„… widerrät, noch den Leviatan von Hi 40f dualistisch-moralisierend eindeutig dem Bösen zuzurechnen.“ (Ebach: Leviatan und Behemoth, S. 74) Bemerkungen:
– Das „dualistisch-moralisierend“ steht in der Sündenfall-Tradition (Erkenntnis des Guten und Bösen: Zusammenhang von Instrumentalisierung und moralischem Urteil) und ist das Element, in dem sich die „Erbschuld“ fortpflanzt.
– Schon die Grundelemente des Christentums:
. Nachfolge-Gebot, Übernahme (nicht Hinwegnahme) der Schuld der Welt (Gott hat nicht die Welt, sondern Himmel und Erde erschaffen; Welt als Medium und Resultat des Säkularisationsprozesses, als Medium der Geschichtsphilosophie; Begriff der Welt, Beziehung zum Naturbegriff: Totalitätsbegriffe), Feindesliebe, Richtet nicht …, Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben (Kontext: Kritik des Bekenntnisbegriffs, der Trinitätslehre – insbesondere der Christologie -und der Opfertheologie; Begreifen des Ursprungs des Antijudaismus, der Häresien und ihrer Geschichte, der Frauenfeindschaft und der Hexenverfolgung); widerraten der Zurechnung und eröffnen darüber hinaus ein theologisches Konzept, das erst noch zurückzugewinnen wäre (Theologie im Angesicht, nicht hinter dem Rücken Gottes), und in dem vielleicht dann auch der Leviatan seine Stelle finden wird.
Mary Dalys Titel „Gott Vater, Sohn und Co“ enthält eine sehr tief begründete Kritik an der Trinitätslehre: am theologischen Gebrauch des Personbegriffs. Dieser Begriff ist in der Tat nur als Teil einer politischen Theologie zu begreifen, die – auf der Grundlage des Bekenntnisbegriffs – unaufhebbar patriarchalische Züge trägt. Zur Widerlegung mag der Hinweis dienen, daß die Vorstellung der Unsterblichkeit der Person schon an der Bindung dieses Begriffs an seinen politisch-ökonomischen Kontext (Person und Eigentum, Zurechenbarkeit der Schuld als Grundlage des Rechts, Institut der juristischen Person) und an seiner damit verknüpften Beziehung zum Namen scheitert (der Name, dessen Träger die Person ist, ist Schall und Rauch: das Rosenzweigsche „Ich, mit Vor- und Zunamen“ ist nicht der Inhaber eines Personalausweises).
Es gibt keinen direkten Weg vom Bekenntnisbegriff (Theologie hinter dem Rücken Gottes) zum Inertialsystem (Subsumtion des Himmels unter die Erde): dazwischen liegt die unreine Vermischung von Strenge und Milde (richtendem Urteil und Barmherzigkeit: Fegefeuer und Ohrenbeichte), dazwischen liegt das Gravitationsgesetz und die Vergegenständlichung des Lichts. Heute nimmt eine in den Mythos zurückgefallene Aufklärung die Offenbarung nur noch als Mythos wahr.
Der Staat begründet sein Existenzrecht durch die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Mord und gegen die Verletzung des Eigentums (Gewaltmonopol), die Kirche durch die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Unmoral (Sexualmoral). Gibt es hier einen Zusammenhang mit Behemot und Leviatan?
Den Bemerkungen Jürgen Ebachs zu Jon 411: „… mehr als 120.000 Menschen, die nicht rechts und links unterscheiden können, und viel Vieh“ (Kassandra und Jona, S. 116f) bleibt der Hinweis anzufügen, daß nach biblischer Metaphorik rechts und links auch mit der Unterscheidung von Milde und Strenge, Barmherzigkeit und Gericht (richtendem Urteil) zusammenhängt: Diese Menschen wissen – wie auch die Christen heute – nicht mehr, was es heißt, wenn der Auferstandene zur Rechten des Vaters (der Seite der Barmherzigkeit) sitzt. Beschreibt nicht die Verwechslung von Barmherzigkeit und richtendem Urteil mit gut und böse (dem Primat des Gerichts) genau das autoritäre Syndrom wie auch den Tatbestand des Sündenfalls, der Erbschuld?
Auch ist mir bei dem Ausdruck „hebräische Metaphorik“ (S. 117) insoweit etwas unwohl, als ich glaube, im Begriff des Hebräischen (für jüdische Ohren die von Ägyptern und Philistern verwandte Fremdbezeichnung als Selbstbezeichnung) einen Ton mitzuhören, dessen Gebrauch uns – insbesondere nach Auschwitz – nicht mehr erlaubt sein sollte. Allein als Bezeichnung der uns fremden Sprache ist der Gebrauch erlaubt, aber dann mit dem Bewußtsein, daß Juden in dieser Sprache mehr als nur eine Sprache gegeben ist: der Inbegriff des Fremden, des Antlitzes, das sowohl das Antlitz Gottes als auch das des Feindes sein kann (welche Folgen ergeben sich hieraus für den Staat Israel und die dort gesprochene Sprache?). Das glaubte Paulus den Christen ersparen zu können; ebenso wie es keine Schrift des „Neuen Testamentes“ in hebräischer Sprache gibt, ist der christlichen Theologie die Idee des Angesichts Gottes fremd; an deren Stelle sind der Vaterbegriff und die Trinitätslehre getreten.
Ist Jona wegen seiner Warnung an Ninive (für Ninive, „die große Stadt“, ähnlich Babel der Urfeind Israels) ein „Hebräer“ (vgl. nochmal die „Hebräer“-Stellen bei Loretz)? Werden die Juden nur von ihren Feinden Hebräer genannt (vgl. den Jerusalemer Kommentar – die „hebräische“ Sprache ist den Juden als Sprache, die sie ins Angesicht Gottes stellt, fremd – Abraham war ein Hebräer, und er war ein Fremder im Land; „im Angesicht“ ist – wie der durch schlichte Umkehrung konstruierbare Begriff der „Barbaren“, derer, die bloß stammeln, kein Griechisch sprechen – ein sprachlicher Sachverhalt, er gilt wie für Gott nur noch für den Feind)?
Läßt sich nicht anhand des Begriffs des Hebräischen (des Hebräers und der hebräischen Sprache) die Idee der Übernahme der Schuld der Welt, die ebenfalls einen sprachlichen Sachverhalt bezeichnet, genauer bestimmen?
Der Raum verwischt die Differenz zwischen vorn und hinten, rechts und links, oben und unten. Und Büchners Lenz wollte auf dem Kopf laufen.
– Die erste Verwechslung ist die von Im Angesicht und Hinter dem Rücken,
– die zweite die von Strenge und Milde, von richtendem Urteil und verteidigendem Denken,
– die dritte die von Himmel und Erde.
Alle drei Verwechslungen gehen zu Lasten des Humanen; es triumphiert das Hinter dem Rücken, das Gericht und die totalisierte Erde (das Universum): Es triumphiert die Welt (oder auch die Gemeinheit).
Wer Sicherheit will, will eine Zukunft ohne Überraschungen (daher die große Bedeutung der Versicherungswirtschaft heute).
– In der Physik wird diese Sicherheit durchs Inertialsystem begründet,
– in der Gesellschaft durchs (kalkulierbare, das Eigentum und die Währung garantierende) Recht, in beiden Fällen durch Gesetze, unter die man alle möglichen Fälle subsumieren kann.
– In der Theologie soll das Dogma (das Bekenntnis und seine Logik) das gleiche leisten. Mit den Juden sollte nicht nur das eigene Gewissen, sondern auch die Idee einer zukünftigen Welt, die anders ist, vernichtet werden.
Begriffe wie Begegnung und Partnerschaft neutralisieren die kritische Potenz dessen, was Buber einmal die Ich-Du-Beziehung genannt hat. Zwei Bemerkungen dazu:
– die Ich-Du-Beziehung ist (nach Levinas) asymmetrisch; Ich und Du sind nicht gleichwertig;
– diese Asymmetrie gründet im Schuldverhältnis beider: das Ich konstituiert sich in der Übernahme der Schuld der Welt, in der Freisprechung des anderen, im Verzicht auf die falsche, durchs moralische Urteil: durchs Richten vermittelten Autonomie. Wenn Reaktionäre der Soziologie und Psychologie vorwerfen, daß sie zu Exkulpationszwecken genutzt werden, daß jeder sich darauf hinausreden könne, nicht er, sondern die Gesellschaft, die anderen seien schuld, so gründet das in der Umkehrung der Levinasschen Asymmetrie, zu der es keine Alternative mehr gibt; sie verwischen den Unterschied zwischen dem, was einer für sich selbst und was er für andere ist. Sie kennen kein anderes Sein als das Sein für andere.
Gegen Marx und Freud ist festzuhalten: Die Theorie und ihre aufklärerische Potenz ist nicht zu bestreiten; unwahr ist die Vorstellung, sie ließe sich – als Instrument der Revolution oder als Therapie – unreflektiert in Praxis überführen.
Der diabolos ist das Subjekt der Hegelschen List der Vernunft (der Mephisto Fausts). Er wirbelt die Richtungen durcheinander.
Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand: Wer das Moment der Verzweiflung in den Taten der raf begreift und insoweit Verständnis dafür aufbringt, setzt sich dem Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung aus. Hier wird das Verständnis für eine vergangene Tat mit der Aufforderung zu einer zukünftigen Tat verwechselt. Das rührt an den Grund der Gemeinheit.
Der Begriff „Straftäter“ paßt zum „Staatsanwalt“: Wo der Staat zum Prinzip der Anklage wird, wird die Tat zum Wesen des Täters und zum Subjekt der Strafe (in welchen Fällen definiert das deutsche Strafrecht Taten, und in welchen Täter? Iäter nur, wenn Tätermerkmale – z.B. die Gesinnung – eine Rolle spielen? In welchen Fällen spielen Tätermerkmale eine Rolle? Vgl. „Mörder ist, wer …“ – ? §§ 211 (2) StGB; ein Mord verletzt das Gewaltmonopol des Staates; das scheint vor allem den „Abscheu“ zu begründen, nicht der Tod des Opfers, dieser nur als instrumentalisiertes Mittel der Emotionalisierung).
Adam, der den Acker (den Schrecken) bearbeiten soll, wird in Tiefschlaf versetzt; aus seiner Seite wird Eva genommen (aus der rechten Seite? – Sitzt Jesus wirklich schon zur Rechten des Vaters, oder bedarf es dazu noch unserer Hilfe: der Nachfolge?).
Luthers Rechtfertigungslehre ist falsch, insoweit sie die Gottesfurcht leugnet (den Glauben von seiner Beziehung zu den Werken trennt). Damit hat er die Melancholie ins Christentum eingebracht, das saturnische Wesen. Folge ist die Ersetzung der Gottesfurcht durch die Herrenfurcht (und die Furcht vor der Welt; die Furcht des Herrn ist von der paranoiden Furcht vor der Welt nicht zu trennen: Ursprung der Idolatrie).
Antijudaismus
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04.11.91
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11.10.91
Kann es sein, daß in dem gleichen Prozeß, in dem die Natur für uns zur Rückseite ihrer selbst geworden ist, dahinter Gottes Angesicht sich bildet, Er sich mit sanftester, aber zunehmender Gewalt manifestiert und nur deshalb nicht wahrgenommen wird, weil die Umkehr, die uns sein Antlitz enthüllen würde, unerträglich scheint; „Du kannst mein Angesicht nicht sehen, denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“ (Ex 3320).
Jakob/Israel hat „Elohim von Angesicht zu Angesicht gesehen“ (Gen 3231), während Moses die Herrlichkeit Jahwes nur von hinten sehen durfte (Ex 3218ff).
Ich habe einmal vor der Entscheidung gestanden, zum Judentum überzutreten, habe es dann aber nicht getan, weil ich den Versuch für unzulässig hielt, dem objektiven Schuldzusammenhang, unter dem ich als Deutscher und Christ stand, dadurch zu entgehen, daß ich von der Täter- auf die Opferseite wechselte. Aus diesem Grunde bin ich in der Kirche geblieben.
Das Gravitationsgesetz bezeichnet ein Gesetz im Inertialsystem. die Lichtgeschwindigkeit bezieht sich auf eine Erscheinung im Inertialsystem. Der leere Raum ist nicht nur der von Materie, sondern auch der gegen die Fallkraft und gegen das Licht leere Raum (weder dunkel noch hell).
Das Inertialsysatem ist das Bezugssystem, das Referenzsystem, in dem sich
– die physikalischen Begriffe definieren,
– die physikalischen Erscheinungen auskristallisieren und
– in dem die physikalischen Gesetze herrschen.
Wenn man es an irgendetwas merkt, daß wir die Täter von Auschwitz sind, dann an der verhängnisvollen, alles vergiftenden Gewalt der Exkulpierungssucht: Alle suchen eine Art natürliche Unschuld wiederzugewinnen, die es im Kontext von Staat, Welt und Natur nie gegeben hat.
Das pfingstliche Sprachwunder bezieht sich eindeutig auf die Verwirrung der Sprachen beim Turmbau zu Babel; und wenn diese mit der Trennung von Herren- und Sklavensprache zu tun hat, so müßte jenes eigentlich die reale Versöhnung beider vorwegnehmen.
Der parvus error in principio ist sowohl der Grund, aus dem die Häresien erwachsen sind, als auch der Grund der Selbstverblendung der Kirche.
Theologie ohne Ansehen der Person treiben, heißt die Trinitätslehre kritisieren.
Wenn Marx, Freud und Einstein die drei Patriarchen der neuen Theologie sind, wer sind dann die zwölf Söhne Israels?
Über das, was Hegel selber die List der Vernunft nennt, wird der Schein erzeugt, aus dem dann das Wesen und der Begriff hervorgehen. Diese List, dieser Schein, dieses Wesen sind die Grundlagen der Philosophie des Begriffs. Zentral sind die Reflexionsbegriffe; zu erläutern wäre deren Zusammenhang mit dem Inertialsystem (über die Kantischen Formen der Anschauung und die Antinomien der Vernunft). Nicht zufällig begreift Hegel diese List (und das darin versteckte Moment der Gewalt) als ein wesentliches Moment der Technik, der Maschine. Diese List ist eine objektive List (und die Gemeinheit eine objektive Gemeinheit); Kant hat sie, ohne es zu bemerken, mit den subjektiven Formen der Anschauung in die Philosophie eingeführt (oder aus ihrem begrifflichen Wesen, aus der Trennung von Begriff und Objekt, herausgelesen: ihre Folgen hat er in den Antinomien der Vernunft bezeichnet). Das Resultat war das Reich der Erscheinungen (des gesetzmäßigen Zusammenhangs des Scheins), durch das der Weg zu den Dingen an sich zugleich versperrt war. Grund dafür, daß dieser Zusammenhang bis heute nicht durchschaut werden konnte, war
– die theologische Besetzung des Bekenntnisbegriffs (deren gegenständlicher Ausdruck die Trinitätslehre und die Opfertheologie ist) und
– die bis heute unbegriffene Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
Die Sonne, die die Dinge bescheint, erzeugt sie nicht.
Auch der kirchliche Antijudaismus rührt an den Augapfel Gottes (deshalb benötigte die Kirche die trinitarische Maskerade, den Personbegriff in der Trinitätslehre).
Der Begriff des Scheins, substantiell geworden im kantischen Begriff der Erscheinung, läßt auch die kopernikanische Wende und die newtonsche Gravitationstheorie nicht unberührt. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Hier wird die Nachtansicht der Welt auf den Tag übertragen (kann es sein, daß sich Nacht und Tag unterscheiden wie Jahwe und Elohim, und wie die Hebräer und die Israeliten?).
Der Unterschied zwischen CDU- und SPD-Politikern ist der zwischen Profis und Laien-Darstellern, wobei man einfach sehen muß, daß ein Kohl das Instrumentarium der Gemeinheit besser beherrscht als ein Vogel, Lafontaine oder Engholm (Engholm hatte nur das zweifelhafte Glück, Opfer eines CDU-Laienschauspielers zu werden; aber das macht ihn noch nicht zum Profi).
Wodurch unterscheidet sich die Luft vom Wasser (das Gasförmige vom Flüssigen: Beziehung zum Raum: Volumen beim Flüssigen unabhängig, bei der Luft abhängig vom Druck)? Gibt es eine mikrophysikalische Theorie des Flüssigen (in Analogie zur thermodynamischen Gastheorie und zur Festkörperphysik)?
Wasser und Schuldzusammenhang: Wasser nicht geschaffen; Medium des Chaos (des Chaos-Drachens); Trennung durchs Firmament (Drachen oben und unten); Sintflut; Schöpfung des Himmels und der Erde/ Sch. d. H., d. E. und des Meeres; am Ende wird das Meer nicht mehr sein. – Thales: Ursprung von allem ist das Wasser; Schuldzusammenhang flüssig (Verschiebung, Projektion). -
02.08.91
Was das Christentum vom Judentum unterscheidet, ist die Antwort auf eine im wörtlichen Sinne welthistorische Zeitenwende: die Antwort auf den Beginn und die Folgen des durch Philosophie und Politik konstituierten Säkularisationsprozesses. Auf den hier begründeten und entsprungen Weltbegriff bezieht sich das Neue am Christentum, das hier erst möglich (und notwendig) war: die Übernahme der Schuld der „Welt“ durch Jesus und das darauf sich beziehende Nachfolge-Gebot. Nur so war die jüdische Tradition nach dem Einbruch des Hellenismus und des Römischen Imperiums zu retten. Die Welt, die hier entspringt, ist tatsächlich aus dem Nichts erschaffen, aber nicht durch Gott, sondern durch den Demiurgen, den Staat. Gott hat nicht die Welt, sondern „Himmel und Erde“ erschaffen; die Welt hingegen ist Erbe und Inbegriff dessen, was bei den Propheten Götzendienst hieß: Produkt von Subjektivität, Folge der verdrängten Zukunft, Himmel und Erde ohne Himmel.
Symbolisiert das „Gesetz“ bei Paulus (insbesondere in der Erbsünden- und Erlösungslehre des Römerbriefes) die „Welt“ – und nicht nur das „Gesetz der Juden“ (Ursprung des kirchlichen Antijudaismus, Projektion); ist der Ursprung des Gesetzes (der Zaun der Tora) schon ein Reflex auf die Verweltlichung der Welt, Korrelat des Gesetzes der Profangeschichte (Objektivation und Verdinglichung, Herrschaft des Tauschprinzips, entfremdetes Bekenntnis, Inertialsystem, Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, „Dornen und Disteln“)? -
20.06.91
In dem Aufsatz „Feinde um unsretwillen“ (Verwegenheiten, S. 311 ff, hier S. 332ff) geht F.W. Marquardt auch auf „radikalere Versuche … in den USA“ ein, auf die „Holocaust-Theologie“, die „in Auschwitz und in der Entstehung des Staates Israel … zum Teil einen Zusammenbruch des christlichen Dogmas selbst (sieht), und nicht selten wird bereits die Forderung nach einer Revision des neutestamentlichen Kerygma selbst erhoben.“ Dagegen glaubt M. einwenden zu können: „Niemand von uns könnte und wollte die Verantwortung übernehmen für eine Zerstörung und Auflösung des christlichen Kerygma und Dogma, in denen unsere Identität als Christen gründet. Für sie tragen wir keine Verantwortung. Ihnen sind wir in gleicher Diskussionslosigkeit unterstellt (Hervorhebungen H.H.) wie Israel seiner Treue zur Tora …“ Hierzu einige Bemerkungen:
– Hat das Dogma, das Bekenntnis (von dem nach der Kirchenspaltung, nach der Entstehung der Konfessionen, eigentlich nur noch im Plural gesprochen werden sollte) den gleichen Rang wie die Schrift (den Rang der göttlichen Offenbarung)?
– Die These, daß wir insbesondere für das Dogma (aber auch für das Kerygma, wenn wir es annehmen) „keine Verantwortung tragen“, führt auf den zentralen Punkt: Das Dogma, die Orthodoxie in jeder Gestalt, ist gleichsam in einem Aggregatzustand überliefert, der gegen sein Objekt nicht indifferent ist und – das ist meine zentrale These – zu den Ursachen des kirchlichen Antijudaismus gehört. Die „Buße“, auf die M. verweist, sollte korrekterweise Umkehr heißen, und endlich in seiner moralisch-religiösen Bedeutung zugleich als erkenntniskritische und theologische Kategorie begriffen werden – die große Bedeutung des „Stern der Erlösung“ liegt darin, daß sie erstmals diese erkenntniskritische Bedeutung der Umkehr hervorgehoben hat -; das ergibt sich unmittelbar aus dem Nachfolge-Gebot, durch das wir gehalten und verpflichtet sind, die „Schuld der Welt“ auf uns zu nehmen: d.h. auch die uns durch die Welt, in die wir hineingeboren sind, auferlegte Last der Vergangenheit in unsere Verantwortung zu übernehmen. Wenn es eine Differenz der christlichen zur jüdischen Tradition gibt, dann liegt sie hier. Aber das Entscheidende ist, daß diese Differenz, ihre Bedeutung und Reichweite, nur im Lichte der jüdischen Tradition erkennbar ist, während die konfessionellen Aggregatsformen des Dogmas (aufgrund der Systemlogik des verdinglichten, instrumentalisierten „Bekenntnisses“) genau die Scheffel sind, die diese Lichtquelle verdecken.
– Der Vergleich mit der jüdischen Treue zur Tora ist schlicht falsch; ohne Verletzung des Sinns der jüdischen Treue zur Tora läßt sich beides nicht auf eine gemeinsamen Ebene bringen und hier vergleichen (hier liegt die Falle, in die der kirchliche Antijudaismus seit den Kirchenvätern hineingetappt ist, und auf die nach meinem Verständnis das „et ne nos inducas in tentationem“ primär sich bezieht; die Versuchung ist die der projektiven Selbstentlastung; der Unterschied hängt mit dem zwischen dem Bilderverbot und dem Nachfolge-Gebot zusammen).
– Das Dogma, das Bekenntnis, ist seit seiner Entstehung auch als Waffe genutzt worden, an der Blut klebt (das Blut von Juden, Heiden, Ketzern, Hexen). Wäre es nicht an der Zeit, das Propheten-Wort „Schwerter zu Pflugscharen“ jetzt endlich auch aufs Dogma anzuwenden?
– Bilderverbot und Nachfolge-Gebot.
– Objektivierung, Verdinglichung, Instrumentalisierung: das Land, das aus dem Meer der Schuld, dem flüssigen Element, über dem der Geist im Anfang (nach der ersten Buber-Rosenzweigschen Übersetzung) „brütet“, dem Wasser, der ersten archä der griechischen Philosophie, auftaucht?
– Dritte Verleugnung („Das ist der Antichrist: wer den Vater und den Sohn leugnet“ – 1 Joh 222. Ist die dritte Leugnung die des Heiligen Geistes: „Wer aber etwas gegen den Heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt“ – Mt 1232?).
– Entkonfessionalisierung statt Ökumene. -
19.06.91
Marquardt: Hinweis auf die theologische Begründung des Antijudaismus der wissenschaftlichen Theologie bei Gerhard Ebeling. (Verwegenheiten, S. 312) Wäre zu ergänzen durch den Hinweis auf den nationalistischen Hintergrund des Prophetie-Verständnisses, mit doppeltem Effekt: Prophetische Kritik trifft nicht mehr uns, sondern „die Juden“, beweist ihre Verstocktheit und Verworfenheit; Prophetie ist so zugleich ein Alibi für den Historismus: das eigene instrumentalistische und deshalb chauvinistische Geschichtsverständnis, mit dem Kaiser Wilhelm (und wenig später ersatzweise dem Führer) als Inkarnation des Herrn der Heerscharen. Beleg für den Zusammenhang von Objektivierung, Instrumentalisierung und Herrendenken: Konsequenz einer erinnerungslosen, kolonialistischen Geschichtsschreibung, Äquivalent des Inertialsystems in der Geschichte (die Vergegenständlichung der „subjektiven Formen der Anschauung“ im Inertialsystem macht sie selbst – wie zuvor ihre Objekte – immun gegen Erinnerungsarbeit).
Ebelings Begründung bezieht sich auf Luthers Begriff der Rechtfertigung durch den Glauben: sie trifft damit genau das Zentrum der Bekenntnislogik und verweist ex contrario auf den Zusammenhang der Erinnerungsarbeit mit den „guten Werken“, mit dem am Namen der Gerechtigkeit orientierten Handeln, der Befreiung durch Nachfolge: durch Übernahme der Schuld der Welt, zu der auch die Übernahme der vergangenen Schuld (der Last der Vergangenheit) gehört, die Auflösung der fortwirkenden Macht des Vergangenen durch Erinnerungsarbeit.
Die Bibel auf eine nicht fundamentalistische Weise wörtlich nehmen.
Hat Abraham (islamisch: Ibrahim) etwas mit den „Hebräern“ zu tun; vgl. der „Hebräer Abram“ (Gen 1413 – nur einmal?); ist der Gott der Hebräer (Ex 53) der spätere Gott Abrahams? Oder mit Eber, dem Vater des Peleg und Urgroßvater des Serug (nach E.L. Ehrlich Namen von Städten bei Harran – Geschichte Israels S. 6), oder mit den Habiru/Apiru aus anderen zeitgenössischen Quellen (S. 9), oder mit den ‚Ibri, welcher Name nach Ehrlich auch eine rechtlich-soziale Stellung bezeichnet („hebräischer Sklave“ -ebd.). – An welchen Stellen taucht der Name „Hebräer/hebräisch“ auf, und welche Bedeutung hat er dort? – Woher kommt die hebräische Sprache, haben die Juden (seit wann) nur aramäisch (die allgemeine Verkehrsspache?) gesprochen, und war das Hebräische nur Kultsprache?
Das christliche Nachfolge-Gebot entspricht seiner Bedeutung und seinem Stellenwert nach dem jüdischen Bilderverbot. Wie dieses sein Maß hatte am Götzendienst (am objektiven Schicksalsbegriff), so jenes an der Selbstvergötzung, an der Empörung (an der Verinnerlichung des Schicksals). Dazwischen liegt die Äonenwende: die Geschichte der Vergesellschaftung und Verinnerlichung von Herrschaft, gegen die das Nachfolge-Gebot sich richtet.
Das Bilderverbot richtet sich gegen die Hypostasierung des Objekts und sein logisches Korrelat: das Schicksal, das Nachfolge-Gebot gegen die des Subjekts, und beides gehört zusammen. Beide begründen die Gottesfurcht und konstituieren den Bereich, in dem die Götzen und Herrenlogik des Begriffs depotenziert werden und Sprache nach Befreiung aus dem Bann des Schuldzusammenhangs ihre benennende Kraft errettet und gewinnt (Zentrum der Sprachphilosophie). -
02.05.91
Als die Kirche das Schuld- und Moralzentrum aus der Politik in die Sexualität rückte (die Schöpfung anstatt auf Himmel und Erde, auf die Welt bezog), hat sie (den Wölfen sich angepaßt und) der Gottesfurcht den Weg versperrt: dafür den Mechanismus des autoritätshörigen Charakters installiert.
Zum Ursprung des Dezisionismus: Seit es für Antworten keine Begründungen mehr gibt, gibt es für Fragen (wie für mathematische Gleichungen) nur noch Lösungen (für die deutsche Frage, die Judenfrage, die Seinsfrage u.ä.): zugleich wurden die Fragen, um im Jargon zu bleiben, „unlösbar“, denn Lösungen sind keine Antworten.
Der Begriff der Schuld ist so zweideutig wie der der Person; beide unterliegen der gleichen Dialektik wie das Gewissen, das als Organ der Wahrnehmung der Schuld, der Fähigkeit, ohne Rechtfertigungszwang die eigene Schuld zu erkennen, zu unterscheiden ist von dem Schuldvorwurf, von der Anklage, die die Person von außen trifft und – wenn sie keinen Verteidiger hat – zwangsläufig Rechtfertigungszwänge auslöst, die Person in den Schuldzusammenhang hereinzieht, in denen die gesellschaftlichen Instanzen, vor denen die Person rechtfertigungspflichtig wird, sich konstituieren. Die Person ist nicht nur der Träger des Namens, sondern zugleich der Verantwortung, der Zurechenbarkeit. Die Person muß für ihre Taten geradestehen, sie muß Rede und Antwort stehen. Der Zusammenhang von Name und Schuld, Name und Anklage (man wird beim Namen gerufen, um Rede und Antwort zu stehen) ist die instrumentalisierende Kehrseite des von der Instrumentalisierung befreienden „Heute, wenn ihr meine Stimme hört“. Das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über die Unbarmherzigkeit des Weltgerichts. Die Persönlichkeit besteht vor dem Weltgericht, weil sie dessen richtende Gewalt sich zueigen gemacht, verinnerlicht hat (und somit tendentiell unbarmherzig geworden ist), besteht sie auch vor dem Jüngsten Gericht? „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe“.
Die griechische Philosophie (kennt und) braucht keine „Vorsehung“; in der Gestalt des schönen, wohlgeformten, durchorganisierten Kosmos ist das Ziel präsent, an dessen Bild die Poleis sich orientieren. Der Kosmos ist das Modell der richtigen Gesellschaft. Dagegen ist der römische Weltbegriff ein reiner Herrschaftsbegriff; seine Grenzen sind nicht die inneren Grenzen (die „Formen“) der kosmischen Körper, sondern die äußeren des Römischen Imperiums, der römischen Macht. In der griechischen Philosophie war das Chaos nach innen, in den Begriff der Materie, verdrängt; im römischen Reich lag es sowohl außerhalb der Grenzen der Pax Romana wie dann auch im Innern der zwar unterworfenen, aber nicht schon endgültig befriedeten Völker. Aber beide Weltbegriffe, der philosophische Begriff des Kosmos als auch der politische des Reichs, lassen sich nicht ohne fatale Konsequenzen theologisieren. Wer den Schöpfungsbegriff auf den Weltbegriff bezieht, macht den Staat zum Schöpfer (den die Gnosis übrigens zu Recht als Demiurgen erkannt hat), begründet die verhängnisvolle Staatsmetaphysik, die seit je die wichtigste Quelle des Antijudaismus und am Ende des Antisemitismus war. An der Systemlogik dieses Weltbegriffs hat sich die christliche Theologie seit der Vätertheologie vergeblich abgearbeitet. In diese Systemlogik gehören die Trinitätslehre, die Christologie und Opfertheologie herein, sowie der seitdem zentrale Bekenntnisbegriff, mit dem die Staatsmetaphysik verinnerlicht wurde. Diese Systemlogik war deshalb nicht mehr kritisierbar, weil sie sich selbst im blinden Fleck steht: sie war Grund sowohl des theologischen Objektivierungsprozesses als auch der hierarchischen Kirchenstruktur. Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, der damit installiert war (und seitdem Grundlage der westlichen „abendländischen“ Zivilisation ist), ist das negative Abbild der Trinitätslehre.
Zum Johannes-Evangelium (zu der daraus abgeleiteten Christologie): Das „Im Anfang war das Wort“, das anklingt an das „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“, bezeichnet einen Anfang, zu dessen Bestimmung die damit erst entstandenen zeitlichen Bestimmungen nicht ausreichen. Insbesondere ist fraglich, ob er so einfach in die Vergangenheit projiziert werden kann (der Begriff des Ewigen schließt doch eigentlich eine Vergangenheit von sich aus). Und der Logos hat sicherlich weniger mit der Logik (und sei es die Hegelsche) zu tun, als mit der Sprache und dem Namen.
Was entspricht dem Personbegriff des Tertullian: prosopon oder soma? Oder ist es die Identifikation beider, der Gewaltakt, der die lateinische Theologie begründet? Ist es der gleiche Gewaltakt, der notwendig war, um den griechischen, kosmischen Personbegriff (soma) dem römischen, politsch-juristischen anzugleichen.
Welche Bewandnis hat es damit, daß das westliche Christentum nicht von der Metropole, sondern von den Peripherien ausgeht (in der auslaufenden Antike Nordafrika, und dann, im beginnenden Mittelalter, Irland)? – Aus Irland kommen insbesondere: die Ohrenbeichte, das Zölibat, die Mönchskirche, das Fegefeuer, insgesamt die Verdinglichung des Jenseits.
Die inneren Probleme des Christentums sind zu einem nicht unerheblichen Teil Übersetzungsprobleme. Es wäre sicherlich fürs Verständnis wichtig, wenn man die Schriften des NT ins Hebräische oder Aramäische zurückübersetzen würde. Was wäre, wenn man die Trinitätslehre und die Christologie ins Hebräische übersetzen würde?
An der Startbahnmauer steht heute noch der theologische Satz: „Ihr Gewissen war rein; sie benutzten es nie.“
Hierarchie bedeutet: der Anfang, der Grund, die Herrschaft des Heiligen, Hieronymus der heilige Name, Augustinus der Augustiner; was bedeutet Tertullian?
Besteht eine Beziehung zwischen der postmodernen Diskussion um den Begriff des Erhabenen und dem Caesar Augustus, aus der die kirchliche Legende dann den Kaiser Augustus anstelle des erhabenen Caesar gemacht hat. („Oh, du lieber Augustin …, alles ist hin.“)
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist …“ Über die Münze ist das Bild in den philosophischen Objektbegriff eingewandert, der somit unters Bilderverbot fällt (Zusammenhang von Opfer, Münze, Säkularisation). Dieses Bild des Kaisers ist zugleich Modell für den philosphischen Subjektbegriff (Folge der Säkularisation des Schicksals, des Dämon, des Kaisers, der Vergesellschaftung von Herrschaft). Das „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ ist der legitime Erbe des Kaisers. Hegels Philosophie ist die Entfaltung dieses Zusammenhangs von Begriff, Schicksal, Herrschaft, Objekt und Subjekt, mit der Auflösung in der zutiefst scheinhaften Idee des Absoluten (des Organismus, in dem „kein Glied nicht trunken ist“, geweissagt im prophetischen „Taumelkelch“?).
Hängt das prophetische Bild des Taumelkelchs mit der Vorstellung von der „entsühnenden Kraft“ des Blutes zusammen (die heute noch die Tradition des Abendmahls entstellt, verdunkelt)?
Nach Freud ist der Witz auf drei Personen bezogen: den Urheber, das Objekt und den Adressaten des Witzes (der über den Witz lacht). Das Lachen ist Ausdruck und Teil seiner „Objekt“-Beziehung.
Rechtfertigung ist die Begründung ex post, die Begründung die Rechtfertigung ante.
Wie verhalten sich Ursache und Grund zueinander? Im Grund reflektieren sich die Zweckursachen, das teleologische Moment in der Sache. Die Welt unterscheidet sich von der Erde (adama) durch die Entgründung, durch die Herrschaft des Kausalitätsprinzips. Die Welt ist die grundlos (atheistisch) gewordene Erde. (Auch die Quantenmechanik hat – allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz – das Kausalitätsprinzip nicht durchbrochen.) Erst angesichts der grundlos gewordenen Welt ist die Frage sinnvoll: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts. Wenn es nur noch subjektive Gründe gibt, ist die Welt grundlos, bedarf es keines Gottes, gibt es keine Alternative zur Macht. In der instrumentalisierten Welt kommt es nicht mehr auf die Qualität der Argumente an, sondern nur noch auf die dezisionistische Entscheidung dessen, der seine Entscheidung auch durchsetzen kann (auf Macht). Das Äquivalent der Begründung in der formalisierten Logik leistet nicht mehr, was es leisten soll; mit dem Grund verschwindet auch das Subjekt aus dem Denken. Durch den Zusammenhang von Grund und Subjekt rührt das Subjekt an den Grund der Welt, an dem es Anteil hat, und darauf antwortet das Nachfolgegebot.
Wie hängt Wittgensteins Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ mit der Instrumentalisierung und dem Verschwinden des Grundes zusammen? – Der Sündenfall eröffnet den Abgrund, in dem der Grund zugrunde geht: das Inertialsystem ist dieser Abgrund. Hierauf scheint das Moment des Rechtfertigungszwanges in der Geschichte vom Sündenfall hinzuweisen, wobei der Rechtfertigungszwang nur soweit reicht wie die Projektions-, die Objektivationsfähigkeit (die Schlange überredet, verführt, wird ohne Möglichkeit der Rechtfertigung verurteilt).
Flammenschwert: Vertreibung aus dem Paradies; Bileam? – Blitz (Mt 2427, 283, Lk 1018, 1724)? Zusammenhang mit dem Gewitter (Hi 38)? Ps 1814ff: „Da ließ der Herr den Donner im Himmel erdröhnen, der Höchste ließ seine Stimme erschallen. Er schoß seine Pfeile und streute sie, er schleuderte die Blitze und jagte sie dahin. Da wurden sichtbar die Tiefen des Meeres, die Grundfesten der Erde entblößt vor deinem Drohen, Herr, vor dem Schnauben deines zornigen Atems.“
Die zweite Bitte des Herrengebets ist keine Bitte, sondern eine Selbstverpflichtung.
Ist die Schwangerschaft nicht ein verinnerlichtes Brüten? Das erinnert an den Geist Gottes, der über den Wassern „brütet“.
Die Theologie heute erinnert an die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung: Und sie sammelten die übriggebliebenen Stücklein, und siehe, es gab zwölf Körbe voll.
Vgl. Gen 11: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ und Gen. 24b: „Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, …“ Was bedeutet die unterschiedliche Reihenfolge (Himmel und Erde bzw. Erde und Himmel) im Kontext von „schuf“ und „machte“ sowie von Jahwe und Elohim?
Läßt die doppelte Gottesbezeichnung Jahwe und Elohim sich so verstehen, daß die eine die Selbstbezeichnung des den Menschen ansprechenden Gottes ist, während die andere die Fremdbezeichnung ist, sich auf Gott in der dritten Person bezieht, damit aber zwangsläufig im Plural gefaßt werden muß (gegen das Identitätsprinzip und die Hypostasierung des „Einen“). -
28.04.91
Zu den Problemen des Vaterbegriffs gehört es, daß die davidische Abstammung über Josef geht, Josef selbst aber nicht der Vater Jesu ist. Daß Josef später nicht mehr vorkommt, daß aber der Vaterbegriff Jesu trotz allem sehr auf Josef bezogen ist: daß er keinen Vater hat, macht ihm Gott zum Vater. Er hat eine Mutter (was hab ich mit dir zu schaffen?) aber keinen Vater. Der Vaterbegriff scheint dann ja auch in den einzelnen Evangelien mit unterschiedlicher Akzentuiereng, Betonung und Häufigkeit vorzukommen. Der Vaterbegriff ist – wie mir scheint – in der jüdischen Tradition so nicht vorgebildet. Mit dem Vaterbegriff hängt dann auch der fatale trinitarische Begriff der Zeugung zusammen. Frage: Ist das achte Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis geben …, eine Widerlegung oder eine Bestätigung des Christentums? Oder ist die Zweideutigkeit des Zeugungsbegriffs nur eine Suggestion des deutschen Sprachgebrauchs? Im Lateinischen wird zwischen dem generare und dem testare unterschieden.
Die Atome, Moleküle (Avogadrosche Zahl), Elementarteilchen sind Knotenpunkte des durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit korrigierten Inertialsystems.
Ist der „unbewegte Beweger“ des Aristoteles der Inbegriff aller Gravitationszentren (zumindest ist er das seit den Kant-Laplaceschen Weltentstehungstheoriem geworden)?
Die christliche Theologie war seit ihren Anfängen Apologetik. Ihr beliebtestes Werkzeug war – spätestens seit dem ontologischen Gottesbeweis – die Theodizee. Beide, der ontologische Gottesbeweis und die Theodizee, sind den Theologen spätestens mit Auschwitz aus der Hand geschlagen worden. Ist die Trinitätslehre auch eine Gestalt der Theodizee, oder nur ihr systemlogischer Ursprung? Wenn die Theologen nicht in der gleichen Geschichte das Hören verlernt gehabt hätten, hätten sie diese Katastrophe vorher kommen hören (in ihrer eigenen Sprache, in der Sprache der Erbaulichkeit). Die Theodizee war seit je ein Teil der Scheinheiligkeit, die sich im kirchlichen Pomp aufs drastischste manifestiert und darin sich um die Gottesfurcht herumgelogen hat. Wenn doch diese verstockte Christenbande endlich begreifen würde, welche Konsequenzen sie aus dem Nachfolge-Gebot ziehen müßte und daß nicht Gott sich für das Böse in der Welt rechtfertigen muß.
Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ bleibt an die Begriffe von Natur und Subjekt gebunden, die eigentlich zu kritisieren wären.
Kennzeichnend für den Zustand der Theologie ist es, daß von den zentralen theologischen Kategorien wie z.B. Gottesfurcht oder „im Angesicht Gottes leben“ nur noch ein erbaulicher Gebrauch gemacht wird, der in den Kontext der Scheinheiligkeit hineingehört. Grund ist die metaphysische Interpretation des Ergebnisses der Säkularisation.
Das wesentlich Neue bei Marquardt ist, daß er begriffen hat, daß nach Auschwitz jede apologetische Haltung gegenüber den Juden untersagt ist; nicht begriffen hat er, daß Mission (die Ausbreitung des Bekenntnisses) insgesamt eine Form der Apologetik ist. In diesem Zusammenhang erweist sich „Empörung“ (der Quellpunkt des autoritären Denkens) als die Versuchung, der unsere Theologie immer wieder erliegt.
Die Einführung des Personbegriffs in die Theologie war die Folge einer falschen Übersetzung durch Tertullian; im Griechischen heißt es soma. Genau hier ist der Punkt, an dem das physische Martyrium (die Heiligung des Gottesnamens) durch das seelische Selbstmitleid ersetzt wird. Hier setzt sich die Kirche an die Stelle der Armen und der Fremden und begründet so ihre hierarchisch-autoritäre Struktur (und den Pompzwang). Durch den Personbegriff ist die Sünde wider den Heiligen Geist fest in der Theologie installiert worden. Und hier ist der Punkt, an dem Gott, Mensch und Welt fast unrettbar in den Schuldzusammenhang eingebunden worden sind.
Trug meine Anpassung an kirchliche Bräuche, insbesondere mein Verhalten im Gottesdienst, vielleicht doch von Anfang an subversive Züge: Ich wollte nicht (zu früh) erkannt werden. Hierzu paßt es, daß ich nach dem Krieg sehr kurzentschlossen Theologie studieren wollte, mir aber nie vorstellen konnte, einmal Priester zu werden.
Auf eine wirkliche Berufung kann man sich nicht berufen (zum Titel des Professors). Bedeutung des Begriffs Berufung: jdn. berufen, sich berufen, berufen werden, Berufung einlegen.
Im Begriff des Feindbildes verschmelzen die Übertretungen des Bilderverbots und des Gebots der Feindesliebe. Sind nicht alle Bilder Feindbilder? Sind nicht Idole (Götzenbilder) Projektionsflächen für die Identifikation mit dem Aggressor und deshalb untersagt? Und ist nicht das Gebot der Feindesliebe der subjektive Aspekt des Bilderverbots?
Der Dekalog wird traditionell so aufgeteilt, daß die ersten drei Gebote als die eigentlich theologischen Gebote als die wichtigsten angesehen werden, während die folgenden nur das Zusammenleben der Menschen regeln, somit zweitrangig sind. Könnte es nicht sein, daß bei näherem Hinsehen die Akzente sich doch ein wenig verschieben.
– Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten: bedeutet doch auch, daß es untersagt ist, Theologie hinter dem Rücken Gottes zu betreiben.
– Ebenso das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lange lebest und es dir wohl ergehe auf Erden. Hier geht es nicht um die autoritäre Familienbindung, sondern darum zu begreifen, daß man die Eltern nicht als Projektionsfolie für eigene Fehler nutzen darf, daß man am Ende selbst die Verantwortung für den eigenen Charakter übernehmen muß.
Susanne Albrecht und Ezechiel: Das „dixi et salvavi animam meam“ ist nur einem Propheten (im Rahmen von Herrschaftskritik) erlaubt; im profanen Gebrauch (im Rahmen der Kronzeugenregelung) wird es zur Denunziation, zur Verletzung des achten Gebots. Sie hat ihre Haut, nicht ihre Seele gerettet.
Die Staatsfrömmigkeit, die im Titel des Staatsanwalts sich ausdrückt, hat u.a. lutherische Ursprünge (bzw. paulinische). Und der Säkularisierungsschub, den der Protestantismus ausgelöst hat, hat offensichtlich seine Grenze in seiner Beziehung zum Staat. Und diese Staatsbeziehung ist es, die den Protestantismus auf spezielle Weise anfällig gemacht hat für den Antisemitismus, d.h. auf pathologische Weise empfindlich gemacht hat gegen das Moment von Herrschaftskritik, das in der jüdischen Tradition enthalten ist. Hier scheint der kritische Punkt beim Friedrich-Wilhelm Marquardt zu liegen, wenn er sein Votum für Israel auch auf den israelischen Staat bezieht.
Kann es sein, das Marquardtsche Votum für den Staat Israel damit zusammenhängt, daß Israel durch den Staat in den Bekenntnizwang hereingezogen wird? Und Henryk M. Broder und Micha Brumlik sollten vielleicht doch einmal darüber nachdenken, ob nicht ihre Stellungnahmen in der letzten Zeit mehr mit der Schaffung „klarer Fronten“ als mit einer Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus zu tun haben, und ob nicht die Aufteilung in Gute und Böse, und die Anwendung des Prinzips „Wer nicht für mich ist, ist wider mich“ in die Mechanismen hineinführt, aus denen der Antisemitismus erwachsen ist: das ist ein böses Erbe des Christentums. Mir ist ein Jehoshua Leibowitz immer noch lieber als ein Micha Brumlik der auf den Bileam Marquardt hereinfällt.
Zur Kritik von Metaphysik: Die Verwechslung von Kontingenz und Geschöpflichkeit ist identisch mit der Verwechslung des Untertans mit dem Geschöpf (und des Staats mit dem Schöpfer: hier trifft die gnostische Kritik des Schöpfergotts).
Wie hängt die Institution des Bundespräsidenten mit der Bekenntnislogik zusammen (Personalisierung des Staates)?
Der Behemoth reicht (wie der Leviathan) in die Saurierzeit zurück; das Rätsel beider läßt sich wahrscheindlich nur gemeinsam lösen.
Was kommt alles zweifach vor? Jahwe und Elohim, die Urflut und die Wasser (über denen der Geist brütet), die Wasser über und unter dem Firmament, Mond und Sonne, herrschen über Tag und Nacht, Behemoth und Leviathan, Kain und Kenan, Adam und Noach.
Zur Konstruktion der Verblendung, des Verblendungszusammenhangs: Grundlage ist die Empörung, die Konstitution des Herrendenkens, des vergesellschafteten Subjekts; vorbedeutet im Verhältnis von Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Sonne und Mond, Wachen und Schlaf, Leben und Tod, Name und Begriff. Wir werden geweckt, auferweckt, wenn wir beim Namen gerufen werden. Zusammenhang mit der Trennung von Zukunft und Vergangenheit (Idee der Gegenwart).
Wo und in welchem Zusammenhang erscheint in der Schrift die Aufforderung zu wachen? Wie hängt das Gebot zu wachen mit dem Beten zusammen?
Hier sind die Kinder dieser Welt wieder einmal klüger als wir: Im brain-storming haben sie längst entdeckt, was heute nottut (allerdings auch wieder unter Kontrolle gebracht): die Erinnerungsarbeit.
Im Schöpfungsbericht gibt es sieben Tage, aber nur sechs Nächte: nach dem siebten Tag gibt es keine Nacht.
Hat nicht der Aufklärungsprozeß, die Geschichte der Säkularisation, die ganze Welt in Nacht getaucht? Die Romantik hat nur den Mond entdeckt, nicht die Sonne. Und die Kirche wird den Herrn dreimal verleugnen und beim Hahnenschrei erwachen.
Ferdinand Ebner und Florens Christian Rang sind wohl die ersten im Christentum gewesen, die im Ansatz begriffen haben, welche Konsequenzen sich aus der Idee eine Theologie im Angesicht Gottes ergeben. Bei Florens Christian Rang in seiner Idee einer messianischen Erkenntnistheorie und in dem Ziel, nicht die Unendlichkeit Gottes, sondern seine Endlichkeit zu begreifen. Ferdinand Ebner fällt hinter seine eigene Einsicht zurück, wenn er die Ich-Du-Beziehung wieder in seine Ich-Einsamkeit zurücknimmt. Christ kann man nicht alleine sein, nur gemeinsam mit anderen. Das gemeinsame Gebet, die gemeinsame Auflösung der Ich-Einsamkeit: die Ausgießung des Geistes.
Die Vergöttlichung Jesu, die ihn zum Objekt der Anbetung macht, ist der Balken im christlichen Auge. Hier wurde auf Erden gebunden, was dann auch im Himmel gebunden war; der Weg der Nachfolge versperrt. Vgl. Büchners „Lenz“: Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.
Mit dem homoousia haben wir ihn getötet, den cäsarischen Wahn, mit dem wir Macht über den Vater zu erlangen suchten, in die Fundamente der westlichen Zivilisation mit eingebaut. Der Preis dafür war der Antijudaismus (und schließlich der Antisemitismus, die letzte Reichsideologie). „In hoc signo vincis“: Als Siegeszeichen wurde das Kreuz zum Zeichen des Tieres.
Großartig erinnert Freud an „die Stimmung unserer Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen“. (Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Fischer Bücherei, Frankfurt 1958, S. 193)
Gott schuf:
– Himmel und Erde,
– das Licht (1),
– alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt, und alle Arten von gefiederten Vögeln (5),
– den Menschen (6).
Gott schied:
– das Licht von der Finsternis (1),
– die Wasser unterhalb des Gewölbes von den Wassern oberhalb des Gewölbes (2)
Gott machte:
– das Firmament (2),
– die Lichter am Firmament (4),
– alle Arten von Tieren des Feldes, alle Arten von Vieh und alle Arten von Kriechtieren auf dem Erdboden (5).
Es sammle sich:
– das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde (2).
Das Land lasse wachsen:
– junges Grün, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die auf der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin (3).
Das Land bringe hervor:
– alle Arten von lebenden Wesen, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes (5).
Gott nannte:
– das Licht Tag und die Finsternis Nacht (1),
– das Gewölbe Himmel (2),
– das Trockene Land, das angesammelte Wasser Meer (3).
Herrschen sollen:
– das größere Licht über den Tag, das kleinere über die Nacht (4),
– die Menschen: unterwerft euch die Erde und herrscht über die Fische des Meeres, das Vieh, die Vögel des Himmels und alle Kriechtiere auf dem Land (6).
Gott segnete:
– alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt, und alle Arten von gefiederten Vögeln (5),
– die Menschen (6),
– den siebten Tag (7).
Nahrungsgebot:
– Für die Menschen alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen und alle Bäume mit samentragenden Früchten (6),
– für die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und alles, was sich auf Erden regt, was Lebensatem in sich hat: alle grünen Pflanzen (6).Adorno, Aktueller Bezug, Antijudaismus, Antisemitismus, Aristoteles, Auschwitz, Bäume, Bekenntnislogik, Broder, Brumlik, Büchner, Christentum, Ebner, Einstein, Empörung, Erbaulichkeit, Feindbildlogik, Freud, Justiz, Kant, Laplace, Leibowitz, Lüge, Marquardt, Naturwissenschaft, Rang, Selbstmitleid, Sprache, Theodizee, Theologie, Tiere, Wasser -
25.04.91
„Auf der anderen Seite steht überhaupt ein Verzicht auf theologische Theoriebildung über das Judentum und das christlich-jüdische Verhältnis; man strebt eine rein praktische Beziehung an …: ein offenes gegenseitiges Lernverhältnis … Bekenntnis ist immer Negation eines anderen, während Lernen mich immer in meine Schranken verweist.“ (Friedrich-Wilhelm Marquardt: Verwegenheiten, S. 276) Nicht nur „Verzicht auf theologische Theoriebildung über das Judentum“, sondern allgemein: Korrektur des theologischen Theoriebegriffs, soweit er Theorie „Über“, d.h. hinter dem Rücken seines Objekts sein will: soweit er am szientifischen Objektivationsprozeß sich orientiert. Nicht nur am Beispiel Judentum, sondern am gesamten Inhalt der Theologie muß sich ein Lernen bewähren, das den Komfort des begrifflichen Erkennens, auch wenn auf ihn ohne Gefahr der Regression nicht verzichtet werden darf, als Sünde wider den Heiligen Geist begreift: durch den erreichten Stand des historischen Objektivationsprozesses hindurch (und nach vorbehaltloser Rezeption der nominalistischen Philosophiekritik, allerdings ohne die kurzschlüssige Konsequenz, der Name sei nur flatus vocis, „Schall und Rauch“) einen Erkenntnisbegriff wiedergewinnt, der sein Maß an der benennenden Kraft der Sprache hat. Eine solche Erkenntnis setzt insbesondere die Kritik des Bekenntnisbegriffs: die Entkonfessionalisierung der Theologie voraus. Der Bekenntnisbegriff (und das durch ihn bestimmte Dogma) ist in der Tat hellenistisches Erbe, Erbe der Philosophie und Produkt der Anpassung theologischer Erkenntnis an die Erfordernisse und Strukturen institutioneller (kirchli-cher und politischer) Herrschaft. Der instrumentalisierte Bekenntnisbegriff (dessen Verhältnis zum neutestamentlichen noch zu klären wäre) verletzt durch seinen Objektbezug sowohl das biblische Bilderverbot als auch das Gebot der Feindesliebe. Dieser Objektbezug aber ist die Grundlage jeder „theologischen Theoriebildung über …“ (die den instrumentalisierten Bekenntnisbegriff voraussetzt) In diesem Zusammenhang hat der Bekenntnisbegriff die gleiche Funktion wie die subjektiven Formen der Anschauung in der kantischen Erkenntniskritik: er definiert das Medium, das Referenzsystem, in dem die synthetischen Urteile apriori theologischer Theorie allein möglich sind, allerdings mit der (historisch verhängnisvollen und systemlogisch seit je mit dem kirchlichen Antijudaismus verbundenen) Folge der Unerkennbarkeit der Dinge an sich.
Daß die christliche Assimiliationsfähigkeit, nachdem sie an der „heidnischen Antike“ sich bewährt hat, an der „jüdischen Widerstands- und Selbstbehauptungsfähigkeit“ gescheitert sei (ebd. S. 276), dieser Satz übersieht, daß gerade die zweite an der ersten gescheitert ist. Walter Benjamin hat als Kriterium der theologischen Erkenntnis und des Offenbarungsbegriffs die Kritik des Mythos, des Schicksals, begriffen. Der Ursprung der Philosophie aber läßt sich als Verinnerlichung des Schicksals, als Aneignung der objektivierenden Gewalt des Schicksals durchs Subjekt (das so zum Subjekt wird) begreifen (der Dämon des Sokrates). Die objektivierende Gewalt des Schicksal hat sich im Begriff niedergeschlagen, dessen Objektbeziehung mythischen Ursprungs ist und den Mythos perpetuiert. (Bei Heidegger, der den Geburtsfehler der Philosophie zu ihrem einzigen Inhalt gemacht hat, drückt sich das im Begriff der objektlosen Angst aus: das „Dasein“ ist als verinnerlichtes Subjekt-Objekt des Schicksals selber sowohl Ursprung als auch Objekt der mythischen Angst, nachdem es die projektive Ableitung der Angst durch den historischen Objektivationsprozeß an die Wissenschaft abgegeben hat.) Die Kritik des Objektbegriffs (des historischen Objektivationsprozesses) ist heute zur notwendigen Kritik des historisch-gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs geworden, ohne die es einen angemessenen Theologiebegriff nicht mehr gibt: Wir müssen endlich aufhören, Theologie hinter dem Rücken Gottes zu treiben, wie wir begreifen müssen, daß der Objektivationsprozeß (dessen theologischer Zentralbegriff der des Bekenntnisses war) zwar unvermeidlich war, aber nur durch kritische Selbstreflektion seine Beziehung zur Wahrheit wiederzugewinnen vermag. Im Begriff des Bekenntnisses hat der Mythos im Zentrum der Theologie überlebt.
Ist die Israel-Theologie Marquardts nicht doch der verzweifelte Versuch, über Judentum und Israel den Realitätsbezug wiederzugewinnen, den die Theologie durch ihre Instrumentalisierung verloren hat, anstatt – und dabei ist die jüdische Tradition in der Tat eine unersetzliche Hilfe – durch Erinnerungsarbeit den Schuldzusammenhang aufzulösen, der in der Geschichte des Bekenntnisses die Wahrheit des Christentums zur Unkenntlichkeit entstellt hat.
Wenn Petrus ein Typos der Kirche ist (wie Karl Thieme immer gelesen hat), könnte es dann nicht sein, daß Mt 1618 wahr ist, nur die Kirche(n) bis heute halt nur gebunden, aber noch nicht gelöst hat (haben), und vor allem: daß diese Lösung mit der des Bekenntniszwangs zusammenfällt.
„Barths Zeit stand ganz real im Zeichen des „Vergehens“ Israels“ (Marquardt: Verwegenheiten, S. 284): Das sind nun wirkliche sprachliche Verwegenheiten, wenn nicht Entgleisungen. Ich würde sagen: Barths Zeit stand ganz real im Zeichen der Vorgeschichte des Holocaust, des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte. Der obige Satz, wenn er denn im übrigen so stehen bleiben sollte, müßte enden: „… im Zeichen des antisemitischen/antijüdischen Vorurteils über das „Vergehen“ Israels“.
Oder: „Christliche Theologie nach Auschwitz und seither kann nur ethisch sein, wenn sie bemüht ist, mit den wirklichen und allen möglichen Opfern, Ganzopfern, den zum Holocaust Bestimmten, sich zu einen; nur dann, wenn sie Gottes Erbarmen und Gottes Gericht nicht weiter nur im Blick auf sie zu erkennen sich bemüht, sondern in einer neuen Anstrengung auch von ihnen her.“ (S. 285, Hervorhebungen z.T. von mir, H.H.) Wenn ich den Satz richtig verstehe, kann er doch eigentlich nur bedeuten, daß Theologen immer noch für sich in Anspruch nehmen, „Gottes Gericht … im Hinblick auf sie (die Juden) zu erkennen sich (zu) bemühen“, jetzt, nach Auschwitz, nur eingeschränkt durch die zusätzliche Anstrengung, Gottes Gericht „auch von ihnen (den Juden) her“ zu erkennen, als ob nicht das eine (Gottes Gericht über andere zu erkennen) genau die Hybris wäre, die zu Auschwitz geführt hat, und nur das andere (sich selbst in der Erwartung des Gerichtes Gottes zu erkennen) das einzig Zulässige, der einzig mögliche Weg zur Erfüllung des Nachfolgegebots, unter dem auch Theologen stehen. Dann aber kann christliche Theologie nach Auschwitz nur bestehen, wenn sie – anstatt „mit den wirklichen und allen möglichen Opfern … sich zu einen“ – endlich zu begreifen versucht, daß sie im Anblick von Auschwitz (und in dieser Gefahr steht auch die Opfertheologie im Anblick des Kreuzes) auf der Täterseite sich befindet (Mt 2540+45). Der Versuch, mit den Opfern sich zu einen, steht in der Tradition christlicher Einigungs- und Innerlichkeitsmystik (Ziel aber ist weder die Einigung mit Gott, noch die mit den Opfern, sondern die Einung und Heiligung des Gottesnamens: darin ist die jüdische Tradition mit der zweiten Bitte des Herrengebets einig); zulässig und gefordert ist nur der von uns zu leistende Teil an der Versöhnung: Reue und Umkehr; dazu gehört die Kraft zur Identifikation mit den Opfern, die Kraft, sich in die Erfahrung dessen, was wir ihm angetan haben (oder antun), „hineinzuversetzen“, das aber heißt: die reale und konkrete Schulderfahrung nicht zu verdrängen; aber das ist etwas anderes als die (Flucht in die) Einung. Die Versöhnung selbst kann ohne Verletzung der Gottesfurcht nicht antizipiert werden. -
17.04.91
Das Modell des Kreislaufs ist der Jahreskreislauf: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. An diesen Kreislauf ist das Leben der Pflanzen gebunden, es verselbständigt sich nicht dagegen. Anders das Leben der Tiere, daß sozusagen den Grund dieses Kreislaufs in sich aufgenommen, verinnerlicht hat. Läßt sich so (auf der Grundlage der Korrespondenzen zwischen dem Inneren und der Außenwelt) die Astrologie begründen? Aber auch die dem Menschen verliehene Macht: Adam benennt die Tiere. Gleichzeit werden Sonne und Mond als Herrscher des Tages und der Nacht bestimmt.
Die Pflanzen überleben (überwintern) durch den Samen (und die Wurzeln?). Die Bäume überleben die Jahre durch Verholzung, Verstockung (Hypertrophie der Wurzeln). Hängt das mit dem gemeinsamen Ursprung der Bäume und der Prähominiden zusammen? Die Säugetiere, deren Leben auch an die Perioden der Jahreszeiten noch gebunden ist (Zeugung, Geburt, z.T. auch Winterschlaf), haben einen gemeinsamen Ursprung mit den blütentragenden Pflanzen (Beziehung der Fortpflanzung zum Licht, Insekten). Ist hier der Punkt, an dem der Ursprung von Behemoth und Leviatan interessant wird?
Hat es etwas zu bedeuten, daß der Begriff Stamm sowohl die vorstaatlichen (geschlechterbezogene) Sozialeinheit bezeichnet als auch den Stamm der Bäume? Ist – bezogen auf die zwölf Stämme Israels – die Verstockung gleichsam ein Naturqualität?
Hoffnung gibt es nur, wenn es Hoffnung auch für die Toten gibt.
Die naturphilosophische Enträtselung des Gesetzes: Der Islam wäre daraufhin zu befragen: Wenn Gott die Welt täglich neu schafft, er gleichsam diese Herkulesarbeit leistet, die Welt täglich vor dem Untergang zu retten, woher kommt dann ihr täglicher Untergang? Wo liegen die Wurzeln des Verhängnisses; sie haben einen politischen Teil, aber sie liegen nicht in der Politik.
Die Vorstellung einer unendlichen Vergangenheit (und eines unendlichen Raumes) ist der Preis für die Konstitution des transzendentalen Subjekts.
Aggression ist ein Symptom für nicht geleistete Trauer- und Erinnerungsarbeit.
Heute trampeln unsere Theologen beim Unkrautausreißen in allen Weizenfeldern herum. Und zwar sowohl die christlichen, als auch die marxistischen Theologen. Alle behaupten, das richtige Unkrautvertilgungsmittel zu haben, aber keiner macht sich Gedanken über die Nebenwirkungen.
Die Stoßprozesse sind der Keimpunkt, an den sich das ganze System der Physik ankristallisiert. Sie sind sozusagen der zentrale Referenzpunkt für alle naturwissenschaftlichen Begriffe, Objektvorstellungen und Gesetze.
Die Gemeinheitsautomatik ist eine Funktion des Empörungsmechanismus.
Zur Bekenntnislogik gehört
– der Feind: das sind die Juden;
– der Verräter (die Sympathisanten des Feindes): das sind die Ketzer, die Häretiker;
und die Bekenntnislogik ist selbst männlich: sie schließt die Frauen aus, die dann nur durch Keuschheit, Erhaltung der Jungfräulichkeit, sich aus ihrer ursprünglichen Verderbtheit (ihrer Unfähigkeit zu bekennen) retten können. Der Rechtfertigungszwang ist männlich.
Der Bekenntnisbegriff versetzt den (männlichen) Gläubigen in die Lage, gleichsam hinter dem Rücken Gottes (durch Vermännlichung Gottes) Theologie zu treiben (Anbetung der zeugenden Kraft, an der nur die Männer teilhaben: „Ich bin ein eifersüchtiger Gott“). Die damit verbundenen Schuldgefühle, mit denen man nicht leben, die man nur verdrängen kann, werden dann zwangshaft projiziert; und hier stehen die drei Projektionsflächen offen, die aufzuarbeiten sind:
– der Antijudaismus,
– die Ketzerverfolgung
– und die Frauenfeindschaft.
Hier gibt es eine Systematik, die auf die drei Verleugnungen des Petrus verweist: Die letzte Leugnung geht einher mit der Selbstverfluchung, dann krähte der Hahn, und er ging hinaus und weinte bitterlich. Hier, wenn die Kirche die Angst verliert, sie könne ihr Gesicht verlieren (vor der Welt schuldig erscheinen), in dieser Lösung der Spannung, löst sich die Schuld.
Das Zwangsbekenntnis ist der Kern, das logische Zentrum einer Struktur, die gegen ihren Inhalt gleichgültig ist; das Entscheidende ist genau diese Gleichgültigkeit gegen den Inhalt. Sie vermittelt die Möglichkeit, den Inhalt zu behaupten, ohne davon berührt zu werden, ihn objektiv zu halten.
In dem Augenblick, in dem Schuld keine Rechtfertigungszwänge mehr auslöst, d.h. in dem Augenblick, in dem der Bekenntniszwang durchbrochen wird, wird auch der Wiederholungszwang außer Kraft gesetzt, der den Zusammenhang zwischen dem Bekenntniszwang und den scheußlichen Untaten, die im Namen des Christentums im Laufe seiner Geschichte begangen worden sind, einmal herstellte.
Nicht das Proletariat, sondern die Toten bezeichnen diesen absoluten Objektstatus, auf den als reine Negativität die Erlösung sich bezieht.
Das Bekenntnis ist die Verstockung, die die Christen dann den Juden zum Vorwurf gemacht haben.
Die Bekenntnislogik im Christentum hat sehr viel mit der Beziehung des Christentums zur Philosophie zu tun, die dann an einem anderen Objekt, gleichsam durch Verschiebung, Kant auf ihren Begriff gebracht hat. Die Hegelsche Philosophie ist die präparierte Leiche der dogmatischen Theologie. Aber erst Einsteins spezielle Relativitätstheorie, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, hat (mit der Berichtigung des Inertialsystems)
. dem Bekenntnissyndrom endgültig den Boden entzogen und
. das Modell für die Berichtigung des Bekenntnisses geliefert (vgl. auch Freud, dessen Psychologie das durchs Bekenntnissyndrom, das dem Ödipuskomplex entspricht und wie dieser die bürgerliche Geschlechterrolle prägt, bestimmte Subjekt zur Grundlage hat: der „Penisneid“ und die Bekenntnis-Unfähigkeit gehören zusammen).
Ist nicht die spezielle Relativitätstheorie Einsteins eigentlich die allgemeine, und die allgemeine die spezielle?
Die Lichtgeschwindigkeit ist nur durch „Umkehr“ auf ihren realen Begriff zu bringen. (Das Bekenntnis ohne Umkehr wird zum Zwangsbekenntnis.)
Die moderne naturwissenschaftliche Aufklärung und der Kapitalismus beruhen beide auf dem gleichen Prinzip: dem der Verinnerlichung des Opfers. Der prophetische Satz: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ ist ein erkenntnis- und herrschaftskritischer Satz.
Die Mystik, genauer die christliche Mystik, ist der vergebliche Versuch, der Schuld des Objektivationsprozesses durch die Wendung nach innen zu entkommen. -
02.03.91
Im Herrengebet kommt der Himmel sowohl im Plural vor („qui es in caelis“), als auch im Singular („fiat voluntas tua sicut in caelo et in terra“). Kann es sein, daß nur in einem der Himmel sein Wille geschieht? Hängt der Plural zusammen mit dem „Hofstaat“, mit den Herrschaften, Gewalten und Mächten, zu denen auch der „Ankläger“ gehört?
Es kommt heute mehr darauf an, in der Politik und im politischen Bewußtsein der Mitmenschen die Dummheit zu begreifen, als über die Bosheit, die Verbrechen, sich zu empören. Es genügt nicht mehr das „moralische“ Urteil, das an den Dingen nichts ändert, nur den Urteilenden (scheinbar) exkulpiert. Die Empörung genießt das Sakrament des Büffels: sie will teilhaben an der richtenden Gewalt, aber sie ändert nichts. (Heute hat das Prinzip der richtenden Gewalt das Bewußtsein aller in der westlichen Welt, gleichsam als dessen transzendentale Logik, erfaßt und durchsetzt; es wird abgestützt durch den abstrakten Objektbegriff und durch die Herrschaft der Totalitätsbegriffe Welt und Natur; seine Logik ist die am Feinddenken sich orientierende Bekenntnis-, Kriegs-, Gewaltlogik. Es ist Teil des Realitätsprinzips, eigentlich mit ihm identisch.)
Gibt es in der jüdischen Tradition ein Äquivalent zum „et ne nos inducas in tentationem“? Das Rätsel, daß Gott uns nicht in Versuchung führen soll, daß die Versuchung von ihm ausgeht, löst sich nur im Hinblick auf die Idee der richtenden Gewalt: Gemeint sein kann nur die Verführung durch die Vorstellung, an der richtenden Gewalt teilhaben zu können. Die Geschichte dieser Versuchung ist der Kirche vorausgesagt in der Erzählung von der dreimaligen Verleugnung des Herrn durch Petrus.
Woher kommt eigentlich der (neudeutsche?) Zusatz zum Herrengebet „denn Dein ist das Reich, die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen“? Wie heißt dieser Text auf Lateinisch? Wann und aus welchem Grunde ist dieser Zusatz in den Text der Messe aufgenommen worden? – Und wann ist das Händewaschen („Lavabo inter innocentes …“) in den Meßkanon mit aufgenommen worden (und vor welchem Hintergrund)? Identifikation mit Pilatus; Hinweis auf die Instrumentalisierung der Opfertheologie? Zusammenhang mit dem kirchlichen Antijudaismus? Drückt sich hier das Bewußtsein aus, daß man sich in der Opfertheologie nicht auf die Seite des Opfers (unter das Gesetz der Nachfolge) sondern auf die Täterseite stellt und deshalb zwangsläufig das Entsühnungsritual des Händewaschens vollziehen muß? – Dann aber braucht man als Projektionsfolie, als Sündenbock einen anderen „Gottesmörder“. (Was bedeutet es, wenn Jesus beim letzten gemeinsamen Paschamahl darauf hinweist, daß der, der die Hand mit ihm in die Schüssel taucht, der Verräter sein wird?)
Das Meßopfer heute: ein totes, leeres, verwesendes Gebilde, das nur durch Erinnerungsarbeit wieder zum Sprechen (zum Bewußtsein seiner selbst) gebracht werden kann.
Zusammen mit dem Antijudaismus, der Ketzer- und der Hexenverfolgung bedürfen drei Dinge der Aufarbeitung (durch Erinnerungsarbeit):
– der Ursprung des Frühkatholizismus und die Entwicklung der kirchlichen Hierarchie (und ihrer Insignien und Symbole),
– die Geschichte der Dogmenentwicklung (des Bekenntnisses) und
– der Ursprung und die Geschichte der kirchlichen Liturgie und des Meßopfers.
Es scheint nicht ohne Bedeutung zu sein, daß die Geschichte des Fronleichnamsfestes (und der Fronleichnamsprozession) im dreizehnten Jahrhundert beginnt und im zwanzigsten endet (mit Auschwitz: hier endet eine Epoche, deren Beginn zur zweiten Leugnung gehört, und deren Ende zur dritten).
Steht die katholische Kirche nicht in der Tradition des lupus, des Wolfs (der zur Ursprungsgeschichte der Stadt Rom und des römischen Imperiums gehört)? Herrschaftskritik ist heute nur über die Kirchenkritik möglich (allerdings nur über eine Kirchenkritik innerhalb der Kirche, nicht von außen).
Das Herrendenken scheint heute das allereinfachste (der Weg des geringsten Widerstandes: die erste tentatio) zu sein, nicht zuletzt aufgrund der Absicherungen über die Totalitätsbegriffe Natur und Welt, über das sogenannte naturwissenschaftliche Weltbild, über das Realitätsprinzip und das Gesetz der Selbsterhaltung. Diese Absicherungen haben eine Vorgeschichte, die in die Geschichte der Religionen zurückreicht und heute weitestgehend verdrängt und kaum mehr durch Erinnerungsarbeit zurückzuholen ist. Die einzige Institution, in der diese Vorgeschichte noch präsent ist, ist die katholische Kirche. Ihr Anachronismus ist ihr wichtigstes Erbteil.
Die paulinische Lehre von Tod und Auferstehung beschreibt in ihrer instrumentalisierten Gestalt genau die Mechanismen des Verdrängungsprozesses, im Kontext der Gottesfurcht hingegen deren Auflösung. Die Subjektivierung des Verdrängungsbegriffs, die Leugnung seines objektiven Anteils (in dem seine Beziehung zur Gottesfurcht begründet ist), ist Reflex eines Objektivitätsbegriffs, der selbst der massivsten Verdrängung sich verdankt.
Der Protestantismus ist auf den Kern des Bekenntnissyndroms gestoßen: auf die Frage der Rechtfertigung (Bekenntnis, Reklame und Sprachverwirrung; Dogma und Verzweiflung). Damit war die Kraft der Häresienbildung verbraucht.
Das verdinglichte Dogma enthält die apokalyptische Tradition als Sprengsatz in sich; Aufgabe der Theologie wäre es, diesen Sprengsatz durch Auflösung des Dogmas zu entschärfen, bevor er tatsächlich das Dogma und mit ihm die Welt sprengt. Oder anders: Die verdrängte Apokalypse kehrt heute als Gemeinheit, Aggressivität und Brutalität wieder und bedroht den Bestand der Welt.
Der Totalitätsbegriff der Natur hat keine Bedeutung außerhalb des Zusammenhangs der Naturbeherrschung, ebenso wie der Weltbegriff keine Bedeutung hat außerhalb der politischen Zusammenhänge, in denen er sich geschichtlich konstituiert. Beide Begriffe reflektieren und stabilisieren die Herrschaftsgeschichte, bezeichnen das Schienensystem, auf dem sich die Lokomotive bewegt, die kaum noch aufzuhalten ist.
Grundlage des gesamten Konzepts wäre die Rekonstruktion der gegenwärtigen Phase der Herrschaftsgeschichte.
Die Imitatio Christi wäre heute neu zu schreiben. Zentral wäre hierbei die Kritik jener Identifikation, die Thomas a Kempis hineingebracht hat, die ans Selbstmitleids appelliert. An ihre Stelle wäre die Identifikation mit den Armen, den Fremden, den Unterdrückten zu setzen. Nur so wäre dem Begriff der Nachfolge: d.h. der Idee der Übernahme der Schuld der Welt zu genügen. Das Selbstmitleid gehört zu den tentationes, vor denen das Herrengebet warnt.
Die Deutschen (das einzige Volk, das sich selbst als anderes, als fremdes Volk: als Barbaren begreift) haben nicht sich, sondern der Welt die Tarnkappe übergeworfen: deshalb sehen sie sie nicht mehr. Sie sehen in gut idealistischer Tradition nur noch das in der Welt, was sie selbst in sie hineinlegen, hineinprojizieren. Sie bleiben an den Grund des Selbstmitleids gefesselt.
Eine Unsterblichkeitslehre, die nicht die Rettung der Menschheit mit einbegreift, bleibt gefesselt an das Selbsterhaltungsprinzip (die Hypostase des Selbstmitleids); die Idee der Unsterblichkeit aber wird denunziert, wenn man sie an die Selbsterhaltung bindet. Das Selbstmitleid ist der Grund des Selbsterhaltungs- und des Realitätsprinzips. Hierbei sollte nicht verschwiegen werden, daß das Selbstmitleid nicht gegenstandslos, und daß es insoweit unvermeidbar ist, als die Gestalt der Welt die Menschen zur Selbsterhaltung und zur Beachtung des Realitätsprinzips zwingt; es ist nur in Hoffnung aufzuheben: im Kontext der Gottesfurcht.
Die (mittelalterliche) Lehre von der persönlichen Schuld schließt die Leugnung der Erbsünde mit ein.
Ich kann ein Bekenntnis nicht fordern, ohne Heuchelei zu provozieren; deshalb hat der Ankläger immer unrecht.
Die Stelle aus Jer. 3121f, die Radford Ruether ihrem Buch „Frauen für eine neue Gesellschaft“ als Motto voranstellt, enthält die biblische Begründung für den Satz Franz von Baaders über Strenge und Liebe.
Das physikalische Experiment hat seine Vorgeschichte im Kontext von Inquisition und Folter, in der Geschichte der Ketzer- und Hexenverfolgung, in der Häresienfurcht und -feindschaft der Kirche. Und die wütende Reaktion der Kirche auf die Anfänge der modernen Naturwissenschaft verweist genau auf diesen projektiven Anteil.
Das Bekenntnis Hermann Cohens ist ein falsches Schuldbekenntnis gegen eine falsche Anklage. Ihr Ziel ist die Kritik der Anklage, der Versuch, der Anklage durch Verweigerung der Komplizenschaft (der falschen „Solidarität“) den kollektiven Grund zu entziehen (Bekenntnis als Gericht über die Anklage).
Umgekehrt argumentiert die Bekenntnisforderung nach dem Schema „mitgehangen, mitgefangen“; und: beweise, daß du nicht dazugehörst (Umkehr der Beweislast).
Die Naturwissenschaft kennt keine Häresienbildung, wohl die politische Theorie (Baader-Meinhof-Bande, Familien-Bande, Gottsucher-Bande).
Zum Begriff des Bekenntnisses
oder
über die Rehabilitierung der Gottesfurcht,
die Notwendigkeit der Selbstbekehrung der Christen und
die Entkonfessionalisierung der Kiche.
Kein work in progress, sondern ein work in regress.
Selbstheilungskräfte wachsen nicht, sondern werden vom Zustand der Verwirrung provoziert.
„… und weinte bitterlich.“ Erst wenn die Kirche aus ihrer dogmatischen Erstarrung sich befreit, wenn die Tränen sich lösen: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört.“ – Dieses Heute tritt dann ein, wenn wir begreifen, daß das Bilderverbot generell, ohne Ausnahme gilt, insbesondere auch für den kantischen Objektbegriff. Oder es tritt ein, wenn der Satz „Männer weinen nicht“ nicht mehr gilt, wenn auch Männer ihr Gesicht verlieren dürfen.
Rosenzweig und Münchhausen: Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf (des Nichtwissens) ziehen. Aber das wäre eine idealistische Interpretation Rosenzweigs (vor der er selber nicht ganz gefeit war; und nur in dieser idealistischen Version gründet seine Nähe zu Heidegger, der dann die Probe aufs Mißlingen des Münchhausenschen Rezepts gemacht hat).
Zum Begriff des Bekenntnisses wird man sicher zunächst an die zarteste Anwendung dieses Begriffs erinnern müssen: an die des Schuld- und des Liebesbekenntnisses. Der religiöse Begriff des Bekenntnisses in seiner Ursprungsgestalt wird weit eher in der Richtung des Namenszaubers, der Namensmagie zu suchen sein als in der des weltanschaulichen Apriori und seiner Logik. Zu erinnern wäre hier an die sehr konkrete Bedeutung der „Heiligung des Gottesnamens“ in der jüdischen Tradition, wenn beispielsweise in der Geschichte der jüdischen Mystik von der Einung des Gottesnamens magische Wirkungen erwartet werden. So war das ursprüngliche Bekenntnis das Bekenntnis des Namens (an dessen Stelle dann das Symbolum, der Schuldschein, trat: oder der Vertrag, der Erbschein, der Neue Bund).
Der Faschismus ist nicht nur irrational. Seine Logik läßt sich ableiten aus der Bekenntnislogik. Erst wenn diese Ableitung gelingt, ist der Bann gebrochen. Zu erinnern wäre hierbei an die Aufspaltung der Heiligenverehrung nach Geschlechtern nach Ende der Märtyrerzeit, im Prozeß der Anpassung des Christentums an die Welt, seiner Umformung zur römischen Staatsreligion, sowie im Zusammenhang mit der Entwicklung des christlichen Dogmas und der frühkatholischen Kirchenorganisation: da erscheinen der männliche Confessor und die weibliche Virgo als neue Heiligengestalten. Bei der Trennung wird nicht zufällig der Bekenntnisbegriff eingeschränkt auf das männliche Geschlecht, während die Frauen „in der Gemeinde schweigen“ (später dann nicht einmal mehr singen durften): nicht mehr bekenntnisfähig sind. In diesem neuen Bekenntnisbegriff sind enthalten:
– der Antijudaismus (durch den Inhalt der Doxologie: zum Bekenntnis gehören insbesondere das Trinitätsdogma und die Lehre von der Göttlichkeit Jesu, die die Juden nicht mitvollziehen können),
– der antihäretische Grundzug (die Abgrenzung der Orthodoxie nach außen)
– und die Frauenfeindschaft (die Neubestimmung des Subjekts des Bekenntnisses: auch heute können nur Leute wie Saddam Hussein oder George Bush das „Gesicht verlieren“, Frauen dagegen wohl nicht; das Gesicht, das man verlieren kann, ist die Maske; es hängt offensichtlich mit dem mit dem Bekenntnisbegriff ganz wesentlich verbundenen Begriff der Person zusammen; auf dem Schauplatz der Geschichte gibt es eigentlich nur Männer; wer hier sein Gesicht verliert, kann seine Rolle nicht mehr spielen; deshalb dürfen Männer nicht weinen, nur stolz sein).
Das Bilderverbot wird auf eine ebenso subtile wie verhängnisvolle, kaum fassbare und nur im Kontext einer Kritik der christlichen Theologie im ganzen begreifbaren Weise durch Einführung des Personbegriffs in die Theologie verletzt (Anwendung des Vermummungsverbot auf die Theologie).
Die Instrumentalisierung der Opfertheologie war unvermeidbar, solange die Theologie es versäumte, durch Erinnerungsarbeit den mythischen Bann des Opfers (oder den Bann des Mythos) aufzulösen, anstatt das Heidentum in einer Form nur zu „überwinden“, die dann auch Bekehrungskriege (und die Kriegslogik des Zwangsbekenntnisses, zuletzt die Vernichtungslogik des faschistischen Weltanschauungskrieges) möglich machte.
Eine Kreuzestheologie ist möglich, wenn sie
– die Reflexion auf Auschwitz mit einbezieht und
– durch Erinnerungsarbeit zum Sprechen gebracht wird (für die beispielsweise Walter Burkerts „Wildes Denken“ einsteht, aber auch die systematische Stellung des Mythos in Rosenzweigs „Stern der Erlösung“). -
26.02.91
Bekenntnis und Naturphilosophie: Das Bekenntnis verhält sich zum Subjekt (zur Person) wie der Raum zu den Dingen, insbesondere im Hinblick auf deren Verhältnis zur Zeit (Subsumtion unter die Vergangenheit) und zur Intersubjektivität (Entfremdung). Gibt es ein Natur-Äquivalent des erlösenden Bekenntnisses (Bekenntnis des Namens)?
Verhältnis des Bekenntnisses zum Raum: als reine Form der Äußerlichkeit, als Grenze zwischen Innen und Außen (gesellschaftlich-historisch: zwischen Öffentlichkeit und Privatbereich – gemeinsamer Ursprung von Bekenntnis und Privatsphäre? Erst mit der Öffentlichkeit konstituiert sich der Adressat des Bekenntnisses) ist der Raum notwendig dreidimensional; erst die Dreidimensionalität konstituiert das „Wissen“, die Erkenntnis hinter dem Rücken des Objekts (im Zusammenhang mit der Konstituierung der Vorstellung einer homogenen, linaren, irreversiblen Zeit).
Das Bekenntnis ist die Agentur der induzierten Trägheit: Angleichung ans Trägheitsprinzip. Bekenntnis und objektive Vernunft (der aristotelische intellectus agens: hat seinen Sitz in der Mondsphäre, gleichsam am logischen Ort des Matriarchats; Usurpation durch die Kirche, Zwang zur patriarchalischen Konstruktion der Trinitätslehre, Verhältnis zum Inzesttabu; Maria und das Bekenntnis?).
Das Bekenntnis ist der Kern des Schuldzusammenhangs und der Umkehr (double-bind: kein Ausweg mehr außer durch Theologie).
Die Mode ist eine Metastase des Bekenntnisses (oder: der Sexismus ist eine direkte Konsequenz aus dem Bekenntnissyndrom; die geforderte Unterordnung der Frau unter den Mann ist der genaue Reflex der Selbstunterordnung des Mannes im Bekenntnis). Wenn es einen psychosomatischen Ursprung des Carcinoms gibt, wird er im Bereich des Bekenntnissyndroms zu suchen sein.
Das „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ ist unter Herrschaftsbedingungen grundsätzlich antisemitisch; im Kontext der Nachfolge (und der Umkehr) jedoch der einzige Weg der Versöhnung, der Befreiung (Genesis und Auflösung des kirchlichen Antijudaismus).
„Im Angesicht des Feindes“: Vor welchem Hintergrund und in welchem Kontext erscheint diese Wendung (Verhältnis zu „Im Angesicht Gottes“ – vgl. Jürgen Ebach)? Bezieht sie sich auf die Tötung des Feindes oder auf die Selbsterkenntnis im Angesicht des Feindes (und hängt nicht das eine mit dem andern zusammen)? Zusammenhang mit der ambivalenten Bekenntnislogik (Versöhnungs- und Kriegslogik). Die Gefahren des Fundamentalismus sind begründet in der historisch-gesellschaftlichen Struktur des Bekenntnisses heute (Bekenntnis und Sündenfall, Subjektivität und Welt, Stellung der Welt im historischen Prozeß: nicht Schauplatz, sondern Subjekt-Objekt der Geschichte). -
20.02.91
Schneisen schlagen:
– Theologie im Angesicht/hinter dem Rücken Gottes (vgl. Jürgen Ebach, UuZ, S. 51ff: Der Gottesgarten liegt im Antlitz Gottes; bedeutet „hinter dem Rücken Gottes“: im Angesicht des Feindes? – Im Angesicht = in den Augen von, im Urteil von),
– Subsumtion der Zukunft (der Versöhnung) unter die Vergangenheit (Theologie hinter dem Rücken Gottes) als Basis des Herrendenkens,
– „sanctificetur nomen tuum“: was geschieht dem Kind, dessen Mutter in seiner Gegenwart über das Kind redet: sie macht das Kind sich selbst und der Mutter zum Feind (und verdeckt diese Feindschaft durch symbiotische Bindung); genau das machen unsere Theologen mit Gott; – haben unsere Theologen einmal nachgefragt, was die Juden unter der „Heiligung des Gottesnamens“ verstehen?
– zum Begriff des Ewigen (Umkehr: Heute, wenn ihr meine Stimme hört),
– Bekenntnis: Herrendenken und Instrumentalisierung,
– Kritik des Personbegriffs (Produkt der Verinnerlichung der falschen Versöhnung),
– Kritik des Inertialsystems (Entfremdung, Grund der Instrumentalisierung, Löschung der benennenden Kraft der Sprache: Produkt der falschen Versöhnung),
– Kritik des Herrendenkens (Begriff und hierarchische Struktur der Logik; Herrschafts-, Schuld-, Verblendungszusammenhang),
– Dornen und Disteln (Ursprung der Gewalt, Herschaft von Menschen über Menschen),
– Ursprung und Kritik der Gewalt (Verhältnis zur Logik; Logos: Begriff oder Name?),
– Ansteckung durch Gewalt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“
– „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“,
– Petrus: Schlüsselgewalt und dreifache Verleugnung: die dritte – die Sünde wider den Heiligen Geist – endet in der Selbstverfluchung,
– imitatio Christi, die Gottesfurcht (dazu gehört auch die Lektüre des Angehörigen-Info),
– Natur und Welt als Totalitätsbegriffe zur Absicherung des Herrendenkens, Neutralisierung der Gottesfurcht (Zusammenhang mit der Grenze/Ausdehnung von Natur und Welt – Rom, Kopernikus),
– Welt und Schöpfung: Ursprung und Geschichte der Häresien (Orthodoxie und Weltbegriff: Instrumentalisierung der Theologie; Äquivalenz von Bekenntnis und Trägheitsgesetz),
– Welt und Geschichte: geschichtliche und kosmische Religion; Genealogie, Chronik, Prophetie vs. Mythos; Christentum und Verweltlichung; Ursprung und Geschichte von Antijudaismus, Ketzer- und Hexenverfolgung,
– Verweigerung/Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit (Idee der Versöhnung: offene Zukunft und abgeschlossene Vergangenheit; die Öffnung des Raumes schließt die Vergangenheit ab),
– nicht Ökumene, sondern Entkonfessionalisierung der Kirchen,
– die raf und der Golfkrieg: die Welt gleicht sich immer mehr dem Verfolgungswahn an, durch den sie zugleich falsch abgebildet wird (seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben),
– es kommt nicht aufs Rechtbehalten an (Bekenntnissyndrom; Rechtbehaltenwollen als Teil der „Versuchung“: et ne nos inducas in tentationem),
– wer unbedingte Gewißheit: die Zukunft dingfest machen will, zahlt zwangsläufig den Preis der Entfremdung, weil er es nicht erträgt, in der Furcht Gottes zu bleiben; er ist zur Verdummung verurteilt,
– wo kein Kläger, da kein Richter (Hauptsache: nicht erwischt werden): sich der Anklage stellen, anstatt die Schuldgefühle, die sie auslöst, zu verdrängen.
Bekenntnis und Komplizenschaft: Die Komplizenschaft ist in den Weltbegriff bereits eingebaut. Als Bürger des Staates (sowie als Käufer in einer durch Geldwirtschaft bestimmten Gesellschaft) bin ich als Komplize der Herren (durch Identifikation mit dem Aggressor) selbst Herr über die Unterworfenen (und die Produzierenden, die Arbeit und das Produkt der Arbeit anderer). Entlastung von den Schuldgefühlen bringt die Absicherung der Selbstexkulpierung durch das „homologe“ Bekenntnis aller: Wo kein Kläger, da kein Richter. Erst durchs Bekenntnis (durchs Bekenntnis zu den geltenden Werten: zum moralischen Urteil, bzw. durch Identifikation mit dem Aggressor und Verzicht auf die Anklage gegen ihn) werde ich real zum Komplizen. Dieses „Bekenntnis“ (und das gilt heute auch für das kirchliche, konfessionelle Bekenntnis) ist ableitbar als Umkehrung des Schuldbekenntnisses (als falsche Versöhnung: Leugnung der offenen Schuld in der Gegenwart und Dekretierung der Versöhnung als einer in der Vergangenheit bereits geleisteten; Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit; das sich Verstecken des Adam („unter den Bäumen des Gartens“), Flucht aus dem Angesicht Gottes, dreifache Leugnung des Petrus: die dritte – die Sünde wider den Heiligen Geist – endet in der Selbstverfluchung; Instrumentalisierung der Scham).
Ist das homologein (Bekennen) nur ein anderer Ausdruck für das akolouthein (die Nachfolge)? „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
Beherrscht der Mond die Natur und die Sonne die Welt? Die Sonne erleuchtet (herrscht über) den Tag, der Mond die Nacht.
Die Vorstellung des (nicht vorstellbaren) unendlichen Raumes hat Natur und Welt als Totalitätsbegriffe konstituiert: vorher waren beide begrenzt, gab es noch ein Außerhalb.
Der philosophische Begriff des Kontingenten konnte nur deshalb mit dem Schöpfungsbegriff verwechselt werden, weil die Schöpfung selber mit der Welt verwechselt wurde. Beides war erkauft mit einem Tabu über die Erinnerungsarbeit (Kontingenz bezeichnet die Beziehung des Objekts zum Begriff, Schöpfung die zum Namen).
Der Begriff der List der Vernunft ist der Spalt, durch den die benennende Kraft der Sprache entweicht und die Gewalt in die Hegelsche Philosophie Einlaß gefunden hat (vgl. Adornos Hegel-Aufsatz). Heute ist von der List der Vernunft nur die List noch übriggeblieben, der reine Dezisionismus. Nicht zufällig taucht der gleiche Begriff der List auch im Rahmen der Hegelschen Theorie der Naturbeherrschung auf: als Prinzip der Technik; die gesellschaftliche Anwendung des Listbegriffs liegt auf der Hand (vgl. die List des Swinegels und Jürgen Ebachs Bemerkungen dazu, UuZ, S. 154).
Die Sprachverwirrung beim Turmbau von Babel („und machen wir uns damit einem Namen“) wird beschrieben als die Folge eines Eingreifens Gottes, der herabstieg, „um sich Stadt und Turm anzusehen“ (Gen. 111ff).
Erst in der transzendentalen Logik, durch die Einbindung des Objektbegriffs, wird die benennende Kraft des Begriffs, die im traditionellen Begriff des Begriffs noch drinsteckt, gelöscht. Die Geschichte der Philosophie läßt sich hiernach auch begreifen als eine sprachgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen Begriff und Namen, mit dem Ziel, den Namen zu neutralisieren (Kampf gegen die Magie, Ursprung des Personbegriffs). Die Verwirrung kommt herein durch die zentrale Funktion des Urteils (und dessen Bindung an den instrumentellen Sprachgebrauch). Die Umformung der Subjekt-Prädikat- in die Objekt-Begriff-Beziehung in der transzendentalen Logik Kants markiert den Punkt, an dem sich die Sprache endgültig von ihrer benennenden Kraft emanzipiert. Hier vollendet sich die Sprachverwirrung (der Turmbau von Babel). Oder: die Postmoderne beginnt mit Kant und Hegel. Hier gibt es einen zwangsläufigen Zusammenhang mit der Interpretation der Geschichte vom Sündenfall (die in der Tradition der Aufklärung und des deutschen Idealismus als die Geschichte der Menschwerdung begriffen wird) und mit der Neigung zum Antisemitismus.
„Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß“: Gegen die Sprachverwirrung die Dinge zum Sprechen bringen (oder sie beim Namen nennen).
War es vielleicht die beängstigend nahegerückte Gefahr des Wiederauflebens der Magie (nicht nur in Astrologie und Alchimie, sondern näher noch in der neuen Gestalt des Bekenntnisses: des Konfessionalismus), die dann ihr Sündenbock-Opfer in der Hexenverfolgung fand? – Namenszauber und Ursprung der Naturwissenschaften und des Nominalismus, des Objekts der kantischen Kritik? Ritualisierung des Lebens (pompöse Verkleidung: Perücke und Robe) zur Abwehr der andrängenden feindlichen Mächte (der Gewissensmächte: zweite Geburt der Person – Christentum als Gewissenskomfort – Höllensturz). Unausweichlichkeit der Melancholie und der barocken Hybris?
Gewissen und Über-Ich: das Gewissen lebt von der Erinnerungsarbeit, von der Fähigkeit, die Vergangenheit zur benennen (Name, Scham und Schuld), das Über-Ich ist die verinnerlichte, instrumentalisierte Gestalt der falschen Versöhnung, gehört zur Geschichte des Begriffs.
Ich glaube, man muß heute die tiefe Ambivalenz in der Geschichte der Aufforderung an Petrus: „Schlachte und iß!“ (in der Apostelgeschichte) begreifen, um die ganze Tragweite der Entscheidung zur Heidenmission (die mit dem Namen des Petrus, der Kirche, untrennbar verbunden ist; die Auseinandersetzung mit Paulus, in der Petrus die andere Seite vertritt, macht das Gewicht der Entscheidung noch deutlicher) zu begreifen.
Unsere Theologie hat die Gottesfurcht durch die Furcht des Herrn ersetzt (Ursprung und Geschichte der Herrenbegriffs, des Kyrios-Begriffs).
Der Staat oder die installierte Sünde wider den Heiligen Geist.
Einer der Nebeneffekte des Bekenntnissysndroms ist die Gesinnungsethik, bei der in der Regel übersehen wird, daß die „Ge-sinnung“ gerade nicht das Innerste des Menschen bezeichnet, sondern nur das, was der Gesinnte gerne als sein Innerstes nach außen demonstrieren möchte: Der demonstrative (durch den Exkulpationswunsch bestimmte) Grundzug, den die Gesinnung mit dem Bekenntnis gemeinsam hat, ist unverkennbar; er verweist zugleich darauf, daß ohne Ausnahme jede Gesinnung von außen induziert ist (oder auch transplantiert, bei herabgesetzten Immunkräften): Ausdruck dessen, was David Riesman den „außengeleiteten Charakter“ genannt hat; man ist national „gesinnt“, aber einem Menschen, den man liebt, wohl „gesonnen“ (zu diesem Adjektiv gibt es bezeichnenderweise kein verdinglichendes, personalisierendes Substantiv; hierauf kann man niemanden festnageln). Von der Gesinnung (wie auch vom Zwangs-Bekenntnis) ist das Passive, das Unspontane und Unlebendige, das Selbst-Opfer und die dahinter lauernde Wut auf den, der nicht einstimmt, nicht abzuwaschen (es gibt keinen Nationalismus ohne Feinddenken). Jede Gesinnungsethik trägt ausgesprochen exkulpatorische Züge, sie ist ein Akt der Selbstfreisprechung, des reuelosen Sich Unschuldigfühlens, der direkt in den Wiederholungszwang hineinführt. (Begriff der Gesinnung bei Kant?)
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