Adorno

  • 24.7.96

    Hängen die paulinischen Reflexionen über die Thora, das Gesetz, mit der Bräutigam-Braut-Symbolik zusammen, mit der Beziehung Jesu zum „himmlischen Jerusalem“ der Apokalypse (Jankowski, TuK 70, S. 8ff)?
    Erinnert nicht die Auslegung des paulinischen Fleischbegriffs, den Jankowski auf die Juden bezieht (ebd. S. 12ff, vgl. auch Ton Veerkamp im gleichen Heft), an den der „fleischlich gesinnten Juden“, den ich zuletzt bei Karl Thieme vorgefunden habe? Und zieht er nicht die ganze Vorstellungswelt des kirchlichen Antijudaismus nach sich, die über die Beziehung von Fleisch und concupiscencia, Sexualität, dann auch in die antisemitische Vorstellungswelt mit eingegangen ist? In der Sache, so scheint mir, scheitert diese Auslegung an der sachlich nicht begründbaren Gleichsetzung von Beschneidung und Fleisch: Die Beschneidung ist nicht Fleisch, sondern wird am Fleisch vollzogen. Hier wird das Objekt einer Handlung mit dieser Handlung verwechselt. Ist dieses „Fleisch“ – auch vor dem Hintergrund des Weltbegriffs, auf die ganze Ursprungsgeschichte des Christentums sich beziehen läßt – nicht eher das Fleisch der apokalyptischen Tiere, das am Ende die Vögel fressen? Hegel hat einmal seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, mit dem Hinweis begründet, daß es dann keine unterschiedlichen Gattungen und Arten von Tieren, sondern nur eine Art bzw. Gattung geben dürfe; diese Begründung spiegelt den unbestreitbaren Sachverhalt wider, daß Tier und Welt in einer eindeutigen Wechselbeziehung stehen: Jedes Tier (jede Gattung) hat seine Welt, und zur Idee der „einen Welt“ (zum universalen Weltbegriff) gehört dann das eine Tier (als das dieser Welt eindeutig zuzuordnende Subjekt). In dieser Beziehung drückt sich übrigens ein logischer Sachverhalt aus: die Logik der Welt ist die Logik der Instrumentalisierung, und der Begriff des Tieres (des Organismus) drückt genau diese als Subjekt sich konstituierende Einheit der Instrumentalisierung aus, die über das Selbsterhaltungsprinzip, über ein System subjektiver Ziele, sich definiert. Deshalb unterliegen alle subjekthaften (dem Selbsterhaltungsprinzip unterworfenen) Systeme und Institutionen dem Gesetz der „organischen Entwicklung“. Und die kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“ erfüllen genau diese Funktion: alle Erfahrung nach dem Prinzip der Selbsterhaltung zu organisieren, in deren Licht die Dinge nur noch als Mittel subjektiver, ihnen von außen auferlegter Ziele erscheinen. Dieses Prinzip liegt dem kantischen Begriff der Erscheinungen zugrunde, die die Erfahrung insgesamt nach Maßgabe der Totalitätsbegriffe Welt und Natur aufteilt und organisiert. Unter diesem Gesetz ist, was die Dinge an sich sind, in der Tat nicht mehr erkennbar.
    Macht nicht Jankowski, wenn er Fleisch als Synonym für Beschneidung setzt (S. 14), den Gegensatz Fleisch/Geist zu einem antijudaistischen Gegensatz?
    Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, ist ein Grund der Hoffnung.
    Wenn Paulus ein Zelot war, dann war Hitler ein Sozialist.
    Barmherzigkeit, nicht Opfer: Wäre das nicht das Motto einer Theologie-Kritik, einer Kritik der Verdinglichung?
    Die einfachste Definition der Barmherzigkeit ist die, daß vor dem Urteil die Frage steht, ob du anders hättest handeln können, wenn du an der Stelle des Objekt gestanden hättest.
    Rosenzweigs Stern der Erlösung oder die Vergegenwärtigung der Tradition: Die Transformation der Schrift ins Wort setzt die Reflexion auf das fundamentalistische Schriftverständnis, auf die Bindung des Textes an die intentio recta, voraus. Lesen, wie es heute nötig wäre, ist interlineares Lesen, Lesen zwischen den Zeilen, bei genauester Wahrung des Worts.
    Ist nicht genau das der Unterschied zwischen Buber und der jüdischen Tradition, daß Buber die Bücher Josue bis Könige als historische und nicht als prophetische Bücher begreift (zum Buch der Richter vgl. Lillian Klein: Triumph Of Irony In The Book Of Judges)? Vergegenwärtigung ist heute nicht leichter mehr zu haben als über die Auflösung des Banns der subjektiven Formen der Anschauung, und d.h. über die Kritik der Naturwissenschaften.
    Wer die Prophetie historisiert, braucht sie nicht mehr auf die Gegenwart und auf sich zu beziehen: Als Heilsprophetie hat sie sich in Jesus erfüllt, als Unheilsprophetie gilt sie nur noch für die Juden (und dient so als Schriftbeweis des Antisemitismus: schon damals waren sie so).
    Jüngstes Gericht: Aufhebung der Trennung von Natur und Geschichte im Geiste der Utopie, oder die Idee der Auferstehung als erkenntnisleitendes Prinzip. Eine Distanz zu dem, was die Idee der Auferstehung von sich aus meint, bleibt; diese Distanz darf durch Symbolisierung der Idee (die die Toten instrumentalisiert und vergißt) nicht aufgehoben werden.
    Die Geschichte aus dem Gefängnis befreien, in das wir sie durch Subsumtion unter unsere subjektive Form der inneren Anschauung (durch Subsumtion unters Zeitkontinuum) eingesperrt haben.
    Die subjektiven Formen der Anschauung (Raum und Zeit) sind keine Naturprodukte, sondern in einem gesellschaftlichen Prozeß entsprungen; sie sind selbst Produkt einer Vergesellschaftung („das stumme Innere der Gattung“).
    Unterscheidet sich nicht die mittelalterliche von der antiken Kosmologie durch eine geringfügige, kaum wahrnehmbare, darum aber nicht weniger folgenreiche Veränderung: durch die Lehre vom Sündenfall, als deren instrumentalisierte Gestalt die Naturwissenschaften sich begreifen lassen? Wittgensteins Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist, wäre in antikem Kontext nicht denkbar.
    Läßt sich nicht der Haß auf die Zukunft als das Produkt eines logischen Zwangs begreifen, den die Beschaffenheit der Welt in Verbindung mit dem alles durchdringende Selbsterhaltungsprinzip auf unser Bewußtsein heute ausübt, ist er nicht schon überdeterminiert? (Ich habe Benjamins anderslautende Bemerkung schon beim ersten Lesen nicht begriffen, bis mir bewußt wurde, daß sie in der Tat aus Gründen, die es endlich zu begreifen gilt, heute nicht mehr gilt. Daß sie nicht mehr gilt, affiziert die Idee des Glücks, die damit ihre raison d’etre verloren hat. Dafür rächt sich der Faschismus und macht so den Verlust irreversibel.)
    Adornos Philosophie ist die Entfaltung des apokalyptischen Satzes: Das Erste ist vergangen.
    Klingt nicht in Rosenzweigs Kritik des Allbegriffs die Kritik der Universalität des Hegelschen Weltgerichts mit an, die eigentlich die Universalität des Opfers meint.
    Ist nicht das Opfer der Zukunft, auf das die Kirche heute bewußtlos und selbstzerstörerisch sich zubewegt, die Selbstverfluchung Petri in der dritten Leugnung?
    Nicht nur der römische Hauptmann unterm Kreuz sagt: Das war Gottes Sohn, auch die Dämonen sagen es („und zittern“, nach Jakobus), auch Petrus (nach Karl Thieme ein Typos der Kirche) sagt es, bevor er ihn dreimal verleugnet.
    Ton Veerkamps Satz „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (TuK 70, S. 23) erinnert an Hegels Bemerkung (in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte), daß das Wort Geschichte sowohl die historia rerum gestarum als auch die res gestas bezeichnet.
    Hat die Vorstellung des Zeitkontinuums (die subjektive Form der inneren Anschauung) sich in der Auseinandersetzung mit der Sternenwelt gebildet? Das würde die Beziehung begründen, in die Kant das moralische Gesetz in uns und den Sternenhimmel über uns rückt. Und der altorientalische Sternendienst war in der Tat ein Instrument der Legitimation der altorientalischen Reiche.
    Steckt nicht eine ungeheure Logik in den Problemen, die Goethe und Hegel mit Newton hatten? War es nicht bei beiden das griechische, das „heidnische“ Erbe, das sie aufs Anschauen verwies, auf eine Distanz zu den Dingen, deren Preis die Leugnung und Verdrängung eines Innen war, das bei Newton als das barbarische der allgemeinen Gravitation sich enthüllte (Christentum und Gravitation)? Ist nicht die Anthroposophie eine der letzten Manifestationen dieser Logik? Und gehört nicht die Marxsche Bindung seiner Kapitalismus-Kritik ans Tauschparadigma (und die Ausblendung des Schuldknechtschafts-Paradigma) in diesen Zusammenhang, mit der welthistorischen Folge, daß der Versuch der Realisierung im real existierenden Sozialismus direkt ins Sklavenhaus führte (deshalb gab es im gesamten Ostblock keine Banken)?
    Blüm wäre zu korrigieren: Nicht Jesus lebt, wohl aber die tief in der Geschichte des Christentums verwurzelten Banken, deren Zentralen in der Bankenstadt Frankfurt den Triumph über den Sozialismus und das Christentum zugleich ausdrücken.
    Ist nicht die Vertreibung der Geldwechsler und der Taubenhändler aus dem Tempel das zentrale Symbol der heute anstehenden Kirchenkritik? (Gibt es einen Zusammenhang dieser Vertreibung der Taubenhändler mit der Geschichte vom Scherflein, das die arme Witwe in den Opferstock gab; ist nicht die Taube das Opfer der Armen und das Symbol des Heiligen Geistes zugleich? Hat nicht die Kirche die Armen und den Heiligen Geist zugleich verraten, als sie sich selbst an die Stelle der Armen setzte und den Geist zum Instrument der Selbstlegitimation machte?)
    Wie unterscheidet sich die typologische und realsymbolische Schriftinterpretation von der historisch-kritischen (auf die sie gleichwohl sich beziehen muß)? Ist nicht vor allem der Versuch einer Vergegenwärtigung, die nicht dem Bann des Erbaulichen verfällt? Die typologische und realsymbolische Interpretation gewinnt ihr Leben aus dem des Namens, das in ihnen sich entfaltet.
    Sprachastrologie: Ist der Jupiter der Nominativ und der Mars der Akkusativ, und haben Venus und Merkur mit Genitiv und Dativ zu tun?
    Unschuldige Dingwelt, oder das Prinzip der Verdinglichung: Der Verurteilungsmechanismus ist ein Exkulpationsmechanismus. Es ist der Mechanismus der Verhärtung des Herzens.
    Wer durch die Blume spricht, greift den Adressaten auf eine Weise an, daß er sich nicht wehren kann; er nimmt ihm die Möglichkeit der Verteidigung.

  • 23.7.96

    Ist nicht das Gleichnis vom Unkraut im Weizen auch eine prophylaktische Warnung von der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung? Zwei biblische Themen sind z.Zt. zentral: – Das eine geht aus vom letzten Satz des Jakobus-Briefes; es bezieht mit ein das Wort von dem einen Sünder, dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel hervorruft als 99 Gerechte; und es bezieht mit ein Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde (sowie die andere Geschichte von den sieben unreinen Geistern). – Zum anderen gehören der Kelch-Begriff, der Schlaf der Apostel in Getsemane sowie das „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, als Grundlage aber die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos. Was den Stern der Erlösung von der gesamten christlichen Theologie damals (und heute noch) unterscheidet, ist die Vergegenwärtigung der Offenbarung, ihre Errettung vorm Vergangensein, die durchgeführte Kritik der ihr Objekt zum Objekt (oder Gott zum stummen und blinden Autisten) vergegenständlichenden Theologie, während Martin Buber dem eigenen dialogischen Prinzip zum Trotz hilflos am Prinzip der Vergegenständlichung festhält, deshalb nur eine angepaßtere Version des Erbaulichen liefert.
    Innen- und Außen-Kommunikation, oder Gericht und Barmherzigkeit: Jeder Autor hat seine Zensoren im Kopf, die seine ersten Adressaten sind, vor denen er bestehen möchte. Dazu mögen u.a. sein „Partner“, seine Eltern, seine Lehrer, seine Freunde, insbesondere auch seine Kinder gehören. Wenn er schreibt, sind sie anwesend, hören zu, machen Einwände; wenn etwas gelungen ist, scheinen sie sich sogar zu freuen. Aber sind nicht auch, und zwar auf eine sehr viel beunruhigendere Weise, die andern anwesend, die er nicht kennt, deren Einwände wie auch deren Zustimmung er nicht kennt, die er gleichwohl antizipieren muß: das namenlose Kollektiv seiner Leser, seine wirklichen Adressaten, für die er schreibt? Ist nicht der Abgrund, der ihn von diesem Adressaten trennt, und den er durch sein Schreiben überbrücken möchte, der Abgrund der Sprache, des Namens? Hat Levinas‘ Satz, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, den er mit dem Hinweis auf die Barmherzigkeit begründete, etwas mit diesem Abgrund zu tun? Gehört nicht Adornos Wort vom „Licht der Erlösung“ in den gleichen Zusammenhang? Hat nicht das real existierende Christentum mit der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele den Impuls der Gotteserkenntnis, der in allen steckt, durchs Selbsterhaltungsprinzip verwirrt und vergiftet? Hat es nicht zugleich den Blick auf die Welt versperrt und verdunkelt?
    Es gibt keine Kollektivschuld (so wie es kein kollektives Objekt des moralischen Urteils gibt), wohl aber eine kollektive Schuldverdrängung: die Verweigerung der Erinnerung durch das Instrument der Verurteilung. Die Schuldverdrängung führt in das, was Ralph Giordano die „zweite Schuld“ genannt hat, die dann allerdings in der Tat zur Kollektivschuld wird. Gleicht die Beziehung der zweiten zur ersten Schuld nicht der der zweiten zur ersten Natur? Wird nicht die erste Natur (als „Erscheinung“) erst im Lichte der zweiten sichtbar? Hat nicht das Christentum im dogmatischen Prozeß den Verurteilungsmechanismus ausgebildet und eingeübt (im „Kampf gegen die Häresien“), zusammen mit der Ausbildung und Einübung der Bekenntnislogik? Wer einen Schuldigen verurteilt, bekennt sich zu den „Werten“, die der Schuldige verletzt hat: Er entzieht sich damit dem Urteil, ändert aber nichts. War es nicht dieser Verurteilungsmechanismus, mit dem die Philosophie aus dem Bann des Mythos sich befreit hat, aber um den Preis der Logik des Begriffs? Die Erfindung der Philosophie war begleitet von der Erfindung der Barbaren. Das Christentum hat diese Erfindung differenziert, ebntfaltet und verfeinert, und zwar in dem Prozeß, auf den Geschichte der drei Leugnungen verweist: durch die weiteren Erfindungen der Juden, der Heiden und der Wilden. Schuldverdrängung und Schuldverschiebung funktionieren nur als kollektive Mechanismen; sind diese Mechanismen nicht der Kern der Bekenntnislogik und der Massenbildung zugleich? Autonome, spontane Solidarität wäre Solidarität ohne Komplizenschaft (ohne das Wechselspiel der kollektiven Absicherung). Bezeichnet nicht die Opfertheologie genau dieses Moment der Komplizenschaft in der Bekenntnislogik (die Bindung, den gesellschaftlichen Kitt der Religion)? Im Anfang wurden die Tiere in Horden, nicht durch Einzelne erlegt, die dann zur Versöhnung des Opfers bedurften. Der erste einzelne Jäger („Held der Jagd“, so Buber) war Nimrod? Gründet nicht der Totemismus im Raub der jungen Tiere, die – über die symbiotische Beziehung zu diesen Tieren – den Anfang der Domestikation bildete? War die christliche Opfertheologie das Instrument der Domestikation des Messianismus? Es war in Antiochien, wo die Christen erstmals sich Christen nannten. Die Sekten nutzen die Apokalypse als Angsterzeugungs-Instrument, um die Schafe in die eigenen Hürden zu treiben. Aber ist nicht umgekehrt die Apokalypse, als Mittel der Angstbearbeitung, auch eine Erkenntnishilfe? Es gibt drei subjektive Formen der Anschauung, den Raum, das Geld und die Bekenntnislogik, die sich durch wachsende Distanz von der Natur unterscheiden. Der Raum ist noch ein „Naturprodukt“, während das Geld auf den Selbsterhaltungs- und Eigentumstrieb der Menschen verweist, die Bekenntnislogik hingegen aufs Schuldverschubsystem und seine objektkonstituierende Kraft. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Ist der Plural („ihnen“, „sie“) nicht wesentlich? Ist das Augen-Aufgehen und die Erkenntnis der Nacktheit nicht ein kollektiver Akt (und sind die „subjektiven Formen der Anschauung“ nicht das Produkt dieses kollektiven Akts)? Steckt nicht in jedem gegenständlichen Sehen das Bewußtsein und der Anspruch eines gemeinsamen Tuns (das dann im Fernsehen sich erfüllt)? Und bedarf es nicht einer zusätzlichen Reflexion, um zu bemerken, daß es keine Garantie gibt, daß das, was ich sehe, von den anderen genau so gesehen wird, wie ich es sehe?

  • 22.7.96

    Jak 520: Gerettet ist nicht, wer frei von Schuld ist, sondern wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums bekehrt. Mission, Propaganda, Reklame sind die Irrwege der Bekehrung. Bekehrung ist nicht Umkehr: Bekehren kann ich auch mit Gewalt, aber Umkehr kann ich nicht erzwingen.
    Ist nicht das Scheitern des real existierenden Sozialismus der Beweis dafür, daß die richtige Gesellschaft sich nicht über die Köpfe der Menschen hinweg (nicht durch „Bekehrung“) errichten läßt? Die wirkliche Umkehr korrespondiert mit der Auferstehung aller.
    „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (Ton Veerkamp in TuK Nr. 20, S. 23): Dieser Satz ist schrecklich. Der Kreuzestod Jesu oder Auschwitz wären demnach nicht „passiert“, wenn nicht davon erzählt worden wäre? Und das namenlose, nie erzählte Grauen in der Geschichte ist nicht gewesen, wenn niemand es erzählt? Ist es nicht vielmehr das Leiden, an dem, was Rosenzweig wie auch Adorno einmal den Vorrang des Objekts genannt haben, sich demonstrieren läßt? Ist es nicht der Sinn des Eingedenkens, des Erinnerns, auch das Nicht-Erzählte, das, was im Dunkeln liegt, noch ans Licht zu bringen? Und korrespondiert nicht das Dunkel der Vergangenheit mit den heutigen Objekten der Verdrängung (liegt hier nicht die geheime Korrespondenz der Gegenwart mit der Vergangenheit, an die Walter Benjamin in seinen Geschichtsphilosophischen Thesen erinnert)?
    Was nicht erzählt wird, ist so, als wäre es nicht passiert; aber dieses „als“ ist ein Äquivalent der Verdrängung. Denn die Spuren auch des nicht erzählten Leidens sind unauslöschbar. Das Erzählen ist wichtig als eine Hilfe des Nicht-Vergessens; nur im Mythos hat es objektkonstituierende Macht. Martin Buber hat die Bücher Josua bis Könige zu den Geschichtsbüchern gezählt und für Mizrajim den Namen Ägypten gewählt. Hängt nicht beides zusammen, hat er hier nicht das hellenistische Erbe (das auch das Christentum verhext) übernommen? Ist nicht die Historisierung dieser Bücher ein Symptom der Historisierung der Prophetie, eigentlich ihrer Leugnung durch Remythisierung?
    Ist es nicht ein Unterschied, ob man die drei Geschichten von Sodom, Jericho und Gibea historisch, oder ob man sie prophetisch begreift (z.B. als Hilfe zum Verständnis von Rostock, Mölln, auch von Auschwitz)?
    Paulus war kein Zelot (gegen Jankowski), eher ein Skinhead.
    Ist nicht heute die Freudsche Psychosenlehre wichtiger geworden als seine Neurosenlehre (liegen nicht die Fortschritte der Psychoanalyse heute im Bereich der Erforschung der Schizophrenie und des Autismus, auch der Antipsychiatrie)? Und werden hier nicht biblische Motive wie das Gebot, die Eltern zu ehren, oder das der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kinder, auch das, daß nur der seine Seele rettet, der einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, auf ein ganz neue Weise aktuell? Rühren diese Motive nicht genau an diesen Punkt? Nur: das Problem der Psychose ist im Gegensatz zu dem der Neurose psychologisch (subjektintern) nicht mehr darstellbar, es rührt an den Grund des Zustands der Welt (wie in der Theologie der Name Israel oder der corpus Christi mysticum). Ist die Jesus-Geschichte nicht die Innenseite (die Feuerseite) der gleichen Geschichte, deren Außenseite (Wasserseite) im Römischen Imperium und im Caesarismus sich manifestiert? Gründet nicht Adornos Ästhetik (der Begriff wie auch das Werk, das diesen Titel trägt) in Hegels Logik des Scheins?
    Die Welt ist alles, was der Fall ist: Bezeichnet nicht dieser Begriff des Falls einen physikalischen, einen gesellschaftlichen und sprachlogischen Sachverhalt? Dieser eine Begriff bezieht sich nicht zufällig (nicht durch bloße Äquivokation) gleichzeitig auf – die Erscheinungen der Gravitation, – die Objekte der Verwaltung: die Fälle, die die Verwaltung bearbeitet, und nicht zuletzt – die casus der Grammatik. Gehören nicht zu dem sprachtheoretischen Konstrukt einer „indoeuropäischen Ursprache“ acht casus (neben den vier kanonischen: Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ, der Ablativ, der Lokativ, der Instrumentalis und der Vokativ)? Sind nicht die casus, die dann (in den modernen europäischen Sprachen, nach dem griechischen Vorbild, das zusätzlich allerdings noch den Vokativ enthielt) kanonisch geworden sind, die Reflexionsformen des Begriffs im Objekt? War nicht die Einführung des unbestimmten Artikels, die sprachlogisch mit dem Ursprung der Hilfsverben zusammenzuhängen scheint, der entscheidende Schritt zur Kanonbildung der casus? Ist es nicht eine gemeinsame (ihren empirischen Objektbezug begründende) Sprachlogik, die das englische to be mit der Tatsache verknüpft, daß gleichzeitig die Artikel im Englischen geschlechtsneutral sind und nicht dekliniert werden? Sprachlogisch lassen männlich und weiblich nicht mehr sich unterscheiden, Akkusativ und Nominativ nur noch durch ihre Stellung im Satz, während Dativ und Genitiv von außen, durch vorangestellte Präpositionen, bestimmt werden. Wann und in welchem herrschaftsgeschichtlichen (gesamtgesellschaftlichen) Kontext sind die Hilfsverben entstanden? Ist das englische to be ein sprachlogisches Denkmal des Übergangs von der Stammesgesellschaft zur Monarchie (und das deutsche Sein eines des Ursprungs der Reichsgeschichte und des Kaisertums)? Ist das to be (wie auf andere Weise auch das Sein) nicht ein Exorzismus (einer, der die Geister leben läßt, sich aber nicht mehr vor ihnen fürchtet)? Sind die Hilfsverben Beleg einer Entwicklung, die (wie das mittelalterliche Christentum insgesamt) den Mythos übersprungen hat, ihn aber eben deshalb (in Gestalt der Hilfsverben, mit Hilfe der Logik, die sie repräsentieren) in sich reproduziert?
    Die kantischen Prolegomena verhalten sich zur Kritik der reinen Vernunft wie Engels zu Marx. Der Nationalsozialismus, der seine „Weltanschauungs“-Kriege im Rußland-Feldzug wie in Auschwitz als Vernichtungs-Kriege geführt hat, hat damit den Begriff der Weltanschauung selber aufgedeckt und unbrauchbar gemacht.
    Der Begriff der Weltanschauung ist aus zwei Komponenten zusammengesetzt, die jede für sich auf die Ursprungsgeschichte der gleichen Zivilisation verweisen, die sie in dieser Komposition von innen sprengen. Der Begriff der Weltanschauung macht den apokalyptischen Vorgang unkenntlich, den er bezeichnet.
    Die Auseinandersetzung mit dem Staat ist die Auseinandersetzung mit der Quelle der Logik, die auch das eigene Bewußtsein beherrscht. Das Feindbild Staat gewinnt seine Verführungsgewalt aus der Vorstellung, dieser Auseinandersetzung (der Selbstreflexion des falschen Bewußtseins, dessen Quelle in der Tat der Staat ist) sich entziehen zu können. Zugrunde liegt das Versäumnis der Reflexion des Faschismus (der deshalb das „wahre Gesicht des Staates“ ist, weil der Staat keins hat).

  • 17.7.96

    Hat das Mittelalter (nach der irischen/pseudodionysischen Revolution) den Satz des Kohelet „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ auf den Mond bezogen (und daraus seine Kosmologie entwickelt), und war dieser Paradigmenwechsel der Katalysator der kosmologischen Remythisierung der Theologie, ihrer Verschmelzung mit der Herrschaftslogik?
    Die Gravitation, die seit Newton zum Zentrum der modernen Astronomie und Kosmologie geworden ist, ist (wie das Medium der elektromagnetischen Prozesse und wie die Objekte der Mikrophysik, eigentlich wie unsere Vorstellungen und Begriffe insgesamt) unsichtbar.
    Gibt es nicht zwei getrennte und von einander zu unterscheidende natürliche Zyklen, des Tages- und den Jahreszyklus? Wodurch unterscheiden sich diese beiden Zyklen? Hat nicht die zyklische Folge von Tag und Nacht eine andere Qualität als die der vier Jahreszeiten? Gründet die zyklische Folge von Tag und Nacht in dem Wechsel von Oben und Unten, die der Jahreszeiten in der wiederkehrenden Folge der vier Himmelsrichtungen?
    Sonne und Mond sind auf den Tag und die Nacht bezogen. Haben Jupiter, Mars, Venus und Merkur etwas mit den vier Jahreszeiten (und den Himmelsrichtungen) zu tun (sind die vier apokalyptischen Reiter Repräsentanten dieser vier Planeten)? Und ist der Saturn, der siebte Planet, der Planet des Sabbats?
    Zur Venus: Hat nicht jede Lust Anteil an der Euphorie des Sterbens (und ist nicht die kantische Ästhetik als Theorie der Urteilslust, eine Theorie der Euphorie – nicht aber des Glücks, das das Erwachen voraussetzt)?
    Dazu gibt es eine dritte Periodik: die der „Sothis-Periode“. Bezieht sich hierauf das Wort „Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag“?
    In der jüdischen Tradition sind nur gehörnte Tiere Opfertiere. Welche Opfertiere gibt es, und welche Tiere haben außerdem noch Hörner? Was hat den Bock zur Symbolfigur des Teufels gemacht?
    Leben wir nicht in sadduzäischen Zeiten: Niemand glaubt mehr an die Auferstehung.
    Zum Kelch von Getsemane gehört der Schlaf der Apostel.
    Waren nicht die Evangelien die ersten Angehörigen-Infos? Auch sie waren in erster Linie getragen von den Müttern.
    Als Jesus sagte: „Denn wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut, der ist mit Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 1250 parr), da nannte er nicht den Vater (bei Lk fehlt auch die Schwester).
    Ist nicht die Gnadenlehre eine postdogmatische (und in dem Sinne lateinische) Lehre, setzt sie nicht das zur confessio geronnene Dogma voraus? Ist sie nicht der Reflex auf das, was man die Gravitationserfahrung nennen könnte (die Unaufhebbarkeit der Schwere, die Abgeschlossenheit und Unentrinnbarkeit der unteren, irdischen Welt)? Ist das Dogma die Schrift an dem sonst unerreichbaren Himmel?
    In der Kabbala gibt es zu dem Psalmvers „Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr“ auch die Version „Aus der Tiefe rufe ich dich, o Herr“: Die Frage bleibt offen, wer in der Tiefe, wer unten ist.
    „Finsternis über Urwirbels Antlitz. Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser“ (Buber-Übersetzung von Gen 12). Hat dieses „über“ etwas mit jener Tiefe zu tun? Ist es das gleich (unaufhebbare) „über“, das die Beziehung des Begriffs zum Objekt definiert (und ist die Oben-Unten-Beziehung eindeutig nur in dieser Beziehung)?
    Die Gravitation bezieht sich auf das stumme Innere der Dinge, das Licht auf ihre farbige Außenseite (nur als Wärme dringt es auch in ihr Inneres).
    Haben die Attribute des Tieres aus dem Wasser und des Tieres vom Lande etwas mit dem Satz „Der Himmel ist sein Thron und die Erde der Schemel seiner Füße“ zu tun?
    Die Propheten in den Büchern Samuel und Könige sind Königspropheten, erst die Schrift-Propheten handeln im Angesicht der Großreiche, der drohenden, dann auch eintretenden Unterwerfung Israels unter äußere Mächte.
    Ist nicht Walter Benjamins Bemerkung über die Beziehung des Profanen zum Messianischen der Schlüssel für den Satz, wonach am Ende, wenn Gott alles unterworfen sein wird, sich auch der Sohn Ihm unterwerfen wird, und Gott alles in allem sein wird (1 Kor 1528)?
    Daß das Lesen öffentlicher und intimer zugleich ist als der unmittelbare Umgang, widerlegt die Bedeutung, die seit Buber dem Begriff der Begegnung beigelegt wird.
    War nicht der habermassche „Verfassungspatriotismus“ (zusammen mit der Akzeptierung eines Rechts, das nur durchs formal geregelte Verfahren, nicht mehr inhaltlich sich legitimiert) nur die vornehmere Version der hitlerschen Abschaffung des Gewissens („dieser jüdischen Erfindung“)?
    Vgl. Mt 548 („seid vollkommen, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist“) und Lk 636 („seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“).
    Liegt nicht das Problem der Vertriebenen-Verbände darin, daß insbesondere Schlesien seit dem siebenjährigen Krieg ein Legitimationsland war (Ursache des Übergangs der Reichsgewalt von Österreich an Preußen)? Liegen hier nicht auch die Gründe für einige Eigenheiten Schlesiens, insbesondere für die merkwürdige Gestalt des schlesischen Katholizismus (eine Mischung aus Anpassung, Hybris und Sentimentalität). Hat es nicht schon in Adenauers Zeiten, und jetzt erneut nach der „Wiedervereinigung“, eine zwar nicht offizielle, darum aber nicht weniger wirksame Politik gegeben, die (aus Gründen der Legitimität) auf die Revision der Ergebnisse des letzten Krieges hinausläuft?
    Die schriftstellerischen Fähigkeiten Christinas von Braun profitieren offensichtlich von ihrer Arbeit als Filmemacherin, von ihrer Fähgikeit, Themen in Handlungen zu übersetzen. Aber ist das nicht eine Anforderung, die an jede „Theorie“ zu stellen ist, daß sie aufhört, bloß „objektiv“ über Sachen zu reden, diese Objektivität vielmehr aufbricht, sie aufschlüsselt mit Hilfe der Logik des Handelns anstelle der des Seins, mit Hilfe der Ethik anstelle der Ontologie (war das nicht der parvus error in principio von Habermas, daß er das Handlungskonzept durch ein Kommunikationskonzept <die Handlungsgemeinschaft durch die Kommunkationsgemeinschaft> ersetzt, damit gleichsam die Ontologie durch die Hintertür wieder eingeführt hat)?
    Gilt dieses Projekt des Aufbrechens der Objektivität nicht auch für die Geschichte der Theologie (und hier vor allem für die Opfertheologie, die das Handeln ontologisiert hat)?
    Den Bann des Mythos sprengen, heißt: den ihm einbeschriebenen Bann der Vergegenständlichung und damit den logischen Kern der Schicksalsidee sprengen. Ist nicht die transzendentale Ästhetik in jeder Gestalt die instrumentalisierte Schicksalsidee, und reproduziert sich nicht durch sie der Mythos in der Aufklärung? Deshalb ist der Titel der Adornoschen „Ästhetik“ falsch: Angemessen wäre der Titel Kunstkritik (ebenso wie Kapitalismuskritik, Kritik der Naturwissenschaften, Kritik der Geschichte: Kritik des Weltgerichts, des blinden Flecks, der Verblendung durch Objektivität).

  • 16.7.96

    Wer andere nur verurteilt, findet sich in einer Objektwelt wieder; wer aber fähig ist, in Andere sich hineinzuversetzen, entdeckt eine menschliche Welt. Das Verurteilen reproduziert den Schrecken, den es zu bannen versucht. Die subjektiven Formen der Anschauung haben das Verurteilen instrumentalisiert; und die transzendentale Logik ist die Logik der Objektwelt (die Logik der Welt der Erscheinungen).
    Nicht „Warum ist es am Rhein so schön“ ist die Rätselfrage der Nation, sondern: Warum mögen uns die Andern nicht. Diese Frage, die der Spiegel alle Jahre wieder ergebnislos zu beantworten versucht hat, wird sich in das Nichts auflösen, das in ihr sich ausdrückt, wenn dieses Land endlich einmal ernsthaft versucht, mit sich selbst ins Reine zu kommen.
    Schlimm an den Angriffen auf Asylantenheime war nicht, was wohl das Ausland über uns denken mag, sondern schlimm waren die Taten selbst.
    Leidet nicht die Kosmologie heute daran, daß sie nicht nur das Ungleichnamige gleichnamig macht, sondern daß sie den Zwang nicht zu brechen vermag, der daher rührt, daß sie die Zeitverhältnisse vertauscht. Es ist das Irreversibilitätsprinzip, das die gesamten Naturwissenschaften verhext: Die Vorstellung der Reversibilität aller Richtungen im Raum begründet die Irreversibilität der Zeit. Wenn die mittelalterlichen Kosmologien den Mond als Grenze zwischen der himmlischen und der irdischen (der trans- und sublunarischen) Welt verstanden haben, haben sie dann nicht die Planetenbewegungen (die „Wege des Irrtums“) zu den himmlischen Erscheinungen gerechnet, damit aber das Irreversibilitätsprinzip selber an den Himmel projiziert (und so – als Vorstufe des heliozentrischen Systems – die Logik hierarchischer Herrschaftsstrukturen legitimiert)?
    Ist der Feudalismus die Gestalt, in der sich die chaldäische Astrologie unter den Bedingungen des Christentums reproduziert hat? Geblieben ist von der Astrologie das hierarchische Prinzip, am Ende zusammengeschrumpft zur „Rangordnung“ der Werte.
    Macht nicht der geisteswissenschaftliche Kausalbegriff, die Vorstellung, der eine habe eine Theorie entwickelt, die andere dann übernommen haben, ein sehr reales Problem bloß unkenntlich: Ist ein Text, der mehr als tausend Jahre, nachdem er geschrieben wurde, rezipiert wird, wirklich noch der gleiche Text? Ist die mittelalterliche Kosmologie die ptolemäische, ist der mittelalterliche „Geozentrismus“ eins mit dem antiken? Hätte Aristoteles in seiner scholastischen Rezeption sich wiedererkannt (war nicht Aristoteles der Lehrer des Alexander, während die mittelalterliche Rezeption durch die Geschichte des Reichs, das Alexander einmal begründet hatte, bereits geprägt und bestimmt ist, wobei das Lehrer-Schüler-Verhältnis sich gleichsam umgekehrt hat)?
    Liegt nicht zwischen der antiken und der mittelalterlichen Kosmologie ein entscheidender Bruch: Der von der Theoria (dem Sehen, das von der Schuld wie von der Schwere abstrahiert) zur Reflexion der verschuldeten Natur. Führt nicht die Entwicklung von der noesis noeseos, dem Denken des Denkens, über die Theologie zur Hegelschen Logik, in deren Kern das Ding steht?
    Die mittelalterliche Kosmologie (wie im übrigen jede Kosmologie vor ihr) war dem damaligen Erkenntnisstand angemessen und zugleich ein Stück Herrschaftsmetaphorik, die in den modernen Naturwissenschaften dann in unmittelbares Herrschaftswissen transformiert worden ist.
    Das Realitätsprinzip (die Vorstellung, daß am Objekt selber der Zustand der Ruhe von dem einer geradlinig gleichförmigen Bewegung sich nicht unterscheiden läßt) ist eine Folge und ebensosehr ein Konstituens der mathematischen Raumvorstellung (des Raums als „subjektiver Form der Anschauung“). Aber wird dieses Relativitätsprinzip nicht durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das aus ihr folgt, wenn es auf bestimmte Erscheinungen angewandt wird, zugleich widerlegt? Ist das Relativitätsprinzip die Wasserseite der subjektiven Formen der Anschauung (der „Feste des Himmels“), deren Feuerseite im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich manifestiert?
    Sind nicht die Namen des schwarzen Körpers, des schwarzen Lochs und des Urknalls hochsymbolisch? Der schwarze Körper (genauer die Wände des schwarzen Hohlraums) und das schwarze Loch definieren sich durch ihr Verhältnis zum Licht: Der schwarze Körper ist ein Körper, der alles Licht abweist, zurückwirft, während das schwarze Loch alles Licht in sich aufnimmt und nicht mehr abgibt. Beide beschreiben Grenzbedingungen des Inertialsystems, das Abbrechen der Äquivalenzbeziehungen, durch die das Inertialsystem sich definiert.
    Wider die Personalisierung: Die Erwartung, daß das Ende des Faschismus durchs Aussterben der Nazis (der „Rassisten“) kommen werde (oder auch nur kommen könnte), ist irreal: Die Maschine, die „Nazis“ produziert, läuft weiter. Mehr noch, wird diese Maschine nicht zur Zeit einer Generalüberholung unterzogen, die sie nur noch effektiver zu machen verspricht?
    Hat nicht, wer Adorno nur gelesen hat, anders und auch Anderes von ihm gelernt, als wer sein unmittelbarer Schüler gewesen ist? Neigen nicht in der Regel die unmittelbaren Schüler mehr dazu, auch die privaten Marotten ihres Lehrers zu adaptieren, und ist nicht das Lesen ein zugleich öffentlicherer und intimerer Vorgang als der unittelbare Umgang mit dem Lehrer in Vorlesung und Gespräch?
    Wie hängt das Kelch-Symbol, wie hängt überhaupt das Realsymbolische und die Metaphorik mit dem Problem der Zeitumkehr zusammen? Gründet nicht in diesem Problem der Umkehr die gesamte Sprache und in ihrem Kern der Name?
    Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht: Die Irreversibilität der Zeit (zusammen mit der Logik der Reversibilität aller Richtungen im Raum) ist das Gesetz der Verhärtung der Herzen. Liegt hierin nicht das Organisationsprinzip verborgen, das der Geschichte von der Verhärtung des Herzens Pharaos zugrunde liegt, und gründet darin nicht sogar der Name des Pharao? So wie am brennenden Dornbusch der Name Gottes sich offenbart, so enthüllt sich der Titel des Pharao in der Geschichte der Verhärtung seines Herzens: zusammen mit dem Namen Mizrajim als Name des Sklavenhauses und des Eisenschmelzofen (ist nicht der Name Mizrajim der einzige Name der Schrift, den Buber durch den griechischen ersetzt: Ägypten?).
    Wölfe heulen den Mond an: Ist das nicht der Irrtum der Wölfe? (Gibt es auch einen Irrtum der Schlangen, und worin zeigt er sich?)
    Der Gott, der die Welt erschaffen hat, ist der Gott, der im Staat sich verkörpert, im Staat als dem Organisationsprinzip der Eigentumsgesellschaft. Dieser Gott legitimiert das Recht und begründet die Ordnung der Objektwelt, in der die Barmherzigkeit am Ende keine Stelle mehr findet.
    War nicht Borgentreich (mein Ferienaufenthalt dort in den dreißiger Jahren) ein Ort der Verwirrung? Der (angeheiratete) Vetter Alois, der ein Nazi war und merkwürdige Sprüche über Hitler, die Juden und Judenhäuser in Borgentreich und einige Bürger, die mit trinitarischen Spekulationen sich befaßten, von sich gab, und die Cousine Agnes, eine „vornehme“, aber auch etwas verwirrte Frau, und ihre Kinder Hermann und Walburga?
    Kindertaufe: In den Bekenntnissen des Augustinus findet man die Begründung, die bei der Einführung der Kindertaufe eine Rolle gespielt haben mag. Augustinus erinnert sich an die Gier des Säuglings, in der er die Folgen der Erbsünde erkannte, die mit der Kindertaufe getilgt werden sollte. Heute gelten Kinder als unschuldig, und wer die Gründe für diese Anschauung sucht, wird sie in der Tatsache finden, daß Kinder noch nicht „hintertückisch“ sind, daß all ihre Lebensäußerungen als unmittelbare und direkte, frei von Hintergedanken und Täuschungsabsichten wahrgenommen werden. Augustinus legte die Schuld in die Tat, die er an einem Begriff des Handelns (an dem des Gerechten) maß, vor dem die Kinder objektiv als Sünder sich erwiesen. Wir messen die Schuld an der Absicht, die einem Kind nicht unterstellt werden kann (jedenfalls nicht vor der „Trotzphase“), weshalb wir sie als unschuldige und deshalb „glückliche“ Wesen (die sie nun wirklich nicht sind) erfahren. Das aber heißt, daß wir das Glück nicht am Zustand der Welt (der uns objektiv belastet, auch wenn wir es verdrängen), sondern an unserer Schuldlosigkeit messen. Uns interessiert nicht der Lauf der Dinge, sondern nur, daß wir nicht dran schuld sind. Heißt das nicht, daß glücklich nur der Dumme ist?
    Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß: Der Staat, in dem die Ankläger Staatsanwälte heißen, stellt seine Bürger unter Dauerverdacht und unter das Gesetz der Beweisumkehr. Unschuldig ist nur, wer es auch beweisen kann. Gibt es eine bessere Methode, die Bürger davon abzuhalten, sich um Dinge zu kümmern, die „sie nichts angehen“, und sind das nicht alle Dinge, die nicht ihr unmittelbares Eigeninteresse berühren (z.B. die Probleme der Arbeitslosen, der Sozialhilfeempfänger, der Obdachlosen, der Asylanten, der Ausländer, der Frauen und Kinder)?
    Der Leiter des BGS am Flughafen (ein Leitender Polizeidirektor) heute in bei einem Interview in der Hessenschau: Seine Aufgabe sei die Verbrechensbekämpfung, z.B. des organisierten Verbrechens, insbesondere der Schlepperbanden. Die schleppen Menschen herein, die hier nur ein besseres Leben wollen. Und das sei schlimmer als der Schmuggel von Waffen.

  • 12.7.96

    Zur Kritik der Urteilskraft: Hat nicht Auschwitz der Idee des Erhabenen den Boden entzogen?
    Hegels Bemerkung, daß, was aus dem Grunde kommt, auch zugrunde geht, ist ein Ausdruck der absoluten Verzweiflung: Kant zufolge ist der Grund eine Reflexionsform des Zwecks. Für Hegel gibt es, anders als für Kant, keinen „Endzweck“; der ist in der Idee des Absoluten untergegangen und begraben.
    Der Begriff der Größe wird vor allem auf historische Personen angewandt, insbesondere auf Herrscherfiguren wie Alexander, Konstantin, Karl der Große, Friedrich der Große (und sein Vater: der große Kurfürst); merkwürdig, daß es im gleichen historischen Kontext auch ein weibliches Exemplar der Größe gibt: Katharina die Große. Dieses Attribut scheint insbesondere den Reichsgründern zuerkannt zu werden; welche Bewandnis hat es dann mit der Gründung des preußischen Staates (gegen eine in die Repräsentation des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eingebundene österreichische Herrscherin, und im Vorgriff auf die Gründung des Zweiten Deutsche Reichs)? Was zeichnete diesen Staat (der zum Modell der Hegelschen Staatsmetaphysik, der Verkörperung der Idee des Absoluten, geworden ist) vor anderen Staaten aus, und was verbindet ihn mit dem Untergang des Ersten Reiches? Dazu merkwürdig, daß Alexander und Karl inzwischen in Verdacht geraten, nur Phantomfiguren zu sein, als Verkörperungen einer Geschichtslogik, die ihre Objekte einem Verfahren der Ästhetisierung unterwirft, sich ins Irreale zu verflüchtigen scheinen.
    Mit dem mathematischen Begriff der Größe ist die Orthogonalität mit gesetzt. Kann es sein, daß der ästhetische Begriff der Größe, der der Idee des Erhabenen zugrunde liegt, durch einen der Orthogonalisierung vergleichbaren Effekt sich auszeichnet? Und kann es sein, daß die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes ihre säkularisierende Wirkung darin hat, daß sie die Vollständigkeit der Fundierungsbedingungen der mathematischen Größen (nicht ihre Realisierungsbedingungen: die schließen einen subjektiven Akt, einen Akt der Setzung, der Konvention mit ein) in sich enthält (was darin sich manifestiert, daß sie im Prinzip bereits dem ästhetischen Begriff der Größe die Grundlage entzieht)? These: Der Begriff der historischen Größe und die Idee des Erhabenen gründen in einem noch vornewtonschen, naiven Verständnis der Schwere; sie stehen in einem logischen Zusammenhang mit der Geschichte und der Logik des Weltbegriffs (seiner Beziehung zum Begriff des Falls – vgl. Wittgesteins Definition des Weltbegriffs). Kann es sein, daß Größe und Erhabenheit (die beim Augustus sogar zum Namen geworden sind) als besondere ästhetisch-historische Kategorien die christliche theologisch-dogmatische Weiterbildung der Logik, den Begriff und die Realität der Orthodoxie, voraussetzen, auf ihrer Grundlage sich gebildet haben? – Die vorchristliche Welt kannte die „sieben Weltwunder“ (und die rechtsgründenden Taten der Heroen), aber – außer den erst in christlicher Erinnerung so genannten – keine „Großen“; dagegen stand die Logik des Mythos und des Schicksals, insbesondere das absolute Urteil der Hybris.
    Ist nicht das Attribut „der Große“ ein (dem Alexander aus durchsichtigen Gründen nachträglich zuerkanntes) „historisches“ Attribut?
    Vgl. die Reflexionen Lyotards zum Begriff des Erhabenen!
    Hat die Logik der Orthodoxie (die Bekenntnislogik) für die Geschichte der Theologie und des Dogmas die gleiche Funktion wie die durch die Orthogonalität als Norm determinierte Raumvorstellung für die Bildung der Vorstellung kontinuierlicher und diskreter Größen?
    In welcher Beziehung stehen das aristotelische Staunen und die „sieben Weltwunder“ zu den Wundern der Evangelien, waren sie so etwas wie eine gleichsam prophylaktische Vorkehrung, die dem fundamentalistischen Mißverständnis dieser Wunder Vorschub geleistet (ihren „symbolisch-typologischen“ Sprachsinn unkenntlich gemacht) haben? Und war nicht dieses fundamentalistische Mißverständnis eine der Ursprungsbedingungen des Dogmas?
    Die mathematische Größe bedarf des Maßes; das aber ist Produkt einer Konvention. Es gibt kein „natürliches“ Maß der Länge, der Zeit, des Gewichts, des Geldes.
    Wenn die moderne Sprachtheorie die Worte als konventionelle Symbole begreift, verwechselt sie die Sprache mit der Mathematik. Und ist nicht der Begriff der Konvention ein falscher Ausdruck für die verandernde Kraft des Urteils? Wer das Resultat dieser Veranderung zur Sache der Konvention macht, trennt die Sprache von ihrer Wurzel im Namen.
    Die verandernde Kraft des Urteils aber gründet in der Eigentumslogik (der der Staat und der Weltbegriff sich verdanken, und die dem Naturbegriff sein Objekt gibt): in der Beziehung der objektivierenden Kraft des Seins (der Kopula) zu der objektivierenden Kraft, die der staatlich geregelten und rechtlich sanktionierten Eigentumsordnung (der Trennung und Unterscheidung der Öffentlichkeit, der Sphäre des Eigentums anderer, von der Privatsphäre) sich verdankt.
    Zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Die Tatsache, daß die Lichtgeschwindigkeit eine „empirische“ Größe ist, macht ein durch Konvention definiertes Element (ein durch „konventionelle“ Maßbestimmungen mit definiertes Element) zu einem Systemelement, das die „Objektivität“ der Erkenntnis mit garantiert. Ist dieses Systemelement nicht eines, das in den Grund des Feuers hinabreicht? Deshalb ist die Bestimmung der Beziehungen des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu den Konstituentien der Mikrophysik so zentral. Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der durch Umwendung ins Äußere unkenntlich gemachte Knoten, der zu lösen wäre?
    Lust ist eine ins Ästhetische reflektierte, durchs Ästhetische vermittelte Empfindung. Das Korrelat der Unlust ist der Schmerz. Jede Empfindlichkeit ist pathologisch, der Schmerz ist real.
    Erscheint der historisch-ästhetische Begriff der Größe (des Erhabenen) auch bei Hegel? Vgl. auch die Weltgeschichtlichen Betrachtungen Jakob Burckhardts. Im Gröfaz („größten Führer aller Zeiten“) ist der Begriff der Größe explodiert (und zwar sowohl in den unmittelbaren Zielen und Folgen der nationalsozialistischen Politik, als auch in den Metastasenbildungen in den Diktaturen heute); seit Auschwitz gibt es kein Erhabenes mehr. Reflektiert sich das nicht in der Sprache der Nachgeborenen, die z.B. den Begriff der Anmut nicht mehr kennen („heute nennen wir das geil“), aber auch in der Neigung der Medien, das Interesse der Gesellschaft anstatt durch die Sache, durch Steigerung der Reize zu gewinnen (Sensation ist ein Empfindungsbegriff, der von der Last der Reflexion entbindet)?
    Ist nicht die Größe prima facie ein Attribut des Männlichen, und das Schöne (die „Anmut“, das „Liebliche“) eines des Weiblichen? Die Blume ist schön, der Baum erhaben? Hängt es nicht mit der Verwischung der Geschlechterdifferenz zusammen, wenn in der Sprache der Jugendlichen das Erhabene vom Wahn und das Schöne vom Sexuellen nicht mehr sich scheint trennen zu lassen? Sind nicht die Attribute, mit denen Jugendliche die Dinge heute benennen, ein Indiz des Weltzustandes? Verweist nicht die Differenz des Schönen und Erhabenen auch auf die Unterscheidung von Natur und Welt, ist nicht das Schöne ein Objektgefühl, das Erhabene ein Verstandesgefühl (das Absolute ist das an sich Erhabene)? Gehören nicht das Schöne wie das Erhabene einer Sphäre an, die im Urteil gründet (und nur dem Gefühl sich erschließt, aber einem, das den Anspruch auf Objektivität erhebt)? Der Faschismus, der zum absoluten Objekt der Verurteilung geworden ist, ist weder schön noch erhaben, eigentlich die Vernichtungsmaschine beider. In diesen Zusammenhang gehört Adornos Satz, nach Auschwitz Gedichte schreiben sei barbarisch (gegen den alle protestierten, die das Privileg nicht aufgeben wollten, sich weiterhin einen Reim auf diese Vergangenheit zu machen).
    Blumen sind schön, Bäume erhaben: Heißt das nicht auch, daß Blumen als Naturwesen, Bäume als Weltwesen apperzipiert werden? Was bedeutet dann die Wendung „durch die Blume sprechen“?
    Wer die Korrektur-Vorschläge der Kant-Herausgeber in den Anmerkungen der Kant-Ausgaben liest, bekommt einen Vorbegriff davon, wie der Duden einmal entstanden sein mag. Kaum eine „Verbesserung“, an der nicht mit Händen sich greifen ließe, daß nicht nur die kantische Sprachlogik sondern mit ihr entscheidende Motive seiner Philosphie nicht mehr verstanden wurden. Alle „grammatischen Fehler“, die hier „berichtigt“ werden, sind nicht nur keine, sie drücken in Wahrheit genau das aus, was seitdem an Kant verdrängt und vergessen wurde.

  • 3.7.96

    Gegen den 68er Bruch: Der Faschismus war keine Naturkatastrophe, und das Horkheimer-Wort, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen dürfe, wird heute durch Umkehrung wahr: Vom Kapitalismus darf nicht reden, wer vom Faschismus schweigt.
    Die 68er Bewegung hat den faschistischen Zivilisationsbruch als Kulturbruch ratifiziert. Mit der Beziehung zum (weiterhin realen) Staat hat sich auch die Beziehung zur Sexualität, das Verhältnis von Eigentum und Besitz, verändert. Die traditionelle Sexualmoral war Ausdruck der am Eigentumsbegriff sich orientierenden Beziehung der Person zu sich selbst. Ist nicht an die Stelle der Eigentumsbeziehung (deren Respektierung die Sexualmoral leisten sollte) das Besitzverhältnis (an die Stelle des Respekts vor dem Andern die Freiheit der Güternutzung) getreten? Gibt es (nach der Globalisierung des Marktes und der Verrottung des Staates) überhaupt noch „Eigentum“? Ist sein Verschwinden nicht am Verschwinden des Tabus auf der Sexualität (mit den Folgen, die das insbesondere für den weiblichen Teil der Gesellschaft hatte) ablesbar?
    Das Privateigentum konstituiert die Privatsphäre (den idiotes).
    Rühren die Probleme der Theorien Heinsohns nicht daher, daß er einem Theorie- und Objektivitätsmodell sich verpflichtet fühlt, daß aus der Physik stammt? Die vermittelnde Kategorie scheint der Eigentumsbegriff zu sein, der in der Tat einmal den Naturbegriff konstituiert hat: Der Eigentumsbegriff verhält sich zur Geldwirtschaft wie die träge Masse zur Physik insgesamt.
    Die begriffliche Trennung von Eigentum und Besitz, die mit der von Tausch- und Gebrauchswert zusammenhängt, determiniert die Widersprüche, die Heinsohns Konzept durchziehen (vgl. z.B. S. 129 und 137 zum Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Geschichte).
    Wenn Heinsohn die Geschichte sowohl braucht als auch abwehrt, so drückt sich darin genau die Ambivalenz seiner Theorie aus: Er braucht die Geschichte als Mittel zur Erkenntnis der Logik der Ökonomie, er muß sie abwehren, weil sie diese Logik zugleich zum Sprechen zu bringen droht.
    Besitz ist eine Gebrauchskategorie, Eigentum eine Geldkategorie (vgl. Heideggers Unterscheidung des Zuhandenen vom Vorhandenen). Hat nicht Polyani den Ursprung der Eigentumsgesellschaft sehr viel genauer beschrieben, nämlich anhand der Übertragung der Wareneigenschaften auf Grund und Boden (Eigentum), auf die Arbeit (Lohnarbeit) und aufs Geld (Banken)? Heinsohn selber verweist darauf, daß die Lohnarbeit erst in der modernen Entwicklung hinzukommt; verweist das nicht auf eine qualitative Differenz auch beim „Eigentum“ und beim Geld (doppelte Buchführung)?
    Der philosophische Reflex des Eigentumsbegriffs ist der Begriff der Substanz (der mit dem Begriff des Substantivs das Verständnis der Grammatik und der Sprache verändert hat, der das Nomen gelöscht und die Sprache zu einem Mittel der Information gemacht hat).
    Das Substantiv ist eine Fortbildung des Begriffs der Substanz. Drückt nicht im Begriff des Substantivs eine qualitative Veränderung im Eigentumsbegriff sich aus?
    Der Konkretismus Heinsohns manifestiert sich nicht nur in der Theorie der Venus-Katastrophe (in der Ersetzung der gesellschaftlichen Naturkatastrophe durch eine reale kosmische Katastrophe), sondern auch in seinem Eigentumsbegriff, der ihm zu einem festen Grundlagenbegriff wird, und an dem er den historischen Prozeß, dem er entspringt und in dem er sich verändert, nicht wahrnimmt. Die Trennung von Eigentum und Besitz manifestiert sich in den Änderungen der ökonomischen Gesellschaftformen, in der Übertragung der Geschäftsführung an ein Management und im Ursprung und in der Entfaltung und Ausdifferenzierung der Verwaltung (die die Besitzfunktionen des Eigentums realisiert). Aber ist nicht das Eigentum unabhängig vom Besitz (vom Gebrauch, der es qualifiziert) eine leere Abstraktion? Wie das Eigentum im ökonomischen Prozeß sich verändert, kann man heute von jedem Landwirt (noch krasser freilich an den Vorgängen in der Dritten Welt, die jetzt langsam anfängt zu begreifen, was ihr geschieht) erfahren.
    Durch seinen Eigentumsbegriff wird dieses Buch zum Kompendium einer Hausbesitzer-Ideologie.
    Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war notwendig, weil der genetische Zusammenhang des Eigentumsbegriffs mit dem Begriff und der Praxis der Gewalt in der Gesellschaft ausgeblendet wird. Gehört nicht der Eroberungskrieg (wie am modernen Kolonialismus drastisch sich zeigen läßt) zur Ursprungsgeschichte des Eigentums (die Ureinwohner der kolonialisierten Länder „kennen keine Schrift, kein Geld, sind nackt“; sie sind deshalb nicht fähig, über ihren Besitz wie über Eigentum zu verfügen; als „Wilde“ sind sie apriorische Objekte von Gewalt)?
    War die Kosntituierung des Eigentums das Ergebnis einer Revolution von innen (bei den Griechen als Revolution gegen den mykenischen Feudalismus), oder war sie das Ergebnis einer Eroberung von außen, durch umherstreifende Brüder- und Männerhorden (Rom, die Hapiru, die „Hebräer“)? Unterscheidet sich darin nicht das Eigentums-Buch vom Patriarchats-Buch Heinsohns?
    Irgendjemand hat einmal die Tempel als Säkularisations-Instrumente beschrieben (Entzauberung der Welt durch Konzentration des Heiligen im Tempel). Eine ähnliche Funktion scheinen die christlichen Kirchen, Kathedralen und Dome im Mittelalter gehabt zu haben. Als Säkularisations-Instrument hat der Tempel die Welt eigentumsfähig und damit zur Welt gemacht; deshalb gehören zur Tempelwirtschaft die Kosmogonien.
    Waren der Islam das Persien, Frankreich und England hingegen das Griechenland des Mittelalters? Dann war Deutschland das Rom.
    Adorno hat mich in die Lage versetzt, mein Faschismus-Trauma zu bearbeiten; anders wäre ich das Opfer dieses Traumas geworden.
    Heinsohn: der Drewermann der Nationalökonomie?
    Die Orthogonalität ist das Abstraktionsgesetz der Erkenntnis, sie ist zugleich das Formprinzip des Urteils. Durch die Orthogonalität werden die Richtungen des Raumes getrennt und unterschieden und zugleich zueinander in Beziehung gesetzt; das gleiche Formgesetz gilt für die Beziehung von Raum und Zeit und dann auch für die Beziehung von Raum und Zeit zur Materie. Die Orthogonalität (die Entdeckung der Winkelgeometrie durch die Griechen) ist das Modell der Beziehung von Begriff und Objekt. Wie hängt die Entdeckung der Orthogonalität mit dem Ursprung des Eigentumsbegriffs, mit der Unterscheidung von Eigentum und Besitz und mit dem Ursprung des Staates zusammen?
    Im Buch Josue wird das Land Kanaan durchs Los auf die Stämme Israels verteilt. Wann und auf welche Weise erfolgte die individuelle Eigentumsbegründung (zusammen mit der Begründung weiblicher Erbrechte)? In der Bibel wird vom Kauf eines Grundstücks nur im Hinblick auf kanaanitisches Eigentum (bei Abrahams Kauf des Grundstücks für das Grab Saras und bei Davids Kauf der Tenne Araunas) berichtet.
    Sind die Probleme, vor die die Philosophie in jeder Epoche neu sich gestellt sieht, die logischen Probleme des Eigentums; und ist die Philosophie deshalb der Reflex der Herrschaftsgeschichte?
    Das Armutsgebot, das wir heute ganzen Erdteilen aufzwingen, der Export der Armut in die Dritte Welt: Die Eigentumslosigkeit schlägt die Eigentumslosen zur bloßen Natur, macht sie zu einer brachliegenden Ressource, für die es keine Verwendungsmöglichkeiten mehr gibt: zu herrenlosem Gut.
    Nachdem die Aufklärung, und ihrer Folge Kant und der deutsche Idealismus, der Natur schöpferische Kräfte angedichtet hat, hat da nicht Marx, als er glaubte, im Proletariat das Subjekt der Revolution zu erkennen, daraus nur die Konsequenz gezogen (das Proletariat: die Verkörperung er resurrectio naturae)?
    Werden heute nicht alle Siege zu Pyrrhus-Siegen?
    Ist nicht jede Personalisierung ein Indiz mangelnder Autonomie? Zitiert nicht jede Personalisierung (und jeder Konkretismus) die kollektive Absicherung einer Projektion?
    Hängt nicht die mittelalterliche Fälschungsgeschichte mit den übermächtigen Legitimationsbedürfnissen, die die Begründung der Eigentumsgesellschaft wachgerufen hat, zusammen?

  • 28.6.96

    Katholische Konfliktunfähigkeit: Man redet nicht mehr offen miteinander, sondern hinterm Rücken übereinander. Konflikte werden nicht mehr ausgetragen, sondern durch Ausgrenzung und Verurteilung über die Köpfe der anderen hinweg: durchs Richten entschieden. Dem entspricht ein Glaube, der nur noch am individuellen Seelenheil, nicht mehr am Zustand der Welt sich orientiert, aber auch eine Praxis des Betens, die nur noch Rituale und Privatanliegen kennt, nicht mehr die Intention der Versöhnung, die auch die Theologie, ihren Erkenntnisbegriff, im Kern verändern würde. Ist das Ganze, die Fixierung auf eine Theologie hinter dem Rücken Gottes, zu der es keine Alternative mehr zu geben scheint, nicht ableitbar aus der theologischen Rezeption des Weltbegriffs, dem Instrument des Schuldverschubsystems? Gründet diese Konfliktunfähigkeit nicht in dem, was im NT die Sünde wider den Heiligen Geist heißt? Der Begriff schließt aufgrund seiner monologischen Struktur die Intention der Versöhnung ebenso aus wie die subjektiven Formen der Anschauung die Sprache, die die Richtungen des Raumes unterscheidet (und darin die Idee der Barmherzigkeit begründet). Das kantische „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ spricht den Grund des Bilderverbots aus. Das Denken verwandelt die Erkenntnis in „meine Vorstellungen“ und verfällt durch diese Abstraktion selber den „Elementarmächten“, von denen es einmal zu befreien vorgab: der Idolatrie. In der Auseinandersetzung mit der Natur haben die Menschen das politische Denken gelernt. Seitdem steht jede Gestalt der Politik unter dem Bann der Natur. Die historische Bibelkritik hat die Schrift entkleidet, so daß sie am Ende nackt war. Dem ist die Philosophie vorausgegangen: Das Absolute ist der nackte Gott. Stimmt es, daß Pythagoras zuerst den Begriff des kosmos geprägt und gebraucht hat (vgl. Uschi Berretz: Das Weibliche im Mythos, in: Zeitensprünge 2/96, S. 234)? Das würde bedeuten, daß der Name der Kosmologien und Kosmogonien retrospektiv ist, den historischen Blick auf etwas bezeichnet, was selber etwas ganz anderes war? Wenn die Liebe „eine Menge Sünden zudeckt“, so gründet das in ihrer Arglosigkeit, darin, daß sie völlig unparanoid ist. Das Geld leistet nur scheinbar das Gleiche: durch die Instrumentalisierung, in der es gründet, wird es zu einer Quelle der Paranoia; es ist nicht die Arglosigkeit, die die Sünde der andern nicht sieht, sondern die List, die dem andern den Blick auf die eigene Sünde verstellt. Die Liebe läßt sich in die Logik des Schuldverschubsystems, die mit dem Geld sich entfaltet, nicht hineinziehen. Verhält sich nicht der Raum zum Licht wie das Geld zur Liebe? Die indoeuropäischen Sprachen, die unterm Apriori des Inertialsystems stehen, das in ihnen sich entfaltet hat, sind Verkörperungen des gekreuzigten Worts. War nicht die 68er Bewegung die ironische Erfüllung, und damit die Widerlegung des Adornoschen Konzepts einer „vollständigen Säkularisierung aller theologischen Gehalte“? Und hat nicht in der Tat schon Adorno in der Benjamin-Rezeption die Weichen falsch gestellt, allerdings auf andere Weise, als es die „Argument“-Kritik darzustellen und nachzuweisen versucht hat? Hat es nicht einen hohen symbolischen Stellenwert, wenn Adorno im wörtlichsten Sinne Opfer einer Aggression durch Nacktheit geworden ist, einer Aggression, die Schmidt-Noerr nicht einmal mehr als solche zu erkennen vermag? In jeder Empörung steckt ein Keim der Verdummung, der Widerstand dagegen, in die Entstehungsgeschichte dessen, worüber man sich empört, sich hineinzuversetzen. Was heißt „durch die Blume sprechen“? Es ist offensichtlich das Gegenteil der offenen, frontalen Kommunikation (die den andern als Subjekt anerkennt). Es ist die reflektierte Form des „im Angesicht des Andern (in seiner Gegenwart) hinter seinem Rücken Redens“ (war nicht die Sprache der Auguren eine Vorform des „durch-die-Blume-Sprechens“?). Mobbing ist ein Verwaltungsgewächs, eine Büroblume. Seit wann sind Büros mit Pflanzen und Blumen zugestellt? Und seit wann gibt es die Theorie, daß Blumen ein Büro „menschlicher“ machen? Ist es nicht die „Unschuld“ der Blume (die Subjektlosigkeit, die der Schuld nicht fähig ist), die diesen metaphorischen Gebrauch des Namens der Blume zu begründen vermöchte? Kommen in der Bibel Blumen vor (Lilien, Narzissen, Mandelblüte, das Blühen des Feigenbaums, des Weinstocks, die Blume des Grases)?

  • 27.6.96

    Die Gnadenlehre ist das theologische Pendant der Mechanik, ihr Orientierungspunkt, das individuelle Seelenheil, das Korrelat des Trägheitsprinzips; abgeschnitten – und zwar durch die innere Logik des Weltbegriffs selber – wird die Beziehung des Seelenheils zur Praxis, zum Zustand der Welt im Ganzen. Die Frage, ob und wie die Idee des seligen Lebens denkbar ist, wenn sie von der Reflexion auf den Zustand der Welt getrennt wird, wird verdrängt. Die Frage ist nicht: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, sondern: Wie erhalte ich die Gnade, befreit zu werden zum befreienden Handeln. Es gibt keine Hoffnung für mich ohne Hoffnung für die Hoffnungslosen. Darauf ist der letzte Satz des Jakobus-Briefs und das Wort von der Freude im Himmel über die Bekehrung des einen Sünders zu beziehen. Der „Weg des Irrtums“ ist der Weltbegriff; auf ihn (und auf die Geschichte vom gordischen Knoten?) bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen. Wird das Ganze nicht durch Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, in einen apokalyptischen Zusammenhang gerückt? Hat nicht das Wort vom Binden und Lösen, in dem Erde und Himmel zitiert werden, etwas mit dem Satz: Der Himmel ist Sein Thron, die Erde der Schemel Seiner Füße, zu tun? Adorno hat mit dem Programm der „vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte“ nicht Benjamins Konzept, sondern sein eigenes beschrieben. Walter Benjamin hat sein Konzept in seinem „theologisch-politischen Fragment“ beschrieben: „Die Ordnung des Profanen hat sich aufzurichten an der Idee des Glücks. Die Beziehung dieser Ordnung auf das Messianische ist eines der wesentlichen Lehrstücke der Geschichtsphilosophie. Und zwar ist von ihr aus eine mystische Geschichtsauffassung bedingt, deren Problem in einem Bilde sich darlegen läßt. Wenn eine Pfeilrichtung das Ziel, in welchem die Dynamik des Profanen wirkt, bezeichnet, eine andere die Richtung der messianischen Intensität, so strebt freilich das Glückssuchen der freien Menschheit von jener messianischen Richtung fort, aber wie eine Kraft durch ihren Weg eine andere auf entgegengesetzt gerichtetem Wege zu befördern vermag, so auch die profane Ordnung des Profanen das Kommen des messianischen Reiches.“ (Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, es 103, 1965, S. 95f) Kritik des Weltbegriffs heißt für die Kirchen u.a. Entkonfessionalisierung (eine Bekennende Kirche wäre eine entkonfessionalisierte Kirche: Der Faschismus, der Antisemitismus, der Sexismus, nicht zuletzt auch die ihnen zugrundeliegende verwüstende Gewalt der Ökonomie, der Kapitalismus, diese Dinge sind Verkörperungen eines status confessionis, an den das Formelbekenntnis nicht mehr heranreicht; Dialektik der Beziehung von Orthodoxie und Häresie?)

  • 23.6.96

    Welche Organe des Fisches befreien die Sara vom Asmodei, und welche Organe heilen den Tobias von seiner Blindheit? Und welche Bedeutung haben diese Organe nach dem Sohar?
    Jannes und Jambres (2 Tim 38) hießen nach einer apokryphen jüdischen Überlieferung die ägyptischen Zauberer, die die ersten Wunder von Moses und Aaron vor dem Pharao ebenfalls vollbrachten (Ex 711.22, 87).
    Das transzendentale Subjekt, das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“, ist der Repräsentant des Begriffs im Subjekt: der Repräsentant der Herrschaftslogik. Die Trennung des Denkens von meinen Vorstellungen reflektiert die Trennung von Begriff und Objekt, von Welt und Natur. Durch diese Trennung verselbständigen sich auch „meine Vorstellungen“ gegen mein Denken, werde ich manipulierbar (transzendentallogischer Grund des Fernsehens). Herr über meine Vorstellungen werde ich nur durch die Kraft der Reflexion (durch die Kritik der intentio recta).
    Die Objektivierung des Vergangenen ist ein Gradmesser der Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft, die nur durch Erinnerungsarbeit aufzulösen ist.
    Bemerkenswert die unterschiedliche Funktion, der unterschiedliche sprachlogische Stellenwert der Affixe in den klassischen europäischen Sprachen im Verhältnis zu den modernen Sprachen, insbesondere zur deutschen Sprache: Während in den alten Sprachen Präpositionen als Präfixe den Verben vorgesetzt werden (prae-, ad-, de-, cum- u.ä.) und Suffixe in erster Linie Mittel der Flexion sind (der Bestimmung des Geschlechts sowie zur Deklination beim Nomen und zur Bestimmung der Person und zur Konjugation beim Verb), kommen in den modernen Sprachen zusammen mit der Verselbständigung der Personalpronomina objektkonstituierende Präfixe (be-, er-, ver-, zer- u.ä., primär bei Verben) und substantivierende, begriffkonstituierende Suffixe (-heit, -keit, -ung u.ä.) hinzu (nach Vorbereitung dieser Formen im Lateinischen: in den Formen des Supinum, Gerundium, Gerundivum u.ä.?). In den modernen Sprachen ist die Trennung von Natur und Welt bereits in die Struktur der Sprachen und in die Grundlagen der Wortbildung mit eingegangen (Ursprung des Nominalismus).
    Ist nicht das „Ungetüm“ (eines der Substantive, die nur aus Prä- und Suffixen gebildet sind) ein Schlüsselwort der deutschen Sprache (gleichsam der Repräsentant des Seeungeheuers: Ist die deutsche Sprache der Bauch des Walfisches, der den Jonas verschlingt, und war die Reise nach Tarschisch die Flucht der griechischen Sprache vor der Wahrheit, die dann im „Bauche des großen Fisches“ endete)?
    Die descensio ad inferos (Jonas im Bauche des Fisches) ist der Beginn der Bearbeitung der Finsternis über dem Abgrund.
    Ist die Etymologie von Leviatan bekannt (Behemoth ist das Getier)? Das Namensregister meiner Vulgata-Ausgabe (von 1824) notiert „Copulatio, Societas sua“ (?).
    Zu Bubers „Geziefer“: Er hat vom Ungeziefer die Negation hinweggenommen. Nach Kluge verweist aber das Stammwort (Geziefer) auf ein ahd. „zebar“, ae. „tiber“, anord. „tivurr“, Worte die allesamt auf das Opfer zurückzuweisen scheinen. Demnach wäre Ungeziefer ein Name für „unreine“, nicht zum Opfer geeignete Tiere? Hat Buber vielleicht vom Ungewitter, in dem das Un- als Verstärker, nicht als Negation erscheint, sich verleiten lassen und Geziefer als eine nur harmlosere Form des Ungeziefer aufgefaßt (vielleicht auch den antisemitischen Gebrauch des Wortes „Ungeziefer“ ausschließen wollen)? – Vgl. auch Unkosten, Unwetter, in denen das Un- keine Negation, sondern eine Steigerung einer bereits gegebenen negativen Konnotation des Stammworts ausdrückt.
    Läßt nicht an Hegels Bemerkung, wonach die Natur, nachdem die Idee sie frei aus sich entlassen hat, den Begriff nicht halten kann, die Logik des Naturbegriffs (Natur als Inbegriff aller Objekte: Inbegriff des Begriffslosen) sich demonstrieren? Vgl. hierzu insbesondere die Hegelsche Begründung: sein Hinweis auf die unterschiedlichen Gattungen und Arten der Tiere, die es nach der Logik des Begriffs nicht geben dürfte. Ist nicht der Begriff der Ganzheit ein spätes Echo dieser Logik, und richtet sich dagegen nicht Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“?
    Das Inertialsystem ist der dogmatische Kern der Urteilsmagie. Das weist zurück auf den Schuldzusammenhang, den das Inertialsystem (zusammen mit dem Geld und der Bekenntnislogik) verkörpert.
    Wer glaubt, die Abstraktion verwerfen und sich der Unmittelbarkeit des Konkreten versichern zu können, verfällt der Abstraktion.
    Ist nicht Spenglers „zweite Religiosität“, die heute die Religionen durchherrscht, die die Agonie begleitende Euphorie?
    Spätestens im Barock ist die Religion zum Trost der Herrschenden geworden.
    Sind nicht Wendungen wie „Ich glaube zu wissen“ und „Ich würde sagen“ Symptome des gegenwärtigen Zustandes des kosmos noetos?
    Zu den Vätern im NT vgl. Eph 64 und Kol 321: Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht.
    Gehört nicht zu dem Satz „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ auch der andere: „Gott ist kein Gott der Toten, sondern der Lebenden“?
    Die Jakobus-Wendung „nicht schnell zum Zürnen“ verweist darauf, daß
    – das Zürnen ein Urteilen ist und
    – vor dem Urteil die Hemmung des Sich-Hineinversetzens in den, über den das Urteil ergeht, steht.
    Sind die Tefillin (die Zeichen an Hand und Stirn) ein Symbol der Bekenntnislogik?
    Sch’ma Jisrael: Das Leuchten des Angesichts ist das Licht des Hörens. Das Dunkel des gelebten Augenblicks ist der blinde Fleck im Kern der Philosophie: das tode ti.
    Ist der Satz, daß man Herr seiner eigenen Phantasien sein soll, nicht der schärfste Einwand gegen das Fernsehen?
    Haben die beiden apokalyptischen Tiere etwas mit der Beziehung des „Ich denke“ zu „meinen Vorstellungen“ (mit der Beziehung von Politik und Ökonomie) zu tun?

  • 15.6.96

    Als Hegel die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik transformierte, hat er die Logik ästhetisiert. Die Spuren davon sind in der Hegelschen Logik nachzuweisen, insbesondere im Stellenwert und in der Funktion des Begriffs des Scheins, aber auch im Konzept der „List der Vernunft“ und nicht zuletzt in der Idee des Absoluten selber. So ist die Hegelsche Logik zur dialektischen Logik geworden.
    Sind nicht die von Daniel Goldhagen herausgearbeiteten Elemente des deutschen Vernichtungs-Antisemitismus in Strukturen aufzuweisen, die den Faschismus deshalb überlebt haben, weil er nie wirklich aufgearbeitet worden ist, insbesondere in der schrecklichen Neigung der Deutschen, sich ständig in den Augen der anderen (des „Auslands“) zu sehen? Dem entsprechen die öffentlichen Reaktionen auf Anschläge auf Ausländer, an denen ein deutscher Innenminister nur schlimm fand, daß sie „im Ausland“ einen so schlimmen Eindruck machen? (Wenn es das Ausland nicht gäbe, dann dürften wir’s?) Die Taten selbst und ihre entsetzlichen Folgen wurden nicht einmal wahrgenommen. Seitdem laufen alle Meldungen über Anschläge auf Wohnungen, in denen Ausländer wohnen, solange die Täter noch nicht ermittelt wurden, mit der stereotypen Erklärung, „ausländerfeindliche Motive“ seien nicht erkennbar.
    Nach 68 haben wir eine Form der Auseinandersetzung mit dem Faschismus gefunden, die es nicht mehr nötig hat, wirklich an die Wunde rühren. Auch das ist ein Resultat der „68er Bewegung“, die aus dem Bann der Logik ihrer Eltern nie herausgetreten ist.
    Hat die Grundthese Daniel Goldhagens nicht schon in den „Minima Moralia“ gestanden: in dem Hinweis auf das Gespräch im Eisenbahnabteil, das in seiner Konsequenz auf einen Mord hinausläuft? Diese Gespräche gibt es auch heute noch, nur daß niemand mehr die Sensibilität aufweist, die die Voraussetzung wäre, um die Konsequenzen dieser Gespräche noch wahrzunehmen.
    Was hat Jean Amery, Primo Levi, Paul Celan in den Selbstmord getrieben, wenn nicht die Erfahrung, daß die schrecklichen Erinnerungen am steinernen Herz der Gegenwart abgeprallt sind, die Öffentlichkeit nicht erreicht haben?
    Es gibt einige Lieblingsvokabeln der deutschen Medien, an denen man das demonstrieren kann. Dazu gehört das Adjektiv „selbsternannt“, auch der Hinweis von Autoren, die mit dem Faschismus sich befassen, daß es ihnen nicht darauf ankäme, „das Entsetzen zu konservieren“. Hier trifft sich die prinzipielle Gehorsamsbereitschaft gegenüber dem Bestehenden mit dem drohenden Hinweis, daß man auf die Gefühle derer, die den Schrecken und das Entsetzen nicht mehr loswerden (die sie „konservieren“), keine Rücksicht mehr zu nehmen braucht. So wurden die letzten, die sich noch erinnerten, unter Quarantäne gestellt, als wären sie Aussätzige.
    Haben die Emotionen, die das Stichwort „Rinderwahnsinn“ provoziert, die nicht unbegründet sind, nicht auch etwas mit diesem verdrängten antisemitischen Bodensatz zu tun?
    Die antisemitische Tradition wurde u.a. konserviert durch eine Tradition, die von den Flüchtlingswitzen nach dem Krieg bis hin zu den Türkenwitzen der 80er Jahre reicht, bevor diese Tradition dann in einer manifesten Ausländerfeindschaft explodierte. Es gibt in der Tat einen Zusammenhang zwischen dem Antisemitismus und einer Witz-Tradition, zu der auch die an Stammtischen wie in der Politik allgegenwärtigen sexistischen Zoten gehören, an denen die Mechanismen der Demütigung des Opfers und der Komplizenschaft der Lachenden sich demonstrieren lassen.
    Dazu gehört auch eine Logik, die in völliger Umkehrung der Grundsätze der Gastfreundschaft davon ausgeht, daß Fremde als „Gäste“ in Deutschland sich anzupassen haben.
    Wer an diese Dinge erinnert, wird prompt darauf hingewiesen, daß es diese Dinge doch nicht nur in Deutschland gibt, sondern auch in den USA, in Frankreich, in Polen und wer weiß, wo sonst noch. Als ob das eine Entschuldigung wäre.
    Sind nicht Vorurteile generell synthetische Urteile apriori, und ist nicht eines der ersten das antisemitische Vorurteil? Das kantische „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ ist zum logischen Repräsentanten des Kollektivs, des Nationalismus und seiner Derivate geworden.
    Mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat Einstein die Lichtgeschwindigkeit und den ganzen Bereich der Erscheinungen, auf den sie sich bezieht, von der empirischen auf die systemische Ebene verschoben. Es war die besondere Leistung der „Kopenhagener Schule“, daß sie, indem sie Einstein für veraltet erklärte, diese Einsicht verdrängt hat. Das gilt vor allem für ihre deutsche Version, für die Gruppe um Heisenberg und Weizsäcker. So brauchten sie sich um die Irritationen der speziellen Relativitätstheorie nicht mehr zu kümmern, ersparten sich aber zugleich die Peinlichkeiten der „deutschen Physik“.
    Wird nicht heute das Konzept der Gewaltenteilung dadurch obsolet, daß die Gewalt, um deren Teilung es geht, aus der Politik in die Ökonomie gerutscht ist? Gesetzgebung, Verwaltung und Richten: Heute vereinigt sich das in der Gewalt, die im Tauschprinzip (im Wertgesetz, in der normativen Gewalt des Marktes) sich verkörpert.
    Ist nicht die Gewaltenteilung ein Säkularisat der Trinitätslehre und durch sie vorbereitet? Und hängen nicht beide auf eine unterirdische Weise mit der Dreidimensionalität des Raumes, mit den Verdrängungsprozessen, in denen dieses Konstrukt sich konstituiert, zusammen: mit der Abstraktion von den qualitativen Differenzen der räumlichen Dimensionen?

  • 9.6.96

    Das Inertialsystem ist der exzentrische logische Kern einer Sprache, die das dialogische Element verdrängt hat, die nur noch die stumme Gemeinschaft der Gattung herstellt und repräsentiert. Theologie als „Rede von Gott“: Erinnert die Rede nicht an das stumme Volk und den durch die Predigt zum Monologisieren verurteilten Pfarrer? Die Verwaltung verhält sich zu den Subjekten wie das Inertialsystem zu den Objekten. Der Reflex des Inertialsystems im Subjekt ist die Bekenntnislogik. War nicht Konstantin in der Tat ein Kirchenvater, wobei er (wie andere Väter auch) nicht wußte, was er tat, als er sein Votum für die homousia abgab (ist der Kern der homousia, der Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater, nicht das prophetische Wort <„Spruch des Herrn“>, als dessen Verkörperung und Erfüllung der „Logos“ sich begreift)? Der „Negativismus“ der kritischen Theorie, den übrigens weder Horkheimer noch Adorno streng durchgehalten hat, in den vielmehr beide etwas von der Tradition der Lehre mit eingeschmuggelt haben, ist nur in theologischem Zusammenhang, und d.h. nur außerhalb der monologischen Logik des Wissens, wenn nicht zu widerlegen, so doch so einzugrenzen, daß sich der Blick auf einen Bereich, der dem Begriff der Theorie sich entzieht, dem Namen der Lehre dagegen aufs genaueste entspricht, neu eröffnet. Nur in theologischem Zusammenhang ist der objektive Anspruch der Kritik, der dem Konzept der kritischen Theorie zugrundeliegt, noch zu begründen. Zu gewinnen ist dieser Begriff der Kritik, der zuerst als Kritik der politischen Ökonomie sich entfaltete, in der Kritik der Naturwissenschaften. Deshalb war und ist Kant in diesem Zusammenhang wichtiger als Hegel.

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