Hängen die paulinischen Reflexionen über die Thora, das Gesetz, mit der Bräutigam-Braut-Symbolik zusammen, mit der Beziehung Jesu zum „himmlischen Jerusalem“ der Apokalypse (Jankowski, TuK 70, S. 8ff)?
Erinnert nicht die Auslegung des paulinischen Fleischbegriffs, den Jankowski auf die Juden bezieht (ebd. S. 12ff, vgl. auch Ton Veerkamp im gleichen Heft), an den der „fleischlich gesinnten Juden“, den ich zuletzt bei Karl Thieme vorgefunden habe? Und zieht er nicht die ganze Vorstellungswelt des kirchlichen Antijudaismus nach sich, die über die Beziehung von Fleisch und concupiscencia, Sexualität, dann auch in die antisemitische Vorstellungswelt mit eingegangen ist? In der Sache, so scheint mir, scheitert diese Auslegung an der sachlich nicht begründbaren Gleichsetzung von Beschneidung und Fleisch: Die Beschneidung ist nicht Fleisch, sondern wird am Fleisch vollzogen. Hier wird das Objekt einer Handlung mit dieser Handlung verwechselt. Ist dieses „Fleisch“ – auch vor dem Hintergrund des Weltbegriffs, auf die ganze Ursprungsgeschichte des Christentums sich beziehen läßt – nicht eher das Fleisch der apokalyptischen Tiere, das am Ende die Vögel fressen? Hegel hat einmal seinen Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, mit dem Hinweis begründet, daß es dann keine unterschiedlichen Gattungen und Arten von Tieren, sondern nur eine Art bzw. Gattung geben dürfe; diese Begründung spiegelt den unbestreitbaren Sachverhalt wider, daß Tier und Welt in einer eindeutigen Wechselbeziehung stehen: Jedes Tier (jede Gattung) hat seine Welt, und zur Idee der „einen Welt“ (zum universalen Weltbegriff) gehört dann das eine Tier (als das dieser Welt eindeutig zuzuordnende Subjekt). In dieser Beziehung drückt sich übrigens ein logischer Sachverhalt aus: die Logik der Welt ist die Logik der Instrumentalisierung, und der Begriff des Tieres (des Organismus) drückt genau diese als Subjekt sich konstituierende Einheit der Instrumentalisierung aus, die über das Selbsterhaltungsprinzip, über ein System subjektiver Ziele, sich definiert. Deshalb unterliegen alle subjekthaften (dem Selbsterhaltungsprinzip unterworfenen) Systeme und Institutionen dem Gesetz der „organischen Entwicklung“. Und die kantischen „subjektiven Formen der Anschauung“ erfüllen genau diese Funktion: alle Erfahrung nach dem Prinzip der Selbsterhaltung zu organisieren, in deren Licht die Dinge nur noch als Mittel subjektiver, ihnen von außen auferlegter Ziele erscheinen. Dieses Prinzip liegt dem kantischen Begriff der Erscheinungen zugrunde, die die Erfahrung insgesamt nach Maßgabe der Totalitätsbegriffe Welt und Natur aufteilt und organisiert. Unter diesem Gesetz ist, was die Dinge an sich sind, in der Tat nicht mehr erkennbar.
Macht nicht Jankowski, wenn er Fleisch als Synonym für Beschneidung setzt (S. 14), den Gegensatz Fleisch/Geist zu einem antijudaistischen Gegensatz?
Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, ist ein Grund der Hoffnung.
Wenn Paulus ein Zelot war, dann war Hitler ein Sozialist.
Barmherzigkeit, nicht Opfer: Wäre das nicht das Motto einer Theologie-Kritik, einer Kritik der Verdinglichung?
Die einfachste Definition der Barmherzigkeit ist die, daß vor dem Urteil die Frage steht, ob du anders hättest handeln können, wenn du an der Stelle des Objekt gestanden hättest.
Rosenzweigs Stern der Erlösung oder die Vergegenwärtigung der Tradition: Die Transformation der Schrift ins Wort setzt die Reflexion auf das fundamentalistische Schriftverständnis, auf die Bindung des Textes an die intentio recta, voraus. Lesen, wie es heute nötig wäre, ist interlineares Lesen, Lesen zwischen den Zeilen, bei genauester Wahrung des Worts.
