Aristoteles

  • 21.08.1996

    Recht und Moral lassen sich eindeutig anhand ihrer Beziehung zur Gemeinheit unterscheiden: Gemeinheit zerstört die Moral, aber sie ist kein strafrechtlicher Tatbestand. Die Berufung auf das Gewaltmonopol des Staates, die diese Gewalt zum Maß der Wahrheit macht, ist die Leugnung der göttlichen Gewalt (die eins ist mit der sadduzäischen Leugnung der Idee des Auferstehung). Gilt nicht der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand schon für die Orthodoxie (den Dogmatisierungsprozeß) und für den Naturbegriff (die Naturwissenschaften)? Und sind nicht alle drei durch die konstitutive Beziehung der Logik der Verurteilung zum Objektivierungsprozeß verbunden? Die Logik des Inertialsystems (die Logik der Beziehung von Ding und Eigenschaften, die unseren durchs Inertialsystem definierten Naturbegriff beherrscht) ist die Logik der Verurteilung. Physis vs. natura: Im Kontext des Naturbegriffs wird das Ding bestimmt durch seine Eigenschaften; die Frage ist nur, ob die Eigenschaften durch Zeugung oder durch Geburt bestimmt worden sind (Ursprung der Vererbungslehren, des Rassismus). Begründen die beiden Naturbegriffe (physis und natura) nicht zwei verschiedene Raumvorstellungen? Die Differenz liegt im Begriff der Norm, der Orthogonalität; sie läßt am Problem der Norm sich demonstrieren. Die Norm symbolisiert die Zeugung und die Geburt zugleich, sie faßt sie in eine (in sich selbst widersprüchliche, nur für die Anschauung identische) Vorstellung zusammen. In diesem Kontext wäre es wichtig und notwendig, die Transformation genauer zu bestimmen, der die Philosophie (ihre Begriffe und deren Konstellation) unterworfen wurde, als sie aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen wurde: Der Weg führt über die grundlegende Stoa (die Ataraxia, die Lösung des Problems des Selbstbewußtseins unter den Bedingungen des römischen Imperialismus), Tertullian (der die Sprache der lateinischen -postdogmatischen – Theologie geprägt hat) und Boethius (der den Aristoteles übertragen hat) zur Scholastik. Ist nicht der Confessor (dessen Prototyp Tertullian war) ein Produkt der Übertragung und Spiritualisierung des imperativen Charakters des Worts von der Schrift aufs Dogma (insbesondere auf den innertrinitarischen Prozeß, die „Zeugung“ des Sohnes durch den „Vater“)? Hat er nicht das Wort, daß die Auferstandenen wie die Engel sein werden (auf der Basis einer männlichen Engelvorstellung) so verstanden, daß nur Männer in den Himmel kommen (und Frauen, wenn sie denn in den Himmel kommen, zu Männern werden)? Reicht die Unterscheidung männlicher und weiblicher Heiligentypen nicht schon in die Märtyrerzeit zurück? Wann und unter welchen Bedingungen wurden Männer zu Märtyrern, und wann Frauen? Hat sich darin nicht schon die spätere Trennung in (männliche, politische) Confessores und (weibliche, „private“, auf den Kontext der Ehe, der männlichen Gewalt und der Sexualität bezogene) Virgines vorbereitet? Waren es nicht unterschiedliche historische Zeiten (und nicht nur Motive), die das Martyrium von Männern und Frauen unterscheiden? Unterscheiden sich Dornen und Disteln wie Welt und Natur? Stammt nicht das Gewaltmonopol des Staates aus der väterlichen Gewalt, ist nicht das Gewaltmonopol des Staates, das dem Recht zugrundeliegt, ein Monopol der Vergewaltigung (und wird nicht aus diesem Grunde gegen Frauen anders Recht gesprochen als gegen Männer)? Wer das Argument des Selbstmitleids gegen andere richtet, verwendet es wie der Vergewaltiger: Sie soll sich nicht so anstellen! So wird das Argument zur Rechtfertigung der Vergewaltigung, es mobilisiert und verstärkt den zwanghaften Trieb (zur Folter, zur Brutalität, vgl. hierzu die Bemerkungen Goldhagens zu der besonderen Grausamkeit und zum Demütigungstrieb, der die Antisemiten an ihre jüdischen Opfer band). Wer es für entscheidend hält, ob ein Urteil rechtskräftig ist, nicht aber ob es wahr ist, kann Recht und Vergewaltigung nicht mehr unterscheiden; für ihn wird das Gewaltmonopol des Staates zum Mittel der Vergewaltigung. Und wer den Angriff auf einen Staat, der „von der überwältigenden Mehrheit des Volkes“ getragen wird, für besonders unsittlich hält, spricht den Staat und mit ihm seine Diener) von jeder moralischen Verantwortung frei. Erst wenn auch in RAF-Prozessen die Ursachen der Taten frei reflektiert werden können, wenn diese Prozesse nicht mehr als Instrument der Diskriminierung von Staatskritik genutzt werden, darf man mit Recht auf eine befriedende Wirkung des Rechts wieder hoffen. Wird nicht die Anklage in dem Augenblick blasphemisch, in dem sie den Anspruch erhebt, ins Herz der Angeklagten zu sehen. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen. Was der Ankläger dort zu sehen vermeint, ist in Wahrheit das Produkt seiner eigenen Projektion; hier gibt es zum Feindbild keine Alternative mehr, und das rückt den Anspruch in einen paranoiden Zusammenhang (dessen ansteckende Wirkung, wenn überhaupt, dann nur schwer wieder unter Kontrolle zu bekommen sind). Die personalisierenden Entgleisungen in den Plädoyers der Bundesanwälte (die sich gegen die Angeklagte, gegen ihre Verteidigung und auch gegen die Prozeßbesucher richten) sind rechtfertigungslogische Konsequenzen einer apagogischen Beweisführung, der es nicht mehr um die Stichhaltigkeit der Argumente, sondern nur noch um die Wirkung geht (alle dem Zweck der Anklage dienlichen Aussagen kommen von „glaubwürdigen“, alle anderen von „unglaubwürdigen“ Zeugen, die bei Bedarf ebenso hemmungslos diskriminiert werden wie die Angeklagte, ihre VerteidigerInnen und kritische Prozeßbeobachter). Wenn die Deutschen „normal“ werden wollen, wenn sie werden wollen wie die anderen Nationen, begründen sie eine Logik, die dann auch die anderen vergiftet, sie mit in den Bann des Faschismus hereinzieht (unterliegt nicht der selbstrechtfertigende Gebrauch des Philosemitismus einer ähnlichen Gefahr?). Die Deutschen halten sich für gottähnlich, wenn sie Schicksal spielen können: als Vollstrecker des Weltgerichts. Human wäre erst eine Menschheit, in der es keine unabwendbaren Schicksale mehr gibt.

  • 25.7.96

    Eine Theologie der Schöpfung, die nicht auch Raum und Zeit als erschaffen begreift (die subjektiven Formen der Anschauung zum Gegenstand der Reflexion macht), gehorcht der Logik des Nationalismus, einer Logik, die den Staat zum Gott macht. Das ex nihilo, das auch auf den leeren Raum und die leere Zeit, auf das Nichtsein der Dinge in Raum und Zeit (auf ihre Vernichtung durch die von den subjektiven Formen der Anschauung beherrschte Einbildungskraft), sich beziehen läßt, ist ambivalent. Der Urknall ist keine Alternative zur Schöpfung, er setzt nur die atomare Katastrophe an den Anfang. Das Nichts, aus dem die Welt erschaffen wird, ist die zuvor zu vernichtende Welt.
    Ist nicht der katholische Mythos, die Lehre von Himmel, Hölle und Fegfeuer, eine logische Entfaltung der aristotelischen Theorie vom „natürlichen Ort“? Dem hat Newton, durch die Relativierung des Falls durchs Gravitationsgesetz, den Boden entzogen – allerdings um den Preis, daß das Ganze zur Hölle (die Welt zu allem, was der Fall ist) geworden ist, und die Erlösung zur Fähigkeit, das nicht wahrzunehmen, davor die Augen zu verschließen (das ist der Grund der Rechtfertigungslehre, die den Glauben zum Organ des Wegsehens, damit aber auch gleichgültig gegen seinen Inhalt, gemacht hat). Newton hat die Welt so verändert, daß seitdem überall unten ist; seitdem gibt es zur Niedertracht keine Alternative mehr. Heute ist aus dieser Niedertracht die ganz gewöhnliche Gemeinheit geworden, der Faschismus, der alles durchdringt.
    Für Aristoteles war das Feuer das absolut Leichte, sein natürlicher Ort war oben. Die christliche Kosmologie hat dann, um die obere Welt als reine Lichtwelt zu konstituieren, das Feuer nach unten verbannt und als Hölle unauslöschlich gemacht.
    In der Apokalypse gibt es nicht nur die sieben Siegel, die das Buch verschließen, sondern auch den Schlüssel zum Abgrund.
    Ist nicht das Chronologie-Problem, das Problem der „Tiefenzeit“, ein Abgrund-Problem (mit der subjektiven Form der inneren Anschauung als Finsternis über dem Abgrund)?
    Ton Veerkamp bemerkt in seinem letzten Beitrag in TuK, daß das am ersten Tag erschaffene Licht „die Finsternis vertrieben“ habe. Die Finsternis wurde jedoch nicht vertrieben, sondern sie besteht weiter, und damit die Aufgabe, Licht in die Finsternis zu bringen: „Ihr seid das Licht der Welt“ (nach Jes 457 ist die Finsternis erschaffen, das Licht gebildet).
    Sind die Planeten die „Enden der Welt“ (die Siegel auf den sechs Richtungen des Raumes und auf der Vergangenheit)?
    Beleidigung, Betrug, Vergewaltigung: Die bloße Verurteilung der Beleidigung, des Betrugs und der Vergewaltigung täuscht sich und andere darüber hinweg, daß der Zustand der Welt selber beleidigend, betrügend und vergewaltigend ist. Die Verurteilung folgt immer nur der Tat, während allein die Reflexion dieses Weltzustandes, das Licht, das sie in die Finsternis zu bringen vermag, vielleicht einmal vor der Tat stehen wird.
    Die Bibel unterscheidet die „Vögel des Himmels“, die „Fische des Meeres“ und die „Tiere des Feldes“.
    „Bevor ich es vergesse …“: Wäre das nicht ein schöner Titel? – Ist nicht das Schreiben insgesamt ein Kampf gegen das Vergessen, das die Welt erzwingt, und verweist darauf nicht Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“? Aber gibt es nicht auch Bücher – und spricht davon nicht Kohelet, wenn er schreibt: Des Büchermachens ist kein Ende -, die Instrumente des Vergessens sind?
    Wenn Physik und Ökonomie als Instrumente des Vergessens und der Verdrängung sich begreifen lassen, in der Physik gibt es einen Punkt, der vom Kampf gegen das Vergessen zeugt: Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
    Das Vergessen der Physik ist eine Potenzierung des Vergessens, das (über die Ökonomie und in ihrem Auftrag) schon in der Philosophie sich entfaltete. Hat nicht C.F.von Weizsäcker dieses potenzierte Vergessen in die Philosophie eingeführt, und ist nicht Habermas ein Beleg für das Gelingen dieses Versuchs?
    Reflektiert nicht Nietzsches Bemerkung über das Mitleiden (in Jenseits von Gut und Böse, Werke Bd. 2, S. 627) aufs genaueste die Logik, die Schopenhauer zum Menschenfeind hat werden lassen? Nietzsches Bemerkung ist wahr, aber verweist sie nicht auf das logische Problem, das in der Wahrnehmung steckt, daß auch die „Nachbarn“ noch Opfer sind?
    Verdrängung ist kein eindimensionaler Vorgang, es gibt eine dreifache Verdrängung (jede Verdrängung ist Produkt einer dreifachen Leugnung).
    Der Kampf der Kirche gegen die Aufklärung war begründet, aber er blieb abstrakt, weil die Kirche nicht in der Lage war, in der Aufklärung eine Folge ihres eigenen Prinzips wiederzuerkennen.
    Auch Theorien veralten durch den einfachen Zeitablauf (nur mathematische Erkenntnis enthalten in sich eine Automatik, die sie gegen dieses Veralten schützt, indem sie es instrumentalisiert). Eine Einsicht ist nur für den eine, der sie hat: Ex post, aufgrund der objektivierenden Gewalt, der sie durch den reinen Zeitablauf unterworfen ist, wird sie zur Meinung, die der Logik der Instrumentalisierung verfällt: sie verliert ihr Objekt und wird zum Ausdruck der Subjektivität: einer subjektiven Anschauung, eines subjektiven Interesses. Der Objektivationsprozeß (der Prozeß der fortschreitenden Naturerkenntnis und -beherrschung) ist nicht nur ein von der Menschheit angezettelter, gegen die Natur angestrengter Prozeß, sondern zugleich ein Prozeß der Natur gegen sich selber, in dem sie sich der Menschheit nur bedient.
    Hieß nicht das Tier mit den neun Köpfen, dem, wenn man einen abschlug, zwei zwei neue nachwuchsen, Hydra („Wasserschlange“), und hat dieses mythische Tier (das Herakles besiegte) etwas mit dem apokalyptischen Tier aus dem Meere zu tun?
    Das Rätsel der spätantiken, frühmittelalterlichen Theologie wäre gelöst, wenn begriffen wäre, wie die paulinischen Elementarmächte, die „Herrschaften und Gewalten“, zu Engelsmächten geworden und in die Präfation hineingeraten sind.
    Der faschistische Slogan „Blut und Boden“ zog seine symbolische Kraft aus der dunklen (durch keine Reflexion aufgehellten) Erinnerung an den durch das Blut der bei der Eroberung gefallenen Helden „geheiligten“ Boden, den Eigentumsgrund des Staates. Diese Blutsymbolik hat zugleich die Eigentumswirtschaft, der Staat und das Geld geheiligt. Hat sie nicht der Opfertheologie (der Vorstellung einer „Erlösung durch das Blut“ des am Kreuz geopferten Gottessohns) endgültig den Grund entzogen?
    Dieser Begriff der Heiligkeit, der die Herrschaftssymbolik begründet, ist dem, der der Gottesoffenbarung beim brennenden Dornbusch zugrundeliegt („Ziehe die Schuhe von den Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst ist heiliges Land“, Ex 35) durch die gemeinsame Beziehung zum Eigentumsbegriff zwar verbunden, in der Sache aber aufs genaueste entgegengesetzt. Während der biblische Begriff der Heiligkeit das Heilige jedem staatlichen Zugriff entzieht, zielt der faschistische, der mit dem Eigentum den eigenen Staat und die Gewalt, die beide aneinander bindet, vergöttlicht, darauf ab, es dem Zugriff anderer zu entziehen.
    Hat der Satz des Täufers: „Nach mir kommt der, welcher stärker ist als ich, und ich bin nicht würdig, mich zu bücken und ihm den Riemen seiner Schuhe zu lösen“ (Mk 17) etwas mit Ex 35 zu tun?
    Die Theologie hat die Kraft der Selbstreinigung von der Logik des Fundamentalismus; sie gründet in der einfachen Überlegung, daß die Vergegenwärtigung des Vergangenen etwas anderes ist als die Subsumtion der Gegenwart unter die Vergangenheit. Ist nicht die Idee des Messianismus etwas anderes als die isrealische Siedlungspolitik?
    Hegels Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, wäre durch den anderen zu ergänzen: Die Geschichte und der Weltbegriff (die durch eine logische Symbiose verbunden sind) können das Objekt nicht halten. Die Trennung von Natur und Geschichte ist unvermeidbar, aber gleichwohl falsch; sie ist ein Teil der logischen Verblendung, die theologisch allein durch die Idee der Auferstehung der Toten sich auflösen läßt.
    Ist die Sintflut nicht das Symbol des Ursprungs des Weltbegriffs (vgl. hierzu die Reflexionen zur Sintflut im Sohar)? Dann wäre Hegels Logik die Beschreibung der Sintflut von innen.
    Gibt es eine Beziehung der Praxis des „Banns“ bei der Landnahme zu den Geschichten von Sodom, Jericho und Gibea?

  • 16.7.96

    Wer andere nur verurteilt, findet sich in einer Objektwelt wieder; wer aber fähig ist, in Andere sich hineinzuversetzen, entdeckt eine menschliche Welt. Das Verurteilen reproduziert den Schrecken, den es zu bannen versucht. Die subjektiven Formen der Anschauung haben das Verurteilen instrumentalisiert; und die transzendentale Logik ist die Logik der Objektwelt (die Logik der Welt der Erscheinungen).
    Nicht „Warum ist es am Rhein so schön“ ist die Rätselfrage der Nation, sondern: Warum mögen uns die Andern nicht. Diese Frage, die der Spiegel alle Jahre wieder ergebnislos zu beantworten versucht hat, wird sich in das Nichts auflösen, das in ihr sich ausdrückt, wenn dieses Land endlich einmal ernsthaft versucht, mit sich selbst ins Reine zu kommen.
    Schlimm an den Angriffen auf Asylantenheime war nicht, was wohl das Ausland über uns denken mag, sondern schlimm waren die Taten selbst.
    Leidet nicht die Kosmologie heute daran, daß sie nicht nur das Ungleichnamige gleichnamig macht, sondern daß sie den Zwang nicht zu brechen vermag, der daher rührt, daß sie die Zeitverhältnisse vertauscht. Es ist das Irreversibilitätsprinzip, das die gesamten Naturwissenschaften verhext: Die Vorstellung der Reversibilität aller Richtungen im Raum begründet die Irreversibilität der Zeit. Wenn die mittelalterlichen Kosmologien den Mond als Grenze zwischen der himmlischen und der irdischen (der trans- und sublunarischen) Welt verstanden haben, haben sie dann nicht die Planetenbewegungen (die „Wege des Irrtums“) zu den himmlischen Erscheinungen gerechnet, damit aber das Irreversibilitätsprinzip selber an den Himmel projiziert (und so – als Vorstufe des heliozentrischen Systems – die Logik hierarchischer Herrschaftsstrukturen legitimiert)?
    Ist der Feudalismus die Gestalt, in der sich die chaldäische Astrologie unter den Bedingungen des Christentums reproduziert hat? Geblieben ist von der Astrologie das hierarchische Prinzip, am Ende zusammengeschrumpft zur „Rangordnung“ der Werte.
    Macht nicht der geisteswissenschaftliche Kausalbegriff, die Vorstellung, der eine habe eine Theorie entwickelt, die andere dann übernommen haben, ein sehr reales Problem bloß unkenntlich: Ist ein Text, der mehr als tausend Jahre, nachdem er geschrieben wurde, rezipiert wird, wirklich noch der gleiche Text? Ist die mittelalterliche Kosmologie die ptolemäische, ist der mittelalterliche „Geozentrismus“ eins mit dem antiken? Hätte Aristoteles in seiner scholastischen Rezeption sich wiedererkannt (war nicht Aristoteles der Lehrer des Alexander, während die mittelalterliche Rezeption durch die Geschichte des Reichs, das Alexander einmal begründet hatte, bereits geprägt und bestimmt ist, wobei das Lehrer-Schüler-Verhältnis sich gleichsam umgekehrt hat)?
    Liegt nicht zwischen der antiken und der mittelalterlichen Kosmologie ein entscheidender Bruch: Der von der Theoria (dem Sehen, das von der Schuld wie von der Schwere abstrahiert) zur Reflexion der verschuldeten Natur. Führt nicht die Entwicklung von der noesis noeseos, dem Denken des Denkens, über die Theologie zur Hegelschen Logik, in deren Kern das Ding steht?
    Die mittelalterliche Kosmologie (wie im übrigen jede Kosmologie vor ihr) war dem damaligen Erkenntnisstand angemessen und zugleich ein Stück Herrschaftsmetaphorik, die in den modernen Naturwissenschaften dann in unmittelbares Herrschaftswissen transformiert worden ist.
    Das Realitätsprinzip (die Vorstellung, daß am Objekt selber der Zustand der Ruhe von dem einer geradlinig gleichförmigen Bewegung sich nicht unterscheiden läßt) ist eine Folge und ebensosehr ein Konstituens der mathematischen Raumvorstellung (des Raums als „subjektiver Form der Anschauung“). Aber wird dieses Relativitätsprinzip nicht durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das aus ihr folgt, wenn es auf bestimmte Erscheinungen angewandt wird, zugleich widerlegt? Ist das Relativitätsprinzip die Wasserseite der subjektiven Formen der Anschauung (der „Feste des Himmels“), deren Feuerseite im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sich manifestiert?
    Sind nicht die Namen des schwarzen Körpers, des schwarzen Lochs und des Urknalls hochsymbolisch? Der schwarze Körper (genauer die Wände des schwarzen Hohlraums) und das schwarze Loch definieren sich durch ihr Verhältnis zum Licht: Der schwarze Körper ist ein Körper, der alles Licht abweist, zurückwirft, während das schwarze Loch alles Licht in sich aufnimmt und nicht mehr abgibt. Beide beschreiben Grenzbedingungen des Inertialsystems, das Abbrechen der Äquivalenzbeziehungen, durch die das Inertialsystem sich definiert.
    Wider die Personalisierung: Die Erwartung, daß das Ende des Faschismus durchs Aussterben der Nazis (der „Rassisten“) kommen werde (oder auch nur kommen könnte), ist irreal: Die Maschine, die „Nazis“ produziert, läuft weiter. Mehr noch, wird diese Maschine nicht zur Zeit einer Generalüberholung unterzogen, die sie nur noch effektiver zu machen verspricht?
    Hat nicht, wer Adorno nur gelesen hat, anders und auch Anderes von ihm gelernt, als wer sein unmittelbarer Schüler gewesen ist? Neigen nicht in der Regel die unmittelbaren Schüler mehr dazu, auch die privaten Marotten ihres Lehrers zu adaptieren, und ist nicht das Lesen ein zugleich öffentlicherer und intimerer Vorgang als der unittelbare Umgang mit dem Lehrer in Vorlesung und Gespräch?
    Wie hängt das Kelch-Symbol, wie hängt überhaupt das Realsymbolische und die Metaphorik mit dem Problem der Zeitumkehr zusammen? Gründet nicht in diesem Problem der Umkehr die gesamte Sprache und in ihrem Kern der Name?
    Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht: Die Irreversibilität der Zeit (zusammen mit der Logik der Reversibilität aller Richtungen im Raum) ist das Gesetz der Verhärtung der Herzen. Liegt hierin nicht das Organisationsprinzip verborgen, das der Geschichte von der Verhärtung des Herzens Pharaos zugrunde liegt, und gründet darin nicht sogar der Name des Pharao? So wie am brennenden Dornbusch der Name Gottes sich offenbart, so enthüllt sich der Titel des Pharao in der Geschichte der Verhärtung seines Herzens: zusammen mit dem Namen Mizrajim als Name des Sklavenhauses und des Eisenschmelzofen (ist nicht der Name Mizrajim der einzige Name der Schrift, den Buber durch den griechischen ersetzt: Ägypten?).
    Wölfe heulen den Mond an: Ist das nicht der Irrtum der Wölfe? (Gibt es auch einen Irrtum der Schlangen, und worin zeigt er sich?)
    Der Gott, der die Welt erschaffen hat, ist der Gott, der im Staat sich verkörpert, im Staat als dem Organisationsprinzip der Eigentumsgesellschaft. Dieser Gott legitimiert das Recht und begründet die Ordnung der Objektwelt, in der die Barmherzigkeit am Ende keine Stelle mehr findet.
    War nicht Borgentreich (mein Ferienaufenthalt dort in den dreißiger Jahren) ein Ort der Verwirrung? Der (angeheiratete) Vetter Alois, der ein Nazi war und merkwürdige Sprüche über Hitler, die Juden und Judenhäuser in Borgentreich und einige Bürger, die mit trinitarischen Spekulationen sich befaßten, von sich gab, und die Cousine Agnes, eine „vornehme“, aber auch etwas verwirrte Frau, und ihre Kinder Hermann und Walburga?
    Kindertaufe: In den Bekenntnissen des Augustinus findet man die Begründung, die bei der Einführung der Kindertaufe eine Rolle gespielt haben mag. Augustinus erinnert sich an die Gier des Säuglings, in der er die Folgen der Erbsünde erkannte, die mit der Kindertaufe getilgt werden sollte. Heute gelten Kinder als unschuldig, und wer die Gründe für diese Anschauung sucht, wird sie in der Tatsache finden, daß Kinder noch nicht „hintertückisch“ sind, daß all ihre Lebensäußerungen als unmittelbare und direkte, frei von Hintergedanken und Täuschungsabsichten wahrgenommen werden. Augustinus legte die Schuld in die Tat, die er an einem Begriff des Handelns (an dem des Gerechten) maß, vor dem die Kinder objektiv als Sünder sich erwiesen. Wir messen die Schuld an der Absicht, die einem Kind nicht unterstellt werden kann (jedenfalls nicht vor der „Trotzphase“), weshalb wir sie als unschuldige und deshalb „glückliche“ Wesen (die sie nun wirklich nicht sind) erfahren. Das aber heißt, daß wir das Glück nicht am Zustand der Welt (der uns objektiv belastet, auch wenn wir es verdrängen), sondern an unserer Schuldlosigkeit messen. Uns interessiert nicht der Lauf der Dinge, sondern nur, daß wir nicht dran schuld sind. Heißt das nicht, daß glücklich nur der Dumme ist?
    Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß: Der Staat, in dem die Ankläger Staatsanwälte heißen, stellt seine Bürger unter Dauerverdacht und unter das Gesetz der Beweisumkehr. Unschuldig ist nur, wer es auch beweisen kann. Gibt es eine bessere Methode, die Bürger davon abzuhalten, sich um Dinge zu kümmern, die „sie nichts angehen“, und sind das nicht alle Dinge, die nicht ihr unmittelbares Eigeninteresse berühren (z.B. die Probleme der Arbeitslosen, der Sozialhilfeempfänger, der Obdachlosen, der Asylanten, der Ausländer, der Frauen und Kinder)?
    Der Leiter des BGS am Flughafen (ein Leitender Polizeidirektor) heute in bei einem Interview in der Hessenschau: Seine Aufgabe sei die Verbrechensbekämpfung, z.B. des organisierten Verbrechens, insbesondere der Schlepperbanden. Die schleppen Menschen herein, die hier nur ein besseres Leben wollen. Und das sei schlimmer als der Schmuggel von Waffen.

  • 12.7.96

    Zur Kritik der Urteilskraft: Hat nicht Auschwitz der Idee des Erhabenen den Boden entzogen?
    Hegels Bemerkung, daß, was aus dem Grunde kommt, auch zugrunde geht, ist ein Ausdruck der absoluten Verzweiflung: Kant zufolge ist der Grund eine Reflexionsform des Zwecks. Für Hegel gibt es, anders als für Kant, keinen „Endzweck“; der ist in der Idee des Absoluten untergegangen und begraben.
    Der Begriff der Größe wird vor allem auf historische Personen angewandt, insbesondere auf Herrscherfiguren wie Alexander, Konstantin, Karl der Große, Friedrich der Große (und sein Vater: der große Kurfürst); merkwürdig, daß es im gleichen historischen Kontext auch ein weibliches Exemplar der Größe gibt: Katharina die Große. Dieses Attribut scheint insbesondere den Reichsgründern zuerkannt zu werden; welche Bewandnis hat es dann mit der Gründung des preußischen Staates (gegen eine in die Repräsentation des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eingebundene österreichische Herrscherin, und im Vorgriff auf die Gründung des Zweiten Deutsche Reichs)? Was zeichnete diesen Staat (der zum Modell der Hegelschen Staatsmetaphysik, der Verkörperung der Idee des Absoluten, geworden ist) vor anderen Staaten aus, und was verbindet ihn mit dem Untergang des Ersten Reiches? Dazu merkwürdig, daß Alexander und Karl inzwischen in Verdacht geraten, nur Phantomfiguren zu sein, als Verkörperungen einer Geschichtslogik, die ihre Objekte einem Verfahren der Ästhetisierung unterwirft, sich ins Irreale zu verflüchtigen scheinen.
    Mit dem mathematischen Begriff der Größe ist die Orthogonalität mit gesetzt. Kann es sein, daß der ästhetische Begriff der Größe, der der Idee des Erhabenen zugrunde liegt, durch einen der Orthogonalisierung vergleichbaren Effekt sich auszeichnet? Und kann es sein, daß die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes ihre säkularisierende Wirkung darin hat, daß sie die Vollständigkeit der Fundierungsbedingungen der mathematischen Größen (nicht ihre Realisierungsbedingungen: die schließen einen subjektiven Akt, einen Akt der Setzung, der Konvention mit ein) in sich enthält (was darin sich manifestiert, daß sie im Prinzip bereits dem ästhetischen Begriff der Größe die Grundlage entzieht)? These: Der Begriff der historischen Größe und die Idee des Erhabenen gründen in einem noch vornewtonschen, naiven Verständnis der Schwere; sie stehen in einem logischen Zusammenhang mit der Geschichte und der Logik des Weltbegriffs (seiner Beziehung zum Begriff des Falls – vgl. Wittgesteins Definition des Weltbegriffs). Kann es sein, daß Größe und Erhabenheit (die beim Augustus sogar zum Namen geworden sind) als besondere ästhetisch-historische Kategorien die christliche theologisch-dogmatische Weiterbildung der Logik, den Begriff und die Realität der Orthodoxie, voraussetzen, auf ihrer Grundlage sich gebildet haben? – Die vorchristliche Welt kannte die „sieben Weltwunder“ (und die rechtsgründenden Taten der Heroen), aber – außer den erst in christlicher Erinnerung so genannten – keine „Großen“; dagegen stand die Logik des Mythos und des Schicksals, insbesondere das absolute Urteil der Hybris.
    Ist nicht das Attribut „der Große“ ein (dem Alexander aus durchsichtigen Gründen nachträglich zuerkanntes) „historisches“ Attribut?
    Vgl. die Reflexionen Lyotards zum Begriff des Erhabenen!
    Hat die Logik der Orthodoxie (die Bekenntnislogik) für die Geschichte der Theologie und des Dogmas die gleiche Funktion wie die durch die Orthogonalität als Norm determinierte Raumvorstellung für die Bildung der Vorstellung kontinuierlicher und diskreter Größen?
    In welcher Beziehung stehen das aristotelische Staunen und die „sieben Weltwunder“ zu den Wundern der Evangelien, waren sie so etwas wie eine gleichsam prophylaktische Vorkehrung, die dem fundamentalistischen Mißverständnis dieser Wunder Vorschub geleistet (ihren „symbolisch-typologischen“ Sprachsinn unkenntlich gemacht) haben? Und war nicht dieses fundamentalistische Mißverständnis eine der Ursprungsbedingungen des Dogmas?
    Die mathematische Größe bedarf des Maßes; das aber ist Produkt einer Konvention. Es gibt kein „natürliches“ Maß der Länge, der Zeit, des Gewichts, des Geldes.
    Wenn die moderne Sprachtheorie die Worte als konventionelle Symbole begreift, verwechselt sie die Sprache mit der Mathematik. Und ist nicht der Begriff der Konvention ein falscher Ausdruck für die verandernde Kraft des Urteils? Wer das Resultat dieser Veranderung zur Sache der Konvention macht, trennt die Sprache von ihrer Wurzel im Namen.
    Die verandernde Kraft des Urteils aber gründet in der Eigentumslogik (der der Staat und der Weltbegriff sich verdanken, und die dem Naturbegriff sein Objekt gibt): in der Beziehung der objektivierenden Kraft des Seins (der Kopula) zu der objektivierenden Kraft, die der staatlich geregelten und rechtlich sanktionierten Eigentumsordnung (der Trennung und Unterscheidung der Öffentlichkeit, der Sphäre des Eigentums anderer, von der Privatsphäre) sich verdankt.
    Zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Die Tatsache, daß die Lichtgeschwindigkeit eine „empirische“ Größe ist, macht ein durch Konvention definiertes Element (ein durch „konventionelle“ Maßbestimmungen mit definiertes Element) zu einem Systemelement, das die „Objektivität“ der Erkenntnis mit garantiert. Ist dieses Systemelement nicht eines, das in den Grund des Feuers hinabreicht? Deshalb ist die Bestimmung der Beziehungen des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu den Konstituentien der Mikrophysik so zentral. Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der durch Umwendung ins Äußere unkenntlich gemachte Knoten, der zu lösen wäre?
    Lust ist eine ins Ästhetische reflektierte, durchs Ästhetische vermittelte Empfindung. Das Korrelat der Unlust ist der Schmerz. Jede Empfindlichkeit ist pathologisch, der Schmerz ist real.
    Erscheint der historisch-ästhetische Begriff der Größe (des Erhabenen) auch bei Hegel? Vgl. auch die Weltgeschichtlichen Betrachtungen Jakob Burckhardts. Im Gröfaz („größten Führer aller Zeiten“) ist der Begriff der Größe explodiert (und zwar sowohl in den unmittelbaren Zielen und Folgen der nationalsozialistischen Politik, als auch in den Metastasenbildungen in den Diktaturen heute); seit Auschwitz gibt es kein Erhabenes mehr. Reflektiert sich das nicht in der Sprache der Nachgeborenen, die z.B. den Begriff der Anmut nicht mehr kennen („heute nennen wir das geil“), aber auch in der Neigung der Medien, das Interesse der Gesellschaft anstatt durch die Sache, durch Steigerung der Reize zu gewinnen (Sensation ist ein Empfindungsbegriff, der von der Last der Reflexion entbindet)?
    Ist nicht die Größe prima facie ein Attribut des Männlichen, und das Schöne (die „Anmut“, das „Liebliche“) eines des Weiblichen? Die Blume ist schön, der Baum erhaben? Hängt es nicht mit der Verwischung der Geschlechterdifferenz zusammen, wenn in der Sprache der Jugendlichen das Erhabene vom Wahn und das Schöne vom Sexuellen nicht mehr sich scheint trennen zu lassen? Sind nicht die Attribute, mit denen Jugendliche die Dinge heute benennen, ein Indiz des Weltzustandes? Verweist nicht die Differenz des Schönen und Erhabenen auch auf die Unterscheidung von Natur und Welt, ist nicht das Schöne ein Objektgefühl, das Erhabene ein Verstandesgefühl (das Absolute ist das an sich Erhabene)? Gehören nicht das Schöne wie das Erhabene einer Sphäre an, die im Urteil gründet (und nur dem Gefühl sich erschließt, aber einem, das den Anspruch auf Objektivität erhebt)? Der Faschismus, der zum absoluten Objekt der Verurteilung geworden ist, ist weder schön noch erhaben, eigentlich die Vernichtungsmaschine beider. In diesen Zusammenhang gehört Adornos Satz, nach Auschwitz Gedichte schreiben sei barbarisch (gegen den alle protestierten, die das Privileg nicht aufgeben wollten, sich weiterhin einen Reim auf diese Vergangenheit zu machen).
    Blumen sind schön, Bäume erhaben: Heißt das nicht auch, daß Blumen als Naturwesen, Bäume als Weltwesen apperzipiert werden? Was bedeutet dann die Wendung „durch die Blume sprechen“?
    Wer die Korrektur-Vorschläge der Kant-Herausgeber in den Anmerkungen der Kant-Ausgaben liest, bekommt einen Vorbegriff davon, wie der Duden einmal entstanden sein mag. Kaum eine „Verbesserung“, an der nicht mit Händen sich greifen ließe, daß nicht nur die kantische Sprachlogik sondern mit ihr entscheidende Motive seiner Philosphie nicht mehr verstanden wurden. Alle „grammatischen Fehler“, die hier „berichtigt“ werden, sind nicht nur keine, sie drücken in Wahrheit genau das aus, was seitdem an Kant verdrängt und vergessen wurde.

  • 8.7.96

    Worauf Heinsohn/Steiger überhaupt nicht eingehen, das ist die staatliche Begründung und Organisation des Eigentums, der Zusammenhang des Ursprungs des Eigentums mit dem des Staats.
    Der Eigentümer, der nur noch an der „Verteidigung des Eigentums“ interessiert ist, instrumentalisiert die Welt, die nur so zur „Welt“ wird. In diesem Kontext der entspringt der Naturbegriff: als Inbegriff der Objektseite der Welt, des besiegten und unterworfenen Feindes.
    Ist die Miete nicht die Umkehrung des im Schuldverhältnis gründenden Zinses: Der Eigentümer verzichtet nicht auf seine Eigentumsrechte (wie bei der Beleihung im Falle eines Kredits), sondern auf seine Nutzungsrechte. Befristet übertragen wird nicht ein Eigentumsanrecht, sondern werden die Besitzrechte. Die Miete (wie auch die Pacht) ist der Zins für die Nutzung fremden Eigentums.
    Sind Eigentum und Besitz nicht Begriffe, die sich nicht abstrakt nur trennen lassen, die sich vielmehr in einander reflektieren (wie Zins und Miete)?
    Wie harmlos, oder wie idyllisch und katastrophisch zugleich wird es, wenn Heinsohn und Steiger auf das Problem der Beziehung von Tausch- und Gebrauchswert zu sprechen kommen. Hier bleibt der Gebrauchswert im Bann des Tauschwerts, alles andere wird ausgeblendet. Der Markt (die in Geld sich definierende Nachfrage, nicht die Lebensbedürfnisse der Menschen) entscheidet darüber, ob ein Gebrauchswert ein Tauschwert ist. Die Verteidiger des Eigentums sind an den Nebenwirkungen des Eigentums nicht interessiert.
    Heinsohn hat insoweit recht, als das Tauschparadigma in Herrschaftskritik terminiert; und indem er das Tauschparadigma „widerlegt“, glaubt er auch das Herrschaftsproblem (zwar nicht gelöst, wohl aber) beseitigt, aus dem Blick gerückt zu haben. Man sieht’s nicht mehr. Ist hier nicht der Punkt, an dem der Objektivierungsprozeß umschlägt in den Prozeß der Subjektivierung von Kritik zur bloßen Meinung? – Implizit ist damit auch (wie vorher schon für die Naturwissenschaft, so in ihrer Folge auch für die Philosophie) Kant erledigt, die Erinnerung an seine Vernunftkritik gelöscht.
    Das Problem der Herrschaftskritik ist durchs Eigentumsparadigma nicht erledigt, nur auf seine Wurzel zurückgeführt: Eigentum ist der Naturgrund der Herrschaft.
    Wodurch unterscheidet sich im Kontext der Eigentumslogik die Geschäftsführung von der Lohnarbeit? Gründet die Geschäftsführung, das Management, in einem Mietverhältnis (in dem Nutzungsrechte an Sachen delegiert, und nicht – wie im Fall der Lohnarbeit – Nutzungsrechte an der eigenen Person übertragen werden)? (noch nicht klar)
    Hängt die Unterscheidung von Eigentum und Besitz mit der von Welt und Natur (Begriff und Objekt, Tausch- und Gebrauchswert) zusammen? Ist die Ursprungsstunde des Eigentums die des Begriffs (des „Seins“)? Ist die Ontologie der „innere Begriff“ des Eigentums, die Idee einer „Eigentumswirtschaft“ gleichsam die Fundamentalontologie der politischen Ökonomie: wird hier nicht das Possessivpronomen der männlichen dritten Person („sein“) zur Kopula (die Unterscheidung von Eigentum und Besitz spiegelt sich bei Heidegger in der von Vorhandenem und Zuhandenem, aber auch in der von Eigentlichem und Uneigentlichem)?
    Ist nicht der letzte Satz in dem letzten der „idealtypischen Kernsätze“ zur Eigentumswirtschaft ebenso dunkel wie erschreckend, wonach es „eine Politik (braucht), deren Radikalität den historischen Sternstunden (sic!) der Schaffung von Eigentum nicht nachsteht“ (Heinsohn/Steiger, S. 445)? Wenn Heinsohn von „Sternstunden“ spricht, liegt die Assoziation der „Venuskatastrophe“ nahe. Paßt nicht überhaupt der Konkretismus seiner Theorie der altorientalischen Geschichte zu seiner „Eigentumstheorie“? Auch diese Theorie ist zwar nicht dunkel, sondern außerordentlich stringent, darum aber in der Sache nicht weniger erschreckend; nur scheint er nicht zu realisieren, auf was das, was er beschreibt, hinausläuft. In seiner Rekonstruktion der alten Geschichte projiziert er eine gesellschaftliche Naturkatastrophe an den Himmel.
    Will Heinsohn mit dem oben zitierten Satz andeuten, daß die Radikalität der Politik, die notwendig wäre, Opfer fordern wird, die den Opfern der Ursprungsgeschichte des Eigentums nicht nachstehen? Hat das nicht etwas mit dem Glück des Wissens, des Rechtbehaltens zu tun, das seinen Bestand am Untergang derer, die dieses Wissen nicht teilen wollen, findet? Und ist das nicht heute eine der gefährlichsten Verführungen? Wenn das Buch Jona nur diese Verführung kenntlich gemacht hat, so ist damit seine Aufnahme in den Kanon der prophetischen Bücher gerechtfertigt.
    Die sieben unreinen Geister sind gegenüber dem einen Geist die sieben anderen Geister (in dem letzten Satz S. 445 sucht der eine unreine Geist die sieben anderen: hier wird’s astrologisch).
    Bezeichnend die Neigung Heinsohns zu monokausalen Ableitungen, zur Eindimensionalität, die zwar den Nerv trifft, nicht aber die Wahrheit. Das gilt sowohl für die „Venus-Katastrophe“, wie auch für seine Antisemitismus- und Auschwitz-Theorie und nicht zuletzt für diese Eigentumstheorie. Manche Passagen bei Heinsohn erinnern an das Halali nach einer erfolgreichen Jagd; ähnlich führt er die erlegte Beute vor, die als dunkler Hintergrund sein eigenes, siegendes Konzept nur umso strahlender aufleuchten läßt. Nur: Ist er sicher, daß er nicht gelegentlich auch Treiber und harmlose Spaziergänger mit erlegt? Auch Nimrod, der Erbauer der „großen Stadt“ war ein „gewaltiger Jäger vor dem Herrn“.
    Gibt es nicht neben dem „monetären“ und den „realen Schocks“ (vgl. S. 387f) noch den Theorie-Schock, vor dem er selbst zurückschreckt? Ist der Fehler Heinsohns (und nicht nur Heinsohns) nicht ein ausgesprochener Theorie-Fehler, nämlich der des Zuschauers, der vergißt, daß er selber in die Vorgänge, denen er glaubt entspannt zuschauen zu können, verstrickt ist?
    Wäre nicht Kants Begriff der Aufklärung, das Heraustreten aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, heute zu verschärfen: nämlich in das Ziel der Selbstbefreiung aus dem selbstverschuldeten Wahn? Und liefert dazu nicht die Heinsohnsche „Eigentumsgesellschaft“ wichtiges Anschauungsmaterial? Bezeichnet nicht der Eigentumsbegriff die Wurzel (wie der Herrschaft, so auch) des Wahns, aber eine objektive, existierende, nicht eine, die durch einen Gesinnungswechsel oder einen Wechsel der Anschauungen zu eliminieren wäre? Ein Beleg für den Satz, daß, wer das Unkraut vor der Zeit ausreißt, den Weizen mit ausreißt? Ist das Eigentum ein Oberbegriff für Weizen und Unkraut zugleich?
    Ist der Eigentumsbegriff nicht eine Erläuterung zu jener Definition der Welt, die Wittgenstein zufolge alles ist, was der Fall ist? Und verweist auf die Eigentumsverführung vielleicht die eine der Verführungen Jesu in der Wüste, sich von der Zinne des Tempels zu stürzen?
    Verkörpert der Prophet Hananja, der sich Jeremias entgegenstellte, nicht das hellenistische Element in der jüdischen Tradition, wenn er gegen Jeremias glaubte, das babylonische Joch, das ein eisernes war, kein hölzernes, zerbrechen zu können? Dieses Zerbrechen des Jochs war das Werk der Philosophie, Symbol der individuellen Befreiung in einer unbefreiten Welt, es war Schein.
    Sind die Propheten nicht auch nach ihrem Namen zu unterscheiden: die, deren Name auf -ja endet (wie Jeremia, Sacharja u.ä.), von denen, deren Name auf -el endet (wie Ezechiel, Daniel und Joel)? Hat diese Unterscheidung etwas mit Babylon, mit dem Ursprung des Weltbegriffs, mit der Ursprungsgeschichte der Apokalypse zu tun?
    Übertragen auf die Naturwissenschaften würde das Heinsohnsche Eigentums-Konzept auf die Forderung hinauslaufen, das Trägheitsgesetz (die Mechanik) aus der Gravitation abzuleiten, während genau hier der Akt der Umkehr sich bestimmen ließe: Abzuleiten wäre die Mikrophysik aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
    Das Eigentumsprinzip benennt das Prinzip, aus dem in der Ökonomie der Vorrang der Vergangenheit herrührt; das Eigentum ist ebenso unaufhebbar wie die Vergangenheit (und wie die Natur). Das Konzept der Venus-Katastrophe ersetzt und verhindert die Suche nach dem gemeinsamen Ursprung von Astronomie und Staat und nach der gemeinsamen Logik beider, es setzt sie nur voraus. An die Stelle historischer Konkretion tritt der Konkretismus einer Naturkatastrophe, der den geschichtlichen Schuldzusammenhang ausblendet, ins Irrationale verschiebt.
    Griechenland und Rom: Alexander war ein Schüler des Aristoteles. In Rom waren die Philosophen Schüler der Caesaren. In dieser Konstellation gründet das christliche Dogma, so ist es zu einer Station (oder auch Durchgangsphase) in der Geschichte der Philosophie geworden. Der letzte Philosoph der römischen Geschichte war Augustinus, der in seinem Namen als Kaiser-Schüler sich bekannte.
    Eigentum, das aus dem Verwertungsprozeß, dem ökonomischen Prozeß herausfällt, ist Abfall oder herrenloses Gut. Ist das nicht eine reale Erfahrung in weiten Teilen der heute nachwachsenden Generation? Und sind nicht zentrale Erscheinungsformen in der Jugendszene, von der Musik über die Frisur bis zur Kleidung, Ausdruck dieser Erfahrung (zur Punk-Szene gehört die obligatorische Ratte, das Abfall-Tier).
    Die Eigentumstheorie ist eine Exkulpationstheorie, die Materialisierung der Befreiung vom Rechtfertigungszwang, in den sie zugleich alle verstrickt. Die Schuld wird unsichtbar, wenn sie zum Absoluten wird.

  • 3.6.96

    Zu Lk 117: Worauf bezieht sich das Wort von der Bekehrung der Herzen der Väter? Heißt es im Dekalog: Du sollst Vater und Mutter lieben, auf daß du lange lebest auf Erden (so der Sohn von Martin Heidegger in der FR von heute), oder: Du sollst Vater und Mutter ehren, …? Erlaubt diese Formulierung nicht die Frage, ob man seine Eltern überhaupt lieben kann, und ob nicht die Beziehung, die Kinder zu ihren Eltern herzustellen haben, auf einer anderen Ebene liegt als beispielsweise die Nächsten- oder auch die Feindesliebe? Und hat diese Frage nicht auch etwas mit der der Sündenvergebung zu tun, die (gegen die Auslassungen des Bormann-Sohnes) ohne die Versöhnung mit den Opfern nicht zu erlangen ist, und die – auch nach einem Jesus-Wort – nicht auf die Beziehung von Seele und Gott (auf den Bereich der Innerlichkeit) sich eingrenzen läßt. Gehört es nicht zur Würde des vierten Gebots, daß es die Beziehung zu den Eltern mit dem Wort „ehren“ benennt, das den Blick auf Öffentlichkeit und aufs Handeln mit einschließt, damit aber über die Privatsphäre hinaus aufs Politische verweist?
    Das vierte Gebot gebietet nicht die Elternliebe, vor deren Gefahren: der symbiotischen Beziehung und der Verstrickung in Rechtfertigungszwänge, es vielmehr durch des Wort „ehren“ schützt. Das vierte Gebot macht das Über-Ich reflexionsfähig. Die Reflexion des Über-Ich entzieht dem Glauben an die Magie des Urteils den Boden.
    Du sollst Vater und Mutter ehren: In welchem Kontext kommt dieses „ehren“ sonst noch vor?
    Nur die Eltern, die es mit sich selbst nicht aushalten, wollen von ihren Kindern geliebt werden.
    Steht das Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ nicht in der Tradition des vierten Gebots: „Du sollst Vater und Mutter ehren“? Lieben sollst du nur Gott und den Nächsten.
    Der Weltbegriff bezeichnet eine kollektive symbiotische Beziehung, deshalb ist er der logische Grund des Nationalismus. Die Form dieser symbiotischen Beziehung ist die Bekenntnislogik (die in der Schuldumkehr gründet).
    Auch der universale Weltbegriff (die Universalität des Weltbegriffs) gründet in Voraussetzungen, die erst mit dem Staat entspringen (und d.h. nicht universal sind). Zur Universalität dieses Weltbegriffs gehört der Ausschluß der Barbaren, der Fremden, der Wilden, auch der Juden.
    Ist die Trinitätslehre nicht ein Produkt der Überhöhung des dynastischen Prinzips: der Hypostasierung des Erbens (das zu den die Identität des Weltbegriffs stiftenden Kräften gehört).
    Nach jesuitischen Wahrheitsverständnis sind Notlügen erlaubt. Ist dieses Wahrheitsverständnis nicht ein politisches: Werden nicht sämtliche Wahlkämpfe, wird nicht die Selbstdarstellung der Politik insgesamt mit Notlügen bestritten?
    Die Kirche ist längst zur Versammlung der 99 Gerechten geworden.
    Ursprung der Opfertheologie: Die Männer, die bei der Kreuzigung Jesu davongelaufen sind, haben post festum das Kreuz zum Symbol der Erlösung gemacht.
    Haben der Baal und die Ascherim (und im Hintergrund der hieros gamos) nicht auch astrologische Bedeutung?
    Ist das Denken des Denkens des Aristoteles (die Selbstobjektivierung des Denkens, die Hereinnahme des Denkens des Andern ins eigene Denken: die Reflexion) selber ein Reflex der Orthogonalität, die die Unterschiede zwischen den Richtungen im Raum neutralisiert, „aufhebt“; und hängt über die noesis noeseos, die dann in der „Trinitätslehre“ sich entfaltet, die Orthodoxie mit der Orthogonalität zusammen (rühren das „Zeugen“ und das „Hervorgehen“, die das Verhältnis der Personen im trinitarischen Dogma definieren, an die in der „subjektiven Form der Anschauung“ verdrängten inneren Differenzen der Richtungen im Raum)?
    Kann es sein, daß die Kabbala und das christliche Dogma als zwei Seiten ein und derselben Sache sich begreifen lassen? Daß das En-soph (und die Sefiroth) und die Trinitätslehre auf einen gemeinsamen Ursprung in der noesis noeseos, im Denken des Denkens, genauer: in dem damit bezeichneten objektiven begriffs- und herrschaftsgeschichtlichen Problem, zurückweisen (vgl. hierzu Gershom Scholem, „Über einige Grundbegriffe des Judentums“, 1970, S. 28ff)?

  • 2.2.96

    „Präpositionen wie anläßlich, betreffs, bezüglich, mangels, mittels[t], seitens, vermittels[t], zwecks gelten als Papierdeutsch.“ (Duden, Grammatik, S. 364) – Gibt es auch Papieritalienisch, Papierfranzösisch, Papierenglisch? In welchem Zusammenhang werden diese Präpositionen gebraucht (Herrschafts-, Verwaltungs-, Mediensprache)? Gibt es noch andere Sprachelemente und sprachlogische Konstruktionen, die in diesen Bereich gehören? Ist die papierdeutsche Grammatik das Produkt einer transzendentallogischen Rekonstruktion der Sprache, ist das Papierdeutsch Subjekt-Objekt der Sprache der Hegelschen Logik, die die Logik der Schrift ebensosehr reflektiert wie sie sie als Maß ihrer eigenen Rationalität anerkennt (sprachlogisches Paradigma: „Was für eines“)?
    Ideal der Verwaltung: Alle tun ihre Pflicht, und keiner weiß, was er tut. Globke war nicht zufällig der erste Staatssekretär an der Spitze der bundesdeutschen Administration.
    Die Sprachlogik des Papierdeutsch ist die Sprachlogik der deutschen Verwaltung. An der Durchführung des Asylkompromisses wäre zu demonstrieren, daß der Faschismus in der Verwaltung als Modernisierungsschub sich begreifen läßt. Das Papierdeutsch ist wie die deutsche Verwaltung insgesamt (mit einem „Kanzler“, einem Verwaltungsamt, an der Spitze einer „Regierung“) ein Reichserbe: Es gibt keinen Kaiser mehr, aber die der Verantwortung enthobene Verwaltung, die ihre Pflicht tut, ist geblieben. Im führerlosen Staat wird das Ausland zum Repräsentanten der politischen Vernunft.
    Das Papierdeutsch ist das Ergebnis eines unüberbietbar radikalen Versuchs, eine reine Subsumtionssprache herzustellen, eine Sprache, die alles Handeln ins Passiv übersetzt. Das Papierdeutsch ist Ausdruck der Gewalt der Verwaltung, die die Politik am Ende demoralisiert und handlungsunfähig macht. Die Medien sind zu einem Organ der Hofberichterstattung geworden, nur daß an die Stelle des Hofs das reine Nichts getreten ist.
    Vergleiche auch die Rechtssprache, die diesem Zustand immer deutlicher sich anpaßt („in Augenschein nehmen“: ein Realitätsbezug, der sich selbst dementiert).
    Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns, deren Urspünge in den USA wahrscheinlich sehr viel anders klingen, ist durch seine Übertragung ins Deutsche ins Papierdeutsche übertragen worden.
    Sind nicht die philosophischen Kategorien seit ihrem Ursprung (bei Aristoteles) Papierkategorien: Kategorien einer Sprache, die unter den Voraussetzungen der Logik der Schrift sich gebildet hat, zur Verkörperung und zum Gerüst dieser Logik geworden ist?
    War nicht der Übergang vom prosopon zur persona ein Übergang vom Sehen (des Gesichts) zum Hören (der Stimme, die durch die Maske hindurchtönt), aber eines Hörens, das über die Logik der Schrift selber wieder zu einem durchs Sehen vermittelten Hören geworden ist? Ist der Begriff der Person nicht durch seine Ursprungsgeschichte fast unanalysierbar geworden (vgl. die mittelalterliche Definition der Person: persona est rationalis naturae individua substantia)?
    Das Problem der Scholastik gründet darin, daß sie die Kategorien der aristotelischen Philosophie in einen sprachlogischen Kontext übertragen hat, in dem sie ihren Sinn und ihre Erkenntniskraft eingebüßt hat: sie ist durch Instrumentalisierung ins Dogmatische verschoben worden ist. Der griechische Ursprung der Trinitätslehre war ein politischer; er steht in sprachlogischem Zusammenhang mit der Logik des Römischen Reiches (Konstantin gehört in die Ursprungsgeschichte des Dogmas); durch die Übertragung der Trinitätslehre ins Lateinische ist die Opfertheologie in den Kern des trinitarischen Dogmas gerückt, das Dogma selbst konfessionalisiert worden. Die „Wirkung“ des Dogmas ist aus dem Bereich der Erkenntnis in den der Moral verschoben worden: Sein Hauptzweck war die „Entsühnung der Welt“, die zur Grundlage der Entzauberung der Herrschaft und ihrer Vergesellschaftung geworden ist.
    Das Computerdeutsch (das Informatikdeutsch) ist eine Steigerung des Papierdeutsch.
    Wenn die Ökonomie die anorganische Natur des Staates ist, dann ist die Privatisierung der staatlichen Aufgaben, ihre Übertragung an die Ökonomie, das Werk der Verwüstung.
    Das Scheitern Jesu war das Scheitern des Worts an der Schrift.
    Ist der Hahn der Morgenstern unter den Tieren?

  • 26.12.95

    Für den „Leidenskelch“, von dem Bedenbender gelegentlich spricht, gibt es zwei neutestamentliche Belegstellen: die Getsemane-Geschichte und die Stelle, an der Jesus den Jakobus fragt, ob Jakobus den Kelch trinken könne, den er, Jesus, wird trinken müssen. Aber meinen diese Stellen nicht eigentlich etwas anderes: Ist der „Leidenskelch“ nicht in Wahrheit der Taumelkelch, der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, am Ende der Unzuchtsbecher: Symbol der Geschichte des Herrendenkens (der Taumelkelch ist der Kelch, den die Herrschenden trinken, der sie besoffen macht; vgl. Hegels Definition des Wahren in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, Theorie-Werkausgabe, S. 46)?
    Zur Jotham-Fabel: Der Feigenbaum ist ein Symbol des Friedens (das Sitzen unterm Feigenbaum). Die Dornen und Disteln wachsen in der Wüste (mit der Wüste als Symbol der wachsenden Herrschaft des Äußeren über das Innere: der Geschichte des Weltbegriffs).
    Verweist nicht der strafrechtliche Begriff des Mordes auf eine merkwürdige Über-Kreuz-Verschiebung (ursprünglich verweist das lateinische mors, aus dem der Begriff des Mordes sich herleitet, auf das subjektlose Sterben, während der Begriff des Todes auf ein Töten durch einen andern zurückweist)? Im Begriff des Mords ist nicht mehr die Tat, sondern der Täter das eigentlich definierende Moment: in ihn ist das Moment der Konkurrenz zum Staat mit eingegangen, das den Mord zum Mord und den anderen Tod zu einem neutralen Ereignis, einem Naturereignis, gemacht hat (darin spiegelt sich die Beziehung des Ursprungs und der Geschichte des Staats zum Ursprung und zur Geschichte des Naturbegriffs).
    Gehört nicht das strafrechtliche Konstrukt des Mörders zu den logischen Bedingungen des Objektbegriffs, fällt es nicht unter die Kritik der Verdinglichung? Die Begründung einer Eigenschaft durch eine vergangene Tat, die zugleich verurteilt wird (die Begründung der Eigenschaft und des Dings in der Logik der Verurteilung): Steht dagegen nicht Joh 129, die Forderung der Übernahme der Sünde Adams, die den christlichen Namen begründet? Es gibt keine Theologie ohne die so begriffene Idee der Erbsünde: Die Sünde der Welt ist die Erbsünde (und die Taufe, die „von der Erbsünde befreit“, das Symbol der Erfüllung des Nachfolgegebots).
    Die Theologie im Angesicht Gottes gründet in der Erinnerung des Paradieses.
    Im Gegensatz zum Gott der Philosophen ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs einer, den etwas gereut: der lernfähig ist. Diese Lernfähigkeit gehört zu den Attributen Gottes, die im Imperativ, nicht im Indikativ stehen.
    Die kantische Vernunftkritik hat (als Kritik des Wissens) die Idee eines „allwissenden“ Gottes widerlegt; sie hat damit eine Gottesvorstellung widerlegt, zu deren Konsequenzen die Leugnung der Lernfähigkeit: die Leugnung des Attributs der Barmherzigkeit, gehört.
    Der aristotelische Gott war der „erste Beweger“; den „allwissenden“ Gott hingegen haben die Muslime erfunden, die dann konsequenterweise aus der Barmherzigkeit Gottes seine unterschiedslose „Allbarmherzigkeit“ gemacht haben.
    Gott ist nicht allwissend, er sieht ins Herz der Menschen (das ist das Feuer, das Jesus vom Himmel bringen wollte, und er wollte, es brennte schon).
    Die InfoAG gleicht darin dem Gericht sich an, daß sie die Beziehung der „Kirchenleute“ zur Angeklagten zu diskriminieren versucht, ihnen in ähnlicher Weise wie das Gericht Hubertus Janssen unterstellt, er unterstütze die raf, den Verdacht, „objektiv“ für den VS zu arbeiten, anzuhängen versucht. Beide Konstrukte sind paranoid, beide arbeiten nach der Methode der Umkehr der Beweislast: der Ankläger braucht seine Unterstellung nicht zu begründen, der Beschuldigte soll seine Unschuld beweisen. Beide machen Gebrauch von dem Satz, wonach Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
    Das Feinddenken und die Ausgrenzung und Diskriminierung des Verräters sind, weiß Gott, nicht unbegründet, sie sollten aber reflexionsfähig gehalten werden, weil sie anders in eine Logik hineinführen, die am Ende als Logik der Identifikation mit dem Aggressor sich erweist. Diese Logik ist die Logik des Staates, die es zu durchbrechen gilt.
    Die Bekenntnislogik hat einen paranoiden Kern.
    Der Begriff der Erscheinung erinnert nicht zufällig an den Bereich des Gespenstischen: Sind nicht die neutestamentlichen Dämonen Vorläufer der Naturwissenschaften (in deren Bann die Welt insgesamt heute steht)?
    Hegel hat den kantischen Kritikbegriff vergegenständlicht (ins Vergangene transformiert), ihn in den Begriff der Objektivität selbst hineingetrieben, wo er dann in der Idee des Weltgerichts sich verkörpert. So ist Kritik zu einer im Interesse der Herrschaft instrumentalisierten und domestizierten Kritik geworden. Dieser Kritikbegriff hat die Dialektik begründet, er ersetzt Solidarität durch Komplizenschaft. Er hat den Erkenntnisbegriff durch ein eingebautes Freund-Feind-Denken vergiftet.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt auch eine Interpretation zu, in der die Lichtgeschwindigkeit selber als unendliche Geschwindigkeit sich erweist, während die schlechte Unendlichkeit der räumlichen Ausdehnung (und mit ihr das die Raumvorstellung konstituierende Prinzip der Gleichzeitkeit) auf die Logik der Zeitumkehr, der im Objekt nichts entspricht, zurückweist. Nur im Kontext dieser Logik, die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet (die Zukunft zu einer zukünftig vergangenen Zukunft macht), sind die Richtungen des Raumes reversibel. Die Logik der Zeitumkehr verwirft die Idee der Rettung, sie macht den katastrophischen Lauf der Geschichte unumkehrbar. In den indoeuropäischen Sprachen beherrscht diese Logik über die Formen der Konjugation (insbesondere über das Präsens und über den darin fundierten Ursprung des dritten Geschlechts, des Neutrums) die Grammatik (in der Geschichte vom Sündenfall symbolisiert die Schlange das Neutrum). Die Logik der Zeitumkehr ist der Kern der Logik der Schrift.
    Zum Verständnis der „subjektiven Formen der Anschauung“: Ein Kind, das etwa 20 m hinter seiner Mutter hergeht, blickt mich, als ich ihm begegne, ganz kurz aus seinen Augenwinkeln an, senkt dann seinen Blick, verschließt sein Gesicht und drückt so seine Weigerung aus, aus dem Status des Objekts meiner Anschauung (dem Status des räumlichen Objekts) herauszutreten und mit mir, und sei es nur durch den Blick, zu kommunizieren.
    Es gibt nichts Neues unter Sonne (Kohelet): Es ist die gleiche Sonne, die Homer und die uns bescheint, aber es sind nicht die gleichen Sterne.
    Gehört nicht das Auftreten der Ehrenbataillone beim Empfang fremder Staatsmänner im Fernsehen ebenso zu den Formen der politischen Verdummung wie der Auftritt der MP- und Schußwesten-bewehrten Polizeibeamten beim Hogefeld-Prozeß? In beiden Fällen verselbständigt sich die öffentliche Demonstration gegen das, was wirklich dort passiert (und gegen die Öffentlichkeit abgeschirmt werden soll). Dieser Prozeß darf nicht einmal mehr ein Schauprozeß sein, weil er sich damit selbst entlarven würde. Daß Justitia eine Binde vor den Augen trägt, heißt, daß sie ohne Ansehen der Person urteilt (sie soll nicht den Rang der Person, sondern nur die Tat vor Augen haben). Dieser Grundsatz jeden rechtsstaatlichen Verfahrens wird suspendiert, wenn statt des Angeklagten ein Feind zum Gegenstand des Verfahrens wird.
    Zu den Konstruktionsprinzipien synthetischer Urteile apriori gehört das Prinzip der Austauschbarkeit, der Reversibilität von Subjekt und Prädikat. Im Rahmen dieser Logik begründet der Satz „Alle Mörder sind Staatsfeinde“ den Schluß „Alle Staatsfeinde sind Mörder“. Das aber ist die Logik des Vorurteils (der moralischen Version des synthetischen Urteils apriori) ebenso wie die der mathematischen Erkenntnis (diese Logik liegt u.a. der kopernikanisch-newtonschen Astronomie zugrunde): Sie macht das Ungleichnamige (e.g. Himmel und Erde) gleichnamig. Die kantischen Antinomien der reinen Vernunft (die Hegel, um seine dialektische Logik zu begründen, neutralisieren muß) beziehen sich auf diesen Sachverhalt, sie haben ihn erstmals kenntlich gemacht, und zwar mit Hilfe der logischen Figur des „apagogischen Beweises“, mit dessen Hilfe Kant dem Prinzip der Reversibilität von Subjekt und Prädikat endgültig die Grundlage entzogen hat. Dieser Nachweis aber reicht weiter, als es zunächts erscheint: Er rührt an den Grund und die Grenze der Beweislogik, und damit an den Grund und die Grenze des Satzes, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (der u.a. dazu dient, das Verfahren der Umkehr der Beweislast unangreifbar zu machen). Der kantische Nachweis ist die erste Demonstration der logischen Relevanz des Levinas’schen Hinweises auf die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern, ein Hinweis, der den logischen Universalismus sprengt (und in diesem Zusammenhang den Erkenntnisbereich, auf den in der theologischen Tradition der Begriff Lehre sich bezog, neu begründet). In der kantischen Antinomie der reinen Vernunft hat die Philosophie das Prophetenwort vom Rind und Esel (und dessen biblischen Konnotationen, die tief in den theologischen Begriff des Opfers hineinreichen) eingeholt.
    Das Prinzip der Umkehr der Beweislast begründet das positivistische Rechtsverständnis, indem es das Recht zu einem Subsumtionsrecht macht (das dann den Weg frei macht für ein Verfahren, in dem der Angeklagte zum Feind wird).
    Gemein ist jede Präventiv-Anklage, die dem andern die Last des Unschuldsbeweises zuschiebt, die davon ausgeht, daß die Verteidigung allein Sache des Angeklagten sei. Diese Form der Präventiv-Anklage geht davon aus, daß Unbarmherzigkeit und Gnadenlosigkeit erlaubt sind (und das ist der logische Abgrund, aus dem der Staat hervorgeht). Dieser Logik hat Kant den Boden entzogen.
    Was ist von einem Verfahren zu halten, in dem durch Gerichtsbeschluß die Wege verstellt werden, auf denen vielleicht der Unschuldsbeweis zu führen möglich wäre?
    Ist nicht die Bekenntnislogik der Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, der eigentlich zu lösen wäre: der Knoten, der den gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang zusammenbindet? Wäre nicht die Kritik der Bekenntnislogik das Ende des Bücherschreibens (die Widerlegung des Kohelet), das Heraustreten aus dem Bann der Logik der Schrift, das Heraustreten aus dem Bann der Logik des Weltbegriffs?
    Hängt die Bedeutung der apokalyptischen Formel „der ist, der war und der sein wird“ nicht auch von der Reihenfolge der Zeitbestimmungen ab?
    Zu den Orionen (vgl. das Jesaia- Zitat bei Bedenbender) wäre die Hiob-Stelle hinzuzunehmen (über den Orion und die Plejaden). Beschreiben nicht die Planeten die Außengrenzen, zu denen neben dem König, dem Krieg und dem Handel (der Geldwirtschaft) auch die Frauen gehören (Zitat eines Ethnologen: das ist ein feindlicher Stamm, mit dem heiraten wir nur).
    Empfindlichkeiten sind Wege in die Opferfalle: Bezeichnen sie nicht genau den Punkt, in den das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden, Hoffnung zu pflanzen versucht?
    Pharisäer und Schriftgelehrte: Nur unterm Rechtfertigungszwang, der selber aus dem Vergangenheitscharakter des Gebots entspringt, wird das Gebot zum Gesetz.
    Zu Kafkas Parabel vom Schauspieldirektor, der eine Neuinszenierung vorbereitet: Müßte er nicht den zukünftigen Schauspieler, dessen Windeln er wechselt, erst zeugen?
    Diente nicht die Verschiebung des Naturbegriffs von der Zeugung zur Geburt (von physis zur natura) dazu, die messianischen „Wehen der Geburt“ zu verdrängen, sie unsichtbar zu machen, sie zu individualisieren, sie als individuelle Strafe für die „Sünde der Welt“ dem ganzen Kollektiv der Frauen anzuhängen? Verweist die Bedeutungsverschiebung in den Begriffen Natur und Welt nicht auf eine sprachlogische Differenz, die auf die Beziehung der griechischen zur lateinischen Grammatik zurückweist? Und liegt dieser sprachlogischen Differenz nicht die Differenz in den politischen Institutionen zugrunde, der Unterschied der institutionellen und imperialen Entfaltung des Römischen Reiches und des Caesarismus zur philosophiebegründenden polymorphen Gestalt der griechischen Polis?
    Gab es die hagiographische Unterscheidung von Confessor und Virgo schon in der griechischen Kirche, oder gehört sie zur Gründungsgeschichte der lateinischen Kirche? Hängt sie mit der Umformung des Symbolums in eine Confessio, mit der nicht nur der Name, sondern zugleich die Logik der Sache sich ändert, zusammen? Die Vermutung wäre zu begründen, daß das Symbolum (das für Augustinus noch ein sacramentum war) im Schuldzusammenhang der imperialen lateinischen Sprachlogik zur Confessio geworden ist.

  • 15.11.95

    Das Schuldverschubsystem ist ein Mittel der Stabilisierung der Welt. Die Selbstentlastung, die mit seiner Hilfe erreicht wird, ist ein Konstituens der Einheit der Welt (und der Einheit des Subjekts, die logisch mit dem Schuldverschubsystem verknüpft ist).
    Die transzendentale Ästhetik enthält bereits die Elemente einer Kritik des Inertialsystems, und sie verweist zugleich auf den Grund der Trennung der mathematischen und dynamischen Kategorien, der Trennung von Natur und Welt. Wird diese Trennung im Generationenkonflikt ausgetragen, in der die Trennung von Begriff und Objekt oder der mit der Urteilsform gesetzte Konflikt ausgetragen wird? Das Über-Ich ist der Repräsentant des Begriffs im Ich (Pendant der Objektivierung des Subjekts). Und die vaterlose Gesellschaft verdrängt das Über-Ich anstatt es durch Reflexion aufzulösen.
    Auf diese Konstellation verweist der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt (Hinweis auf den herrschaftsgeschichtlichen Grund der Logik).
    Als Dinglogik ist die Hegelsche Logik die Selbstreflexion der Bekenntnislogik. Deren Vorstufe war die aristotelische Logik, die am Neutrum sich entfaltet.
    Das Neutrum ist das Schwert, das den gordischen Knoten durchschlagen, die Objektivität begründet, indem sie sie in Welt und Natur getrennt hat. (Das Neutrum ist der Statthalter des Urteils in der Sprache: Repräsentant des durch den Begriff vermittelten Objektbegriffs.)
    Durch das opfertheologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ (durch die Herausnahme von Joh 129 aus dem Nachfolgegebot) ist das Christentum zu einer Religion der präventiven Schuldbefreiung geworden, zum apriorischen Alibi für die Unterwerfung und Ausbeutung der Welt: des europäischen Imperialismus.

  • 20.10.95

    Nach Ton Veerkamp haben die hellenistischen Städtegründer das in den Tempeln gehortete Geld geplündert und in die Zirkulation geworfen (Autonomie und Egalität, S. 245). So wurde das Gold zum „unbewegten Beweger“, zu einem Gott, der alles beherrscht und den nichts gereut (gegen diesen „Hellenismus“ richtete sich die Austreibung der Wechsler aus dem Tempel). Ist dieser unbewegte Beweger durch Kopernikus/Newton nicht säkularisiert worden; hat nicht die Gravitationstheorie der aristotelischen Metaphysik, indem sie sie zur Physik machte, den Garaus gemacht? Vorbereitet war diese Geschichte in der der politischen Ideologie, in der der Herrscher, der Monarch, sich immer schon im Bild der Sonne gesehen hat, des Zentralgestirns, das nicht nur den Tag, sondern auch die Bewegungen der Planeten sowie die die Nacht und den Tag begleitenden Mondphasen beherrscht. Hat die Einführung der Goldwährung (wann erfolgte sie, war’s Babylon, waren’s die Perser oder die Griechen?), die die Silberwährung abgelöst hat, damit etwas zu tun?
    Die Materialisierung der Sonne durchs Gravitationsgesetz ist das naturphilosophische Pendant zur Geschichte der Privatisierung der Herrschaft (zum Barock).
    Die Verdrängung der Vergangenheit (die der Weltbegriff automatisch leistet) hat den einfachen ökonomischen Grund: An die Opfer, die in die Fundamente der Welt, in der wir leben, mit eingemauert sind, soll nicht mehr erinnert werden. Religion ist das Ensemble der Vorkehrungen, mit denen diese Erinnerung neutralisiert wird (sie zu löschen ist nicht möglich). Die kirchlichen Vorstellungen von Hölle und Fegfeuer haben diese neutralisierte Erinnerung ins Symbolische verschoben. Aber werden die Opfer nicht real erinnert im Namen des Feuers, der ein Teil des Namens des Himmels ist? Dieses Feuer wurde zu Hölle und Fegfeuer mythologisiert in dem Augenblick, in dem der Name des Himmels von der Idee (vom Namen) des Ewigen getrennt, ins Überzeitliche verschoben wurde. Seitdem ist in den Himmeln kein Gott mehr. Der katholische Mythos von Himmel, Hölle und Fegfeuer ist die unmittelbare Folge der Historisierung des Himmels, die ihn zeitlich mit der irdischen Geschichte parallelisiert, beide unter ein gemeinsames Zeitkontinuum subsumiert. Ist die katholische Lehre von den Heiligen im Himmel über uns nicht eine Ersatzbildung für die versäumte Heiligung des Gottesnamens, die stellvertretend den Heiligen im Himmel übertragen wird (ähnlich wie die Ohrenbeichte die Versöhnung mit den Opfern stellvertretend den zölibatären Priestern überträgt)?
    Führt die kantische Philosophie nicht den Beweis, daß wir in den Fundamenten der Welt mit enthalten sind, und lassen die Naturwissenschaften nicht als das verzweifelte Bemühen sich begreifen, das Bewußtsein davon nicht aufkommen zu lassen?
    Die Naturwissenschaften leugnen die Erbsünde und die Auferstehung. Sie haben nicht nur teil an der Erbsünde, sondern sind das Instrument ihrer Totalisierung. Sie gehören zur sadduzäischen Tradition.
    Ist Elohim der Gott, der sieht, der NAME hingegen der Name des Gottes, der hört (der Name des Gottes der Propheten)? Im Schöpfungsbericht ist das Gute etwas, das gesehen wird: Gott sah, daß es gut war; diesen Sehen wird am Ende verstärkt durch den Imperativ „siehe“: Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Was an den ersten Tagen für Gott gut war, wird am Ende für alle sehr gut. Aber nachdem sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen hatten, gingen den Menschen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Die Augen gingen ihnen auf, als sie lernten, sich in den Augen der anderen zu sehen. In der Scham sehe ich mich mit den Augen der andern, die nicht ins Herz sehen (nur Gott sieht ins Herz der Menschen).
    Positivismus: Die Strafe für die verweigerte Reflexion ist das Mit-dem-Kopf-gegen-die-Wand-Rennen, das die progressiven Teile der Physik heute kennzeichnet.
    Was hat die Asymmetrie in meiner Beziehung zu den Andern mit der Asymmetrie im Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft zu tun? Universalität, Allgemeinheit gründet im Vorrang des Andern ebenso wie in dem der Vergangenheit.
    Ökonomie und Physik haben den Himmel ehern und die Erde zu Erz gemacht.
    Naturschutz: Die Verwaltung hat die Natur in Schutzhaft genommen.
    Der Naturschutz vollstreckt die Rache des Staates an einem Begriff, der seinen logischen Grund verloren hat: an dem des Naturschönen. Diese Rache trifft mit dem Naturschönen auch die Kunst.
    Der faschistische Modernisierungsschub gründet in einer vertrackten Logik, die sich daran erkennen läßt, daß Kunst und Kitsch nicht mehr sich unterscheiden lassen. Wenn es schien, als sei von der Kunst gleichsam nur noch die Aggression gegen den Kitsch übriggeblieben, so war diese Aggression von Anbeginn umkehrbar, eigentlich der Anfang der Selbstzerstörung der Kunst. Heute will niemand mehr an die Folgen seines Tuns erinnert werden.
    Die Benennung der Tiere durch Adam hat nicht nur die Tiere, sondern auch die Dinge zum Verstummen gebracht. Das Zeichen für dieses Verstummen ist der Tierkreis. Deshalb enthält der Tierkreis auch so merkwürdige Dinge wie die Zwillinge, die Jungfrau und die Waage.
    Hat dieses Verstummen etwas mit dem des Helden, des Heros (Rosenzweig/Benjamin) zu tun, der auch verstummt, bevor oder wenn er an den Himmel versetzt wird (oder der an den Himmel versetzt wird, weil er ins Erhabene verstummt?). Verstummen macht ihn die Gewalt des Schicksals.
    Ist es nicht ein Unterschied, ob man einen Rat vor einer Handlung (in der Phase der Überlegung) oder danach (nach der Tat) erteilt? Der Rat post festum, der eigentlich ein Urteil ist, ist eine Falle, aus der der, der dann schon gehandelt hat, nicht mehr herauskommt. Sind nicht alle Urteile Ratschläge post festum, die Falle, aus der es für das Objekt keinen Ausweg mehr gibt, in dem es allerdings auch erst zum Objekt wird? Der Objektbegriff bezeichnet genau diese Ausweglosigkeit. Wie hängt diese Objekt-Falle mit der Beziehung des Objektbegriffs zur Herrschaftsgeschichte zusammen?

  • 10.6.1995

    Der christliche Fundamentalismus nimmt das Dogma wörtlich, der islamische den Koran. Beide sind unfähig zur Reflexion (zur Sprachreflexion).
    Der Ursprung des Bewußtseins (seine Trennung von der Wirklichkeit) hängt mit dem Ursprung der List und der Verstellung zusammen. Der Begriff der Welt bezeichnet ein System aus List und Verstellung.
    Leitfaden der Erinnerungsarbeit ist der Name.
    Geschichte ist Weltgeschichte, und die Geschichte vor der Geschichte ist Vorgeschichte. Die altorientalische Geschichte ist die Ursprungsgeschichte der Weltgeschichte (die Wasserscheide ist die Schrift).
    Die Trennung des Dings von der Sache bezeichnet einen qualitativen Sprung in der Geschichte des Urteils. Die Beziehung von Ding und Sache wird in der Hegelschen Philosophie durch die Beziehung der Logik zur Geschichtsphilosophie repräsentiert.
    Hegels List der Vernunft bezeichnet einen objektiven Sachverhalt, eigentlich das objektive Korrelat der Philosophie. (Was drückt darin sich aus, wenn nach aristotelischer Tradition der intellectus agens jenseits der Mondsphäre angesiedelt war?)
    Der Reni’sche Blick ist der Pfaffenblick, die geheuchelte Gottesfurcht (die Gottesfurcht für andere), wie sie in jüngster Zeit an Höffner und am Papst zu sehen war.
    Daß zuerst das Licht und erst danach die Leuchten am Firmament erschaffen wurden, verweist auf die Priorität des Worts vor den sprechenden Wesen. Hängt damit das Versprechen an Abraham, seine Nachkommenschaft werde zahlreich sein wie die Sterne des Himmels, zusammen?
    Die Theologie hat die Logik der Welt in sich aufgesogen; dadurch ist sie zum steinernen Herzen der Welt geworden. Das Einfallstor der Welt, oder auch die Nabelschnur zur Welt, war der Bekenntnisbegriff.
    Warum ist es mir als Kind nie zum Bewußtsein gekommen, was es für die Familie Maashänser bedeuten mußte, daß Gerhard in Dachau war? War nicht die KZ-Haft von Gerhard für mich nur ein Abstraktum, etwas nicht Vorstellbares: Verfolgt wurde, und im KZ war für mich die Kirche (und Gerhard nur als Repräsentant der Kirche). – Hängt das nicht mit dem Paulinismus zusammen (auch Paulus hat – seinem eigenen Bewußtsein nach – nicht Stephanus, sondern die Gemeinde verfolgt und gesteinigt)? – Wäre ich in der Lage gewesen, die Sache auf Gerhard Maashänser zu beziehen, dann hätte ich auch den Antisemitismus damals anders erfahren. Der Katholizismus war eine Verkörperung des Begriffsrealismus, und der Thomismus nur eine Kompromißbildung, die es der Kirche erlaubt hat, den Nominalimus zu überwintern. Dieser Begriffsrealismus hat Auschwitz nicht überlebt. (Ist nicht die memoria passionis von Metz, wenn er sie wirklich begreift, der Ausbruch aus dem Begriffsrealismus?)
    Auschwitz ist auch ein Vorgang in der Geschichte der Philosophie. Die Dialektik der Aufklärung ist der Anfang des Bewußtseins davon.
    Hängt es nicht damit, daß die Kirche als Verkörperung des Begriffsrealismus sich begreifen läßt, zusammen, wenn die Beziehung der Theologie zu den Naturwissenschaften zentral geworden ist?

  • 9.5.1995

    Steckt nicht in dem Satz aus der Dialektik der Aufklärung: „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt“ (Neupublikation 1969, S. 19), die ganze Kritik des Inertialsystems und der Raumvorstellung? Die Distanz zum Objekt und die Beziehung des Herrn zum Beherrschten gründen in der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Ist nicht, was bei Kant Erinnerung heißt, eine in die Vergangenheit zurückprojizierte Planung?
    Sind die Planeten Instrumente zur Austarierung des Zeitkontinuums (und damit auch des Inertialsystems: des dreidimensionalen Raumes)?
    Das Menetekel: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden, ist ein frühes Symbol des Inertialsystems (und jeder Ästhetik): der Abstraktion von der Schwerkraft.
    Was haben Rind und Esel mit der Gravitation zu tun? Gibt es nicht auch eine astronomische Anwendung des Satzes vom Rind und Esel (auch ihrer Beziehung zum Opfer, zur Auslösung der Erstgeburt)? Sind nicht Sünde und Schuld die moralischen Äquivalente der Gravitation (und Objekt und Begriff Reflexe der Abstraktion von der Gravitation)?
    Ist die Technik der Esel und die Ökonomie das Rind? Und ist nicht die Beziehung von Technik und Ökonomie (von äußerer und innergesellschaftlicher Naturbeherrschung) ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Beziehung von Astronomie und Banken? Verweist nicht die Unterscheidung der Zentralbanken von den Geschäftsbanken und innerhalb der Geschäftsbanken die Unterscheidung von Depositen- und Kreditbanken auf den Grund der Dreidimensionalität des Raumes?
    Was bedeutet eigentlich der Spruch „quod licet Jovi non licet bovi“?
    War nicht die Astrologie so etwas wie das frühe Modell einer Regierung: mit Jupiter (Baal?) als Regierungschef, Mars (Nebu?) als Verteidigungsminister, Venus (Ischtar?) als Familienminister und Merkur als Handels- und Wirtschaftsminister; Saturn wäre dann der Finanzminister? Von den klassischen Ressorts fehlen (aus rekonstruierbaren Gründen) insbesondere der Außen- und der Justizminister.
    Und ist nicht die Musik das Echo des Seufzens der Kreatur, das am Ende seinen Wiederhall in den Posaunen des Gerichts und den sieben Donnern finden wird? (Haben die sieben Donner etwas mit dem Brüllen JHWHs zu tun, oder auch damit, daß der Himmel am Ende wie eine Buchrolle sich aufrollen wird, und hängt es damit zusammen, daß ihre Botschaft nicht niedergeschrieben werden durfte?)
    Der übermächtige Rachetrieb im Nachkriegsdeutschland, der die Politik, das Recht, aber auch die privaten Verhältnisse durchsetzt, gründet in den Racheängsten nach Auschwitz. Die Kollektivscham hat die Kollektivschuld nicht aufgelöst, sondern stabilisiert und zugleich verdrängt. Durch Transformation in die Kollektivscham ist die Kollektivschuld unauflösbar geworden.
    Läßt sich nicht an dem Thalesschen „Alles ist Wasser“ die Beziehung von Selbstreflektion und Vergegenständlichung sich demonstrieren. Was bei Aristoteles aus diesem Satz geworden ist, ist bereits ein Produkt der Veranderung der Thalesschen Intention.
    Den Positivismus aus dem Gesetz der doppelten Negation ableiten.
    Im Begriff des Notwendigen bezeichnet die Not eher das Subjekt als das Objekt des Wendens.
    Drückt nicht das Moment der Abwehr in der Habermasschen Philosophie aufs deutlichste in der Irrationalisierung der Mimesis (im Nachwort zur Neupublikation der Dialektik der Aufklärung) sich aus (hier prallt der Habermassche Gedanke von der Härte des unreflektierbar gewordenen Raumes ab)?
    Newtons Theorie des absoluten Raumes war darin begründet, daß die Drehung des Raumes um eine seiner Achsen zwar die Form des Raumes, nicht aber die Bewegungen in ihm, unberührt läßt. Das Relativitätsprinzip gilt nur für Translationsbewegungen (für geradlinig gleichförmige Bewegungen), nicht für Rotationen. Ein ruhender Körper in einem um eine seiner Achse rotierenden Raum läßt sich von der Kreisbewegung eines Objekts in einem ruhenden Raum durch das Auftreten von Zentrifugalkräften (in denen die Inertialkräfte sich manifestieren) unterscheiden. Reale kreisförmige Bewegung (wie die Planetenbewegungen im kopernikanischen System) sind in einem Inertialsystem nur möglich, wenn die Zentrifugalkräfte durch Gegenkräfte aufgehoben werden, die nicht auf Inertialkräfte sich zurückführen lassen (wie z.B. die Gravitationskräfte). Noch verwickelter werden die Probleme im Falle der Anwendung des Inertialsystems auf das Licht: Die Erscheinung der Fortpflanzung des Lichts im Raume zieht zwangsläufig (und keineswegs nur empirisch) den ganzen Formalismus der Elektrodynamik und der Mikrophysik (einschließlich des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Paradoxien der Mikrophysik) nach sich: Das Inertialsystem verwandelt die Welt in die Totalität dessen, was der Fall ist.

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