Antijudaismus

  • 18.05.93

    Die Schuldbeziehung auf eine vergangene Sünde: auf eine vergangene Tat oder Unterlassung, ist der Grund des Begriffs und der Herrschaft (und der Grund des Weltbegriffs).
    Katechismus, Ziffer 762: „Schon die Propheten klagen Israel an, es habe den Bund gebrochen und sich wie eine Dirne benommen.“ -Suggeriert dieser Satz nicht die Konsequenz: Wieviel mehr Grund haben wir, die wir als Christen die Erfüllung der Prophetie repräsentieren, Israel anzuklagen (mit dem komfortablen Nebeneffekt, daß wir die „Unheils“-Prophetie nicht mehr auf uns zu beziehen brauchen, der prophetischen Kritik entzogen sind)?
    – So wird die Reflexion aus der Theologie ausgetrieben und der Antijudaismus zurückgeholt (Juden gehören, wie Andersgläubige und Frauen, zu denen, „über die man heute nicht mehr offen sprechen darf“).
    – Gleichzeitig wird die politische Bedeutung des biblischen Begriffs der Unzucht neutralisiert und die Moral sexualisiert.
    Dazu paßt der Satz: „Gemäß dem Plane Gottes (den die Autoren des Katechismus hier schlicht zu kennen vorgeben, H.H.) steht das Exil bereits im Schatten des Kreuzes, und der heilige Rest, der zurückkehrt, ist eines der deutlichsten Bilder der Kirche“ (Z. 710).
    Die kasuistische Moral zerbricht sich den Kopf der Leute, weil sie davon ausgeht, daß sie keinen haben.
    Der Sündenfall bezieht sich präzise auf das durch den Weltbegriff abgedeckte Verdinglichungskonzept.
    Das Verbot, das Unkraut vor der Zeit auszureißen, heißt nicht, daß man es vorher nicht einmal sehen darf: dann nämlich sieht man es, wenn die Zeit da ist, auch nicht mehr.
    Der unsägliche Satz, „die Kirche (sei) gesandt, das Mysterium der Gemeinschaft der heiligsten Dreifaltigkeit zu verkünden“ (Ziffer 738), verdrängt, daß am Ende „Gott alles in allem“ sein wird.
    Wenn die „erste Wirkung der Liebe die Vergebung unserer Sünden“ (Ziffer 734) ist, wie steht es dann mit den Werken der Barmherzigkeit und mit dem „was ihr dem Geringsten … getan habt“? Muß man auch ihnen erst „ihre Sünden vergeben“? Aber hierzu paßt die die Identifizierung der Armen mit den „demütigen und sanften Menschen“ (Z. 716).
    „An den Heiligen Geist glauben heißt also bekennen, daß der Heilige Geist eine der Personen der heiligsten Dreifaltigkeit ist“ (Z. 685): Was ist dann die Sünde wider den Heiligen Geist? Und ist es dieser Geist, von der es heißt, daß er uns beistehen wird, wenn die Welt uns haßt? (Aber um den Satz zu begreifen, muß man begriffen haben, was es mit der Welt auf sich hat.)
    „Kein Mensch, selbst nicht der größte Heilige, wäre imstande, die Sünden aller Menschen auf sich zu laden …“ (Z. 616) Das mag stimmen, aber
    – es geht nicht um die „Sünden aller Menschen“, sondern um die „Sünden der Welt“, und
    – es heißt nicht „auf sich laden“ (vgl. die Sprache der Schlange in der Geschichte vom Sündenfall), sondern „auf sich nehmen“ (nicht „hinwegnehmen“); hier (in Joh 129) steht das gleiche Verb wie im Nachfolgegebot („wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“), und
    – auch wenn es „kein Mensch“ kann, drückt sich nicht in diesem Nicht-Können genau die Gottesfurcht aus, die der Anfang der Weisheit ist, jedoch im Katechismus nicht vorkommt.
    Wird hier nicht zugleich das Nachfolgegebot (das, wie es scheint, auch im Katechismus nicht vorkommt) geleugnet?
    Was soll es eigentlich bedeuten, wenn Maria zum „brennenden Dornbusch der endgültigen Theophanie“ ernannt wird? Franz Rosenzweig hat sowas einmal die Vermanschung der Symbole genannt.
    Die Kirchengeschichte enthält nicht u.a. auch „bedauerliche Vorkommnisse“, von denen man besser „absehen“ sollte (Z. 2298), sondern sie ist insgesamt die Geschichte der Ärgernisse, von denen es heißt, sie müssen kommen, aber wehe denen, durch die sie kommen. Würden die Autoren des Katechismus die Kirchengeschichte kennen und wären sie wirklich an der Sache der Theologie interessiert, müßten sie wissen, daß ein durch Rechtfertigungszwänge determiniertes Kirchenbild den Erinnerungsweg der Erkenntnis blockiert und nur noch verworfen ist.
    Innerhalb der Rachelogik, die der Bekenntnislogik zugrundliegt, hat das Blut einen anderen Stellenwert als innerhalb der messianischen und parakletischen Logik. Wäre die Welt und wären die Menschen in dem Sinne „durch Sein Blut erlöst“, den die kirchliche Vorstellungskraft sich heute ausmalt, so wäre Gott wie nur der schlimmste Götze dem Blutrausch verfallen. Aber Jesus sitzt nach der Schrift zur Rechten, nicht zur Linken des Vaters (vgl. hierzu die Bücher Jona und Tobit: das Geschlecht, das Rechts und Links nicht mehr unterscheiden kann, bleibt zwar verschont, aber am Ende wird Ninive doch zerstört).
    Das falsche Zeugnis ist das für andere Zwecke instrumentalisierte Zeugnis. Das Kriterium ist nicht allein das der „objektiven Wahrheit“, sondern ebenso das der Reflexion von Mittel und Zwecken. Das Verbot des falschen Zeugnisses richtet sich gegen die Instrumentalisierung der Sprache. Aber genau ihr ist die kirchliche Tradition zum Opfer gefallen.
    Der wissenschaftliche Wahrheitsbegriff, der auf die Instrumentalisierung der Welt hinausläuft, gibt die Welt frei für die Zwecke der Herrschenden, macht diese Zwecke unkritisierbar. Das drückt sich in dem Tabu, das auf dem teleologischen Denken liegt, aus.
    Drückt nicht in allen Wörtern mit -ng- Angst sich aus? Ist Angst nicht einfach nur der Superlativ des -ng-, die Steigerung des Dings? (Enge, bange, Strang, Schlinge, Zange, hängen, fangen, wringen, singen, Gesang; auch in den Verbalsubstantiven auf -ung drückt sich, ähnlich wie in Ding, Ring, das Abschnürende, die Subsumtion der Tat unter die Vergangenheit aus; aber was bedeuten Junge, Lunge, Zunge?)
    Hängt das Suffix -heit mit dem Heiteren, der Heiterkeit, mit Aufheitern zusammen?
    Ist nicht dieser Katechismus Produkt einer ebenso umfangreichen wie nachhaltigen Anstrengung, die Nachfolge aus dem Blickfeld zu rücken? Kein Katechismus für Jünger?
    Vom Lamm ist nur das Schaf geblieben, das zur Schlachtbank geführt wird. Die andere Konnotation: das „Auf-sich-Nehmen“ der Sünden der Welt, ist durch Vergöttlichung verdrängt worden.
    Steht etwas im Katechismus über die Bergpredigt oder über die Lehre Jesu (außer im Kontext der sakramentalistischen Verdrängung)? (Die Vorstellung, Ziel der Schriften des NT sei die Offenbarung der Lehre von der heiligsten Dreifaltigkeit, ist Hegelianismus.)
    Die Gottesfurcht ist nicht identisch mit der Ehrfurcht; heute, nachdem der Kelch, von dem Jesus wünschte, er möge vorübergehen, endgültig getrunken worden ist, ist die Beziehung beider durch den historischen Prozeß zu der eines nicht mehr überbrückbaren Gegensatzes geworden.
    Gegen die Opfertheologie steht auch das Schriftwort „Ein Gottesfluch ist der Gepfählte“. Diesen Fluch hat die Kirche versucht, als Akt der Gnade zu begreifen; sie hat damit die Gnade selber instrumentalisiert: zum Objekt des Fluchs gemacht.
    War die Oper die Antwort der Musik auf die Ästhetisierung der Welt durch den Absolutismus, und in ihr der Gesang ein Versuch, die Zeit anzuhalten.

  • 14.05.93

    Erbsünde: Der Begriff bedeutet nicht, daß man sich diese Sünde zurechnen lassen muß, sondern daß man sie begeht, wenn man sich nicht ihrem Zwang (durch Übernahme der Schuld der Welt: durch Gottesfurcht) entzieht. Bekennt sich Jesus nicht in dem Satz „Ehe Abraham ward, bin ich“ als Täter der Sünde Adams?
    In dem kantischen „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ klingt jene Sponateität an, die in dem Ich=Ich des deutschen Idealismus dann abgeschnitten und verdrängt, in das System „meiner Vorstellungen“ mit einbezogen wird. Dieses Ich=Ich ist die Identifikation mit dem Aggressor: das Anderssein des Ich, das Ich des andern, dem ich unter Verdrängung der Spontaneität mich angleiche, ein Stück Welt.
    Wie sind die Pyramiden orientiert: sind die Flächen oder die Ecken den Himmelsrichtungen zugeordnet? Gibt es eine Beziehung zu dem Richtungssystem im Sohar, in dem den vier Himmelsrichtungen die acht oberen und unteren Zwischenrichtungen zugeordnet sind (während oben und unten fehlen)?
    Die drei evangelischen Räte richten sich gegen die Logik der Instrumentalisierung:
    – der Gehorsam gegen das Inertialsystem,
    – die Armut gegen das Tauschprinzip und
    – die Keuschheit gegen die Bekenntnislogik.
    Zum Inzestproblem bei Jean-Jacques Rousseau: Die Geschichte des Natur- und des Weltbegriffs ist die Geschichte zweier ineinander verflochtener Begriffe: der Grund der Geschichte der Sexualität. Vgl. die Beziehung von physis und kosmos, natura und mundus, Natur und Welt (Umkehrung von „leer, gereinigt und geschmückt“).
    Die neuplatonischen Emanationslehren, die unterm Bann der Verhältnisse im Römischen Reich stehen, erinnern nicht zufällig an eine Dynamik, bei der sich nicht mehr entscheiden läßt, ist sie das Bild der Onanie oder das einer Sturzgeburt. Es ist das in patriarchalem Kontext entstehende Problem der Beziehung von physis und natura, von Zeugung und Geborenwerden, bei gleichzeitiger Diskriminierung des Weiblichen: der Materie (Verteufelung der Produkte der eigenen projektiven Phantasien, die die ganze mittelalterliche Geschichte beherrscht und manifest wird in den Teufels- und Höllenphantasien und in der Geschichte der Juden-, Ketzer- und Hexenverfolgungen).
    Zum et und atah im Sohar: wie steht es mit der Beziehung von et und at (2. Pers. fem.) in dem et haschamajim we’et haarez?
    War die Biologie (und mit ihr der Rassismus, insbesondere der sprachgeschichtliche, der heute die gesamte Sprachreflexion verhext) nicht erst möglich, nachdem die Erde und das Lebendige durch die modernen Naturwissenschaften (durch Kopernikus und Newton, letztlich durchs Inertialsystem) begrifflich geschieden waren? Beziehung der Nazi-Parole „Blut und Boden“ zum hakeldama, genetische Ableitung der Nazi-Parole? Ist nicht in dieser Nazi-Mythologie das Konzept der Gräberschändungen angelegt (Vergangenheitsvernichtung Folge der christlichen Vergangenheits-„Überwindungen“, Grund: Instrumentalisierung des Kreuzestodes)?
    Gibt es nicht einen Aspekt des Kreuzessymbols, der unters achte Gebot fällt, ist das Kreuzessymbol nicht vom Ursprung und von der ebenso realen und unbewußten Bedeutung her ein antisemitisches Symbol? Würden wir ein Bild aus Auschwitz in unseren Schlaf- und Wohnzimmern (ohne projektive Verarbeitung) ertragen, und mit welchen Folgen für unsere Kinder und für uns? Das Bild des Gekreuzigten ständig vor Augen zu haben, muten wir uns zu?
    Die Darstellung der Theologie im neuen Katechismus: Positivismus in Watte gepackt (was fehlt: Antisemitismus und die Auseinandersetzung mit der antijudaistischen Tradition der kirchlichen Theologie; die Unfähigkeit zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit: Ketzer, Hexen, Geschichte der „Bekehrungen“, „Autorität“ und Befreiung; Demokratie; Befreiungstheologie und feministische Theologie; der kirchliche Wahrheitsbegriff, Verzicht auf Schuldreflexion und die Konfliktunfähigkeit der Kirche).

  • 27.04.93

    Rührt nicht die katholische Transsubstantiationslehre an den Kern des Schuldverschubsystems, Grund der Opfertheologie und des modernen Massenbegriffs zugleich (an den logischen Zusammenhang von Natur und Materie)? Nur über die Transsubstantionslehre war die Philosophie, der Gegenstandsbezug des Begriffs, unter den Bedingungen des Römischen Imperiums zu retten. Die Transsubstantiationslehre war der Statthalter des Weltbegriffs in der zentralen Institution der Kirche: im „Meßopfer“. Die finsteren Mysterien des kirchlichen Antijudaismus, die den Begriff des Gottesmords und die an das Motiv der Hostienschändung sich anschließenden projektiv-paranoiden Phantasien begründen, haben hier ihre Wurzeln. Innerkirchlich scheint die Kritik der Verdinglichung immer noch gleichsam als Hostienschändung erfahren zu werden. Hier liegt der paranoische Kern der 2000-jährigen Inertialgeschichte der Kirche.
    Gegen Augustinus „De genesi ad litteram“: Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehrt. Das augustinische Prinzip der Wörtlichkeit, das dann zur kirchlichen Tradition geworden ist, ist selber die Entleerung des göttlichen Worts. Es steht unter der Herrschaft des Identitätsprinzips, das eo ipso das Wort zum Begriff neutralisiert, es aus seinem sprachlichen Nährboden herausreißt. Diese Neutralisierung des Wortes, seine Verdinglichung zum Symbol, verdankt sich der gleichen Logik, die in der Transsubstantiationslehre dann dogmatisiert und über die Opfertheologie zum Grund des Dogmas überhaupt geworden ist. Opfer dieses Prozesses waren in der ganzen Kirchengeschichte die Juden (als gleichsam realsymbolische Verkörperung der Kritik des Identitätsprinzips).
    Ist nicht die Erstkommunion ein Initiationsritus, der ins verdinglichende Denken einführt um den Preis der Zerstörung der Phantasie (der Zerstörung der Kindheitserinnerung)?
    Wenn Kant von den subjektiven Formen der Anschauung spricht, so klingt darin die Vorstellung mit an, daß Raum und Zeit gleichsam die Brille sind, durch die hindurch wir die Dinge wahrnehmen.
    Haben die Begriffe Katastrophe und Desaster etwas mit den Sternen zu tun?
    Daß wir dem Glück, gut sein zu dürfen, entsagen müssen: Hat das etwas mit der Astrologie (die dafür die schicksalhaften, und d.h. zugleich schulderzeugenden und exkulpierenden Gründe benennt) zu tun?
    Wie hängen der Ursprung der Städte und die Astrologie zusammen? War die Astrologie der (babylonische) Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Astrologie und der Verwirrung der Sprachen?

  • 23.04.93

    Anders, S. 143: Die Zweideutigkeit der Medien, bei denen nicht mehr zu unterscheiden ist, was ernst oder unernst („fun“) ist, und ob der Zuschauer als moralisch-politisches Wesen oder als Mußekonsument angesprochen wird, hat ihre Wurzeln im Habitus des Zuschauers selbst (in der Funktion der „subjektiven Formen der Anschauung“). Das Ernste wird unernst, die Information zum Spaß, wenn es in die Exkulpationsmechanismen hineingerät, sie ausbeutet. Wer – als Zuschauer – von der Möglichkeit zu handeln, von eingreifender Praxis, abgeschnitten ist (der Zuschauer kann in das, was er sieht, weder real noch sprachlich, dialogisch, eingreifen, er bleibt in seine Passivität: in seine Impotenz, gebannt), dem bleibt als Reaktion nur das folgenlose Urteil (in dem er sich über die Sache erhaben, moralisch exkulpiert fühlen darf), ihm bleibt das Schuldverschubsystem des Konkretismus und des Personalismus, der Genuß der Empörung, der wie ein Virus, gegen den es kein Mittel mehr gibt, sich ausbreitet. Er darf impotent und inert bleiben, und sich zugleich, da er sich durch Empörung distanziert, unschuldig fühlen. Diesen Fluchtweg beuten heute die Medien aus (Verführung durch Ästhetik). Die Kehrseite der Informationsunterhaltung sind die Hör- und Fernsehspiele, in denen das ungelebte Leben sich in den für es produzierten künstlichen Nachbarschaften („Lindenstraße“) als Voyeur ausleben darf. Hier erscheint der Grund, aus dem die Medien erwachsen und in den sie immer tiefer zu versinken scheinen: der Tratsch, das Geschwätz. Hier braucht kein Propagandeministerium mehr Regie zu führen, Sprachregelungen herauszugeben, das wird durch die synthetischen Urteile apriori der Unterhaltungsindustrie, durch ihre eigene transzendentale Logik, selbsttätig geregelt (Einschaltquote, Auflagenhöhe als Maßstab für Werbeeinnahmen): durch Einbindung der gesamten Sphäre ins Wertgesetz.
    Der „solistischen Massenpanik“ (S. 144) entspricht auf der andern Seite im Falle der realen Untergangsgefahr, das gelassene Zuschauen: Im Golfkrieg wurde in Tel Aviv Nacht für Nacht die Skyline der Stadt im Fernsehen gezeigt; so konnte man die Scud-Raketen anfliegen sehen, deren Opfer man dann selber in Gefahr war zu werden. (Aber ist dieser Unterschied nicht auch einer der Medien: die solistische Massenpanik gehört zum Radio, Zuschauer beim Weltuntergang wird man im Fernsehen.)
    Inertialsystem und Fernsehen: Die Asymmetrie (Neutralisierung der Ethik und Konstituierung des Habitus des Zuschauers) ist in beiden Fällen gleich.
    Ist Ludendorff das Modell der Kohlschen Politik? Sind nicht die Weichen schon gestellt, wonach die Sozialdemokraten die Suppe werden auslöffeln müssen, die hier eingebrockt wird? Und haben die Sozialdemokraten diese Rolle nicht selber längst internalisiert, erwarten sie überhaupt noch etwas anderes für ihre Rolle in der Politik??
    Anders, Anm. zu S. 168: Hinweis, daß „alle heutigen Konterrevolutionen … mit Hilfe derer erkämpft werden, gegen die sie gerichtet sind“. Genauer ist die Funktion von „Solidarpakt“ und „Asylkompromiß“ nicht zu beschreiben.
    Beachte die 1. Anm. zu S. 180 und den dazugehörigen Text, demzufolge in den Naturwissenschaften der Singular noch zum Nichtsein gehört (einmal ist keinmal). Wie hängt diese Bemerkung mit der christlichen Trinitätslehre und der Lehre von der Eucharistie zusammen: Wird hier nicht auch der Kreuzestod durch seine endlose Wiederholung erst real gemacht (aber mit der Folge, daß er so nur als „Gottesmord“, für den ein Schuldiger präsentiert werden muß, real zu machen ist: Ursprung des theologischen „Antijudaismus“)?
    Sind nicht die Banken die Verwalter des Unterirdischen (der Schulden), daher ihre Affinität zum Mythischen (und ist nicht die Bundesbank, oder allgemein die Zentralbanken, ein Erdbebenverhinderungsinstitut – Verhältnis der Zentralbanken zu Geschäftsbanken wie Seismographen zu den Erdbebenzentren)?
    Die Philosophie war das Produkt eines „Erdbebens“ in der mythischen Welt. Sie bedurfte, um sich dann gesellschaftlich zu stabilisieren, der Theologie, des Dogmas, des Bekenntnisses. Für sich genommen, wären die Begriffe Welt und Natur nicht tragfähig gewesen.
    Herrschaft macht blind, und mit der Herrschaft wurde seit Beginn der Aufklärung in Europa auch die Blindheit vergesellschaftet.
    Im Inertialsystem ist die „Schwerkraft“ eine die Dinge von außen (von hinten) angreifende Kraft, die sich auf ihr Substrat, die schwere Masse, ähnlich bezieht wie die Stoßprozesse auf die beteiligten trägen Massen. Ist der Fall ein modifizierter Stoßprozeß, oder der Stoßprozeß ein modifizierter Fall (in der Schwerkraft greift der Feind hinterm Rücken an)?

  • 10.04.93

    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist identisch mit der Unterwerfung des Oberen unter das Untere. Hinsichtlich der Natur wird das begründet und stabilisiert durch die Vorstellung des unendlichen Raumes, Grundlage und Folge der kopernikanischen Theorie und seiner dynamischen Begründung durch Newtons Gravitationsgesetz. Gleichzeitig wurde das Gesamtproblem in das der Identität von träger und schwerer Masse verlagert.
    Im Kern der jüdisch-christlichen Tradition steht mit der Idee der Umkehr ein Begriff mit durchaus räumlicher Metaphorik, mit räumlichen Konnotationen.
    Ist Jesus in Jerusalem oder in Galiläa in den Himmel aufgefahren?
    Sind die Blätter und ist das Gras hinter meinem Rücken auch grün?
    Woher haben die Tierkreiszeichen ihre Namen?
    Wenn man bei der Lorentz-Transformation die Bewegungsrichtung von der Gegenrichtugnng unterscheiden muß, so berührt das auch die Reversibilität der Richtungen im Raum, ihre Beziehung zu den anderen Richtungen und zur Zeit. Verdeckt die Vorstellung einer homogenen Zeit nicht die differenzierte Beziehung des Raumes zur Zeit, mit der auch die Dreidimensionalität des Raumes zusammenzuhängen scheint?
    Die Vorstellung des unendlichen Raumes begründet auch das Prinzip der Lohnarbeit, den transzendentallogischen Grund des Kapitalismus.
    Steckt nicht in den Wahnsinns-Experimenten der Atomphysik, der Elementarteilchen-Forschung und der Weltraumforschung auch ein Legitimationsbedürfnis des Staates, ein Beweiszwang, dessen Gewalt daher rührt, weil anders, ohne die ideologische Funktion der Naturwissenschaften, auch der Staat nicht mehr zu begründen ist. Dieses Legitimationsbedürfnis galt für den „real existierenden Sozialismus“ ebenso wie er weiterhin für den Marktwirtschafts-Staat gilt.
    „Da gingen ihnen die Augen auf.“ – Dieser Satz erscheint zweimal, in der Geschichte vom Sündenfall und in der Geschichte von der ersten Begegnung des Auferstandenen mit zweien seiner Jünger (in der Emmaus-Geschichte). Ist das nicht die ungeheure Leistung der Augen, daß sie die Dinge restlos auf den Kopf stellen: Sind nicht die Spuren dieses Verfahrens die sinnlichen Qualitäten?
    Daß mit der Reformation die häresienbildende Kraft verschwindet, scheint damit zusammenzuhängen, daß die Geschichte von Orthodoxie und Häresie in sich selber dialektisch ist: Mit der Verdrängung (und Verinnerlichung) der Probleme, auf die die Häresien objektiv verweisen, ist der Orthodoxie selber eine anwachsende häretische Masse zugewachsen, deren dogmatische Identität nicht mehr sicherzustellen ist außer durch Dekret, und die den Keim der Spaltung (in zwei selber häretische Gestalten der Orthodoxie) in sich trägt: ein perfektes System projektiver Selbstbestätigung, mit der Kraft des Weltbegriffs im Zentrum. Der Konfessionsstreit ist auf der Ebene, auf der er ausgetragen wird, nicht mehr lösbar; er ist nur noch ein Mittel der außer Kontrolle geratenen Selbstghettoisiserung (Folgen für die Geschichte des kirchlichen Antijudaismus?). – Aber vollzieht sich dieser Prozeß nicht in Phasen:
    – von der Zeit der Kirchenväter und der Dogmenbildung bis zur Entstehung des Islam und der Trennung der orthodoxen von der katholischen Kirche,
    – von der Scholastik (und der Reorganisation der westlichen Kirche) bis zur Reformation und
    – von der Konfessionsbildung (Verinnerlichung des häretischen Prinzips in den Neo-Orthodoxien) bis zum Faschismus.
    Ist das Moment der Trunkenheit in der Philosophie (und in den Grundlagen der Zivilisation) nicht in der Selbstreferenz begründet, die aus dem projektiven Moment im Natur- und Materie-Begriff stammt?
    Wenn Christen die Juden Hebräer nennen, begeben sie sich dann nicht in eine Front mit den Ägyptern und Philistern?
    Der dogmatische Umgang mit der Schrift wird seit je als Alibi mißbraucht, per Dekret in die Schrift hineinzuregieren. Dieser Gefahr ist, wie mir scheint, J.B.Metz nicht ganz entgangen. Hier käme es darauf an, wieder hören zu lernen. Das ist gemeint im evangelischen Rat des „Gehorsams“.

  • Karfreitag, 09.04.93

    Judas, der Verräter, oder zum (christologischen) Ursprung des Objektbegriffs und über die Verstrickung der Unschuldsfalle (gemeinsamer Ursprung der Opfertheologie und des moralischen Inertialsystems): Die Empörung über den Verräter versetzt den Empörten in die Opferrolle, sie lähmt ihn, erweckt in ihm das Selbstmitleid des unschuldigen Opfers, läßt ihn die exkulpatorische Macht der Empörung genießen, entsubjektiviert ihn, indem sie mit der Schuld auch die Verantwortung für sein Schicksal auf andere abschiebt, und macht ihn unfähig, seine Lage anders denn als die eines ohnmächtigen Objekts zu begreifen. Das Verrätersyndrom gehört zur Verschwörungslogik, der – nach einem Wort Adornos – die Welt sich immer mehr angleicht, die jedoch die Welt zugleich falsch abbildet. Der Welt- und Naturbegriff, und in ihrem Kern die Raumvorstellung, sind ein Produkt dieser Verschwörungslogik: der Kern ihrer Selbstreproduktion.
    Nach dem Hinweis „damit die Schrift erfüllet werde“ flohen die Jünger (Matthäus-Passion). Als die Christen die „Unheilsprophetie“, weil mit Jesus erledigt, auf die Juden bezogen haben (eine der Quellen des christlichen Antijudaismus), haben sie nicht bemerkt, daß sie damit die Juden in das Schicksal Jesu so eng eingebunden haben, wie die Heils- und Unheilsprophetie in der Schrift.
    Der Stein vorm Grab, den Pilatus auf Wunsch der Hohepriester hat versiegeln und bewachen lassen, und dessentwegen die (von den sieben unreinen Geistern befreite) Maria Magdalena und die andern Frauen am nächsten Morgen sich fragten, wer ihnen den Stein hinwegrücken werde: ist das die Kirche (hat die Kirche das Erbe der Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten: m.e.W. der „Juden“ des Johannes-Evangeliums, angetreten)?
    Haben die andern Simon-Gestalten (der Kananäer, der Zelot, der Jesus-Bruder, der Vater des Judas Ischariot, der Aussätzige, der von Cyrene, der Magier und Begründer der Simonie, der Gerber und der, der Niger genannt wird) mit dem, den Jesus dann Kephas, Petrus, nannte, etwas zu tun?