Ist nicht genau das der Unterschied zwischen Buber und der jüdischen Tradition, daß Buber die Bücher Josue bis Könige als historische und nicht als prophetische Bücher begreift (zum Buch der Richter vgl. Lillian Klein: Triumph Of Irony In The Book Of Judges)? Vergegenwärtigung ist heute nicht leichter mehr zu haben als über die Auflösung des Banns der subjektiven Formen der Anschauung, und d.h. über die Kritik der Naturwissenschaften.
Wer die Prophetie historisiert, braucht sie nicht mehr auf die Gegenwart und auf sich zu beziehen: Als Heilsprophetie hat sie sich in Jesus erfüllt, als Unheilsprophetie gilt sie nur noch für die Juden (und dient so als Schriftbeweis des Antisemitismus: schon damals waren sie so).
Jüngstes Gericht: Aufhebung der Trennung von Natur und Geschichte im Geiste der Utopie, oder die Idee der Auferstehung als erkenntnisleitendes Prinzip. Eine Distanz zu dem, was die Idee der Auferstehung von sich aus meint, bleibt; diese Distanz darf durch Symbolisierung der Idee (die die Toten instrumentalisiert und vergißt) nicht aufgehoben werden.
Die Geschichte aus dem Gefängnis befreien, in das wir sie durch Subsumtion unter unsere subjektive Form der inneren Anschauung (durch Subsumtion unters Zeitkontinuum) eingesperrt haben.
Die subjektiven Formen der Anschauung (Raum und Zeit) sind keine Naturprodukte, sondern in einem gesellschaftlichen Prozeß entsprungen; sie sind selbst Produkt einer Vergesellschaftung („das stumme Innere der Gattung“).
Unterscheidet sich nicht die mittelalterliche von der antiken Kosmologie durch eine geringfügige, kaum wahrnehmbare, darum aber nicht weniger folgenreiche Veränderung: durch die Lehre vom Sündenfall, als deren instrumentalisierte Gestalt die Naturwissenschaften sich begreifen lassen? Wittgensteins Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist, wäre in antikem Kontext nicht denkbar.
Läßt sich nicht der Haß auf die Zukunft als das Produkt eines logischen Zwangs begreifen, den die Beschaffenheit der Welt in Verbindung mit dem alles durchdringende Selbsterhaltungsprinzip auf unser Bewußtsein heute ausübt, ist er nicht schon überdeterminiert? (Ich habe Benjamins anderslautende Bemerkung schon beim ersten Lesen nicht begriffen, bis mir bewußt wurde, daß sie in der Tat aus Gründen, die es endlich zu begreifen gilt, heute nicht mehr gilt. Daß sie nicht mehr gilt, affiziert die Idee des Glücks, die damit ihre raison d’etre verloren hat. Dafür rächt sich der Faschismus und macht so den Verlust irreversibel.)
Adornos Philosophie ist die Entfaltung des apokalyptischen Satzes: Das Erste ist vergangen.
Klingt nicht in Rosenzweigs Kritik des Allbegriffs die Kritik der Universalität des Hegelschen Weltgerichts mit an, die eigentlich die Universalität des Opfers meint.
Ist nicht das Opfer der Zukunft, auf das die Kirche heute bewußtlos und selbstzerstörerisch sich zubewegt, die Selbstverfluchung Petri in der dritten Leugnung?
Nicht nur der römische Hauptmann unterm Kreuz sagt: Das war Gottes Sohn, auch die Dämonen sagen es („und zittern“, nach Jakobus), auch Petrus (nach Karl Thieme ein Typos der Kirche) sagt es, bevor er ihn dreimal verleugnet.
Ton Veerkamps Satz „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (TuK 70, S. 23) erinnert an Hegels Bemerkung (in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte), daß das Wort Geschichte sowohl die historia rerum gestarum als auch die res gestas bezeichnet.
Hat die Vorstellung des Zeitkontinuums (die subjektive Form der inneren Anschauung) sich in der Auseinandersetzung mit der Sternenwelt gebildet? Das würde die Beziehung begründen, in die Kant das moralische Gesetz in uns und den Sternenhimmel über uns rückt. Und der altorientalische Sternendienst war in der Tat ein Instrument der Legitimation der altorientalischen Reiche.
