Antisemitismus

  • 17.12.1996

    Wie der Tempel im Anfang das Haus des Namens war (und dann deutlich vom Haus des Herrn und vom Haus Gottes sich unterscheidet), war auch das Bekenntnis zunächst das Bekenntnis des Namens. Darin war die Beziehung zur Anrufung des Namens, eine Sprachbeziehung, enthalten, die durch die Reflexionsbeziehung zur Schuld, zum Schuldbekenntnis, die mit dem Begriff confessio/Bekenntnis mit gesetzt ist, reversibel gemacht wird, damit aber den Namen löscht (die Beziehung, die im Bekenntnis des Namens sich ausdrückt, ist als eine reine Sprachbeziehung irreversibel – diese Irreversibilität wird, nachdem sie durch die Zeit usurpiert worden ist <durch Subsumtion unter die Zeit>, im Begriff, dem dann ein Objekt korrespondieren muß, neutralisiert: Hat nicht die Kirche im Symbolum das Bekenntnis des Namens durch das Glaubensbekenntnis und dann mit der Eucharistieverehrung den Namen durch die dingliche Gegenwart ersetzt?).
    Liegt nicht ein Problem Rosenzweigs im Begriff der Offenbarung im Übergang von der Liebe Gottes zum Schuldbekenntnis der Seele, müßte hier nicht die Gottesfurcht stehen?
    Das Gesetz der Reversibilität (in dem der Schuldbegriff gründet) wird durch die subjektiven Formen der Anschauung in die Sprache hineingebracht. Die subjektiven Formen der Anschauung (der Taumelkelch) haben die Sprache instrumentalisierbar gemacht. Sie verwirren die erkennende Kraft des Namens, ohne sie jedoch löschen zu können; sie sind die „Pforten der Hölle“, die die Kirche (und die in ihr aufbewahrte Kraft des Namens) nicht überwältigen werden.
    Der Name ist das Herz der Sprache. Aber was sind die „Nieren“ der Sprache? (Sind die Nieren nach innen, was das Herz nach außen ist?)
    Jedem Urteil liegt eine Verurteilung zugrunde: Ist diese Verurteilung das Feuer im brennenden Dornbusch?
    Im Hogefeld-Prozeß war das Weltgericht in Aktion zu sehen.
    Wenn Sehen Urteilen ist, dann ist Augenlust Urteilslust (und nicht – so Ton Veerkamp – „Raffgier der Augen“). Sollte nicht der antisemitische Sprachgebrauch, der das jüdische „raffende“ Kapital dem arischen „schaffenden“ Kapital gegenüberstellte, vor dieser Wortwahl schrecken?
    Zur Buberschen „Huld“: Unterscheidet sich nicht die „Huld“ von der Barmherzigkeit sowohl theoretisch wie auch praktisch? Huld ist eine Form der Anerkennung des Knechts durch den „gnädigen Herrn“, die die Herrschaftsbeziehung nicht antastet, sie bleibt eindimensional und im Bann dieser Herrschaftsbeziehung: Der Knecht „huldigt“ seinem Herrn, während der Herr dem Knecht „Huld erweist“, die er ihm sofort entziehen würde, wenn der Knecht versuchen würde, aus dieser Herrschafts- und Huldbeziehung auszubrechen. Huld ist herrschaftsstabilisierend. Von der Barmherzigkeit hingegen heißt es: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater in den Himmeln barmherzig ist“. Barmherzigkeit ist eine im Kern theologische Kategorie, ihre Bedeutung und ihre erkenntnisaufschließende Kraft ist nur in theologischem Zusammenhang zu begründen und zu entfalten; Barmherzigkeit gehört zu den Attributen Gottes, von denen Emanuel Levinas einmal gesagt hat, daß sie im Imperativ, nicht im Indikativ stehen (das Bekenntnis ist die öffentliche Manifestation des Hörens dieses Imperativs). In dem Jakobus-Wort „Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ drückt aufs genaueste der subversive, herrschaftskritische Charakter dieses theologischen Begriffs (und in ihm jeder Theologie, die diesen Namen verdient) sich aus. Barmherzigkeit ist das Gegenteil einer Herrentugend: Bis heute gibt es keine Gestalt der Herrschaft, die nicht, um für ihre Aufgaben sich zu qualifizieren, die Barmherzigkeit, die Fähigkeit, in andere sich hineinzuversetzen, in sich unterdrücken und verdrängen muß. Deshalb gibt es bis heute keine Gestalt der Herrschaft, die nicht für das, was sie sich selbst antun muß, für ihre Verhärtung, den Preis zu zahlen hätte: den der Verblendung, der Erfahrungs- und Wahrnehmungsunfähigkeit. Nur bei ihrer Dummheit (und d.h. nur durch den Geist, dessen erkennende Kraft in der Barmherzigkeit oder, was damit identisch ist, in der erkennenden Kraft des Namens gründet) ist Herrschaft angreifbar. Barmherzigkeit als die jedes Herrendenken sprengende Kraft ist der Kern der Solidarität, die einzige Chance, auch unten den Kopf oben zu behalten. – Wenn Gott die Propheten im Mutterschoß berufen hat, hat er sie dann nicht in der Barmherzigkeit, die der Mutterschoß der Sprache ist, berufen?
    Die Barmherzigkeit bringt Licht in den blinden Fleck der Logik, sie sprengt den Begriff durch die erkennende Kraft des Namens.
    Gegen Unbarmherzige ist die Barmherzigkeit unbarmherzig: Das Hegel’sche Weltgericht ist nicht das Jüngste Gericht, vielmehr wäre das Jüngste Gericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.

  • 16.12.1996

    „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“: Die Bekenntnislogik war das Instrument der Auflösung des Naturbegriffs durch eine Zwangsreflexion, die durch die Opfertheologie (und durch die Geschichte des Weltbegriffs, in der diese gründet) vermittelt ist. Die Bekenntnislogik reflektiert einen Bekenntnisbegriff, der seinem Ursprung im Schuldbekenntnis hat, aus ihm durch ihm durch eine systematische logische Umkehrung hervorgegangen ist (sic, B.H.). In der Bekenntnislogik wird das Schuldbekenntnis, das auf die Fähigkeit zur Schuldreflexion als Selbstreflexion sich gründet, zum Fremdbekenntnis, zum Schuldverschubsystem, zu einem systematischen Instrument der Abwehr, Verschiebung und Projektion. Es ist die gleiche Umkehr, die bei Kant das Verhältnis von reflektierendem und bestimmendem Urteil in der Sache bestimmt (das Instrument dieser Umkehr ist die transzendentale Ästhetik, sind die subjektiven Formen der Anschauung und in ihnen die durch Orthogonalität und Reversibilität definierten Beziehungen der Richtungen im Raum, die das Ungleichnamige gleichnamig machen). Zu den Wirkungen der Bekenntnislogik (aus denen ihre Ursprungsgeschichte sich ablesen läßt) gehört die Selbstzerstörung der an die Sprache gebundenen Sensibilität, die sie durch Empfindlichkeit ersetzt. Die Empfindlichkeit (die insgesamt pathologisch ist) gründet im Rechtfertigungszwang, der selber als Umkehrung der Fähigkeit zur Schuldreflexion, als Produkt der Verdrängung und Unterdrückung dieser Fähigkeit, sich begreifen läßt. Im Kontext dieses Rechtfertigungszwangs gründet eine Logik, unter deren Bann die Differenz zwischen Verstehen und Verzeihen sich verwischt, unkenntlich wird: die Logik der Verurteilung (die dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrundeliegt). So bleibt Auschwitz unter moralischem Apriori „unverständlich“, während das, was hier geschehen ist, ohne daß das an dem Urteil über das Grauenhafte etwas ändert, unter den Prämissen der Schuldreflexion (die durch den Weltbegriff außer Kraft gesetzt werden) sehr wohl sich verstehen läßt.
    (Hierzu:
    – Verurteilung des Nationalsozialismus ohne Reflexion des Schreckens nicht möglich;
    – Reflexion des Schreckens und Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung;
    – Schuldverschubsystem, „Entsühnung der Welt“, Entlastung und Enthemmung, das Problem des Strafrechts und die Ohrenbeichte, Kirche und Staat als Produkte der Vergesellschaftung des Opfers und der Rache;
    – das Dogma, die Orthodoxie, das Geld, das Inertialsystem und die Logik der Verurteilung, des Schuldverschubsystems;
    – das Gebot der Feindesliebe und der imperativische Gehalt der Attribute Gottes;
    – die Astronomie und der Name des Himmels.)
    Das Problem der Bekenntnislogik ist ein lateinisches (und in der Folge dann ein deutsches) Problem. Die confessio ist ein halbiertes homologein. Sie unterscheidet sich wie das Bekenntnis vom homologein durch die Abstraktion von der Nachfolge (dem christlichen Äquivalent der Umkehr). Augustinus‘ Confessiones stellen dann die Beziehung zum „Sündenbekenntnis“, zur Schuld, her. Das homologein ist als Name der Umkehr aufs zukünftige Handeln bezogen, die confessio aufs vergangene, auf die „Bekehrung“, deren Geschichte Augustinus in seinen Confessiones erzählt, am Ende nur noch auf den Taufakt. Die confessio hat das homologein der Herrschaftslogik unterworfen. Erst als Bekenntnis wird das Bekenntnis endgültig und unentrinnbar zu einem Instrument der Herrschaftslogik: Durch die Umkehr des Schuldbekenntnis im Glaubensbekenntnis bekenne ich die Schuld der Andern, die ich weder bekennen kann noch darf. Durchs Glaubensbekenntnis wird das Christentum zum Christentum für Andere, hat es sich selbst instrumentalisiert. Diese Logik der Instrumentalisierung, die in der Theologie sich entfaltet hat, ist dann zum Modell der naturwissenschaftlichen Aufklärung geworden.
    Die Bekenntnislogik reprodziert und stabilisiert die Gewalt des Begriffs, während die Nachfolge den Begriff zurückübersetzt in den Namen (die Blätter des Feigenbaums zurückübersetzt in die Frucht).
    Gewinnt die Tatsache, daß nach dem Ende der Märtyrerzeit die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen in (männliche) Bekenner und (weibliche) Jungfrauen erfolgt, im Kontext dieser Logik nicht eine ungeheure symbolische Bedeutung?
    Es gibt keinen Weltbegriff ohne das projektive (feindbildlogische) Moment, das in dem Namen der Barbaren erstmals sich ausdrückt. Dieses projektive Moment ist in der Bekenntnislogik zur logischen Automatik geronnen: Deshalb gehört zur Bekenntnislogik ein eliminatorischer Wahrheitsbegriff: das Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter (der Häresien) und die Frauenverachtung.
    Sind nicht die Christen reflektierte Barbaren, und gehörte zur Rehellenisierung des Christentums nicht die erneute projektive Ableitung dieses Syndroms im Namen der Wilden (auch im Begriff der „rohen Natur“, die nur durch Bearbeitung zu humanisieren ist)?
    Wer mit dem Verurteilen das Verstehen tabuisiert, die Fähigkeit, auch ins Verurteilte noch sich hineinzuversetzen, unterdrückt, fördert die Barbarei, die aus dem Vorurteil folgt. Und diese Geschichte (die Geschichte des Vorurteils) hat angefangen in der Geschichte der Dogmas, im Kampf gegen die Häresien, die auch nur verurteilt, aber nie verstanden wurden. Wer heute eine transzendentale Logik schreiben wollte, müßte sie als Reflexion der Bekenntnislogik schreiben, ihr Ziel wäre eine Theorie des Antisemitismus, der Xenophobie und des Sexismus. Diese Reflexion könnte dann allerdings vor dem Naturbegriff nicht halt machen, sie würde ihn sprengen.
    Im Bekenntnisbegriff ist das Pharisäische zu einem Teil des logischen Systems und damit instrumentalisiert worden. Und die kirchliche Rezeption Pharisäer-Kritik, der Verurteilung der Pharisäer, gehörte zu den Grundlagen des Bekenntnisbegriffs. Das Symbol dieser Geschichte ist das biblische Symbol des Feigenbaums.
    Zur Logik der Verurteilung gehört Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts, und es ist nun wirklich ungeheuerlich, daß es – soweit ich sehe – zu Derridas „Gesetzeskraft“, zu seinen Reflexionen zu Benjamins Kritik der Gewalt, aus dem Bereich der Frankfurter Schule keine Erwiderung gibt.
    Das Problem, die Geschichte der RAF zu verstehen, gehört in den Umkreis der Reflexion der Logik der Verurteilung (und der Bekenntnislogik). Die RAF ist in extremer und signifikanter Weise (für sich selbst wie für die staatliche Verfolgung) zum Opfer der Logik der Verurteilung geworden. An den RAF-Prozessen wäre nachzuweisen, daß das Problem RAF auf diesem Wege nicht zu lösen ist, es sei den über die Selbstzerstörung der Gesellschaft.
    Die Reflexion der Bekenntnislogik schließt die Revision der Geschichte der Aufklärung, die mit der Dialektik der Aufklärung begonnen wurde, mit ein.
    Die Bekenntnislogik und das Dogma sind Stabilisatoren der Rechtfertigungszwänge, die durch Reflexion aufzulösen wären.
    Der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ widerlegt die Bekenntnislogik, entzieht ihr die Grundlage.
    Die Logik der Verurteilung ist ein Sinnesimplikat der Geschichte des Begriffs. Deshalb ist die Weltgeschichte das Weltgericht. Und deshalb konnte Hegel diesen Schiller’schen Satz als Schlußstein seines Systems verwenden. – Aber dagegen steeht der Satz aus dem Jakobus-Brief: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
    Aufgabe einer Theologie heute wäre es, das Dogma zurückzuübersetzen in eine Theologie der Erfahrung, in eine Logik-Kritik, die eins wäre mit dem Konzept, die Theologie hinter dem Rücken Gottes zurückzuübersetzen in eine Theologie im Angesicht Gottes. Das wäre zunächst ein sprachlogisches Problem, in dem ein reales Problem sich verbirgt: das der Apokalypse. Hierzu hat Franz Rosenzweig die ersten Stichworte geliefert: der Name ist nicht Schall und Rauch, und das Problem des Gottesnamens ist gründet in dem logischen Problem des Namens überhaupt. Das logische Problem der Verurteilung ist in der Logik des Begriffs selber präsent in der Frage der Konstituierung des Objekts, in der die Identität des Begriffs gründet. Oder anders: Das Problem des Gottesnamens, das Ton Veerkamp zu Recht ins Zentrum seiner „Autonomie und Egalität“ gerückt hat, ist das Problem der Selbstreflexion des Nominalismus, das in der Philosophie als das Problem der Rettung Kants durch seine Hegel’sche Widerlegung hindurch sich beschreiben läßt. Die Logik selber verändert sich, sie wird mit der Reflexion der Logik der Verurteilung, ihres blinden Flecks (des blinden Flecks, in den allein die Prophetie Licht zu bringen vermag), selber zum Medium der Reflexion. Ein sprachlogisches Hilfskonstrukt der Logik der Verurteilung, das zur Ursprungsgeschichte der Philosophie (und zur Konstituierung des Naturbegriffs) gehört, war der Name der Barbaren. Durch ihn ist der Objektbegriff als Repräsentant des Verurteilten, in dem der Begriff des Begriffs gründet, vermittelt.
    Die Reflexion der Verurteilung ist ohne die Reflexion des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs, in dem der Objektbegriff im Kontext seiner Konstituentien sich entfaltet, nicht mehr möglich. Deshalb ist das Kant-Studium immer noch unerläßlich.
    Die Fundamentalontologie ist der Statthalter des Fundamentalismus in der Philosophie. Merkwürdig, daß dieser Fundamentalismus, der einmal als weit folgenreicher sich erwiesen hat, weniger Widerstand hervorruft als der religiöse.
    Hat nicht der Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ etwas mit dem Traum des Nebukadnezar zu tun? Ist nicht die Klugheit der Schlangen der Traum des Nebukadnezar? Oder anders: Ist nicht die Hegel’sche Philosophie einer der Verkörperungen sowohl der Klugheit der Schlangen als auch des Traums des Nebukadnezar, und war nicht Hegel ein halbierter Daniel, dem nur die Arglosigkeit der Tauben fehlte, um als ganzer Daniel den Traum seiner Philosophie auch deuten zu können?
    Die Instrumente der Subjektivierung (der Sinnesqualitäten, der Kritik und der Schuld) wird innerhalb der Gersamtzusammenhangs der transzendentalen Logiken repräsentiert durch die Form des Raumes, durch das Geld und durch die Bekenntnislogik, die das Subjekt in die Rechtfertigungszwänge und deren projektive Verarbeitung hineintreiben.
    Die Feindbildlogik transformiert die transzendentale Logik in die Urteilsmoral, sie verwandelt die Moral in eine Herrschaftsinstrument (in die Universalität einer Moral für andere).
    Das verteidigende Denken ist nicht nur auf Gesellschaftliches bezogen: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae. Die Logik der Naturwissenschaften ist als reine Objektlogik die Logik der Verurteilung, einer Verurteilung, die heute dahin tendiert, das verteidigende Denken schon vom Grund her auszuschließen.
    Die Logik der Verurteilung ist die Logik des Vorteils, sie lebt von der Gewalt des Feindbildes.
    Der Staat reproduziert sich durch die Sanktionierung und Ausbeutung des Rachetriebs in der Institution des Rechts, während die Kirche sich über die Sanktionierung und Ausbeutung Unschuldtriebs reproduziert.
    Gab es in Israel Knäste (und waren die Schuldknechtschafts-Regelungen wie Sabbatjahr und Jubeljahr Institute zur Knastvermeidung)? Haben die Brunnen, in die Joseph und Jeremias geworfen wurden, etwas mit den Knästen zu tun?
    Die Landesgrenze ist wie jede Abstraktionsgrenze eine Verurteilungs- und Schuldgrenze.

  • 10.12.1996

    Gemeinde, Behörde, ahnden: Was bedeutet und welche sprachlogische Funktion hat das Suffix -de?
    Herrlichkeit, Persönlichkeit: Was drückt in dem doppelten Suffix -lichkeit sich aus?
    Dirk Baecker, S. 98: Wenn Unternehmen, anstatt die Dienste der Banken in Anspruch zu nehmen, „auf direkte Kreditmärkte ausweichen“, wird das Geschehen für die Banken intransparent, verlieren sie die „Aufsicht“, die sie kraft ihrer Marktfunktion innehaben. Hat diese „Aufsicht“ funktionslogisch etwas mit dem Titel und der Aufgabe des episkopos zu tun?
    Zur Rezension von Titeln zum Thema RAF (von Norbert Seitz) in der FR von heute: das „gigantische Integrationsbemühen zur Dressur von inneren Schweinehunden“ erinnert an den „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ in der Nazizeit, der die deutsche Bevölkerung durch Befreiung vom Gewissen, durch moralische Enthemmung in die nationale Gemeinschaft integrieren sollte, in eine „Schicksalsgemeinschaft“, in der jeder seine Pflicht tut und keiner mehr weiß, was er tut; dieser Kampf hat die Menschen auf die „großen nationalen Aufgaben“ vorbereitet, er hat sie für den Krieg und die Endlösung der Judenfrage verfügbar gemacht. Eines der wichtigsten Instrumente dieses Kampfes war in der Tat der Antisemitismus, die Feindbildpflege, die seit je ein Mittel der moralischen Enthemmung gewesen ist. Zählt Norbert Seitz auch die RAF-Prozesse zu den Dressurmitteln, die man um der „gigantischen Integrationsbemühen“ willen hinnehmen muß? Und läßt diese „Dressur“, zu der die Feindbildpflege gehört, noch von den wahrhaft apokalyptischen Mechanismen des Feindbild-Clinchs, der wechselseitigen Angleichung der Feinde, wie sie heute auf beiden Seiten der „Front“ immer deutlicher sich abzeichnet, sich ablösen? Ist es nicht die „Dressur von inneren Schweinehunden“, die am Ende die Schweinehunde züchtet? Schweinehunde gehören zu einer Tiergattung, die jedenfalls nicht dressurfähig ist.
    Ein ganzes Volk zieht sich in den Winkel (in die Ecke der Scham) zurück in der Hoffnung, daß das Unwetter, das es selbst verursacht hat, vorüberzieht.
    Es gibt eine Freiheit von Scham, die weder unverschämt, noch schamlos ist. Gibt es zu diesem Satz nicht auch eine astronomische Anwendung?
    Nach dem Thales’schen „Alles ist Wasser“ ist die Person eigentlich nur noch juristisch faßbar: als eine, die zur Verantwortung gezogen werden kann. Ist die Person nackt und unverschämt, und das Subjekt schamlos? Das Subjekt ist der blinde Fleck der Sensibilität, die Person ist empfindlich (im Sinne des grammatischen, nicht des biologischen Geschlechts sind Männer Subjekte, Frauen Personen; der Anschauende ist nackt und unverschämt, das der Anschauung sich darbietende Objekt ist schamlos).
    Die Persönlichkeit gründet im Ansehen einer Person (die im Licht der Gerechtigkeit niemals Grundlage des Urteils sein darf), mit der doppelten Konsequenz: daß nämlich die Persönlichkeit mit dem Anspruch auftritt, dem Recht enthoben zu sein, wie umgekehrt im Kontext eines gerechten Prozesses die Persönlichkeit gegenstandslos ist.
    Herrlichkeit ist der Inbegriff des Ansehens des Herrn. kabod, der hebräische Name der Herrlichkeit, verweist auf das Gewicht: Auch die Persönlichkeit kann ihr „Gewicht in die Waagschale werfen“. (Der Ort der Zärtlichkeit ist der Blick. Verbindlichkeiten sind öffentlich geltend zu machen.)
    Wollte man den Begriff der „niedrigen Gesinnung“, die den Mörder charakterisiert, definieren, seinen Anwendungsbereich beschreiben, käme man zu einem bemerkenswerten Ergebnis. Niedrige Beweggründe sind im einzelnen bestimmbar und es gibt nur eine begrenzte Anzahl, sie sind abzählbar: Es sind
    – politische,
    – religiöse,
    – sexuelle und
    – aus einem Eigentumsstreit ableitbare
    Beweggründe. Verweist diese Aufzählung nicht auf die Astrologie, auf die den vier „Himmelsrichtungen“ zugeordneten Planeten, und kann es sein, daß die Astrologie einmal als ein Konstrukt zur Rechtfertigung des staatsbegründenden Mords sich erweisen wird? Worauf bezieht sich dann das christlich-mythische Sohnesopfer und der freudsche Gegenmythos: der Vatermord? Sind nicht die Planeten insgesamt Verkörperungen der Gewalt (zu denen auch die paulinischen Elementarmächte und ihre Entfaltung in den mittelalterlichen Engelhierarchien zu gehören scheinen)?
    Voyeur: Aus dem sprachlogischen Sinn des Begriffs der Tatsache (vgl. Dirk Baecker, S. 109) läßt sich ableiten, weshalb Tatsachen nackt sind: Der Begriff der Tatsache verhält sich zur Welt wie das Opfer zum Verfolger, wie das Entblößte zum Unverschämten (zum Begriff der Tatsache gehört der der Beobachtung).
    Theologie im Angesicht Gottes: Das ist auch der Ausbruch aus dem Gefängnis der Mathematik (aus der Stummheit der subjektiven Formen der Anschauung).

  • 26.11.1996

    Hegels Begriff der Philosophie gründet darin, daß eine philosophische Einsicht als vergangene sich vergegenständlicht und damit ihren Erkenntnischarakter verliert, sie wird zwangsläufig zum Objekt der Reflexion und der Kritik. So aber hat die Zeit Gewalt über die Erkenntnis erlangt.
    Unterscheidet sich nicht die mathematische Erkenntnis (und damit auch die mathematische Naturerkenntnis) von der Philosophie dadurch, daß sie diesen Akt der Vergegenständlichung als ihr Apriori in sich aufgenommen und so geglaubt hat, dem kritischen Prozeß, dem die Philosophie unterworfen ist, sich entziehen zu können? Durch diesen Akt der Vergegenständlichung aber verschließt sie sich der Einsicht (sie ersetzt das Was durch das Wie), wird sie blind: Sie wird zum vergessenen Traum, der nur durch Erinnerungsarbeit noch zu rekonstruieren und zu deuten ist (der Traum des Nebukadnezar).
    Der Gegenpol der mathematischen Erkenntnis ist der Erkenntnisbegriff, der der Kabbala zugrundeliegt, die darauf abzielt, die vergangenen Gestalten der Erkenntnis (die Tradition) zu retten. In diesem Sinne hat Walter Benjamin einmal über Franz Rosenzweig gesagt, er habe „es vermocht, die Tradition auf dem eigenen Rücken zu befördern anstatt sie seßhaft zu verwalten“.
    Kant hat die Wurzeln der vergegenständlichenden Kraft der Mathematik in den subjektiven Formen der Anschauung erstmals rein herauspräpariert und damit reflexionsfähig gemacht. Es gibt keine Abstraktion ohne Vergessen; diese Konstellation ist in die für die subjektiven Formen der Anschauung konstitutive Orthogonalität mit eingebaut. Dieses Prinzip der Orthogonalität ist der Grund der Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden; sein theologischer Reflex ist die Orthodoxie (und die Orthodoxie eine Vorstufe des Inertialsystems, in dem die Orthogonalität zur Totalität sich entfaltet).
    Zu Derrida, Gesetzeskraft: Das Wunder ist eine Manifestation der göttlichen Gewalt (vgl. hierzu René Girard, Das Heilige und die Gewalt, S. 185). Dem korrespondiert der Rosenzweig’sche Begriff des Wunders: die Erfüllung des prophetischen Worts.
    Der Zwang, die Juden, bevor sie ermordet wurden, zu demütigen und zu quälen, auf den Goldhagen verweist, hängt auch damit zusammen, daß die Täter auch die Demütigung, die sich selbst antun mußten, noch zu externalisieren gezwungen waren, durch Verschiebung auf die Opfer loszuwerden suchten. Genau das hat die Täter süchtig gemacht.
    Hat das erste Wunder Jesu in Kana, die Verwandlung von Wasser in Wein, etwas mit der ersten der ägyptischen Plagen zu tun: mit der Verwandlung von Wasser in Blut; und der Kreuzestod etwas mit dem Tod der Erstgeburt?
    (Beitrag von Claus Leggewie auf der Wissenschaftsseite der FR von heute:) Ist nicht der Topos, daß das Verlangen nach und die Zustimmung zur Einführung des Königtums in Israel der Beginn des gleichen Politikverständnisses sei, das heute im Staat Israel sich vollendet, ein Konstrukt des gleichen Fundamentalismus, dessen christliche Variante der Antisemitismus ist, der sich auch zu gerne auf die Geschichte der Landnahme im Buch Josue beruft? Es liegt in der Konsequenz dieser Konstruktion, wenn dann genau die Autoren (wie Benjamin und Bloch), die die Katastrophe schon in ihren Anfängen wahrgenommen haben, zu ihren Verursachern gerechnet werden (ähnlich schon Derrida, in dem Buch Gesetzeskraft). Wie es aussieht, gibt es niemanden mehr, der Kant gelesen hat; und wenn er ihn gelesen hat, hat er den Unterschied zwischen dem bestimmenden und dem reflektierenden Urteil nicht begriffen.
    Ist die Verurteilung des Nationalsozialismus der Exorzismus des Staates, mit dem er die Reflexion auszutreiben versucht, die im Nationalsozialismus das „wahre Gesicht des Staates“ erkennt?
    Haben nicht die Lichterketten anläßlich der fremdenfeindlichen Ausschreitungen etwas mit dem Pfeifen im Walde und mit dem Spruch, der in der Nazizeit in fast jeder Wohnung zu finden war, zu tun: „Immer wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her …“?
    Die Verwaltung, in der alle nur noch ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut, ist das genaueste Exempel der Innensicht in dem frei fallenden Fahrstuhl.
    Die Staatsschutzsenate unterscheiden sich vom Volksgerichtshof, in dem Ankläger und Richter eins waren, eigentlich nur dadurch, daß sie formell an der Unterscheidung von Anklage und Gericht festhalten; aber zugleich erwecken sie den Eindruck, das Gericht sei nur ein Hilfsorgan der Anklage, Herr des Verfahrens sei die BAW. Auch das ein Effekt der Rationalisierung, der Domestizierung des Faschismus: seine Instrumentalisierung, nicht seine Aufhebung.

  • 20.11.1996

    Wie hängen das Angesicht, der Name und das Feuer zusammen mit der Subjektivierungsgeschichte der Sinnlichkeit, der Kritik und der Schuld?
    Die Unfähigkeit zur Selbstreflexion hängt zusammen mit der Unfähigkeit zur Kritik der Verwaltung: des Instrumentariums der Herrschaft (Problem des real existierenden Sozialismus, auch des 68er Marxismus).
    Daß Hegels Philosophie nur bis zum Bewußtsein der Freiheit reicht, ist in der systemlogischen Funktion und Bedeutung des Weltbegriffs begründet. Diese wären zu reflektieren, und in ihnen die Logik der Schuld (die Wurzeln des gesellschaftlichen Schuldzusammenhangs).
    Die Verwaltung ist das Instrument der Herstellung der Welt.
    Was die Nazis einmal das „gesunde Volksempfinden“ nannten, war nichts anderes als der faschistisch entfesselte Rachetrieb; und der hat den Faschismus überlebt.
    Als Habermas den „Verfassungspatriotismus“ erfand, hat er sich selbst von der Reflexion der Natur ausgesperrt. Seitdem kreist er auf den Planetenbahnen seiner Kommunikationstheorie.
    Kant hat noch zwischen dem Endzweck der Natur (den es nicht gibt) und dem Endzweck der Schöpfung (der im Menschen als einem moralischen Wesen sich verkörpert) unterschieden (Kritik der Urteilskraft, § 86). Mit dem Naturbegriff ist die universale Geltung des Kausalitätsprinzips – und damit der Ausschluß jeder Teleologie – mit gesetzt; nur der Begriff der Freiheit fährt aus dem Bann der Natur heraus: dieser Freiheitsbegriff ist der Grundbegriff des Handelns und der Moral.
    Vgl. hierzu Kants Begründung der Subjektivität der Formen der Anschauung und die Konsequenzen dieser Reflexion. Erinnert diese Begründung nicht an die (dreifache) Orthogonalität und damit an die die transzendentale Logik und den Begriff der Erscheinungen begründende dreifache Abstraktion: die Abstraktion von der Sinnlichkeit, von der objektiven Kraft der Kritik (auf deren Rekonstruktion die kantische Philosophie abzielt) und von der Objektivität der Schuld? Diese drei Abstraktionsschritte stützen sich wechselseitig, sie vollenden sich in den subjektiven Formen der Anschauung. Gehört der römische Triumph, der Dreischritt, von dem er den Namen hat (vgl. die Bemerkungen Florens Christian Rangs hierzu in seinem „Shakespeare als Christ“), zur Ursprungsgeschichte der subjektiven Formen der Anschauung, waren die in ihm mitgeführten Gefangenen und die Beute das Modell der dann neutralisierten „trägen Masse“, war das caesarische, imperiale Rom die Geburtstätte des Inertialsystems?
    War nicht das kirchliche Verständnis des Bindens und Lösens, der Sündenvergebung, insbesondere das Institut der Ohrenbeichte, ein wesentlicher und notwendiger Schritt auf dem Wege zur Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung?
    Als Levinas auf den imperativen Gehalt der Attribute Gottes hingewiesen hat, hat er dem fundamentalistischen Schriftverständnis, das diesen imperativen Gehalt in die unreflektierte Gestalt der Schrift verlegt, endgültig den Boden entzogen. Das fundamentalistische Schriftverständnis ist die Flucht vor dem Imperativ, der in den Attributen Gottes sich manifestiert. Deshalb bezieht sich die „Erfüllung der Schrift“ in erster Linie auf die Passion.
    Steckt nicht eine gewaltige Symbolkraft darin, daß Hegel an der newtonschen Gravitationstheorie und Goethe an der newtonschen Farbenlehre sich abgearbeitet haben? Ich meine, es ist eine arge Vereinfachung, wenn man den Abschluß dieser Geschichte darin zu erkennen glaubt, daß Newton gesiegt hat, während Hegel und Goethe gescheitert seien.
    Zur Kritik der Subsumtionslogik: Der Antisemitismus ist kein Anwendungsfall einer allgemeinen Vorurteilstheorie, sondern er ist die Wurzel des Vorurteils.
    Die Venus-Katastrophe ist die Katastrophe, die eingetreten ist, als die Barmherzigkeit durch die Liebe und eine Sexualmoral, die als Urteilsmoral sich etabliert hat, ersetzt worden sind. Diese Katastrophe ist ein Ereignis der Herrschaftsgeschichte, sie ist eins mit dem Ursprung der Begriffe Natur und Welt. Der Preis für die Transformation der Sexualmoral in eine Urteilsmoral war die Heuchelei (vgl. hierzu die Beziehung der Gemeinheitslogik zu dem Begriff der Schwere der Schuld).

  • 17.11.1996

    Steckt nicht in jeder Verdrängung ein Stück Euphorie, Todeslust? Haben die Christen die Idee des seligen Lebens (und die dazugehörige Unsterblichkeitsvorstellung) vielleicht mit dieser Euphorie verwechselt?
    Die Hölle, deren Wahrnehmung und Reflexion in uns selbst wir uns verweigern, fügen wir dann zwangshaft anderen zu. Auch die Hölle steht unter dem Gesetz der Asymmetrie.
    Aus welchem Kontext stammt eigentlich der Begriff der Rasse? Sein Gebrauch verweist eher auf den Bereich des Ackerbaus, der Haustierhaltung, der Züchtung, als den der normalen Biologie, auf die die Begriffe Gattung und Art sich beziehen; m.a.W. er transportiert die Logik der Naturbeherrschung in die Biologie. Sein Ursprung liegt im Bereich der Domestikation; es darf vermutet werden, daß seine Anwendung auf „wilde Tiere“ erst nach deren Aufnahme und Zur-Schau-Stellung in Zoologischen Gärten erfolgte. Der Rassebegriff ist aus dem Kontext der Vererbungslehren nicht herauszulösen; der Begriff der Vererbung ist selbst ein Rassebegriff. Dem entspricht es, daß der Rassenbegriff schon vom Grunde her ein wertendes Element in sich enthält; die eigentliche Rasse ist die „edle Rasse“.
    Die Genforschung ist ein letzter Ausläufer einer Entwicklung, die am Rassebegriff sich orientierte: Bezeichnend der Begriff des „genetischen Materials“ (des biologischen Äquivalents der Mikrophysik), der das Lebendige insgesamt dem gesellschaftlichen Zugriff erschließt.
    Läßt nicht der Charakter der Hegelschen Philosophie an der Stellung des Begriffs der Art in dieser Philosphie, zentral in der Hegelschen Logik, sich demonstrieren? Hegel hat bereits den Begriff der Rasse rezipiert (und auf Menschenrassen bezogen).
    Omne animal post coitum triste: In welcher logischen Beziehung stehen die Begriffe Rasse und Masse? Ist nicht die Rasse das biologische Äquivalent zum physikalischen Massebegriff, wobei der Begriff der Vererbung dem der Gravitation entsprechen dürfte? Hat nicht die Schwangerschaft etwas mit der Schwere (deren sprachliches Umfeld in das der Schwangerschaft hereinreicht)? Und ist nicht die Gebärmutter der Ort der Transsubstantiation von Schwere in Leben (und der Akt der Begattung der biologische Reflex des freien Falls, der zugleich als Bild des Todes sich enthüllt: hat nicht jede Lust etwas von der Euphorie)?
    Der Begriff der Rasse korrespondiert dem des Organischen. Aber ist nicht das Organische Ausdruck des Schuldzusammenhangs: Reflex des Widerstandes, an dem alles Lebendige (von der Botanik bis in die Ökonomie) sich abarbeitet? Der Rassebegriff ist ein Schicksalsbegriff (das moderne Gegenstück der antiken Astrologie).
    Der Begriff der Rasse (der bezeichnenderweise aus dem Bereich der Sprachforschung stammt) entspringt dem Versuch, den Mangel der Natur, die Hegel zufolge den Begriff nicht halten kann (Hegels Beweis: daß es mehr als zwei Arten gibt), zu beheben, den Begriff selber zu naturalisieren: Der Begriff der Rasse indiziert einen herrschaftsgeschichtlichen Sachverhalt, dessen reale politische Entsprechung der Faschismus (und in seinem Kern der Antisemitismus) war. Sind die Hegelschen zwei Arten (die Verkörperungen des Allgemeinen und des Besonderen) eine Vorstufe der faschistischen Polarisierung der Rassen, derzufolge zu der zur Herrschaft berufenen Rasse der Arier die absolute Gegenrasse der Juden gehört?
    War es nicht ein sehr tiefer Gedanke, wenn im Kontext der Astrologie die menschlichen Organe den Planeten zugeordnet worden sind?
    Die ezechielische Individualisierung der Schuld wird mißverstanden, wenn sie der Strafrechtslogik subsumiert wird. Sie zielt nicht darauf ab, den Sohn von den Sünden der Väter zu entlasten, sondern ihn anzuleiten („dixi et salvavi animam meam“), die Sünden der Väter (die in Babylon zur Sünde der Welt geworden sind) als seine eigenen zu erkennen. Diese Individualisierung der Schuld ist der Grund, aus dem Joh 129 sich herleitet. Hier ist der Punkt, an dem die Menschen erwachsen werden.
    Der Abgrund, auf den der Zug zurast, ist einer, den wir selbst hervorbringen, wenn wir glauben, wir könnten ihm entgehen, wenn wir andere hineinstoßen. Das logische Modell, das diesem Bild zugrunde liegt, war eine Unsterblichkeitslehre, die am Zustand der Welt desinteressiert war und deshalb eigentlich nur zur Hölle paßte. Eine dieser Unsterblichkeitslehre angemessene Himmelsvorstellung hat es eigentlich nie gegeben.
    Das pathologisch gute Gewissen ist ein Euphorie-Effekt. Der freudsche Todestrieb und die Weiterentwicklung dieses Konstrukts durch Erich Fromm (in seiner „Anatomie der menschlichen Destruktivität“) läßt sich nicht aufs Psychologische eingrenzen; er wird erst durchsichtig, wenn in seine Konstruktion seine Beziehung zum Zustand der Welt mit hereingenommen wird.
    Die 68er Bewegung hat ihre Wurzeln in der kollektiven Verdrängung nach dem Krieg, an der sie partizipierte und die sie verstärkt hat. An der 68er Bewegung wird zugleich sichtbar, daß es kein deutsches Spezifikum mehr ist (auch wenn es hier in besonderer Schärfe hervorgetreten ist), sondern ein gesamtgesellschaftliches. Dieser Zusammenhang wäre zu demonstrieren an der Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der Naturwissenschaften (an ihrer Beziehung zu ihren ökonomischen Wurzeln).
    Die Beziehung der Naturwissenschaften zur Ökonomie ist das Modell und die Wurzel des Konstrukts der Reversibilität, das in den Naturwissenschaften, in der transzendentalen Logik, die sie beherrscht, sich entfaltet. Diese Reversibilität hat ihre Grenze an der Schwere (Begriff und Objekt; Empörung, Hochmut und Niedertracht; Gemeinheitslogik und die besondere Schwere der Schuld).
    Wie hängt die Gemeinheitslogik („besondere Schwere der Schuld“) mit dem Ursprung des Rassebegriffs zusammen?
    Nach Kluge (Etymologisches Wörterbuch, 22. Aufl., S. 583) wurde das Wort Rasse im 18. Jhdt. aus dem Französischen (race) übernommen (race gehört zusammen mit it. razza, span. raza, port. razo; Herkunft umstritten: lat. ratio – Vernunft, arab. ra’s – Kopf, auch lat. radix – Wurzel, Zusammenhang mit radikal).
    Das „mathematische Symbol“ des Menschen bei Franz Rosenzweig, das B = B, ist der Beweis dafür, daß es zur Reflexion keine Alternative gibt.
    Ist nicht in der christlichen Tradition der Kontext der Herrlichkeits-Theologie (kabod; Ezechiel und die Merkaba-Mystik) durch Ästhetisierung von der Reflexion des Weltzustandes getrennt, damit aber herrschaftslogisch instrumentalisiert und neutralisiert (und d.h. narkotisiert und euphorisiert) worden?
    Die Idee der Barmherzigkeit sprengt die Fesseln der Herrschaftslogik, sie eröffnet das Reich der Freiheit in den Kirchen. Dem entspricht das Wort „Barmherzigkeit, nicht Opfer“, dessen christliche Variante der Jakobus-Satz enthält „die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“. Sie bezeichnet den Beginn der Gotteserkenntnis. Sie löst das Problem der Theodizee durch Erkenntnis ihrer Gegenstandslosigkeit. Sie ist das Pendant des Kafkaschen Satzes „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“.
    Wie die christliche Buße die Umkehr von der Erinnerung getrennt (und mit dieser Trennung die Umkehr ins Sadistische transformiert) hat, so hat der Gehorsam sich von dem Hören getrennt, auf das das sch’ma Jisrael verweist.
    Die Transformation der Umkehr in den Sadismus wäre am Beispiel des Antisemitismus (an dem Problem, auf das Daniel Jonah Goldhagen hingewiesen hat: weshalb der Judenmord mit den zusätzlichen Demütigungen, Gemeinheiten und Grausamkeiten einherging) zu demonstrieren.
    Mein ist die Rache, spricht der Herr: das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß wir auf die Erfüllung des Rachetriebs verzichten sollen; wie Seine Rache dann aussieht, ist ein anderes Problem. Rachegott: da gibt’s nur einen, das Absolute, das in dem Staat sich verkörpert, dessen konsequenteste Gestalt der Faschismus ist.
    Zum evangelischen Rat der Armut, „Mein ist dein, dein ist dein“: Der Anspruch, etwas für mich als Eigentum zu reklamieren, ist blasphemisch, und er bleibt es, auch wenn er inzwischen in die Fundemente der Gesellschaft mit eingebaut worden ist. Dieses blasphemische Moment in der gegenwärtigen Konstruktion des Lebens hängt mit dem Problem der Euphorie zusammen (mit den Wurzeln der Ästhetik und mit der Verhärtung der Herzen).

  • 16.11.1996

    „Es war, als sei man einfach dadurch, daß man am Leben war, in ein fremdes Grundstück eingebrochen, und der das Wort an dich richtet, läßt dich wissen, daß dein Dasein unerwünscht ist“ (Ruth Klüger, weiter leben, S. 113): Deutlicher kann man den Zusammenhang des Antisemitismus (der Feindbildlogik) mit dem Eigentumsprinzip, das den Staat begründet, nicht zusammenfassen.
    Zur Bemerkung über Adornos Satz, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, der hier wieder einmal nur in der Gestalt zitiert wird, in der ihn das öffentliche Gerücht kolportiert (Klüger, S. 127), wäre einfach auf die Fundstelle in den Prismen (1955. S. 31), die keiner zu kennen scheint, zu verweisen.
    Heute in der FR ein Hinweis auf Rene Girard („Religion und Gewalt“): In den Erklärungsansatz wäre das Problem des Objektivierungsprozesses, der Zusammenhang von Ökonomie und Naturwissenschaften und ihres gemeinsamen Apriori, in denen die Sündenbockmechanik und die mythische Opferlogik (Feindbildlogik, Sündenbockmechanismus und Bekenntnislogik) sich reflektieren, mit aufzunehmen.
    Der Grund der Unterscheidung von Welt und Natur liegt in der Unterscheidung der subjektiven Formen der äußeren und der inneren Anschauung (in der Unterscheidung von Raum und Zeit). Der Begriff der Natur (der auf das „dynamische Ganze der Erscheinungen sich bezieht) steht unter dem Gesetz der inneren, der der Welt (der auf das „mathematische Ganze der Erscheinungen“ sich bezieht) unter dem der äußeren Anschauung. Der Naturbegriff gründet in der Vergegenständlichung der Zeit, der Weltbegriff in der des Raumes.
    Natur und Ökonomie sind beides Produkte des Seitenblicks auf die Zeit: die Ökonomie unter dem Aspekt der Produktion (des ante rem: der Vergegenständlichung der Zeit), die Natur unter dem des Konsums (des post rem: der bereits vergegenständlichten Zeit): Nach der biblischen Geschichte vom Sündenfall produziert Adam den Staub, den die Schlange frißt. Das Subjekt der Ökonomie setzt sich gleichsam an den imaginären (unendlichen) Anfang der Zeit, das der Natur an ihr imaginäres (unendliches) Ende: so sind die säkularisierten Formen der Schöpfung und des Gerichts auf einander verwiesen. Hiermit hängt es zusammen, wenn der Weltbegriff die Schöpfung leugnet und der Naturbegriff die Auferstehung.
    Die RAF-Prozesse sind Teil einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, in deren Folge Auschwitz uns immer näher auf den Leib rückt. Es gibt eine Form der Aufarbeitung der Vergangenheit, die ohne es zu wissen in Wiederholungszwänge umschlägt. Der Transmissionsriemen dieses Umschlags ist die Urteilsmagie, die Vorstellung, man könne den Schrecken durchs Urteil bannen.
    Auf einem Sportplatz spielen zwei Mannschaften von 10-Jährigen Fußball; am Rande die Trainer der beiden Mannschaften, die ihre Kommandos ins Feld brüllen, die die Kinder dann begeistert befolgen: So werden Pawlowsche Reflexe eingeübt, die nicht nur die Grundlage sportlicher Erfolge sind, sondern zugleich die Erfolgsreligion (die winner-Mentalität und die Logik, die ihr zugrundeliegt: die Feindbildlogik) eintrainieren. So wird der Sport zu einem Nebenzweig einer von der BWL dominierten Ökonomie, zu einer die Herrschaft des Selbsterhaltungsprinzips stabilisierenden Ideologie. Vor dieser Folie ist der Graf-Prozeß ein nationales Ereignis.
    Ließe sich nicht anhand der Steuerprozesse zunächst gegen Graf Lambsdorf und jetzt gegen Graf der „Fortschritt“ der politischen Ökonomie aufs genaueste bestimmen? Im Zuge der Privatisierung staatlicher Aufgaben und der gleichzeitigen Transformation von Politik in Verwaltung lassen private und öffentliche Interessen sich schon fast nicht mehr unterscheiden.
    Boris Becker und Steffi Graf: So wurden die Funktionen, die früher einmal Filmstars hatten, vom Film in den Sport, vom Himmel auf die Erde, transformiert. Rührt das nicht an den Kern der Logik, aus der der Antisemitismus sich herleitet?
    Haben nicht das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande schon etwas mit der Unterscheidung von Himmel und Erde zu tun, und ist nicht der falsche Prophet und der Antichrist die Verkörperung einer Phase des Säkularisationsprozesses, die das Feuer des Himmels zum Objekt von Naturbeherrschung zu machen strebt (Off 1313: „Und es tut große Zeichen, sodaß es sogar Feuer vom Himmel fallen läßt, vor den Menschen“)?
    Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet: Wenn am Ende die Menschen (die „Väter“) der Verblendung verfallen, selber Schöpfer der Dinge geworden zu sein, werden die Dinge sie verbrennen.
    Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos die früheste Gestalt der Hegelschen Geschichtsphilosophie (mit dem Untergang der Streitmacht Pharaos im Schilfmeer als Weltgericht)?
    Die Gestalt der Selbstreflexion, die heute notwendig wäre, läßt sich nur mit dem Wort in Joh 129 noch bestimmen: Das Sehet, mit dem dieses Wort beginnt, richtet sich nicht an den Zuschauer, sondern an den Nachfolger, es steht nicht im Indikativ, sondern im Imperativ.
    Die Urteilsmoral ist die Moral des Zuschauers (und des Richters). In dieser Konstellation gründet der Zwang zum Geschwätz. Die Feindbildlogik ist ein Teil der Logik des Geschwätzes.
    Beziehen sich das Angesicht, der Name und das Feuer auf eine Trinitätslehre von innen, und was hat diese Trinitätslehre mit einem Schöpfungsbegriff zu tun, in dem neben Himmel und Erde auch das Meer vorkommen?
    Auschwitz hat die Erinnerung des Himmels verbrannt, die Asche gegen den Himmel gestreut. Aber dieses Feuer ist nicht erloschen: in diesem Feuer sind wir.
    Die Logik, die die Oben-Unten-Beziehung reversibel gemacht hat, hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht: Sie hat die Herrschaftslogik ausweglos gemacht und die Feuer der Hölle in der Sprache entzündet.
    Hängt nicht das Wort, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden, mit dem anderen zusammen: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?
    Der ungeheure Gedanke, daß der Himmel die sinnliche Grenze zur Vergangenheit ist (eine Grenze, die nur die Gebete der Heiligen zu durchdringen vermögen). Die Erinnerung an diese Grenze wurde durch Kopernikus verdrängt. Seitdem erreicht das Gebet den Himmel nicht mehr, bleibt es ins monadologische Subjekt, in die Bedürfnisse der Einsamen (wie der Gegenstand der Planckschen Strahlungsformel in den dunklen Hohlraum, aus dem keine Strahlung mehr nach draußen entweicht), eingesperrt.
    Die ergreifende Symbolik des Satzes: „Wenn mei dä Augen togeiht, wär’n se enk opgaohn“, auch das Bild der alten Frau im Krankenhaus, die 1945 immer nur den einen Vers sang „Wildgänse rauschen durch die Nacht … die Welt ist voller Morden“.
    Wenn es einen Fortschritt in der Geschichte gibt, dann müßte er in der Linie Assur, Babylon, Persien, Griechenland und Rom liegen: Militärmacht, Tempelwirtschaft, Rechtsstaat, Zivilisation zur öffentlichkeitsfundierten respublica und zum Caesarismus.
    Das Sklavenhaus Ägypten, der Eisenschmelzofen, ist zu dieser Geschichte exterritorial.
    War es nicht der „politische Auftrag“ der Geschichtswissenschaft seit der Erfindung der Sumerer, diese klaren und durchsichtigen Strukturen zu verwirren? Und gleicht dieser Auftrag nicht dem, den die Kopenhagener Schule in der Physik dann übernommen hat?
    Newton hat das to be ins naturwissenschaftliche Grundgesetz übertragen: ins Gravitationsgesetz (das Präfix be-: Kristallisationskern der Verräumlichung und Verdinglichung).

  • 14.11.1996

    Die Beziehung des Inertialsystems zum Dogma liegt nicht in seiner Form – das Äquivalent dieser Form ist die Bekenntnislogik -, zur Stabilisierung der subjektiven Formen der Anschauung (und der Bekenntnislogik) bedarf es eines inhaltlichen Dogmas, und dessen Rolle hat das kopernikanische, das heliozentrische System übernommen. An dessen Stabilität, die mit der Opferung des Himmels (oder, was dem gleichbedeutend ist: mit der Verinnerlichung des Opfers) erkauft ist, hängt die der gesamten Naturwissenschaft.
    Roland Barthes‘ Rekonstruktion des Mythos („Mythen des Alltags“), in dem er der Logik der Beziehung von Herrschaft, Natur und Mythos auf die Spur kommt. Zu rekonstruieren wäre ergänzend dazu der ökonomische Grund dieser Logik.
    Gilt nicht der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“, für den Mythos insgesamt (durch Reflexion den Bann des Urteils, der in den Sternen sich verkörpert, brechen). Ist nicht der Mythos Ausdruck der urteilsproduzierenden Gewalt?
    Israel ist sein erwähltes Volk, nicht sein auserwähltes: In diesem „aus-“ drückt die neiderfüllte Selbstausgrenzung der „Völker“ sich aus, die den Antisemitismus erzeugt.
    Im Objektbegriff steckt ein politisches Moment: ein Stück feindliches Ausland. Sind nicht die Form des Raumes und die Logik des Geldes Denkmäler der Eroberungs- und Unterwerfungsgeschichte, in der der Staat sich konstituiert und entfaltet hat?
    Ist der Himmel die sinnliche Entsprechung der Grenze zum Ausland schlechthin, und deshalb das providentielle Korrelat der Herrschaftslogik? Durch die kopernikanische Wende ist die ganze Welt zum herrenlosen Gut für eroberungssüchtige Staaten geworden.
    Versicherungsprobleme, Bemerkung zum Vertrauensproblem in der Ökonomie (vgl. die Dokumentation in der FR von heute): Werden nicht durch die gleiche Logik, die die Realität heute versteinern macht und dem ökonomischen Begriff des Vertrauens seine raison d’etre entzieht (was in der ökonomischen Theorie in der Ersetzung der Nationalökonomie durch die BWL sich widerspiegelt), die „Risiken“ von der Unternehmensseite nach unten verlagert und zum Bodensatz der verschwindenden Kraft der Reflexion; ist das Ganze nicht ein Teil der Sozialgeschichte des Urteils?
    Brennender Dornbusch: Ist der Name des Himmels, der nach kabbalistischer Tradition die Namen des Wassers und des Feuers in sich enthält, die erste Manifestation der Urteilsform, und zugleich die einzige, die deren Formgesetz von innen enthüllt? Sind Wasser und Feuer die Angesichte, die Subjekt und Prädikat, das Wer und das Was, Objekt und Begriff, einander zukehren: Ist das Wasser das Antlitz des Begriffs, das Feuer das des Objekts? Gründet das Relativitätsprinzip im Namen des Wassers, und verweisen das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und das der Identität von schwerer und träger Masse aufs Feuer?
    Der erste Satz der Philosophie ist von Thales überliefert: Alles ist Wasser.
    Worauf bezieht sich der „Bogen in den Wolken“ nach der Sintflut (und das daran geknüpfte Versprechen)? Und in welcher Beziehung stehen die Wolken des Himmels und der Menschensohn), die Sterne des Himmels (das Himmelsheer und der Dominus Deus Sabaoth) und die Vögel des Himmels?
    Der Himmel ist Sein Thron: In welcher Beziehung steht der Himmel (die Urteilslogik) zum Eigentum (zum Staat als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern)? Und was hat das Privateigentum (und die in ihm gründende „Privatsphäre“) mit dem Grenzbegriff der Identität von träger und schwerer Masse zu tun?
    Ist der hebräische wie auch der deutsche Name des Wassers nicht der Plural von Was? Auf welche sprachlichen Wurzeln verweisen die Namen ouranos, caelum, sky und heaven? Und was hat der Himmel mit dem Hammer zu tun (vgl. Kluge: Etymologisches Wörterbuch)?
    Das vierte Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren, …“) ist das alttestamentliche Korrelat des neutestamentlichen Gebots der Feindesliebe.
    Wer heute gegen Mauern anrennt, härtet die Mauern und rennt sich selbst den Kopf ein: Zu den Mitteln, die die Mauern härten, gehört auch die Feindbildlogik (die im übrigen ein Kollektivum ist, der logische Kern des Weltbegriffs, zu dem, wenn man ihn als Kopf begreift, als Mauer die Natur gehört).

  • 11.11.1996

    Das Inertialsystem (das mit den „subjektiven Formen der Anschauung“, mit der transzendentalen Ästhetik, in den Erkenntnisapparat eindringt) ist das verdinglichte Dogma. In seinem Kontext
    – verändert sich das Urteil und mit ihm die Sprache,
    – wird das Urteilssubjekt zum Objekt,
    – wird das Nomen, das das Subjekt bezeichnet, zum Substantiv,
    – das Opfer, auf das die Opfertheologie sich bezieht, wird verinnerlicht: geopfert wird die Sinnlichkeit, die Vernunft, die Fähigkeit zur Schuldreflexion,
    – die Sprache wird zur bloß subjektiven Reflexion entmächtigt, die an der versteinerten Objektivität abprallt; sie verliert ihre erkennende Kraft, die im Namen gründet, und wird selber zu einem Instrument der Information und der Mitteilung verdinglicht, als welches sie dann der Kommunikationstheorie ihr Objekt liefert.
    Als Endstufe einer verdinglichten und automatisierten Bekenntnislogik, an deren exkulpierender Kraft es partizipiert (als Zerfallsprodukt des Dogmas), begründet das Inertialsystem mit der Verinnerlichung des Opfers, mit der Unfähigkeit, das Undenkbare zu denken, das Schuldverschubsystem und in dessen Kern die Feindbildlogik, die das Bewußtsein aller verhext.
    Das erste, das Christentum begründende Opfer war das Opfer des Lammes, ich hoffe nicht, daß das zweite, die Geschichte des Christentums beendende Opfer das Opfer der Taube sein wird, ein Opfer, das vorgebildet ist in der Verinnerlichung des Opfers, die das Inertialsystem verkörpert.
    Der entscheidende Schritt zur Konstituierung des Objekt ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, das Schellingsche „Ahnden“. (Ist diesem Ahnden am Anfang der Weltalter nicht ein Sinn abzugewinnen, wenn man es auf den Satz bezieht „Mein ist die Rache, spricht der Herr“?)
    Kant hat mit seiner Kritik der Urteilskraft die Fähigkeit, Links und Rechts zu unterscheiden, noch einmal zu retten versucht. Diese Fähigkeit ist dann in den Systemen des deutschen Idealismus endgültig untergegangen.
    Das Undenkbare denken: Bei Franz Rosenzweig drückt sich das in der Intention, das Zerdachte zu rekonstruieren, aus, in den Sätzen: „Von Gott (dem Menschen, der Welt) wissen wir nichts, aber dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von Gott (dem Menschen, der Welt)“, in der Rekonstruktion der drei Objekte jenseits des Wissens (oder auch: jenseits der Todesfurcht?).
    Was haben die vier Winde mit dem Geist Gottes zu tun?
    Der 68er Marxismus hat, wie es scheint, einen Problembereich der marxistischen Tradition vollständig verdrängt, den Bereich, der durch den kritischen Ideologiebegriff, durch den Begriff des falschen Bewußtseins und das Problem der Beziehung von Unterbau und Überbau sich umschreiben läßt. Genau diese Themen aber sind es, die den Bereich der Reflexion in der Marxschen Theorie bezeichnen. Sie sind gleichsam gegenstandslos geworden, als das Element der Kritik, der kritischen Reflexion, unter die Feindbildlogik subsumiert wurde. Zugleich ist die Theorie der Gefahr der Personalisierung erlegen. Die Vermutung läßt sich begründen, daß diese Verdrängung zusammenhängt mit der anderen, die seitdem die Beziehung zur Vergangenheit insgesamt verhext, nämlich daß man geglaubt hat, den Nationalsozialismus durch bloße Verurteilung bannen zu können, ohne auf das Grauen und den Schrecken, für die der Name steht, sich noch einlassen zu müssen. Mit der Bereitschaft und der Fähigkeit, das Grauen und den Schrecken an sich heranzulassen, aber ist die Reflexionsfähigkeit verdrängt worden. Der Marxismus ist zu einer Art Naturwissenschaft verkommen, Produkt des gleichen reflexionslosen „Seitenblicks“, zu dem es seit der kopernikanischen Wende kein Alternative mehr zu geben scheint.
    Ist nicht der 68er Marxismus selber Ausdruck von politisch-ökonomischen Veränderungen, die er nicht mehr begreift: der versteinerten Verhältnisse, deren Zubetonierung er selber mit provoziert hat?
    Um auf das Bild des in den Abgrund rasenden Zugs zurückzukommen: Dieses Bild ließe sich kritisieren als ein Bild des „Seitenblicks“. Und diese Kritik wäre berechtigt. Aber es gibt kein anderes, so wie es einen anderen, die Totalität ins Auge fassenden Blick außer dem „Seitenblick“ (der dem kopernikanischen Blick auf den Kosmos entspricht) nicht gibt. Den gleichen Sachverhalt hat Adorno einmal mit dem Hinweis zu fassen versucht, daß die Welt immer mehr der Paranoia sich angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet. Aufgabe der Kritik wäre es, dieses Bild durch Reflexion auf seinen Wirklichkeitsgehalt, der mit dem Bild, in dem er sich ausdrückt, nicht identisch ist, aufzulösen.
    Haben die drei obersten Sefirot etwas mit den drei kantischen Totalitätsbegriffen, mit dem Wissen, der Natur und der Welt, zu tun?
    Urteile in RAF-Prozessen brauchen nicht mehr wahr zu sein, sie müssen nur unwiderlegbar sein. Darin gleichen sie dem antisemitischen Vorurteil, das sie zugleich durch einen strategischen Vorteil übertreffen. Das antisemitische Vorurteil war moralisch angreifbar, während diese Urteile die Logik der moralischen Indifferenz des Rechts in sich enthalten (sie neutralisieren die moralische Angreifbarkeit durch ihre rechtliche Unangreifbarkeit), so glauben sie, auch der moralischen Kritik entzogen zu sein, gegen sie als immun sich zu erweisen. Aber wäre nicht an ihnen der Satz aus dem Jakobus-Brief zu erproben: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht, das Grundprinzip einer wirklich eingreifenden Rechtskritik?
    Der zentrale Punkt ihrer Schwäche ist die Unwiderlegbarkeit der RAF-Urteile: Unwiderlegbar sind sie allein in einem logischen Medium, dessen Funktion und Qualität der der Laborbedingungen im Hinblick auf den naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriff entspricht. Die juristischen „Laborbedingungen“ müssen zuvor hergestellt werden, zu ihnen gehören:
    – das in Gesetzesform bereits vorliegende Instrumentarium der Einschränkung und Behinderung der Verteidigung (Zusammenfassung sh. Bakker-Schut),
    – die Bedingungen, denen die Angeklagten während der Untersuchungshaft (die dann in der Strafhaft zwangsläufig beibehalten werden müssen) unterworfen werden, und die sie aller subjektiven Bedingungen ihrer eigenen Verteidigung berauben (sie imgrunde rechtlos wie den Feind machen) sollen,
    – das Instrumentarium der „instrumentalisierten Anklage“, mit dessen Hilfe Einfluß auf potentielle Zeugen genommen werden kann (sie können unter Druck gesetzt werden, u.a. durch Erpressung der Zustimmung zur Anwendung der Kronzeugenregelung, in anderen Fällen können auf diesem Wege die Voraussetzungen für ein Zeugnisverweigerungsrecht geschaffen werden).
    Nicht zufällig erwecken RAF-Prozesse den Eindruck, daß nicht der erkennende Senat, sondern die Anklage der wirkliche Herr des Verfahrens ist, der durch das vorgenannte Instrumentarium seine Steuerungsfähigkeit auf den Prozeßverlauf und auf alle Prozeßbeteiligten auszudehnen vermag.
    Es läßt sich nicht mehr ausschließen, daß das Urteil gegen Birgit Hogefeld in einem geradezu herzzerreißenden Sinne ein Fehlurteil ist:
    – begründete Zweifel, ob eine Angeklagte die Taten, für die sie verurteilt worden ist, wirklich begangen hat, sind objektiv nicht ausgeräumt worden,
    – das Urteil hat nicht einmal mehr versucht, den Eindruck zu widerlegen, es sei die Rache dafür, daß die Angeklagte sich geweigert hat, sich als Kronzeugin zur Verfügung zu stellen, und
    – es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, daß diese Weigerung letztlich darin begründet war, daß sie ihr wirkliches Ziel, in die RAF Reflexionsfähigkeit hereinzubringen, wenn sie anders sich verhalten würde, selber verraten würde.
    Aber zu der Fähigkeit, diese Möglichkeit sich auch nur vorzustellen, fehlten dem Gericht und vor allem der BAW die Freiheit der Phantasie, die durchs Apriori des eigenen Feindbildes und des daraus resultierenden Verurteilungswillens außer Kraft gesetzt war. Diese Verfahren sind insgesamt nur noch Verkörperungen mythischer Gewalt, die im mythischen Schrecken der Urteile (in den mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, der „besonderen Schwere der Schuld“) sich entlädt.
    Staatsschutzverfahren als Verkörperungen mythischer Gewalt: Liegt das nicht in Konsequenz der Logik ihres Auftrags und der vorgegebenen Rahmenbedingungen ihrer Durchführung?
    Ist die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar, den Daniel, bevor er ihn deuten kann, erst rekonstruieren muß, da Nebukadnezar ihn nicht mehr weiß, nicht ein Modell des Satzes, daß, wer einen Sündern vom Weg seines Irrtums bekehrt, damit seine (eigene) Seele vom Tode rettet?
    Hat nicht der Fernhandel, der heute in der Globalisierung des freien Marktes sich vollendet, seit je nur den Staat, nicht die Menschen genährt?
    Läßt sich die Geschichte von den sieben unreinen Geistern nicht auf die hegelsche Dialektik von Herr und Knecht beziehen:
    – es gibt nicht nur einen Knecht, sondern eine arbeitsteilige Organisation von Knechten, einen subjektlosen Organismus unterschiedener knechtlich-abhängiger Funktionen;
    – es gibt nur einen Herrn, und wenn die Knechte ihn ablösen, werden dann die letzten Dinge nicht ärger sein als die ersten?
    Die Gemeinheiten des Herrn reproduzieren (und potenzieren) sich in denen des Knechts. Der Ausweg wäre allein eine Gestalt der Herrschaft, die aus dem Bann der Gemeinheit, der Feindbildlogik und des Herrendenkens herauszutreten vermöchte.
    Die Konstellation, in die die Reklame die „Liebe“ zur Eigentumslogik rückt (durch Instrumentalisierung des Bedürfnisses nach Anerkennung, des Geliebtwerden-Wollens, des Selbstmitleids): ist das die Venus-Katastrophe?
    In den stalinistischen Schauprozessen der 30er Jahre soll es die Fälle gegeben haben, in denen angeklagte Genossen, die wußten, daß die Anklagen frei erfunden waren, sich diese gleichwohl zueigen machten, auch das – für sie dann vernichtende – Urteil akzeptierten, weil sie auch noch in dieser Situation die Parteiraison über ihre persönliche Einsicht stellten und glaubten, so der Partei, deren weltbefreiender Auftrag für sie außer Frage stand, noch einen Dienst zu erweisen.
    Politische Prozesse konstituieren so etwas wie ein innerstaatliches Völkerrecht. Nicht nur der Status der Angeklagten, sondern auch der der Strafgefangenen ist zweideutig. Ähnlich changiert die Logik der Strafen zwischen der Logik des Strafrechts und der des Kriegsrechts. Mehrfach lebenslängliche Haftstrafen und ein Begriff wie der der „besonderen Schwere der Schuld“ transportieren das Urteil und die Strafe über die Grenzen des Strafrechts hinaus; ihre Irrationalität ist ein Teil ihrer Rationalität: in ihrer Wirkung gleichen sie den Wirkungen der Aberkennung der bürgerlichen Rechte oder der Ausbürgerung, dem Entzug der Staatsbürgerschaft, der in der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“ der letzte Schritt vor der Vernichtung war. Deshalb erwecken RAF-Prozesse den Eindruck kurzer Prozesse, die nur deshalb so lange dauern, weil anders das Selbstverständnis der Ankläger und der Richter, das auf ihr Handeln keinen Einfluß mehr hat, nicht zu begründen wäre.
    Wie hängt diese Logik mit der der Ware <zu deren Ursprungsgeschichte der Fernhandel, der Sklaven- und Frauenmarkt, die Geschichte der Eroberung und Unterwerfung anderer Völker und in der letzten Geschichtsphase ein Kolonialismus gehört, dem die ganze Welt zum herrenlosen Gut geworden ist> zusammen?

  • 10.11.1996

    Der neue Faschismus hat sein Zentrum aus der Politik in die Ökonomie verlagert. „Standort Deutschland“ ist ein faschistisches Programm. Die direkte Kolonialisierung der dritten Welt (und der Nicht-Besitzenden im eigenen Land) wird durch die Marktgesetze ersetzt, die dann durch überdimensionale Militär- und Polizeiapparate geschützt werden müssen.
    Der neue Faschismus hat einen Rationalitätskern, den alle Privateigentümer, Hausbesitzer und Familienväter aufgrund der ökonomischen Zwänge, denen sie selbst unterworfen sind, spontan verstehen. Erkennbar ist dieser Faschismus nur noch auf der Seite der Realität, die sie nicht mehr sehen. Sein Rationalitätskern ist zugleich der blinde Fleck dieses Faschismus.
    Was einmal Ausbeutung hieß, heißt heute Sparprogramm.
    Ist die Unterscheidung von Eigentum und Besitz (die in der Institution des Staates gründet) nicht eine theologische Unterscheidung: Verleiht das Eigentum dem Eigentümer nicht die theologischen Attribute, die im Begriff der Ware, an der Marx sie wahrgenommen hat, nur sich widerspiegeln? Oder mit anderen Worten: Ist nicht die herrschende Eigentumsordnung (zu der es keine Alternative zu geben scheint) in sich selber atheistisch, und die Religion, die sie stützt, Götzendienst?
    Zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos: Ist das pharaonische „Faul seid ihr, faul“ nicht das Modell der heutigen Sparprogramme?
    Vorn und hinten, rechts und links sind reversibel, oben und unten hingegen sind es nicht: Deshalb steht der Begriff über dem Objekt wie der Herr über dem Knecht. Die moderne Raumvorstellung, in der alle Richtungen gleich sind, verdankt sich der Übertragung der Eigenschaften der vier Himmelsrichtungen auf die Beziehung von Himmel und Erde. Der Zustand, in dem der Schein (der die Wurzel jedes Scheins ist) sich durchsetzt, oben und unten seien reversibel, ist der in dem fallenden Fahrstuhl, an dem Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie demonstriert hat: ein Bild der Katastrophe, die keiner mehr wahrzunehmen fähig ist. Aber: Gott hat Himmel und Erde erschaffen, nicht die Welt. Die Idee des Himmels, die im Kontext des Ursprungs des Weltbegriffs zunächst zum mythischen Götterhimmel (mit der Schicksalsidee als logischem Kern) neutralisiert, dann mit der kopernikanischen Wende verdrängt worden ist, war für die Prophetie der Fundus der Herrschaftskritik. Die Apokalypse unterscheidet sich von der Prophetie durch den bereits erfolgten Abschluß des historischen Umwälzungsprozesses, der im Weltbegriff, in der durch ihn neu organisierten Erfahrung des Bewußtseins, sich manifestiert.
    Ist die Lichtgeschwindigkeit eine in erster Linie auf die vier Himmelsrichtungen bezogene „Naturkonstante“, und erst sekundär auf die durch oben und unten definierte Richtung des Raumes zu beziehen? Oder anders: Drückt in der Lichtgeschwindigkeit das Verhältnis der Schwere zu den zur Fallrichtung orthogonalen Richtungen sich aus? Das Undenkbare denken, das hat sowohl einen politischen wie auch einen naturwissenschaftskritischen Sinn.
    Ist nicht Hitlers politisch-gesellschaftlicher Begriff der Masse ein spätes Echo des lateinischen (von mater abgeleiteten) Begriffs der Materie?
    Gehört nicht zum Begriff der „Schwere der Schuld“, der in den Staatsschutzprozessen zentral zu werden beginnt, ein Begriff der Unschuld, der nur noch für jene gilt, die oben sind: für die Herrschenden? In diesem Begriff der „Schwere der Schuld“ vollendet sich das Schuldverschubsystem. Aber gibt es nicht ein christliches Erlösungskonzept und zu seiner Begründung eine ganze Theologie, die dem vorgearbeitet haben?
    Das Gebot der Feindesliebe rührt an die Wurzeln des Staates, der ohne die Feindbildlogik zu existieren aufhören würde.
    Der real existierende Sozialismus ist daran zugrunde gegangen, daß er gemeint hat, es sei möglich, das Spiel der imperialistischen Mächte (in das er sich im vorauseilenden Gehorsam seines machtpolitischen Realismus hat hineinziehen lassen) mitzuspielen. In diesem Spiel ist die Theorie zur Ideologie und die Praxis gemein geworden. Auch hier gilt: DIE BANK GEWINNT IMMER.
    Außen und Innen: Dieses Paradigma bestimmt auch die Bekenntnislogik: Der Feind ist draußen, der (mit dem Feind kooperierende) Verräter im Innern. Und sind die Frauen nicht die Indifferenz beider, haben sie nicht etwas vom Feind und vom Verräter zugleich?
    Das Präfix be- ist der sprachliche Repräsentant der veräußerlichenden, von außen auf die Sprache einwirkenden und das Innere der Sprache nach außen kehrenden Kraft: der Repräsentant des Raumes, der Form der äußeren Anschauung, in der Sprache. Beschreiben nicht die Präfixe insgesamt den gesamten und umfassenden sprachlogischen Zusammenhang, in dem die inertia, das Inertialsystem, sich konstituiert? Sind sie (wie die Präpositionen, mit denen sie zusammenhängen, ja teilweise identisch sind) nicht die sprachlichen Reflexionsformen dieser Äußerlichkeit, die unterm Bann der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“ nur noch blind, reflexhaft angewandt und nicht mehr reflektiert werden? Sind sie nicht die Schale des Kelchs?
    Entspricht dem englischen to be nicht im Französischen das Präfix de-; sind sie nicht der sprachliche Reflex der jeweiligen Sprachlogik, der empirischen Sprachlogik im Englischen und der rationalen, deduzierenden Sprachlogik im Französischen? Während das englische to be dem Infinitiv Sein im Deutschen entspricht, verweist das französische Präfix de- auf eine ganze Konstellation von Präpositionen und Präfixen im Deutschen wie von, aus, ab-, ent-. Zum deutschen ur- (in Urteil und Ursprung) scheint es im Englischen und im Französischen keine Entsprechung zu geben. Ist die deutsche Sprachlogik eine Ursprungslogik, ist die Ursprungslogik das Medium der Selbstreflexion der deutschen Sprache?
    Der Logik des Vorurteils kommt es – wie der Logik der Urteile in Staatsschutzprozessen – nicht mehr darauf an, ob eine Position, eine These, eine Feststellung wahr ist, sondern nur noch darauf, daß sie nützlich und unwiderlegbar ist. Das Vorurteil (und in ihrem Kern die Logik der Gemeinheit) ist kein inhaltliches Problem, sondern eins der Beweislogik.
    Wie hängt die Logik des Vorurteils mit dem Grund der Ästhetik zusammen?
    Reproduzieren nicht die Urteile der Staatsschutzsenate zwangshaft den Fehler, der die Aufarbeitung der Vergangenheit seit ihren Anfängen erlegen ist: Die Vergangenheit war nicht mehr durch Verurteilung aufzuarbeiten, sondern allein dadurch, daß man in den Schrecken sich hineinversetzt, ihn reflektiert.
    „Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe; deshalb seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Das Undenkbare denken heißt heute, auch der Paranoia als logisches Hilfsmittel der Reflexion (nicht jedoch des bestimmenden Urteils: des Vorurteils) sich zu bedienen; wer sie als Hilfsmittel des bestimmenden Urteils mißbraucht, ist ihr schon verfallen. Ist das nicht auch ein Problem der Schriftinterpretation und des Schriftverständnisses? Hat nicht die historische Bibelkritik, als sie dem grassierenden Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts erlegen ist, aus den Netzen der Paranoia (in diesem Falle des Antisemitismus) nicht mehr sich lösen können?
    Es gibt keine Möglichkeit, aus der Theologie hinter dem Rücken Gottes einfach nur herauszutreten. Der Weg in eine Theologie im Angesicht Gottes führt nur durch die Reflexion der Theologie hinter dem Rücken Gottes hindurch. Auch das ist ein Anwendungsfall des Programms: das Undenkbare denken.

  • 8.11.1996

    „Wir Deutschen“, sind das nicht die Nachfahren der Hitlerschen Masse?
    Als Micha Brumlik den Namen des Angesichts mit „Ausdrucksgeschehen …“ übersetzte, hat er ihn in die Sprache einer EG-Verordnung übersetzt, in die vergegenständlichende Sprache des Rechts und der Verwaltung. Wenn Levinas zufolge die Wirklichkeit des Angesichts die Unendlichkeit des Raumes widerlegt, dann drückt die Brumliksche Übersetzung den Zwang aus, die räumliche Unendlichkeit wiederherzustellen, die den Objektivierungszwang begründet und perpetuiert.
    Die stockende Verlesung des Urteils im Hogefeld-Prozeß durch den vorsitzenden Richter erweckte den sicherlich nicht unbegründeten Eindruck, daß darin Widerstände sich ausdrückten, die mit dem, was die Nazis den „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ nannten, zu tun haben mochten: Der eigentliche Gegner dieses Kampfes (des „inneren Ringens“, wie es die gewähltere Formulierung des Feuilletons damals nannte) waren die humanen Regungen, von denen auch Nazis nicht frei waren. In diesem Kontext löst sich ein Problem, das Daniel Jonah Goldhagen benannt hat, die Frage, weshalb der Judenmord mit den zusätzlichen Grausamkeiten, Verhöhnungen und Demütigungen verbunden war, die ihn begleiteten: Darin drückte dieser „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ sich aus, der auf die Juden verschoben und an ihnen vollstreckt wurde. So paradox das klingen mag: In diesen Manifestationen der Gemeinheit kam zum Ausdruck, daß das Gewissen in den Tätern noch nicht ganz erloschen war und in den Juden immer wieder mit erschlagen werden mußte. Genau das begründete auch den Wiederholungszwang, das suchthafte Verhalten der Täter: Nachdem sie einmal in die Zwänge dieser Logik hineingeraten waren, konnten sie nicht mehr davon lassen. Es gibt Taten, die nur als Wiederholungstaten möglich sind, weil sie das, was sie intendieren, nicht erreichen, aber eben dadurch ihre Wiederholung erzwingen.
    Die Urteilsbegründung ist der Beweis, daß der Eindruck, den Gericht und Bundesanwaltschaft erweckten, wenn Birgit Hogefeld ihre Erklärungen vortrug, nicht getrogen hat: Ankläger und Richter haben sich in einen synthetischen Schlaf versetzt, in dem sie nur das noch hörten, was sie hören wollten; die Erklärungen selbst haben sie nicht mitbekommen.
    Man muß das auch mitdenken, und sollte es nicht verdrängen: Anklage und Gericht sind selber auch „Opfer der RAF“, die sie zu den erbarmungslosen Handlungen, wie es die Urteile von Anfang an gewesen sind, gezwungen haben; und dafür haben sie sich gerächt. Dieser Mechanismus drückt in der geradezu verwilderten Logik der Urteilsbegründung sich aus.
    In einem Land, in dem alle nur noch ihre Pflicht tun, aber keiner mehr weiß, was er tut, weil alle unter Zwängen stehen, die sie nicht mehr zu durchschauen vermögen, gibt es dann nur noch ein Verfahren: Augen zu und durch! Das gefährliche dieses Verfahrens ist: es ist ansteckend.
    Kohl: Heute, in dem Erfolg, den sie nicht veursacht hat, der ihr wirklich nur zugefallen ist, plustert sich die Blindheit und Stummheit der „deutschen Frage“, die in Kohl sich verkörpert, zu welthistorische Größe auf.
    Flucht nach Tarschisch: Tarschisch liegt am Ende der Welt; aus Tarschisch hat Salomo mit Schiffen die Goldschätze geholt, die er für den Bau und die Ausstattung des Tempels benötigte. – Rom hat nicht mehr Handel getrieben, sondern die Welt erobert und ausgeplündert und die Beute im Triumphzug nach Rom geführt. Die Triumphbogen des imperialen Rom: Heute sind das die Auslandsjournale des Fernsehens.
    Läuft nicht Franz Rosenzweigs Verständnis des Christentums darauf hinaus, daß das Christentum genau diese Flucht nach Tarschisch ist? Und legt seine Beschreibung nicht den Gedanken nahe, daß nicht die Synagoge, sondern die Kirche die Binde vor den Augen trägt?
    Israel heute: Ist es nicht, als seien die Sadduzäer auferstanden, die an die Auferstehung nicht glaubten? Aber hatte es eine andere Wahl?
    Was hat der Begriff der Ruhe in den beiden Relativitätstheorien (die sich von der Bewegung nicht mehr unterscheiden läßt) mit der Sabbatruhe zu tun, oder auch mit dem Wort, demzufolge der Menschensohn Herr des Sabbat ist? Ist hier nicht ein weiteres Beispiel für den Greuel am heiligen Ort?
    Liegt nicht die Aufgabe der Theologie heute in dem Problem, vor das Nebukadnezar den Daniel gestellt hat: einen Traum zu deuten, den Nebukadnezar vergessen hat?
    Gewinnt nicht in der Gestalt Birgit Hogefelds, in dem Urteil über sie, das auf eine neue Weise die Identifikation mit dem Objekt des Urteils erzwingt, diese Identifikation eine neue Qualität, und das dank der Reflexionskraft Birgit Hogefelds?
    Steckt nicht das „Zeichen des Jona“ in dem Problem, vor dem Jona selber steht, und das er mit seiner Flucht nach Tarschisch vergeblich zu lösen versucht: im Problem des Anfangs? Dieser Satz „In vierzig Tagen wird Ninive zerstört“, der einzige Satz, den er dann noch herausbringt, steht zwar in der prophetischen Tradition, hat aber nicht mehr die Qualität eines prophetischen Satzes, er ist kein „Wort des Herrn“. Prophetisch ist allein – und das auf eine ungeheuerliche Weise – seine Wirkung. Hierin liegt das Grundproblem des Buches Jona. Ist es nicht das gleiche Problem, das Hegel einmal in dem Satz ausgedrückt hat, er sei dazu verdammt, ein Philosoph zu sein?
    Die jüdische Tradition zieht die Grenze zwischen Prophetie und Geschichte an anderer Stelle als die christliche. Für die jüdische Tradition gehören die Bücher Josue, Richter, Samuel und Könige zu den prophetischen Büchern, für die christliche zu den historischen (ich halte die Entscheidung Bubers, der in dieser Frage den Schriftkanon an die christliche Tradition angleicht, wenn nicht für falsch, so jedenfalls nicht für jüdisch). Das Problem, das in dieser Differenz sich anzeigt, war genau das Problem, das Franz Rosenzweig mit einer sehr präzisen Begründung dazu gebracht hat, mit dem Stern der Erlösung dem Historismus abzusagen. Das Problem Historismus/Offenbarung war der Gegenstand der Gespräche, in denen seine Vettern Ehrenberg und sein Freund Rosenstock ihn dazu bringen wollten, den Schritt, den sie vollzogen hatten, nämlich Christ zu werden, ebenfalls zu vollziehen. Seine Antwort darauf war: Ich bleibe Jude, und das übrigens mit einer Begründung, die im Entscheidenden auf Texte aus dem Neuen Testament, aus dem Kontext christlichen Selbstverständnisses und nicht gegen dieses Selbstverständnis, sich bezog. Der Stern der Erlösung war dann gleichsam das Siegel auf dieser Entscheidung, in deren Kern eine Kritik des Historismus aus dem Geist der Prophetie sich findet. Dieses Verhältnis (der Prophetie zum Historismus) läßt an seiner Beziehung zu Hegel sich demonstrieren; hier liegt der Anfang einer Bewegung, an deren Ende vielleicht ein Satz stehen könnte, der auch Rosenzweigs Werk in ein neues Licht zu rücken vermöchte: Das Weltgericht ist nicht das Jüngste Gericht, das Jüngste Gericht wäre vielmehr das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Um das zu sehen, hätte Rosenzweig vielleicht den Jakobusbrief lesen müssen, den Satz: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
    Gibt es nicht die Kaskaden rhetorischer Fragen auch bei Klaus Heinrich, dessen „Schwierigkeit nein zu sagen“ gleichwohl zu den Texten gehört, die (wie auch Ulrich Sonnemanns „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“) ihre unmittelbare Aktualität überleben werden.
    Der Gott der Hebräer ist der Gott derer, die Fremde für andere sind, während der Gott der Philosophen der Gott derer ist, für die Andere Fremde sind, die deshalb der Projektionsfolie der Barbaren oder der Heiden bedürfen. Und es ist der Gott der Hebräer, den der Pharao, der Herr des Sklavenhauses, nicht kennt, und der, indem der Pharao in dieser Nichtkenntnis zu verharren versucht, die Geschichte seiner Herzensverhärtung begleitet.
    Zu dem Satz „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“: Das Bild ist falsch, hier hat Brecht den Schoß mit einer anderen Körperöffnung verwechselt.
    Tatsachen sind nackt, aber erkennen wir in dieser Nacktheit nicht doch nur den Spiegel unserer eigenen Nacktheit?
    Wenn es heißt, daß die Liebe eine Menge Sünden zudeckt, so sollte man dazu in Erinnerung behalten: Sie deckt die Sünden der Andern zu, nicht die eigenen.
    Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht: Heißt das nicht, daß nur, wer die eigenen Sünden reflexionsfähig hält – und das ist der Barmherzige -, die Abwehrmechanismen außer Kraft setzt, die uns zu Richtern über andere macht.
    Nicht zufällig fällt die kopernikanische Wende, die universale Verdinglichung der Welt, die Himmel und Erde gleichnamig gemacht hat, mit einer weltgeschichtlichen Wende zusammen, in der die europäische Gesellschaft, die damalige Christenheit, die gesamte Welt zu herrenlosem Gut erklärt und das Werk ihrer politischen und ökonomischen Aneignung und Ausbeutung begonnen hat. Die Wende in der Astronomie war das Bild und der Reflex einer Wende in der Geschichte der politischen Ökonomie. Hier ist Europa zum Tier aus dem Meer geworden. Die Welt, die den Himmel ins Licht des Gravitationsgesetzes gerückt hat, ist die Welt dieses Tieres. Gehört nicht die Geschichte der Inquisition zur Ursprungsgeschichte naturwissenschaftlichen Aufklärung?
    Das Verbindungsglied zwischen dem allgemeinen Gravitationsgesetz und der Wendung in der Geschichte der Aufklärung insgesamt liegt in der metaphorischen (oder der realsymbolischen) Beziehung der Schwere zur Schuld. Seitdem sucht das positivistische, vom Feindbild-Denken durchsetzte Rechtsverständnis nach einem Objekt, dem sie zur eigenen Entlastung die absolute Schwere der Schuld anhängen kann. Die Geschichte des Antisemitismus (wie auch der Ketzer- und Hexenverfolgung) ist noch nicht zu Ende.
    Zur perversen Logik der Staatsschutzverfahren gehören der Begriff der „besonderen Schwere der Schuld“ und die mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, für die offensichtlich ein Leben nicht ausreicht, um den Projektions-, Rache- und Sühnetrieb zu befriedigen. Sie erweisen sich als Elemente eines nationalen Schuldverschubsystems, das insbesondere im deutschen Staatsverständnis sich zu verkörpern scheint.
    (Wachsen etwa die Widerstände in dem gleichen Maße, in dem ich versuche, sie durch Reflexion aufzulösen?)
    Es gibt Leute, die immer so reagieren, als wüßten sie schon alles. Dringt das nicht immer mehr auch in den Universitätsbetrieb ein? Ein Hinweis darauf, daß Professoren heute nicht besser sind, als es die Oberlehrer, die sich auch Professor nannten, einmal waren.
    Die verwaltete Welt erzeugt im Bildungswesen eine eigene und sehr spezifische Art von Katastrophen.




  • 7.11.1996

    Gründen nicht Wortbildungen wie Judenfrage, Seinsfrage und deutsche Frage in einem Begriff der Frage, die keinen Adressaten mehr hat: Ausdruck eines gleichsam heroischen Atheismus, der ein faschistischer ist, Bodensatz einer Sprache, die – bis weit in die Theologie hinein – das Gebet nicht mehr kennt? – Diese Fragen sind eigentlich rhetorische Fragen (in „Sein und Zeit“ finden sich ganze Kaskaden solcher rhetorischer Fragen, in deren Produktion Heidegger – wie nach Paul Celan der Tod – ein Meister aus Deutschland ist). Sie haben keine Adressaten und erwarten keine Antwort. Sie erinnern an das, was Ulrich Sonnemann einmal den „folgenlosen Protest“ genannt hat. In diesen Fragen spiegelt sich die Gewalt wider, die inzwischen in die Sprache selber eingedrungen ist und ihr den Weg zu Adressat und Antwort abschneidet, und es bleibt der Eindruck, daß diese Fragen mit dieser Gewalt, die sie so eindrucksvoll bezeugen, sich längst gemein gemacht haben. Diese Fragen gehören in den gleichen Kontext wie das Aussitzen oder auch das Durchsetzen politischer Entscheidungen mit den Mitteln der Gewalt anstatt mit den eigentlich politischen Mitteln der Sprache, sie sind Ausdruck eines „Strukturwandels der Öffentlichkeit“, den Habermas nicht einmal gesehen hat. Ist nicht die RAF ein Ausdruck dieser sprachlogischen Situtation: einer Welt, in der die Moral, nachdem sie mit der Macht sich gemein gemacht hat, solange sie aus dieser Symbiose nicht sich befreit, zur rhetorischen Frage verkommt? Im Imperativ stehen nicht mehr die Attribute Gottes, sondern allein das nackte „Seyn“.
    Hängt der Unterschied zwischen den Worten Volk und Leute (dem im Hebräischen, dann aber auch in den Apokalypsen, der zwischen Stamm und Volk zu entsprechen scheint) mit dem zwischen „wir“ und „ihr“ zusammen (der ersten und zweiten Person Plural)? Und sind die „Nationen“, die Heiden, auch die Barbaren und am Ende die Wilden, Verkörperung des pluralen „sie“, der dritten Person Plural, die im Deutschen in einer merkwürdigen Beziehung zum Femininum steht: Hitler hat die „Masse“, die dieses „sie“ in genauer Verkehrung des Namens der Hebräer mit der ersten Person Plural amalgamiert, als ein Femininum erfahren: Ist das der Unzuchtsbecher? Und ist hieraus nicht die Funktion des Antisemitismus als Instrument der Massenbildung abzuleiten?
    Die transzendentale Logik, die mit den subjektiven Formen der Anschauung den Feindbild-Mechanismus zur Grundlage hat, erzeugt ihr eigenes Reich der Erscheinungen. Ins Recht lassen sich die Bedingungen der Konstruktion synthetischer Urteile apriori über die Feindbildlogik (die hierbei die Rolle der „subjektiven Formen der Anschauung“, des Vorurteils, übernehmen) hereinbringen.
    Wer unfähig wird zu sehen, daß die Attribute Gottes im Imperativ stehen, und sie indikativisch versteht, macht den Indikativ zum Imperativ, er erzwingt die Anpassung ans Bestehende und die Unterwerfung unter die je herrschenden Mächte. Das ist die fatale Wendung einer Theologie, die sich selbst nicht begreift, zur Theologie hinter dem Rücken Gottes. Der Kern des zum Imperativ gewordenen Indikativs ist der Staat. Der Staat ist auch ein sprachlogisches Konstrukt. Das macht die Beziehung der Schlange in der Geschichte vom Sündenfall zum Neutrum durchsichtig und zwingend.
    Ist nicht die Feindbildlogik die Grundlage des Indikativs (und des Urteils)?
    Ist die Beziehung Hiobs zu seinen Freunden nicht ein Paradigma der Beziehung einer Theologie im Angesicht Gottes zu einer Theologie hinter seinem Rücken?
    Der „Jäger und Fallensteller, der sich in den von ihnen selbst ausgelegten Fallen verfängt“, (Ebach I, S. 155, zu Hi 19). Unterschätzt Ebach nicht die Reichweite dieses Bildes, das in die Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs und die jesuanische Antwort darauf gehört? Ist nicht dieses Bild eines in seinem eigenen Netz gefangenen Jägers das Modell einer Interpretation des Kreuzestodes bei den Kirchenvätern, ist nicht das Kreuz diese Falle und Rom (der „Teufel“) der Jäger? Läßt die Logik dieses Bildes auf die Gegenwart (z.B. auf das Selbstverständnis des Staates, auf die Beziehung von Anklage und Gericht, auf den feindbildlogischen Kern in den Staatsschutzprozessen) übertragen?
    Welche Rollen spielen Frauen in der Feindbildlogik (warum kann man sich Bordellbesuche der Bundesanwälte so gut vorstellen)? Wäre nicht – nach den ersten erhellenden Reflexionen hierzu bei Ulrich Sonnemann – das Problem der Art, wie angeklagte Frauen in Mord- und insbesondere in „Terroristenprozessen“ von den Gerichten erfahren werden, erneut zu thematisieren? Material hierzu liefern die Prozesse gegen Birgit Hogefeld und Monika Haas übergenug.
    Hängt die Feindbildlogik in der Justiz nicht mit dem Eigentumsanspruch des Staates an seinem Volk zusammen? Feind ist, wer sich diesem Eigentumsanspruch widersetzt (die feindliche Bevölkerung im Krieg ebenso wie das Proletariat im Klassenkampf). Demokratie ist der Versuch, die Politik von der Eigentums- und damit von der Feindlogik zu befreien. Deshalb ist der Versuch, Demokratie mit freier Marktwirtschaft in eins zu setzen, so gefährlich.
    Justitielles Denken steht unter dem Bann des Schuldbegriffs, der in ihm sich nicht auflöst, sondern durch es instrumentalisiert wird. Genau darin aber reproduziert sich der Bann.
    Der Staatsschutz ist ein Instrument der Staatsrache, die BAW und die Senate sind deren willige Vollstrecker.
    Wichtig der Hinweis, daß auch die Blutrache in den Themenbereich des Lösens, Auslösens, Erlösens gehört (Ebach I, S. 163ff). Ist nicht der Kreuzestod die Auslösung der Blutrache, auch der Blutrache in ihrer verstaatlichten Form, im Recht? Wird von hierher nicht allein die Blutsymbolik, die die Opfertheologie staatsmetaphysisch verfälscht hat, verständlich? Diese Blutsymbolik eignet sich dann nicht mehr, das Strafrecht und die Todesstrafe zu begründen.
    Die theologische Enteignung der Juden (vgl. die Ausführungen Ebachs zu Hi 1925-27 in Hiob I, S. 161ff) war die Selbstenteignung der Christen durch den Staat.
    Gibt es nicht so etwas wie ein in der Sprache selber verborgenes Subjekt der Sprache, eines, das erfahrbar wird, wenn die Sprache den Bann ihrer Instrumentalisierung sprengt? Gibt es nicht in der Sprache sprachlogische Verkörperungen des Anklägers, des Angeklagten, des Verteidigers, der Herrschaft, der Eigentumsbeziehungen, des Objekts? Deshalb sind sprachlogische Probleme nicht nur sprachlogische Probleme, deshalb ist die Sprachreflexion ein Medium theologischer Erfahrung. Und mir scheint, allein in diesem Kontext, und nicht in dem seiner griechischen Verfremdung, die es schon in der Stunde seiner literarischen Geburt erfahren hat, ist der Name des Logos theologisch verstehbar.
    Max Horkheimers Satz, daß ein Richter, der nicht fähig sei, in einen Angeklagten sich hineinzuversetzen, auch kein gerechtes Urteil mehr sprechen könne, gründet in der Beziehung des Richtens zur Gottesfurcht. Richter, die nicht in den Angeklagten sich hineinversetzen können, müssen zwangsläufig den Satz verdrängen, daß Gott, vor dem sie ihr Urteil einmal werden vertreten müssen, ins Herz der Menschen sieht (wenn es überhaupt so etwas gibt, ist dieser Satz ebenso wie der andere, daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, eine Definition Gottes).
    Theologische Anfrage ans Gericht: Seid ihr sicher, daß diese Urteil nicht ein Akt der Selbstverfluchung ist?
    Wer außer der geheuchelten keine Wahrheit mehr kennt, für den ist natürlich ein Pfarrer nur einer, der sich selbst Pfarrer nennt, und für den sind Erklärungen einer Angeklagten apriori Ausflüchte, Schutzbehauptungen, eigentlich nur Mittel der Prozeßverzögerung. Und die Prozesse würden in der Tat schneller (und vielleicht sogar mit günstigerem Ergebnis) ablaufen, wenn die Verteidiger zusammen mit dem Angeklagten – wie vor ihnen schon das Gericht – sich zu Hilfsorganen der Anklage machen würden. Das Ansinnen, sich der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung zu stellen, ist dann nur logisch und konsequent. Im Kontext der Feindbildlogik gibt es zur Alternative Kronzeuge oder Feind keine weitere Alternative. Und gibt es nicht von der anderen Seite inzwischen die gleichen Erpressungsversuche, die Drohung, dem Genossen die Solidarität zu entziehen, wenn er aus der korrespondierenden Feindbildlogik der RAF durch Reflexion (die von der Anklage und vom Gericht ohnehin nicht verstanden werden) auszubrechen.
    Es ist die Beziehung zur Gegenwart, die die bloße Verurteilung des Faschismus so hilflos und verhängnisvoll zugleich macht. Befreiend und hilfreich ist nur der Gegenwartsbezug, der durch die Erinnerung des Schreckens hindurch sich herstellt. Wer meint, es könne nicht mehr um die „Konservierung des Schreckens“ gehen, plädiert für die Verdrängung; er vergißt, daß er damit nicht nur denen, die den Schrecken nicht loswerden – wie z.B. den Nachfahren der Opfer -, nochmals Gewalt antut, sondern auch sich selber. Denn das Entsetzen konserviert sich real in der Konstruktion der Gesellschaft und in den Verhältnissen. Und wer „das Entsetzen nicht konservieren“ will, will sich hiergegen unempfindlich machen.
    Die Verdrängung des Schreckens hat ihre christliche Vorgeschichte: in der Urteilsmagie, mit deren Hilfe der Kreuzestod opfertheologisch instrumentalisiert worden ist.
    Zum griechischen Naturbegriff wie auch zum Idee der Zivilisation, die gemeinsam mit dem Naturbegriff entspringt, gehört auch der Name der Barbaren: als Projektionsfolie für die Verdrängungen, mit denen der Naturbegriff erkauft worden ist.
    Nietzsches Abwehr des Mitleids war motiviert durch das Bewußtsein, daß in dem, was wir Mitleid nennen, das Selbstmitleid (die Sentimentalität) sich maskiert und versteckt. Dieses Mitleid gründet in einem gleichsam passiven Akt der Identifikation, so wie man sich mit dem Helden eines Romans identifiziert, eine Identifizierung, die u.a. das begründet, was Max Weber Charisma genannt hat, und die der Fundus jeglicher Ästhetisierung ist. Diesen ästhetischen Bann vermag allein das aktive sich Hineinversetzen in den Andern, die Barmherzigkeit, zu sprengen, der Grund jeder realen Erfahrung. Adornos und auch Rosenzweigs Votum für denm Vorrang des Objekts bezieht sich auf das Produkt der Vergegenständlichung, das Resultat des historischen Objektivationsprozesses, sondern auf dessen Sprengung, auf die im Objekt verborgene, aus ihm aktiv herauszuhörende Sprache. Diese Sprache ist das Medium, in dem Theologie als Theologie im Angesicht Gottes sich zu entfalten vermag. Diese Sprache ist die parakletische Sprache, die sich zum Anwalt der auf die Erlösung harrenden Schöpfung macht, sie der Gewalt des Anklägers entreißt, und die dem Ankläger den Anspruch, Herr der Dinge zu sein, weil er der Herr der Sprache ist, die sie verstummen läßt, streitig macht.
    Der Faschismus und alle Fundamentalismen nach ihm sind Selbstwiderlegungen der Sprache des Absoluten, uns fehlt nur die Sensibilität, das wahrzunehmen. Diese Sensibilität ist allein über die Idee einer Theologie im Angesicht Gottes wiederzugewinnen.
    Der Satz: Wenn du zum Opfer gehst und du weißt, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann bringe das Opfer dar, dieser Satz sprengt den Absolutheitsanspruch des Indikativs, des Urteils.
    Das Problem der „Sünden der Väter“ verbindet Ezechiel mit den Evangelien (vgl. Ebach I, S. 172, sowie dazu Lk 117, 248f und Mt 822). Ist diese väterkritische Tradition nicht dann zum Gefangenen und zur Beute der „Vätertheologie“ geworden?
    Der Begriff einer „verkehrten Welt“ legt den Gedanken nahe, es gäbe eine richtige. Aber ist nicht die Welt das Prinzip der Verkehrung jeder Gestalt einer möglichen richtigen Welt?
    Der Diamat hat Merkur und Mars verwechselt. Der Klassenkampf ist kein Krieg, und er kann nicht wie ein Krieg geführt werden.
    Die Schlange ist zwar das klügste der Tiere, aber hat sie nicht Anteil an der Dummheit aller Tiere, denen die Fähigkeit fehlt, sich frei durch die Kraft, in den Andern sich hineinzuversetzen, selber zu verstehen? Diese Dummheit ist der Grund, auf dem die Klugheit der Schlangen erwächst. Und es kommt alles darauf an, sich von dieser Dummheit, die die Dummheit der Herrschenden ist, nicht anstecken zu lassen. Nicht zufällig sind Tiere Herrschaftssymbole. Deshalb: Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben. Diese Dummheit im Kern der Klugheit ist nur durch Sprachreflexion und durch die Kraft der Barmherzigkeit aufzulösen. Die Kraft der Sprache ist die Kraft der Barmherzigkeit. Die Sprache des Gerichts ist stumm.
    Inzwischen bleibt nur der Satz: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört.
    Erst die doppelte Buße, die auch den König erreicht und dann die Tiere mit einbezieht, sprengt den Bann des Privaten, der seit ihrer Instrumentalisierung durch Herrschaft die Buße verhext und der Umkehr den Weg verlegt.
    Der blinde Fleck der Philosophie, in den die Prophetie Licht bringt („Ihr seid das Licht der Welt“), ist nicht ein blinder Fleck, sondern eine Konstallation von sieben blinden Flecken.

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