Antisemitismus

  • 22.2.1995

    Zum Hinweis auf den Antisemitismus Freges in der FR vom 22.2.95 paßt die handschriftlichen Bemerkungen Heinrich Scholz‘ in seinem (Rezensions-)Exemplar von Ernst Bloch „Geist der Utopie“: „Selbstgespräche eines Irren, besser Meschuggenen. Vielleicht muß man Hebräer sein, um dieses Zeug zu verstehen“. Erschreckend auch eine Notiz eines sicherlich sonst unverdächtigen Intimfeinds der Nazis, Theodor Haecker, am 28.3.1940 („Tag- und Nachtbücher“, S. 50f): Nachdem er feststellt, daß in den Evangelien niemals das Äußere eines Menschen beschrieben wird, verweist er auf die „einzige Ausnahme“, die „Christus selber (macht), da er einen seiner Jünger, ganz allgemein freilich, als echten Hebräer (!) anspricht, im Äußeren (!) schon. Das setzt aber doch voraus, daß man sich über den Typus eines echten Hebräers (!) durchaus im klaren war.“ Hierzu bleibt nur zu bemerken, daß Jesus an keiner Stelle von einem „echten Hebräer“ spricht, wohl aber, bei der Berufung Nathanaels im Johannes-Evangelium, von einem „echten Israeliten, einem Mann ohne Falschheit“ (Joh 147). Und der Zusammenhang läßt keinen Zweifel daran, daß es hier nicht um das „Äußere“ eines „echten Hebräers“ geht.
    Die „Historische Grammatik des Griechischen“ von Helmut Rix (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 19922) ist ein paradigmatisches Beispiel dafür, wie die Wissenschaft in Angst vor ihrem Objekt erstarrt und verstummt.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind der Grund der metaethischen Konstruktion im Stern der Erlösung, des B = B. Die Gestalt des Allgemeinen, die sie begründen, ist eine partikulare: Symbol der Katastrophe, des Untergangs. Sie ist ein Ausfluß der Logik der Schrift, ihr terminus ad quem der Fall.
    Laß dich nicht ablenken: Lebt die Inspiration nicht von der Ablenkung, lebt sie nicht davon, daß sie dem Objekt sich überläßt, auch wo sie Gefahr läuft, daß sie sich verläuft? Wird nicht, wer sich nicht ablenken läßt, unsensibel, hart und stur, lebt nicht die Aufmerksamkeit von der Ablenkung, die vom Objekt ausgeht? – Ist nicht die Aufforderung: Laß dich nicht ablenken, selbst die Ablenkung, vor der sie vorgibt zu warnen?
    Empörung ist das Alibi der Sensibilitätsverweigerung. Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung die instrumentalisierten Formen der Empörung (des Gelächters)?
    Erste Phase der Aufklärung: Verinnerlichung des Schicksals; die zweite Phase: Verinnerlichung und Verdrängung der Scham (das Subjekt ist selbst der Adressat der Scham geworden).
    Der „Bogen in den Wolken“ ist die Widerlegung des Inertialsystems.
    Tohu wa bohu: Sind das nicht die Reflexe des Natur- und des Weltbegriffs, des B = B im Objekt?
    Blinder Gehorsam: Käme es nicht darauf an, den Gehorsam endlich sehend zu machen? Aber das geht nur über das Hören (mit den Ohren denken).
    An sieben Stellen gibt es das Wort tebel, in Ps 99, Spr 826, Hi 3413, 3712, Jer 1012, 5115, Kl 412. Vgl. auch Sohar (Ausgabe Diederichs), S. 113. (Wie den „Erdkreis“-Begriff auch den Weltbegriff aufschlüsseln.)
    Die Kluft der Orthogonalität: Nach der speziellen Relaitivitätstheorie sind die Sterne, die uns vom Himmel her leuchten, sowohl zeitlich präsent (gleichzeitig) als auch über Lichtjahre vergangen. Das eine gilt fürs Sehen, das andere für die Abstraktion des Seitenblicks. Ist das nicht ein Grund, sich doch einmal wieder die alte Lehre von den Elementarmächten, den Thronen, Herrschaften, Mächten und Gewalten, von den Engelhierarchien, anzusehen?
    Haben die Namen Alphäus und Thaddäus etwas mit der Jericho-Geshichte zu tun, in der die Wiedererrichtung Jerichos an das Opfer der Erstgeburt und des Jüngsten (des Ersten und des Letzten, das A und O) gebunden wird (Jos 626 und 1 Kön 1634)?
    Zur Verwandschaft Jesu: Sind nicht Verwandschaftsbeziehungen (ähnlich wie später die Engelhierarchien) Bilder der Logik? Und gehören nicht Jakobus (der Sohn des Alphäus) und Juda (Thaddäus und der Bruder des Jakobus) zu den „Brüdern Jesu“?
    Mit dem Opfer des Lamms wird die Erstgeburt des Esels ausgelöst. Hat diese Auslösung etwas mit der erb- und eherechtlichen Regelung der Auslösung (Schwagerehe beim Tod des Mannes, vgl. z.B. die Geschichte der Ruth und die von Juda und Tamar) zu tun? Hängt nicht generell das Verschwinden Josefs aus der Jesus-Geschichte hiermit zusammen (wie auch die Geschichten der Frauen im Stammbaum Jesu und in den Evangelien: neben der Mutter Jesu die Frauen, die ihn begleiten, insbesondere Maria Magdalena, Martha und Maria, die Mutter des Jünglings von Naim, die „große Sünderin“, die Frau, die an Blutfluß leidet, die Ehebrecherin, die Samariterin)?
    Falle und Fall; Garn, Grube (Jeremias) und Kelch: Symbole des Inertialsystems, des Geldes und der Bekenntnislogik?

  • 20.2.1995

    Gilt nicht der Satz „die Tora, das ist die Braut“ (Bahir, S. 151) auch für die Hochzeitsstellen im NT (von der Hochzeit zu Kana bis zum letzten Abendmahl)?
    Wie verhalten sich arbiter (Augenzeuge, Schiedsrichter) und arbitrium (Schiedsspruch) zum liberum arbitrium (zur Willensfreiheit)? Der Schiedsrichter setzt auf die (freiwillige) Zustimmung der Kontrahenten, während der Richter aufgrund seiner Amtsautorität auch gegen den Willen der Beteiligten entscheidet, den Willen unter den Zwang des Staates setzt.
    Wie hängt das liberum arbitrium mit den drei „Freiheitsgraden“ des Raumes zusammen (und die Orthogonalität mit der Orthodoxie)? Gibt es eine Beziehung zu den drei Leugnungen? Von den sechs Richtungen des Raumes sind jeweils drei die Negationen ihrer Gegenrichtungen: Der Westen ist (wie im Französischen) der Nicht-Osten, der Norden der Nicht-Süden, das Unten das Nicht-Oben.
    Hat das Suffix -tum in Reichtum (Heidentum, Deutschtum, Judentum) etwas mit der Umkehrung des Mut (Armut, Demut, aber auch Hochmut, der vor dem Fall kommt) zu tun?.
    Sind die indoeuropäischen Formen der Konjugation Negationen der semitischen Konjugationsformen (Produkt eines Systems von Spiegelungen am Neutrum)? Ist die „hebräische“ Sprache in diesem Kontext, vor diesem Hintergrund, zur Sprache „der Fremden im Lande“ geworden, zur Sprache der „Hebräer“? Ist dieses negative Konstrukt insbesondere in der griechischen Sprache affirmativ geworden, und bedarf diese Sprache deshalb des projektiven Begriffs der Barbaren (ebenso wie der Begriffe Natur und Materie) als Mittel der Abfuhr, der projektiven Verarbeitung des Schuldzusammenhangs, in dem sie sich konstituiert? Läßt die Logik der indoeuropäischen Grammatiken als Kern eines (mit dem Weltbegriff im Zentrum) sich fortentwickelnden Schuldverschubsystems begreifen, dessen letztes Produkt das Inertialsystem ist?
    Ist die Identifikation des johanneischen mit dem philosophischen Logos nicht dessen Leugnung: die Leugnung des Lammes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt und stumm zur Schlachtbank geführt wird?
    Fällt das Bekennen (als homologein) nicht in die Bitte des Herrengebets: Geheiligt werde Dein Name? Dieser Konjunktiv Passiv (geheiligt werden möge …) wartet auf den, der ihn ins Aktiv übersetzt: auf den, der es tut. Wer aber ist als Subjekt dieses Satzes gemeint, wenn nicht wir?
    Wenn Drewermann (in seinen „Strukturen des Bösen“) den ruach mit einem Furz vergleicht, verwechselt er dann nicht die Nuß mit einer Zwiebel, bei der der Kern sich immer wieder als Schale erweist, die den, der den Kern sucht, weinen macht und in der Tat nur Winde erzeugt?
    Der Ring um das Senfkorn (Bahir, S. 130): Ist das nicht der Weltbegriff, die harte Schale, die den Kern verbirgt? Im Weltbegriff wird dieser Ring zur Totalität, zum kantischen Reich der Erscheinungen, das die Dinge, wie sie an sich sind, ins Unerkennbare rückt. Auch Hegels Logik ist eine Logik der Erscheinungen (ihre erste Fassung ist eine „Phänomenologie“ des Geistes). So verfällt sie selber dem Gericht, das in ihr sich verkörpert, und das im Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht in sich zerfällt.
    In ihrer spekulativen Gestalt, die bewußtlos der Bekenntnislogik gehorcht, ist die Trinitätslehre Schale, nicht Kern (hinterm Rücken, nicht im Angesicht). Sie ist verstrickt in die Geschichte der drei Leugnungen, deren dritte die Leugnung des Heiligen Geistes ist. Nicht zufällig erweist sich die „negative Trinitätslehre“ (Antisemitismus als Leugnung des Vaters, Ketzerfeindschaft als Leugnung des Sohnes, Hexenverfolgung und Frauenfeindschaft als Leugnung des Heiligen Geistes) als Kern der Kritik der Bekenntnislogik, zu deren Konstituentien das Feindbild, das Verrätersyndrom und die Frauenverachtung gehört.

  • 16.2.1995

    Im historischen Umwälzungsprozeß rücken uns die Vergangenheiten wieder nahe: Das scheint sich heute auf die Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs (auf den Bedingungszusammenhang der prophetischen Erkenntnis) zu beziehen.
    Zu den drei kantischen Totalitätsbegriffen gehört der des Wissens, der auch zu den Ursprungsbedingungen der indoeuropäischen Sprachen gehört (ich weiß = ich habe gesehen).
    Enthält Jer 3134 nicht die Auflösung des Rätsels der Mathematik? Das Ende der Geschichte, in der einer den andern belehrte, ist das Ende der unbegriffenen Mathematik.
    Der Antisemitismus gründet in der Leugnung und Verdrängung der Gottesfurcht, in der Verdrängung des Schmerzes, daß das Absolute nicht das Absolute ist (deus fortior me). Das Absolute ist ein Konstrukt der Rechtfertigungs- und Bekenntnislogik: Durch die Rechtfertigungslogik ist das Symbolum zum Bekenntnis geworden. Die Bekenntnislogik ist die Rache des Absoluten an der symbolischen Gestalt der Wahrheit.
    Die Teilung der Menschheit unter Heber (Gen 1025) drückt sich in den beiden Stammbäumen Sems aus, deren erster (1022ff) über den zweiten Sohn Hebers, Joktan, zu dessen dreizehn Söhnen führt, während der zweite (1110ff) über den ersten Sohn, Peleg, zu Abram und zur Geschichte Israels führt.

  • 12.2.1995

    Die ganze Skala der Empfindlichkeit, von der pathologischen Verletzbarkeit bis hin zur Majestätsbeleidigung, steht unter dem Satz: „De mortuis nihil nisi bene“ (unter dem Gesetz des ersten Todes).
    Die magischen Attribute der monarchischen Institutionen hängen mit ihrer Beziehung zum Totenreich zusammen.
    Dritte Leugnung: Über die Adornosche Bemerkung, wonach heute schon jeder Katholik so schlau ist wie früher bloß ein Kardinal, ist die Entwicklung inzwischen noch hinausgegangen. Der real existierende Katholizismus ist atheistischer als die Welt, der er sich angepaßt hat.
    Der Verzauberung der Welt, auf die sich der Säkularisationsprozeß bezieht, ist das Werk des Christentums, Produkt seiner Unfähigkeit, den Bann des Mythos aufzulösen, der erst im Christentum wirklich böse geworden ist. Die Unfähigkeit, Joh 129 zu begreifen, hat den Grund für die Dämonisierung der Welt geschaffen (für ihre Remagisierung), die dann ihre projektiven Opfer in den Juden, Ketzern und Hexen gefunden hat, allesamt Realsymbole des katholischen Mythos: der Teufels- und Höllenvorstellung. In diesen Zusammenhang gehören auch die mittelalterlichen „Geschichtsfälschungen“, die ebensfalls als Produkte logisch überdeterminierter Spontanprojektionen sich begreifen lassen (Herrschaftsgeschichte ist Bewußtseinsgeschichte).
    Die Entzauberung der Welt hat die Hölle zur Natur neutralisiert. Der moderne Naturbegriff ist selber ebensosehr Produkt wie Medium und Instrument projektiver „Erkenntnis“. Grund und Korrelat des Naturbegriffs ist die Verinnerlichung der Scham (die seine Stellung in der Geschichte des Sündenfalls markiert), ist das symbiotische Element, das bei Rousseau in der Wiederkehr des Inzestmotivs sich anzeigt.
    In der Theologiegeschichte wäre das Syndrom der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit an der Geschichte der Umformung des Symbolum ins Bekenntnis nachzuweisen und zu demonstrieren. Die Bekenntnislogik war das Todesurteil der Theologie, Instrument der Verdrängung und Verwerfung einer Theologie im Angesicht Gottes.
    Das „Hinweggenommen“ in Joh 129 ist wahr als Verheißung und als Gebot, nicht als indikativische Feststellung (als „nackte Tatsache“). War es nicht die opfertheologische Idee der „Entsühnung der Welt“, die Ihm mit der Last auch noch das Joch aufgebürdet (die Ochs und Esel gemeinsam vor den Pflug gespannt) hat?
    Die Sprachlogik ist die Vergangenheit, die nicht vergeht: In ihrer gegenwärtigen Gestalt gehört sie zu den Konstituentien der Welt, die Auschwitz hervorgebracht hat.
    Sind (im Kontext der Auslegung des Symbols durch Eleazar von Worms) nicht noch die Dornen von den Disteln zu unterscheiden? Sind die einen nicht Prdukt der neutralisierten Umkehr der andern (und ist ihre Einheit nicht die „subjektive Form der äußeren Anschauung“)? Die Jotham-Fabel, der brennende Dornbusch und die Dornenkrone haben es nur mit den Dornen zu tun.
    Haben die Dornen und Disteln etwas mit dem Feuer und dem Wasser zu tun? Ist das Wasser das unter die Vergangenheit subsumierte Feuer?
    Das Inertialsystem ist die Wand der fensterlosen Monade.
    Die Identitätslogik abstrahiert von der Dreidimensionalität des Raumes. Hegels Dialektik ist der Versuch, die Identitätslogik mit der Dreidimensionalität des Raumes zu versöhnen.

  • 10.2.1995

    Ästhetik und Massenwahn, Drama und Prozeß: Der Faschismus war das Produkt einer Inszenierung, zu der die Massenaufmärsche ebenso gehörten wie die einstudierten Wutanfälle des „Führers“ und der von oben angeordnete „spontane“ Pogrom; Inszenierungen sind die Rituale der Staatsschutzprozesse: von der MP-bewehrten Polizei vor dem Gerichtsgebäude über die entwürdigende Eingangskontrolle, der die Besucher ausgesetzt sind, bis zur Ausstattung des Gerichtssaals, die insgesamt ein vorverurteilendes Klima schaffen. Inszenierungen sind möglich in einer Welt, die nicht mehr durchs Angesicht Gottes, sondern durchs Anschauen aller (durchs Gesetz der Schamlosigkeit) sich definiert. Diese Welt ist das Produkt der kopernikanischen Wende; die erste Getalt ihrer Selbstreflektion war die kantische Philosophie. Die Waren bedürfen der Inszenierung durch die Reklame, die Privatexistenz der Selbstinszenierung durch Beruf, Wohnung und Kleidung (als Bühne, Kostüm und Ausdrucksmittel der „Rolle der Persönlichkeit“). Zu den ersten Inszenierungen gehören die Kulte der Religionen und die Rituale der Herrschaft: der byzantinische Herrscherkult und die Eucharistie-Verehrung im Mittelalter, die die Kulisse bildete für die Juden-Pogrome, die Ketzer- und Hexenverfolgungen.
    Inszenierungen gibt es, seit es Zuschauer gibt. Sie setzen einen Begriff der Welt voraus, zu dessen Konstituentien der Zuschauer (das Bewußtsein des Von-allen-Gesehen-werdens), die „Öffentlichkeit“ (ein Euphemismus für die biblischen Nacktheit), gehört.
    Sind nicht die Tiere Produkte erstarrter, nicht mehr reflexionsfähiger Öffentlichkeiten, Produkte des „Bewußtseins“, von einer namenlosen, nicht ansprechbaren Instanz gesehen zu werden; hat nicht jede Gattung ihre eigene, sie definierende Öffentlichkeitsdefinition? Menschen leben im Angesicht Gottes, die Tiere im Angesicht Adams. Deshalb wartet „die ganze Schöpfung … sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ (Röm 819ff).
    Haben nicht die apokalyptischen Tiere mit diesem Begriff der Öffentlichkeit zu tun, sind sie nicht Reflexionsformen der Öffentlichkeit?
    Wer die Reflexion der Natur (das Eingedenken der Natur im Subjekt) verweigert, verweigert die Reflexion des Eigentums: Die kopernikanische Wende hat dem Prinzip der Selbsterhaltung die kosmologische Begründung gegeben. Sie hat das Sich-auf-sich-selbst-Beziehen des sturen Eigeninteresses ontologisiert.
    Die Arbeit des Begriffs, deren Geschichte mit der Hegelschen Philosophie nicht beendet war, hat das, was einmal das Substantielle hieß, zermahlen.
    Die Mathematik ist keine rationale, sondern eine ästhetische Wissenschaft.
    „Euch gebührt es nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater nach seiner eigenen Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist über euch kommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und ganz Judäa und Samarien bis ans Ende der Erde (heos eschatou täs gäs).“ (Apg 18) Die Erde hat demnach nicht ein Ende, sondern mehrere Enden: welche sind schon erreicht, und welche stehen noch bevor?.
    Sind nicht die „drei Abmessungen des Raumes“, wie Kant sie nennt, drei Formen seiner Beziehung zur Zeit?
    Es gibt die Himmelsheere, die Vögel des Himmels und die Wolken des Himmels. In welcher Beziehung stehen diese drei zu einander?
    Die Rache Gottes ist die Rache der Barmherzigkeit über das gnadenlose Gericht. Und sind nicht der Zorn und der Grimm (der Inhalt des Taumelkelchs) die Außenseite dieser göttlichen Barmherzigkeit, die göttliche Barmherzigkeit im Bann und im Kontext der Logik der Schrift? Theologie heute müßte sich zur Sprache dieses Gerichts der göttlichen Barmherzigkeit machen. Findet nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“, sein Begriff der bestimmten Negation und sein Votum für das Nichtidentische, darin seine Begründung?
    Hängt nicht das Wort von den zwei Auferstehungen (in der Apokalypse des Johannes) mit den Beziehungen der Dimensionen des Raumes zur Zeit zusammen?

  • 31.1.1995

    Zum Stern der Erlösung: Kritik des Systems heißt nicht Leugnung des Systems. Sie setzt vielmehr voraus, daß die Wirklichkeit kein Ensemble isolierter Fakten ist, sondern in sich selber systemisch strukturiert ist. Wer Kritik an Hegel übt, erledigt ihn nicht, so als ob es danach sich erübrige, mit Hegel noch sich zu befassen, sondern setzt voraus, daß die Hegelsche Philosophie Anteil an der Wahrheit hat, die allerdings nur durch Kritik zu gewinnen ist, und die ohne die Hegelsche Philosophie, an der sie sich abarbeitet, nicht zu gewinnen wäre.
    Ist nicht die Rosenzweigsche Vorwelt eine nachkantische und nachhegelsche Vorwelt?
    Nicht das Ja und nicht das Nein, sondern das Und ist bei Rosenzweig der Statthalter der Apokalypse. Zeugt nicht auch die Gelassenheit des Tons bei Rosenzweig noch von einer Verdrängung und von der Anspannung, das Verdrängte unten zu halten? Dieser „Ton“ verschweigt die jüdische Welterfahrung, die eine den Juden durch Christen zugefügte apokalyptische Welterfahrung ist.
    Rosenzweig unterscheidet ein östliches, ein nördliches und ein südliches Christentum: die Orthodoxie, den Protestantismus und den Katholizismus. Was er nicht sieht – und das hängt damit zusammen, daß er die Apokalypse im Und verschweigt -, ist das „westliche“ Christentum: das okzidentale, „abendländische“ Christentum, das politische Christentum: seine politische Instrumentalisierung, das gleiche Christentum, daß in einer Folge von Eruptionen, von den Kreuzzügen bis Auschwitz, geschichtsnotorisch geworden ist.
    Theologie im Angesicht Gottes: Hat nicht das Feuer dieser Sonne (das Leuchten des göttlichen Angesichts) die Sulamit des Hoheliedes schwarz gebrannt?
    Anmerkung zum Trinitätsdogma (und zur Opfertheologie): Ham hat die Blöße seines Vaters offenbar gemacht; dafür wurde Kanaan, sein Sohn, verflucht.
    Der Fluch über Kanaan, der ihn zum Knecht Sems und Japhets gemacht hat, ist mit der „Marktwirtschaft“ über die ganze Welt gekommen. Folgt nicht heute auf eine semitische und dann japhetitische Phase der Offenbarungsgeschichte eine hamitische? Ist nicht auch heute das gelobte Land nur im Kampf gegen ein Kanaan, das wir selbst sind, zu gewinnen (Rücknahme der projektiven Schriftauslegung, die sieben Völker Kanaans und die sieben Siegel)?

  • 3.1.1995

    Ist nicht die „Bruderschaft“, als Form der Allgemeinheit, die in der gemeinsamen Beziehung zum „Vater“ gründet, das Medium, in dem die Logik der Schrift (und mit ihr der Begriff des Wissens) sich entfaltet: das Medium der Vergesellschaftung, des Objektivierungsprozesses und der Verweltlichung (Ursprung des Neutrum, Bekenntnislogik)?
    Fantastisch die Ableitung des Begriffs „frei“ (und der „Liebe“) aus dem Selbstmitleid, dem Bedürfnis geliebt zu werden (Benveniste, S. 257ff): Folge des Opfers der Vernunft, das die Bedingung der Aufnahme in die Brüderhorde ist: deren späterer Repräsentant ist das Bekenntnis, dessen Logik hier entspringt.
    Der Begriff des Tieres und der der Selbsterhaltung sind korrelative Begriffe; deshalb gehört der Weltbegriff, der Inbegriff der gegenständlichen Korrelate der Selbsterhaltung, zu dem des Tieres. Die Menschwerdung beginnt mit der Fähigkeit, das Selbsterhaltungsprinzip zu reflektieren.
    Ist nicht mit der „affektiven Beziehung zum Selbst“, die dem indoeuropäischen Begriff der Freiheit zugrundeliegt, der Grund dafür gelegt worden, daß im Deutschen das Sein sowohl das allgemeine Possessivpronomen als auch den Infinitiv des Hilfsverbs „Sein“ bezeichnet (vgl. S. 257 und S. 260)? Diese affektive Beziehung zum Selbst ist Teil eines Schuldzusammenhangs, den das Christentum theologisch verankert hat: Sie konstituiert sich in einer Gestalt der Selbst-Exkulpierung (der „Sündenvergebung“), die über das theologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ (der Opfertheologie und ihrer theologischen Konnotationen) vermittelt ist (und dem Verweltlichungsprozeß seine Schubkraft verleiht).
    Raub der Sabinerinnen: Der Funktion der „angeheirateten Verwandschaft“ im Kontext der indoeuropäischen Institutionen liegt eine im Eigentumsprinzip gründende Rechtsbeziehung zugrunde. Ihr Ursprungsmodell ist der Frauenraub, der der ersten Gestalt der Ehe in der Männerhorde ähnlich zugrunde liegt wie der Diebstahl dem Handel. Gründet das Institut des Privateigentums (sowie der Ehe und des Staates) nicht doch generell in der gewaltsamen Aneignung der Beute durch nomadisierende Männerhorden (das erste rechtsfähige Eigentum waren Sklaven und Frauen)?
    Benveniste hat nur bedingt recht, wenn er versucht, den Begriff des philein, des Liebens, aus der Possessivbeziehung herauszulösen. Selbstverständlich ist er nicht auf die positive, dingliche Eigentumsbeziehung eingeschränkt; aber konstituiert er sich nicht in einer Eigentumsordnung, die auch das Subjekt, den Eigentümer, in ihren Bann zieht und verändert (im Kontext des Ursprungs des Staates, dessen Vorläufer die Brüderhorde ist, und der die Eigentumsordnung, in der es dann Eigentum als Privateigentum überhaupt erst gibt, konstituiert). Wer die Idee des richtigen Handelns, und wer Schuld und Verantwortung an den König und die durch ihn gesetzte Rechtsordnung delegiert, wer sie von der Barmherzigkeit trennt, bleibt unversöhnt, anfällig fürs Selbstmitleid, süchtig danach geliebt zu werden.
    Das Geliebt-werden-Wollen ist ein apriorischer Tatbestand im Herrschaftsbereich der Ontologie und diese eine Emanation des Staates.
    Das Christentum ist dem Liebessyndrom verfallen, als es die Prophetie vor dem Hintergrund des Theologumenons seiner Erfüllung im Christentum als erledigt und abgetan, wie in der vorchristlichen Vergangenheit, so auch heute nur für die Juden zuständig, definierte. Dieses Konstrukt gehört in die Ursprungsgeschichte des Antisemitismus. Der Antisemitismus war immer schon ein Rädchen im Exkulpationsmechanismus.
    Die logischen Strukturen, in die (Glaubens-)Bekenntnis und Sündenvergebung heute geraten sind, werden durchsichtig in der Reklame (die Adorno zufolge den Tod verschweigt).
    Der Fundamentalismus ist der Greuel am heiligen Ort: Er ist nicht mehr durch bloße Verurteilung zu bekämpfen, sondern allein durch Reflexion und Auflösung des Schuldzusamenhangs, zu dessen Konstituentien die Verurteilung und zu dessen Folgen der Fundamentalismus gehören.
    Die Schlange, die das klügste aller Tiere war, hat das Wissen erfunden. Welche Beziehung besteht zwischen der Schlange (dem saraph) und den Seraphim? Nicht die Seraphim, sondern die Cherubim mit dem „kreisenden Flammenschwert“ stehen vor dem Eingang des Paradieses.
    Wut ist ein unkeuscher Zorn. Die Empörung hat ihn zur kleinen Münze gemacht, für den täglichen Gebrauch (im Tratsch) umgeformt. Wessen Bild trägt diese Münze?
    In welcher Beziehung stehen die kantischen Antinomien der reinen Vernunft zur Logik des Beweises, was bedeuten sie für die Logik des Beweises? Im Zusammenhang des Rechts gibt es drei Beweisverfahren: den Zeugenbeweis (hierzu gehören das Martyrium und die Folter), den Indizienbeweis (ausgebildet in der Geschichte der Hexenvefolgung) und das Geständnis (das Judesein war einmal das absolute, vom Juden nicht mehr widerrufbare Geständnis). Als „sicherstes“ Verfahren gilt das Geständnis, in dem der Angeklagte die Schuld auf sich nimmt („gesteht“): Dieses Verfahren spricht den Richter frei, während der Zeugen- und der Indizienbeweis der Würdigung durch den Richter unterliegen, ihn in die Verantwortung mit hereinnehmen. – Im Recht führt das Bekenntnis der Schuld, die Übernahme der Verantwortung, nicht zur Befreiung, sondern zum Urteil und zu der als Strafe neutralisierten Rache; der Zeugenbeweis unterliegt dem Verdacht des falschen Zeugnisses, während der Indizienbeweis die Möglichkeit des Fehlurteils (der Täuschung oder des Irrtums) nicht ausschließt.
    Verweist nicht das Phänomen der Fälschungen in der Geschichte auf ein herrschaftsgeschichtliches Problem? Die Fälschung gehört ebenso zur Herrschaftsgeschichte wie Mord und Raub; sie gehört zur Herrschaftsgeschichte als Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der projektiven Erkenntnis: als Schatten des dem Erkenntnistriebs innewohnenden Exkulpationstriebs. Hegels List der Vernunft gehört in diesen Zusammenhang. Die Geschichte der Fälschung vollendet sich in der Vorstellung des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit: in der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (der Objekte der kantischen Antinomien).
    Das hängt zusammen mit der eigentumsbegründenden Kraft und Funktion des Staates, dem Nationalismus als Manifestation der Gewalt gegen die konkurrierenden Eigentumsansprüche anderer Nationen.
    Es wäre zu untersuchen, ob und wie die anwachsenden Einbruchs- und Diebstahlsphantasien in den Medien und in der Gesellschaft logisch mit der anwachsenden Xenophobie zusammenhängen.
    Sind nicht die Stämme und Völker, Sprachen und Nationen Denkmäler der Geschichte der Konstituierung der Raumvorstellung?

  • 2.1.1995

    Was bedeutet es, wenn die Erlösung in der hebräischen Bibel im Bilde der Geburt (mit vorausgehenden Geburtswehen) und im Neuen Testament im Bilde der Hochzeit vorgestellt wird?
    Das Bild des Gehorsams im Sinne des evangelischen Rates ist nicht der Soldat, der einen ihm gegebenen Befehl ohne nachzudenken ausführt, sondern der Säugling, der mit gespanntester Aufmerksamkeit der Mutter die Worte, die er noch nicht versteht, vom Munde abzulesen und zu verstehen versucht. Ein Stück dieses „Gehorsams“, das eigentlich ein Hören ist, steckt in der großen Musik, und zwar auf der Seite ihrer Hervorbringung, nicht ihres „Genusses“.
    Die veräußerlichte Sexualmoral zerstört die Sensibilität im Kern durch die Verführung zum projektiven Urteil; sie ist der Quellpunkt der „Kultur der Empfindlichkeit“ (war das nicht schon in der Geschichte vom Sündenfall in dem Satz: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“ gemeint?).
    Die Logik, die der Vorstellung vom Privileg des Opfers zugrundeliegt, ist die Falle, in die der Antisemitismus gerät, wenn es ihm nicht gelingt, seinen Anteil an der Tat ohne Rechtfertigungsversuche zu begreifen. In diese Falle ist die Kirche mit der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu schon in ihrem Ursprung hineingeraten; sie hat sich bis heute nicht daraus befreien können, mehr noch: sie ist selber zu dieser Falle geworden. Dieser Logik sind die schrecklichen Konkurrenzkämpfe zu verdanken, in denen die Opfer darum streiten, welchem Leiden, welchem Unrecht die höhere Ehre zusteht (Juden, Ausländer, Frauen, die Armen hier und in der dritten Welt, das Proletariat).
    Sind nicht die Zwei-Naturen- und die Drei-Personen-Lehre Konstrukte der Opfertheologie (wie der Naturbegriff und der Begriff der Person überhaupt)?
    Der Deus Sabaoth, ist das nicht der Herr der Astrologie?
    Es gibt zwei Versuche der Verarbeitung der mythischen Schicksalsidee: den theoretischen der Philosophie und den praktischen des gesetzlich verfaßten Rechts. Aber beide reproduzieren die Logik des Mythos. Der (rechtliche) Begriff der Sühne ist eine Emanation sowohl der Schicksalsidee als auch des Begriffs.
    Daß die Natur den Begriff nicht halten kann, heißt doch auch, daß der Begriff das Innere der Natur nicht erreicht, daß er der Natur äußerlich bleibt: Ist nicht die Natur ihrer eigenen Definition nach das Äußerliche des Begriffs? Was der Begriff im „Innern der Natur“ vorfindet, ist nur die Projektion seiner selbst.
    Der Naturbegriff konstituiert sich in der Konstellation Im Angesicht / Hinter dem Rücken; erst mit der Einbeziehung des Lichts in den Objektivationsprozeß reproduziert sich die Beziehung Rechts / Links im Konstitutionszusammenhang des naturwissenschaftlichen Objekts (konstituiert sich der Objektbereich „jenseits der Lichtgeschwindigkeit“).
    Mit dem Begriff des Anthropomorphismus wurde die Barmherzigkeit storniert.
    Sind die indoeuropäischen Sprachen nicht undialogisch, und ist das nicht eine Folge ihrer Subsumtion unter die Logik der Schrift? Ist nicht die Neutralisierung der zweiten Person (der Quellpunkt der Sexualmoral) ein Indiz dafür? In den indoeuropäischen Sprachen hat das Personalpronomen der zweiten Person nur noch deiktischen Charakter; die zweite Person hat ihr Antlitz eingebüßt und ist so überhaupt erst zur Person (zur Maske) geworden. Mit der Neutralisierung der zweiten Person zum Du dringt die Welt in die Logik der Sprache ein.
    Das Lachen ist die verweltlichte, vergesellschaftete, desensibilisierte Freude.
    Die Logik der Schrift ist die Logik des Autismus; die indoeuropäischen Sprachen haben (mit dem Begriff des Wissens) diese Logik in ihre Struktur im aufgenommen.
    Hat der Turm von Babel etwas mit dem Schuldturm zu tun? Welche Funktion und welche Bedeutung haben die Türme in der Schrift?

  • 26.12.1994

    Mit der Objektivation und Instrumentalisierung der Welt wird auch die Sprache instrumentalisiert, verliert sie ihre benennende Kraft, ihre Beziehung zur Wahrheit.
    Mit der creatio mundi ex nihilo hat die Hybris Einzug gehalten in die Theologie. Sie war Caesarentheologie wie die homousia. Das nihil war das Denkmal der Abstraktion, des Verdrängten: Voraussetzung der Neutralisierung von Himmel und Erde. Mit der creatio ex nihilo ist die Schöpfung in eine Herrschafts- und Eigentumsbeziehung umgeformt, die Offenbarung zur Befehlsgewalt des Absoluten gemacht und die Erlösung spiritualisiert worden.
    Heute enthüllt sich der Antisemitismus als theologischer Selbsthaß. Unter den Nazis gab es noch das Bewußtsein: Nach den Juden sind wir (die Christen) an der Reihe. Dem folgte die Identifikation mit dem Aggressor.
    Der Satz, daß heute jeder Katholik so schlau ist wie früher bloß ein Kardinal, wäre zu ergänzen: und jeder so dumm wie früher die Herrschergestalten des Absolutismus.
    Wer Hegel nicht versteht, versteht sich selbst nicht.
    Die Schrift setzt an die Stelle des Hörens das Sehen; beim Übergang von der hebräischen zur griechischen Schrift hat sie Rechts und Links vertauscht.
    Wenn die Bibel außer zwischen Stämmen und Völkern („Heiden“) auch noch zwischen Sprachen und Nationen unterscheidet, verweist diese Differenzierung dann nicht auf den Unterschied der politisch-gesellschaftlichen Bedeutung von Schrift und Geld? Definiert sich die Nation durch die Einheit der Währung (und ist das den modernen Antisemitismus beunruhigende Problem einer „jüdischen Nation“ nicht im Hinblick auf die Propheten anachronistisch, ein reales Problem dagegen erst mit den Makkabäern – nach dem Ende der Prophetie)?
    Zur Geschichte der drei Leugnungen: War nicht die Geschichte der christlichen Theologie eine Geschichte der Erinnerung und Verdrängung zugleich; und verweist nicht die Geschichte von den drei Leugnungen auf den „Fortschritt“ in der Geschichte der Verdrängung?
    Der Bann, der auf den Tieren liegt, gründet in dem Namen, mit dem Adam sie benannt hat.
    Weihnachten erzeugt „Stimmung“, indem es den Boden des Selbstmitleids kultiviert; zu Silvester werden Stimmungskanonen benötigt, um eine Bombenstimmung zu erzeugen.

  • 23.12.1994

    Die Vorstellung des unendlichen Raumes ist ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Die Form des Raumes ist die Selbstbegründung der Homogenität der Zeit, der Vorstellung des Zeitkontinuums. Der Preis dieser Logik ist der Begriff der Materie.
    Das Inertialsystem hat, indem es das Objekt zum Begriff gemacht hat, den Begriff zum Objekt gemacht: es hat die Sprache neutralisiert. Darauf bezieht sich das „gelegentlich ineinander laufen“, von dem Kant im Zusammenhang mit seiner Definition der Begriffe Natur und Welt spricht, und das war zugleich die Grundlage für Hegels Prämisse, daß die Identität von Objekt und Begriff schon geleistet ist. In dieser Prämisse ist die Hegelsche List der Vernunft begründet.
    Blochs Bemerkung, daß die Schöpfung nicht am Anfang war, sondern erst am Ende sein wird, wäre noch zu berichtigen: der Anfang selber (der nicht vergangen sein kann, sondern an dem Zukunftsmoment in der Idee des Ewigen teilhat) wird erst am Ende sein. Die ganze Vergangenheit hat ein noch unabgegoltenes Moment in sich.
    Hat der erste Teil des Stern der Erlösung, der mit der Todesfurcht anhebt, mit Gethsemane und mit dem Kelchsymbol zu tun?
    Die Bemerkung in der Dialektik der Aufklärung, daß die Geschichte der Zivilisation die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers ist, verweist auf die Beziehung des Weltbegriffs, des Schwellenbegriffs der Zivilisation, zum Opfer: auf eine Beziehung, die die Funktion der Opfertheologie für die Konstitution des Weltbegriffs ins Bewußtsein hebt. Der Mythos hat der Verinnerlichung des Opfers vorgearbeitet, die Geschichte des Opfers in eine Engführung gebracht, die die Verinnerlichung des Opfers erzwungen hat.
    In jeder Empörung steckt etwas von der Lust an dem, worüber man sich empört. Deshalb sagt das Bild, das die Antisemiten von den Juden haben, mehr über die Antisemiten als über die Juden. Sind nicht die Naturwissenschaften ein Produkt der Empörung über die Natur (die in dieser Empörung überhaupt erst als Natur sich konstituiert)? Speist sich nicht die Urteilslust aus der Empörungslust, und bezieht sich darauf nicht das Keuschheitsgebot und das Symbol des Unzuchtsbechers?
    Die philosophische Kritik am Anthropomorphismus war seit je das Instrument der Verdrängung der Barmherzigkeit. Ist nicht die Geschichte der Hysterie die Geschichte des Schicksals dieser Verdrängung (und zugleich ein Hinweis auf den Ursprung der Frauenfeindschaft im historischen Prozeß der Aufklärung)?
    Die Selbstlegitimation des Bestehenden leistet der Naturbegriff; deshalb ist die Kritik der Naturwissenschaften so schwer und so notwendig.

  • 5.12.1994

    Die Zeit der Welt ist abgelaufen.
    Das gesellschaftliche Äquivalent der Energie ist die Ausbeutung.
    Die Opfertheologie und die Vergöttlichung Jesu sind Ausdruck des versteinerten Herzens der Welt (der Lüge, die Welt sei schon „entsühnt“). Das Trinitätsdogma ist das steinerne Herz der Welt (der Ursprung der subjektiven Form der äußeren Anschauung).
    War nicht der Versuch der „negativen Trinitätslehre“, die
    – den Antisemitismus als Leugnung des Vaters,
    – die Ketzerverfolgung als Leugnung des Sohnes und
    – die Frauenfeindschaft als Leugnung des Heiligen Geistes begreift,
    eine Konsequenz aus der These, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns und nicht des Seins sind?
    Wie kann man an die Unsterblichkeit der Seele und an die Auferstehung der Toten glauben, wenn man gleichzeit glaubt, man könne die ganze Vergangenheit hinter sich lassen („Versöhnung über den Gräbern“)?
    Das Christentum ist heute zu einer Frage der Logik geworden, genauer: der kritischen Selbstanwendung der Logik, der Anwendung der Logik auf ihre eigene Geschichte und Funktion.
    Zu Alfred Sohn-Rethel: Gehören nicht die Geschichten von den Jünglingen im Feuerofen und vom Daniel in der Löwengrube zu den ermutigenden Geschichten in der Bibel? Und gehört nicht die Geschichte von den drei Jünglingen im Feuerofen in die Tradition der Geschichte vom brennenden Dornbusch?
    Das Medium des symbolischen Denkens ist die von der Ökonomie und von den Naturwissenschaften verdrängte sinnliche Erfahrung.
    Zum apokalyptischen Unzuchtsbecher: In dem vergegenständlichten Licht der Naturwissenschaften kommen die Beziehungen des Lichts zur Finsternis und des Sehens zum Gesehenwerden, kommt die Scham nicht mehr vor, weil die Verdrängung der Scham zu den Voraussetzungen dieser Vergegenständlichung gehört. Der objektive Ausdruck dieser Verdrängung der Scham ist der Begriff der Materie.
    Der Export der Armut in die Dritte Welt war ein Zwangsmittel zur Ausbeutung ihrer Ressourcen. In diesen Kontext gehört die Neudefinition der Funktion und Aufgaben des Militärs in den hochmilitarisierten Industrieländern, in deren Folge die Sicherung des Zugangs zu diesen Ressourcen immer deutlicher ins Zentrum gerückt worden ist (bei gleichzeitiger politischer Instrumentalisierung der Menschenrechts-Diskussion).

  • 21.11.1994

    Zu den Gründen der Kausalitäts-Diskussion gehörte auch der (durch Krieg, Niederlage und Revolution, durch Kriegsschuld-Debatte und „Dolchstoß-Legende“, verschärfte) Materialismus-Vorwurf: Hier war eine Situation, in der an die Ursachen nicht mehr gerührt werden durfte. Das Kausalitätprinzip mußte so umformuliert werden, damit es auf Politik (und Ökonomie) nicht mehr anwendbar war. Rührt nicht auch das Gefühl, selber Objekt einer feindlichen Umwelt zu sein, in der Zweideutigkeit des Materialismus-Vorwurfs, der primär auf die politische Anwendung des Begriffs abzielte, aber die Naturwissenschaften gleichsam in Sippenhaft nahm? Hatten sich nicht schon die „93 namhaften Wissenschaftler und Künstler“, die am 14. Oktober 1914 den „Aufruf an die Kulturwelt“ unterzeichneten, in dem sie „sich rückhaltlos hinter die militaristische Politik des Reiches stellten und ungeprüft die Übergriffe deutscher Truppen in den besetzten Gebieten bestritten“ (sh. S. 31, Anm. 49), präventiv gegen den seit dem schwelenden Vorwurf, nicht national gesinnt zu sein, verteidigt? Das trübe Kapitel der Kriegspropaganda deutscher Wissenschaftler im Ersten Weltkrieg (wie das des Antisemitismus im Zweiten) gehört in diesen Zusammenhang.
    Liegt nicht die crux des Neopositivismus darin, daß er die Kritik der Bekenntnislogik selber wiederum zum Gegenstand des Bekenntnisses gemacht hat (oder daß er auf der Flucht vorm Rechtfertigungszwang nur noch tiefer in diesen Zwang hinein geraten ist)? Verweist das nicht darauf, daß der innere Kern der Naturwissenschaften, die Handlungslogik des Inertialsystems, selber bekenntnislogische Züge trägt (die ihren „theoretischen“ Charakter fundieren)? Sind nicht die Probleme der Quantenmechanik Ausdruck und Produkt der Verwirrung, die Krieg und Nationalismus und in prästabilisierter Harmonie damit die logische Struktur ihres Gegenstandes selber in den Köpfen der Beteiligten angerichtet haben? Es war diese Verwirrung, die noch in den besten Produktionen der Nachkriegszeit als Spur einer Flucht in die Weltanschauung sich nachweisen läßt.
    Zu Hans G. Kippenberg: Paßt das Jeremias-Wort „Betet für das Wohl der Stadt“ in seine Interpretation der „jüdischen Erlösungsreligion“? Zum Namen-Problem im „Neuen Testament“:
    – Neben Saulus/Paulus (war es, wie Kippenberg unterstellt, üblich, daß die Sühne jüdischer Eltern neben dem traditionellen hebräischen Namen noch einen hellenistischen Namen erhielten?) ist
    – auf die merkwürdige Benennung Simon/Petrus zu verweisen,
    – auch auf den Namen des Nathanael, der einzige, den Jesus einen „wahren Israeliten“ nennt, der aus Kana stammt (oder war er ein „Kananäer“, ein Zelot?), und der im übrigen nur bei Johannes vorkommt,
    – auf die hellenistischen Apostelnamen Andreas und Philippus,
    – auf die hellenistischen Diakone,
    – den Namen der Christen (zuerst in Antiochien); und schließlich: – war Jesus ein Nazarener oder ein Nazoräer? Ist das Problem der Beziehung des Christentums zum Hellenismus ein Teil des Problems des Weltbegriffs? Wäre nicht die Habermassche Dichotomie zwischen „einem performativen Satz und einem davon abhängigen Satz propositionalen Gehalts“ genauer zu reflektieren: Bleibt sie nicht in Logik der Objektivation und Instrumentalisierung (der Subsumtion unter die Vergangenheit) stecken? Der Objektbegriff wird aufgesprengt durch den Satz: „Das Vergangene ist nicht mehr“. Der Begriff der Aufklärung hat die Differenz von Licht und Finsternis ins Metaphorische verschoben (vgl. das „dunkle Mittelalter“). Das „Licht“ der Aufklärung ist das der Subjektivität, das sich der Verdrängung der gleichen Zukunft verdankt, deren Realsymbol das Licht ist. Wäre daraus nicht das Verhältnis von Gravitation und Licht zu bestimmen? Die von Max Born bemerkte eigentümliche „kontrahierende“ Kraft des Lichtstrahls ist eine Folge der relativistischen Zeitdilatation. Der dreidimensionale Raum ist die zur Totalität aufgespreizte Bildebene; deren Emanationen sind die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt. Gibt es nicht Stufen der Objektivierung, die an den Dimensionen des Raumes sich abarbeiten?

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