  • 31.03.93

    Das Geld zerrinnt im Gravitationsfeld der Bedürfnisse wie die Zeit in der Sanduhr.
    Die JVA Weiterstadt sollte die Möglichkeit eines „humanen Strafvollzugs“ – was immer das sein mag – bieten. Frage: Wessen Vorstellung von einem humanen Strafvollzug und wessen Phantasie, liegen dem zugrunde? Wer ist in der Planungs- und Entwicklungsphase hinzugezogen und gehört worden? Sind ehemalige und noch einsitzende Strafgefangene hinzugezogen worden, Verteidiger (Strafverteidiger), Gefängnisseelsorger? Kann ein Strafvollzug human sein, der nicht von den Erfahrungen der Betroffenen ausgeht (aber gehört es nicht zum Wesen des Strafvollzugs, daß es die Erfahrungen der Betroffenen verdrängt)? Wird hier nicht Humanität mit dem Pflegeleichten verwechselt: Es soll der Verwaltung und den politisch Verantwortlichen möglichst wenig Probleme bereiten (deshalb das sterile Design, die Lage weitab von Wohngebieten, ohne unmittelbare Verkehrsanbindung, Cluster-Bau mit Kleingruppenstrukturen, die zwar von außen überschaubar und beherrschbar sind, im Innern jedoch die Kommunikationsschranken verstärken, die Kontakte im Innern und nach Außen erheblich einschränken: insbesondere für Angehörige und Verteidiger wäre die Anstalt nur noch schwer erreichbar). Aber nachdem das Ganze schon so teuer war, und jetzt zusätzlich unter dem durch den Anschlag der raf verstärkten Öffentlichkeitsdruck, sind diese Probleme, um die sich ohnehin niemand mehr kümmert, für die Öffentlichkeit endgültig tabu.
    Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Ohne diesen Grundsatz (der sich aus der deutschen Staatsmetaphysik herleiten läßt) könnte es keine Knäste, keine Polizei, keine Staatsschutz-Gerichte und keine Staatsanwaltschaft geben. Gemeinheit gehört zu den (Ab-)Gründen des Strafrechts und des Rechtsstaats.
    „Wenn die Welt euch haßt …“ Diese Erfahrung, in der die Erinnerung daran nachklingt, daß im Weltbegriff, in der Gestalt der Verknüpfung von Allgemeinheit und Öffentlichkeit, die er repräsentiert, das Urteil aller sich ausdrückt, wird durch den gleichen Weltbegriff, durch seine eigene Logik, unterdrückt, verdrängt, als erfahrungsfremde Natur, als Außenwelt abgespalten und neutralisiert. Das ändert am Sachverhalt nichts, hinterläßt nur ein Bewußtsein der Ohnmacht gegen die Welt, das dann an einer Theologie sich tröstet, die der Verantwortung für die Welt entsagt hat und sich damit begnügt, in Anlehnung an das allherrschende Prinzip der Selbsterhaltung in der Gestalt der Unsterblichkeit der Seele einen privaten Ausweg aus der Welt vor Augen zu stellen.
    Stadt und Haus, der König von Babel und der Pharao:
    – Ist die Stadt der Ort des Anschauens (Astronomie), das Haus der Ort des Denkens, des Begriffs (Pyramide)?
    – Und hat das „gedacht“ etwas mit dem Dach des Hauses, oder umgekehrt: hat das Dach, das den Blick zum Himmel versperrt, etwas mit dem Denken zu tun, mit dem Begriff, unter den eine Sache gebracht wird?
    „Es sind aber zwei Bedingungen, unter denen allein die Erkenntnis eines Gegenstandes möglich ist, erstlich Anschauung, dadurch dasselbe, aber nur als Erscheinung gegeben wird; zweitens Begriff, dadurch ein Gegenstand gedacht wird wird, der dieser Anschauung entspricht.“ (Kant, Kr.d.r.V., S. 119) Liegt die Unterscheidung von Anschauung und Begriff nicht der des Mathematischen und Dynamischen (Welt und Natur) zugrunde (und macht die Formulierung „dadurch ein Gegenstand gedacht wird, der der Anschauung entspricht“ nicht das projektive Element im Denken sichtbar)? Die Unterscheidung des Mathematischen und des Dynamischen ist keine Unterscheidung zwischen getrennten Objekten, von denen die einen mathematischer und die anderen dynamischer Natur wären, sondern die gleichen Objekten werden durch die Urteilsform in einen mathematischen und einen dynamischen Anteil aufgespalten, sie sind fürs Anschauen mathematisch (Teil der Welt), fürs Denken dynamisch (Teil der Natur). Entsprechen dem nicht die auch sprachlich unterschiedenen Erkenntnisbegriffe Kants, der feminine, natur- und objektbezogene (die Erkennnis) und der neutrale, welt- und begriffbezogene (das Erkenntnis)?
    Mit den subjektiven Formen der Anschauung hat Kant zwar das Wissen begründet, aber der Erkenntnis (durch Neutralisierung der Umkehr) den Weg verstellt.
    Sind nicht die Namen der Planeten Stationen einen genetischen Konzepts? Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag: Sonne, Mond, Merkur, Jupiter, Mars, Venus, Saturn. Die Reihe stimmt mit der nach Abständen von der Sonne geordneten Reihe nicht überein (1,(2, Mond),3,6,5,4,7). Ist nicht Venus der altorientalische, Saturn der jüdische Planet? Und wäre die Velikovskysche Hypothese nicht noch deutlicher zu machen, wenn man zur Venus-Katastrophe die Saturn-Katastrophe hinzunimmt?
    „Nimrod … wurde der erste Held auf der Erde. Er war ein tüchtiger Jäger vor dem Herrn.“ (Gen 109) Worauf verweist die Unterscheidung „auf der Erde“/“vor dem Herrn“? Hat Nimrod etwas mit dem Orion, und dieser etwas mit dem Ursprung des Heros, zu tun?
    Zur Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen: Ist das nicht der Versuch, der kopernikanischen Theorie von den Umläufen im Raum ein Konzept von ewigen Umläufen in der Zeit entgegenzusetzen, und zwar aus der immanenten Logik des Systems selber? Nietzsches Version der Lehre schließt jedenfalls an naturwissenschaftliche Spekulationen sich an?
    Hat nicht die Geschichte von den drei Leugnungen Petri auch einen kosmologiekritischen Hintergrund?
    Hängt nicht die Tatsache, daß Jesus in Gleichnissen redet (und handelt), mit Verschiebungen im prophetischen Erkenntnisbegriff nach dem Ursprung des Weltbegriffs zusammen? Die Kritik des Weltbegriffs ist die Voraussetzung (das Medium) der Rekonstruktion prophetischer Erkenntnis.
    Die komfortable Zweiteilung der Prophetie in Heils- und Unheilsprophetie ist ein Produkt ihrer christologischen Vergegenständlichung. Sie hat den Vorteil, daß sie die Vergangenheit stillstellt, indem sie die Heilsprophetie auf Christus, die Unheilsprophetie auf die Juden abstellt. Der Preis ist der kirchliche Antijudaismus; die Juden haben ihn zahlen müssen, weil die Christen glaubten, sich die Nachfolge ersparen zu können.
    Es gibt zwei Gestalten der christlichen Theologie. Die eine ist die paulinische; sie ist ein Theologie ex post. Die andere ist die johanneische (die Täufer-)Theologie, und das ist eine Theologie ex ante. Diese zweite ist verdrängt und unterdrückt worden, sie ist so interpretiert worden, daß sie präzise auf den Kopf gestellt worden ist. Das hat auch das Verständnis der paulinischen Theologie tangiert, sie entstellt. Die Täufertheologie besteht eigentlich nur aus zwei Sätzen:
    Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe.
    Und:
    Seht das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt auf sich nimmt.
    Auf den Kopf gestellt wurde die Täufertheologie durch ein doppeltes Mißverständnis (oder durch zwei falsche Übersetzungen):
    – Im ersten Satz wurde die freie Umkehr durch ein autoritäres Buße-Tun ersetzt;
    – im zweiten Satz wurde das Auf-sich-Nehmen (der Sünden der Welt) als Hinweg-Nehmen (als Entsühnung der Welt) verstanden. Dieses Verständnis widerspricht zwar jeder Erfahrung der Welt (und den Abschiedsreden Jesu im Johannes-Evangelium); der Widerspruch zur Erfahrung wurde dann jedoch durch einen Begriff des Glaubens überbrückt, der seitdem die ganze Theologie verhext.
    Was hier passiert ist, läßt sich wieder mit zwei Sätzen verdeutlichen:
    – Die Umkehr und das Auf-sich-Nehmen der Sünden der Welt fallen unters Nachfolgegebot;
    – das Buße-Tun und das Hinweg-Nehmen der Sünden der Welt (die „Entsühnung der Welt“ durchs „Opfer“ Jesu) leugnet die Nachfolge, ersetzt sie durchs Bekenntnis.
    Bedeutet das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht auch, daß das Licht dem Zeitablauf entzogen ist. Soweit das Licht dem Zeitablauf doch unterworfen ist, ist das Effekt, der dem Inertialsystem zuzurechnen ist, dieses System auf eine ganz neue Weise verzeitlicht (sic, B.H.). Den Schein des Überzeitlichen haben der Raum und das Inertialsystem allein vom Licht.
    Hängt die Geschichte mit dem tohu wa bohu, der Finsternis über dem Abgrund und dem Geist Gottes über den Wassern mit den sechs Richtungen im Raum zusammen? Wären Goethes „Leiden und Taten des Lichts“ nicht über die Farben hinaus auf die Kosmologie und den Evolutionsprozeß zu beziehen? Gehören zu den Leiden und Taten des Lichts nicht auch die Sterne, die Umläufe der Planeten, das Leben der Pflanzen, der Tiere und am Ende auch der Menschen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Evolutionsgeschichte und der Geschichte des Sonnensystems?
    Woher kommen die griechischen, lateinischen und deutschen Namen für Himmel und Erde (hängt Erde mit Er zusammen)?

  • 23.03.93

    Womit die Banken handeln: Ist es nicht schlicht und einfach fremder Leute Geld? Und sind die Banken nicht das Modell der repräsentativen Demokratie: Wie bei den Banken ihr Geld, so geben die Bürger bei der Wahl ihre Stimme ab; was dann mit beiden geschieht, darauf haben sie keinen Einfluß mehr, sie wissen es nicht einmal mehr (vgl. das Verhältnis von Kirche und Bekenntnis).
    Was im Planetensystem selbsttätig, nämlich durchs Gravitationsgesetz, zu funktionieren scheint, muß im Geld-Kosmos durch Zentralbanken reguliert werden. Hat der Dopllereffekt etwas mit einer im Kosmos eingebauten Inflationsrate zu tun?
    Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn: Die Zuordnung der Planeten zu den Wochentagen entspricht nicht der Reihenfolge ihres Abstands von der Sonne.
    Kann es sein, daß die Lösung des Rätsels der sogenannten Venus-Katastrophe in dem Satz liegt: Geld macht sinnlich. Und ist das nicht auch ein Hinweis auf das Verhältnis der Venus zum Merkur? Aber die Sinnlichkeit ist die Quelle der Gewalt und des Kriegs, die dann mit Hilfe des Rechts und des Staats zu domestizieren versucht worden sind. Aber sind diese Fortschritte nicht ebensosehr Rückfälle, Regressionen?
    Ist nicht das Schema Hure/Heilige ein Nachklang des astrologischen Verhältnisses von Erde und Venus? Und ist nicht dieses Echo im Namen des Materialismus festgehalten, in dem die mater anklingt, aber auch das Geld, der Egoismus und die Sinnlichkeit, die Sexualität? Merkwürdig, daß Jupiter und Mars eher idealistische Konnotationen mit sich führen: Ist nicht der Gegensatz Idealismus/Materialismus an den Gegensatz von Welt und Natur gebunden?
    Ist nicht das Rosenzweigsche Konzept der Umkehr der Versuch, das Ergebnis des Objektivationsprozesses von der Sünde der Instrumentalisierung zu erlösen? Und sind nicht in der Tat die Sünden der Welt die Sünden der Instrumentalisierung?
    Das Herrendenken sanktioniert den Schuldzusammenhang, macht ihn zur Natur. Dagegen steht das verteidigende, parakletische Denken, auch im Verhältnis zur Natur: als Kritik und Auflösung des Naturbegriffs.
    Mit der Trennung des jüdischen und christlichen Wegs, und der Anerkennung auch des christlichen Wegs, hat Franz Rosenzweig den Christen den Tikkun übertragen. Ist nicht Franz Rosenzweig Christ geworden, als er Jude blieb?
    Waren nicht die Schreiber die Herren und Verwalter der Sprache?
    Sind die Schafe mitsamt den Schäfern nicht ein entsetzliches Bild der Trägheit, und gehören dazu nicht die Hunde?
    Das „Alte Testament“ ist die babylonische Gefangenschaft der Tora. Und hatte Jesus nicht recht, als er sagte, daß eher Himmel und Erde vergehen werden, bevor auch nur ein Jota vom Gesetz vergeht (vgl. Lk 1617): Himmel und Erde sind (mit dem Weltbegriff: dem Konzept der creatio mundi und der Entsühnung der Welt durch den sogenannten Opfertod am Kreuz) vergangen. Damit war auch die Tora vergangen, domestiziert, zu einer Waffe des Antijudaismus geworden. Die Erben der griechischen Barbaren: für die Christen waren das die Juden, die Heiden, die Ketzer (und die Erben der Natur und Materie? – Himmel und Hölle, die Eucharistie und das verdinglichte Wort?).
    Haschamajim: Sind es nicht die Feuer der Kritik, die die unteren Wasser in die oberen, den Mythos in Segen verwandeln? Und bezieht sich darauf nicht das Wort vom Binden und Lösen? Die Gebete der Heiligen sind Gott ein süßer Geruch (Reinhold Schneider: Allein den Betern kann es noch gelingen …). Und: Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Und wie froh wäre ich, es würde schon brennen. (Lk 1249)

  • 28.01.93

    Drücken sich in der Redensart „den Staub von den Schuhen schütteln“ (bei der Aussendung der Jünger Jesu) nicht die beiden Sachverhalte mit aus, daß
    – die Schuhe ein Instrument der Besitzergreifung sind und
    – im Staub dessen Beziehung zum Fluch über die Schlange und über Adam nachklingt?
    Ist das „Staub von den Schuhen Schütteln“ das Gegenteil der Aufforderung: Ziehe deine Schuhe aus, hier ist heiliger Boden; ist es ein Fluch über die Städte, die die Jünger nicht aufnehmen?
    Die Konstruktion des Begriffs der Erscheinung schließt als Kristallisationskern ein projektives Moment mit ein.
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen Stephanus und der Dornenkrone? Und ist der Gepfählte ein Gottesfluch nicht auch in dem Sinne, daß die opfertheologische Verarbeitung des Kreuzestodes mit der Leugnung des Nachfolgegebots und mit dem Bann der Vergegenständlichung, den sie über den Kreuzestod verhängt, genau diesen Fluch transportiert?
    Der kirchliche Antijudaismus gründet in der Unfähigkeit, die Schmach und die Schande, die der Kreuzestod mit repräsentiert, zu ertragen. Die Opfertheologie, und in seinem Schatten der kirchliche Antijudaismus, ist ein Mittel und ein Produkt der falschen Verarbeitung dieser Schmach.
    Hat Heinrich Böll nicht recht: Sind es nicht die verwesenden und verfaulenden Reste des Hegelschen Staats, mit denen wir es heute zu tun haben, und deren Vergiftungserscheinungen jetzt beginnen aufzubrechen und sich zu manifestieren?
    Ist nicht die Unbeherrschbarkeit der vegetativen Körperfunktionen ein Hinweis darauf, wie tief die Unfähigkeit, in Vergangenes einzugreifen, in unsere eigene physische Existenz hereinreicht? Aber im Angesicht des andern erblicke ich die Spuren des Ursprungs und der Geschichte der Welt und der Menschheit: der Schöpfung.
    Die Kritik des Wissens und der Vernunft durch Erinnerungsarbeit ist ein Teil des Versuchs, den Bann, der auf der Vergangenheit lastet, zu sprengen.
    Ein Krieg, der wegen eines falschen Bekenntnisses geführt wird, beleidigt Gott mehr als alle falschen Bekenntnisse.
    Die Astronomie hat die Astrologie nur „überwunden“, nicht widerlegt.
    Himmel und Erde werden vergehen: Genau daran (an dieser Vergängnis) hat die Theologie seit der Konzeption der Lehre von der creatio mundi ex nihilo mit gewirkt.
    Wodurch unterscheidet sich der griechische kosmos vom lateinischen mundus (der „geschmückte“ Kosmos von der „gereinigten“: militärisch und rechtlich begrenzten und gesicherten Welt)? Hat das deutsche Wort Mund etwas mit dem lateinischen Wort mundus zu tun? Vergleiche auch den Zusammenhang mit Münze, Munition (Verteidigung, Befestigungsanlagen, Recht)?
    Hat die Beschreibung dessen, den der eine unreine Geist verlassen hat: er sei leer, gereinigt und geschmückt, mit dem Weltbegriff zu tun, der dann zur Wohnung der sieben unreinen Geister wird? Und steckt in der Folge: leer, gereinigt und geschmückt nicht eine Beziehung zu den drei Versuchungen, den drei Leugnungen, den drei Dimensionen des Raumes (auch zur Subjektivität des Raumes, des Geldes und des Bekenntnisses)?
    Verhält sich das Griechische zum Lateinischen wie Form der äußeren zu der der inneren Anschauung?

  • 20.01.93

    Gestern ein Vortrag über die jüdische Religion in der katholischen Gemeinde in Walldorf: Gegen die Degenerierung des Katholizismus zum Stammtischgeschwätz scheint es kein Mittel mehr zu geben. Zur Frage der Auferstehung: „Heute wissen wir, daß …“
    Das Inertialsystem zerstört die Gegenwart, macht sie gegenstandslos.
    Adornos Wort von der Paranoia, der die Welt sich immer mehr angleiche, von der sie jedoch zugleich falsch abgebildet werde, enthält vielleicht die genaueste Benennung des Charakters der Naturwissenschaften (Raum und Paranoia).
    Es ist nicht ohne Bedeutung, wenn das Neue Testament in Griechisch geschrieben wurde: Zu beachten jedoch sind die vorsorglich eingebauten Warnungen, vom Satz des Täufers über die Übernahme der Schuld der Welt bis zum Gebot der Feindesliebe.
    Im Namen der Hebräer wird der Blick des andern in das Selbstverständnis mit aufgenommen; das erinnert wohl nicht zufällig an das Wort nach dem Sündenfall, das ebenfalls die Reflexion auf den Blick des andern in sich enthält: Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten daß sie nackt waren (Ursprung der Gottesfurcht).
    Bei den Propheten erscheint das Aufdecken der Blöße als Strafe; steckt das nicht schon in der Sünde des Ham (der Blick auf die Blöße des Vaters als Blick des Richtenden, als Versuch, Herr über den Vater zu werden, der dann zwangsläufig in die Knechtschaft führt)?
    Der projektive Blick (oder der verworfene Grund der Kohlschen Politik): Man glaubt sich selbst aus dem Anwendungsbereich des Urteils herausstehlen zu können, wenn man die Aufmerksamkeit auf andere lenkt. Die projektive Anwendung des Urteilens ist die Nutzung der Urteilslogik als Feigenblatt (Bedeutung der Begriffe Natur und Materie als Projektionen der Fremdheit).
    Sind nicht die Herz-Jesu- und die Aloisius-Frömmigkeit als Folgen des Kampfes gegen den Kitsch in der Religion schlicht und einfach von der Furie des Verschwindens erfaßt worden und deshalb erinnerungslos untergegangen. Aber was ist mit ihnen untergegangen?
    Sind nicht die Ängste, die Katholiken gegen Ende des letzten Krieges hinsichtlich des Schicksals der Kirche nach dem Kriege hegten, auf eine fatale und fürchterliche Weise wahr geworden? Nur: niemand hat es gemerkt.
    Wenn die Dornen und Disteln die Welt aus der Sicht der Erfahrung der Armen und der Fremden bezeichnen, dann ist die gegenwärtige Politik eine Politik der Ausbreitung und der Kultivierung der Dornen und Disteln.
    Zu dem Satz „Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“ ist daran zu erinnern, daß der Hauptbelastungszeuge den ersten Stein werfen muß.
    Durch das Urschisma und den damals entsprungenen Antijudaismus hat die Kirche sich selbst die Wurzeln abgeschnitten, ist sie zu jenem Dornenstrauch geworden, der nach der Jotam-Fabel wurzellos war wie Kain und als einziger bereit war, König der Bäume zu werden.
    Die kantische Trennung der äußeren von der inneren Anschauung ist der Grund für die Trennung von Natur und Welt, Objekt und Begriff (Differenz der äußeren und inneren Anschauung: die Objekte der inneren Anschauung sind meinem Zugriff entzogen, die der äußeren meiner Verantwortung).
    Die Dehnung der Chronologien in Naturwissenschaft und Geschichte ist Produkt und Ursache der Verdrängung des Zeitproblems (Verdrängung der Gegenwart). Und zwar jenes Zeitproblems, das im Vergleich von Off 14 („der ist und der war und der kommt“) und 178 („es war einmal und ist jetzt nicht, wird aber wieder da sein“) sich anzeigt.

  • 12.01.93

    Bezeichnet der Begriff des Schicksals den Ursprung und das Zentrum des Neutrum (Benveniste, S. 400)?
    Sodom, Jericho, Gibea:
    – In Sodom bietet Lot seine Töchter an, aber er wird mit seinen Töchtern dadurch gerettet, daß die Engel JHWHs den Mob blenden. Lot, seine Frau und seine Töchter (ohne die Schwiegersöhne) entkommen, Sodom wird zerstört. (Wer ist Lot?)
    – In Jericho rettet die Dirne Rahab (hat sie etwas mit dem Meeresungeheuer Rahab zu tun?)die Boten Josues vor dem Mob, indem sie sie unbemerkt entkommen läßt. Jericho wird durch Posaunenschall zerstört, Rahab wird gerettet.
    – In Gibea bietet der Levit seine Nebenfrau (aus Bethlehem) an, sie wird zum Opfer des Mobs. Aber das wird zum Anlaß des Rachefeldzugs aller israelische Stämme gegen Benjamin und der Zerstörung Gibeas.
    Die früher in Schulen gebräuchliche Disziplinarstrafe: Stell dich in die Ecke und schäme dich, ist wohl nach dem Krieg aus dem Gebrauch gekommen. Hängt das mit dem falschen Ergebnis der Kollektivschuld-Diskussion (der „Kollektivscham“) zusammen?
    Kommen Wotan und Odin aus der gleichen Sprachwurzel, aus der auch odium, Haß, kommt? Und sind nicht Haß und Wut Komplementärformen, deren Zusammenschluß (Verkörperung) in der objektlosen Angst sich wiederfindet?
    Wie stehen Haß und Wut zu Macht und Ohnmacht?
    Haben die Befreiungskriege nicht Wotans Heer zitiert: Das war Lützows wilde, verwegene Jagd.
    Ist nicht das Dogma ein Anästhetikum: gehört nicht zur Konstruktion des Dogmas (zur Logik des Bekenntnisses) eine narkotisierende Wirkung? Folge der „verandernden Kraft des Seins“, der Ontologisierung.
    War Paulus nicht der erste Konvertit, und gibt es eine Konversion ohne einen Rest von Ressentiment? Und: Wie verhält sich die Konversion (als bloßer Wechsel des Bekenntnisses) zur Umkehr?
    Zum Begriff des Neutrum: Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.
    Die Kopenhagener Schule: Ist das nicht der ebenso ungeheuerliche wie entsetzliche Versuch, aus den Todeszuckungen die Anfänge des Lebens herauslesen zu wollen?
    Ist nicht der christliche Antijudaismus gerade jener Paranoia verfallen, die Jesus selber mit dem „Herr vergib ihnen“ auch als Opfer noch hat vermeiden wollen?
    Johannes wurde von Herodes geköpft, Jesus von Pilatus gekreuzigt und Stephanus von Saulus gesteinigt. Johannes ist der Rufer in der Wüste, der hinweist auf das Lamm, das die Sünden der Welt auf sich nimmt; Stephanus sah den Himmel offen und Jesus zur Rechten Gottes sitzen.
    Ist das Blut die flüssige, dingliche Scham? Was hat es dann
    – mit dem Blut Abels, das zum Himmel schreit,
    – dem Verbot, Blut zu essen,
    – mit dem Blutvergießen (dem Mord- und Tötungsverbot),
    – der seit zwölf Jahren blutflüssigen Frau, die durch die Berührung seines Gewandes geheilt wird,
    – mit dem „Dies ist mein Blut, … trinket alle davon“,
    – mit der (von Sünden) reinigenden Kraft des Blutes
    auf sich? Und wie hängt der Blutkreislauf mit dem Kreisen der Planeten zusammen (das kreisende Flammenschwert mit dem Verbot, Blut zu vergießen), mit der Beziehung des Blutes zu den Blättern der Pflanzen (das Innen bei Tieren entspricht dem Außen bei Pflanzen: rot und grün; Chlorophyll: Beziehung zum Licht, wie die Scham, in der der irdische Ursprung des Lebens in seinen Anfang zurückkehrt)?
    Hi 1618: Erde, decke mein Blut nicht zu, und für meinen Klageschrei sei kein Ruheplatz da.
    Ps 913: Denn der dem vergossenen Blut nachforscht, hat ihrer gedacht; er hat das Schreien der Elenden nicht vergessen.
    Joel 34: Die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare. (Vgl. Off 612)
    Kain ist „verflucht vom Ackerboden hinweg“, denn das Blut Abels „schreit vom Ackerboden her“ (Gen 411, vgl. auch Hi 1618), und der Acker, den die Hohepriester für das „Blutgeld“ des Judas kauften, heißt seit dem „Blutacker“ (Mt 278).
    Eph 213: Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst fern wart, durch das Blut des Christus nahe geworden.
    Ebd. 612: Denn unser Kampf ist nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Gewalten, gegen die Mächte, gegen die Weltbeherrscher dieser Finsternis, gegen die Geister der Bosheit in der Himmelswelt.
    Ist nicht jetzt die Zeit des Endes aller Symbole und des Beginns der Erkenntnis gekommen?

  • 13.12.92

    Der Naturbegriff verstellt das Votum für die Fremden, der Weltbegriff das für die Armen: eine Neubegründung der Theologie ist nur durch die Kritik beider Begriffe (durch die Metakritik der kantischen Vernunftkritik) hindurch möglich.
    Das Votum für die Fremden und das für die Armen sind zentrale Motive der prophetischen Tradition, die Kritik der Frauenfeindschaft ist ein apokalyptisches Motiv: sie ist mit der Enttäuschung der Parusie-Erwartung vergessen und verdrängt worden.
    Die Wiedergewinnung der sensibilisierenden und benennenden Kraft theologischer Erkenntnis ist nur möglich durch die Kritik der neutralisierenden Gewalt des Bekennens hindurch. Das Bekenntnis ist Produkt der Mimesis an die entfremdete Welt: der Identifikation mit dem Aggressor.
    Der Freudsche Urmythos ist eine verschlüsselte Christentums-Kritik: Die Judenfeindschaft und der kirchliche Antijudaismus waren der Vatermord.
    Wenn es praktische Vorschläge zur Behebung der Fremdenfeindschaft gibt, dann jedenfalls nicht in der Richtung, die durch die unsägliche Asylanten-Diskussion vorgegeben zu sein scheint. Vergessen wird, daß die Xenophobie an den Grund des Problems der Beziehung von Theorie und Praxis (oder an die Fundamente des Selbstverständnisses des Staates: der deutschen Staatsmetaphysik) rührt, daß insbesondere jede technologische Lösung zunächst einmal zurückzustellen ist und die genaueste Erkenntnis des Problems, auch wenn sie „praktische Lösungen“ zunächst auszuschließen scheint, Voraussetzung jedes weiteren Schrittes ist. Zu überprüfen sind:
    – der Staatsbegriff: wie er sich z.B. im Namen des Staatsanwalts manifestiert, nämlich den Staat als Prinzip der Anklage begreift, deren „Anwalt“ der öffentliche Ankläger ist, der jedoch in Deutschland nicht so heißen darf: durch seinen Namen ist der Staatsanwalt primär auf die Verteidigung des Staates, und erst in zweiter Linie auf die Verfolgung des Unrechts (oder gar auf das Ziel der Verteidigung der Schwachen) verwiesen: eine die Paranoia fördernde Institution;
    – der Gewaltbegriff: ein Verständnis des Gewaltmonopols des Staates, das
    . Gewalt in erster Linie als Gewalt gegen den Staat begreift, deshalb rechte Gewalt nicht in gleichem Maße der strafrechtlichen Verfolgung aussetzt wie linke, und aus dem gleichen Grunde
    . eher darauf abzuzielen scheint, kritisches Denken (das mit „anschlagsrelevanten Themen“ sich befaßt) zu kriminalisieren als die realen Ursachen der Gewalt ernsthaft zu bekämpfen: in diesen Zusammenhang gehören z.B. die zögerliche Verfolgung von sexuellen Gewaltdelikten (Vergewaltigungen, insbesondere auch in der Ehe), aber auch die skandalösen Anerkennung von Trunkenheit als Strafmilderungsgrund bei Gewaltdelikten (kritisches Denken gilt als strafverschärfend, Trunkenheit als strafmildernd: ein wesentlicher Grund für die Gewaltaffinität in diesem Staat).
    – Blindheit gegen Rechts nicht gesinnungs-, sondern systematisch begründet (Problem des Gesinnungsbegriffs),
    – Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand,
    – Eigentum und Selbsterhaltung (Weltbegriff): Ego-Trip,
    – Staatsbürgerschaft: endlich das Blutsprinzip durch rechtliche Regelung ersetzen.
    Steckt darin (in dieser ethnisch begründeten Staatsmetaphysik) nicht jene kirchliche Tradition, die seit der Rezeption des Weltbegriffs in der Theologie zwar jede unreglementierte Sexualität diskriminiert, aber die Kritik der Gewalt (in Kriegen, bei Anwendung von von Mitteln politischen Terrors: Folter, Scheiterhaufen, Völkermord) fast grundsätzlich vermeidet? Der Hinweis auf den Zusammenhang mit dem Weltbegriff rührt an den Kern des Problems. Nicht zufällig hat der Papst bei der Rehabilitierung Galileis den Inquisitoren „guten Glauben“ attestiert, und so mit instinktiver Präzision das Problem auf den Kopf gestellt.
    Zum Begriff der Natur: Warum heißt die Einbürgerung „Naturalisierung“ (begrifflicher Zusammenhang mit „Säkularisierung/Verweltlichung“)? Der Naturalisierte wird Objekt und Subjekt des Staates, der ihn naturalisiert. Vor diesem Hintergrund wäre Natur als Schuldzusammenhang, Volk als Schicksalsgemeinschaft zu definieren. Der Fremde steht außerhalb der Natur (Grund der Xenophobie).
    Christologische Logik des Naturbegriffs: Die Vergöttlichung des Opfers ist der Grund der zivilisatorischen Selbstvergöttlichung, der Sakralisierung des Subjekts durchs Selbstmitleid (Tabuisierung der Opferrolle).

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie