Arendt

  • 17.4.1997

    Wie hängt der Konjunktiv der indirekten Rede („sie sagte, sie hätten keinen Pfennig gehabt, als sie das Haus kauften“) mit dem direkten Konjunktiv zusammen („sie hätte das Haus gekauft, wenn sie das Geld gehabt hätte“)? Ist der Konjunktiv der indirekten Rede ein Konditionalis (er gibt die Aussage eines andern wieder, dessen Wahrheitsgehalt ich nicht garantieren kann)? Der Konjunktiv der indirekten Rede drückt ein Nichtwissen aus.

    Ist die logische Beziehung der indirekten Rede zum Konditionalis nicht eine Parallele zur Zweideutigkeit des Futur II, das sowohl die zukünftige Vergangenheit als auch den Zweifel an der Wahrheit der Aussage eines andern auszudrücken vermag, wenn die Verifizierung einer Aussage über Vergangennes noch offen ist, erst in der Zukunft erwartet wird („was wird schon gewesen sein“)? Darin scheint das logische Problem sich auszudrücken, das sich sich aus der Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft in der Vorstellung des einheitlichen Zeitkontinuums, aus der dieser Verschmelzung zugrundeliegenden Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ergibt. Diese einheitliche Zeitvorstellung (Kants subjektive Form der inneren Anschauung) ist der Grund des Universalismus, Prinzip der Verwischung der Asymmetrie, die die Beziehung zwischen mir dem Andern beherrscht.

    Wenn es heißt: er sagt, ich hätte gesagt, so heißt das auch: er sagt, ich soll gesagt haben. Die Nichtwissen der Zukunft hat etwas mit der Ungewißheit über die Wahrheit dessen, was ein anderer sagt, zu tun (Problem des Zeugen und der Beweislogik, Grund der Logik der Gemeinheit).

    Hat diese Konstellation etwas mit dem Problem des einen Sünders zu tun, mit den Wegen des Irrtums und mit der Sünde der Welt? Ist das Planetensystem ein Ausdruck der differierenden Konstellationen der Beziehung von Vergangenheit und Zukunft in der gewaltsamen Einheit des Zeitkontinuums?

    Gibt es im Hebräischen den Konjunktiv, und welche anderen Konjugationsformen drücken im Hebräischen das aus, was in den indoeuropäischen Sprachen der Konjunktiv ausdrückt? Wie hängt das Problem der Beziehung des Namens der Hebräer zu dem der Barbaren (die inverse Anwendung des Begriffs des Fremden) mit dieser grammatischen Konstellation zusammen?

    Was drückt in der offensichtlich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland in Gerbauch gekommene Wendung „Ich würde sagen, …“, die auch einen Konditionalis enthält, sich aus? Gibt es einen Zusammenhang mit dem kollektiven Verdrängungsprozeß in Deutschland, auch mit der merkwürdigen Wahrnehmung Hannah Arendts über die Beziehung von Meinung und Tatsachen (vgl. die Rede Jan Philipp Reemtsmas bei der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung in der Frankfurter Paulskirche) und mit den Bemerkungen Sonnemanns über „Innerlichkeit und Öffentlichkeit“ und den „verwirkten Protest“ (in „Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“)?

    Ist der Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ ein Legitimationsprinzip des Universalismus und ein Deckbegriff der Logik der Verurteilung, die dem Objektbegriff und der Begriffsbildung zugrunde liegt? Ist er nicht (wie der Dogmatismus, zu dem er gehört) ein Tabu über das Verstehen und die Reflexion? In diesem Satz drückt die Logik des Ich (als Verkörperung der Negation) sich aus. Ist Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ nicht der Ausdruck eines in dieser Logik gründenden Identitätsproblems? Die Einheit des Subjekts ist das Korrelat der Kosmologie, der Einheit dieser Welt, während in der Idee der Einigung des Gottesnamens die Idee der zukünftigen Welt sich ausdrückt. Der Begriff konstituiert diese Welt, im Namen drückt die zukünftige Welt sich aus. Der Begriff gründet in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, im Namen drückt die Kraft, in der Reflexion der Vergangenheit die Zukunft zu erkennen, die Kraft der prophetischen Erkenntnis, sich aus. Zum Namen gehört die Erinnerungsarbeit. Der Gottesname ist der die Einheit der Welt sprengende prophetische Grund der Sprache.

    Horror vacui: Das Sein ist das ganz Leere, weil es den Sinn (den Namen) aus der Sprache vertrieben hat. Der Name ist die Aufhebung der Ontologie.

    Heiligkeit ist eine Sprachkategorie: Heilig ist der Name.

    Ist nicht der Stern der Erlösung schon der Beweis des Satzes: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?

    Der Name, den niemand kennt: Waren die Juden die wirklichen Christen, auch wenn weder sie selbst, noch die, die sich Christen nannten, es wußten?

  • 23.11.1994

    Die semitischen und die indoeuropäischen Sprachen unterscheiden sich durch ihre Beziehung zur Zeit: Während die semitischen Sprachen handlungsorientiert sind (Konjugationsparadigma: Perfekt und Imperfekt, vollendete und unvollendete Handlung), orientieren sich die indoeuropäischen Formen der Konjugation am abstrakten Zeitablauf (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), an der Vorstellung des Zeitkontinuums, mit der unterstellt wird, daß die Zukunft wie die Vergangenheit sein wird. Im Hebräischen ist das Zeitkontinuum nur symbolisch präsent: im Bild der Schlange, der Dornen und Disteln und im Kelchsymbol. Eine der Folgen dieser sprachlogischen Differenz scheint zu sein, daß die semitischen Sprachen kein ausgebildetes Neutrum, aber auch die Begriffe Welt und Natur nicht kennen. Kann es sein, daß der Koran von der Bibel sich dadurch unterscheidet, daß er eine symbolische Repräsentation des Weltbegriffs nicht kennt und den Bestand der Welt durch einen permanenten göttlichen Eingriff garantieren muß (und müssen nicht aus den gleichen sprachlogischen Gründen die göttlichen Attribute all-bezogen reformuliert werden)? Im Islam erschafft Gott die Welt jeden Tag neu, wird die Welt zum Inbegriff des unmittelbaren göttlichen Handelns und der Islam, die Ergebenheit, zur sprachlogisch notwendigen Form der Beziehung der Menschen zur Welt. Die Islamisierung des Christentums ist nicht zufällig über die Opfertheologie, über das Theologumenon der „Entsühnung der Welt“ durch den Opfertod Christi (insgesamt: durch die den welthistorischen Prozeß der Verinnerlichung der Scham im Kontext der scholastischen Reformulierung der orthodoxen Tradition), gelaufen: Hierin gründen u.a. (zusammen mit den korrespondierenden organisatorischen und inhaltlichen Änderungen nach der Jahrtausendwende) die christliche Gnaden- und Sakramentenlehre (die Ritualisierung der christlichen Religion). Ist nicht der Faschismus ein Produkt der Islamisierung des Christentums? Die Philosophie beginnt mit dem Satz: Alles ist Wasser. Kann es sein, daß der Naturbegriff, mit dem die Philsophie sich entfaltet, das Tier aus dem Wasser repräsentiert, und der Weltbegriff das Tier vom Lande? Hängt nicht die Täuschung mit dem Tausch zusammen, und ist die Hegelsche List der Vernunft die Duftmarke des Tauschprinzips in Hegels Logik? Gibt es beim Fernando Belo als Folge seiner Interpretation der Reinheitsgesetze, in die er u.a. einen so unbiblischen Begriff wie den der „Reinheit des Bluts“ mit hereinnimmt, so etwas wie einen latenten Rassismus? Fällt diese Interpretation nicht unter das Blut-Tabu, das Verbot, Blut zu genießen? Die Familie ist nicht die Keimzelle, sondern die Isolationszelle des Staates. Insoweit hat die Familienbande auch etwas mit der „Baader-Meinhof-Bande“ zu tun. Getsemane: War die Angst nicht Ausdruck des Bewußtseins, daß sein „Opfer“ eine unermeßliche Folge anderer Opfer nach sich ziehen würde? Leidet das Christentum heute nicht generell an der Übersetzung der zentralen Symbole ins Banale (auch eine Gestalt der Banalität des Bösen, die im übrigen sehr viel mit der von Hannah Arendt beschriebenen zu tun hat)? Vgl. u.a. Belos „Im Anfang schuf Gott die Welt“ (mit der Stellenangabe Gen 1). War nicht die creatio mundi ex nihilo das möglicherweise verhängnisvollste Theologumenon in der Geschichte der Theologie? (Dazu noch eine andere Banalitätsstelle-Stelle?) Ließe sich die Revolution nicht als „Gericht der Barmherzigkeit“ (über das gnadenlose Weltgericht Hegels) definieren?

  • 16.8.1994

    Ist nicht die christliche Lehre von der unsterblichen Seele nur wahr im Kontext der Lehre von der Auferstehung, und verhält sich nicht die Seele zur Auferstehung wie das Wort zu seiner Erfüllung?
    Hat die Vorstellung, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels wiederkommen wird, etwas damit zu tun, daß am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollen wird (und ist darin nicht das Problem der Logik der Schrift bezeichnet)?
    Ist nicht die am zweiten Tag geschaffene Feste, die die oberen von den unteren Wassern trennt und dann von Gott Himmel genannt wird, das Realsymbol der Logik der Schrift?
    Es hängt mit der Logik der Schrift und ihrer realsymbolischen Beziehung zum Himmel zusammen, wenn der Ursprung und die erste Entfaltung der Astronomie zu den historischen Konstituentien des Staates (der Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern) gehört. Haben die Wolken, auf denen der Menschensohn kommen wird, nicht auch eine politische Bedeutung?
    Hat der Menschensohn in den Wolken etwas mit dem Bogen in den Wolken zu tun (Zusammenhang mit der Blutsymbolik)?
    Die Heroen, die in der Schrift verewigt wurden, wurden an den Himmel versetzt (ihre säkularisierten Nachfahren sind die Stars).
    Wissenschaftskritik: die Hysterie der Alma Mater und die Idee der Barmherzigkeit.
    Jüdische Heidegger-Schüler waren Karl Löwith, Herbert Marcuse und Günther Anders (Stern), aber auch Hannah Arendt. Unterscheiden sie sich nicht doch erheblich von den Philosophen, die aus dem Neukantianismus kamen?
    Das Absolute ist die projektiv verschobene Erinnerung an den verdrängten Tod (der gekreuzigte Gott).
    Prophetie: der Blitz aus den Wolken der Logik der Schrift, ist das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht (das Votum für die Armen und die Fremden).
    War nicht die falsche Übersetzung von Joh 129, zusammen mit der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu, der Blitzableiter (die Selbstimmunisierung gegen die Prophetie)?
    Hat Off 132 (Panther, Bär und Löwe) etwas mit Hos 137f (und Dan 74ff) zu tun?
    Das Wort „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ gilt für die ontologische Tradition unserer Theologie.
    Die Philosophie, und in ihrem Kern die Ontologie, ist die institutionalisierte Verletzung des Bilderverbots. Sie gehorcht (und verfällt) der Logik der Schrift.
    Tertullian hat das „homousia“ mit consubstantialis übersetzt. Aber sind das nicht zwei verschiedene Dinge: ob der Sohn das gleiche Wesen wie der Vater hat, oder ob Vater und Sohn eine gemeinsame Substanz haben? Hängt das zusammen mit anderen logisch-begrifflichen Verschiebungen, z.B. der von den hypokeimenoi zu den personae in der Trinitätslehre? Kann es sein, daß diese Verschiebungen mit den (die innere Logik und den Bedeutungszusammenhang der Begriffe verändernden) begrifflichen Verschiebungen von physis zu natura (und von kosmos zu mundus) zusammenhängen? Gründet die lateinische Version in einem Rechtsverhältnis (einem in Geburt oder Adoption begründeten Erbschaftsverhältnis) der Personen zur gemeinsamen Substanz, während die griechische Version auf die Mitteilung des eigenen Wesens an den Sohn durch Zeugung (auf eine gleichsam biologische Vererbung) zurückweist? Steht zwischen physis und natura, kosmos und mundus der Staat (das Römische Reich und die Substituierung der Kosmologie durch Politik)?
    Wenn die Welt der Inbegriff aller Begriffe (und die Natur der Inbegriff aller Objekte) in Urteilen ist, das Ich aber „der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist“ (Hegel, Logik II, S. 220), wird dann nicht die Einheit der Welt durchs Du widerlegt? Ist der Weltbegriff monologisch und deshalb das Überzeugen unfruchtbar?
    Ursprung des Neutrum: Hat die Trennung von Natur und Welt die Geschlechtsbezogenheit der zweiten Person gelöscht?
    Alexander, Konstantin und die Dogmenentwicklung: Das Urteil zerschlägt den Knoten, der zu lösen wäre.

  • 3.3.1995

    Ist nicht Gunnar Heinsohn Opfer seines eigenen historischen Objektivitätsbegriffs geworden? Seine These, daß Hitler die Judenvernichtung angeordnet habe, um mit den Juden die Erinnerung an das Tötungsverbot zu tilgen, ist von der Motivation her wahr; nur gilt diese Motivation für den Antisemitismus insgesamt, und Hitler unterscheidet sich von den Antisemiten sonst durch durch das Maß an Konsequenz, durch den pseudomessianischen Akt: Er legitimiert sich als Führer dadurch, daß er in vollem Bewußtsein der Konsequenzen die Verantwortung für diesen Antisemitismus übernimmt; er nimmt „die Sünde der Welt“ auf sich (er nimmt den Tätern die Schuld ab, in die er sie doch zugleich verstrickt). Es geht in der Tat nicht um die Juden; eine Erinnerung tilgt man nicht, indem man die Träger dieser Erinnerung vernichtet. Zur beabsichtigten Wirkung der „Endlösung“ gehört sowohl die Binnenwirkung der Komplizenschaft (der „Treue“: wer in diese Taten verstrickt ist, kommt davon nicht mehr los) als auch die Außenwirkung des Terrors („wat denn, icke mir uffhängen lassen, lieber gloob ick an’n Sieg“) mit dazu: die irrationale Kommunikation der Gewalt als Verdrängungshilfe, ohne die das Tötungsverbot nicht aufzuheben ist. Ohne den gesamtgesellschaftlichen Resonanzboden, der selber zu dechiffrieren wäre, allein durch den Rekurs auf die Absicht und den Willen Hitlers wäre diese Tat nicht möglich gewesen. Dieser „Resonanzboden“-Effekt hat am Ende des Krieges, als das Konstrukt in der Niederlage implodierte, den ungeheuren Rechtfertigungsdruck erzeugt, der die Nachkriegsgeschichte in Deutschland beherrscht (und alle Voraussetzungen des Wiederholungszwangs in sich birgt). Selbst der Erklärungsbedarf steht unter diesem Rechtfertigungszwang und müßte ihn in die Reflexion mit aufnehmen, wenn er wirklich zur Befreiung beitragen soll. Ich habe das Gefühl, daß die heinsohnsche Form der Verarbeitung des apokalyptischen Aspekts dieser Geschichte (Entschärfung der Apokalypse durch Neutralisierung, durch Reduktion auf die Erinnerung an eine längst vergangene Naturkatastrophe, als hätten wir nicht das Objekt für das Studium der Apokalypse in der jüngstvergangenen gesellschaftlichen Naturkatastrophe vor Augen).
    Gunnar Heinsohn scheint alle bisherigen „Auschwitz-Theorien“ nur als Konkurrenz zum eigenen Konzept wahrzunehmen; und es gehört schon einiges dazu, allen bisherigen Reflexionen über Auschwitz (so u.a. den Studies in Prejudice, der Dialektik der Aufklärung, oder etwa dem Werk Hannah Arendts) bloß „Ratlosigkeit“ zu attestieren, um dann sein eigenes Werk als die gleichsam endgültige Lösung des Problems zu empfehlen. Wäre nicht eher von einer gemeinsamen Anstrengung zur Aufklärung des wahrhaft Unbegreiflichen ausgehen. Denn unbegreiflich bleibt diese Tat (wie auch die Welt, in der sie möglich war) für jeden, für den die Moral das sich von selbst Verstehende ist. Das Problem ist eher: Wie müßte die Welt aussehen, wenn man sie unter der Voraussetzung dieses Prinzips zu verstehen versucht; eine Welt, die dem Bann der Ontologie entronnen ist, und deren prima philosophia die Ethik wäre?
    Durch seinen Beitrag zur Chronologie-Revision („Die Sumerer gab es nicht“), zur Ursprungsgeschichte des Geldes („Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft“), und jetzt zur Erforschung des Antisemitismus („Was ist Antisemitismus“ und „Warum Auschwitz“) hat Gunnar Heinsohn Wesentliches zur Selbstaufklärung der Gegenwart beigetragen. Kann es sein, daß es nur noch einer kleinen Korrektur seines Konzepts bedarf?
    Zu Heinsohns Bemerkungen über den Totenkopf wäre an Benjamin zu erinnern, der im Totenkopf die Urallegorie erkannt hat. (Gibt es nicht Gesichter, in denen dieses leere Grinsen des Totenkopfs geronnen, als Charaktermaske eingezeichnet ist? Sind es nicht die „schneidigen“ Profile, die unter Offizieren verbreitet waren, und dann in der SS zum Züchtungsziel der nordischen Rasse geworden sind?)
    Tucholskys Satz „Alle Soldaten sind Mörder“ ist zweifellos eine Übertreibung; aber gibt es nicht im Bereich des Soldatischen ein Magnetfeld, das seine Anziehungskräfte vor allem auf einen disziplinierten Mordtrieb ausübt, auf die, die zur Ausübung dieses Triebs die institutionelle Deckung (den „Befehl“) brauchen? Und ist es nicht gerade dieser disziplinierte Mordtrieb, der so empfindlich auf den Vorwurf in dem Satz Tucholskys reagiert?
    Die Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung, die nicht zufällig mit der Astronomie beginnt (sowohl in der Antike, als auch in der modernen Welt), ist ein Teil des Gattungsprozesses der Menschheit.
    Das Angesicht steht für die Fähigkeit, sich mit anderen zu identifizieren, für die Empathie und Barmherzigkeit, dafür daß niemand weiß, ob er selbst anders wäre als einer, den er zu verurteilen geneigt ist, wenn er ernsthaft in seine Situation sich hineinversetzt. So hängt das Angesicht mit Urteil zusammen: Es ist nicht nur die Tötungshemmung, die Emanuel Levinas in ihm erkennt, sondern vielmehr und vor allem eine Urteilshemmung, die zugleich deutlich macht, daß es eine Erkenntnis gibt, die den Rahmen des Urteils sprengt. Auf diesen Sachverhalt bezieht sich das Prophetenwort vom Rind und vom Esel: Diese Urteilshemmung macht die Unterscheidung von Last und Joch erfahrbar.
    Die homousia ist das neutralisierte homologein, Produkt der Hellenisierung der Theologie, Anfang der Theologie hinter dem Rücken Gottes. Dieser Neutralisierung verdankt sich der Begriff des Bekenntnisses.
    Gründet das Neutrum im Menschenopfer?
    Waren nicht die Astrologie und die Alchimie gleichsam Häresien zu einer naturwissenschaftlichen Orthodoxie, die aus ihnen (durch symbolischen Elternmord) sich entwickelt hat? Wie alle Häresien sind sie nur verurteilt, verdrängt und verfolgt, nicht aber aufgearbeitet worden. Während die Astrologie gleichsam die politische Außenseite der Naturwissenschaft repräsentiert, repräsentiert die Alchimie ihre mystische Innenseite. Beide bezeichnen Knotenpunkte der Begriffsgeschichte von Schicksal und Scham.
    Der Begriff der Kollektivscham hat den Rechtfertigungszwang, der im Kern der modernen Aufklärung enthalten ist, nur verstärkt, anstatt ihn zu reflektieren.
    Der Objektbegriff ist der Pflug, vor den Rind und Esel gespannt sind.
    Hodie, si vocem eius audieritis: Dieses Heute tritt ein, wenn der Bann der Natur gelöst ist (mit der Einung des Gottesnamens): Wenn aus den Blinden und Lahmen die, die tun und hören, geworden sind.
    Definition der Kommunikationstheorie: Theorie der Signale, mit denen Isolationshäftlinge sich untereinander verständigen (oder auch, nur getrennt davon, ihre Wächter).
    Dauer, Folge und Zugleichsein: Gründet nicht die Dauer in der Beziehung von Vorn und Hinten, die Folge in der von Rechts und Links und das Zugleichsein in dem von Oben und Unten (im Verhältnis der Fläche zu der zu ihr gehörenden Normalen)? Ist nicht die Orthogonalität zweier Geraden in einer Fläche zu unterscheiden von der Orthogonalität der Normalen zur Fläche? Kann es sein, daß diese beiden Formen der Orthogonalität sich zueinander verhalten wie die Orthodoxie des Symbolums zu dem der Konfession?

  • 11.12.92

    „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ (Frankfurt):
    – Linda Reisch erinnert an Historikerstreit (FAZ) und Bitburg,
    – die Sprecherin des S. Fischer Verlags daran, daß in den Medien die Opfer von Mölln namenlos gemacht werden.
    – Dan Diner: Wiederholung der zwanziger Jahre (Zerfall der Imperien und Ursprung des Nationalismus; Vergleich: Deutsches Reich und Sowjet-Imperium); erinnert an Hannah Arendts Hinweis darauf, daß Staatsbürgerschaft und Menschenrecht untrennbar (Zitat Carl Schmitt); „multikulturelles“ Konzept diskriminiert die Minderheiten, die es schützen will (jüdische Erfahrung); Trennung der Staatsbürgerschaft von ethnischen Voraussetzungen. Erinnerung an die Bedeutung der Friehofschändungen.
    – Metz hat die Konterbande in seinem Thema nicht bemerkt (verwechselte deshalb das „Die Blinden sehend Machen“ mit dem „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: das aufgedeckte Antlitz mit dem Aufdecken der Blöße; sowie die Empfindlichkeit mit der Sensibilität). Und zu dem Satz „theologus taceat in societas“ bliebe zu fragen: Liegt das nur an der societas?
    Im übrigen war das Symposium insgesamt durch die falsche Fragestellung behindert (durch den Vorrang der Frage nach praktischen, und d.h. in diesem Zusammenhang: rechtlichen und verwaltungsmäßigen Lösungen, wodurch die mangelnde Sensibilität gegenüber dem Phänomen selber, wie schon im Zusammenhang des sogenannten Asylanten-Problems, nur verschärft wurde: das Xenophobie-Problem ist primär ein Erkenntnisproblem; und dieser Satz ist nicht zynisch, eher der Anfang vom Ende des Zynismus: der Anfang vom Ende der kollektiven Verblendung, ohne die es die Xenophobie nicht geben würde. Zu Adornos Einsichten in die Struktur des autoritären Charakters: der Igel, der vorgibt, das sei längst überholt, hat es nicht einmal eingeholt, er hat sich nämlich nicht von der Stelle bewegt. So glaubt Kohl, die Probleme aussitzen zu können – und die ganze politische Bagage bewundert seine politische Begabung.)

  • 13.06.92

    „Ich werde niemals den warmherzigen Empfang in Panama vergessen.“ Präsident George Bush auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Albrook, nachdem er zuvor in Panama-Stadt von Demonstranten mit Kokosnüssen beworfen worden war und eine Rede abbrechen mußte. („Aufgespießt“ in der Frankfurter Rundschau vom 13.06.92) -Handelt es sich hier nicht um eine Sprachregelung, die mehrere Zwecke gleichzeitig erfüllt:
    – PR: die negative Erfahrung soll abgespalten, isoliert, privatisiert, jedenfalls vom öffentlichen Gebrauch (insbesondere im Hinblick auf den gegenwärtigen Wahlkampf) ausgeschlossen werden;
    – aus Gründen, die mit der Instrumentalisierung des eigenen Selbstbildes zusammenhängen, muß G.B. die eigene Erfahrung verdrängen, um seine Rolle als Präsidentenschauspieler weiterspielen zu können (Politiker-Syndrom); nicht auszuschließen, daß er es am Ende selber glaubt (vgl. den hEV im hessischen Gesamtschulkonflikt);
    – in diesem Kontext gewinnt Bush’s im Golfkrieg präsentiertes Konzept einer „neuen Weltordnung“ (auch die reale Führung des Golfkrieges im Verhältnis zu seiner öffentlichen Vermittlung) einen neuen, direkt apokalyptischen Sinn: diese „Weltordnung“ ist keine reale Ordnung mehr, sondern ein (dem zwangsneurotischen Selbstbild entsprechendes) Bild der Welt, dessen Durchsetzung nur mit Mitteln der PR und – begleitend oder alternativ – der massivsten Gewalt noch möglich ist. Konsequenz: Diese „neue Weltordnung“ ist nicht Ergebnis eines „letzten Krieges“, sondern wird sein Ursprung sein. Hier, in diesem Syndrom (das aus der der philosophischen zugrundeliegenden politischen Geschichte des Universalienstreits sich ableiten läßt), liegt der Ursprung und die Legitimation der explosiv sich ausbreitenden Rüstung in der Folge des zweiten Weltkriegs.
    Nachdem die SPD nach der Wende nicht in der Lage war, insbesondere in der öffentlichen Selbstdarstellung Kohls diesen Sachverhalt zu durchschauen (und zum Gegenstand öffentlicher Kritik zu machen), scheint sie ihm selbst endgültig verfallen zu sein; auf dieser Basis gibt es in der SPD nur noch Karriere-Politiker (die die innerparteiliche Ochsentour nur mit Hilfe der gleichen Mittel bestehen konnten), gibt es (innerparteilich und im Verhältnis zu den Konkurenz-Parteien) nur noch Intrigen und Häme, aber keine Kritik mehr.
    Ist das Poltiker-Syndrom nicht doch nur die Potenzierung eines an die subjektive Form der äußeren Anschauung gebundenen Subjekt-Syndroms? Und ist die Affinität von Sprachregelung (Er-nennungsbefugnis) und Gewalt, die Hannah Arend u.a. an Eichmann diagnostiziert hat, nicht der Grund des faschistischen Syndroms?
    Wie hängen das Politiker-Syndrom, Bushs Neue Weltordnung und Kohls „Versöhnung über Gräbern“ miteinander zusammen?
    Nach der Lektüre des Interviews mit Herbert Schnädelbach (in: Geist gegen den Zeitgeist. Erinnern an Adorno. S. 54f): Kann es nicht sein, daß, was als angeblich Überholtes in Adorno hineinprojiziert wird, Konsequenz der heute erstmals durchschaubar zu machenden verdrängten Beziehung zur Natur ist? Damit hängt es auch zusammen, daß, was Adorno Säkularisation aller theologischen Gehalte genannt hat, im Kontext der theologischen Halbbildung, die im Umkreis der christlichen Tradition unvermeidbar war, einfach nicht verstanden werden konnte. Frage: War eine Weiterführung der „Kritischen Theorie“ im überkommenen akademischen Rahmen und ohne konkrete und inhaltliche Reflexion der theologischen Tradition überhaupt möglich?
    Vielleicht wäre es doch einmal interessant, die Strategien der Selbsterhaltung bei den Adorno-Schülern mit den Denkblockaden in ihren Konzepten zu vergleichen: wie hier selbst noch die Erinnerung an den personalisierten Adorno als Verdrängungshilfe genutzt wird.

  • 30.03.92

    Der Dativ bezeichnet den Adressaten der Gnade, der Barmherzigkeit, des Schenkens, der Akkusativ den des Gerichts, der Genitiv das Subjekt-Objekt der Herrschaft und des Eigentums. Abgedeckt wird in der Sprache das Verhältnis von Rechts und Links, Oben und Unten, während das Verhältnis von Im Angesicht und Hinter dem Rücken innersprachlich (außer an der Qualität eines Textes) nicht sich nachweisen läßt, dafür aber an den Grund der Sprache selbst rührt.
    Ist nicht die Gründung des Staates Israel, zu der es keine Alternative gab, ein weiteres Indiz für den Rückfall in Naturgeschichte, für einen Zustand, der gleichzeitig dadurch bezeichnet ist, daß nach dem zweiten Weltkrieg ein Friedensvertrag in Europa nicht mehr möglich war. (Lassen sich die Bedeutung und die Folgen des Zusammenbruchs des „real existierenden Sozialismus“ auch im Hinblick auf die innere Entwicklung Israels ermessen? Wäre es denkbar, daß der Islam als gleichsam naturgeschichtlicher Erbe die Nachfolge des Ostblocks antritt?)
    Ein Friedensvertrag, eine neue Grenzsetzung, war nach Auschwitz deshalb nicht mehr möglich, weil zum Verfahren der „Endlösung“, des Holocaust, auch die Instrumentalisierung der Grenzfrage gehörte: Bevor sie umgebracht wurden, wurden die Juden (durch einen Gesetzesautomatismus) staatenlos gemacht und dann jenseits der Grenzen des Reiches vernichtet (vgl. Hannah Arendt).
    Das homousia ist nicht nur eine Manifestation des cäsarischen Gewaltmonopols, sondern seit seiner konstantinischen Dogmatisierung der Rechtfertigungsgrund des Gewaltmonopols des Staates (Grenz- und Wasserscheide der Zivilisation).
    Daß „die Theologie heute klein und häßlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen“ (Walter Benjamin), hängt mit der Geschichte des Zerfalls der staatlichen Strukturen (Faschismus, Holocaust, Unmöglichkeit eines Friedensvertrages nach den Weltkriegen), dem Rückfall in Naturgeschichte, der Unmöglichkeit, ökonomische Macht nochmal zu domestizieren, und dem damit (mit dem Zerfall des Staates) zusammenhängenden Zerfall der Logik, des argumentativen Denkens, zusammen. Adornos Bemerkung, daß die Studenten heute nur noch heraushören, wofür oder wogegen einer ist, sonst aber an sachlicher Argumentation nicht mehr interessiert sind, hat darin ihr fundamentum in re.
    Die Menschen können den Gedanken an Gott, unabhängig von den damit begründeten gesellschaftlichen Institutionen, Normen und Abhängigkeiten, nicht mehr denken, weil sie ihn nicht mehr ertragen: Die darin (in der Gottesfurcht) liegende Autonomieforderung, die nicht mehr zuläßt, sich hinter der kollektiven Absicherung eines Bekenntnisses (zur Konfession, zum Staat) und d.h. hinter dem Weltbegriff, auf dessen Sanktionierung jedes Bekenntnis hinausläuft, zu verstecken, ist nicht mehr zu erfüllen.
    Begriff und Schluß sind durchs Urteil vermittelt, beide drücken die Gewalt des Schuldzusammenhangs aus.
    Ambivalenz des Bindens und Lösens: Auch das Millenarium ist eine Geschichte des Bindens und Lösens; es gründet im Binden des Drachens und endet mit seiner Lösung. Aber die Dialektik des „je schlimmer, umso besser“ (die Säkularisierung der Lehre vom Antichrist) dürfte nach dem Faschismus nicht mehr zu halten sein.
    Das Heideggersche „In-der-Welt-Sein“ bezeichnet den Ursprungs-und den Wendepunkt der Bekenntnislogik, ihren irreversiblen Verfall an die Ambivalenz.
    Hält nicht die Ilias und Odyssee, eigentlich das Epos überhaupt (wie das Gilgamesch-Epos, die Aeneas und auch das Nibelungenlied) die entscheidende Phase der Ursprungsgeschichte des Patriarchats (des Privateigentums, der Ehe, des Geldes und der Schrift) fest: die Geschichte der vaterlosen Söhne und ihrer Auseinandersetzung mit den Müttern? Und gibt es eine Beziehung zwischen Sodom und Gomorra und der Geschichte von Troja?
    Zusammen mit der Entdeckung der Flächengeometrie (des Winkels) entsteht die menschliche Skulptur, zusammen mit der Geometrie des Raumes (der Entdeckung der Perspektive und des Inertialsystems) das Portrait.

  • 25.02.91

    Trinitätslehre: Für Gott: Ich/Du/Er, für Jesus: Du/Ich/Er, für den Geist (und für uns): Er/Du/Ich. Wie wird die dritte Person zur ersten (und die erste zur dritten)? Die Barmherzigkeit gewinnt erst Grund, wenn sie die richtende Gewalt ganz in sich aufgenommen hat, selbst zur richtenden Gewalt geworden ist (als Gericht über das Weltgericht, das wäre dann das Jüngste). Die Trennung von Gericht und Barmherzigkeit (Erde und Himmel) ist der Grund der Erzeugung des Chaos-Drachens?
    (Was ist mit Ich/Er/Du, Du/Er/Ich, Er/Ich/Du? Ist der Sohn niemals dritte und der Geist niemals zweite Person, während allein die erste sich durch alle drei Personen durchkonjugieren läßt – kann die zweite nicht zur dritten und die dritte nicht zur zweiten Person werden, ist die Grenze zwischen zweiter und dritter Person unübersteigbar – Grund der Einzigkeit des Vaters?)
    Bekenntnis und Familienbande: Ödipus-Komplex; double-bind; Geschichte der Auseinandersetzung mit den Eltern Voraussetzung und Modell der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur (Stellung der Familie im historischen Reproduktionsprozeß: Struktur und Gewalt des Familienmythos abhängig von der Stellung der Familie in der Gesellschaft – vgl. Hannah Arendt: Erpressbarkeit der Väter); Bekenntnis zur Familie, Auflösung des Inzest-Tabus?
    Die Wendung, daß Gott außer Himmel und Erde auch das Meer erschaffen hat, scheint außer im NT nur im Buch Jona (im „Bekenntnis des Jona“) vorzukommen (außerdem im Dekalog) (vgl. Jürgen Ebach KuJ, S. 28).

  • 14.04.90

    Wie kann man noch 1977 (im Jahre Stammheim) ein dreibändiges Werk mit dem Titel „Die Strukturen des Bösen“ schreiben, ohne Auschwitz, den Faschismus, den Antisemitismus, die Hexenverfolgung, die Inquisition, ohne Hitler, Himmler, Eichmann zu erwähnen, ohne „Die Banalität des Bösen“ von Hannah Arendt zu kennen (Rosemary Radford Ruethers „Brudermord und Nächstenliebe“ oder auch Ralph Giordanos „Zweite Schuld“ sind später erschienen): Ist nicht diese Art, Fachtheologie zu treiben, d.h. sich dabei um Gott und die Welt nicht kümmern, ein wesentliches Moment der „Strukturen des Bösen“? – Welches Böse meint Eugen Drewermannn eigentlich (nur das innerliche, private, psychologische, oder auch – wenn schon nicht zentral – das öffentliche: Wissenschaft, Ökonomie, Politik, die Welt)? Besteht nicht die Gefahr, daß er – wie die christlich-apologetische Geschichtsschreibung zum Ende des Römischen Reiches – den politischen Untergang auf die moralischen Verfehlungen der Menschen in dieser Zeit zurückführt?

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie