Antisemitismus

  • 29.8.1995

    Rührt nicht die Trennung der Zeugung von den Toledot und ihre Hereinnahme in die Trinitätslehre an den Grund der Sexualmoral und der kirchlichen Frauenverachtung zugleich? Wie hängt das „Zeugen“ in der Trinitätslehre mit deren desensibilierenden Wirkung zusammen, mit der Zerstörung der Barmherzigkeit?
    Ist Tamar, die sich von Juda den Siegel, die Schnur und den Stab geben läßt (und deren Name in einer Spiegelgeschichte bei David wiederkehrt), die Kirche? (Was bedeutet die Schnur?) Vgl. hierzu, die Vorgeschichte (Einschub in die Josephs-Geschichte: Juda zieht, nachdem seine Brüder den Joseph an die Ismaeliter verkauft haben, von seinen Brüdern weg, heiratet eine Kanaaniterin …; erst danach beginnt die Geschichte Josephs in Ägypten). Wer ist der dritte Sohn Judas (Sela)? Rahab (deren Name auch der des Meeresungeheuers ist) kommt in der nachfolgenden fünften Generation in die Geschichte herein, Ruth in der sechsten. Alle vier Frauen haben mit der Juda/David-Geschichte zu tun. – Haben Jakob/Alphäus und Judas/Thaddäus etwas mit dieser Geschichte zu tun?
    Theologie im Angesicht Gottes hat nicht mehr Gott zum Gegenstand, sondern die Welt, die sie im Lichte seines Angesichts erkennt.
    Klara Butting vergleicht den Harem des Königs, das Frauenhaus, in dem die Mädchen „eingesammelt“ werden, mit den Getreidelagern, in denen Josef das Getreide einsammeln läßt (vgl. Est 23 und Gen 4134-37, Die Buchstaben …, S. 67).
    Sexismus und Antisemitismus: Waschti weigerte sich, sich vor den Augen aller ausstellen zu lassen; Mordechai weigerte sich, vor Haman das Knie zu beugen (Est 112 und 32).
    Glaube ohne Hoffnung und Liebe: Der Vertrauens-Slogan der Deutschen Bank ist einseitig; er gilt als Aufforderung an potentielle Kunden, der Bank Vertrauen zu schenken, er gilt nicht für die Beziehung der Bank zu potentiellen Kunden (hier gibt es die Schufa). Sein Modell sind die das Vertrauen ihrer Kinder einfordernde Autorität der Eltern oder das Vertrauen des Bürgers in den Staat. Der Begriff des Vertrauens ist theologischen Ursprungs: begründet wäre er allein als Ausdruck der Beziehung des Menschen zu Gott. So liegt er dem Begriff des Glaubens zugrunde, der ihn durch Universalisierung ins Eindimensionale verfälscht und für Autoritäts- und Reklamezwecke verfügbar macht, z.B. für die Werbung der Deutschen Bank, die, wenn sie Vertrauen sagt, eigentlich Glauben meint. Es ist die gleiche Einseitigkeit, die den Monolog, die Predigt, die Vorlesung, die Medien, das Radio, das Fernsehen, das Gesetz, die Verwaltung, die Wissenschaft und das Gerede: die m.e.W. jegliche Form der intentio recta und mit ihr jede Objektbeziehung charakterisiert (die deshalb als Grundform der Herrschaftsbeziehung sich erweist). Diese Einseitigkeit trennt den Objektivierungsprozeß (und das Reich der Erscheinungen, das er begründet und in dem er sich bewegt) von der Wahrheit. Sie selber gründet in den subjektiven Formen der Anschauung (auf die das biblische Kelchsymbol sich bezieht).

  • 23.8.1995

    Wenn der Bann (gegen Amalek oder die Kanaaniter) gegen die ökonomische Motivation, gegen das Beutemachen, sich richtet, dann schließt er auch den Erwerb von Sklaven durch Kriege aus: dann ist er gegen den Ursprung des Handels gerichtet (gegen „Kanaan“ auch in diesem Sinne). Ausgeschlossen sind somit alle Formen der Razzia (Überfälle, die zum Zweck des Beutemachens geführt werden).
    Das Barock hat das System Achaschwerosch (den demonstrativen Pomp als Quelle des Sexismus und des Antisemitismus) auf der Stufe des Feudalsystems vergesellschaft. Heute hat diese Vergesellschaftung alle erreicht: als Faschismus.
    Wann taucht der Name des Volkes (der als Plural sich konstituiert) erstmals in der Schrift auf? Und erscheint er nicht jedesmal in der Konstellation „Völker, Stämme, Nationen, Sprachen“, insbesondere bei Daniel (bzw. in der Apokalypse, zuvor aber schon vollständig in Gen 10/11, dann in Ansätzen bei Esth, Jes, Ez)?
    Ist nicht der Name des „auserwählten Volkes“ ein Name, der den nationalen (= indikativischen) Mißbrauch grundsätzlich (schon aus sprachlogischen Gründen, die mit der Beziehung des Gottesnamens zur Sprache, zu ihrer Namenskraft, zusammenhängt) ausschließen sollte? Hinweis: Das Subjekt der Psalmen ist keine Privatperson, sondern (das etwa in Davids Königtum sich verkörpernde) Israel.
    Geschichtsphilosophie des Volkes: Stämme sind Lebensgemeinschaften, Völker Schicksalsgemeinschaften, Reflex des Ursprungs und der Geschichte des Weltbegriffs. Der Name des Volks entspringt gemeinsam mit der Institution des Königtums. Der Name des Volkes gründet in herrschaftsgeschichtlichem Kontext.
    Hängen nicht Struktur und Funktion des Islam damit zusammen, daß hier der „Übergang“ in die Welt vermieden, die „Sünde der Welt“: der Prozeß der Individuation, nicht vollzogen wurde. So konnte der Bann der Stammesgesellschaft nicht gebrochen werden. Der Islam ist der (mißlungene) Versuch, in einem „vorweltlichen“ Unschuldszustand zu verharren. Deshalb ist der Übergang in den Säkularisationsprozeß so schwierig (und deshalb hat der Islam diese Anziehungskraft für Völker, die dem Eintritt in die säkularisierte Welt sich widersetzen).
    Gibt es im Islam die Institution des Königs? Und ist nicht die Prophetie – als deren Widerpart – an diese Institution gebunden? Ohne die Institution des Königs verändert sich auch die Prophetie, und zwar sowohl im Islam (mit Muhammed, der nur noch der Sekretär eines Gottes ist, der seinen Koran selber schreibt) wie auch im Christentum. Auch Jesus war ein Prophet, aber einer, der nicht mehr den König, sondern den Caesar als Objekt hat, und deshalb mit den Insignien eines zur Schande, zum Spott gewordenen Königs (Dornenkrone, „Jesus Nazarenus, Rex Judaeorum“) ans Kreuz geschlagen wurde.
    Die Reflexion der Grammatik hat die Spuren der Herrschaftsgeschichte in der Sprache zum Gegenstand.
    Kruzifix-Urteil: Als Instrument der Rechtfertigung ist das Bekenntnis zynisch: die Verharmlosung einer tödlichen Waffe (und die Verdrängung des Bewußtseins seiner Außenwirkung).
    Der „Mut zur Bürgerlichkeit“ (Odo Marquard in der FR vom 22.8.95) erinnert nicht zufällig an den „Mut zur Erziehung“; zu fordern wäre, diesen Mutbegriff endlich einmal zu reflektieren. Dieser Mut ist Ausdruck der Feigheit, die dem, was ohnehin alle denken, nicht mehr entgegen zu treten wagt. Dieser Mut erinnert an die faschistoiden Mutproben von peer-groups, an die gemeinschaftsstiftende Kraft z.B. von Grabschändungen (die auf einen ähnlichen gruppendynamischen Hintergrund zurückweisen), oder an einen soldatischen Mut, der nur zu feige ist, den mörderischen Handlungen, an denen er teilzunehmen sich gezwungen sieht, sich zu widersetzen (und sein Gewissen, den „inneren Schweinehund“, durch die Vorstellung der Ehre übertäubt). Es sollte eigentlich eine Warnung sein, daß der faschistische Mut, der aus dieser Konstellation erwachsen ist, seit je an den Schwächsten (an Juden, Frauen, Ausländern, Behinderten) sich abreagierte (und heute wieder abreagiert). Der Mut gehört zur Bekenntnislogik, diese aber ist ein Produkt des Herrendenkens, das von seinem theologischen Ursprung sich emanzipiert hat. Und der „Bürger“, auch wenn er heute kein „Untertan“ mehr ist, ist längst zur Parodie der hegelschen Dialektik von Herr und Knecht geworden: die reinste Verkörperung einer Knechtsgesinnung, die ihren eigenen Herrn noch überlebt und darin den Grund seines Herrendenkens findet.
    Läßt sich bei Jeremias (oder überhaupt bei den „großen“ Propheten) nicht die Konstellation, der der Übergang vom Namen der Hebräer zu dem Juden sich verdankt, rekonstruieren? Ich denke an die Beziehung des Satzes „Bete nicht mehr für dieses Volk“ zu dem anderen „Bete für das Wohl der Stadt“ (zusammen mit einigen anderen Motiven, die genau zur Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs und deren Zusammenhang mit der „babylonischen Gefangenschaft“ paßt)? – Dazu gehören das „Grauen um und um“, der Gottesknecht des Deuterojesaia, die Visionen des Ezechiel.
    Differenz im Begriff des Daseins: Bei Heidegger bezeichnet er das reine deiktische Moment des Draußen (der Geworfenheit), während er im Gottesnamen in der buber-Rosenzweigschen Bibel-Übersetzung das Bei-uns-Sein Gottes bezeichnet, Seine Barmherzigkeit. Der Name der Barmherzigkeit ist nichts, ist wesenlos und gegenstandslos ohne die Idee der Heiligung des Gottesnamens. Heiligung des Gottesnamens, das heißt: das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen.
    Wird nicht der Glaube im Angesicht Gottes aus seiner Beziehung zum Wissen (die ihn verhext) herausgelöst und zum Vertrauen?
    Macht die Rechtfertigungslehre seit Luther nicht einen unzulässigen Gebrauch von dem Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (und gilt dieser Satz nicht im Kern schon fürs Dogma, insbesondere für die Trinitätslehre)?
    Handelt es sich bei dem Himmel, der am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollt, um das Werk des zweiten Tags: das Gewölbe, die Feste des Himmels? Und erscheint darin nicht das Jüngste Gericht (in dem jeder sich selbst wiedererkennt), das aufgedeckte Angesicht, der geheiligte Name Gottes, das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht?
    Zum Unterschied zwischen Himmel- und Gottesreich: Gebunden und gelöst wird (so wie zuvor auf Erden) im Himmel, nicht „in Gott“.
    Darin, daß das Licht vor den Leuchten erschaffen wurde, liegt die biblische Begründung der Kritik der Verdinglichung.

  • 22.8.1995

    Die Bemerkung Wilhelm Salbergs, „das Judentum kenne keine Erbsünde, mithin auch keine individuelle Erlösung (wohl aber eine kosmische)“ („Auschwitz als Herausforderung, Heidelberg 1980, S. 525), verweist auf den gemeinsamen Ursprung des Begriffs der Erbsünde und des Weltbegriffs. Gehört das nicht mit zur Esther-Geschichte, in der der Weltbegriff zusammen mit dem Sexismus und dem ersten manifesten Antisemitismus erscheint. Frauenfeindschaft und Antisemitismus sind Konstituentien des Weltbegriffs, sie gehören mit zu seiner Ursprungsgeschichte, die der Sache nach mit Babylon beginnt. Die babylonische Gefangenschaft und das Exil der Schechina gehören seitdem zu der Vergangenheit, die nicht vergeht.
    Wie verhält sich das Buch Esther zu dem Ereignis, das Heinsohn u.a. die „Venuskatastrophe“ nennen: Ist nicht die astrologische Komponente (Esther = Ischtar, Mardochai = Marduk) ein Hinweis, daß in dieser Konstellation die dann an den Himmel projizierte gesellschaftliche Naturkatastrophe (Ursprung des Staates und des Vorurteils: des Sexismus und des Antisemitismus) zu suchen ist? Gehört das Buch Esther nicht in den Zusammenhang, der Astronomie und Staat an einander bindet? (Haben die drei Weisen aus dem Morgenland, die „seinen Stern gesehen“ haben, etwas mit dieser Geschichte zu tun?)
    Die Lösung des Problems der Apokalypse ist ohne den Hintergrund einer negativen Kosmologie nicht zu gewinnen. (Die Lösung auch der Frage, weshalb diese Texte den Eindruck von Artefakten und Kollagen machen.)
    Messianische Wehen: Liegt nicht das Problem der Apokalypsen darin, daß sie unter dem Bann des gleichen Weltbegriffs stehen, dessen Kritik in ihnen enthalten ist (und heranreift). Steht nicht die Apokalypse (wie auch ihr Säkularisat, die Hysterie, zu der sie in einer durchaus logisch-systematischen Beziehung steht) in der Nachfolge des Mutterschoßes, aus dem Gott zuvor seine Propheten berufen hat (das kostbare Gefäß Seiner Barmherzigkeit)?
    Welche Rolle spielt der Name Israel nach der babylonischen Gefangenschaft? (Die Namen Israel und JHWH kommen in Esther, Kohelet und im Hohenlied nicht vor, im Buch Daniel nur in 13 <Israel> und Kap 9 <Israel und JHWH>. Wird nach der babylonischen Gefangenschaft der Name der Hebräer durch den der Juden ersetzt, und liegt die Differenz im Vorurteil, in der „Judenfeindschaft“?)
    Alle Frauen im Stammbaum Jesu im Matthäus-Evangelium gehören zur Ursprungsgeschichte der „Juden“ (Thamar, Rahab, Ruth und „die Frau des Urias“). Und alle Frauen sind Fremde (Thamar offensichtlich eine Kanaaniterin, Rahab aus Jericho, Ruth eine Moabiterin und Batseba, „die Frau des Urias“, die Frau eines Hethiters).
    Das Problem des Bibel-Verständnisses ist auch auch ein sprachgeschichtliches Problem. Es löst sich auf, wenn es gelingt, den Bann des Indikativ, der auf der Sprache lastet, zu sprengen (Indikativ: „die Form der neutralen, sachlichen Aussage“, vgl. Lexikon der Sprachwissenschaft, S. 330). Vgl. den Begriff der „Wirklichkeit“ und Hegels Entfaltung dieses Begriffs in der Logik. Wirklichkeit ist ein herrschaftsgeschichtlich vermittelter Begriff.
    Das Referenzsystem der Wirklichkeit (der „Realität“) ist das Inertialsystem (Äquivalent des Selbsterhaltungsprinzips), das über die Vorstellung des Zeitkontinuums auch die Geschichte (und zwar von ihrem Ursprung her als Nationalgeschichte) konstituiert.
    Die Beziehung des zweiten zum ersten Teil des Sterns entfaltet die Differenz zwischen dem Begriff des Überzeitlichen und der Idee des Ewigen.
    Wer die Erlösung an die Trinitätslehre bindet, macht sie zu einem Bewußtseinsakt. Er stellt das Licht unter den Scheffel, und er löscht den Funken.
    Der Name, das Angesicht und das Feuer bilden eine Konstellation. Beziehung zur Trinitätslehre: Ist nicht der Sohn die „Erscheinung“, der Heilige Geist das Leuchten Seines Angesichtes (in dem übrigens allein die „Erscheinung“ sichtbar wird)? Zwischen dem Erscheinen und dem Leuchten liegt die Heiligung des Namens (das die Sprache reinigende Feuer). Sind nicht alle Stellen in der Schrift, in denen vom „Bekenntnis des Namens“ die Rede ist, zu übersetzen mit „Heiligung des Namens“?
    Der Begriff des Blutes erinnert nur noch ans Schlachten, ans Töten. Das hat die Opfertheologie in den blasphemischen Zusammenhang gerückt, dem auch die Trinitätslehre angehört. Sie steht in der Tradition des Blutes Abels, das zum Himmel schreit. Die andere, mit dem Tötungsverbot verknüpfte Tradition ist die, die das Blut auf die Seele bezieht (eine Tradition, die eher das Schächten zu begründen vermag als das „humane“ Schlachten im Schlachthaus). Zwischen beiden Traditionen steht die kopernikanische Wende (gleichzeitig mit dem heliozentrischen System wurden der Blutkreislauf entdeckt, durch die Einführung der Lohnarbeit die Zirkulation – und damit die Selbstkonstituierung – des Geldes begründet sowie die Erlösung als Rechtfertigung an das Bekenntnis der Trinitätslehre gebunden). Erst mit der Öffnung des („unendlichen“) Raumes haben die Dinge sich verschlossen, sind sie zu Dingen geworden. Aber diese Öffnung des Raumes steht unter dem Wort: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
    Die Lastschrift, das Verwaltungshandeln und das Schuldverschubsystem (stand nicht am Ursprung der Schrift die Lastschrift?).
    Gog und Magog (Ez 38/39, Off 208): Hat das Ma- in Magog etwas mit dem Ma- in Majim zu tun (Gog/Agag = tectum, Magog = de tecto)? Der Judenfeind Haman, ein Agagiter, im Buch Esther: ein Amalekiter (Amalek = populus lambens)?
    Die Dialektik ist die Verletzung des Verbots, mit Rind und Esel gemeinsam zu pflügen, durch seine Instrumentalisierung: Sie subsumiert den Esel unter die Gattung der Rinder. Ist die Trinitätslehre das Exil der Schechina?

  • 12.8.1995

    Wie der Indikativ die Herrschenden schützt, oder über den Ursprung des Widerstands gegen die Sprachreflexion: Wie kann einer sagen: „Von Vergewaltigungen habe ich in der Nazizeit nichts gehört“, ohne daß es ihm der Gedanke brennend auf die Seele fällt, daß der Faschismus die totalisierte Vergewaltigung ist?
    Der Indikativ ist die Gleitschiene der Schuldverschiebung, die Rutschbahn der Erkenntnis.
    Die Grenze zwischen dem Hebräischen und den indoeuropäischen Sprachen läßt sich am Schicksal des Perfekt demonstrieren: Während es im Hebräischen auf eine vollendete Handlung (in letzter Instanz auf die zukünftige Welt, in der Gerechtigkeit und Friede sich küssen) sich bezieht, wird es im Indoeuropäischen zur abgeschlossenen Vergangenheit: Das Perfekt bezeichnet eine Handlung, ein Geschehen, in die (wie in die Vergangenheit und in die Natur, deren Begriff in dieser Konstellation gründet) nicht mehr eingegriffen werden kann. Damit hängt es zusammen, wenn beim indoeuropäischen Perfekt die Trennung von Sein und Haben (der Ursprung der Hilfsverben) einsetzt, eine Folge der Verschiebung des Perfekts ins Vergangene (auch das auf der Gleitschiene des Indikativs). Diese Verschiebung ins Vergangene (die Beziehung des Perfekts aufs Zeitkontinuum anstatt aufs Handeln) ist die Voraussetzung des Objektbegriffs, dessen grammatischer Repräsentant das Neutrum ist. Nur im Kontext dieser Sprachlogik konnten die Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt sich bilden.
    Die Unterscheidung von Perfekt und Imperfekt war einmal der Grund der Unterscheidung dieser (imperfekten) Welt von der zukünftigen (vollendeten) Welt, der Katastrophe von der Rettung. Mit der Subsumtion des Perfekt unter die Vergangenheitsform (der apokalyptischen Sprach-Katastrophe) hat sich auch die Beziehung dieser (gegenwärtigen, imperfekten) zur zukünftigen Welt, die aufs Handeln der Menschen zurückweist, verändert. Der Weltbegriff ist ein Ausdruck dieser Veränderung: ein Ausdruck der Neutralisierung dieser Beziehung. Die zukünftige Welt wurde als Himmel und Hölle zu einem Teil des Kosmos, der Welt, die von Gott geschaffen, dem Menschen wie die Natur nur vorgegeben, seinem Eingriff entzogen ist. Aufgelöst wurde die Handlungsgemeinschaft mit der zukünftigen Welt, der Grund des göttlichen Gebots: War das nicht die „Sünde wider den Heiligen Geist“, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden kann (oder der durchschlagene Knoten, der, wenn er auf Erden gelöst wird, auch im Himmel geslöst sein wird)?
    Die Justiz gehört (wie die Philosophie und die Wissenschaften) zu den Indikativ-Erzeugungsmaschinen. Die entscheidende Erfindung war die des Urteils.
    Das Präfix Ge- (gestorben, Gehölz) bezeichnet sowohl das Perfekt als auch das Kollektiv-Abstraktum, die Ursprungsform des Neutrum.
    Eine Kirche, die ihre vergangenen Handlungen nicht gegen sich gelten läßt, wendet die exkulpierende Kraft des Perfekts auf sich selber an.
    Die Apokalypse bezieht sich auf die Endzeit, aber diese Endzeit liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit. Auch die Apokalypse ist eine ätiologische Literaturgattung, Versuch der Rekonstruktion eines Geschehens post festum: die Ursachen einer Katastrophe werden „aufgedeckt“, nicht drohend auf die Folgen eines Handelns hingewiesen. Die Apokalypse ist ein Mittel der Angstbearbeitung, nicht der Angsterzeugung.
    Der Ursprung des Weltbegriffs, die Sprachkatastrophe, die er bezeichnet, ist die Vergangenheit des Weltuntergangs.
    Der Verführbarkeit der Philosophie zum Nationalismus ist in der Idee des Guten begründet, in der Hypostasierung dieses Begriffs. Der Ursprungsort des modernen Nationalismus lag in dem scholastischen Satz „Unum, verum et bonum convertuntur“. Wer die Einheit und das Gute in den Begriff des Wahren mit hereinnimmt, macht das Wahre zum „bacchantischen Taumel, in dem kein Glied nicht trunken ist“ (Hegel). Beide, die Einheit wie das Gute, sind in dieser Konstellation Repräsentanten und Statthalter der Subjektivität, der Hybris, sie begründen die Einheit der Welt und des Subjekts, ihr Korrelat ist das Absolute, nicht Gott. Nicht die Wahrheit, sondern allein Gott ist Einer, und nur Gott ist gut. Die Einheit und das Gute waren Konstituentien der noesis noeseos, des Gottes der Philosophen, der Selbstreflexion der Identität des Subjekts im Unendlichen, sie waren tendentiell antisemitisch.
    „Ihr laßt die Armen schuldig werden“: Der Kapitalismus hat das Schuldverschubsystem zu einem Sündenverschubsystem gemacht. Diese Welt verstrickt nicht mehr nur in Schuld, sie zwingt zur Sünde, zur tätigen Komplizenschaft.
    In der christlichen Geschichte gibt es zwei monarchische Traditionen, deren eine (die Kaiser-Tradition) auf das Römische Imperium, auf die Caesaren-Tradition zurückweist, während die andere, (die Königs-Tradition) an die messianische Tradition des israelischen Königtums, an die David-Tradition anknüpft. Die caesarische Tradition hat ihre Spuren im Dogma hinterlassen (insbesondere im Begriff der homousia, der den imperativen Kern der Theologie in den Indikativ zurückübersetzt), sie hat zweifellos auch das Verständnis der Theologie, insbesondere der Trinitätslehre, im Innern geprägt. Kann es sein, daß das Dogma in der Königs-Tradition (in England, in Frankreich, auch in Ungarn) im Kontext anderer Symbole und Begriffe verstanden worden ist, eine andere Tradition begründet hat? Unterscheiden sich die caesarische und die davidische Tradition nicht vor allem durch ihre Beziehung zum Opfer: Während der Kaiser Herr des Opfers war, war der König seine Verkörperung? Gründet der Unterschied zwischen der deutschen und den anderen modernen Sprachen in diesem Sachverhalt?

  • 10.8.1995

    Die Welt konstituiert sich im Kontext von Herrschaft.
    Die Aufteilung der Welt durch die Logik der Medien in Fakten und Meinungen verwischt u.a. den Unterschied zwischen Skandal und Sensation, sie öffnet die Schleusen des Geschwätzes. Zugrunde liegt die Trennung von Ding und Sache, die am Ende dazu führt, daß die Sache aus dem Blick verschwindet.
    Der Weltbegriff läßt sich durch seine Kraft der Selbstlegitimation definieren. Vorausgesetzt ist die Neutralisierung des Subjekts zum abstrakten Selbst, zur abstrakten Identität: Diese Identität ist der Ort der Eins, an dem die Wasser sich sammeln, damit das Trockene sichtbar wird. Und dieses Sichtbarwerden des Trockenen ist die Selbstlegitimation, die Selbstbezeugung der Welt.
    Drückt das Bubersche „er rief“ (anstelle des sonst üblichen „er nannte“) nicht etwas von der katastrophischen Qualität des Schöpfungsberichts aus? Der Rufende ist der Einsame (der „Rufer in der Wüste“), das Rufen Ausdruck das des Verlangens nach einem, der antwortet.
    Die Opfertheologie leugnet die göttliche Barmherzigkeit, macht Gott zum Angeklagten. Nur im Kontext der Opfertheologie gibt es eine Theodizee.
    Der Verzicht auf die Reflexion der Form des Raumes löscht die Erinnerung an die Barmherzigkeit, sie entzieht der Reflexion von Herrschaft den Boden, sie ersetzt das Hören durch den Gehorsam: Sie zerstört den Grund der Sprache: den Gottesnamen. Ist nicht die ganze Geschichte des Christentums in diese Geschichte verstrickt?
    Zum theologischen Problem der Beweislogik: Die Theodizee macht Gott (durch das Mittel der Beweisumkehr) zu einem Objekt des Schuldverschubsystems (und die Reversibilität aller Richtungen im Raum macht die Form des Raumes zum Grund der Möglichkeit der Beweisumkehr: der „List der Vernunft“).
    Das Theodizeeproblem hat ebensowenig mit Gott zu tun wie der Antisemitismus mit den Juden.
    Die Idee der Wahrheit läßt sich ohne Erkenntniskritik nicht fassen: Sie schließt die Idee der Umkehr und den Begriff der Erlösung mit ein.
    Die Beweisumkehr versetzt den Ankläger in den Anklagezustand, sie macht das Recht zu einem Gnadenakt. Diese konformismuserzeugende Logik (die selbstlegitimatorische Logik des Weltbegriffs) liegt der Vertauschung von Genitiv und Dativ zugrunde.
    Die theophoren Namen im Hebräischen sind ein Hinweis darauf, daß die Sprache im Gottesnamen gründet. Erst die indoeuropäische Sprachlogik hat diesen Grund verstellt (blinder Fleck).
    Jesus hat nicht die Geldwechsler, sondern die Bänker aus dem Tempel vertrieben. Gehört nicht die Ezechiel-Geschichte über die Greuel im Tempel zur Vorgeschichte dieser neutestamentlichen Geschichte?
    Das Pfingstfest hat im Bilde der Feuerzungen das Feuer des Himmels mit der Sprache verbunden, sie zur Quelle der befreiten Sprache gemacht. Auf eine andere Beziehung der Zunge zum Feuer verweist der Jakobusbrief. (Die Beziehung des Feuers zum Raum ist ein Bild der Beziehung der Sprache zum Raum.)
    Der Kelch von Gethsemane: Ist er das Symbol für die Theologie (als Theologie hinter dem Rücken Gottes)? Und ist der Wille des Vaters die Theologie im Angesicht?
    Prophetie und Apokalypse – Buber und Scholem (Goodman-Thau: Zeitbruch, S. 161ff):
    – Prophetie wird durch den Weltbegriff zur Apokalypse;
    – Buber: Religion als Kuschelecke; Scholem: kein „Positivist“, sondern Wissenschaft als Schutz; mir waren die „rücksichtslosen“ Juden immer die liebsten (Rosenzweigs Briefwechsel mit Rosenstock-Huessey; Scholems Essay über Deutsche und Juden, seine Kritik des christlichen Erlösungsbegriffs);
    – Rosenzweig: Scholem ist dort, wo wir hinwollen (in einem Brief);
    – Thieme: Hitler war nicht der Antichrist, wohl aber die Generalprobe;
    – auch die Apokalypse steht unter Levinas‘ Bemerkung zum Indikativ (Gott korrigiert das Mißverständnis des Jonas);
    – nicht das Weltgericht Hegels ist das Jüngste Gericht, sondern das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht;
    – postapokalyptische Gestalten: Jonas (Tobias, in dem das Buch Jonas zurückgenommen wird, ist kein kanonisches Buch) und Maria Magdalena.
    Apokalypse kein Angstmacher, sondern ein Mittel der Angstbearbeitung.
    Zu Scholems Apokalyptik: Das „rabbinische“ Wort, wonach, wenn der Messias kommt, eine geringfügige Veränderung die Welt erlöst, stammt von Scholem.
    „Der Chassidismus ist das beste Beispiel dafür, daß das Leben die Lehre bestimmt, und nicht die Lehre das Leben, wie Scholem es wahrhaben will.“ (S. 168) – Ist das wirklich eine Alternative? Verhalten sich nicht Leben und Lehre wie Finsternis und Licht: Die Lehre bringt Licht ins Leben, aber das Leben ist die nach dem Licht verlangende, es insoweit definierende Finsternis („… der ich das Licht bilde und schaffe die Finsternis“ – Jes 457)? Der brennende Dornbusch ist das Paradigma meines Faschismus-Studiums: das brennende Innere der Profangeschichte ist der Ort der Selbstoffenbarung Gottes. Ist nicht das Licht, das in der Auseinandersetzung mit der Finsternis (mit der Welt) sich bildet, immer neu und zugleich das Medium der Tradition?
    Die Welt ist der Inbegriff des Seins für Andere und des Andersseins: Korrelat der Herrschaftsgeschichte, und so ist es der Inbegriff der Finsternis, der die Tradition immer neu abgewonnen werden muß.

  • 31.7.1995

    Bendorf (23.-30.7.):
    sch’ma: lt. Goodman-Thau „den Namen sehen“. Wie hängt das Hören (sch’ma) mit dem Himmel (schamajim) zusammen? Ist dieser Himmel der sichtbarer Inbegriff (ein sichtbares Kollektiv-Abstraktum) des Hörens? – Das Sehen ist ein kommunikativer Akt (es bezieht sich auf den Gegenblick: das Angesicht); davon abstrahiert die Anschauung.
    Die Anschauung zerstört das Sehen wie der Gehorsam das Hören (beide, Sehen und Hören, sind kommunikative Tätigkeiten).
    In der Beziehung der ofanim (der Räder) zu panim (Ez) erweisen sich die Räder als Gesicht, aber in der Einheit von vorn und hinten (der „Felgen“, die eigentlich der Rücken sind, die voller Augen sind).
    Mirjam = mar-jam: bitteres Meer. Vgl. das Magnificat.
    Zu Ez 49ff: Verweist das Bild von dem Brot das auf Menschenkot (und dann auf Rinderkot) gebacken werden soll (und das „Zerbrechen des Stabes des Brotes in Jerusalem“), nicht auf den Ursprung der Marktwirtschaft, ein wesentliches Moment der Geschichte der politischen Ökonomie in Babylon (und auf das „panem nostrum cottidianum da nobis hodie“)? Vgl. Freuds Interpretation des Kot-Symbols (als Geldsymbol), die Ersetzung des Menschen- durch Rinderkot (Erinnerung an die Opfergeschichte: Auslösung der Erstgeburt des Menschen durch Rind). Das Backen des Brots auf Kot als Symbol der Ersetzung der Eigenproduktion durch die Produktion für den Markt (Grund des Ursprungs des Staates; Substitution des Hungers durchs Geld, ein Produkt der Ausscheidung). – Brot als Symbol der Barmherzigkeit (der oberste Bäcker im Gefängnis des Pharao wird hingerichtet: Ursprung des Sklavenhauses).
    Jakob, Esau und das „Erstgeburtsrecht“: Der (das) Erstgeborene ist fürs Opfer bestimmt. Wie hängt die „Erstgeburt“ mit der Beziehung des Raumes zur Umkehr zusammen?
    Ps 1379: Tu es Petrus?
    Der Indikativ (Prinzip jeder Dogmatik) begründet das Schuldverschubsystem und verhindert die Schuldreflexion (begründet den Schein der Entbindung von der Pflicht zur Schuldreflexion). Der Indikativ (und sein Produkt der Staat) ist eine Exkulpationsmaschine. Vgl. den Sühnedeckel in Lev 16.
    Die Erfindung des Indikativ (des „ist“) gründet in der Logik der Schrift. (Das Sein und die Ontologie gehören zu den Fundamenten des Nationalismus.)
    Der Fundamentalismus steht unterm Vorzeichen des Indikativs; durch ihn ist er an den Weltbegriff und an den Nationalismus gebunden (an die Begründung der Sprache durch Gewalt und Hierarchie). Der Fundamentalismus macht die Texte stumm, ersetzt das Wort durch die Gewalt.
    Die homousia ist das Siegel des Kaisers, des Imperiums, im Dogma: ein Produkt des Indikativs, unter dessen Gesetz das Dogma steht. Sie verletzt das Verbot, Rind und Esel vor einen Pflug zu spannen.
    Der Antisemitismus, die Herrschaftstheologie und die Frauenfeindschaft schließen sich nicht nur nicht aus, sie bilden eine Konstellation. Ihr Ursprungsgeschichte beginnt mit dem Urschisma.
    Der Weltbegriff leugnet und verdrängt die asymmetrische Verantwortung: er gründet in den subjektiven Formen der Anschauung, die diese Verdrängung gleichsam apriori für ihn leisten.
    Verhalten sich Sünde und Schuld wie Objekt und Begriff (Natur und Welt)?
    Rettendes Licht: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 514). Die Finsternis wird nicht am Licht, sondern das Licht an der Finsternis gemessen. „Der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe“ (Jes 457; Vgl. 4518: „der die Himmel geschaffen, … die Erde gebildet … hat“). Nur der Fundamentalismus dekretiert alles als Finsternis, was außerhalb des durch ihn definierten „Lichts“, des Dogmas, des „Bekenntnisses“, ist. Vgl. Lk 1135: Sieh nun zu, ob das Licht, das in dir ist, nicht Finsternis sei! (Ist nicht der Indikativ der Grund dieser Finsternis?)
    War nicht der scholastische Begriff der Analogie ein Instrument der Übersetzung des Symbolischen in den Indikativ?
    Das Gesicht läßt Ezechiel aufs Antlitz fallen; um hören zu können, muß der Geist ihn wieder auf die Füße stellen.
    Wie hängt das Sehen mit dem Wasser und dem Ich zusammen: Vgl. Ez 11, das „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, Noe, Ham und Kanaan (das Aufecken der Blöße und die Knechtschaft) und den Ursprung der Philosophie (Thales: Alles ist Wasser; Verinnerlichung der Schicksalsidee, Ursprung des Begriffs, Logik der Schrift als Subsumtion des Hörens unter die Logik des Sehens).
    Die Trinitätslehre und die Opfertheologie lassen sich aus einem Prinzip ableiten, dessen Rekonstruktion das Christentum vom Bann, der auf ihm lastet, befreien wird.
    Das „bara“, diese eigentliche Tätigkeit des göttlichen Erschaffens, bezieht sich in der Genesis außer auf die Himmel und die Erde am fünften Tag auf drei Objekte (die großen Seetiere, die Fische und die Vögel des Himmels) und am sechsten Tag auf ein dreifaches Tun an einem Geschöpf: am Menschen (als Sein Bild, als Gottes Ebenbild, als Mann und Weib schuf er ihn). Spiegelt sich darin nicht eine ähnliche Konstellation in den Werken der ersten beiden Tage, an denen er (das Licht von der Finsternis bzw. die oberen von den unteren Wassern) scheidet, wobei er jedoch am ersten Tag die geschiedenen Objekte (Licht und Finsternis als Tag und Nacht), am zweiten Tag das Instrument der Scheidung (die Feste als Himmel) benennt?
    Das Licht im blinden Fleck der Philosophie ist das Angesicht, der Name und das Feuer: der prophetische, der messianische und der apokalyptische (parakletische) Kern der Philosophie.
    Die phonetischen Grundlagen der alphabetischen Schrift sind nicht bedeutungsneutral. Das wird deutlich hervortreten, wenn begriffen wird, wie der Name der Deutschen und der des Feuers mit dem Bedeutungsgehalt der deutschen Ausprache des Diphtongs „eu“ zusammenhängen.

  • 14.7.1995

    Der Wertbegriff und das moralische Urteil sind Instrumente des Konkretismus und der Personalisierung.
    Haben nicht die Erklärungen der raf etwas von ad-hoc-Stellungnahmen: Sie liefern Rechtfertigungen, keine Begründung.
    Der Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ ist kein indikativischer Satz, er gilt nicht zu allen Zeiten und an allen Orten. Wahr ist er nur in einer bestimmbaren Konstellation, und zwar als Imperativ: Rache ist nicht deine Sache.
    Auch das Dogma ist nicht an sich unwahr, aber es wird unwahr im Bann der indikativischen Logik (im Bann des „Logozentrismus“).
    Jede Personalisierung ist atheistisch. Ihr Grund und ihr Telos ist der Antisemitismus (der Jude ist der Schuldige an sich). Und der verbreitete Nachkriegs-Atheismus ist ein posthumer Sieg Hitlers. Nur: Die ans Konfessionsprinzip gebundenen Kirchen sind ohnmächtig gegen diesen Atheismus.
    Die kritische Reflexion des Weltbegriffs rührt auf eine doppelte Weise an die Wurzeln des Christentums. Der Weltbegriff bezeichnet die differentia specifica, durch die das Christentum innerhalb der jüdischen Tradition von dieser Tradition sich unterscheidet, während die kritische Reflexion des Weltbegriffs den Bann löst, unter dem abrahamitischen Religionen bis heute stehen.
    Hegel hat einmal auf den merkwürdigen Sachverhalt hingewiesen, daß der Begriff Geschichte sowohl die historischen Ereignisse als auch ihre schriftliche Objektivierung bezeichnet. Und er hat recht: Die Geschichte konstituiert sich als vergangene Geschichte durch die Geschichtsschreibung. Dieser Vorgang ist ein weltkonstituierender Akt (sprachlogisch ist das Präsens durchs Präteritum vermittelt). In dieser Konstellation gründet die welthistorische Bedeutung der opfertheologischen Objektivation des Kreuzestodes.
    Sind nicht die eigentlich „geschichtlichen Bücher“ der Bibel die apokalyptischen Bücher? Und eigentlich ist jede Geschichtsschreibung apokalyptisch und die Verdrängung des Bewußtseins davon zugleich: Sie vollstreckt an der Vergangenheit das Jüngste Gericht, um die Gegenwart zu begründen. Unser Bild von der Geschichte ist das eines rechtskräftig gewordenen Todesurteils (der Historiker ist der Scharfrichter). Deshalb ist parakletisches, verteidigendes Denken heute Erinnerungsarbeit.
    Die Opfertheologie (und nicht der Kreuzestod) war der Gründungsakt der christlichen Zivilisation.
    Der Jubel der Barockmusik, dessen säkularisierter Nachhall seit zwanzig Jahren die Popmusik durchdröhnt, war schon kryptofaschistisch. Bach war kein Barockmusiker, seine Musik war die Umkehrung der Barockmusik, ihr Paradigma war die Passion.
    Jede Personalisierung gründet in dem Glauben an die magische Kraft des Bekenntnisses, die magische Kraft von Anschauungen (die deshalb seit dem Ursprung totalitärer Systeme zu todeswürdigen Verbrechen geworden sind).
    Der Satz (der sprachlogisch sich ableiten läßt), daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, läßt sich leicht am Kontext der Vorstellung demonstrieren, daß Gott nicht bereut. Unter diesem Imperativ steht seit der Diskriminierung des Anthropomorphismus das Herrendenken: Nicht Gott, sondern die Hybris seiner irdischen Vertreter erfährt die Vorstellung als unerträglich, eine einmal getroffene Entscheidung wieder zurücknehmen, sie öffentlich bereuen zu müssen. Das Gesicht, das die Herren zu verlieren fürchten, ist die Maske der Person, nicht das göttliche Angesicht, dessen Leuchten seinen Grund in der göttlichen Barmherzigkeit findet. Die theologische Verwerfung des Anthropomorphismus war die Verwerfung der göttlichen Barmherzigkeit.
    Die Finsternis über dem Abgrund: Ist das nicht der Nachthimmel, und sind nicht die Sterne in der Tat ein Zeichen der Hoffnung?
    Der Satz: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“, ist ebensosehr ein Gebot wie es ein Ausdruck der Hoffnung, des Verlangens, der Sehnsucht ist.
    Wenn Jeremias für Babylon und gegen Ägypten votiert, so war das weniger Ausdruch einer „realistischen“ Einschätzung der Machtverhältnisse als vielmehr die prophetische Einsicht in einen Vorgang, der die Gotteserkenntnis im Kern verändert hat.
    Zum Begriff des Seins: Die Fundamentalontologie war faschistisch, weil das Sein (wie der Begriff des Eigentums, mit dem er zusammenhängt) außerhalb der staatlichen Organisation, die im Faschismus zum Selbstzweck wird, nicht sich definieren läßt.

  • 19.6.1995

    Logik der Schrift: Die Schrift erzwingt die Vergegenständlichung der Einsicht zur Erkenntnis (der Sprache zum Instrument der Mitteilung).
    Leserbrief zu Metz „Religion und Politik …“ in der FR von heute (Prof.Dr.Thomas Feuerstein, FH Wiesbaden):
    – „‚Die Autorität der Leidenden‘ ist nicht unmittelbar gegeben. Stellvertreter dieser Autorität stehen unter prinzipiellem Ideologieverdacht ‚im Lichte‘ diskursiver Vernunft“. Dieser Satz stellt verteidigendes Denken unter Ideologieverdacht („Ihr laßt die Armen schuldig werden“), macht Barmherzigkeit gegenstandslos, verwirft apriori jede Alternative zu der (bis in unsere Naturvorstellungen hinein) vom Selbsterhaltungsprinzip beherrschten Welt. Sie verschiebt den Begriff der Ideologie von der Bezeichnung des Verblendungszusammenhangs auf alles, was diesen Verblendungszusammenhang durchbrechen könnte. Ist nicht schon der Begriff der diskursiven Vernunft ein Instrument des Verblendungszusammenhangs: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, weil sie durch diskursive Vernunft nicht bestimmbar ist, weil sie der Beweislogik sich entzieht. (Zu den Grenzen der Beweislogik vgl. Kants Aporien der reinen Vernunft.)
    – Es sollte nicht geleugnet werden, daß auch die memoria passionis instrumentalisierbar ist; nachzuweisen am Christentum, an der Opfertheologie und der damit systematisch verbundenen Orthodoxie (am Dogma und seiner Logik).
    – Der prinzipielle Ideologieverdacht bleibt abstrakt, er verfällt der gleichen Logik, gegen die er sich wendet: Indem er das Problem von der sachlichen auf die Bekenntnisebene verschiebt, macht er aus einer Frage der Einsicht eine Bekenntnisfrage und gehorcht so der gleichen Bekenntnislogik, deren Folgen er kritisiert. So werden das reale Leiden, die Armut wie auch Unterdrückung und Verfolgung durch einen logischen Trick zum Verschwinden gebracht. Der prinzipielle Ideologieverdacht gründet in einem logischen Trick, der die Differenz zwischen der Realität des Leidens und ihrer Instrumentalisierbarkeit selber nochmal instrumentalisiert; dieser Logik zufolge wäre jedem Bettler zunächst einmal zu unterstellen, er habe hinter der nächsten Straßenecke seinen Mercedes stehen (soll er doch das Gegenteil beweisen).
    – Zu reflektieren wäre die Instrumentalisierung des Leidens (liegt hier nicht der Kern der christlichen Opfertheologie und eine der christlichen Wurzeln des Antisemitismus?), und das wäre allerdings in der Tat die Aufgabe einer Theologie nach Auschwitz (wie auch Johann Baptist Metz sie fordert).
    – Ein alltäglicher Ausdruck des „prinzipiellen Ideologieverdachts“ ist der Elternspruch: „Stell dich nicht so an“ (er unterstellt, der Schmerz sei nicht real, sondern nur ein Mittel, damit ein anderes Ziel zu erreichen).
    – Der „prinzipielle Ideologieverdacht“ wird gleichsam zur Schufa der Philosophie; er verringert das Risiko, selber zum Opfer eines Betrugs zu werden, das aber zu dem Preis, daß er das reale Leiden ins Dunkel rückt, es unsichtbar macht. Hier wäre ein Beleg für Metz‘ Hinweis auf die Gewalt des Markt-Apriori auch in der Philosophie.
    – Was hier ins Dunkel gerückt wird, ist schon in den Anfängen der Moderne an einer realprojektiven Verschiebung nachzuweisen: am Begriff des Wilden.
    – Die Diskurslogik hat die Erinnerung an die Theologie bloß abgeschafft, anstatt, wie Adorno einmal die Intention Benjamins zu umschreiben versucht hat, alle theologischen Gehalte restlos zu säkularisieren.
    – Der prinzipielle Ideologieverdacht vermittelt das erhebende Gefühl, über der Sache zu stehen, ohne zu bemerken, daß er damit aus der Sache heraus ist. Er ist in Wahrheit ein Instrument des mitleidlosen Herrendenkens. Im sicheren Bewußtsein, daß dieser Beweis nicht zu führen ist, legt er den Opfern die Pflicht auf zu beweisen, daß sie Opfer sind. Auch so schafft man, wenn nicht eine reale heile Welt, so doch ihren allgegenwärtigen Schein.
    – Gehörte nicht die Sympathisantenjagd im Kontext des Terrorismus zu den manifesten Folgen des prinzipielle Ideologieverdachts: der Unfähigkeit, zwischen dem humanen Impuls der Empathie und ihrer politischen Instrumentalisierung zu unterscheiden? Ist nicht die Geschichte der (auf ihre juristischen Aspekte reduzierten) Auseinandersetzung mit der raf so unendlich mit den verhängnisvollen Folgen dieser Logik belastet (und hat nicht die raf selbst durch ihre Wendung zum Terrorismus diese Folgen mit zu verantworten)?
    Der Metz’sche Versuch, das Konzept einer anamnetischen Vernunft zu entfalten, ist – weiß Gott – nicht schon „gelungen“; er ist weiterhin entfaltungsfähig und -bedürftig. Es ist überhaupt keine Hilfe, diesen Versuch gleichsam apriori abzuwehren. Der prinzipielle Ideologieverdacht (der heute aus sehr tiefen gesellschaftlichen Gründen so nahe liegt, daß er fast durch Reflexion nicht mehr aufzulösen ist) wird zur Quelle der Paranoia, deren erstes Opfer – zusammen mit dem Antijudaismus, der innerkirchlichen Quelle des Antisemitismus – die kirchliche Theologie selber einmal geworden ist.
    In welcher Beziehung stehen die aufbrechenden Nationalismen und die Wendung zu fundamentalistischen Instrumentalisierungen der Religionen (auch dies ein Gegenstand einer politischen Theologie) zum derzeitigen Stand der Geschichte der politischen Ökonomie? (Ursprung der Einen Welt in der Geschichte des Marktes; Zerfall der Souveränität; Übergang von Regierung in Verwaltung, Abgabe von Regierungsaufgaben an die Verwaltung: Übergang der Souveränität an Institutionen wie Bundesverfassungsgericht, Bundesbank, EG, UNO, Weltbank und IWF.)
    Wiederkehr der kantischen Antinomien der reinen Vernunft in der Politik:
    – Die Verwaltung sprengt die Gewaltenteilung (durch Implosion): sie übernimmt zu den ihr obliegenden Aufgaben der Exekutive inzwischen auch die der Legislative und der Jurisdiktion – Angleichung von Rechtsprechung und Verwaltung; Verwaltung als Selbstorganisation des gesellschaftlichen Gewaltpotentials.
    – Verwischung der Grenzen von Innen- und Außenpolitik: Folgen für den Begriff der Gewalt (der nach innen anders definiert ist als nach außen): Läßt sich das Gewaltmonopol des (nationalen) Staates auf internationale Organe übertragen (vgl. den Golfkrieg und die Probleme der UN-Blauhelm-Truppen im Jugoslawienkonflikt).
    – Sonderstellung der Bundesbank und der Weltbank: Dekonstruktion des Prinzips der Gewaltenteilung; Teilhabe eines in der reinen Lehre nicht vorgesehenen Instituts an der Gewalt (an einer Quelle des Gewaltbegriffs: im Falle der Bundesbank im Bereich der Währungshoheit des Staates, der „Subjekt“-Länder; im Falle der Weltbank Eingriff in die Souveränität der „Objekt“-Staaten, der „Entwicklungsländer“).
    – Neonationalismen gründen in dieser Krise des Gewaltbegriffs; sie sind rational und irrational zugleich: Nation als transzendentales Subjekt in einer Welt, die zur Selbsterhaltung keine Alternative mehr kennt.
    – Fortschreitende „Privatisierung“ staatlicher Aufgaben; Folge der Expansion der Marktlogik in den Bereich der Souveränität; Begriff des Neofeudalismus zu harmlos. Ausdruck der Strukturänderungen im Gewaltbegriff (im „Begriff“: in der Herrschaftslogik des Ganzen wie in der Depotenzierung des Bewußtseins).
    Sprache und Mathematik: Kant hat die Welt als mathematischen, die Natur als dynamischen Totalitätsbegriff definiert; spiegelt sich darin das Verhältnis von Mathematik und Sprache?
    Auffallend, daß Habermas Horkheimers Skrupel hinsichtlich der Neuauflage der Dialektik der Aufklärung als Ausdruck eines offenen Problems verdrängt, sie statt dessen als „Beweis“ dafür nimmt, daß die Dialektik der Aufklärung überholt sei. Er nutzt Horkheimers Skrupel als Mittel der Neutralisierung der Dialektik der Aufklärung anstatt als Impuls ihrer Weiterentwicklung.

  • 14.6.1995

    Die Blinden und die Lahmen: Gibt es nicht ein Erblinden und Erlahmen durch die Theologie?
    Hängt Joh 129 zusammen mit der Antwort Jesu auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, und bezieht sich das in den Evangelien (Mt 33) auf Johannes bezogene Prophetenwort (Jes 403): „die Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, machet seine Straßen gerade“, auf die Johannes-Apokalypse?
    Gehört es nicht zum Begriff der Moderne, daß sie die „Wilden“ erfunden hat?
    Der Garant der transzendentalen Logik ist das transzendentale Subjekte, das die Distanz zum Objekt herstellt, durch die es in den herrschaftsgeschichtlichen Prozeß verflochten ist: seine Einheit. Es ist kein Zufall, daß die Philosophie auf ihrer Spitze, in Hegels Logik und Staatsphilosophie, zur Selbstbegründung des Nationalismus geworden ist.
    Bezeichnet nicht der Name der Basilika den unter den Bedingungen des Hellenismus säkularisierten, auf den König anstatt auf den nationalen Gott bezogenen Tempel (die Handels-, Bank-, Gerichts- und Versammlungsstätte)?
    Die subjektiven Formen der Anschauung konstituieren das Objekt, und sie trennen den Namen, den sie zugleich depotenzieren, vom Begriff.
    Die Person ist der Statthalter des Namens unter den Bedingungen des Staates (des Rechts).
    Zu den Confessiones des Augustinus: Der Vater und die Geliebte bleiben namenlos, während die Mutter und der Sohn mit Namen genannt werden.
    Ich und Du: Im Deutschen wird zwischen Antlitz und Angesicht unterschieden. Worin liegt der Unterschied, und ist dieser Unterschied nicht in der deutschen Sprachlogik (in ihrer Verarbeitung der christlichen Tradition) begründet? Bezeichnet nicht das Antlitz das Entgegenblickende, das Angesicht das Angesehene?
    Zur Frage des Maimonides (ob nicht der Messias, wenn er am Ende erscheinen wird, das Antlitz dessen tragen wird, der schon einmal dagewesen ist) gibt es auch noch eine dritte Möglichkeit: Es könnte sein, daß der, der am Ende kommen wird, das gleiche Gesicht haben wird wie der, der im Stall geboren und am Kreuze hingerichtet worden ist; aber werden wir ihn wiedererkennen? Vgl. hierzu Theodor Haeckers Bemerkung über die Evangelien, in denen das Aussehen Jesu nicht überliefert wird, und den Zusammenhang dieser Bemerkung mit der unmittelbar nachfolgenden Verwechslung des Israeliten mit dem Hebräer. Ist nicht die Ikonographie Jesu, sein in der Kunst überliefertes Aussehen, selber schon ein Produkt der Theologie hinter dem Rücken Gottes, und ist dieses Antlitz nicht schon Ausdruck des kirchlichen Antisemitismus?
    Was findet sich im Personalausweis und auf Fahndungsfotos: das Antlitz oder das Angesicht? (Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Kruzifix und dem Fahndungsfoto?)
    Politische Theologie leistet keinen Beitrag zur Institutionenlehre, zur Begründung der Organisation des Staates. Politische Theologie ist Herrschaftskritik.
    Der deutsche Schöpfungsbegriff hat die Welt insgesamt in den Kelch transponiert. Heideggers Dasein als In-der-Welt-Sein, Produkt des Vorlaufens in den Tod, ist der genaueste Ausdruck davon.
    Ist nicht Heideggers Eigentlichkeit ein letzter Nachhall von Hegels Bewußtsein der Freiheit, das selber schon den Hinweis darauf mit einschließt, daß hier das Subjekt zum Opfer seiner eigenen List der Vernunft geworden ist? Hegels Bewußtsein der Freiheit ist Ausdruck der tiefsten Verzweiflung, der Heidegger mit seinem Begriff der Eigentlichkeit noch einen positiven Sinn abzugewinnen versucht: den Sinn von Sein. Die Eigentlichkeit hängt mit dem Sinn von Sein auch insofern zusammen, als sie daran erinnert, daß die Subjektqualität an die Funktion des Urteilens gebunden ist, dessen Kern die Kopula, das Sein, ist. Aber Eigentlichkeit konstituiert sich nur, wenn zugleich verdrängt wird, daß der Urteilende das Urteil auch über sich selbst aufrichtet, selber zum Objekt des Urteils wird (Ableitung der Schicksalsidee aus der Urteilsform). Wenn Kants erhabene Nüchternheit gegen den ontologischen Gottesbeweis an der Differenz zwischen dem realen und einem bloß gedachten Vermögen festhält, so rührt Kant damit an die im Weltbegriff selber verankerte Beziehung des Infinitivs Sein zum Possessivpronomen der dritten Person singular, männlich, das ebenfalls durch das Wort „Sein“ ausgedrückt wird.
    Lassen sich nicht die Bemerkung aus der Dialektik der Aufklärung, daß „jedes Tier an ein abgründiges Unglück (erinnert), das in der Urzeit sich ereignet hat“, und der darauf bezogene Wunsch, „daß der Mensch, der durch Vergangenes mit ihm eins ist, den erlösenden Spruch findet und durch ihn das steinerne Herz der Unendlichkeit am Ende erweicht“ (Neupublikation 1969, S. 264), die ohnehin an prophetische Zusammenhänge erinnern, auf das apokalyptische Tier, auf die Kirche (das steinerne Herz der Welt) und auf das Wort vom Binden und Lösen beziehen?
    Wenn man sieht, daß ein Kind in den Brunnen fällt, bedarf es keiner Autorität, die einem sagt, was zu tun ist. Aber gibt es nicht auch den andern Fall, daß einer in den Abgrund geschaut hat, in den nicht mehr nur ein Kind fällt, dem vielmehr die Welt, die ihn aus sich selbst erzeugt, zurast: Sind die Konsequenzen dann nicht ebenso zwingend und spontan wie im Falle des Kindes und des Brunnens? Ist es dann nicht ebenso wichtig, die Mechanik dieses Vorgangs zu studieren in der absurden Hoffnung, vielleicht doch noch die Stelle zu finden, an der ein Eingreifen möglich ist?
    Die kopernikanische Wende hat die Voraussetzungen für den Kapitalismus geschaffen, sie hat den Weg freigemacht.
    „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz zur Sache, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt.“ (Dialektik der Aufklärung, 1969, S. 19)

  • 11.6.1995

    Creatio mundi ex nihilo: Hat das nicht mehr mit einer Theorie der Banken, mit dem Problem der Kreditschöpfung, zu tun als mit der Theologie?
    Daß Gott den Himmel aufgespannt und die Erde gegründet hat, steht uns das nicht in den Planetenbewegungen am Himmel vor Augen? Drückt in den Planetenbewegungen nicht dieses Aufspannen und Gründen als Tätigkeit sich aus (haben wir darin nicht die Schöpfung als Tätigkeit vor Augen)?
    Walter Benjamin hat Kafkas Satz „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ ergänzt: „Hoffnung ist uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben“. Aber wer sind die Hoffnungslosen? Sind es nicht in erster Linie die Toten? Das aber heißt, daß wir die Lehre von der Auferstehung nicht auf uns, sondern nur auf sie noch beziehen können.
    Konsequenz aus Peter Brown (Macht und Rhetorik): Ist nicht die Konfessionalisierung des Symbolums eine Folge seines Ursprungs in der Rhetorik?
    Die Logik der Schrift verdinglicht das Wort, sie immunisiert die Dinge gegen ihren Namen.
    Hodie, si vocem eius audieritis: Wie das Sehen aufs Vergangene, so verweist das Hören aufs Zukünftige (der Begriff subsumiert das Hören unters Sehen).
    Die Lateiner haben physis mit natura übersetzt, aber beide Begriffe bezeichnen nicht das Gleiche. Die Differenz ist herrschaftsgeschichtlich vermittelt.
    Alle Religionen sind verweltlichte und vergesellschaftete Formen der Gotteserkenntnis. Darum ist jede Religion, der man angehört, die falsche.
    Wäre Gemeinheit ein strafrechtlicher Tatbestand, würde es keine Verwaltung mehr geben können. (Ein von Verbotsschildern durchsetzter Wald ist kein Wald mehr, sondern ein Verwaltungsobjekt.) Muß man nicht ähnlich wie man sagt, daß die Roten mit dem Geld nicht umgehen können, von den Grünen sagen: Sie können mit der Verwaltung nicht umgehen?
    Ist der Jugoslawienkonflikt nicht ein weiteres Indiz dafür, daß Politik generell in Verwaltung überzugehen scheint? Die supranationalen Einrichtungen wie EG und UNO sind reine Verwaltungseinrichtungen, an die die Staaten ihre Souveränität abgegeben haben, denen aber selber jegliche Souveränität abgeht. In einer verwalteten Welt gibt es eigentlich keine Kriege mehr, sondern nur noch Bürgerkriege und Polizeiaktionen. Aber ist es nicht genau diese Konstellation, in der nur Terrorismus noch eine Chance zu haben scheint (u.a. deshalb, weil es zum Terrorismus keine Friedensalternative gibt, sondern nur noch Endlösungen)? Die Ohnmacht der Militärs angesichts der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien hängt damit zusammen. Und was bedeuten diese Vorgänge für das Problem des Verfassungsstaats und der Gewaltenteilung?
    Ist es nicht der Verwaltungs- und Polizeistaat, und sind es nicht seine unsauberen Folgeeinrichtungen, die (erstmals im alten Rußland) den Terrorismus, der durch Gesetz und Moral sich nicht mehr gebunden fühlt, gegen sich wachrufen? Terrorismus, die Machtquelle derer, die in den repräsentativen Systemen sich nicht mehr vertreten fühlen, ist Symptom eines herrschafts- und begriffsgeschichtlichen Problems. Das Problem des Terrorismus entspringt den gleichen logischen Gründen, aus denen auch das Problem der „zivilen Nutzung der Atomenergie“ hervorgeht, und es ist ebenso lange wie dieses nicht lösbar.
    Das Engelssche Konzept der „Verwaltung von Sachen“ als Grundlage einer befreiten Gesellschaft, an dem der „real existierende Sozialismus“ gescheitert ist, ist ebenso antisemitisch, paranoid und frauenfeindlich wie die Trinitätslehre.
    Was bedeutet die in der Theologie üblich gewordene Verletzung des Verbots, den Gottesnamen auszusprechen, (das „Jahwe“) für die Geschichte der Trinitätslehre? Steht nicht der Gottesname „Vater“ im Christentum in der Adonai-Tradition (als Versuch der „Humanisierung“ des Namens „Herr“)?
    Die kirchliche Tradition kennt keine Patriarchen, nur „Kirchenväter“. Und niemand würde auf die Idee kommen, in Analogie zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs vom Gott des Johannes Chrysostomus, des Gregor von Nazianz oder des hl. Augustinus zu sprechen.
    Das Problem der Kirche ist, daß sie mit der Anwendung des Objektivationsprozesses auf die Theologie, mit der Instrumentalisierung des Dogmas und mit der Errichtung des kirchlichen Lehramts den Heiligen Geist unters Herrendenken subsumiert hat.
    Hat Habermas, als er die Naturspekulation aus der Philosophie ausgeschieden hat, das prophetische Element aus der Frankfurter Schule vertrieben? Mit der Ausscheidung der Reflexion der Natur hat er der Kapitalismus-Kritik den Boden entzogen.

  • 4.6.1995

    Der Antisemit ist unbelehrbar, weil das Vorurteil das pathologisch gute Gewissen mit einschließt: die Exkulpationsautomatik. Grundlage dieser Exkulpationsautomatik ist das Schuldverschubsystem, dessen logischer Kern die Bekenntnislogik ist.
    Die Übernahme der Sünde der Welt sprengt die Bekenntnislogik und schafft der Barmherzigkeit den Grund.
    Gibt es im Hebräischen den Indikativ? Die indoeuropäischen Formen der Konjugation unterscheiden sich von den hebräischen dadurch, daß sie das Handeln der Zeit subsumieren. Aber damit (mit der Subsumtion des Handelns unter die Zeit) werden die Dinge dem Raum unterworfen (von ihren Eigenschaften getrennt). Was bedeutet das für die Formen der Deklination („Eine ausgebildete Kasusflexion gibt es im Hebräischen nicht mehr(!)“ – Körner: Hebräische Studiengrammatik, S. 90: So können Zeitfolgen verwechselt werden)?
    „Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Was dem Indikativ zu entsprechen scheint, der Narrativ (wie umgekehrt dem Konjunktiv der Finalis), unterscheidet sich durch eine charakteristische Differenz: Während der Narrativ den alles Erzählen beherrschenden Grundton der Trauer (das Bewußtsein der Vergangenheit dessen, wovon erzählt wird) in sich enthält, hat der Indikativ diese Trauer verdrängt, die die Vergangenheit begründende Kraft sich zueigen gemacht: als objektivierende, determinierende und bestimmende Gewalt des Begriffs (der Indikativ instrumentalisiert die Vergangenheit: er setzt sprachlogisch das die Vergangenheit abschließende indoeuropäische Perfekt voraus). Ohne Indikativ gäbe es keine Ontologie und kein Wissen. Die Differenz, die den Konjunktiv vom Finalis unterscheidet, hängt damit zusammen: Beide beziehen sich auf Ziele, aber während der Finalis von der Objektivität der Ziele (von ihrer objektiv begründenden Kraft) ausgeht, gründet der Konjunktiv in der Subjektivierung alles Zwecke, in der die Kategorie des Möglichen begründet ist (hier wurde der Grund für den Nominalismus, für die Zerstörung zunächst der benennenden, dann der argumentativen Kraft der Sprache gelegt). Es rührt an tiefe sprachlogische und sprachgeschichtliche Zusammenhänge, wenn das Hilfsverb „Sein“ (die Grundkategorie des Indikativs) zugleich als Possessivpronomen der dritten Person singular maskulinum Verwendung findet, und das Hilfsverb „Würde“ (die Grundkategorie des Konjunktiv), in der Lage ist, – bezeichnenderweise nach einem Genus-Wechsel, nach Transformation ins Feminine – so etwas wie die „Würde des Menschen“ (seine Fähigkeit und sein Recht, sich selbst Ziele zu setzen: Grund des Naturrechts, des Begriffs wie auch der Sache, die mit dem Begriff der Würde überhaupt erst entspringt) zu bezeichnen. Waren nicht die Namen der „Wilden“ und der „Barbaren“ herrschaftsgeschichtlich und zugleich sprachlogisch begründet: als Bezeichnungen für Völker, die
    – wie die Wilden außerhalb jeden staatlichen Zusammenhangs (in dem der Begriff der Würde und des Naturrechts allein sich definieren und begründen läßt) oder
    – wie die Barbaren außerhalb des eigenen Staates (außerhalb der durch den Staat definierten und nur für die Bürger des Staats geltenden Seins- und d.h. Eigentumsordnung) lebten?
    Die Tatsache, daß die kantische Vernunftkritik nur als Gesellschaftskritik, nicht aber als Wissenschaftskritik überlebt hat und historisch wirksam geworden ist, daß der wissenschaftskritische Grund der kantischen Philosophie aus ideologischen Gründen verdrängt worden ist, scheint damit zusammenzuhängen, daß eine von ihrem wissenschaftskritischen Grund abgelöste Gesellschaftskritik noch als Entlastungswissenschaft sich mißbrauchen läßt. Nur so war es möglich, den Habitus des in die Sache nicht verstrickten neutralen Zuschauers, dem die Antinomien der reinen Vernunft den Boden entzogen hatten, zu rekonstituieren. Hat nicht Hegel dem vorgearbeitet, als er die Antinomien der reinen Vernunft aus ihrer Beziehung zur transzentendentalen Ästhetik löste und der Logik zuordnete, sie gleichsam als Motor in den dialektischen Prozeß mit einbaute? Ähnlich scheint das Bemühen der Habermas-Schüler motiviert zu sein, das Aufstörende an der Dialektik der Aufklärung (und das ist wiederum ihr wissenschaftskritisches Element) endlich zu neutralisieren.
    Der Weltbegriff ist eine Funktion der Herrschaftsgeschichte: Ein Instrument der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Gegen Habermas: Ein herrschaftsfreier Diskurs ist erst dann möglich, wenn es gelingt, Herrschaft bis in ihre Wurzeln (die in den Abgrund hineinreichen) zu reflektieren, ans Licht zu holen. Aber das geht nicht ein für allemal (durch eine dem Wissenschaftsbegriff genügende Theorie). Diese Reflexion mißlingt, wenn sie nicht auf ihren Zeitkern rekurriert. Habermas hat diese Reflexion prinzipiell verfehlt, als er die Natur ausschloß.
    Für mich ist die Nazizeit nicht vergangen, sondern gegenwärtig: Ich habe in den Abgrund geschaut.
    Hat Jesus nicht den eigenen Vater verdrängt, und den Bann genau dadurch aufgerichtet, daß er ihn vergöttlichte? In den Evangelien tritt sein leiblicher Vater zum letzten Mal auf, als Jesus zum erstenmal seinen himmlischen Vater zitiert. Danach ist er aus dem Leben Jesu (und aus der Geschichte des Christentums) ausgeschieden, verschwunden. Ist nicht die Geburtsgeschichte (mit den Engeln, die Maria real und dem Josef im Traum erscheinen, und mit der Zeugung durch den Heiligen Geist) die Konsequenz daraus? Aber liefert hierzu nicht Freud den Schlüssel in „Totem und Tabu“, in seinem psychoanalytischen Mythos von der Tötung des Urvaters, dem sakramentalen Urkannibalismus und der Entstehung der Brüderhorde? Trägt nicht das Christentum Züge dieser Brüderhorde (mit dem späten Echo in der Ode an die Freude: Alle Menschen werden Brüder – nicht nur ein anatomisch unmöglicher Wunsch, sondern einer, der erst wahr wird, wenn man ihn umkehrt, wenn endlich alle Brüder Menschen werden).
    Der Marxsche Satz „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ war eine Kampfparole gegen den Idealismus. Und nur in dieser Funktion ist er wahr. Er hat Recht gegen einen Idealismus, der davon ausgeht, das das Bewußtsein jetzt schon das Sein bestimmt. Aber entscheidend ist nicht die gleichsam ontologische Differenz von Materialismus und Idealismus, sondern die zeitliche: Daß das Sein immer noch das Bewußtsein bestimmt, das ist die Katastrophe; und ist der Wunsch, daß endlich das Bewußtsein das Sein bestimmen möge, daß der Bann des Schicksals durchbrochen wird und der „entsetzliche Fatalismus der Geschichte“ ein Ende hat, nicht der Kern der Utopie?
    Ist nicht mein Faschismus-Trauma eine Anwendung des Satzes „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“? Bei mir war’s das faschistische Sein, das mein Bewußtsein bestimmt hat, auch wenn ich selbst einmal geglaubt hatte, ich sei immun dagegen gewesen. Und ist nicht dieser Satz in der Geschichte des Marxismus die Basis des ontologischen Vorurteils, des fundamentalistischen Mißverständnisses der Marxschen Theorie, seines Mißbrauchs als Herrschaftsmittel, als Ideologie, gewesen?

  • 26.5.1995

    Der Gegensatz von Sehen und Hören drückt in der Sprache in der Beziehung von Schrift und Wort sich aus. Worauf bezieht sich das Wort von den „sichtbaren und unsichtbaren Dingen“ im Credo? Ist nicht das Dogma der Versuch, das Unsichbare in Sichtbares: den Glauben in Wissen zu transformieren? Und war nicht genau das der parvus error in principio? Wer das Unsichtbare in Sichtbares zu transformieren versucht, setzt an die Stelle des Hörens den Gehorsam.
    Das Dogma und die Logik der Schrift: Quod non est in actis, non est in mundo.
    Das Dogma hat die Ohren verstopft.
    Die Prophetie hat in der Tat in der Geschichte Jesu sich erfüllt; aber erfüllt heißt nicht abgeschlossen, heißt nicht, daß das Erfüllte damit zu etwas Vergangenem geworden ist: Es ist vielmehr auf eine neue Weise gegenwärtig geworden. Hat nicht erst die Kirche, durch ihre Art der Verarbeitung (durch theologische Objektivierung), es zu etwas Vergangenem, Erledigten, gemacht?
    Stephanus sah den Himmel offen. Hat nicht Paulus, der in den dritten Himmel entrückt war, die Feste des Himmels wieder verschlossen und durch die Archonten versiegelt? Und hat nicht Paulus (ein „V-Mann“ der Sadduzäer, nicht der Pharisäer) das sadduzäische Prinzip, das er vertrat, ins Christentum mit herübergenommen und so dazu beigetragen, daß die jüdische Tradition aus dieser Fessel sich befreien konnte?
    Der Gottesname „Vater“ gewinnt Sinn nur, wenn ich ihn auf andere beziehe: Nur dann werden die Sätze verständlich „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ oder „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben …“ oder auch „Was ihr den Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“.
    War die Kopenhagener Schule nicht der Vorläufer der Postmoderne in der Physik? Beide haben die Logik des Sehens bis an die Grenze vorgetrieben, an der sie hätte ins Hören umschlagen müssen, aber dann wieder ins Sehen zurückgebogen.
    In einen Prozeß hineingezogen werden kann ich auf dreifache Weise: als Ankläger, als Angeklagter oder als Verteidiger.
    Sind Perfekt und Imperfekt die konjunktivischen Verkörperungen von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit? Die indoeuropäischen Sprachen haben aus dem Imperfekt das Praeteritum gemacht: Sie ist die Welt zu einer durch die Vergangenheitsform (durchs Perfekt) abgeschlossenen Welt geworden (zum Präsens), die seitdem instrumental verfügbar ist. Das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, revoziert das Praeteritum (und die Gewalt des Perfekt). Das Perfekt, das für uns zur abgeschlossenen Vergangenheit geworden ist, war in der Bibel inhaltlich erfüllt: Er starb alt und lebenssatt. Das indoeuropäische Perfekt ist der Sprachgrund der Totalitätsbegriffe Wissen, Natur und Welt.
    Auschwitz ist die reinste Verkörperung des vom Perfekt vergewaltigten Imperfekt.
    Theodor Haeckers Bemerkung über den „echten Hebräer“ gehorcht der Logik der bloß erbaulichen Bibellektüre, die seit je projektiv und antisemitisch war.
    War der Himmelfahrtstag nicht seit je ein Männertag („Ihr Männer von Galiläa …“)? Waren nicht hier und beim letzten Abendmahl die Frauen ausgeschlossen?
    Die Trinitätslehre hat die Attribute Gottes durch Objektivierung aus dem Imperativ in den Indikativ zurückübersetzt, sie für Herrschaftszwecke brauchbar gemacht. Hat sie damit nicht das Wort Jesu zu Petrus „Weiche von mir Satan! Du bist mir ein Fallstrick, denn du sinnst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist“ (Mt 1623) als Imperativ genommen?
    Das Allgemeine ist, bezogen auf das Einzelne, das Gemeine.
    Die Postmoderne vollstreckt den Bann des begrifflichen Denkens: den Verzicht auf Ziele und Resultate. Die Dekonstruktion ist die Entfaltung des Widerspruchs, der mit ihrer Objektivierung auch die Ziele und Resultate ergreift.
    Mit dem Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ ist die Offenbarung fähig geworden, in die Völkerwelt hinauszugehen.
    Der Vertrauens-Slogan der Deutschen Bank bezieht sich auf das Vertrauen, daß die Kunden in die Deutsche Bank setzen sollen, nicht auf das Vertrauen, das die Deutsche Bank in die Kunden setzt. Es ist ein durchaus einseitiges Vertrauen und meint eigentlich: Ihr könnt uns vertrauen, wir werden euch die Drecksarbeit abnehmen. Geldwäsche ist eine der wichtigsten Aufgaben der Banken: Man sieht dem Geld auf dem Konto nicht mehr an, auf welche Weise es gewonnen, erhalten und vermehrt wurde.
    Wie wäre es mit der These, daß der Antisemitismus heute nicht aufgehoben, sondern nur neutralisiert, gleichsam in eine Latenzphase gebracht wurde?
    Gibt es zu der Unterscheidung von gegen und wider (Gegner und Feind, Gegenstand und Widerstand) eine Entsprechung im Lateinischen oder Griechischen? Gehört diese Unterscheidung (zusammen mit dem naturwissenschaftlichen Begriff der Trägheit) zu den Ursprungsbedingungen des Dingbegriffs? Und hat diese Unterscheidung etwas mit der des Andern vom Fremden zu tun (ist der Andere der neutralisierte Fremde, der Gegner der neutralisierte Feind)?
    Nach einem Hinweis von Jürgen Ebach bezieht sich das biblische „im Angesicht“ sowohl auf Gott wie auch auf den Feind. So hängt das Leuchten des Angesichts mit der Feindesliebe zusammen. Im Feind hasse ich die eigene Verblendung (das nach draußen projizierte verdrängte Innere, das ich in mir selbst nicht wahrhaben will, die projektiv ins Objekt verschobene Manifestation des Verdrängten, die die Welt verdunkelt).

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