Verhalten sich nicht Objekt und Begriff wie Angesicht und Name?
Daß die Distanz zum Objekt (nach der Dialektik der Aufklärung) durch die Distanz vermittelt ist, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, gehört zu den Wurzeln des Weltbegriffs und verweist auf die vom Weltbegriff nicht abzulösende Herrschaftsstruktur. Im Erkenntnisapparat drückt sich das in den subjektiven Formen der Anschauung aus.
Hic et nunc: Während die Unendlichkeit des Raumes ein Binneneffekt ist: ein in der über die Beziehungen der Punkte im Raum sich fortpflanzender Effekt der Struktur des Raumes (jeder Raumpunkt, jedes Hier, ist Ursprung des ganzen Raumes), ist die Vorstellung des Zeitkontinuums ein Außeneffekt: Sie bildet sich in der Subsumtion der Zeit unter die Vergangenheit, in einem Akt, in dem ich mich an das Ende einer an sich unendlichen Zeitreihe oder das (in der Zeit verschiebbare) Jetzt (und mit ihm die Vergangenheit) absolut setze, damit aber zugleich die Zukunft (ihre Differenz zur Vergangenheit) auslösche. Durch ihre Objektivation mache ich die Vergangenheit erst zur Vergangenheit, tilge ich die Erinnerung an die Auferstehung. Diesen Frevel sucht die Erinnerungsarbeit zu heilen. Diese Erinnerungsarbeit verhält sich zur Objektivation der Vergangenheit wie das Gericht der Barmherzigkeit zu seinem Objekt: zum gnadenlosen Weltgericht.
Gegen die Objektivation der Geschichte (gegen das Gericht über die Vergangenheit) richtet sich der Satz: Mein ist die Rache, spricht der Herr.
Im Inertialsystem erweist sich die wirkliche Funktion und Bedeutung der kantischen subjektiven Formen der Anschauung, die zum Inertialsystem erst dann sich verselbständigen (und zugleich ihre innere Logik freilegen), wenn die subjektiven Formen der Anschauung nicht mehr auf das eigene Anschauen, sondern auf das Anschauen der Andern, das in der eigenen sich spiegelt, bezogen werden: Jeder Raumpunkt, nicht nur der, an dem ich selber mich befinde (und dieser eigentlich erst durch Reflexion auf die Logik seiner Reproduktion außer mir), ist Ursprung des Inertialsystems. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Vergesellschaftung der Erfahrung und des Denkens im Subjekt, das Instrument der „Veranderung“, deren Produkt die Erscheinungen sind, die Kant dann auch von den Dingen, wie sie an sich selber sind, unteschieden hat. Die verkürzte Form der Logik, die das Reich der Erscheinungen organisiert (der Logik der Veranderung), drückt in den kantischen Totalitätsbegriffen, insbesondere in den Begriffen Natur und Welt, sich aus.
Ist nicht die Spenglersche Sicht zu radikalisieren: Das „organische“ Wachsen der Kulturen ist kein pflanzenhaftes Wachsen (ist nicht in eine Folge von Kreisläufen einbezogen), sondern die Evolution und die Bildungsgeschichte des Tieres (vgl. Hegels Satz, daß „die Natur den Begriff nicht zu halten“ vermag und seine Begründung: Eigentlich dürfte es keine verschiedenen Arten geben, sondern innerhalb der Logik einer aus der Idee frei entlassenen Natur nur ein Tier).
Die paulinische Gesetzeskritik gewinnt ihre ungeheure Bedeutung, wenn man sie aus dem antijudaistischen Kontext, in den die kirchliche Tradition sie versetzt hat, herauslöst und sie auf ihren Grund zurückführt: Das Gebot wird verfälscht, wenn man es zum Gesetz macht. Vgl. hierzu
– Cohens und Levinas‘ Bemerkungen über die Attribute Gottes (die Cohen zufolge Atttribute des Handelns, nicht des Seins, sind, und nach Levinas im Imperativ, nicht in Indikativ stehen (der Satz: Gott ist barmherzig, bedeutet: sei auch du barmherzig),
– Adornos „erstes Gebot der Sexualethik: der Ankläger hat immer unrecht“ (der Ankläger – der „Widersacher“ – macht aus dem Gebot für mich ein Gesetz für alle: aus der Richtschnur des Handelns einen Maßstab des Urteils für andere),
– Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar (und zum Vergleich Jer 3134),
– das deuteronomistische Wort vom Rind und Esel (Joch und Last),
– den Begriff der „Erbsünde“, der nicht auf die Sexuallust, sondern auf die Urteilslust (die das Gebot für mich in ein Gesetz für alle transformiert), zu beziehen ist,
– den Begriff des Gesetzes selber, der die Sünde von der Tat auf das Urteil über die Tat verschiebt (von der Handlung aufs Erwischtwerden), und seine Funktion bei der Begründung des Rechts und der Selbstbegründung des Staats,
– das projektive Erkenntniskonzept, den Objektivationsprozeß, die Begriffe Natur und Materie, den Weltbegriff, insgesamt auf den philosophischen Erkenntnisbegriff,
bezieht. Hier erst wird die Gnadenlehre konkret.
Antijudaismus
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30.4.1995
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7.3.1995
Apologetik gibt es nur im Kontext der Bekenntnislogik, die von Grund auf dogmatisch strukturiert ist. Deshalb gibt es keine Apologetik ohne projektives Moment. Genau das ist der Knoten, der zu lösen wäre.
Fällt der theologische Gebrauch des Begriffs der Stellvertretung nicht auch unter den Satz von Rind und Esel (beruht er nicht auf der Verwechslung von Joch und Last)? Ich trage Mitschuld an den Sünden der andern, kann aber meine Sünden nicht andern anlasten. Bezieht sich darauf nicht der Begriff der Geiselhaft bei Levinas? Die Übersetzung von Joh 129, wonach das Lamm die „Sünden“ der Welt „hinweggenommen“ hat, beruht auf dieser Verwechslung: Das Lamm hat die Sünde der Welt auf sich genommen. Mit der kirchenüblichen Übersetzung ist ein Anfang gesetzt, dessen bitteres Ende Hitler war.
Die Kirchen sollten im Ernst ihren Erlösungsbegriff überprüfen. Wenn Luther die Söldner für rechtfertigungsfähig hält, wenn sie das, was sie tun, nur ohne egoistisches Interesse tun (sondern nur im Interesse der Wahrung der staatlichen Ordnung), wäre dann nicht auch Hitler der Rechtfertigung würdig?
Die kirchliche Erlösungslehre, das Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ durch den Opfertod Jesu, hat dadurch, daß sie zur Entzauberung der Welt beigetragen hat, zugleich den Menschen aus der Welt, die unabhängig von ihm vorhanden ist, herauskomplimentiert, ihn eben dadurch aber auch an die Welt gebunden. Mit der kopernikanischen Wende wurde diese Logik auch auf die Natur ausgedehnt; an dieser Stelle entspringt der Dingbegriff (der apriorische Objektbegriff und der transzendentale Apparat). Heute, in der nachhegelschen Ära des Positivismus, wird das Subjekt aus dem Wissen herauskomplimentiert: verliert es seinen objektiven Grund. Alle drei Formen der Befreiung waren zugleich Formen der Bindung. Die ersten beiden Formen der Befreiung und Bindung konnten durch Vätertheologie und Scholastik theologisch aufgefangen werden, die dritte kann es nicht mehr. Zur dritten gehört die ergänzende Bemerkung, daß mit dem wachsenden Rechtfertigungsbedarf und -zwang auch das destruktive Potential der Bekenntnislogik wächst.
Ist nicht die Rechtfertigungslehre eine Emanation der apologetischen Logik (unter den veränderten weltgeschichtlichen Bedingungen der beginnenden Aufklärung)?
Heute morgen eine Notiz in der FR: Einige Prähistoriker beschweren sich darüber, daß die in den Schulen genutzten Lehrbücher nicht auf dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand seien; so werde z.B. in einem Lehrbuch das Alter der Neandertaler mit 800 000 statt 600 000 Jahren angegeben. Sollten nicht, anstatt die „Ergebnisse“ zu dogmatisieren, die Methoden, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, und die Kriterien, die der Ermittlung zugrundegelegt wurden, offengelegt und diskussionsfähig gehalten werden? Und gilt dieser Hinweis nicht auch für naturwissenschaftliche Theorien wie die über den Urknall, das Alter des Universums oder die „schwarzen Löcher“, ja eigentlich schon das Gravitationsgesetz, die Optik, die gesamte Atomistik?
Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Hört sie damit nicht auch auf, Gegenstand der Diskriminierung zu sein? und Läßt sich daraus nicht heute schon fast eine Rechtfertigung der Gemeinheit herleiten (insbesondere im Bereich der Strafrechtspflege: und hier vor allem in den Knästen und im Bereich der Staatsschutz-Rechtsprechung)? In welcher Beziehung steht dieser Tatbestand (und mit ihm das Recht insgesamt) zum Satz über Rind und Esel?
Gibt es nicht im Staatsschutzbereich bereits offenkundige Fälle der Komplizenschaft, der rechtlich nicht mehr überprüfbaren Zusammenarbeit von Staatsschutzsenaten, Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und den anderen Staatsschutzbehörden wie BND und Verfassungsschutz?
Führt nicht heute der Versuch, den Rechtsstaat mit Hilfe der Idee der Gerechtigkeit zu begründen, in unauflösbare Probleme?
Wäre es nicht aufschlußreich, wenn man einmal alle Geschichte, in denen Petrus, Jakobus und Johannes zusammen auftreten, sich anschauen würde (dazu gehören insbesondere die Verklärungsgeschichte und Getsemane)?
Unterscheidung des Ewigen vom Überzeitlichen: Wäre es nicht an der Zeit, den Schelerschen Titel („Die Idee des Ewigen“) daraufhin zu überprüfen?
Waren nicht die Tempel seit je realsymbolische Bilder des Himmels und zugleich Grabstätten des toten Gottes (hat die Eucharistie etwas mit den Pyramiden und den Pharaonen zu tun)?
Wenn heute die Neigung besteht, vorgeschichtliche Grabstätten und Begräbnisriten (bis hin zu den Pyramiden) als frühe Dokumente der Unsterblichkeitslehre anzusehen, wäre es dann nicht notwendig, auch den prähistorischen Kontext dieser Dokumente mit hereinzunehmen?
Tatsachenwissen ist fallbezogenes Wissen. Heute – und eigentlich gilt das schon für die Situation, in der Wittgenstein seinen logisch-philosophischen Traktat schrieb – ist der Fall nicht mehr ein Problem der Welt, sondern eines des Wissens.
Der Antijudaismus leugnet den Dank (den Namen Judas), der Antisemitismus die Kraft des Namens (den Namen Sems). Sind nicht beide Formen der Halsstarrigkeit, die die Schrift im Symbol des Esels sieht?
Ochs und Esel hat erst das Mittelalter der Krippe hinzugefügt; bei Matthäus sind es nur die Hirten, die zur Krippe eilen.
Erst mit der Trennung des Gebots von seiner Innenseite, von den göttlichen Verheißungen, wird die Last des Gebots zum Joch des Gesetzes. Es ist das gleiche Verhältnis, das die sinnliche Welt von der Welt der durchs Inertialsystem (durchs System der Naturgesetze) vermittelten „Erscheinungen“ trennt.
Eine sanfte Kritik an Emanuel Levinas: Die Attribute Gottes stehen sehr wohl im Indikativ, nur: dieser Indikativ ist ein Imperativ. -
6.3.1995
Die Sünde Hitlers: Das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt („die Welt entsühnt“), ist das nicht der Wolf?
Zur Logik der Schrift: Dem Autor geht es wie dem Fernsehmoderator: Er sieht und hört seine Leser nicht, aber sie sehen und hören ihn.
Jede Wand hat eine Rückseite: Darin liegt der Grund der Mathematik. Und wenn in modernen Kirchen die Rückseite nach innen gekehrt wird, so ist das ein Indiz für den Grad der Versteinerung des Herzens.
Setzt die Verdrängung der Vergangenheit nicht an dem Punkt ein, an dem das Bewußtsein, daß diese Vergangenheit (und zwar nicht nur, aber vor allem das prophetische Wort) uns richten wird, unerträglich wird? Jetzt richtet uns die verdrängte Vergangenheit (die „Sünde der Welt“). Das Produkt dieser verdrängten Vergangenheit ist die verinnerlichte Scham, und deren kosmisches Korrelat die Feste des Himmels.
Der Begriff einer historischen Naturkatastrophe ist real und paradox zugleich: Wenn es so etwas gibt, ist es eben keine Naturkatastrophe.
Gewinnen die neutestamentlichen Texte, die auf die Hölle sich beziehen, nicht einen ganz anderen Sinn, wenn man den Namen der Hölle durch der Unterwelt, des Grabs (Scheol), ersetzt? Hier werden auch die Verweise auf das Feuer, das nicht erlischt, und den Wurm, der nicht stirbt, konkret.
Die Bedeutung und Funktion der Astronomie für die Herrschaftsgeschichte (für die Geschichte des Ursprungs des Staates) gründet darin und verweist darauf, daß die Grenze, die uns von den Sternen trennt, der Grenze zur Vergangenheit korrespondiert. Kann es sein, daß die Wahrheit des Gravitationsgersetzes (der Zusammenhang der physikalischen Bedeutung des Falls mit seiner grammatischen und theologischen Bedeutung) in diesem Sachverhalt begründet ist? Und verweist nicht Wittgensteins Satz, daß die Welt alles ist, was der Fall ist, daß sie alles ist, was sich unter die Vergangenheit subsumieren läßt?
In der Äußerlichkeit, die in der Form des Raumes begründet ist, drückt die Gewalt der Vergangenheit sich aus. Die gleiche Form der Äußerlichkeit beherrscht über das Geld die durchs Privateigentum definierten materiellen, gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Banken verwalten das vergangene Unrecht.
Das Paradies liegt nicht in der Vergangenheit, es hat vielmehr Teil an der zeitlichen Struktur des Ewigen, das nicht als vergangen gedacht werden kann.
Die Feste des Himmels: Sind die „Leuchten“ und „Sterne“ nur an diese Feste „geheftet“, oder sind sie nicht die Instrumente, die den Himmel aufspannen und die Feste begründen? Das aber würde bedeuten, daß die „Planeten“ (im Sinne der Astrologie, nicht des heliozentrischen Systems) in der gleichen Sphäre gründen, in der auch die Sprache gründet: daß sie eine Konstellation repräsentieren, die der Grammatik entspricht. Frage: Was hat die Venus mit dem Ursprung des Neutrum zu tun? Sie ist der Morgen- und der Abendstern, die astrologische Entsprechung des A und O. Berührt sich hier das Signum des Tieres, das war, nicht ist und wieder sein wird, mit dem Luzifer?
Hat nicht der Versuch, den Ursprung des Weltbegriffs zu begreifen, etwas mit dem Lösen zu tun?
Die Mathematik ist eine Emanation der Logik der Schrift: Sie ist das Schwert, das den Knoten durchschlagen hat, den es zu lösen gilt. Die Ursprungsgestalt dieses Schwertes: das kreisende Flammenschwert des Kerubs vorm Eingang des Paradieses.
Gott hat am ersten Tag das Licht von der Finsternis geschieden, und er nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Am zweiten Tag hat er durch die Feste die oberen von den unteren Wassern geschieden; während die Wasser namenlos geblieben sind, nannte er die Feste Himmel. In die dritte Scheidung war Adam verstrickt: Nachdem er die Tiere benannt hatte, scheidet Gott selbst ihn von seiner Seite: Eva. Zu dieser Scheidung, die dann die ganze Schöpfung ergreift, gehört dann die Geschichte vom Sündenfall. Das Symbol dieser dritten Scheidung ist das kreisende Flammenschwert, Symbol der Trennung der Welt vom Paradies.
Der Sündenfall ist der Grund der Trennung von Welt und Natur, der Grund der Urteilsform, die mit dieser Trennung sich konstituiert, in ihr sich ausdrückt. Mit dem Sündenfall (und durch die Urteilsform) ist dem Menschen sein Anteil an der richtenden Gewalt in die Hand gegeben. Seitdem wissen sie nicht mehr, was sie tun.
Haben die Menschen im Kreuzestod nicht die Folgen des Nichtwissens vor Augen? Und hat das Wort „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ nicht den Toten, der am Kreuz hängt, als Objekt? Ist Sein Kreuzestod nicht das stellvertretende Objekt unseres Richtens, und dadurch der Anfang des Gerichts über uns (der Anfang des Gerichts der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht, dessen Subjekt wir sind)? Die opfertheologische Instrumentalisierung des Kreuzestodes verletzt das Verbot zu richten. Ist nicht das Dogma die gegenständliche Repräsentation dieses Richtens, der Kelch, von dem er wollte, er ginge an ihm vorüber, Ursprung und Produkt der Bekenntnislogik und seiner drei Emanationen: Antijudaismus, Ketzerfurcht und Frauenfeindschaft?
Das entsetzliche theologische Konstrukt, daß Jesus die Sünden Welt hingweggenommen habe, hat das Lamm zum Wolf gemacht und macht uns selbst zu dem Esel, für den kein Lamm mehr eintritt, und dem das Genick gebrochen wird (hat dieses Brechen des Genicks etwas mit der „Halsstarrigkeit“ zu tun: mit der Starrheit der Orthogonalität, mit der Erstarrung der Rechten – vgl. Ps 1375)?
Kann es sein, daß die Erklärung von Birgit Hogefeld im Prozeß am vergangenen Donnerstag als Hinweis verstanden werden muß, daß der Anschlag am Flughafen, der auch ihr mit angelastet werden soll, nicht die raf als Urheber hat? -
1.3.1995
Die 42 Auschwitz-„Theorien“, die Heinsohn zusammenstellt und „widerlegt“, erinnern nicht zufällig an die kantischen Antinomien der reinen Vernunft, die Argumente Heinsohns an die „apagogischen“ Argumente Kants: Sowohl die (meisten der) „Theorien“ als auch deren Widerlegung sind wahr. Das ungute Gefühl, das einen beschleicht, wenn man sieht, wie Heinsohn die „Elemente des Antisemitismus“ aus der Dialektik der Aufklärung zur „Theorie“ zusammenstutzt, gründet darin. Für die Gesamtkonstruktion Heinsohns scheint die Verarbeitung des apokalyptischen Elements entscheidend zu sein. Durch einen Trick wird es vorab „unschädlich“ gemacht: durch das naturhistorische Konstrukt der Venus-Katastrophe, auf deren Erinnerung die Apokalypse generell reduziert wird; so verliert die Apokalypse durch Projektion ins Vergangene (als Erinnerung an eine vergangene Naturkatastrophe) jede „prophetische“, auf die Zukunft bezogene Bedeutung. Nur, was Heinsohn übersieht: Die Apokalypse ist zwar seit je (in der Urgeschichte des Fundamentalismus seit Augustinus) als Angst-Generator, als ein Mittel, die Menschen in einen Zustand zu versetzen, in dem sie beherrschbar sind, genutzt worden (in diesem Sinne war auch Hitler ein Apokalyptiker) – und gegen diesen Gebrauch richtet sich das Verfahren, das in der Geschichte der Aufklärung ebenfalls seit je als Mittel der Angstbearbeitung genutzt worden ist: die Projektion ins Vergangene. So, durch die gleichen Formen der Verdrängungsarbeit, hat die Aufklärung in der Ursprungsgeschichte der Philosophie den Mythos und das Schicksal, und mit dem Ursprungskonstrukt der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung (mit dem Inertialsystem) die Projektionen der Angst und des schlechten Gewissens in einer keineswegs „entsühnten Welt“ zu bewältigen versucht. Etwas anderes ist es jedoch, wenn man versucht, in der Apokalypse, in ihren Symbolen und Bildern, den rationalen Kern zu entdecken, sie als ein Mittel der Angstbearbeitung zu nutzen.
Der Preis für seine (von ihm nicht reflektierte) apagogische Beweisführung ist die Identifizierung des jüdischen „Monotheismus“ mit dem philosophischen und die Ausscheidung der Apokalypse aus der Prophetie.
Die heinsohnsche „Ursachenforschung“ trägt gleichsam bekenntnis-technische Züge: Wer die Ursache kennt, kann sie abstellen. Das Ergebnis ist eine Knopfdruck-Philosophie. Zugleich scheint ihr Motto zu sein: „Dixi et salvavi animam meam“, ein Satz, der bei Ezechiel eine ganz andere Funktion und Bedeutung hatte, jedenfalls nicht auf die Rechtfertigung derer abzielte, die glauben, doch nichts ändern zu können, und deshalb wenigstens rechtbehalten wollen.
Adorno hat einmal auf die ihn erschreckende Erfahrung aufmerksam gemacht, daß Studenten weithin nur noch auf eine sehr instrumentalisierte Weise erfahrungsfähig sind, daß sie aus dem, was einer sagt, nur noch heraushören, wofür oder wogegen es sich richtet. Unter dem Bann dieser Fixierung scheint auch das heinsohnsche Konzept zu stehen; das ist es, was er aus den Auschwitz-Theorien vorab herauszuhören scheint. So entartet Kritik zum Grabenkrieg im Bekenntniskampf.
Das apagogische Argument (dessen Logik damit zusammenzuhängen scheint) rührt an die Grenzen der Beweislogik, wie auch der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist. Das aber verweist darauf, daß die Explosion von Gemeinheit, als welche der Faschismus in der Erinnerung sich enthüllt, außerhalb der Beweislogik liegt. Es gibt keinen Wahn, der nicht auch von einer nur ihm eigenen Logik beherrscht wird. Und um einen Wahn aufzulösen, bedarf es auch der Kritik der Logik, die ihn beherrscht. Diese Kritik der Logik ist nicht irrational, sondern die Freisetzung einer Rationalität, die den Bann des Wahns bricht. Zentral in der Kritik der Logik ist die Kritik des Rechtfertigungszwangs, die die Fähigkeit zur Schuldreflexion mit einschließt. Logische Zwänge sind auch Rechtfertigungszwänge, sie gehorchen dem Exkulpationstrieb. Ihre Überzeugungskraft gründet in der exkulpatorischen Wirkung des Objektivationsprozesses. Insofern hängt Auschwitz in der Tat mit dem, was in Joh 129 die „Sünde der Welt“ heißt, zusammen.
Zur Auflösung der Problems des apagogischen Beweises (die ein Problem der Logik der Schrift ist) trägt das Jesaia-Wort vom Rind und Esel bei, die Unterscheidung von Joch und Last, die Reflexion der Asymmetrie im dialogischen Kern der Sprache, von der das geschriebene Wort abstrahiert (die Logik der Schrift neutralisiert die Asymmetrie von Ich und Du, Zukunft und Vergangenheit, Himmel und Erde). Hierzu gehört der ungeheure Gedanke Kants, daß allein die Hoffnung das Gleichgewicht der apagogischen Beweise, das die Antinomie der reinen Vernunft begründet, zu stören vermag.
Habermas: Die subtilste Art des Vatermords ist die, sich selbst zum Erben zu erklären. Eine Erbschaft kann nur antreten, wer davon ausgeht, daß der Erblasser tot ist. Das Erbe setzt die Enteignung der Toten, die Aufhebung ihrer Eigentumsfähigkeit, voraus. Steht nicht das Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, gegen die Form der Erbschaft unterm Gesetz des Privateigentums, die das uneingeschränkte Verfügungsrecht mit einschließt (und jeden Anspruch der Toten gegen uns ausschließt)? Vater und Mutter ehren heißt, aus der Rolle des Erben heraustreten. Vgl. dagegen die auf das Erbschaftsinstitut reflektierenden Erörterungen bei Paulus, aus denen u.a. der Begriff des „Neuen Testaments“ sich herleitet. Das Testament regelt die Erbschaft und setzt den Tod des zu Beerbenden voraus, während der Bund auf das Verhältnis freier Partnern sich bezieht. Die Vorstellung, das Christentum habe Israel beerbt, ist der Grund des christlichen Antijudaismus (mit der Folge der Neutralisierung der Prophetie, die im Antisemitismus, im Judenmord, endet).
Zum Kontext des Begriffs des Erbes gehört der Weltbegriff, der aufgrund der Erbschafts-Konstellation in ihm den (am Ende eskalierenden) Generationenkonflikt aus sich entläßt.
Nietzsches Wort „Gott ist tot, wir haben ihn getötet“ ist keine theoretische Feststellung, sondern Ausdruck einer verzweifelten Erfahrung. Die christliche Theologie war seit ihrem Ursprung eine Tod-Gottes-Theologie, ein nekrophiles Konstrukt. Das Wort „Gott ist tot“ steht erstmals in der „Fröhlichen Wissenschaft“. Hier ist erstmals das Lachen als Argument erfahren worden, dem Nietzsche nichts mehr entgegenzusetzen hat, und an dem er zugrunde gegangen ist. Der Sohar hat es noch gewußt: Lachen ist schlimmer als Zorn. Nietzsches Philosophie: Der verzweifelte Ausdruck der Hilflosigkeit und Ohnmacht im Angesicht des Lachens; darin gründet sowohl die Lehre vom Übermenschen und vom Willen zur Macht als auch deren metaphysisches Korrelat, die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen.
Das apokalyptische Symbol des Lachens ist der Unzuchtsbecher.
Haß der Welt: Die Scham macht den Andern (und der Inbegriff aller andern ist die Welt) zum Richter über das Subjekt, setzt das Weltgericht an die Stelle des Jüngsten Gerichts.
Traum und Vision haben im Buch Daniel eine Entwicklungsgeschichte:
– Vom Traum des Nebukadnezar, über den das Buch Daniel objektiv, in der dritten Person, berichtet, den Nebukadnezar vergessen hat, und den Daniel, bevor er ihn erklären kann, erst rekonstruieren muß,
– über den Traum, den Nebukadnezar (in der ersten Peron) selbst erzählt, und den Daniel dann auslegt,
– über Belsazar und die Schrift an der Wand, die Daniel erklärt,
– über das Traumgesicht des Daniel,
– bis zu den Gesichten Daniels.
Beschreibt diese Geschichte die Ursprungsgeschichte des „Gesichts“, der apokalyptischen Vision?
Die Getsemane-Geschichte wird unauflösbar, wenn das Kelch-Symbol in dieser Geschichte nur auf den privaten Tod Jesu, auf das Schicksal, das ihm widerfährt, bezogen wird. Vor diesem Hintergrund verdampft das Kelch-Symbol zu einem erbaulichen Vergleich, wird der Kelch gleichsam „innerhalb“ des Kelchs verstanden (der Kelch auf sich selbst angewendet): So wird der Kelch zum Unzuchtsbecher (Subsumtion des Kelches unter den Kelch: die Verwechslung von Joch und Last, Rind und Esel). Hiermit hängt es zusammen, wenn in den Texten des Christentums nur Esel und Lamm (das im Opfer für die Erstgeburt des Esels eintritt) noch erinnert werden, die Erinnerung ans Rind aber verschwunden ist.
Klingt nicht im philosophischen Begriff der Erscheinung (und im Namen der Phänomenologie) der Name des Festes der Epiphanie, der „Erscheinung des Herrn“, nach? -
7.12.1994
Das Geld (der Marktautomatismus) läßt die Armen schuldig werden (die Begründung findet sich dann schon). Das war der Grund, weshalb seit den Kirchenvätern die concuspicentia als Träger der Erbschuld begriffen wurde: Opfertheologie und Vergöttlichung Jesu, Folgen der Instrumentalisierung des Kreuzestodes, gehorchten gleichsam in vorauseilendem Gehorsam immer schon der Logik des Kapitals; so haben sie ihr vorgearbeitet. Eine wichtige Rolle in diesem Prozeß spielte die neudefinierte Funktion der Sexualmoral, der die Kirche verfallen ist, weil sie den Mechanismus nicht durchschauen konnte. (Vgl. hierzu Hinkelammert, Kritik, S. 269ff, insbesondere auch die Anm. S. 271, sowie den transzendentallogischen Zusammenhang des Marktautomatismus mit dem Inertialsystem.)
Der „persönliche Gott“ ist der magische Helfer der Einsamen, der Gott der Sexualmoral.
Läßt sich die Beziehung von Barbaren und Hebräern aus der unterschiedlichen Stellung zur Schuldknechtschaft, und d.h. zur Logik des Kapitals, herleiten?
Der Erkenntnisbegriff reicht weiter als der des Wissens. Es war der Grundfehler des deutschen Idealismus, daß er beide in eins gesetzt hat. (Hängt nicht auch das mit dem Wort vom Rind und Esel zusammen: das Rind ist ein Opfertier, während die Erstgeburt des Esels durch ein Lamm ausgelöst wird?)
Die prophetische, die messianische und die parakletische Erkenntnis sind drei Stufen der Erkenntnis, die auf die Trinitätslehre zurückweisen (auf die Gründe des Antijudaismus, der Ketzerverfolgung und der Frauenfeindschaft). Hat die dritte Leugnung etwas mit der Sünde wider den Heiligen Geist zu tun, die Selbstverfluchung Petri mit der Leugnung der parakletischen Form der Erkenntnis?
Das Urteil ist das Instrument der Veranderung oder der Verweltlichung des Denkens.
Joch und Last: Wird mit dem Jesaia-Wort nicht die Sünde der Opfertheologie bezeichnet, die das Auf-sich-Nehmen der Last, der Sünde der Welt, zum Joch (zur Last für andere) gemacht, es zur Rechtfertigung der Unterdrückung benutzt hat? Die Last nehme ich auf mich, das Joch lege ich anderen auf. Und das ist die Verführung des Inertialsystems wie auch des Tauschprinzips (insgesamt des Schuldverschubsystems), daß sie Last und Joch identifiziert. Adornos Kritik des Identitätsprinzips zielt genau auf diesen Sachverhalt. Der Satz über Rind und Esel enthält die Kritik des Weltbegriffs, der die Identifizierung von Joch und Last zur Grundlage hat. Vgl. hierzu Rosenzweigs Satz: Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr, oder auch das Jesus-Wort: Mein Joch ist sanft und meine Bürde leicht (Mt 1130).
Die Philosophie, und nach ihrer Hellenisierung auch die Theologie, hat seit je das Herrendenken frei- und seine Opfer schuldiggesprochen.
Erwarten sich die Menschen heute nicht von der Religion und von der sie beherrschenden Gottesvorstellung einen Schutz gegen Gott? Die Idee des Absoluten ist nicht nur ein grandioses philosophisches Konstrukt, sondern das Produkt der Instrumentalisierung Gottes, das die Religion heute beherrscht. Mit der Instrumentalisierung Gottes wird das Aggressionspotential, das in uns steckt: die unaufgearbeitete Schuld, auf die Außenwelt abgeleitet; vergessen wird, daß die Sündenvergebung ans Sündenvergeben gebunden ist.
Drückt sich beim Hinkelammert (in den Partien, in denen er über Popper nur schimpft) nicht noch ein Stück Hilflosigkeit aus?
Dieser ungeheuerliche Mechanismus: Wir haben die Armut in die Dritte exportiert, und nutzen sie nun als Hebel, um sie über den Lohndruck, den sie heute erzeugt, wieder zu reimportieren.
Massen sind nur durch ihr „Gewicht“ in einem Gravitationsfeld (auf einer Waage) meßbar. Ist diese Logik auf den Ursprung des Gravitationsfeldes (beim fallenden Apfel auf die Erde, beim Planetensystem auf die Sonne) überhaupt anwendbar, übertragbar? Können die Sonne, die Erde, der Mond oder die Planeten gewogen werden?
Merkwürdige Vermischung von Empirie und Logik: „Den entscheidenden Erkenntnisfortschritt über den Anfang unseres Universums hat 1929 der amerikanische Astronom Edwin Powell Hubble bewirkt. Er stellte bei seinen Beobachtungen im Weltall fest, daß je weiter die Galaxien von uns entfernt sind, sie umso schneller von uns wegfliegen.“ (Amand Fäßler, Direktor des Instituts für theoretische Physik und Dekan der Fakultät für Physik der Universität Tübingen, in Publik Forum vom 02.12.94, S. 50). Hubble hat die Rotverschiebung der Spektrallinien der Sterne in Abhängigkeit von ihrer Entfernung entdeckt. Die Vorstellung der Expansion des Weltalls beruht auf einer Interpration dieses Sachverhalts auf der Basis des Doppler-Effekts. (Auf S. 52 fordert Fäßler: „Wir müssen gegenüber allen Ideologie sehr skeptisch sein …“)
Was das kopernikanische System so nützlich gemacht hat, war, daß man sich dieses Planetensystem so schön vorstellen konnte, daß man es auf eine Bildebene projizieren (es der Logik der Schrift unterwerfen) konnte. Die Vermittlung dieses Bildes durch die Logik der Schrift blieb unreflektiert. So wurde die Unterscheidung zwischen dem Im Angesicht und dem Hinter dem Rücken gegenstandslos: Es gab nur noch ein Hinter dem Rücken. Dieser Schritt hat die „Wirklichkeit“ zur Erscheinung gemacht. Nicht zufällig hat Kant sein Konstrukt der transzendentalen Ästhetik, der subjektiven Formen der Anschauung, aus denen die transzendentale Logik abgeleitet ist, als eine Konsequenz aus der „kopernikanischen Wende“ verstanden.
War nicht die machsche Kritik der Atomistik ein Versuch der Rekonstruktion des Objekts aus Empfindung und Logik, der sehr kantisch ist, zugleich ein Reflex der Probleme der damaligen Äthertheorien? Die Auflösung dieses Problems (u.a. durch die spezielle Relativitätstheorie Einsteins, durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit) war einer der Gründe des Ursrpungs des Neopositivismus, des logischen Empirismus, für den die Rekonstruktion des Objekts aus dem Chaos der Empfindungen nicht gelöst, nur obsolet geworden ist. Die veränderte Logik der neuen Naturwissenschaften (die mit der veränderten Logik der Ökonomie aufs merkwürdigste konvergierte) drückte dann in veränderten Positionen sich aus (Problem der Kausalität, der Anschauung, des „Beobachters“). Das ist das Problem der Beziehung der Naturwissenschaften zum „kulturellen Milieu“. Aus dem Konstitutionsproblem wurde ein innerlogisches Problem, dessen Gegenstandsbedeutung ungeklärt geblieben ist (vgl. Poppers „Falsifikations“-Theorem).
Wer an der Atomvorstellung festhält und weiterhin nach den letzten Bestandteilen der Materie sucht, wird sich damit abfinden müssen, daß er auf immer neue Zwiebelschalen stößt.
Wer die Postmoderne für ein weltanschauliches Problem, gleichsam für ein Bekenntnisproblem, hält, verharmlost das Problem; die Postmoderne spiegelt in Wahrheit die innerlogischen Probleme des derzeitigen Standes der Aufklärung wider.
Sind die flektierenden Sprachen nicht Fortbildungen der agglutinierenden Sprachen, die Affixbildungen Weiterbildungen der Determinanten, die selber schon als erste Spuren der Logik der Schrift in der Sprache zu begreifen sind? Spiegelt die Trennung der Sprachen nicht verschiedene Phasen der Verschriftlichung der Sprache wider, und war vielleicht das Bilderverbot gegen den „Fortschritt“ der indogermanischen Sprachlogik gerichtet?
Kann es sein, daß das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande sich auf die Geschichte der christlichen-jüdischen Beziehung seit dem Urschisma bezieht?
Der Begriff des „vollkommenen Wissens“ wäre anwendbar nur auf eine tote Welt, auf eine endgültig abgeschlossene Vergangenheit. Die Allwissenheit als Attribut Gottes unterscheidet sich von der Erkenntnis, die Gott allein zugesprochen werden kann, durch eine qualitative Differenz: durch die Abwesenheit der Barmherzigkeit. Wissen ist gnadenlos, ihrem eigenen Objekt, auf das es sich von nur außen bezieht, fremd; die göttliche Erkenntnis wäre das Gegenteil davon: das Angesicht Gottes als eine Erkenntnis, in der seine Objekte sich selbst ohne Angst wiedererkennen.
Das Wissen ist (wie die Begriffe Natur und Welt) ein Produkt der Logik der Schrift; auf ein „All“, das vorauszusetzen wäre, wenn es so etwas wie ein vollkommenes Wissen geben sollte, läßt es ohne Selbstwiderspruch nicht sich beziehen (die Entfaltung dieses Selbstwiderspruchs ist die Hegelsche Logik, in der die Stelle des „vollkomenen Wissens“ von der Idee des Absoluten, der Spiegelung des Subjekts im Unendlichen, besetzt wird).
Die Geschichte ist ebensowendig das Weltgericht, wie Gott der Herr der Geschichte ist. Nach Hegel bezeichnet der Begriff der Geschichte sowohl die vergangenen Begebenheiten als auch ihre Darstellung, die erinnernde Vergegenwärtigung des Vergangenen; verweist das nicht auf einen logischen und sachlichen Zusammenhang beider? Wird nicht das Vergangene erst durch seine Erinnerung zum Vergangenen? Vollzieht die historische Erinnerung und Vergegenwärtigung des Vergangenen (seine Vergegenständlichung im Kontext der Fundierung der Institution des Privateigentums und der Begründung des Begriffs) erst die Taufe der Vergangenheit am Vergangenen? In welcher Beziehung steht dieser Begriff der Geschichte zum Weltbegriff (zum Wertgesetz und zum Inertialsystem)? Gibt es einen Weltbegriff ohne die Abtrennung (und Vergegenständlichung) der Vergangenheit als Geschichte? Gehört diese Abtrennung nicht als ein konstitutives Moment zum Begriff der Geschichte und zur Konstituierung ihres Objekts, der Gegenwart, die nur so zu einem Teil der Geschichte wird (zur Konstituierung sowohl der Geschichte als auch der Welt, die erst durch ihre Beziehung zur eigenen Geschichte als Welt sich konstituiert)? Aber bedeutet das nicht auch, daß sowohl der Bann der Natur als auch der der Geschichte beide in einen Schuldzusammenhang rückt, der ihre Beziehung zur Wahrheit verhext? (Epos, Gegenständlichkeit, Logik der Schrift: nicht nur die Naturwissenschaft, auch die Geschichte ist ein Verdrängungsinstrument; vgl. die Funktion kontrafaktischer Urteile in der Geschichte; Prophetie und Apokalyptik; Fälschungen in der Geschichte).
Durch ihre historische Vergegenständlichung ist die Geschichte zu einer Kolonie der Gegenwart geworden. Die Gegenständlichkeit der Geschichte ist eine ästhetische, keine reale: Grund des Objektbegriffs und des Begriffs des Wissens, der ohne das Moment des Scheins nicht zu begründen ist.
Ohne den Weltbegriff kein „persönlicher Gott“; beide stützen sich gegenseitig. Atheistisch ist erst die zur kritischen Masse zusammenschießende verweltliche Welt (der Faschismus, der zum Staatskapitalismus gewordene „real existierende Sozialismus“).
Ist das Präsens Produkt der erinnernden Vergegenwärtigung des Vergangenen, die versperrte Gegenwart (durch die zeitlichen Formen des Konjugationssystems – durch Präteritum, Plusquamperfekt, Futur II – vermittelt wie der Nominativ durch die Kasus, durch Akkusativ, Genitiv und Dativ)?
Zur Ableitung und Kritik des Gehorsams: Die Attribute Gottes stehen im Imperativ. Ihre Erkenntnis ist prophetische Erkenntnis, die nicht den Gehorsam begründet, sondern das autonome Tun als Erfüllung des Worts. Der Gehorsam verwandelt den Imperativ in einen Indikativ, das Gebot ins Gesetz: er steht unter dem Bann der Logik der Schrift (Folge der Objektivierung des Attribute Gottes).Adorno, Antijudaismus, Ästhetik, Einstein, Faschismus, Fäßler, Geld, Hegel, Hinkelammert, Hubble, Inquisition, Kant, Kapitalismus, Kausalität, kontrafaktische Urteile, Kopernikus, Mach, Naturwissenschaft, Ökonomie, Philosophie, Popper, Postmoderne, Rosenzweig, Sexismus, Sexualmoral, Sprache, Theologie -
12.10.1994
In seiner Bemerkung über das Licht (in der Naturphilosophie) hat Hegel das entscheidende Moment, durch das das Licht vom Raum, den es hell macht, wie auch von der Finsternis sich unterscheidet, vergessen oder verdrängt: den Blick des andern, den er zu einem Moment des Begriffs, des Allgemeinen, verdinglicht. Die kantischen Antinomien sind der transzendentallogische Ausdruck dieses Blicks.
Ist nicht der Naturbegriff das Feigenblatt der Zivilisation, und der Weltbegriff der Rock aus Fellen? (Und ist der Naturbegriff die Ursprungsgestalt des Tieres aus dem Meere: mit zehn Hörnern und sieben Köpfen; der Weltbegriff die des Tieres vom Lande: es hat zwei Hörner wie ein Lamm und redet wie ein Drache?)
Das Schicksal und die Scham sind die Konstituentien des modernen Naturbegriffs. Gegen die Konstruktion und den Gebrauch des Naturbegriffs steht das Wort, daß man nicht mit einem Rind und einem Esel zusammen pflügen soll (Dt 2210).
Die kantische Vernunftkritik ist ein erster Versuch, die (verbotene) Verknüpfung von Rind und Esel zu lösen.
Der johanneische Logos schließt den Imperativ mit ein, in den prophetischen Symbolen das sprachliche Element zu begreifen. Aber was bedeutet dann der Satz, daß man das Böckchen nicht in der Milch seiner Mutter kochen soll (Ex 2319)? Hängt dieser Satz zusammen mit dem über das Rind und den Esel (verhalten sich beide zueinander wie das Weibliche und das Männliche)? Hat der Bock etwas mit dem Lamm zu tun, und ist die Milch seiner Mutter die Tora? Und richtet sich das Verbot u.a. gegen die Opfertheologie (und gegen den Antijudaismus)?
Bedingungen des Christentums: Der Naturbegriff bindet Ochs und Esel zusammen vor einen Pflug, der Weltbegriff kocht das Böcklein in der Milch seiner Mutter? Was bedeutet es, wenn die Erstgeburt des Esels durch ein Lamm ausgelöst werden sollte?
Erwecken unsere Politiker (und ihre politische Klientel) nicht gelegentlich den Eindruck, daß sie immer noch nicht begreifen, warum wir die Juden nicht haben umbringen dürfen, und verhalten sie sich nicht so, als läge der einzige Grund, der gegen das entsetzliche Verbrechen spricht, im Sieg der Weltmächte, die seitdem (mit der Legitimation des Sieges) die Quelle unseres „Gewissens“ sind? -
11.10.1994
Nicht „Nach uns die Sintflut“, sondern „Nach uns der Urknall“ (der in der derzeitigen Entwicklung der Moral sich ausbildet und heranreift) bezeichnet den gegenwärtigen Weltzustand.
Zu dem Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ gehört der andere: Juristische Personen können nicht festgenommen und nicht in Haft genommen werden.
Was haben juristische mit ästhetischen Personen gemeinsam (ein Beitrag zum Problem des Ursprungs des Objektbegriffs und zum Begriff der Ästhetik)? Juristische Personen sind Objekte im Geldraum; diesen aber gibt es, seit es Schulden gibt. Was war eher da: Schulden oder Privateigentum?
Oder: Institutionen sind Vorläufer und Entsprechungen des Inertialsystems.
Im Begriff des Scheins zitiert Hegel das Inertialsystem (gegen das er die List der Vernunft setzt), und mit diesem Begriff dringt die Ästhetik in Hegels Logik ein (Folge der Transposition der Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik).
Der Begriff einer unsterblichen Seele ist ein Produkt der Logik der Schrift und zugleich der reinste Ausdruck des Schreckens: Ursprung der Höllenvorstellung. Ist die Hölle nicht der Erbe der verdrängten und zugleich christlich verdinglichten „Unheilsprophetie“, und hat nicht der Antijudaismus im Bild des Juden seit je die arme Seele als Teufel angesehen?
Käme es nicht heute darauf an, den Begriff des Glaubens aufzulösen und den der Treue wiederzugewinnen: die Wahrheit aus der Theorie in die Praxis zurückzuholen?
Der Hinweis Emmanuel Levinas‘, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, wäre zu erweitern: Auch der Indikativ gewinnt durch seine Anwendung auf Gott imperativische Bedeutung und Funktion, und genau darin liegt das Verführungspotential einer Theologie hinter dem Rücken Gottes.
Ist nicht die Idee des Absoluten eine Vergegenständlichung des imperativen Charakters der Attribute Gottes (die so ihres Inhalts beraubt, formalisiert und für weltliche Herrschaftszwecke verfügbar gemacht werden); oder ist nicht die Idee des Absoluten die Vollendung dessen, was Paulus das Gesetz nennt?
Greuel am heiligen Ort: Der Grad der Vergesellschaftung von Herrschaft ist ein Maß für die Nähe des Gottesreichs.
Wie wäre es mit dem schönen Titel: Die Rückseite Gottes? Weder Angesicht, noch Name: Die Rückseite Gottes ist das Feuer.
Müßte nicht die raf die Sünde des Paulus zurücknehmen (verweist vielleicht der „Stachel im Fleisch“, von dem Paulus in 2 Kor 127 spricht, auf diese „Sünde“: seinen niemals öffentlich bekannten Anteil an dem Tod des Stephanus)? Und gründet nicht beides in der opfertheologischen Verarbeitung des Kreuzestodes (Grund jeglicher Apologetik)? Ist nicht das paulinische Bekenntnis, er habe vor seiner Bekehrung „die Kirche verfolgt“, zu abstrakt im Hinblick auf seine Rolle beim Tod des Stephanus; und ist dieses „Bekenntnis“ nicht das Modell der kirchlichen Apologetik im Anblick ihrer eigenen Vergangenheit?
Haben die sieben Köpfe des Drachen und des Tieres aus dem Meer etwas mit den sieben unreinen Geistern und den sieben Siegeln zu tun?
Was heißt „Roß und Reiter nennen“? Der Ausdruck ist gleichbedeutend mit dem Wort „die Dinge beim Namen nennen“. Hat das etwas mit dem „feurigen Wagen mit feurigen Rossen“ (2 Kön 211) und mit dem Schrei des Elisa „Wagen Israels und sein Reiter“ (ebd. 212) zu tun? -
7.10.1994
Haben das Buch des Lebens und der Baum des Lebens (der mit dem Sündenfall von der Welt getrennt worden ist) etwas mit einander zu tun? Ist es nicht die Prophetie, die sich ins Buch des Lebens einschreibt?
Die Logik der Schrift ist die Urteilslogik; durch sie wurden Natur und Welt getrennt.
Die „fortgeschrittenen“ Zweige der Naturwissenschaften sind heute ebensosehr empirisch wie sie zugleich den vergeblichen und – aufgrund des ihnen innewohnenden Wiederholungszwangs – aussichtslosen Kampf gegen den blinden Fleck führen. Es käme darauf an, den Zirkel (und das logische Gravitationsfeld), in dem sie sich bewegen, zu analysieren und aufzulösen.
Wer heute sagt „Ich bin doch nur ein kleines Rädchen“, den trifft die Frage Gottes: „Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist?“
Die Nacktheit ist die Nacktheit des Andern gegenüber allen Andern. Den Ursprung dieser Nacktheit benennt Hegels Satz: Das Eine ist das Andere des Anderen. Nacktheit ist der Reflex des Weltbegriffs in allen weltlichen Dingen. Deshalb sind Tatsachen nackt.
Wenn heute die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und das Mobbing immer deutlicher ins Feld der Aufmerksamkeit rücken, so verweist das zugleich auf einen strukturellen, systematischen Sachverhalt: Sie sind ein Indiz für den historischen Zustand der Welt.
Der Begriff Kollektivscham ist ebenso unverschämt wie schamlos. Zu ihm paßt das Wort des Bundeskanzlers: Es gibt Wichtigeres als Solingen.
Die Externalisierung der verinnerlichten Scham ist vergleichbar jenem Prozeß, in dem die Außenwelt bewußtlos und ungehindert in alle Manifestationen der Religion (der Kirche) eindringt, sie durchsetzt, überwuchert und verformt. Die Verweltlichung der Kirche erreicht heute den Stand der Selbstverfluchung.
Die Kollektivscham ist der Unzuchtsbecher.
Ist nicht die Apokalyptik eine Gestalt der Prophetie, in der sie selber nochmals der Logik der Schrift unterliegt, was sie in ihren avanciertesten Gestalten selber reflektiert. Ihr Antlitz bleibt durch das Erleiden des Zwangs entstellt. Diese Entstellung aber ist wahrer als ihre Neutralisierung durch die Person.
Ohne Ansehen der Person: Die ungeheure Wahrheit dieses Wortes: das Angesicht ist ohne Ansehen der Person.
Die die Apokalyptik bewegende Kraft ist der Wunsch nach Enthüllung des Angesichts.
Nicht „die Juden sind Gottesmörder“, sondern im Kreuzestod erfüllt sich die Schrift. Rückt nicht der ganze Paulus in ein anderes Licht, wenn in seiner Kritik des Gesetzes die Kritik der Logik der Schrift erkennbar wird?
Das Dogma gehört zum Kelchsymbol. Das Wort „Vater, wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorübergehen“ gilt nicht zuletzt auch für das Dogma. Nur in diesem Kontext ist das Dogma ein Teil des Willens des Vaters.
In welcher Beziehung steht der Name des Vaters zum Problem der Logik der Schrift? Zum Namen des Vaters (zur Widerlegung der homousia) gehören:
– Getsemane (Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe),
– „den Tag und die Stunde kennt niemand, auch nicht der Sohn, nur der Vater“,
– nicht der Sohn, sondern der Vater vergibt die Plätze zur Linken oder Rechten des Sohns,
– „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“.
Der Name des „dunklen Mittelalters“ ist durchaus projektiv: Das Dunkle am Mittelalter ist das Verdrängte des verdinglichten Bewußtseins (die opfertheologische Vorgeschichte des Objektivierungsprozesses). Die Aufklärung des Mittelalters rührt an die dunklen Gründe der säkularen Zivilisation.
Das Mittelalter ist die Geschichte des Ursprungs des Objektbegriffs; der Objektbegriff ist ein Produkt der Logik der Schrift: Mit dem Abstraktionsschnitt, den Schrift vollzieht, entspringt der Objektbegriff. Der Mechanismus, dem die Konstitution des Objektbegriffs sich verdankt, ist durch die kantische Vernunftkritik erstmals ins Bewußtsein gehoben worden.
Die Verinnerlichung des Schicksals (der Ursprung des Begriffs) und die Verinnerlichung der Scham (der Ursprung des Objektbegriffs) bezeichnen die Phasen der Geschichte der Logik der Schrift. Gegen die Schicksalsidee und seine Folgeprodukte, die Herrschaftsstrukturen, richtet sich das Hören, das dann nicht zufällig als „Gehorsam“ in diese Herrschaftsstrukturen wieder eingebunden worden ist.
Die Logik der Schrift hat die Prophetie von ihrem Aktualitätsbezug getrennt; hier liegt der Grund, weshalb dieser Aktualitätsbezug im kirchlichen Antijudaismus auf die Juden verschoben werden mußte: Nur so war es möglich, sich selbst aus diesem Aktualitätsbezug (aus der „Unheilsprophetie“) herauszustehlen. Zu den Folgekonstrukten gehörten insbesondere die Opfertheologie und die Lehre von der „Entsühnung der Welt“.
Zusammen mit der Entwicklung der Raumvorstellung hat die Logik der Schrift zur Totalität sich entfaltet.
„be-“ ist das Präfix der Vergegenständlichung, „zer-“ das der Zerstörung durch andere, „ver-“ das der Selbstzerstörung, der Zerstörung einer Sache durch ihr eigenes Anderssein. -
22.9.1994
Das Oberlandesgericht Frankfurt hat das Verfahren gegen den 38-jährigen Siegfried Nonne „mit Rücksicht auf die Kronzeugenregelung“ eingestellt. Siegfried Nonne hatte Anfang 1992 ein „Geständnis“ über eine angebliche Beteiligung an dem Mord an Alfred Herrhausen abgelegt, und hierbei Namen von Leuten genannt, die die Tat begangen haben sollen. Später hat er dieses „Geständnis“ öffentlich (u.a. in der ARD-Sendung „Brennpunkt“) mit dem Hinweis widerrufen, er sei „von hessischen Verfassungsschützern gezwungen“ worden. Das Oberlandesgericht unterstellt, daß das erste Geständnis stimmte. Wer wurde damit freigesprochen: Siegfried Nonne, der Generalbundesanwalt oder der hessische Verfassungsschutz? Und außerdem: Liegt diese Entscheidung nicht in der Linie der Konsequenz aus dem dezisionischen Souveränitäts-Begriff Carl Schmitts, der immer mehr und immer deutlicher aus dem politischen in die juristische Ebene sich verlagert? Souverän ist nicht mehr das Staatsoberhaupt („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“), sondern die Justiz, die im Verfassungs- und im Staatsschutzbereich immer mehr politische Kompetenzen übernimmt. Grund ist ein Rechtsstaatsverständnis, das die Lücke im Recht durch eine gnadenlose und in ihrer Konsequenz selbstmörderische Staatsmetaphysik zu schließen versucht (hier liegt der systemische Grund für den Titel Staatsanwalt).
Liegt in den Sätzen des Hiob und des Jeremias, in denen sie wünschen, schon vor ihrer Geburt gestorben zu sein, nicht die Geburt der modernen Naturwissenschaft: der Ursprung der der Vorstellung einer homogenen Zeit, die, indem sie die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, den Tod vor die Geburt verlegt (Zusammenhang mit der Reichsidee und dem babylonischen Caesarismus)?
Wie hängen die Hiob- und die Jeremias-Stelle mit der anderen Stelle bei Jeremias (15: Noch ehe ich dich bildete im Mutterleib, habe ich dich erwählt) zusammen? Und hat diese Konstellation etwas mit dem Ursprung des Weltbegriffs (und seiner Vorankündigung bei Jeremias) zu tun? Die Verfluchung der eigenen Geburt und das Motiv des Schreckens um und um sind die Innenansicht der Verzeitlichung der Konjugation und des Ursprungs des Neutrum, beide sind durch die Geschichte der Reichsbildung vermittelt. Herrschafts- und sprachgeschichtlich gehört das zusammen wie Nebukadnezar und der Turmbau von Babel. Die babylonische Sprachverwirrung gehört zur Ursprungsgeschichte der Zivilisation: die Bibel hält die Erinnerung an die Schreckenserfahrung fest, die die Zivilisationsgeschichte (unterm Vorzeichen der Philosophie) in der Sprache selber (durch ihr ihre eingeschriebene Logik und Struktur) verdrängt. Diese Erfahrung wird durch den Weltbegriff neutralisiert.
Bezieht sich Deut 2210 „Du sollst nicht Ochse und Esel zusammen vor den Pflug spannen“ (wie auch die damit zusammenhängenden Gebote der Vermischung) auf die „Vermischung“ von Vergangenheit und Zukunft in der Vorstellung einer homogenen Zeit (auf die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit)? Hat diese Stelle (das Verbot, Joch und Last gleichzusetzen: die Diskriminierung des mechanischen Materiebegriffs) etwas mit dem gordischen Knoten (der Joch und und Deichsel verbindet) zu tun?
Gibt es in der Bibel das Gebot: Du sollst nicht lügen? Vgl. Lev 1911: „Ihr sollt nicht stehlen und nicht ableugnen und nicht einer den andern betrügen“ (Zürcher Bibel)/ „Ihr sollt nicht stehlen, nicht täuschen und einander nicht betrügen“ (Einheitsübersetzung).
Nicht aufs Ansehen (auf den Ruf), sondern aufs Tun kommt’s an.
Ist der Katholizismus heute nicht endgültig zur Weltreligion geworden (und geht er daran nicht zugrunde)?
Die Zukunft aus der Herrschaft der Vergangenheit befreien (die Zukunft freischaufeln), das kann niemand allein. Deshalb kann niemand alleine Christ sein.
Die Personalisierung des Teufels hat (wie jede Verteufelung seitdem) nur zur Stabilisierung von Herrschaft beigetragen (Verteufelung als Blitzableiter der Herrschaftskritik). Besser als hinter seiner Personalisierung konnte sich der Teufel nicht verstecken. Aber das funktionierte nur solange, wie das Bild des Teufels aus der Sexualmoral sich nährte. Die Schrecken der Hölle waren nur solange wirksam, wie es möglich war, die Schrecken der Herrschaft in der Phantasie noch zu steigern.
Die Opfertheologie ist das Produkt der Theologisierung der Logik der Ausbeutung.
Hegels Philosophie heult mit den Wölfen (und das Weltgericht ist das Heulen der Wölfe). – Wie hängt die Klugheit der Schlange mit dem Heulen der Wölfe zusammen?
Hat das Gebot, den hebräischen Sklaven nach dem sechsten Jahr freizulassen, etwas mit der Geschichte der hebräischen Schrift (mit der Geschichte der Logik der Schrift als Grund und Spiegel der Herrschaftsgeschichte) zu tun?
Mit der kopernikanischen Wende ist die Erde ein zur kapitalistischen Aneignung freigegebenes „herrenloses Gut“ geworden. Darin liegt die theologische Bedeutung des Konzepts eines unendlichen Raumes. Insofern gehören Kopernikus und die „Entdeckung Amerikas“ (als Paradigma der Kolonialisierung der Welt) zusammen.
„Spruch des Herrn“: Ist das nicht der Versuch, die Logik der Schrift von ihrem Fluch, an die Adresse des Allgemeinen gefesselt zu sein, zu befreien? Rosenzweigs Kritik des „All“ wäre durch die Kritik der Gemeinheit (die Kritik der Logik der Schrift) zu ergänzen (und als Kritik des Allgemeinen, des Weltbegriffs zu entfalten).
Die Allgemeinheit des schriftlich fixierten Rechts hat zum Grund die Souveränität dessen, der das Gesetz erlassen hat (nach Heinsohn des gleichen, der auch als erster in seinem Namen Geld geprägt hat: Hammurabi = Darius).
Hat der Rekurs der Heinsohn-Gruppe auf eine Naturkatastrophe (die Venus-Katastrophe) nicht seine eigene Logik in der Konsequenz, die ihn mit seinem historistischen Ansatz verbindet? Hier wird gleichsam ein zweitesmal die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert.
Handelt nicht der „Sündenfall“ von der Geschichte, in der die Sprache (auf dem Wege von Jerusalem nach Jericho) unter die Räuber (unter die Logik der Schrift) gefallen ist („die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen“)? Der Priester und der Levit sahen ihn und gingen vorüber.
Der Weltbegriff ist der Ursprung, das Instrument und das Produkt der Identifikation mit dem Aggressor.
Die kopernikanische Wende hat die Verinnerlichung der Schicksalsidee zur Verinnerlichung der Scham weitergetrieben, ein Prozeß, in dem die Scham gegen das Subjekt selber sich wendet, es tendentiell auslöscht.
Nur die deutsche Sprache hat die kopernikanische Wende in ihre Sprachlogik mit aufgenommen, während die anderen modernen Sprachen, insbesondere die romanischen Sprachen, in der Logik der Islamisierung der Sprache steckengeblieben sind. (Ist nicht die gesamte osteuropäische Orthodoxie insofern ein Archaismus, als sie die Lehre in einem vorislamischen Stand konserviert?).
Sünde wider den Heiligen Geist: Das Inertialsystem hat mit der Natur gemacht, was die Schrift mit der Sprache (und die Bekenntnislogik mit der Theologie) gemacht hat.
Gott und Teufel, Feindbild und Opfertheologie: Zur Bekenntnislogik gehört das Feindbild wie das Idol zum Götzendienst; über die Bekenntnislogik gleicht deren Subjekt dem Bild seines Feindes ebenso sich an wie umgekehrt das Feindbild auch als Projektion dessen, was das Subjekt in sich selber verdrängen muß, begriffen werden muß. Über das Feindbild stellt eine Reflexionsbeziehung sich her, die den Inhalt des Bekenntnisses mit bestimmt. In seiner entfalteten Form leistet die Bekenntnislogik
– die Sicherung der Verdrängungsleistung (durch Projektion des Verdrängten auf den Feind),
– den Schein der Schuldfreiheit (Befreiung durch Bestrafung des Feindes als Sündenbock) und
– die Abfuhr der Aggression, deren Ursprung ins Objekt verlegt wird, die dem Täter gleichsam nur objektiv und schicksalshaft widerfährt: Schuldig ist das Opfer, dessen stellvertretendes Leiden den Täter von der Schuld befreit.
Dieser Mechanismus hat über die Opfertheologie (den transzendentallogischen Kern der Bekenntnislogik) den Weltbegriff nicht nur begründet, sondern zugleich „entsühnt“, den herrschaftslogischen Kern des Weltbegriffs (die poltische Theologie der Staatsmetaphysik) unsichtbar und unangreifbar gemacht.
Die Tatsache, daß Jesus ein Jude war, wird sich erst dann produktiv in der Reflexion und Auflösung des Antijudaismus verwenden lassen, wenn sie als Teil der Kritik der Bekenntnislogik (und als Grundlage der Rekonstruktion eines prophetischen Erkenntnisbegriffs) begriffen wird. -
15.9.1994
Carl Schmitt, der Weltbegriff, die Bekenntnislogik und der Begriff der politischen Theologie.
Die politische Theologie ist das Objekt der vorletzten Bitte des Herrengebets: et ne nos inducas in tentationem.
Der Caesarismus ist die logische Konsequenz der Philosophie (des Weltbegriffs). Er gründet im Problem der Souveränität: er ist ein Versuch, das Problem des politischen Handelns unter den Bedingungen der Ontologie zu lösen; dieser Versuch mündet zwangsläufig im Dezisionismus.
Ist nicht das, was wir heute den Rechtsstaat nennen, die Verlagerung des Problems der Souveränität in die Verwaltung, in die Person des Richters (vgl. die Entwicklung zur Politisierung des Bundesverfassungsgerichts) und in die Institutionen staatlicher Gewalt (Milität und Polizei)? Insgesamt scheint es nur noch um die Destruktion der Verantwortung zu gehen. So läßt sich der heutige Stand des Problems der Souveränität am Anwachsen der Verwaltung, an der wachsenden Stummheit der Politik und an der generellen Tendenzen zu Militärdiktatur und Polizeistaat ablesen. Vgl. hierzu Carl Schmitt, Politische Theologie, S. 37: „Daß es die zuständige Stelle war, die eine Entscheidung fällt, macht die Entscheidung relativ, unter Umständen auch absolut, unabhängig von der Richtigkeit ihres Inhalts und schneidet die weitere Diskussion darüber, ob noch Zweifel bestehen können, ab.“
Carl Schmitt zieht die politischen Konsequenzen daraus, daß die Kirche spätestens seit der Privatisierung der Sexualmoral die Erbsünde unter das Schuldverschubsystem subsumiert hat.
Joh 1915: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser.“ Dieser Satz der Hohepriester vor Pilatus ist ein Schlüsselsatz zum Verständnis des Johannes-Evangeliums; außer dem „Antijudaismus“ des Johannes-Evangeliums begründet er, weshalb die Sadduzäer nicht an die Auferstehung glaubten. Im unmittelbaren Anschluß an diesen Satz heißt es: „Darauf lieferte er (Pilatus) ihn an sie aus, damit er gekreuzigt würde.“ -
5.8.1994
Mythos und Aufklärung gehorchen beide der Logik der Schrift. Ist nicht das Relativitätsprinzip das Wasser, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit das Feuer (und die „spezielle Relativitätstheorie“ Einsteins haschamajim)? Die Welt ist alles, was der Fall ist: Ist das nicht gleichbedeutend mit dem Satz: Die Welt ist alles, was in synthetischen Urteilen apriori sich fassen läßt? Alles, was der Fall ist, das ist der Inbegriff aller intentionalen Erkenntnisse, aller der intentio recta gegebenen Erkenntnisse: der Inbegriff aller Erscheinungen. Die Herrschaftsgeschichte ist die Geschichte der fortschreitenden Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit; so treibt sich die Herrschaftsgeschichte selber immer tiefer in die Vergangenheit hinein: bis zur Sünde Adams; so wird sie zur Geschichte der Erbsünde. Wird mit der Reflexion dieser Geschichte heute vielleicht zum erstenmal Joh 129 verständlich? Das Subjekt der Psalmen ist nicht das private Subjekt, sondern das messianische (David). Gilt das nicht auch für die Prophetie? Seit die Kirche durch das Erfüllungs-Konstrukt (durch das Theologumenon, die Prophetie habe sich in Jesus erfüllt) sich gegen die prophetische Erfahrung abgeschirmt, immunisiert hat, hat sie den Anspruch aufgegeben, Israel zu sein, hat sie durch ihren Antijudaismus die Juden an ihre eigene prophetische Tradition gefesselt. Die Bekenntnislogik ist (wie der Weltbegriff und auf der Grundlage seiner logischen Prämissen) ein Abkömmling der Logik der Schrift. Sind nicht Religionskriege (Bekenntniskriege) Stammeskriege unter den Bedingungen der Zivilisation (der Logik der Schrift)? Hat das Problem der Organtransplantationen nicht auch einen hochgradig symbolischen Aspekt? Zur Kritik der Gewalt: Die Kugel ist kein Argument. Paßt nicht das Gewaltmonopol des Staates zur Kollektivscham wie die Faust aufs Auge? Beide sind durch das auf der Schuldreflexion lastende Denkverbot mit einander verbunden.
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14.4.1994
Drei Dinge stehen der Theologie heute im Wege:
– Auschwitz und die antijudaistische Tradition,
– die Naturwissenschaften und der Stand der Aufklärung und
– in der Theologie selber der parvus error in principio: die Rezeption des Weltbegriffs, das Dogma und die Opfertheologie.
Weltlose Welt: Mit der Rezeption des Weltbegriffs hat sich die Theologie selber liquidiert.
Wenn die Sprache die Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung ist, und der Weltbegriff die Leugnung der Sprache mit einschließt, dann bezeichnet der Naturbegriff, der den Weltbegriff begründet, die aktive Leugnung der Sprache (Ursprung des Begriffs): Der Naturbegriff als Leugnung der Auferstehung ist die Leugnung der Sprache: macht den Namen zu Schall und Rauch.
Der iranisch-zoroastrische Aspekt der Astrologie ist dem babylonisch-chaldäischen genau entgegengesetzt: Hat das sprachliche Gründe (Turmbau zu Babel, Ursprung der indogermanischen Sprache)?
Die drei Umkehrbeziehungen:
– im Angesicht und hinter dem Rücken,
– rechts und links,
– oben und unten,
(die drei Dimensionen des Raumes) sind drei verschiedene Formen der Beziehung zur Vergangenheit. Darin gründet Rosenzweigs Konstruktion des Stern der Erlösung: die Sprengung des All durch die Todesfurcht und die Konstituierung der drei Elemente des Stern der Erlösung.
Zur Kritik der Ästhetik: Hängen nicht die transzendentale Ästhetik, die Kunst und der Staat ineinander wie die drei Dimensionen des Raumes (der blinde Fleck der politischen Theologie). Kant brauchte die Lehre von den subjektiven Formen der Anschauung, um die Subjektivität des Objektbegriffs begründen und so das Objekt in die apriorische Form des Urteils mit hereinnehmen zu können?
Wie hängen der Ursprung des Geldes, die Astrologie, die Erfindung der Schrift (durch die Sprachen sich verändert haben) und die Schicksalsidee mit einander und mit der Ursprungsgeschichte des Staates und des Weltbegriffs zusammen?
Dareios I. hat erstmals mit Einführung einer reichseinheitlichen Münze die Währungseinheit hergestellt (Donner, S. 398): Damit hat er den Schuldzusammenhang, für den das Geld einsteht, in die Struktur des Staates mit hereingenommen und die Grundlage für Rechtseinheit geschaffen, die Dareios II. (der Hammurabi der Orientalisten) als Gesetzgeber dann realisiert hat.
Die Geschichte mit den sieben unreinen Geistern steht (im wesentlichen textgleich) bei Mt (1243ff) und bei Lk (1124ff); nur bei Mt wird sie ergänzt durch den Hinweis: So wird es auch mit diesem bösen Geschlecht sein.
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben: Steckt darin nicht der Hinweis, daß die Wahrheit nicht absolut ist, sondern nur eine Zwischenstufe zum Leben?
Die Orthodoxie wie die Orthogonalität fixiert eine Beziehung zur Zeit, die in der Vorstellung einer homogenen Zeit sich niederschlägt. War das der Zweck von Orthodoxie und Orthogonalität?
Durch die Orthogonalität ist der Raum zur Form der Gleichzeitigkeit geworden, was er nicht an sich ist.
Historisch gründet die (Entdeckung der) Orthogonalität in der Geldwirtschaft; sie hat dann in der Bekenntnislogik Macht übers Christentum gewonnen.
Die Christen, für die Jesus zur Rechten des Vaters sitzt, können seitdem rechts und links nicht mehr unterscheiden (ist das Buch Jona postapokalyptisch und prächristlich zugleich?).
Eine Theologie im Angesicht Gottes setzt die Kritik der Naturwissenschaften voraus; der Naturwissenschaften, deren Geschichte in die Geschichte der Herrschaft und des Staates verflochten ist. Das Gewaltmonopol des Staates ist ein Konstituens der Naturwissenschaften; es gründet in der Opfertheologie und verweist auf den Realitätsgrund jeglicher Abstraktion.
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezeichnet den Grund des Idealismus der Physik: Wurde nicht die Nabelschnur längst durchschnitten, die die Physik einmal an die gegenständliche Natur gebunden hat? Ist die Physik nicht zu einem monströsen, tief in die Natur hinein getriebenen Herrschaftsapparat geworden, der die Objektivität nicht mehr abbildet, sondern nur noch unterminiert und aushöhlt? Die Mikrophysik ist die am tiefsten in Feindesland vorgetriebene Bastion, vergleichbar nur dem Eindringen der Strukturen des Marktes in alle Lebensverhältnisse.
Ist nicht der in kirchlichen Kreisen derzeit so beliebte Slogan „Erhaltung der Schöpfung“ antiapokalyptisch?
Der Weg der Kirche war seit je der Weg der Bekehrung, nicht der der Umkehr.
Was hat es mit Magdala auf sich; hat Magdala etwas mit Migdol, Grenzfestung im östlichen Nildelta, Zufluchtsort der z.Z. des Jeremias nach Ägypten ausgewanderten Judäer, zu tun (vgl. auch Ex 142)?
Zitieren nicht alle Mariennamen (die gehäuft in der Passionsgeschichte erscheinen) den Namen der Prophetin Mirjam (welche Marien gibt es, und hat die Befreiung der Maria aus Magdala von den sieben unreinen Geistern etwas mit dem Aussatz der Mirjam zu tun)?
Das etablierte Christentum hat den prophetischen Satz „Barmherzigkeit, nicht Opfer“ (und damit den Namen sowie die Idee der Auferstehung) widerrufen.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie