Adorno

  • 4.6.96

    Der Begriff der Geltung gehört zu den Konstituentien des Weltbegriffs, er fällt unter das Paradigma Rind und Esel, er ist ein Teil des Jochs, das wir andern auferlegen. Geltung ist Geltung für andere, und nur insofern auch für mich. Er gehört zum Begriff einer Welt, in der prima facie nur ich lebe und alle anderen (und damit auch ich selbst) für mich anorganische Materie sind.
    „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, als Gottes Ebenbild schuf er ihn.“ Auf wen bezieht sich im ersten Teil des Satzes das das Possessivpronomen „sein“, auf Gott oder auf den Menschen (und auf wen das Personalpronomen im zweiten Teil des Satzes)?
    Gershom Scholem hat darauf hingewiesen, daß das Konstrukt einer creatio mundi ex nihilo in der Schrift keinen Anhaltspunkt findet und erst recht spät in der Theologie auftaucht. Ist das nihil nicht das nihil der Barmherzigkeit, und ist das Konstrukt nicht Ausdruck eines Schöpfungsbegriffs, der vollständig im Zeichen des strengen Gerichts steht? Das jedenfalls scheint sich in der Diskussion dieses Topos, auch in der Kabbala bis hin zu Isaak Luria, eindeutig nachweisen zu lassen. Ist das Zimzum nicht ein Akt der Scheidung des strengen Gerichts von der Barmherzigkeit?
    Liegt nicht das Problem des Schöpfungsbegriffs darin, daß sich, seit der Entfaltung der Weltreiche, zuletzt der Herrschaft Roms, und seit dem Ursprung des Weltbegriffs, der Staat in den Begriff der Schöpfung trübe sich eingemischt hat (der theologische Begriff der „Entsühnung der Welt“ durch den Opfertod Jesu exkulpiert gleichsam apriori den Staat)?
    Adorno und Rosenzweig versöhnen heißt, das Eingedenken der Natur im Subjekt durch die Kritik des Historismus zu ergänzen, zu berichtigen und zu erfüllen.

  • 27.5.96

    Verdinglichung hat einen magischen Kern. Deshalb konvergiert in Adornos Kritik der Verdinglichung der aufklärerische mit dem theologischen Impuls.
    Alle Magie ist Urteilsmagie, die Urteilsform die Wurzel der Magie, ihr Wurzelgrund, der Boden, aus dem sie erwächst: die subjektiven Formen der Anschauung, deren Reflexion das dringendste Desiderat des gegenwärtigen Standes der Aufklärung ist.
    Die Sprache unterscheidet sich von der naturwissenschaftlichen Erkenntnis durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion; in dieser Fähigkeit gründet die erkennende Kraft des Namens.
    Die „Wertfreiheit“ der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die Trennung von Wert und Sein, wird erkauft mit der Instrumentalisierung der Schuld (mit der Herrschaft des Schuldverschubsystems). Die Urteilsmagie ist die Kehrseite dieser Instrumentalisierung der Schuld.
    Das Schuldverschubsystem begründet die entlastende Logik des Weltbegriffs.
    Ist nicht Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns ein Produkt des undurchschauten Glaubens an die magische Kraft des Urteils?
    Wie hängen die zehn ägyptischen Plagen mit der Konstituierung des Inertialsystems zusammen?
    Gibt es nicht bei Marx eine Stelle, an der es heißt, daß die Gesellschaft sich keine Probleme stellt, die sie nicht auch zu lösen vermag? Wie hängt das mit dem von Hinkelammert in seiner „Kritik der utopischen Vernunft“ zitierten Topos zusammen, daß das Bestehende in sich selbst die Kraft der Selbstrechtfertigung hat? Trifft dieser Satz nicht die Realität genauer (aber auch erschreckender)?
    Das Urteil eines Gerichts wird durch Beschluß gefällt. Drückt in dem Präfix be- (das im Englischen an die Stelle des Infinitivs „Sein“ tritt), in Worten wie Bekenntnis, Bekehrung, Beschluß, die Gewalt des Inertialsystems (der subjektiven Formen der Anschauung) über die Sprache sich aus? – Was unterscheidet den Beschluß vom logischen Schluß, das Bekenntnis vom Glauben und die Bekehrung von der Umkehr?
    Der Satz Hamlets „To be or not to be, that’s the question“ ist eigentlich nicht übersetzbar. Das mag man an dem späten Echo in Heideggers Satz, der etwas ganz anderes ausdrückt: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, ermessen. In diesem Satz gründet jene Hypostasierung der „Frage“, die in Begriffen wie „Seinsfrage“, „Kostenfrage“, „Judenfrage“, die keine Antwort, nur noch Maßnahmen erwarten, sich aus. Hängt dieser Begriff der Frage nicht mit Miskottes Titel „Wenn die Götter schweigen“ zusammen, und widerlegt er ihn nicht?
    Ursprung des pathologisch guten Gewissens: Heideggers Fundamentalontologie hat der Logik des Inertialsystems, die die benennende Kraft der Sprache storniert, auslöscht, auch darin sich gleichgemacht und unterworfen, daß sie die Differenz zwischen Täter und Opfer verwischt, den Tätern die Möglichkeit eröffnet, sich vor sich selbst als Opfer zu fühlen. Sie entspricht damit dem Stand der Aufklärung.
    Im Paradies waren die Menschen nackt, aber sie schämten sich nicht. Erst nach dem Sündenfall „gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Ob sie sich dann schämten, wird nicht mehr gesagt, nur noch durch ihr Handeln stumm demonstriert: Sie machten sich Schurze aus Feigenblättern, die Gott dann durch Röcke aus Fellen ersetzte. Anmerkungen hierzu:
    – „Da gingen ihnen die Augen auf“: Sie lernten, sich in den Augen der andern zu sehen; war das nicht die Folge der Erkenntnis des Guten und Bösen und zugleich die Basis der Objekterkenntnis, der Ursprung der objektivierenden Kraft des Denkens?
    – Sind die „Röcke aus Fellen“ Symbol der Trennung von Vernunft und Physis, von Ich und Es, Hinweis auf den Ursprung sowohl des Unterbewußten als auch der unabhängig von der subjektiven Willkür und Kontrolle ablaufenden animalischen Funktionen in der eigenen Physis, auf den Ursprung des Triebs, der Begierde?
    Bezieht sich der gesamte Vorgang nicht auf einen sprachlichen Sachverhalt? Nur wer gelernt hat, sich in den Augen anderer zu sehen, steht unter dem Zwang, über andere als Objekte zu reden.
    Goethe hat die Farben die „Taten und Leiden des Lichts“ genannt. Ist nicht die gesamte Grammatik der corpus der Taten und Leiden der Sprache?
    Kommt der Titel Pharao so nur in der Bibel vor, oder ist er auch durch andere Quellen belegt? Der Kleine Pauly nennt die Bedeutung des altägyptischen Titels (das „Große Haus“), der „so auch im AT benutzt“ worden sei (Bd. 4, Sp. 711). Adelheid Schott schreibt in „Schrift und Schreiber im Alten Ägypten“, daß „schon griechische Autoren … uns das Wort als `Pharao`“ überliefert hätten (?), allerdings ohne Quellenangabe (S. 47); später verweist sie auf den etymologischen Zusammenhang des Wortes Papier (papyros) mit dem Wort Pharao („das des Hauses“, „das der Verwaltung“, S. 67).

  • 25.5.96

    Hängt die Unterscheidung von Wut und Zorn, die so nur im Deutschen möglich ist, sprachlogisch mit der Bildung der Begriffe Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Seligkeit, Dreistigkeit u.ä. zusammen? Keine Sprache steht so im Bann der Herrschaft wie die deutsche, in der es möglich war, aus der Verurteilung des Faschismus den Schleier zu weben, hinter dem der neue, recycelte Faschismus sich bildet. Aber heißt das nicht auch, daß die Entschlüsselung der Logik der Herrschaft über die Reflexion der Ursprungsgeschichte und der Logik der deutschen Sprache möglich sein müßte?
    Gilt das Wort vom imperativen Charakter der Attribute Gottes auch vom göttlichen Zorn und Grimm? Ist der Grimm nicht ein nach innen gewendeter Zorn? Der Zorn treibt die Röte ins Gesicht, während der Grimm das Antlitz entstellt (das Gesicht des Ergrimmten verfällt).
    Ist das Inertialsystem (als Kelch des göttlichen Grimms) das entstellte Angesicht Gottes?
    Theologie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit: Wenn Gott den Himmel aufspannt, dann ist das Inertialsystem ein Produkt der Hybris, die dem Wahn verfallen ist, dieses Aufspannen ließe sich als Akt der Subjektivität reproduzieren.
    Die Utopie der Öffentlichkeit entspricht einer Welt, in der der Geist die Erde erfüllt, wie die Wasser den Meeresboden bedecken.
    Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, scheint heute aus der Sphäre des Öffentlichen und Politischen in die Sphäre des Privaten einzudringen und auf die Strukturen der unmittelbaren persönlichen Beziehungen sich auszubreiten. Hier aber wird die Paranoia an sich selbst unerkennbar, weil alle unter ihrem Bann stehen: Bewußtsein selber wird zum blinden Fleck (ein schwarzes Loch, das durch Unterhaltungsindustrie, durch „virtual reality“, zu füllen ist). Diese Paranoia ist nur noch an ihren Folgen erfahrbar.
    Beginnt nicht der Satz „Leistung muß sich wieder lohnen“ in der letztmals gewendeten F.D.P. in Figuren wie Gerhard, Solms, Rexrodt und Kinkel sich mit entlarvender Deutlichkeit zu enthüllen, nackt sich zu manifestieren? Das Wort appelliert an den Selbsterhaltungsinstinkt in einer paranoisierten Welt. Was sie unter Leistung versteht, hat die Partei selber in einem Augenblick der Wahrheit, als sich selbst als „Partei der Besserverdienenden“ definierte, aufs deutlichste zum Ausdruck gebracht.
    Der Zusammenhang der Quantenmechanik und der Mikrophysik mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt sich an der zeitlichen Struktur, die durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in die räumliche Ausdehnung hineingebracht wird, demonstrieren: Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat das räumliche Nebeneinander mit einem zeitlichen Nacheinander verschmolzen. Resultiert die Mikrostruktur der Materie aus der Anwendung der mathematischen Strukturen des Inertialsystems auf Objekte, denen diese Strukturen in einem noch aufzuschlüsselnden Sinne „äußerlich“ sind?

  • 23.5.96

    Theologie im Angesicht Gottes ist die Lösung des Problems der Verbindung von Theologie und Gebet: der Versuch, die Welt so zu begreifen, wie sie im Licht Seines Angesichts erscheint. Das Licht in dem Satz „Ihr seid das Licht der Welt“ hat seine Quelle im Leuchten Seines Angesichts. Die Kritik des Anthropomorphismus ist der Weg der falschen Befreiung vom Mythos (der „Weg des Irrtums“). Hilfsmittel dieser falschen Befreiung (und Quellpunkte des Irrtums) sind die Totalitätsbegriffe (Wissen, Welt und Natur), mit denen das Subjekt gegen die Gotteserkenntnis sich abschirmt. Erinnerungsarbeit geht davon aus, daß die vorwissenschaftlichen „Weltbilder“, der Mythos wie auch die Astrologie, keine Lösungen sind, wohl aber Erinnerungen an ein Problem, das wir verdrängt haben, und dessen Verdrängung unser Bewußtsein verhext. Wenn heute keiner mehr an die Auferstehung glaubt, dann hängt das mit Auschwitz zusammen. Sehen Verwaltungen ihre Klientel nicht als ein Stück anorganischer Materie, als ein lästiges Anhängsel der Gesetze und Verordnungen, die die „Lebenswelt“ der Verwaltungen definieren? Der real existierende Sozialismus ist nicht zuletzt daran gescheitert, daß er glaubte, Gerechtigkeit mit Hilfe der Verwaltung durchsetzen zu können (diesem Aberglauben sind alle verfallen, die glauben, daß die Dinge besser werden, wenn nur die „richtigen Leute“ an die Macht kommen: an die Macht, das heißt über das Instrument der Verwaltung verfügen zu können, während in Wahrheit die alte Scheiße mit den Verwaltungen sich reproduziert). Zur Aufklärung und Sensibilisierung, denen die Startbahn-Katastrophe gemeinsam mit allen mit Polizeigewalt durchgesetzten Großprojekten den Boden unter den Füßen weggezogen hat, gibt es keine Alternative. Der Verwaltungsblick ist begrenzt durch die verwaltungsinternen „subjektiven Formen der Anschauung“: die Logik der selbstgesetzten Regelungen und Zwänge des Verwaltungshandelns. Der Sozialhilfeempfänger ist dann nur ein Anwendungsfall der Sozialgesetze. (Die Wittgensteinsche „Welt“ gleicht der Welt der Verwaltung: sie „ist alles, was der Fall ist“.) Hängt nicht das Problem der Beziehung von Kapitalismus und Faschismus mit dem der Funktion der Verwaltung im Kapitalismus zusammen? Horkheimers Wort, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen darf, wird heute wahr, wenn man es umdreht: Wer vom Kapitalismus redet, darf vom Faschismus nicht schweigen. Der Faschismus (das Tier aus dem Meere) war eine naturwüchsige und zugleich hybride Form des Verwaltungsdenkens (von hierarchisch organisierter Verantwortungslosigkeit, blindem Gehorsam, Intrige, Zynismus, Empfindlichkeit und Gemeinheit). Er hat die Voraussetzungen geschaffen für eine Welt, in der die von ökonomischen Zwängen determinierte Verwaltung am Ende die Politik abschafft und ersetzt und die Staaten zu Kolonien der alles beherrschenden Ökonomie (des Tieres vom Lande) werden. Ist nicht das Bild der sieben unreinen Geister das biblische Symbol der Verwaltung (und war nicht die Astrologie, die ihr Zentrum im „chaldäischen“ Babylon hatte, eine idolatrische Vorform des Verwaltungsdenkens)? Sind nicht die imperialen Strukturen der Verwaltung über kirchliche Institutionen tradiert worden, insbesondere über das Amt des episkopus (des „Aufsehers“)? Die Verwaltung ist das politische Pendant der subjektiven Formen der Anschauung (der Abstraktion vom Blick des andern): Die kirchliche Verwaltungsorganisation war der gesellschaftliche Grund der Theologie hinter dem Rücken Gottes. Mit der Polizei wurde die vorher nur nach außen gewandte Gewalt des Militärs (die Gewalt der Eroberung und Beherrschung fremder Völker, der Unterwerfung anderer Staaten) nach innen gekehrt. Sind nicht Polizei, Steuerpflicht und Finanzwesen gemeinsamen Ursprungs, und sind sie nicht im kirchlichen Bereich ausgebildet worden (vgl. insbesondere die religions- und herrschaftsgeschichtliche Bedeutung der Inquisition)? Die Kolonisierung des Staates durch die Globalisierung der Ökonomie verändert auch die innere Struktur der privaten Welt: Sie ist das Modell (und das Pendant) der „Kolonisierung der Lebenswelt“, des privaten Bereichs, zu deren Ursprungsgeschichte die Geschichte der Privatisierung der Sexualmoral gehört. Die Medienwelt heute ist die institutionalisierte Leugnung des Namens, eine Einrichtung zur Fütterung des Drachens: Die Einübung des Auf-dem-Bauche-Kriechens und des Staubfressens. Erscheint der Name der Kirche, der ekklesia, nur in der Apokalypse im Plural (in den sieben „ekklesiai“ in Asien)? Zur Verhärtung des Herzens Pharaos: – Bei welchen Plagen treten die Zauberer und Wahrsager Ägyptens auf, wann werden sie in die Plagen mit hereingezogen, wann verschwinden sie? – Wann weist Moses den Pharao darauf hin, daß am dritten Tag in der Wüste das „Scheusal Ägyptens“ geopfert werden soll, und wann ist es wirklich geopfert worden? – Bei welchen Verstockungen ist Gott (JHWH) der Urheber, bei welchen der Pharao, und bei welchen Plagen „bleibt“ das Herz des Pharao verstockt (wie lauten die entsprechenden Übersetzungen von Buber oder Zunz)? Die Prophetie hat einen Aktualitätskern. Im Ernst (zumal im Anblick der fortschreitenden Vergesellschaftung von Herrschaft) gibt es eigentlich nur zwei Haltungen zur Prophetie: Entweder man ist selber Prophet, oder man ist Objekt der Prophetie. Die Historisierung der Prophetie, ihre Neutralisierung durch Objektivierung ist eigentlich unerlaubt, aber ist sie nicht gleichwohl unvermeidbar und notwendig? Und das ist das Modell der Gegenwart, des Aktualitätskerns heute, Grund des Adorno-Worts: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Das Leben, in das wir heute verstrickt sind, ist eigentlich unerlaubt; und die Tatsache, daß es dazu keine Alternative gibt, rechtfertigt es nicht. Notwendig ist seine Reflexion, auch wenn sich keine „praktischen Konsequenzen“ daraus ableiten lassen: Liegt hier nicht der Wahrheitskern dessen, was einmal Gottesfurcht hieß?

  • 20.5.96

    Hat nicht das Christentum durch seinen Schöpfungsbegriff den Historismus legitimiert und zugleich sich selbst das Verständnis der Apokalypse verstellt? Wenn die Zeit etwas in der Schöpfung Entsprungenes, nicht unabhängig von ihr Bestehendes ist, kann die Schöpfung nicht selber unter die Zeit subsumiert, und d.h. als etwas nur Vergangenes angesehen werden: dann steckt im Namen der Schöpfung etwas Unabgegoltenes, das in jede Gegenwart hereinreicht. Diesem Gedanken kommt die jüdische Tradition, der zufolge Gott die Schöpfung jeden Tag erneuert, am nächsten. Zwischen der jüdischen und der christlichen Tradition liegt ein Konstrukt, das aus der christlichen theologischen Tradition hervorgegangen ist, und deren mit dem Dogma und mit der Form des Bekenntnisses ausgebildete Logik mit ihrer Abtrennung und Verselbständigung sich gegen sie gekehrt hat: Raum und Zeit als „subjektiven Formen der Anschauung“ (das Inertialsystem). Das Inertialsystem ist nicht nur das Referenzsystem aller naturwissenschaftlichen Begriffe, Erscheinungen und Gesetze, es ist zugleich das Sklavenhaus der Natur. Und der naturwissenschaftliche Erkenntnisbegriff ist ein pharaonischer Erkenntnisbegriff, zu dessen Vorgeschichte die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos gehört (Adornos Kritik der Verdinglichung war ein Kampf gegen die Verhärtung des Herzens). Waren Kain und Abel, wie später Esau und Jakob, Zwillinge; und welche anderen Zwillinge gibt es außerdem in der Schrift? Wenn Kain und Abel Zwillinge waren, dann waren die ersten Zwillinge ein Mörder und sein Opfer; Jakob (der „Listige“) hat seinem Bruder das Erstgeburtsrecht abgekauft (und Gott hat „Jakob … geliebt, Esau aber gehaßt“ – Mal 12f). Hängt das mit der Exodus-Geschichte und der jüdischen Opfertradition verknüpfte Problem der Erstgeburt hiermit zusammen? Und in welcher Beziehung steht die „List“ Jakobs zu der der Schlange, die das „listigste“ aller Tiere war? – Die Söhne Judas von der Thamar waren Zwillinge; waren auch die Söhne des Eber, Peleg und Joktan, Zwillinge? Ist nicht Kain (der Gründer der ersten Stadt, die er nach seinem Sohn benannte) die erste Erstgeburt überhaupt? Das Gute ist ein Objekt des Sehens („und Gott sah, es war gut“). Ist Elohim der Gott, der sieht (der Richtende), JHWH hingegen der, der hört (der Barmherzige), und liegt darin der Grund, daß der Name JHWHs nicht ausgesprochen werden darf? Und ist nicht Elohim der Gott, der mißbraucht werden kann, in der Idolatrie, im Götzen-, Opfer- und Sternendienst? Als den Menschen die Augen aufgingen, erkannten sie, daß sie nackt waren.

  • 11.5.96

    Das Schuldverschubsystem gründet in der Angst. Die Apokalypse aber ist das einzige Mittel der Angstbearbeitung, während die gesamte Geschichte der Aufklärung eine Geschichte der Angstverdrängung ist. Das Instrument der Angstverdrängung ist das Urteil, die Trennung von Objekt und Begriff, Natur und Welt (Tiere sind urteilende Wesen).
    Die großartige Stelle im Jakobusbrief, in der es heißt, das Gott nicht schilt. Das Donnern und das Brüllen Gottes ist demnach kein Schelten.
    Die zehn ägyptischen Plagen sind für den Pharao ein Lernprozeß, der immer tiefer in die Verstockung hineinführt. Und erinnert dieser Lernprozeß nicht an den „Lernprozeß“, der für die Deutschen mit dem Namen Auschwitz verbunden ist (der als Objektivationsprozeß, über seine Historisierung, am Ende nur in die Verstockung führt)?
    Der Weltuntergang ist ein Weltuntergang nur für den Pharao und für Mizrajim, für die er in Finsternis und in der Tötung der Erstgeburt endet, während er für Israel der Weg der Befreiung ist. (Vgl. die christlichen Übersetzungen der zehn Plagen mit denen von Zunz und Buber.)
    War nicht die Untersuchung des autoritären Charakters von Adorno und anderen eine Material- und Konstruktionsanalyse des Kelchs?
    Ist nicht die Geschichte von Kreuz und Auferstehung Jesu seit je nach dem pharaonischen Modell verstanden worden: Der Oberbäcker wurde gehängt, der Mundschenk erhöht?
    Der Pharao, der Joseph nicht mehr kannte, kannte auch JHWH nicht, den „Gott der Hebräer“. Hängt die Trennung von Mizrajim und Israel (in der Geschichte der zehn Plagen) zusammen mit der Verstockung durch JHWH? Und ist nicht auch der Name Mizrajim (wie der des Pharao) ein Hinweis zum Verständnis der Verstockungsgeschichte?
    Sind Pharao und Mizrajim ein früher Hinweis auf Alexander und das Durchschlagen des gordischen Knotens? Das Durchschlagen des Knotens hat wie die Verstockung des Herzens des Pharao die Katastrophe instrumentalisiert und verdrängt, deren letztes Opfer das verstockte Herz selber ist.
    Natur und Welt: Die Lehre von der creatio mundi hat den Staat zum creator gemacht, während, wenn die Natur mit der Schöpfung gleichgesetzt wird, das Subjekt sich als Schöpfer über die Natur erhebt. Der Geniebegriff und das Selbstverständnis der Kunst in der modernen Welt (die sich als „schöpferisch“ versteht) gründen in diesem Naturbegriff.
    (Anmerkung zur Kritik der politischen Ökonomie: Das Wertgesetz und das Tauschparadigma entsprechen dem Naturbegriff, die Schuldknechtschaft und das Schuldparadigma dem Weltbegriff.)
    Das Jüngste Gericht ist das Gegenteil des Weltgerichts: Im Kontext der Idee des Jüngsten Gerichts ist die Vergangenheit nicht abgeschlossen. Die Idee des Jüngsten Gerichts revoziert das perfectum: die Vorstellung einer „vollendeten Vergangenheit“. Das Jüngste Gericht widerspricht der verdinglichenden Gewalt des Todes, die dem Begriff des Weltgerichts zugrundeliegt, und setzt dagegen die Idee der Auferstehung, das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht: die Sprengung der Verliese des Todes. Das Gericht der Barmherzigkeit ist auch darin das Gegenteil des Weltgerichts: Es spricht die Opfer frei, nicht die Täter.
    Das wirft ein Licht auf die 68er Wende: Sie hat das Jüngste Gericht mit dem Weltgericht verwechselt; sie hat an die magische Kraft des Urteils geglaubt und die Opfer vergessen.
    Die Erben der Reichen des Neuen Testaments sind die, die die Vergangenheit nur ausbeuten, den Mehrwert abschöpfen und das Vergangene insgesamt verdammen.
    Adam hat im Paradies die Tiere benannt, und es war keines daruntern, das ihm ein „Beistand gegen ihn“ war. Wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen, hätte Eva die Tiere benannt?
    Ist das Erstgeburtsproblem (das Erste, das den Mutterschoß durchbricht) ein Problem der Säugetiere, und hängt es mit der Urgeschichte der Domestikation zusammen? Kann es sein, daß die Domestikation über die Entwendung der Erstgeburt, die dann von Menschen aufgezogen wurde, gelaufen ist, und hängt die Bedeutung des Opfers der Erstgeburt damit zusammen, daß hier Gott die Schuld auf sich nimmt? (War die Erstgeburtsregelung eine gegen die Schuldknechtschaft und das Sklaventum gerichtete Regelung? Spricht dafür nicht auch der hebräische Name der Barmherzigkeit?)
    War es eigentlich so falsch, wenn die am fünften Tag von Gott „erschaffenen“ großen Meerestiere (die der Fisch im Buch Jona zitiert) als Walfische verstanden wurden, die Säugetiere waren?
    Bezieht sich nicht die Kritik der Naturwissenschaften auf ihr Verhältnis zur Sprache, zielt sie nicht auf die Revozierung der kantischen Definition der Wahrheit als „Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand“ (die redundant ist: auch der Gegenstand ist Begriff, und der Begriff Gegenstand)?
    Hat der letzte Satz des Jakobusbriefs etwas mit dem Gleichnis von dem einen Sünder und den 99 Gerechten zu tun, und kann es sein, daß das Wort vom Lösen sich auf die „Freude im Himmel“ über den einen Sünder bezieht, der sich bekehrt (nur der rettet seine Seele vom Tode, der mit dem einen Sünder die Welt vom Tode rettet)?

  • 9.5.96

    Joseph und Moses haben mit dem Haus des Pharao zu tun, Daniel und Esther mit dem des Königs von Babylon.
    Das Dogma war der erste Versuch der Begründung einer transzendentalen Logik, der Konstruktion synthetischer Urteile apriori. Hierbei hatte die Opfertheologie die Funktion, die bei Kant die subjektiven Formen der Anschauung hatten.
    Ist nicht das Dogma die Rekapitulation Ägyptens, die Rekonstruktion des Sklavenhauses, des Eisenschmelzofens und der Verhärtung des Herzens?
    Daß Himmel und Erde auch sprachlicher Natur sind, daß der Himmel, der im Anfang erschaffen wurde, am zweiten Tag als Name verwandt wird.
    Das Erzählen verhält sich zur Geschichtsschreibung wie das Wort zur Schrift. Beide unterscheiden sich durch ihre Sprachlogik.
    Beschreibt nicht die Auferstehung, die Himmelfahrt und das Sitzen zur Rechten Gottes das Verhältnis der Evangelien zur Thora?
    Die Logik der Schrift ist der Quellgrund des Weltbegriffs; beiden liegt die Logik des Seins für Andere zugrunde. Sind nicht die Schlange und das Neutrum, die Verstockung und der Kelch allesamt Explikationen der Logik der Schrift?
    Namen wie die des Armen, des Fremden, der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit, der Wahrheit sind mit einem Bedeutungsüberschuß aufgeladen, den man nicht ungestraft verwerfen darf. – Unterscheidet sich nicht Buber (und das gilt auch für die Endgestalt seiner Übersetzung der Schrift) von Rosenzweig dadurch, daß er vor der Übermacht dessen, was ist, kapituliert, und drückt sich das nicht in seiner Sprache aus?
    Haben wir nicht das, was in den Evangelien Vollmacht heißt, zur Metaphorik entmächtigt und domestiziert?
    Wer ist in der Geschichte von den sieben unreinen Geistern „der Mensch“, und was hat es mit dem (am Ende „leeren, gereinigten und geschmückten“) Haus auf sich? Sind beide nicht auf einander bezogen wie in der Philosophie Subjekt und Welt? Und ist nicht die Welt das Haus? Die Konstituierung und Entfaltung des Weltbegriffs ist die Geschichte der Austreibung des einen unreinen Geistes und zugleich die Vorbereitung der Rückkehr der sieben unreinen Geister. Hat diese Geschichte nicht etwas zu tun mit der anderen Geschichte vom Sünder und den 99 Gerechten (den Bewohnern des leeren, gereinigten und geschmückten Hauses) und mit der Geschichte von der verlorenen Drachme? – „Und die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten“: Steckt darin nicht ein Hinweis auf Off 1318?
    Liegt nicht die Bedeutung der transzendentalen Ästhetik für die transzendentale Logik darin, daß sie das Urteil unter das Gesetz des Objekts zwingt?
    Der Weltbegriff macht die Vernunft zur instrumentellen Vernunft; deshalb können die Freunde der Welt keine Freunde Gottes sein.
    Hat nicht die Philosophie erst den Samen zu etwas Männlichem gemacht, ist nicht in der Schrift der Same der Same der Frau – und nur als Same der Schlange männlich?
    Wer ist im Zoo hinter Gittern: die Tiere oder die Menschen (die Besucher), und wer blickt wen an: die Menschen die Tiere oder die Tiere die Menschen? Die gleiche Frage gilt auch für Museen und Kunstausstellungen. – Nur im Objekt blicken wir uns selbst an; deshalb sind Objekte Gegenstand der Anschauung (bzw. vor Gericht Gegenstand des „Augenscheins“).
    Miskotte hat mir noch einmal die Wolken vor Augen geführt, aus denen mich Adorno wie ein Blitz getroffen hat.
    Wird Dieter Georgi nicht zum Opfer einer Äquivokation, wenn er den Bekenntnischarakter des Rechts mit dem Hinweis darauf begründet, daß dieses Recht sich „am Recht des Nächsten“ orientiert? Gehört es nicht zur Logik des Rechts, daß (zusammen mit dem Recht des Eigentums) nur das eigene Recht gesetzlich sich objektivieren läßt? Dem „Recht des Nächsten“ würde ein „Gericht der Barmherzigkeit“ entsprechen, das nur auf der Grundlage des Gebots, nicht auf der des Gesetzes sich bestimmen läßt.

  • 18.4.96

    Kritik der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele: Wann und an welchem Feuer hat sich das Subjekt entzündet (Pathologie der Empfindlichkeit)?
    Die Subjektivierungsgeschichte, die über die sinnlichen Qualitäten die Herrschaftskritik und am Ende die Schuld ergreift, steht unter dem logischen Zwang des Objektbegriffs. Mit dem Objektbegriff ist die Subjektivierungsgeschichte mitgesetzt, aber in diesem Objekt, das seine eigene Projektion ist, erkennt das leere Subjekt am Ende nur noch sich selber wieder.
    Zum historischen Objektivierungsprozeß gehört die Ausgrenzung der Barbaren, die im Christentum unter dem Namen der Heiden sich wiederholt.
    Adornos Philosophie ist der ungeheure Versuch, den Bann einer Logik zu brechen, die nur so lange wirksam ist, wie sie dem Licht des Bewußtseins sich entzieht. Dieses Verfahren hat etwas mit dem Satz zu tun: Ihr seid das Licht der Welt. Und mit dem Satz: Der ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht.
    Hinter dem Rücken: Das ist die Gemeinheit, die sich zugleich selbst verleugnet und dementiert, die nicht weiß, was sie tut; die das pathologisch gute Gewissen gleich mitliefert.
    Die Bilder der Schrift gehorchen einer Symbollogik, die eine Sprachlogik ist.
    Die Instrumentalisierung gehorcht dem Gesetz der Verwüstung und befördert es zugleich.
    War nicht die theoretische Entwicklung der Naturwissenschaften mit Planck und Einstein beendet, und alles weitere bloße Ausmalung eines Bildes, dessen Rahmen und dessen Grundmotiv vorgegeben war?
    Schließt der Plural in dem Wort „Lasset uns den Menschen machen“ nicht schon die Menschen mit ein (die an ihrer eigenen Menschwerdung mitzuwirken berufen sind)?
    Hören und Sehen: Das Wissen gründet in der optischen Erinnerung (im „Gesehenhaben“), die Offenbarung im Hören.
    Daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet, heißt das nicht, daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit zur Schuldreflexion (die Freiheit vom Rechtfertigungszwang) wartet, die auch die Natur vom Bann befreit?
    Mit dem Urschisma haben nicht nur wir uns von den Juden getrennt, sie ihres Namens beraubt, indem wir uns als das neue Israel definierten, wir haben zugleich die Völker, die wir selber sind, zu Heiden umdefiniert und externalisiert: So sind wir erst zu „Heiden“ geworden.

  • 21.3.96

    Schließen sich das „geisteswissenschaftliche“, objektivierende, vergleichende Lesen und das interlineare Lesen (z.B. die Lektüre von Adornos „Philosphie der Neuen Musik“ als „Philosophie der modernen Naturwissenschaften“) nicht aus: die „Philosophie der Neuen Musik“ geht über Schönberg und Strawinsky und nicht über Einstein und die Kopenhagener Schule? Aber ist das interlineare Lesen nicht das eigentliche lernende Lesen?
    In der Natur gibt es keinen Kreis und keine Kugel; das aber heißt: die Orthogonalität ist eine Unterstellung, ein Instrument der projektiven Erkenntnis.
    Die Vorstellung der unendlichen Ausdehnung des Raumes ist eine durch die Logik der Orthogonalität erzeugte Zwangsvorstellung.
    Hängt nicht Joachim Ritters Bemerkung (in seinem Essay über die Subjektivität), daß das Subjekt im Kontext der Vergegenständlichung der Natur (und d.h. zusammen mit dem Ursprung des Naturbegriffs) sich konstituiert, mit dem Glauben an die magische Kraft des Urteils zusammen? Und wird die Rittersche Bemerkung nicht durch den Satz widerlegt, daß die Verurteilung des Faschismus den Bann nicht sprengt, sondern ihn verstärkt? Ritter hat übersehen, daß die Gegenständlichkeit der Natur im herrschaftsgeschichtlichen Prozeß, im Kontext der Klassenscheidung, sich konstituiert. Gegenständlich wird die Natur im Prozeß der gesellschaftlichen Naturbeherrschung, die auch die Herrschaft in der Gesellschaft (die Scheidung von oben und unten) unter sich begreift und mit einschließt. Erkenntnistheoretisches Pendant der Klassenscheidung sind die subjektiven Formen der Anschauung, ist insbesondere die Form des Raumes, die die Abstraktionsleistung gleichsam automatisch vollbringt, zugleich die Abstraktion selber verdrängt, ihr Produkt, das „Objekt“, als ein Stück Natur anschaut.
    Die objektivierte Natur erzeugt nur den Schein der Freiheit. Die Freiheit selbst gründet in der Fähigkeit, den zugrunde liegenden Objektivationsprozeß als einen Herrschaftsprozeß zu reflektieren.
    Der Rittersche Freiheitsbegriff gehört zu einer Geschichte, in der es Freiheit nur für die gibt, die oben sind.
    Das göttliche Gebot ist nur eine Richtschnur des Handelns, kein Maßstab für das Urteil über das Handeln der andern. Vor diesem Urteil steht die Frage: „Hättest du anders gehandelt, wenn du in seiner Lage gewesen wärest?“ Hierzu gehört der Satz vom Ochs und Esel, die man nicht gemeinsam vor den Pflug spannen soll, Grund des Levinasschen Konzepts der Asymmetrie. Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr, nicht wer sie andern als Joch auferlegt. Genau das unterscheidet das Gebot vom Gesetz. Die Universalisierung, die aus dem an mich gerichteten Gebot ein Gesetz für alle macht, leugnet das Gebot. Das ist der utopische Grund von Jer 3134.
    Das Bekenntnis „Du bist der Sohn Gottes“ ist das Bekenntnis Petri und zugleich der Dämonen. Kann, wer heute dieses Bekenntnis fordert, die Frage beantworten: Was hat er davon, wenn ich bekenne, daß er der Sohn Gottes ist? Die Unbeantwortbarkeit dieser Frage macht das Bekenntnis zum Opfer der Vernunft. Die Bekenntnislogik ist das Produkt der Verinnerlichung des Opfers, die der Dialektik der Aufklärung zufolge die Geschichte der Zivilisation begleitet. Und diese Verinnerlichung des Opfers ist der Preis für den historischen Objektivationsprozeß: für den Prozeß, in dem Vergegenständlichung und Instrumentalisierung zusammenfallen, und in dem die instrumentelle Vernunft sich gebildet hat.
    Religion als Blasphemie, das ist die Religion unterm Bann der instrumentellen Vernunft; das ist die Religion, an die man selbst nicht mehr glaubt, die man braucht als Religion für andere: für die Kindererziehung, aber auch um die Gesellschaft in Schach zu halten; diese Religion ist Ausdruck der Angst, daß die Dämme brechen, das Chaos ausbricht, alles überflutet wird (Männerphantasien). – Bezeichnet nicht der Thalessche Satz „Alles ist Wasser“ den Ursprung der Männerphantasien und den Anteil der Männerphantasien am Ursprung und an der Geschichte der Philosophie, die nicht zufällig die Herrschaftsgeschichte aufs genaueste widerspiegelt?
    Ist Andreas ein beschnittener Alexander (und gibt es den Namen Andreas auch außerhalb der Evangelien), und verkörpert der Name des Philippus die Erinnerung an den Vater des Alexander (der seinen Vater ermordet hat)?

  • 14.3.96

    Das geozentrische Weltbild war der Kern des Erkenntnisprozesses, in dem die Elemente des Inertialsystems sich herausgebildet haben, an dem zugleich die Logik der Vermittlung sich demonstrieren läßt. Zum geozentrischen Weltbild gehört das Konzept der theoria, es bleibt im Bann der Anschauung, als deren gegenständliche Selbstreflexion es sich begreifen läßt. Die Geozentrik definiert die Rahmenbedingungen des ruhig anschauenden Subjekts, das den am Himmel angeschauten Bewegungen als passiver Zuschauer nur beiwohnt, nicht selbst (wie das Subjekt des heliozentrischen Systems) in diese Bewegungen mit einbezogen ist. Erst bei Kopernikus wird auch die Erde zu einem astronomischen Objekt, ein Vorgang, in dem zunächst die sinnlichen Qualitäten, dann das Denken und am Ende die Schuld subjektiviert werden, den Charakter der Objektivität verlieren.
    Hätte Adorno begriffen, daß der Schuld- und Verblendungszusammenhang ein Teil des Herrschaftszusammenhangs ist, hätte er sich in der Theologie wiedergefunden. Theologie ist die Reflexion des Herrschaftszusammenhangs; nur als Reflexion des Herrschaftszusammenhangs wird sie zur Theologie im Angesicht Gottes; diese Theologie wäre das Bekenntnis des Namens Gottes, der Beginn der Heiligung des Gottesnamens.

  • 12.3.96

    Wer die Dialektik der Aufklärung einen schwarzen Text (und ihre Autoren schwarze Philosophen) nennt, tut so, als wäre es ins Ermessen oder ins Belieben eines Philosophen gestellt, zu welchen Ergebnissen seine Reflexionen führen. Die Logik, die dem zugrunde liegt, ist die projektive des Nestbeschmutzer-Vorwurfs. Die Bekehrung zum Verfassungs-Patriotismus, die Habermas am Ende vollzogen hat, war eine Bekehrung zum positiven Denken. Sie dogmatisiert die Spaltung von Realität und Meinung, als deren Überwindung Philosophie sich begreift.
    Wie kann man eigentlich Christ sein und zugleich den Kreuzestod Jesu von den politischen Hinrichtungen, von den anderen Kreuzigungen, die die Pilatus-Ära charakterisieren, trennen? Welche Bedeutung hatte hierbei der Gottesmord-Vorwurf, der den kirchlichen Antijudaismus einmal begründet hat (und welche Bedeutung hatte dieser Gottesmord-Vorwurf im Hinblick auf die theologische Rezeption des Weltbegriffs)?
    Allein den Betern kann es noch gelingen …: Gehört zu diesem Begriff des Gebets nicht das Wort Mk 1125 („Und wenn ihr dasteht und betet, so vergebet, wenn ihr etwas wider jemanden habt, …“).
    Es gibt einen Begriff der Politik, der die Ermächtigung in sich zu enthalten scheint, die Anderen zu instrumentalisieren.

  • 29.2.96

    Das kopernikanische System ist die Mühle, die den Kosmos zu Staub zermahlen hat.
    In den neutestamentlichen Berichten vom Letzten Abendmahl ist beim Wein jeweils auch vom Kelch die Rede. Der Unterschied zwischen den Evangelien und dem 1. Korinther-Brief liegt in der Beziehung zur Zeit: Während die Evangelien auf die Zukunft (auf die Erfüllung im Reiche Gottes) verweisen, rückt Paulus den Kelch ins Vergangene („das tut, so oft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis“). Steht Paulus unter dem Bann der Logik der Schrift? Die Wandlungsworte im katholischen Meßopfer zitieren den Paulus: Bezeichnet das Wort „Barmherzigkeit, nicht Opfer“ schon die Differenz zwischen der Erfüllung der Schrift und der des Worts?
    Vgl. aber die unverständlichen Stellen Joh 622ff, die in dem Satz enden: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt …“ (654). Was heißt hier „Essen“ und „Trinken“?
    Der Pharisäismus, für den der Feigenbaum steht, ist mit der Bekenntnislogik in die Theologie eingedrungen und mit der Rechtfertigungslehre vergesellschaftet worden. (Jesu Kritik des Pharisäismus meint nicht die Diskriminierung der Pharisäer, sondern dringt auf die Erfüllung des Worts.)
    Das Organische (der Staat) ist gegenüber dem Anorganischen (der Ökonomie) nicht das Bessere, sondern es steht, in der zweiten wie auch in der ersten Natur, selber unter dem Bann des Anorganischen, an dem es seine materielle Grundlage hat. Beide stehen unter dem gleichen Gesetz der Selbsterhaltung.
    „Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet“: Beginnen nicht die Weltalter Schellings mit einem klassischen Freudschen Versprecher?
    Verweist das Hethitische auf eine frühe Stufe der Neutrumsbildung, in der das Neutrum auch die grammatische Widerspiegelung der Geschlechterdifferenz neutralisiert, sie in den (juristischen, staatslogischen) Gegensatz von Person und Sache bannt? Schlägt hier nicht die überwältigende Logik des entstehenden Staates in die Sprache durch? Ist es vor diesem Hintergrund nicht doch von Bedeutung, daß Salomo der Sohn einer Hethiterin ist?
    Hat die Geschichte der Vertreibung der „Käufer und Verkäufer“ aus dem Tempel (die Befreiung der Idee des Heiligen aus der Herrschaft des Tauschprinzips) etwas mit der Preisgabe des Vorhofs des Tempels an die Heiden (die Völker) zu tun (Off 112)?
    Waren nicht Horkheimer und Adorno zwei Zeugen des Nationalsozialismus, die, wenn ihre Philosophie wirklich eine geworden wäre, die Einigung des Gottesnamens erreicht hätten?
    Genitiv und Dativ: Während Horkheimer wie einer wirkte, der der Last, die ihn niederdrückte, die Reflexion, seinen unbeugsamen Erkenntniswillen entgegensetzte (und der gelegentlich auch etwas von der Störrischkeit eines Esels hatte), war Adorno wie einer, der seine Lebendigkeit an der Freude hatte, mit der er die kostbarsten Einsichten aus dem Schatz seiner Erkenntnis hervorholen durfte. Adorno beschenkte die Welt, Horkheimer nahm der Welt, gelegentlich widerwillig, die Last ab, indem er sie beim Namen nannte.
    Hat die Zahl vierzig, die auf die Wüste (im Exodus und beim Aufenthalt Jesu in der Wüste, vor den drei Versuchungen) sich bezieht, etwas mit den zehn Hörnern des Drachens und des Tiers aus dem Meer zu tun (der Drache hat die Kronen auf seinen sieben Köpfen, das Tier auf den zehn Hörnern, während seine Köpfe gotteslästerliche Namen tragen; der Drache ist der Gegenspieler des Weibes mit dem Kind; die Hure Babylon sitzt auf dem Tier aus dem Meer)? – Kann es sein, daß die Zahl zehn (die Zahl der Hörner, die die Macht verkörpern) in der Zahl vierzig auf die vier Weltgegenden sich erstreckt: auf die Verwüstung der die Welt durchdringenden Ökonomie?
    Mit ihrer newtonschen Begründung hat die kopernikanische Theorie die Gravitation ins Zentrum gerückt. Seitdem ist die Welt alles, was der Fall ist, sind die Schwerpunkte (die räumlichen Punkte, die Schnittpunkte der Dimensionen des Raumes) Bilder des Objekts.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Ist die Nacktheit das optische Korrelat des Schwerpunkts? Der Nackte erfährt sich im Blick der Anderen, als Schnittpunkt dieses allgemeinen Blicks (vgl. die Augen der Wesen in der Vision Ezechiels). Scham ist der Versuch, diesem Blick sich zu entziehen, sich unsichtbar zu machen, im Erdboden zu versinken.
    Gehört die Reflexion der Beziehung des Sehens zur Schwere zu den Grundlagen einer Theorie des Feuers (Ableitung des Planckschen Strahlungsgesetzes, des Begriffs der Strahlung insgesamt)?
    Schwarzer Körper: Im Planckschen Strahlungsgesetz sind die unterschiedlichen Beziehungen der thermischen Bewegung und der Strahlung zum Raum und zueinander und die Abhängigkeit dieser Beziehungen vom Energieinhalt zu bestimmen (die wechselseitige Abhängigkeit von Temperatur, Frequenz und Energie).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie