Antisemitismus

  • 28.11.95

    Confessor und virgo sind als Verkörperungen der reflektierten und der natürlichen Unschuld Spiegelungen der Begriffe Welt und Natur im Medium des Heiligen: Sie rücken das Bekenntnis und die weibliche Unschuld in den Bereich des Unberührbaren. Hängt die Zweideutigkeit des Zeugungsbegriffs in der Trinitätslehre nicht hiermit zusammen: die Idee einer von der Berührung (und Befleckung) mit dem Weiblichen gereinigten Zeugung, die die natürliche männliche Zeugung in den Kern des „Schuldzusammenhangs des Lebendigen“ rückt, sie zum Quellpunkt der Schicksalsidee und ihrer subjektiven Reflexionform, des Begriffs (christlich gesprochen: der Erbsünde), macht?
    In jedem Feindbild steckt ein symbiotisches Element. Das gilt für den faschistischen Antisemitismus wie auch für den Bosnienkonflikt. Jede Empörung rechtfertigt mit den Untaten der anderen, über die sie sich empört, die eigenen.
    Hat die Trinitätslehre in der Vater-Sohn-Beziehung dieses symbiotische Element theologisiert, und ist die homousia, zusammen mit der Opfertheologie, dem Kern der Bekenntnislogik, der Ausdruck dieser Symbiose?
    Der Begriff des horror vacui war auch einmal eine Warnung davor, Erkenntnis auf der Vorstellung des leeren Raumes zu gründen (auf der Grundlage und im Kontext der subjektiven Formen der Anschauung). Für den Schreibenden erzeugt schon das leere Blatt (die tabula rasa) den horror vacui: in diesem horror gründet die Geometrie. Der Historismus, zu dessen Konstituentien die subjektive Form der inneren Anschauung, das vergegenständlichte Zeitkontinuum gehört (der Seitenblick auf die Zeit, der die Ewigkeit unsichtbar macht, indem er es durch das Überzeitliche ersetzt), ist ein Produkt der Nekrophilie des Herrendenkens: der Betondeckel über dem Abgrund der Vergangenheit. Das Herrendenken weiß, daß für es die Hoffnung auf Auferstehung nicht gilt. Deshalb soll sie auch für seine Opfer nicht gelten. Die Ewigkeit, an die das Herrendenken glaubt, die es (u.a. in der philosophischen Unsterblichkeitslehre) sich erhofft, ist die Ewigkeit des Schweigens der Opfer: die Ewigkeit des Todes derer, in denen es seine Richter erkennt („Mächtige stürzt er vom Thron und erhebt die Niedrigen“).

  • 26.11.95

    Gegen Derrida: Der Benjaminsche Text bietet keinen realen Anlaß, im Begriff der „göttlichen Gewalt“ die Endlösung, den Holocaust, Auschwitz wiederzuerkennen. Diese Assoziation wird im Gegenteil durch eine genaue Lektüre des Textes definitiv ausgeschlossen. Was die Beziehung herstellt, ist ein Verfahren, zu dessen Kritik Levinas das durchschlagende Stichwort gegeben hat, als er bemerkte, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen. Die Kontamination der göttlichen mit der mythischen Gewalt, die der Derridaschen Assoziation die Basis liefert, ist das Werk Derridas, nicht Benjamins (in dessen Text er sein Verfahren dann hineinprojiziert), wenn er explizit theologische Texte Benjamins, die der Levinasschen Forderung genügen, zurückübersetzt in den Indikativ (das gleiche Verfahren gehört übrigens zur christlichen Begründung und Ausgestaltung des Dogmas, der Orthodoxie, und markiert deren Differenz zur Wahrheit).
    Hilfreich zum Verständnis ist die Benjaminsche Unterscheidung von Ausdruck und Mitteilung. Wenn man sie auf die Derridasche Interpretation des Benjaminschen Textes anwendet, wird man schnell gewahr, daß mit der Übersetzung in den Indikativ das, was bei Benjamin sich ausdrückt, in eine Mitteilung umgeformt wird. Diese Umformung ist eine der Instrumentalisierung, die Rückübersetzung der Offenbarung in den Mythos (eine Übersetzung, die der Weltbegriff gleichsam automatisch leistet: der Weltbegriff ist der Inbegriff der transzendentalen Logik der Instrumentalisierung der Wahrheit und selber das Instrument der Zerstörung des Namens).
    Wenn Derrida dem Benjaminschen Text hätte gerecht werden wollen, hätte er zumindest auf die zentrale Rolle des Satzes „Du sollst nicht töten“ in diesem Text eingehen müssen sowie darauf, daß die Idee der göttlichen Gewalt deren Instrumentalisierung schon im Ansatz ausschließt. „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, und die einzig legitime Konsequenz aus der Idee der göttlichen Gewalt wäre es gewesen, sie auf die Täter des Holocausts, in keinem Falle aber auf ihre Tat zu beziehen. Zu den letzten Manifestationen des katholischen Volksglaubens in Deutschland, bevor er endgültig ins Blasphemische sich aufgelöst hat, gehörte unmittelbar nach dem Krieg die Angst: Das wird sich einmal rächen.
    Wenn Auschwitz eine theologische Bedeutung hat, dann die, daß es der Instrumentalisierung des Kreuzestodes Jesu, und damit der Opfertheologie, der Bekenntnislogik, dem Dogma und der verdinglichten Orthodoxie (der Konfundierung der Theologie mit dem Weltbegriff), endgültig den Boden entzogen hat.
    Die Benjaminsche Unterscheidung von rechtsetzender und rechtserhaltender Gewalt rührt an den Grund der Unterscheidung von Natur und Welt, die als Totalitätsbegriffe im Erkenntnisprozeß genau diese Funktionen: die Bindung der Erkenntnis ans Urteil, abdecken. (Die Geschichte der Naturerkenntnis ist die ins Innere transformierte Fortsetzung der heroischen Gründungsgeschichte des Staates und der Zivilisation, und der Naturbegriff selber das Korrelat und die Stütze des Gewaltmonopols des Staates.)
    Die Polizei ist das Paradigma des Hoheitlichen (der Repräsentation der staatlichen Gewalt). Sie gehört zur staatlichen Verwaltung wie das Militär zur Nationalökonomie. Stammt nicht der Name der Polizei aus den Anfängen der Verwaltungswissenschaft?
    Rührt nicht Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts an den Grund des Prinzips, demzufolge Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist? Die Aufnahme der Gemeinheit in den Kanon strafrechtlicher Tatbestande hätte die Selbstauflösung des Rechts zur Folge. Genau hier wird deutlich, weshalb der Benjaminsche Begriff der göttlichen Gewalt niemals auf die Endlösung Anwendung finden kann. Auschwitz hat das Recht durch Reduktion auf ihren Gemeinheitskern (auf den Kern der rechtsbegründenden und -erhaltenden mythischen Gewalt) zerstört, der Begriff der göttlichen Gewalt hingegen zielt auf die Auflösung des Rechts durch Zerstörung seines Gemeinheitskerns. (Das Jüngste Gericht ist der Widerpart des Hegelschen Weltgerichts: das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.)
    Aus dem gleichen Grunde wäre abzuleiten, daß der Antisemitismus niemals als Anwendungsfall des Rassismus oder des Vorurteils sich begreifen läßt, sondern nur als deren Wurzel.
    Das Obszöne an den raf-Prozessen ist der offene Gebrauch, den Gericht und Bundesanwaltschaft vom Gewaltmonopol des Staates machen. In der Konsequenz dieses Verfahrens liegt es, daß die Angeklagte nur noch als Feind wahrgenommen wird. (Die Verteidung wird im Lichte des Grundsatzes wahrgenommen: Wer sich verteidigt, klagt sich an.) Hier gibts nicht nur keine „Waffengleichheit“ mehr, sondern hier geht die Vorverurteilung soweit, daß Verteidung und Besucher apriori zur Sympathisanten-Szene gezählt werden.
    Gehören nicht die drei Formen des gewaltsamen Todes im Neuen Testament zusammen: die Enthauptung des Täufers, die Kreuzigung Jesu und die Steinigung des Stephanus?
    Sind der Orion und die Plejaden die Repräsentanten des Tierkreises und der Planeten am Fixsternhimmel? Und auf wen bezieht sich das Binden, und auf wen das Lösen (vgl. Hiob 3831 und 99)?
    Kinder haften für ihre Eltern: Der biblische Satz „Wenn dein Sohn dich fragt …“ bezieht sich auf die Weitergabe der Lehre vom Vater auf den Sohn, der 68er Satz „Wenn meine Kinder mich einmal fragen …“ dagegen auf den Rechtfertigungszwang, unter dem das Bewußtsein in Deutschland seit dem Ende des Faschismus steht. Dieser Satz gehört zu dem Schwarzen Loch, das der Faschismus erzeugt hat, das die Lehre nur noch in sich hereinsaugt und ihre Vernichtung befördert, aber nicht mehr ausstrahlt.
    Holgers Waschsalon: Sind heute nicht alle religiösen Positionen besetzt von Gruppen, die die Religion als Exkulpationsmaschine (als Hilfe, ihre Schuldgefühle loszuwerden, als synthetische Kuschelecke) brauchen? Dem hat die Theologie schon seit der Zeit der Kirchenväter vorgearbeitet. Aber konvergiert nicht dieser Exkulpationstrieb auf eine ebenso erschreckende wie verhängnisvolle Weise mit der Tendenz, die Religion zugleich in eine Religion für andere umzuformen: in ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft?
    Creatio mundi ex nihilo: Produkt einer projektiven Erkenntnislogik, die eigentlich auf ein Stück Urgeschichte des Kapitalismus sich bezieht, auf die Vorgeschichte der Kreditschöpfung der Banken? Die Risiken der Banken sind die Risiken der Sparer, die Risiken der Unternehmer sind die Arbeitnehmer, deren Arbeitsplatz auf dem Spiel steht, und die Risiken des Krieges sind die der Bevölkerungen, deren Anteil an den Opfern der Kriege den des Militärs inzwischen weit übersteigen. Die Risiken der Entscheidungen haben heute nicht mehr die zu tragen, die sie treffen, sondern die, für die sie getroffen werden (Anmerkung zu den Begriffen Verantwortung und Repräsentation).
    „Soll aber der Mensch noch einmal in die Nähe des Seins finden, dann muß er zuvor lernen, im Namenlosen zu existieren“ (Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, S. 150, zitiert nach Derrida, Die Schrift und die Differenz, S. 208). Die Begründung ist einfach: Weil das Sein den Namen löscht, alles gleichnamig macht. Wenn Derrida in diesem Zusammenhang auf die Kabbala verweist (auf die „unaussprechbare Möglichkeit des Namens“), so weiß er nicht, wovon er redet. Das Ziel der Kabbala war die Heiligung des Gottesnamens, während die Ontologie seit je darauf abzielte, den Gottesnamen zu tilgen.
    War die Ontologie (das „Sein“: die Installierung des Urteils) das Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat?

  • 16.11.95

    Die These, man müsse den Staat dazu bringen, sein faschistisches Gesicht zu zeigen, weiß nicht nur nicht, was Faschismus heißt, sie ist ebensosehr Ausdruck der Hilflosigkeit des militanten Antifaschismus. Es kommt nicht darauf ein, ein Urteil zu vollstrecken (auch nicht das Urteil des Geschichte, das selber unterm Bann des Faschismus steht), sondern die Erkenntnis wie das Handeln vom Bann des Urteils zu befreien.
    Es gibt zwei Formen der Beziehung der Vergangenheit zur Erkenntnis: Während die Naturwissenschaft die Zukunft unter die Vergangenheit subsumiert, ratifiziert der Historismus die Vergangenheit des Vergangenen. Beide gemeinsam rücken die Gegenwart in das Licht der Vergangenheit (Ursprung der subjektiven Formen der Anschauung, Grund der Ästhetisierung der Wirklichkeit).
    Nur bei Johannes steht die Geschichte mit der Aufschrift am Kreuz, auf die Pilatus schreiben ließ: Jesus der Nazoräer, der König der Juden (1919).
    Wer war der erste Confessor, und wer war die erste Virgo? Während das Martyrium noch auf die unmittelbar bevorstehende Parusie bezogen war, ist der neue Heiligentyp auch eine Konsequenz aus der Enttäuschung der Parusie-Erwartung (der Rezeption des Weltbegriffs). Confessor und Virgo waren gleichsam das erste aus dem Paradies der zukünftigen Welt vertriebene Menschenpaar, und der katholische Himmel eine Verkörperung der gefallenen zukünftigen Welt (zweiter Sündenfall, mit Alexander und seinen caesarischen Nachfolgern als Cherube mit dem Flammenschwert vor der verschlossenen Zukunft. Ist der Katholizismus die Erzeugungsmaschine der Wolken, auf denen der Menschensohn einst kommen wird?
    Verweist der Satz des Paulus, daß die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet, nicht darauf, daß die ganze Schöpfung teilhat an der Passion und am Kreuzestod Jesu? Hat Kopernikus den Kosmos ans Kreuz geschlagen, und war Newton der Paulus dieser neuen Theologie?
    Die Geschichte ist das Produkt der Historisierung, wie die Welt das Produkt der Verweltlichung und die Natur das Produkt des Objektivationsprozesses ist.
    Die Astronomie, die Elektrodynamik und die Mikrophysik sind auch ein Beweis für die Sprengkraft des Inertialsystems, des Herrendenkens, das in diesem System sich verkörpert.
    Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung gehören zur Vorgeschichte der Konstituierung des Inertialsystems. Der Jude, das war der Feind, der Ketzer der zum Verräter gewordene Genosse und Frau war das, was unten ist.
    Nach welchen Prinzipien sind in den Nationalsprachen die Zahlen gebildet worden, und welche Konnationen stecken in diesen Bildungen (im Deutschen mit der Folge Hunderter, Einer, Zehner: Sechshundert sechs und sechzig, im Englischen in der logischeren Folge Hunderter, Zehner, Einer: sixhundred sixty six; was bedeutet die abweichende, auch auf Subtraktionen zurückgreifende Zahlenbildung im Französischen)? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Trennung der (arabischen) Zahlen von der Schrift, der Einführung der Null (aus Indien über die Araber), der Bildung der Dezimalzahlen und der modernen Raumvorstellung, der „subjektiven Form der Anschauung“ (die Null ist das Korrelat der unendlichen Ausdehnung des Raumes), dem Ursprung der analytischen Geometrie und der doppelten Buchführung? Die Null hat (als mathematischer Reflex der Unendlichkeit) die Mathematik von der Sprache getrennt, sie gleichsam auf ihre eigenen Füße gestellt. In der Geometrie repräsentiert die Null den Ursprungspunkt des Raumes: den Repräsentanten des Subjekts und des Objekts zugleich. Die Null hat den Raum zur subjektiven Form der Anschauung gemacht, sie war der Ich-Generator; sie hat die Schöpfungslehre verwandelt. Erst das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hat die Null widerlegt (oder auch dynamisiert).
    In welcher Beziehung steht die Logik der durch die Null neu begründeten Mathematik zur Logik der symbolischen Zahlen (die ihre eigene Rationalität haben, die nicht widerlegt, nur verdrängt worden ist)?
    Habermas‘ Konzept eines herrschaftsfreien Diskurses wird durch schon durch den Hinweis auf die Deklination (insbesondere auf den Genitiv, das innersprachliche Äquivalent der Herrschafts- und Eigentumsbeziehungen) widerlegt.
    Das Substantiv bindet den Nominativ ans Inertialsystem.

  • 13.11.95

    Ist die Bezeichnung der Urkirche als „Sekte“ nicht ebenso konsequent wie anachronistisch, wenn man – wie Wayne A. Meeks – die gesamte Eschatologie, das apokalyptische Element in der paulinischen Theologie, nur als ein Instrument der Gemeinschaftsbildung (der Bindung nach innen und der Abgrenzung nach außen) begreift? Der Begriff der Soziologie, der den Erörterungen Meeks‘ zugrundeliegt, projiziert die Gegenwart in die Vergangenheit, weil er von der politischen, herrschaftsgeschichtlichen Reflexion abstrahiert.
    An der Zeit wäre eine Kritik der Naturwissenschaft, die sie nicht „widerlegt“, wohl aber die Wunde, die sie geschlagen hat, erfahrbar macht.
    Das Inertialsystem hat die subjektiven Formen der Anschauung Kants nicht nur vergegenständlicht, sondern zugleich die Zeit unter die Form der äußeren Anschauung subsumiert. Das war der Preis für die Konstruktion des Inertialsystems. Aber ist nicht in der gleichen Bewegung der Raum zu einer Form der inneren Anschauung geworden: zur Grundlage und zum Medium der subjektiven „Vorstellungen“, zum Phantasieraum?
    Verletzt nicht der Rassebegriff, die Vorstellung von Erhaltung der Reinheit des Blutes, indem er der Exogamie den Weg verstellt, das Inzestverbot (Zusammenhang mit dem modernen Naturbegriff!)?
    Der „Mantel der Nächstenliebe“ übt Gnade für die Täter, aber er ist gnadenlos gegen die Opfer.
    Die Maschine, die Hegel in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes als das Reifen des sich bildenden Geistes mißversteht (Bd 3 der Theorie-Werkausgabe, S. 18), hat nach Hegel weitergearbeitet, sie hat sich durch die Idee des Absoluten nicht bremsen lassen.
    Im Rahmen einer Kritik der Beweislogik wäre nachzuweisen, daß es Beweise gibt, die das genaue Gegenteil dessen beweisen, was sie zu beweisen vorgeben. Darauf bezieht Benjamins Satz „Überzeugen ist unfruchtbar“. Die Kritik des ontologischen Gottesbeweises ist unter Berücksichtigung Hegels nach Kant über Kant hinauszutreiben.
    Im Lateinischen heißt Beweis demonstratio. Dr Begriff und die Methode des Beweises stammen aus der Geometrie (von Euklid bis Spinoza).
    Steckt nicht in jedem Beweis etwas vom Anspruch der Intersubjektivität, der dem andern bedeutet, dem eigenen Denken zu entsagen. Der Beweis fordert die Unterwerfung unter eine Logik, die – allerdings nicht grundlos – zu durchbrechen wäre. Es ist kein Zufall, daß die Formalisierung der Logik zu Lasten der Logik der Begründung geht. Die Argumentation appelliert auch an die Namenskraft der Sprache, in der der Satz „Wer A sagt, muß auch B sagen“, nicht unbedingt gilt.
    „Rede von Gott“: Die Rede ist per definitionem monologisch. Ihr Adressat ist nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft: ein Kollektiv. Wer einen einzelnen „zur Rede stellt“, will, daß er sich „unterordnet“, in eine ihm vorgeordnete Gemeinschaft wieder eingliedert. Reden erwarten keine Antwort, vielleicht Beifall, aber niemals Widerspruch. Die Rede ist die säkularisierte Predigt. Keine Rede ohne Selbsterhöhung, ohne die Hybris des Redenden. Es ist diese Hybris, die sich den Hörern mitteilt (und die von ihnen erwartet wird). Hitler war in erster Linie, wenn nicht sogar ausschließlich, ein Redner. Seine politischen Handlungen waren Inszenierungen, die den Raum, den Resonanzboden, für seine Reden bereiten sollten (der Zusammenbruch des Faschismus war der Zusammenbruch dieses Raumes: danach, ohne diesen Raum, war Hitler ein Nichts, nur noch eine komische Figur: einer, der sich grundlos aufregt). Es gibt keine Rede ohne Ritual, ohne standardisierte Argumentation, auch ohne den spezifischen Ton der Rede. Die Rede lebt von dem Klima der Empörung, das sie erzeugt (darin gleicht sie dem Gerede, mit dem sie unter dem beiden gemeinsamen Bann von Rechtfertigungszwängen steht, auf deren Instrumentalisierung, die ausschließlich über die Mechanismen der Empörung läuft, sie abzielt). Ziel der Rede ist es, Emotionen zu wecken, „Hunde hinterm Ofen hervorzulocken“. Für die Hörer ist die Rede der Handlungsersatz (das moralische Alibi) der Ohnmächtigen. Das Grundmodell der Rede ist die antisemitische Rede. Reden sind ghettobildend: Sie „überzeugen“ nur die eigenen „Anhänger“, andere erreichen sie nicht mehr.
    Zum Begriff der Rede: Jemandem „ins Gewissen reden“ heißt, ihm das Gewissen ausreden.

  • 10.11.95

    Hegels Logik steht unterm Bann des Dingbegriffs, sie ist eine Dinglogik. Sie vermag den Knoten, der das Ich mit dem Ding verknüpft, nur zu reflektieren, nicht zu lösen.
    Der Weltbegriff ist das Produkt und die Organisationsform der Selbstreflexion des Andersseins der Dinge (ihrer Erscheinung). Hieran läßt sich erkennen, daß der Andere und das Fremde nicht nur nicht bedeutungsgleich sind: Der Fremde erscheint als Fremder im Kontext der Selbstreflexion des Andersseins. Der Fremde ist das Realsymbol der ausschließenden Gewalt des Weltbegriffs (an ihm läßt der nationale Grund des Weltbegriffs sich ablesen).
    Oben und unten: Welcher Logik ist es zu verdanken, wenn der Rassismus mit Rangordnungsstrukturen, mit Wertordnungen und hierarchischen Abstufungen verbunden ist, mit paranoiden Verschwörungskonstrukten und mit Reinheitszwängen: mit einem Hygienezwang, der bis zum Genozid fortschreitet? Ist nicht der Antisemitismus in der Tat die Wurzel des Rassismus (und nicht nur eine seiner Erscheinungesformen)? Welches objektiv destruktive Potential steckt nicht in der Verharmlosung des Rassismus zur Weltanschauung, die ihn der Bekenntnislogik unterwirft, die selber ein Ausfluß des Rassismus ist, nicht seine Grundlage.
    Ist der kyrios als messianischer Titel Jesu der über die LXX vermittelte Gottesname adonai, der Deckname des Tetragrammatons, das selber nicht ausgesprochen werden durfte? Was bedeutet es, wenn dieser Deckname dem Christus Jesus zuerkannt wird, gleichzeitig aber das Tetragrammaton ersatzlos verschwindet? Der Name des Vaters benennt ihn bloß, er ist kein Name, in dem sich Gott selbst zu erkennen gibt.
    Ist das Dogma der Tempel, mit dem Opfer als Grundlage: das Haus seines Namens? Läßt sich die Geschichte des Dogmas (die bruchlos in die naturwissenschaftliche Aufklärung übergeht) an der Geschichte der Architektur des Kirchenbaus ablesen? Hat Hegel nicht die Geschichte der Architektur als die Geschichte der Organisation der Schwere und des Lichts aufgefaßt und beschrieben? Ist hier nicht das Verbindungselement, das das Dogma mit der naturwissenschaftlichen Aufklärung verbindet?
    Hören und Sehen: Die Nacktheit (da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren) verweist auf die Entkleidung der Dinge, ihr Herausfallen aus dem (paradiesischen) seligen Sprachgeist. Nackte Tatsachen sind obszön, und die subjektiven Formen der Anschauung, in deren Kontext sie sich konstituieren, sind der Unzuchtsbecher der Apokalypse.

  • 28.10.95

    Zur Logik der Herrschaftsgeschichte (Vergesellschaftung und Privatisierung von Herrschaft): Wie unterscheidet sich die Ohrenbeichte von der altkirchlichen Bußpraxis?
    Seit Kopernikus sind Tag und Nacht, die sinnliche Erscheinung der Natur insgesamt, zu bloßem Schein geworden, hervorgerufen durch ein kompliziertes System von Bewegungen der Sonne und der Erde im Kontext des heliozentrischen Systems. Die Unterscheidung der primären und sekundären Sinnesqualitäten gründet in der kopernikanischen Wende, die die Sinnlichkeit ins Subjekt zurückgestaut, zu Empfindungen verdinglicht hat. Wie die Materie in die Einheit der trägen und schweren Masse, so sind die sinnlichen Qualitäten in die Einheit des Gefühls, der Empfindung (der Rekonstruktion des Gefühls nach dem Modell mechanischer Stoßprozesse), zurückgenommen worden. Übriggeblieben ist eine von allen Qualitäten gereinigte Objektivität („leer, gereinigt und geschmückt“).
    Seit Kopernikus gibt es die (tendentiell paranoide) Unterscheidung der subjektiven Erfahrung von den hinter den Erscheinungen verborgenen Kräften: Grundlage aller Verschwörungstheorien.
    Im Barock kehrte die durch die kopernikanische Wende ausgeschlossene Welt der sinnlichen Qualitäten als Herrschafts-Pomp, als Bühnen-Prunk, als Oper zurück.
    Kopernikus hat, ohne die Konsequenzen zu durchschauen, einen Weltbegriff etabliert, der das Herz der Dinge endgültig in den blinden Fleck gerückt hat.
    Daß das Sein das Bewußtsein bestimmt, ist ein Satz, der niemals affirmativ, sondern eigentlich nur in kritischem Zusammenhang gebraucht werden darf, im Kontext dessen, was in der marxistischen Tradition, bevor sie selber zur Herrschaftsideologie geworden ist, Ideologie, falsches Bewußtsein, hieß.
    Die subjektiven Formen der Anschauung instrumentalisieren alles, was in ihren Bann gerät. Zu ihrer Logik gehört
    – das apriorische Feindbild (dem Objektbegriff, der im Kontext der subjektiven Formen der Anschauung sich konstituiert, entspricht in der Bekenntnislogik das Feindbild; die subjektiven Formen der Anschauung sind apriori antisemitisch),
    – der Begriff der Häresie (die Diskriminierung der nicht beweisbaren Einsicht, der Idee einer Theologie im Angesicht Gottes) und
    – die konstitutionelle Frauenfeindschaft (die Vorstellung einer Objektwelt, die allein der Gewalt verfügbar ist).

  • 16.10.1995

    Rache des Objekts: Das Wort Faschist läßt sich sowohl als Prädikat als auch als Adjektiv verwenden (X ist ein Faschist; der faschistische Abgeordnete). Er trifft sein Objekt nur von außen, was voraussetzt, daß das Grauen, das er bezeichnet, keine lebendige Erfahrung mehr bezeichnet, weil es vergangen ist. Das Wort Mörder ist nur als Prädikat verwendbar: Es bezeichnet ein Individuum, keine Eigenschaft, oder genauer: eine Eigenschaft, die keine andere neben sich duldet, die unmittelbar individualisierende Wirkung hat. Der Begriff des Mörders hat die gleiche logische Qualität wie der des Objekts: Der Mörder ist das Nicht-Ich, sein Name verdrängt die Subjekteigenschaft dessen, den er bezeichnet. Wenn ich jemanden einen Faschisten nenne, urteile ich über ihn, wenn ich ihn einen Mörder nenne, verurteile ich ihn. Im Falle des Antisemitismus brauche ich „den Juden“ nicht mehr zu verurteilen, er ist von Natur (und nicht durch eine Tat, wie der Mörder) unentrinnbar verurteilt. Das Vorurteil macht im Juden das Nicht-Ich, das Objekt, zum Subjekt. Der adjektivische Gebrauch dieses Namens bezeichnet neben der Zugehörigkeit eines Einzelnen zu dieser Gruppe (zu dieser „Rasse“) ein Ensemble von Eigenschaften, an denen man einen Juden erkennt, von denen aber auch eine Ansteckungsgefahr ausgeht, die auf andere (auf Nicht-Juden) übergreifen kann. Dieses Konstrukt, aus dem das rassenhygienische Ziel der Endlösung zwanglos sich herleiten läßt, unterscheidet den Antisemitismus von jedem anderen Vorurteil. War nicht diese Ansteckungsgefahr die tiefste Angst des Faschismus, der darin die Mechanismen seines eigenen Ursprungs und seiner Ausbreitung und im Juden das Bild seiner selbst wiedererkannte? Nur durch die Projektion auf die Juden war die Wirksamkeit dieser Mechanismen und ihre Legitimation sicherzustellen; sie würden sich selbst auflösen, wenn es gelingen würde, sie ins Bewußtsein zu heben. Hitler, dem in den zwölf Jahren ein ganzes Volk verfallen war, wurde nach dem Krieg nur noch als Popanz, als komische Figur wahrgenommen. Die Anziehungskraft, die diese Figur heute auf die Neue Rechte wieder auszuüben scheint, ist keine unmittelbare, eher eine nostalgische; sie ist, wie es scheint, vermittelt durch die Historisierung des Faschismus, durch ein Bewußtsein, das ihn – dank der „Gnade der späten Geburt“ – nur noch als Vergangenheit kennt.

  • 22.9.1995

    Zu Off 133: Den Faschismus nicht als Feind, sondern als Verführung begreifen, heißt, auch das Feindbild Faschismus, das mit der Realität seiner Vergangenheit aufs fatalste zusammenhängt, noch als Verführung begreifen. Erst als vergangener siegt der Faschismus (eigentlich dürfte es nach dem Faschismus nichts mehr geben, was ihn nur überlebt).
    Das Feindbild ist (als Teil der Bekenntnislogik) gemeinschaftsbegründend: ein gesellschaftlicher Kitt.
    Die Todesangst wird durch den Historismus, die Vergegenständlichung und Instrumentalisierung der Vergangenheit, verdrängt und begründet zugleich.
    Stammen nicht das Bekenntnis, das Dogma, die Orthodoxie aus dem (weltkonstituierenden) Geiste des Rechts? Und ist nicht der „rechtsfreie Raum“, den es nach Meinung des Münchener Bischofs Wetter nicht geben darf, der Raum, in dem sich die Juden, die Ketzer, die Frauen bewegen?
    (Ist die Existenz der Juden, der Häretiker und der Frauen der Beweis dafür, daß der Raum in keiner seiner drei Dimensionen ins Unendliche sich erstreckt? – Im Kontext der Vorstellung des unendlichen Raumes sind der Antisemitismus, die Unfähigkeit, abweichende Anschauungen zu ertragen, und die Frauenverachtung unvermeidlich.)
    Gerichte, die unter dem Bann des Feindbildes stehen (z.B. in Mord- oder in Staatsschutzprozessen), stehen unter dem Bann des synthetischen Urteils apriori; sie haben nicht mehr die Freiheit, abweichende Fakten zu tolerieren, ohne sie – zynisch und paranoid zugleich – nach Maßgabe des Feindbildes einzuordnen. Jede humane Regung gegenüber einem Angeklagten (der in Wahrheit ein Feind ist) wird zwangsläufig als Unterstützung des Feindes und als Angriff auf das Gericht wahrgenommen.
    Ist nicht der 129a die endgültige Grundlage für die Produktion synthetischer Urteile apriori im Strafrecht? Mit dem Tatbestandsmerkmal „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ wird die Zurechnung einer Tat auch ohne Tatbeteiligung möglich (vgl. den Mordvorwurf wg. des Todes des GSG 9-Beamten im Hogefeld-Prozeß). Eine konkrete Tatbeteiligung braucht nicht mehr nachgewiesen zu werden. Soweit sie dann doch noch erforderlich ist, hat die Kronzeugenregelung die letzte Lücke geschlossen (so im Falle Eva Haule, Christian Klar, Sieglinde Hofmann).
    An der bayerischen Reaktion auf das Kruzifix-Urteil läßt sich erkennen, daß genau jene, die nur noch ein instrumentalisiertes Verhältnis zum Christentum haben, sich über das Urteil empören. Das begründet die Frage, ob das Kruzifix nicht genau dafür das Symbol ist. Der Gebrauch dieses Symbols in den Kreuzzügen, in der Geschichte der Ketzerverfolgung und im Umkreis der Inquisition belegt den gleichen Sachverhalt.
    (Zu Erika Steinbachs Angriff auf die evangelische Kirche in Hessen: So wie den Herrn Hintze hätte die CDU gern alle Pfarrer. Aber verhalten sich nicht in gleichsam vorauseilenden Gehorsam die meisten, allen voran die katholischen Bischöfe, schon entsprechend?)
    Ist der Ausdruck „die Dinge beim Namen nennen“ nicht ein Hinweis auf die fortschreitende Umformung der Sprache zu einem Instrument der Verurteilung (mit ihrer Transformation in den Indikativ)? Ist die benennende Kraft der Sprache endgültig an den gesellschaftlichen Schuldzusammenhang übergegangen? Bezeichnungen wie Nazi, Terrorist, Mörder sind real nur im Kontext eines Schuldverschubsystems, das von der Realität nicht mehr sich unterscheiden läßt.
    Staatsschutzverfahren haben nicht mehr die Kraft zu belehren, weil sie selbst nicht mehr belehrbar, nicht lern- und erfahrungsfähig sind. Es bleibt nur die „Belehrung nach außen“, die Abschreckung, das Errichten eines Tabus (jede „Belehrung nach außen“ ist zugleich eine nach innen, ein Instrument der Verdrängung). Staatsschutzverfahren sind Verfahren der Vorverurteilung, des Vorurteils.
    Zur Genese und zum Begriff des Rassismus: Verdacht und Unterstellung sind experimentelle Anwendungsformen des kontrafaktischen Urteils. Ihre Verwandlung in synthetische Urteile apriori (ihre Biologisierung) macht sie zu Instrumenten des Vorurteils.
    Wie hängt das kontrafaktische Urteil mit dem liberum arbitrium, dem moralischen Äquivalent der „Freiheitsgrade des Raumes“, und wie hängen beide mit den kantischen Antinomien der reinen Vernunft zusammen?
    Erbaulichkeit ist ein Produkt der Übersetzung der Schrift in gegenständliche Vorstellungen, die dann kontrafaktisch ausgemalt werden können (der Mythos war die Einübung dieser kontrafaktischen Ausmalung, der Film ist das Produkt seiner Anwendung). Erbaulichkeit leugnet die Kraft der Sprache. Im Medium kontrafaktischer Urteile hat die transzendentale Ästhetik und Logik (als Inbegriff der Subjektivität) sich konstituiert. Erbaulichkeit nimmt „die Rechte“ der Subjektivität gegen die Idee der Wahrheit wahr. Erbaulichkeit ist blasphemisch.
    Reich der Erscheinungen: Gegenständliche Vorstellungen werden kontrafaktisch ausgemalt, aber durch Musik werden sie verkörpert. Musik verleiht den Vorstellungen Tiefe: Deshalb ist Musik eine aus dem Geist des Christentums (nicht immer jedoch aus christlichem Geist) erzeugte Kunstform, und deshalb bedarf der Film der Musik, um plastische und lebendige Präsenz zu gewinnen.

  • 14.9.1995

    Lichtgeschwindigkeit, Plancksches Wirkungsquantum und elektrische Elementarladung verhalten sich wie Raum, Zeit und Materie (oder wie Mechanik, Elektrodynamik und Gravitation), sie stehen in der gleichen logischen Beziehung. Auflösung anhand der Logik des Raumes: der wechselseitigen Begründung von Linearität (intentio recta), Orthogonalität (Asymmetrie) und Reversibilität (Spiegelung)?
    „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“: Die Lehre von der Auferstehung der Toten ist die Antwort auf die Transformation des Perfekts ins Vergangene.
    Wenn Mord nicht nur ein Tat-, sondern als Täterdelikt zugleich ein Gesinnungsdelikt ist (zu den Tatbestandsmerkmalen gehören „niedrige Beweggründe“), und wenn kein Verbrechen in vergleichbarem Maß den Rachetrieb (und in ihm die Logik der Personalisierung) weckt (vgl. den vorstaatlichen [und vorweltlichen] Zusammenhang der Blutrache mit der Ursprungsgeschichte des Opfers), so läßt sich daran der Schuldzusammenhang ablesen, der der Konstruktion des Staates zugrunde liegt, dessen Instrumentalisierung der Staat ist (im Kern des Weltbegriffs, der ersten „Schöpfung“ des Staates, steckt ein verdrängter Mord: Deshalb gehört die Geschichte der Kosmogonien und Kosmologien zur Ursprungsgeschichte des Staates).
    Rechtfertigung als Selbstzerstörung: Der Objektivationsprozeß als Instrument der Selbstrechtfertigung des Bestehenden, oder der Urknall, die Hohlraumstrahlung (der schwarze Körper), das schwarze Loch.
    Heinsohns Ableitung des Holocaust ist noch zu harmlos: Der Antisemitismus als genereller (apriorischer) Freispuch des Tötens brauchte von Hitler nicht erfunden werden, er gehört zu den Grundlagen des Staates, und das jüdische Tötungsverbot ist ein Angriff auf den Staat.

  • 5.9.1995

    Die kopernikanische Wende hat Welt und Natur in ein universales Labor verwandelt, in einen Experimentierraum der Herrschaft. Ihr gegenständliches Korrelat ist das durch die Begriffe Natur und Welt logisch aufgeteilte, ästhetisierte und organisierte Reich der Erscheinungen. Die kopernikanische Wende war der Katalysator der Vergesellschaftung von Herrschaft. (Der Säkularisationsprozeß ist der Rechtsstreit gegen die durchs Bild der Hölle verzauberte Welt; sein Ergebnis ist ein universaler Schuldspruch, der keine Berufung mehr zuläßt). Die kopernikanische Wende hat das „Buch des Lebens“ neutralisiert, das Licht in das sie die Welt gerückt, konstituiert sich durchs Vergessen. Das Bild der Hölle war der Preis für einen von jeder Erinnerung an Herrschaftskritik gereinigten Himmel. Es war der Preis für die historische Vergegenständlichung und Neutralisierung der Prophetie (die, nachdem Herrschaftskritik durch Judenfeindschaft ersetzt wurde, zum Modell des modernen Nationalismus geworden ist, in dem nicht Gott ein Volk, sondern die Nation in ihrem Gott sich selbst erwählt; jeder Nationalismus ist idealistisch: Idolatrie). War nicht das Dogma das Labor, der Experimentierraum der Aufklärung und des Nationalismus? Läßt die ungeheure Ambivalenz der paulinischen Theologie, in der großartige Einsichten mit einem merkwürdigen Vorurteilsgebräu sich mischen, aus der Verschiebung des Perfekt ins Vergangene im Zusammenhang der Übertragung der Theologie aus dem hebräischen Sprachraum in den griechischen sich ableiten? Hätte Paulus die sprachlogische Differenz zwischen dem Griechischen und Hebräischen und ihre Spiegelungen im Begriff der Objektivität begriffen, seine Theologie hätte die Erfüllung des Christentums sein können. Bezeichnet nicht das Christentum insgesamt die Phase zwischen dem Tod am Kreuz und der Auferstehung: eine 2000-jährige descensio ad inferos?
    Im NT gibt es dreimal den Namen Jakobus (den Zebedäus-Sohn, den Sohn des Alphäus und den Herrenbruder) und zweimal den Namen Judas (Thaddäus und Iskariot). Was bedeuten die Namen Alphäus und Thaddäus (Alpha und ?), und worauf verweist die vergleichbare Namensbildung (die gleich Endung -däus) in Zebedäus und Thaddäus? Ist es von Bedeutung, daß bei Jakobus Verwandschaftsbezeichnungen die Individualität kennzeichnen, bei Judas hingegen „sachliche“, verwandschaftsneutrale Bezeichnungen? Binden und Lösen: Drückt in dem in Antiochien entstandenen Namen der Christen – ähnlich wie im Namen des Paulus oder im Flavius des Flavius Josephus – eine Patronats- und Klientel-Beziehung sich aus? Und haftet diese Struktur (auf der Grundlage der Vergöttlichung Jesu) dem Christennamen nicht immer noch an, während die messianische Erinnerung, die auch darin enthalten ist, vollständig verdrängt ist (die Klientel-Beziehung, deren Spuren bis in den Kern der Theologie hinein sich nachweisen lassen, ist die genaue Umkehrung der messianischen Erinnerung, Produkt ihrer Transformation ins Herrendenken)? Die Schrift sieht in drei Fällen das Verbrennen als Todesstrafe vor: – wenn ein Mann eine Frau und zugleich deren Mutter heiratet (3 Mos 2014), – im Falle der Unzucht der Tochter eines Priesters (ebd 219) und – wenn einer gebanntes Gut (Kriegsbeute) sich aneignet (Jos 715). Hat nicht – die Kirche, als sie sich selbst zum „neuen Israel“ ernannte, eine Frau und zugleich ihre Mutter geheiratet; – war die Einführung des Priestertums, die Schaffung eines neuen Kults die Unzucht der Tochter eines Priesters; – und war nicht der Hellenismus (und in seinem Kern der affirmative Weltbegriff) „Banngut“ im strengen Sinne und das Dogma das Produkt seiner Aneignung durch die Kirche; und waren etwa die Scheiterhaufen der Kirchen, zusammen mit den von ihr genährten Höllenvorstellungen, Formen der projektiven Verarbeitungen einer Schuld, die nach sprachsymbolischer Logik nur durch Feuer sich hätte „sühnen“ lassen? War der Bann das Gegenstück der Heiligung? Beide definieren sich durch ihren Gegensatz zum Eigentum, zum Besitz. Im Zusammenhang des Exodus wurden zweimal Botschafter ins Land Kanaan geschickt: Beim erstenmal gehörte Josue zu den Botschaftern, beim zweitenmal waren es die Botschafter Josues. Zu Jon 1: Wer ist Jona, und wer ist Amittai (2 Kön 1425: Jerobeam, der „tat, was dem Herrn mißfiel“, gewann gleichwohl – auf das Wort des Propheten Jona ben Amittai – das Gebiet Israels zurück, von Hamath bis zum Meer der Araba), wo liegt Gat-Hefer (vgl. Jos 1913: im Gebiet Sebulons, mit anderen Städten, u.a. Bethlehem)?

  • 2.9.1995

    Der Satz „verum, unum et bonum convertuntur“ ist der Statthalter des Staates in der Metaphysik. Sind das unum und bonum nicht zwei Vergewaltigungen des verum?
    Negative Trinitätslehre: Ist nicht der Zusammenhang von Sexismus und Antisemitismus (Ruth) ein Beleg für die Logik der doppelt asymmetrischen Spiegelung? Das Christentum hat diesen Zusammenhang ergänzt und zur Bekenntnislogik stabilisiert durch die die Dogmengeschichte begleitende Verurteilung (und Verfolgung) des Verrats, der Häresien, der Ketzer. Bezieht sich hierauf das Symbol vom Unzuchtsbecher (ist die Bekenntnislogik der Unzuchtsbecher)?
    Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist ein heiliger Boden (Ex 35): Wenn das Attribut der Heiligkeit die Eigentumsfähigkeit und die Idee des Ewigen die Vergangenheit einer Sache (ihre Instrumentalisierung, ihre Verfügbarkeit) ausschließt, dann ist der Weltbegriff die Verkörperung des Unheiligen und des Zeitlichen schlechthin. Deshalb sind Säkularisierung und Verweltlichung identisch. Aber war nicht der Dogmatisierungsprozeß der Prozeß der inneren Verweltlichung des Heiligen und des Ewigen? Und umgekehrt: Verweist nicht der Name des Himmels auf die Grenze der Eigentumsfähigkeit und der Vergangenheit in der Schöpfung (eine Grenze, die durch das Theologumenon von der creatio mundi ex nihilo verwischt worden ist)? Instrument der Säkularisierung, der Verweltlichung, ist die transzendentale Ästhetik (Inbegriff der subjektiven Formen der Anschauung) als Grund des „Reichs der Erscheinungen“, der „Welt“. Natur und Welt sind ästhetische Kategorien (Idee einer Geschichtsschreibung, die den Toten und ihrem Verlangen nach Errettung ihre Stimme leiht).
    Die kirchliche Sündenlehre (die sich fälschlich auf Ezechiels Individualisierung der Schuld beruft) hat das elliptisch-kritische Wort „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ durch Übersetzung in den Indikativ ins Affirmative gewendet, es gleichsam zum Grundgesetz der Exkulpation gemacht. Das Wort macht jedoch Sinn nur post festum, im Hinblick auf vergangenes Tun; ante festum, als apriorischer Freispruch aller Unwissenden, ist es unbrauchbar. Einmal ausgesprochen, ändert es die Situation vollständig: Wer es vernommen hat, kann sich nicht mehr darauf berufen. Einmal ausgesprochen, artikuliert es die Pflicht, sich aus dem Zustand dieser Unwissenheit herauszuarbeiten: die Pflicht zur Selbstaufklärung. Seitdem ist Nichtwissen schuldhaft. Auch darauf bezieht sich das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden kann.
    Der Unterschied zwischen Imperativ und Indikativ im Hinblick auf die Attribute Gottes hängt mit dem Unterschied zwischen der zweiten und der dritten Person zusammen. Der versteckte Imperativ des an die zweite Person gerichteten Indikativs verwandelt das Handeln in ein „Geschehen“, transponiert die zweite in die dritte Person, über die verfügt wird, macht sie zum Objekt, während der prophetische Imperativ (der Indikativ der Lehre) in der dritten Person die zweite erweckt, sie zum Subjekt macht.
    Beispiele für den Indikativ der Lehre sind Sätze wie: „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist“, oder „Nur wer die Last auf sich nimmt, befreit sich von ihr“. Der Imperativ, der in ihnen steckt, öffnet den Weg der Befreiung.
    Der Zustand der Welt läßt sich daran erkennen, daß in dem Augenblick, in dem die Armut allgemein wird, sie nicht mehr erkennbar ist, ein Zustand, der die Wahrnehmung der Armut als Ideologie dem Rechtfertigungszwang (der die Armut leugnet) unterwirft.
    Öffentlichkeit ist heute der Versuch, die Rechtfertigungszwänge der Herrschenden zu Grundprinzipien der Sprachlogik zu machen. Aus sprachlogischen Gründen gibt es keinen „herrschaftsfreien Diskurs“; was nottut, ist allein noch die Reflexion von Herrschaft, die nicht ein für allemal geleistet werden kann, sondern unter dem zeitlichen Gebot der Aktualität steht (das „Licht der Welt“ hat die Dunkelheit der Welt, die in den historischen Prozeß verflochten ist, als Maß). Darin gründet der „Zeitkern der Wahrheit“.
    In diesem Kontext wird erkennbar, was mit dem Durchschlagen des Knotens gemeint war, und weshalb der Knoten, den Alexander durchschlagen hat, heute zu lösen ist.
    Die List der Vernunft ist (auch bei Hegel) der Quellgrund ihrer Dummheit. Gegen sie hilft allein die List der Märchens, die diese Dummheit durchschaut und daraus ihre Handlungskompetenz gewinnt.
    Der Himmel ist Sein Thron, aber zugleich ist Gott der, der auf den Cheruben thront: Was haben die Cherubim mit dem Himmel, und was hat die Merkaba mit dem Wagen im Lied der Lieder zu tun?
    Erscheint das „er sah, er hörte und er gedachte“ nur (oder erstmals) im Lied der Lieder, und hat das „er gedachte“ etwas mit der Schnittstelle zwischen dem Hören und Sehen zu tun (mit dem Licht)?
    Ihr seid das Licht der Welt: Dieser Satz setzt voraus, daß die Welt die Dunkelheit ist und wir das Licht in sie bringen müssen. Das Dunkel wäre anhand der Nazizeit, der Folterstätten der Militärdiktaturen oder der Ereignisse in Bosnien zu demonstrieren. Wäre hier das Licht der Welt nicht eines, das dieses Geschehen so hell und durchsichtig macht, daß es den Mördern die Waffen aus der Hand schlägt (oder das die Mörder auf eine Weise erkennen läßt, was sie tun, daß ihnen die Waffen aus der Hand fallen)?
    Gehört die doppelt asymmetrische Spiegelung nicht zu den Hilfsmitteln, die die Rätsel der Merkaba-Vision einer Lösung näher zu bringen vermöchte?
    Kritik der Grünen: Kann es nicht sein, daß die punktuellen Widerstandsleistungen zwar den poltischen Erfolg der Grünen zu erklären vermögen, während sie zugleich real dazu beitragen, das System zu weitergehenden Modernisierungen anzureizen, deren wirkliche Wurzeln im Dunkeln bleiben und deren Folgen verdrängt und nicht gesehen werden?
    Rückt das „ex nihilo“ in der Vorstellung der creatio mundi nicht die Sache selbst in eine falsche Zeit-Perspektive: Die Welt ist nicht aus Nichts geschaffen, sondern die Welt ist das Instrument der Selbstzerstörung, das Instrument der Erzeugung des Nichts. Das Nichts steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Welt (aber aus diesem Nichts ist die Welt erschaffen).
    Die jüdische Mystik ist eine Apokalyptik im Gewande der Schöpfungslehre.
    War nicht der Faschismus der Urknall, in dem der moralische Kosmos explodiert ist? Die Welt, in der wir leben, ist die Welt, die dieser Urknall hinterlassen hat.
    Das Christentum ist in die Opferfalle hineingelaufen, aus der es nicht mehr herauskommt. Diese Opferfalle ist nicht vom Christentum hervorgebracht worden, sie hat sie vorgefunden: in der politisch-ökonomischen Situation des Römischen Reiches, deren logischer Indikator der Weltbegriff war.
    Binden und Lösen: Zum Weltbegriff gehört die ungeheure Dialektik von Opfer und Königtum. Das Christentum hat diese Dialektik theologisiert, nicht aufgelöst.

  • 1.9.1995

    Haben die Pforten der Hölle etwas mit dem Tor, dem Ort der Versammlung und des Gerichts (mit der ecclesia), zu tun? War die agora das ins Innere der polis verlegte Tor, und entspringt der Handel dem Bereich des Gerichts?
    Die ecclesia, die Kirche, war eine säkulare, keine religiöse Institution, die Nachfolgerin der Versammlung am Tor. Wie weit klingt das im neutestamentlichen Gebrauch des Begriffs der ecclesia noch nach (insbesondere bei Mt, in der Apg und in der Off)? Das mulier taceat in ecclesia wäre dann nicht auf den sakralen Ort, sondern auf diese „Versammlung“ zu beziehen. Daß die Kirche dann Nachfolgerin des Tempels (mit Opfer und Allerheiligstem) geworden ist, läßt sich aus ihrem Ursprungsbegriff nur im Kontext ihrer kosmologischen (weltkonstituierenden) Funktion ableiten. Die Resakralisierung der Kirche, der neue Opferbegriff, war das Korrelat der Verzauberung der Welt, die das Objekt und die Voraussetzung der modernen Aufklärung war.
    Ecclesia wird in der Regel in der Apostelgeschichte mit Kirche, in der Johannes-Apokalypse hingegen mit Gemeinde übersetzt. Werden hier nicht Spuren verwischt? Seit diesem Präzendenzfall glauben Theologen und andere kirchliche Autoritäten (seit dem Ende des Faschismus auch Laien, an denen Adorno schon wahrgenommen hat, daß sie heute bereits so schlau sind wie früher nur ein Kardinal) den Autoren der Schrift vorschreiben zu können, was sie „eigentlich“ gemeint haben.
    Der Protestantismus hat aus der zum Tempel gewordenen Kirche eine Synagoge (den Ort einer neuen Nationalreligion) gemacht.
    Wann und auf welche Weise ist aus der Versammlung am Tor das synhedrion, der Hohe Rat, geworden? Hat nicht Pilatus wieder am Tor gesessen, mit der Versammlung als Chor? War das der Gründungsakt der Kirche?
    Der Weltbegriff begründet und sanktioniert den Konkretismus und die Personalisierung (Personalisierung und Konkretismus sind die Verführungen zur Sünde der Welt: die Kehrseite der Instrumentalisierung). Deren Kritik setzt die kritische Reflexion des Weltbegriffs voraus. Aber ist diese Kritik heute nicht versperrt? Was die Reflexion des Weltbegriffs verhindert, ist die Grenze zur Vergangenheit, die der Faschismus (als Instrument der Vergesellschaftung der Naturwissenschaften), der die Zukunft ausgelöscht hat, in Deutschland neu definiert hat. Dem Fluch der „Gnade der späten Geburt“ vermag keiner der Nachgeborenen zu entrinnen: gemeinsam mit der ebenso ungeheuerlichen Bekenntnislogik, die nur noch verurteilt, nicht mehr begreift, schirmt die Ungeheuerlichkeit dessen, was geschehen ist, diese Vergangenheit gegen jede Reflexion ab; diese Vergangenheit ist nur noch vergangen, der sich identifizierenden Erinnerung nicht mehr zugänglich. Das ist der letzte Sieg Hitlers.
    Die intentio recta ist in ihrem Ursprung durch die Internalisierung der Schicksalsidee, in ihrer modernen Gestalt durch die Ohrenbeichte, das Zölibat und das Konstrukt des Fegfeuers (die verzauberte Welt als Ursprungsort des Inertialsystems) vermittelt.
    Der Sabbat als Symbol der Lehre: Hat nicht der Sabbat (wie dann auch der Indikativ der Lehre) Gott von der Last des Imperativs befreit? Die Ruhe des Sabbats ist das Gegenteil der Friedhofsruhe (und der Indikativ der Lehre das Gegenteil des historischen Indikativs). Sind nicht die antisemitischen Grabschändungen ein apokalyptisches Symbol? Grabschändungen sind Mutproben im Anblick der Idee der Auferstehung der Toten, an die keiner mehr glaubt.
    Die kopernikanische Wende hat in der Natur die Friehofsruhe hergestellt (und mit dem Himmel die Erinnerung an den Sabbat zerstört).
    Kommt die Wendung „unter der Sonne“ noch an anderer Stelle, außerhalb des Buches Kohelet, vor, und was bedeutet sie (dazu gehört das „nichts Neues“, die Leugnung der Zukunft)?
    Haben die Sterne des Himmels etwas mit den himmlischen Heerscharen zu tun, und sind die Planeten die Wächter dieser Heerscharen (die Versiegelung des Abgrunds, aber auch der Schlüssel zum Abgrund)?
    Beerscheba: Schwurbrunnen und Siebenerbrunnen. Hat das etwas mit den Planeten zu tun?
    Ist der Bogen eine Spiegelung des Gewölbes an den Wolken?
    Das Moment der asymmetrischen Spiegelung aus seiner trinitarischen Gefangenschaft befreien. Ist die Trinitätslehre der Bogen in den Wolken am Himmel der Geschichte, der das Ende der Sintflut des mythischen Zeitalters anzeigt?
    Franz Rosenzweig hat einmal die Vermutung geäußert, daß, wenn ein Christ den Stern der Erlösung geschrieben hätte, er ihn in der Sprache des Neuen Testaments geschrieben hätte. Hier irrte R.: Das Neue Testament hat keine eigene Sprache, seine Sprache ist die des Alten Testaments, und nur wer diese wiedererweckt, bringt das Neue Testament zum Sprechen. Das Neue Testament ist kein Problem der Sprache, sondern eines der Logik der Schrift; deshalb ist es bis Hegel als Offenbarung der Trinitätslehre begriffen und erfahren worden.
    Die Trinitätslehre ist die Endlösung eines logischen Problems, aus dessen Bann wir nur mit Hilfe von Joh 129 werden heraustreten können. Voraussetzung wäre, daß Joh 129 ins Nachfolgegebot mit hereingenommen wird. Die Trinitätslehre ist die Ursprungsgestalt der Idee des Absoluten, und diese das Produkt der Selbstreflexion der Subjektivität im Unendlichen. Die Einheit des Absoluten (die in der Trinitätslehre durch die homousia garantiert wird) ist das Bild der Einheit des Subjekts (und deren erster Repräsentant der Monarch, der Kaiser Konstantin).
    Wenn die Beziehung von Vater und Sohn die einer asymmetrischen Spiegelung ist, welche Bewandnis hat es dann mit der Beziehung von Vater und Tochter, von Mutter und Sohn? Gibt es so etwas wie eine doppelt asymmetrische Spiegelung (Ergänzung der genealogischen durch die Geschlechterspiegelung)? Und liegt hier nicht das Problem und die Kraft der feministischen Theologie?
    Die Psychoanalyse war der erste Versuch, das Problem der doppelt asymmetrischen Spiegelung (am Beispiel der Hysterie) zu lösen.
    Verweist nicht der apokalyptische Unzuchtsbecher auf dieses Problem der doppelten Spiegelung, liegt hierin nicht die Differenz zum Zornes- und Taumelbecher (männlich und weiblich schuf er sie)?
    Liegt hier der Grund, weshalb die Frage des sexuellen Mißbrauchs von Kindern (real und in der öffentlichen Aufmerksamkeit) nach dem Krieg öffentlich geworden ist, öffentliche Relevanz gewonnen hat?
    Die Vater-Sohn-Beziehung (die Genealogie) war ein Konstrukt zur Stabilisierung des Zeitkontinuums (der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit), die Vater-Tochter-Beziehung sprengt das Zeitkontinuum. War die Tochter Zion die erste Reflexionsgestalt dieses Problems (und das Hohelied der Focus)? Vgl. die übrigen Tochter-Stellen (von den Töchtern Adams, den Menschentöchtern, über die Töchter Noes bis zu den Töchtern Jerusalems und Zions; vgl. auch den „einzigen Sohn einer Witwe“ und die Tochter des Jaïrus). Wann hat in der biblischen Symbolik die Tochter (Jerusalems oder Zions) die Gattin (JHWHs) ersetzt? Rührt das nicht an das Wer im Namen des Himmels, das Feuer?
    Waren nicht die Kirchenväter in der Regel die Söhne frommer Mütter (Basilius und Gregeor, Augustinus, auch Konstantin), während die Ordensgründer fromme Schwestern hatten (Benedikt, Franziskus)?
    Zu Basilius: Der Regenbogen ist auf die Vater-Sohn-Beziehung anwendbar, nicht auf die Vater-Tochter-Beziehung. Ist der Bogen ein Symbol des Patriarchats?
    Zur Trinitätslehre: Hat der Vater im Himmel und der Geist auf Erden den Sohn gezeugt? Wie aber kann dann der Geist „aus dem Vater und dem Sohne“ hervorgehen. Steckt darin nicht das Problem der doppelt asymmetrischen Reflexion, das Rätsel des Raumes, auf das die Trinitätslehre versiegelt ist? Die Form des Raumes ist das Instrument des Bildes, der Grund der Logik der Instrumentalisierung.
    Das tohu wa bohu (wüst und leer) ist eine asymmetrische Spiegelung, ein Bild der Vater-Sohn-Beziehung, während die Logik der Tochter-Beziehung auf den Geist verweist. Gibt es eine Hilfe zur Auflösung dieses Strukturproblems in der Apokalypse? Hängt die Rezeption der Opfertiere mit diesem Strukturproblem zusammen: Ist die Verdrängung des Stieres, des Rindes, eine Folge der Ersetzung des Namens durch die Vater-Sohn-Beziehung? Verweist nicht das Spottbild vom gekreuzigten Esel auf die Esel-Lamm-Beziehung, und kehrt nicht die Taube in der Gestalt des Geistes wieder?
    Das Tor/der Tor: Die Versammlung im Tor ist durch die Herrschaft Babylons zu einer Versammlung von Toren (idiotes) geworden.
    Gehört nicht zur Vorgeschichte des Buches Rut (Rut war eine Moabiterin) die Geschichte von den Töchtern Lots (die ihren Vater trunken machen, um die Generationenfolge sicherzustellen) und von Lots Weib (die im Anblick der Katastrophe zur Salzsäule erstarrt)?
    Ist die Magd des Herrn nicht die Gottesknechtin (ein Übersetzungsproblem ähnlich den sieben „Gemeinden“ in Asien, die eigentlich Kirchen sind)?
    Als Juda von der Schwangerschaft seiner Schwiegertochter Tamar erfuhr, sollte sie verbrannt werden (1 Mos 3824). Warum nicht gesteinigt? – Die Thora sieht in der Regel die Steinigung als Todesstrafe vor, nur in 3 Mos 2014 (wenn ein Mann eine Frau heiratet und ihre Mutter dazu, so ist das eine Schandtat), ebd. 219 (wenn sich die Tochter eines Priesters durch Unzucht entweiht: sie entweiht ihren Vater) und Jos 715 (wer im Besitze des Gebannten betroffen wird, den soll man verbrennen samt allem, was er hat) ist das Verbrennen vorgesehen.
    Die physikalische Unsterblichkeit, auf die selbst die Herder-Korrespondenz jetzt hinzuweisen sich gedrängt fühlt, wirft endlich das nötige Licht auf eine Idee des Absoluten, die an dieser Art der Aufhebung, der subjektlosen Erinnerung, der Ästhetisierung ihre Substanz hat. Die Idee der Unsterblichkeit bezieht sich nicht auf das mediale Überleben in einem Buch oder in einem Computer (die ebenso zerstörbar sind wie die physische Existenz der Menschen).
    Der Urknall hat mehr mit Auschwitz und mit Hiroshima (mit der Apokalypse) zu tun als mit dem Schöpfungsbegriff. Zu den Konstituentien der Vorstellung vom Urknall gehört die Logik der Spiegelung, die die virtuelle Zeitumkehr (als Grund der transzendentalen Ästhetik) mit einschließt: Der Urknall projiziert das Ende in den Anfang.
    Hat nicht das Vater-Sohn-Problem etwas mit der Gravitation, das Vater-Tochter-Problem mit der Elektrodynamik zu tun? Das würde ein Licht auf die Bedeutung der speziellen Relativitätstheorie werfen.
    Die „liebende Zustimmung Marias“ zum Foltertod ihres Sohnes am Kreuz (sh. Weltkatechismus) erinnert an den verordneten Stolz der Mütter, die beim „Heldentod“ ihrer Söhne im letzten Krieg nicht einmal mehr trauern durften. Das Vaterland erträgt keine Trauer über das, was es anrichtet.
    Wie würden wir diese Welt wahrnehmen, wenn es kein Fernsehen gäbe? Wer könnte sie ohne diese Dauerablenkung, diese organisierte Dauerverdrängung, noch ertragen?

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