Steckt nicht eine ungeheure Logik in den Problemen, die Goethe und Hegel mit Newton hatten? War es nicht bei beiden das griechische, das „heidnische“ Erbe, das sie aufs Anschauen verwies, auf eine Distanz zu den Dingen, deren Preis die Leugnung und Verdrängung eines Innen war, das bei Newton als das barbarische der allgemeinen Gravitation sich enthüllte (Christentum und Gravitation)? Ist nicht die Anthroposophie eine der letzten Manifestationen dieser Logik? Und gehört nicht die Marxsche Bindung seiner Kapitalismus-Kritik ans Tauschparadigma (und die Ausblendung des Schuldknechtschafts-Paradigma) in diesen Zusammenhang, mit der welthistorischen Folge, daß der Versuch der Realisierung im real existierenden Sozialismus direkt ins Sklavenhaus führte (deshalb gab es im gesamten Ostblock keine Banken)?
Blüm wäre zu korrigieren: Nicht Jesus lebt, wohl aber die tief in der Geschichte des Christentums verwurzelten Banken, deren Zentralen in der Bankenstadt Frankfurt den Triumph über den Sozialismus und das Christentum zugleich ausdrücken.
Ist nicht die Vertreibung der Geldwechsler und der Taubenhändler aus dem Tempel das zentrale Symbol der heute anstehenden Kirchenkritik? (Gibt es einen Zusammenhang dieser Vertreibung der Taubenhändler mit der Geschichte vom Scherflein, das die arme Witwe in den Opferstock gab; ist nicht die Taube das Opfer der Armen und das Symbol des Heiligen Geistes zugleich? Hat nicht die Kirche die Armen und den Heiligen Geist zugleich verraten, als sie sich selbst an die Stelle der Armen setzte und den Geist zum Instrument der Selbstlegitimation machte?)
Wie unterscheidet sich die typologische und realsymbolische Schriftinterpretation von der historisch-kritischen (auf die sie gleichwohl sich beziehen muß)? Ist nicht vor allem der Versuch einer Vergegenwärtigung, die nicht dem Bann des Erbaulichen verfällt? Die typologische und realsymbolische Interpretation gewinnt ihr Leben aus dem des Namens, das in ihnen sich entfaltet.
Sprachastrologie: Ist der Jupiter der Nominativ und der Mars der Akkusativ, und haben Venus und Merkur mit Genitiv und Dativ zu tun?
Unschuldige Dingwelt, oder das Prinzip der Verdinglichung: Der Verurteilungsmechanismus ist ein Exkulpationsmechanismus. Es ist der Mechanismus der Verhärtung des Herzens.
Wer durch die Blume spricht, greift den Adressaten auf eine Weise an, daß er sich nicht wehren kann; er nimmt ihm die Möglichkeit der Verteidigung.
Anthroposophie
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24.7.96
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20.11.93
Ist nicht der Name des Flavius Josephus und sein Ursprung (Annahme des Flaviernamens aufgrund seiner Beziehung zum Flavier Vespasian) der Schlüssel zum Verständnis der Namen Paulus und Augustinus?
Spricht Kohl nicht heute an genau den gleichen Stellen von „Geschichte“, an denen vor zweihundert Jahren von „Natur“ gesprochen worden wäre?
Die Entdeckung des Winkels (durch die Griechen) ist die Entdeckung der Orthogonalität; sie war der entscheidende Schritt zur „Überwindung des Mythos“ und die Voraussetzung der Begriffsbildung (als Modell der Trennung und Beziehung von Begriff und Objekt, Welt und Natur). Wird die Orthogonalität nicht symbolisiert durch die Dornen und Disteln in der Geschichte vom Sündenfall (sind die Hörner der Tiere nicht Objekte ihrer Reflexion im Medium der Gewalt)? Wenn der Name der Sünde mit dem Sondern, Trennen zusammenhängt: trifft er dann nicht exakt die Orthogonalität?
Die Orthogonalität ist der Grund der Äquivalenz aller Richtungen im Raum (der Reversibilität aller Geraden im Raum); sie hat wie das Gleichnamigmachen des Ungleichnamigen mit der mathematischen Operation der Division zu tun (alles wird auf ein gemeinsames Maß: auf den gleichen „Nenner“ bezogen). Durch die Orthogonalität wird die Sprache ihrer benennenden Kraft beraubt, sie ist der Grund des Nominalismus. Personalisiert wurde das Prinzip der Orthogonalität (das verwirrende Prinzip in der Sprache) im diabolos, den die Schrift den Vater der Lüge nennt.
Zu Spenglers Bemerkung, daß die Stelle, die in der Alten Welt die Skulptur einnimmt, in der modernen Welt von der Musik besetzt ist: Man kommt der Sache näher, wenn man die Musik als den Versuch begreift, die Distanz zwischen dem Wort und seiner Erfüllung zu ermessen, während die Skulptur auf die Geschichte der Vergöttlichung des Opfers (auf den Ursprung des Götzendienstes) verweist.
Hat die fette Henne im Deutschen Bundestag, die sich für einen Adler hält, aber wahrscheinlich nur noch die politische Hackordnung repräsentiert, etwas mit dem Hahn zu tun?
Hat nicht die Anthroposophie insofern Anteil an der christlichen Entstellung der Tradition, als sie teilhat an der Privatisierung (und Verdinglichung) der Wahrheit? -
18.11.93
Muß wirklich „alles, was sich der Entwicklung des Ich hemmend entgegenstellt oder sie zu verhindern sucht, um das von der göttlichen Welt gesetzte Ziel dieser Entwicklung zu verfälschen oder zu verdunkeln, als böse bezeichnet werden“ (Bühler, S. 133)? Was meint er mit dem, „was sich der Entwicklung des Ich hemmend entgegenstellt oder sie zu verhindern sucht“? Kann dieser Satz nicht z.B. auch fremdenfeindlich und antisemitisch verstanden und angewendet werden?
S. 134: Die Versuchungen sind allesamt Ich-bezogen: Sie beziehen sich auf „Genußsucht, Verlust der Selbstbeherrschung oder Schlimmeres“. „Im raffinierten Genuß, der lediglich um des Genusses willen herbeigeführt wird, findet jedoch das Böse ein großes Angriffsfeld.“
Das alles paßt zum „Urübel des Egoismus“ (ebd.), den diese Ego-Bezogenheit so formuliert, daß es nur auf andere zutrifft.
Ist nicht die Personalisierung des Bösen ein Nebeneffekt des Weltbegriffs?
S. 137: Sind nicht Luzifer und Ahriman Personifikationen des Manisch-Depressiven (mit der Gefahr der Dämonisierung der Krankheiten)?
Wer das Böse wie Walther Bühler nach draußen projiziert, dem polarisiert es sich zu Luzifer und Ahriman. Kehrt darin nicht der manichäische Dualismus, nur mit der Dämonisierung beider Seiten, wieder?
S. 144: Kann man sich „technischer Organisationsformen oder der Todeswerkzeuge der modernen Rüstungsindustrie“ auch mit „spirituellem Hintergrund“ bedienen; wäre das nicht eine Definition des Fundamentalismus?
Ebd.: Ist der Eindruck, ein Text sei unverständlich, nicht selten darin begründet, daß man das Gefühl hat, man würde den Autor beleidigen, wenn man das, was man versteht, aussprechen würde?
Widerspricht es nicht dem Jesus-Wort „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, wenn Bühler in der Passionsgeschichte die Menschen, denen er Jesus ausgeliefert sieht, dämonisiert? Vgl. den Text, in dem Bühler diese Menschen beschreibt (S. 152); er könnte aus Oberammergau stammen („Er ist Menschen ausgeliefert, deren Bewußtsein ganz an die Sinnenwelt gebunden ist und die kein verklärendes, höheres Licht in diesem, der Gotteslästerung angeklagten Menschen erblicken können“, „Gegnerschaft der Pharisäer und ihrer Anhänger“, „die menschlich-untermenschlichen Vorgänge der Karwoche“).
Im Hinblick auf Karfreitag und Ostern von Raupe und Schmetterling und von der Metamorphosenlehre zu sprechen, ist schlicht blasphemisch. Hier wird die Sphäre der Wahrheit in Natur zurückgestaut, auf unsägliche Weise verdinglicht, und damit erst wirklich böse.
Ist in die Beziehung, die Walther Bühler zwischen Plastik und Musik sowie Astral- und Ätherleib wahrnimmt, nicht die Bemerkung Spenglers mit hereinzunehmen, daß was bei den Griechen die Skulptur war, in der modernen Welt die Musik ist?
Wichtig und interessant wäre die Analyse der Vermittlerfunktion der Astronomie in der historischen Beziehung von Kosmos und Staat (Chaldäer und Kopernikus).
Der entscheidende Mangel der Anthroposophie scheint zu sein, daß die Zivilisationsgrenze (Ursprung des Weltbegriffs, Zusammenhang mit der Institution des Staates) und hierbei insbesondere die Beziehung von Ich und Eigentum nicht in Frage gestellt, nicht in die Reflexion mit hereingenommen wird.
Gleicht das, was ich Erinnerungsarbeit nenne, nicht dem Verfahren des Anglers, der am Ufer des Unbewußten sitzt und seinen Köder hineinwirft?
Haben nicht der philosophische und der im strengen Sinne theologische Gebrauch des Logos-Begriffs etwas mit einander zu tun: Sind sie nicht durch Umkehr auf einander bezogen?
In apokalyptischen Texten (Jes 344, Off 614, vgl. auch Mt 2429, 1 Pt 37.10) gibt es den Topos, daß am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich zusammenrollt. Aber ist das nicht längst geschehen, ist diese Buchrolle nicht die Thora, der Logos, die Literatur, und erst der davon getrennte Himmel der Gegenstand der Astronomie? Hat sich nicht der im Anfang erschaffene Himmel ins Buch zurückgezogen (die Schrift ist gleichzeitig mit dem Geld entstanden)?
Ist nicht der Historismus ein Versuch, die Vergangenheit durch Vergegenständlichung (und gleichzeitige Instrumentalisierung) unschädlich zu machen?
Die Vorstellung, daß das Ich mit dem Feuer und Entzündungsprozessen zusammenhängt, erklärt den Zusammenhang mit den autoritären Formen der Ichbildung (Beleidigungsbereitschaft, Anklage und Rechtfertigungszwang: Einbindung in den Schuldzusammenhang). Verweist das Bild des Fiebers, dessen sprachliche Wurzel an den Problemen der Ichbildung sich ablesen läßt, nicht auch auf einen heilenden Effekt von Entzündungen (was entspricht in den Ich-Prozessen dem Wadenwickel)? Ist das Christentum nicht (im Unterschied zu den beiden anderen abrahamitischen Religionen) eine Ich-Religion (eine Entzündungskrankheit, ein Fieberanfall), und ist es dazu nicht durch seine ambivalente Beziehung zum Weltbegriff geworden?
Der Objektivierungsprozeß hat das Schreien der Dinge zum Verstummen gebracht, erstickt. Seitdem ist die Materie die zurückgestaute Kraft des Namens (und die Natur die schizophrenisierte Schöpfung).
Der Begriff der Natur deckt die Sünde der Welt zu.
Rousseaus „Zurück zur Natur“ liegt auf der Grenze des Zurück in die Unschuld des Schlafes oder des Todes. Tote sind unschuldig, weil sie nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können; gilt deshalb: de mortuis nihil nisi bene? Unschuldig sind die Toten nur im Anblick der Welt.
Die Kopenhagener Schule und der Doppler-Effekt (mit der Vorstellung des expandierenden Raumes und der Urknall-Theorie), die an die beiden Relativitätstheorien Einsteins sich anschließen, sind Veranstaltungen, das Inertialsystem (und mit ihm der objektivierende Erkenntnisbegriff und das Herrendenken) gegen die Reflexion abzuschirmen, in die es durch Einstein hereingezogen worden ist. Wobei das Dementi mit der Verachtung der seitdem sogenannten „klassischen Physik“ (zu der dann auch Einstein noch gerechnet wurde) gleich mitgeliefert worden ist (Modell der Kohlschen Rhetorik, oder der Sieg des Lachens über das Weinen). -
17.11.93
Ist nicht die Vorstellung, daß die ganze Pflanze „vorwärts und rückwärts“ nur Blatt sei (Bühler, S. 41), Teil einer Naturanschauung, die an der Idee der Unschuld sich orientiert: die Frucht und die „Befruchtung“ gleichsam „verunschuldigen“ möchte? Hat dieses „Blatt“ nicht sehr viel mit dem Feigenblatt des Sündenfalls (und seiner Interpratation durch Johannes Eriugena) zu tun? Liegt hier nicht der mythische Zentralpunkt der Goetheschen Naturanschauung? Und ist nicht die Goethesche Naturanschauung wirklich ans Schauen gebunden, d.h. an eine Erkenntnisform, die (wie die naturwissenschaftliche, an deren Modell sie sich orientiert) von jeder Schuldreflexion abstrahiert und jede Identifikation a limine ausgrenzt?
Alles Denken ist Schuldverarbeitung (daher die Neigung, es zu diskriminieren), ohne Sprache gäbe es keinen Ausweg.
Zwei Einwände gegen die Anthroposophie:
– Sie bleibt gefesselt ans Selbsterhaltungsprinzip, das sie zugleich als Egoismus an andern verurteilt. Sie bringt sich selbst durch einen sublimierten Egoismus, durch den sie zur „Weltanschauung“ wird, um ihr bestes Ergebnis.
– Die Vorstellung, der Mensch sei ein Mikrokosmos, müßte spätestens, wenn man die Reflexion der Naturwissenschaften mit hereinnimmt, historisiert und dynamisiert werden. Kosmos und Mikrokosmos sind in den historischen Prozeß verflochten, und lassen sich nur mit Gewalt (mit der Enthistorisierung und Moralisierung des Ego) daraus lösen. Mit zu reflektieren wären die Logik und die Geschichte des Weltbegriffs: der historische Säkularisationsprozeß, in dem wir Akteure, Zuschauer und Opfer zugleich sind. Erinnerung müßte auch kollektive Erinnerung mit einschließen: die ganze Geschichte steckt mit drin.
Hat nicht der anthroposophische Astralleib mehr mit den apokalyptischen Tieren als mit dem individuellen Fortleben nach dem Tode zu tun?
Hängt nicht das kosmische Element der Anthroposophie mit der Unfähigkeit, das Inertialsystem und die Geldwirtschaft zu reflektieren, zusammen? Durch diese Unfähigkeit verbleibt die Anthroposophie im Banne dieser Aprioris. Der Äther- und der Astralleib bezeichnen ein Problem, das die Anthroposophie durch Verdinglichung verdrängt (sind nicht die Tiere in der Natur, was die Stadt und der Staat in der Geschichte sind? Beide sind durch die Objektivierung des Sternenhimmels vermittelt).
Verweisen die Geschichten von den angeblichen Todeserlebnissen, nach denen im Moment des Todes das Leben wie ein Film abläuft nicht eher auf den Zustand der Gesellschaft im Zeitalter des Films und des Fernsehens (vorbereitet durch den Roman und den Historismus)?
Sind nicht die Warums bei Bühler (S. 114f) allesamt paranoid? Vgl. auch S. 117f: auch durch Streit oder Haß geschaffene seelische Bande erweisen sich als unzerreißbar.
S. 124f: Problem des Karma?! Bemerkungen zu den Gefallenen der Kriege: Anwendung auf Auschwitz?
S. 126: Ableitung der Überbevölkerung aus der materialistischen Gesinnung der Menschen, die (auch nach dem Tode noch) zu stark an die Erde gebunden sind und deshalb rascher zu einer neuen Verkörperung drängen?
S. 130: Zum Bösen fällt Walther Bühler nur der Satz ein: Wer ist nicht schon einmal bestohlen, belogen oder betrogen worden?
Zum Lachen und Weinen: Wie verhalten sich der Ursprung und die Geschichte zum Ursprung und zur Geschichte der Sprache? Bildet sich die Schrift an einer ähnlichen Grenze wie die Sprache; gibt es eine objektive Korrespondenz zur Unterscheidung von Hören und Sehen und zur Beziehung von Lachen und Weinen zu dieser Unterscheidung?
Hat das Osterlachen nicht etwas mit jener Szene in Büchners „Lenz“ zu tun, in dem Lenz nach dem mißlungenen Versuch ein totes Kind wieder zum Leben zu erwecken, begreift, daß der Mond nur eine leere und tote Steinwüste ist: In diesem Augenblick griff mit einem entsetzlichen Lachen der Atheismus in ihm Platz.
Die Naturwissenschaft ist das Lachen, das der Theologie im Halse stecken geblieben ist.
Ist nicht der Faschismus, auch sein gegenwärtiges Wiederaufleben, ein Beweis dafür, welche ungeheuren Unterdrückungskräfte mobilisiert werden müssen, um der Verführung gut zu sein zu widerstehen?
Hat der prophetische Begriff der Unzucht etwas mit der Venus-Katastrophe (mit den Ascheren) zu tun?
Wenn in der Antike die Rhetorik dem entspricht, was in der modernen Welt die Technik ist, bedeutet das nicht auch, daß das Christentum, insbesondere die christliche Theologie (die Entwicklung der Orthodoxie), die technologisch durchgearbeitete und instrumentalisierte Mythologie (den historischen Stand des Herrschaftsdenkens) repräsentiert? Und ist das nicht die zwangsläufige Folge der theologischen Rezeption des Naturbegriffs (die dem Stand der politischen Geschichte angemessene historische Stufe der Naturerkenntnis)?
Das Christentum und die Provinz: Galiläa, Nordafrika und Irland?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie