheologie (Die Kontroverse über die Mysterienlehre, Warendorf 1947). Die Geschichte der Säkularisation war auch die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung des Nominalismus, der Depotenzierung der erkennenden Kraft der Sprache, die auf die Kraft des Namens zurückweist, die Substituierung und Ersetzung der erkennenden Kraft der Sprache (des Namens) durch eine Gestalt der Erkenntnis, die glaubt und vorgibt, der Sprache äußerlich zu sein. Die Vorstellung, daß das Erkennen der Sprache eigentlich nicht bedarf, weil es unmittelbar auf Objekte sich richtet, während die Sprache erst ins Spiel kommt, wenn es darum geht, diese Erkenntnis an andere zu vermitteln; diese Vorstellung, die unterstellt, daß Sprache nur der Kommunikation, nicht jedoch der Erkenntnis dient, ist nicht widerspruchsfrei zu begründen. Sie entspringt zwei getrennten, jeder für sich inkonsistenten, dann aber, und zwar nicht real, sondern ästhetisch, durch Spiegelung, sich wechselseitig begründenden und legitimierenden Zusammenhängen: dem naturwissenschaftlichen und dem ökonomischen. Beide, so scheint es, begründen einen Begriff der Objektivität, der zu seiner Konstituierung der Sprache nicht mehr bedarf. Bezieht sich hierauf nicht das Gebot der Heiligung des Gottesnamens, dessen Erfüllung allein den Bann zu sprengen vermöchte? Johannes: Sein Vater ist Sacharja, seine Mutter Elisabeth; Jesus: Vater Joseph, Mutter Maria. Definition des Rechts: Organisation des Rachetriebs. Deshalb bezieht sich das Strafrecht generell auf Handlungen, auf Taten, nur im Falle des Mords auf den Täter: den Mörder. Das Recht kennt nur Strafe, keine Wiedergutmachung: Ihm geht’s nicht um die Opfer, sondern nur um die Restitution des Gewaltmonopols des Staates, um die Erhaltung einer Ordnung, die im Selbsterhaltungsprinzip gründet (zitiert nicht Susannah Heschel in ihrem Aufsatz in TuK Nr. 70, S.33ff, einen evangelischen Theologen, der erklärt, die christliche Ethik kenne keine Wiedergutmachung?). Was begriffen ist, ist definitiv; was verstanden ist, ist dialog- und diskursfähig. Ist nicht die pax Augusta die Grundlage des herrschaftsfreien Diskurses: eine Gewaltordnung? Auch der Verfassungspatriotismus ist ein auf Gewalt gegründeter Patriotismus. Zum Problem der Väter in den Evangelien siehe auch die von Bedenbender zitierte Mk-Stelle (deren Signifikanz B. nicht gesehen hat): Mk 1028ff, TuK 67, S. 19. Hat das Verschwinden der Väter („Laßt die Toten ihre Toten begraben“) etwas mit der Zerstörung Jerusalems zu tun? Und ist nicht das, was man den Antisemitismus in den Evangelien genannt hat, Ausdruck der Verzweiflung angesichts einer heraufziehenden Katastrophe, die sich nicht mehr aufhalten ließ, nicht aber ein Hinweis auf eine angebliche Mitschuld „der Juden“ an einem „Gottesmord“? Gehört nicht auch die Wahrnehmung hierher, daß der Begriff der „Vaterstadt“ nur im Kontext des Wortes erscheint, daß in ihr kein Prophet etwas gilt? (Wie kommt Nathanael, der einzige Apostel, den Jesus einen „wahren Israeliten“ nennt, zu der Frage, ob denn aus Nazareth etwas Gutes kommen könne?) Kinder und damit „Erben“ Gottes können nicht Kinder und Erben von Vätern sein? Feigenblatt: War nicht die Bekenntnislogik die Ursprungsform der theoretischen Objektivierung, mit dem Opfer als Kern des Objektbegriffs? Und gehört zur Bekenntnislogik nicht die Logik der Verurteilung, Grund der Distanz zum Objekt, das so der Erkenntnis durch Mimesis, durch Identifikation entzogen wird? Gehört nicht zu den Voraussetzungen des Verurteilungsmechanismus, der den Faschismus-Diskurs beherrscht, seine Nutzung als Feigenblatt, die ungeheure Verdrängungsleistung nach dem letzten Krieg (die die Bekenntnislogik erstmals unverhüllt hat hervortreten lassen)? Und stellt Daniel Goldhagen nicht diesen Verurteilungsmechanismus in Frage, wenn er die Nachkriegsverdrängung in Frage stellt? Eine der Konsequenzen aus diesem Verurteilungsmechanismus ist Habermas‘ Kommunikationstheorie, die mit der Verwerfung der Idee einer Kritik der Naturwissenschaften die Reflexion dieses Verurteilungsmechanismus ausgeblendet hat. Die Dialektik der Aufklärung ist dann auch konsequenterweise nur verdrängt, nicht wirklich aufgearbeitet worden. Die Sprache der Dialektik der Aufklärung war die Sprache der Verzweiflung, die erst im Munde der Schüler der Frankfurter Schule (die keine Schule war) zu dem Jargon geworden ist, den heute alle nur noch herauszuhören scheinen. Die Verurteilungslogik zündelt bloß, wo es darauf ankäme, selber durch das Feuer hindurchzugehen. Simon von Cyrene, der Jesus das Kreuz tragen geholfen hat, war der Vater des Alexander und des Rufus (Rufus ist ein lateinischer Name; er bezeichnet einen Rothaarigen). In Röm 1613 läßt Paulus einen Rufus grüßen „und seine und meine Mutter“: War Simon von Cyrene der Vater des Paulus?
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