Augustinus

  • 2.5.1997

    Heute schilt man die Reflektierenden rücksichtslos, weil sie auf die Verdrängungen der Andern keine Rücksicht nehmen. Empfindlich ist das zur Schuldreflexion unfähige Gewissen.

    Zur antisemitischen Vorgeschichte der Denunziation: Stefan Wyss berichtet von einem Fall aus der Geschichte der Inquisition, in dem ein Beichtvater einer Beichtenden, die einer marranischen Gruppe angehörte, die Absolution nur unter der Auflage erteilte, daß sie die anderen Mitglieder dieser Gruppe bei der Inquisition denunzierte.

    Aus dem gleichen Umkreis stammt auch der Begriff der „Selbstbezichtigung“, der auf ein Verhalten sich bezog, durch das ein Verdächtiger unter gewissen Bedingungen der Verfolgung sich entziehen konnte. Der Ausdruck war insofern begründet, als mit einer Selbstbezichtigung nur der Verdacht sich bestätigen, nicht aber die Tat sich nachweisen ließ; eine Selbstbezichtigung unterschied sich vom Schuldbekenntnis, vom Eingeständnis der Tat, dadurch, daß sie auch falsch sein konnte. Nach der Inquisition haben erst die stalinistischen Schauprozesse wieder von diesem Mittel Gebrauch gemacht.

    Im Munde der Bundesanwaltschaft gewinnt der Begriff der Selbstbezichtigung die Qualität eines instrumentalisierten Freudschen Versprechers: Hier wird ein begriffliches Merkmal der Anklage, die in der Tat eine bloße Bezichtigung ist, auf das Bekenntnis der Täter verschoben: hier wird das Bekennerschreiben, das eins ist, zum „Selbstbezichtigungsschreiben“, das offen läßt, ob der, der es verfaßt und veröffentlicht hat, auch die Tat begangen hat, deren er sich „bezichtigt“. Imgrunde kann die Anklage in Staatsschutzprozessen nur davon ausgehen, daß die Angeklagten grundsätzlich lügen, Beweismittel manipulieren oder vernichten, daß m.a.W. ein rationaler Diskurs mit den Angeklagten nicht möglich ist; deshalb gibt es zur Isolationshaft keine Alternative. So „bezichtigt“ z.B. die BAW Birgit Hogefeld nur der Taten, von denen sie selbst nicht weiß, ob sie sie auch begangen hat; für das Gericht gelten diese Bezichtigungen so lange, wie sie nicht widerlegt werden, als bewiesen. Und diese „Beweisführung“ wird dadurch erleichtert, daß die Angeklagte durch die Haftbedingungen in ihren Verteidigungsmöglichkeiten behindert wird (apagogische Beweisführung unter Laborbedingungen).

    Zur inneren Differenzierung des Begriffs der Selbstbezichtigung: In der Geschichte der Verfolgung der Marranen ging es darum, die Infamie mit ihren eigene Waffen zu bekämpfen, um sich selbst, das eigene Jüdischsein, zu retten; in den stalinistischen Prozessen dagegen um das Mitspielen in einem Schauspiel, das, um die Idee der Befreiung zu retten, die Öffentlichkeit hinters Licht führen sollte, auch wenn man selbst dabei zum Opfer wurde (wie hängt die Idee der proletarischen Revolution mit Hegels „Weltgericht“ zusammen, und die Selbstbezichtigungen der Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen mit Marx‘ „Veränderung der Welt“?).

    Über das Verfahren des apagogischen Beweises hängt das Marranenproblem mit der Geschichte der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung zusammen, die in den Staatsschutzprozessen endet.

    „Schweinehund“: Marranen (zwangsgetaufte Juden, die nur äußerlich der christlichen Umwelt sich anpaßten, im Innern aber Juden geblieben waren) waren „Sauhunde“; die Wut, die sie in ihrer Umwelt hervorriefen, gründete darin, daß die zwangsangepaßten Christen in ihnen sich selbst und die Logik des Zwangsbekenntnisses, dem sie sich unterworfen hatte, wiedererkannten. Erweist sich nicht vor diesem Hintergrund Name des Schweinehundes und der „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ (heute: die „Dressur des inneren Schweinehundes“) als das missing link in der Geschichte des Übergangs vom Antijudaismus zum Antisemitismus, bezeichnet er (im Bilde des Marranen) nicht den Punkt, an dem der Antijudaismus rassistisch wird?

    Zur Vorgeschichte der Klandestinität gehört das Marranentum (vgl. auch die Geschichte der Schiiten, die „Praxis der Verheimlichung, verbunden mit politischer subversiver Tätigkeit“ im Kontext der „Privatisierung öffentlicher Macht“ bei Kippenberg: Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, S. 459f).

    Die Parabel vom Weizen, der auf den Weg, auf steinigen Grund, unter die Dornen fällt, ist eine Parabel über den Zustand der Welt, in die das Christentum hineingeschickt wird.

    Bis heute haben alle Rachephantasien nur dem Feind genützt, haben ihn stärker werden lassen.

    In der Schrift sind nur männliche Namen theophore Namen, weibliche Namen sind im allgemeinen aus der Pflanzen- und Tierwelt.

    Die Frage nach dem Naturgrund von Herrschaft ist eins mit der kantischen Frage, warum die subjektiven Formen der Anschauung gleichwohl objektiv sind. Weist sie nicht zurück auf den zweiten Schöpfungstag, die Feste des Himmels, die die oberen von den unteren Wassern trennt?

    Ist das Relativitätsprinzip das naturwissenschaftliche Pendant der „Feste des Himmels“, und ist es nicht – als Instrument der Instrumentalisierung – der Unzuchtsbecher, das Instrument der Dauervergewaltigung?

    Im Feuer manifestiert sich die Beziehung zwischen dem Angesicht und dem Seitenblick: zwischen dem Licht und seiner Abbildung im Inertialsystem, der Elektrodynamik. Das Feuer wird in der Physik selber repräsentiert durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und durch die Planck’sche Strahlungsformel.

    Die Beziehung von Natur und Freiheit bei Kant ist Ausdruck dieser Beziehung des Seitenblicks zum Im Angesicht: des Feuers.

    Der Bann der Anpassung an die Welt (an den objektivierenden Seitenblick) läßt sich nur durch die Theologie im Angesicht Gottes, in dem ich mir selbst durchsichtig werde, lösen.

    Theologie heute: Der Versuch von etwas zu reden, von dem man – wie Franz Rosenzweig von Gott Mensch Welt – nichts weiß. Die Bewegung, die dieses Nichtwissen bei Franz Rosenzweig durchläuft: Ist das nicht die Bewegung, in der Daniel den Traum des Nebukadnezar, den dieser nicht mehr weiß, rekonstruiert?

    Zur Gegenreformation gehört eine Moraltheologie, die als Pornographie im Gewande der Moral sich begreifen läßt. Sie stellt Adornos Satz „Erstes Gebot der Sexualethik: Der Ankläger hat immer Unrecht“ auf den Kopf.

    Hat das Wort „Ich schaffe die Finsternis und bilde das Licht“ etwas mit der Beziehung von Occident und Orient zu tun, mit Westen und Osten (ex oriente lux)?

    Ist nicht der apagogische Beweis, der das heliozentrische System fast unangreifbar macht, der Instrumentalisierungsbeweis (der Beweis durchs Experiment)? Dehalb gehört zum apagogischen Beweis, der insbesondere als Instrument des Staatsschutzes Anwendung findet, die Folter. Die Zwangsbekehrung der Juden (das Marranentum) war ein Instrument der Selbstinstrumentalisierung der Religion, die experimentelle Erprobung der Reichweite der Bekenntnislogik. Der Preis war die Universalisierung der Feindbildlogik und die Außerkraftsetzung des „in dubio pro reo“. Sie hat den Angeklagten zum Feind gemacht, gegen den die Anwendung der Folter zulässig ist. In der Konsequenz dieser Logik wird der Ankläger zum Anwalt des Staates, des Rechts, nicht der Gerechtigkeit (der Gebrauch, der im Titel des Staatsanwalts vom Namen des Staats gemacht wird, setzt an die Stelle der Gerechtigkeit das Recht, trennt das phainomenon vom noumenon).

    Wie hängt der apagogische Beweis mit der Selbstbegründung der Mathematik (mit der Konstruktion des adialogischen synthetischen Urteils apriori) zusammen, der Begründung einer Welt, die sowohl vom Licht wie von der Sprache abstrahiert?

    Das Gravitationsgesetz ist das Bild des Schuldverschubsystems.

    Gibt es einen Zusammenhang der Pluralisierung des tän hamartian tou kosmou zu den peccata mundi mit der Konfessionalisierung des homologein (dem Ursprung der Bekenntnislogik)? Und wie hängt die Konfessionalisierung des symbolon zusammen mit der Geschichte der Confessiones (von Augustinus bis Rousseau)?

    Gehört der Selbstmord des Uriel da Costa (der seiner Confessio, dem Exemplar humanae vitae, folgt) in die Geschichte der Selbstmorde, die mit dem kollektiven Selbstmord in Massada beginnt und mit Jean Amery, Primo Levi und Paul Celan („Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“) endet?

    Ist nicht die Amsterdamer Bannformel (gegen Uriel da Costa und dann, veschärft, gegen Spinoza), ein Indiz der Infizierung der Synagoge durch die Bekenntnislogik?

    Das Problem der Beichte verweist auf das der Sündenvergebung, der Bekehrung des einen Sünders, über dessen Bekehrung größere Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte, der Bekehrung des Sünders von seinen Wegen des Irrtums, und in diesem Zusammenhang auch auf das Problem des Worts vom Binden und Lösen. Nicht die Verurteilung der Wege des Irrtums, sondern ihre Reflexion ist der Beginn dieser „Bekehrung“.

    Emmanuel Levinas zufolge verkörpert das Angesicht des Andern das Gebot: „Du sollst nicht töten“. Zugleich widerlegt das Angesicht des Andern das Konstruktionsprinzip der subjektiven Formen der Anschauung: den Staat.

    Der erste Handel war Fernhandel, die erste Form des Erwerbs der Raub, zu den ersten Waren gehörten die als Sklaven auf dem „Markt“ angebotenen Kriegsgefangenen (zu denen auch die Frauen gehörten: Exogamie, Inzest-Verbot).

  • 13.12.1996

    Sensibilität ist das Wahrnehmungsorgan der Barmherzigkeit, Empfindlichkeit das des strengen Gerichts.
    Den Kosmos im Licht der Barmherzigkeit erkennen heißt, ihn – anstatt ihn aus der Sicht der Sonne zu sehen – aus der Sicht des Saturn zu begreifen. Ebenso wie es zwei deutlich unterschiedene Begriffe der Reinheit gibt (chemisch reines Wasser, reiner Wein), gibt es auch unterschiedene Begriffe der Ruhe: den relativistischen Begriff der Ruhe (der „Ruhe“ in einem fahrenden Zug oder dem fallenden Fahrstuhl) und den der Sabbatruhe, der erfüllten Ruhe. – Hat nicht Augustinus schon die Sabbatruhe mit der andern, der Ruhe der Trägheit, verwechselt?
    Wird nicht allzuleicht die Melancholie mit dem Phlegma verwechselt (und der Sanguiniker mit dem Choleriker)?
    Die Gnosis hat als Urhäresie zum Ursprung der Bekenntnislogik einen entscheidenden Beitrag geleistet: nämlich als Feind der „Orthodoxie“ und als ihr Modell zugleich. Neben dem Feindbild und der Ausgrenzung der Verräter aber gehört zur Bekenntnislogik das Moment der Frauenfeindschaft. Ist nicht bis heute die Gnosis, wenn man von der einen Elena Pagels absieht, ausschließlich aus männlicher Sicht gesehen und beschrieben worden, einer Sicht, die insoweit begründet und berechtigt ist, als die Gnosis, mit der das Christentum sich auseinandergesetzt hat, bereits eine von Männern in Regie genommene Gnosis war. Hat nicht Elena Pagels erstmals auf eine Tendenz innerhalb der gnostischen Bewegung hingewiesen, die bisher nur unterdrückt und verdrängt worden ist? Kann es sein, daß die neue Heiligengestalt der virgo, die zusammen mit dem (männlichen) confessor die ursprüngliche Heiligengestalt des Märtyrers abgelöst hat, ein antignostischer Typos war. Haben die Märtyrinnen, die sich geweigert haben, dem Ehebefehl ihrer Väter zu folgen, das nicht aus anderen als sexualmoralischen Gründen getan? Gehört nicht diese Verschiebung von der christlichen Befreiung der Frauen aus der potestas patri in die den männlichen Blick widerspiegelnde und ihn verinnerlichende Zwangslogik der Sexualmoral zu den Folgen der antignostischen Bewegung (die nicht auf das Christentum beschränkt war)? War nicht die Verwerfung der Gnosis überhaupt konstitutiv für die Ursprungsgeschichte der Sexualmoral und des Herrendenkens in den „Weltreligionen“?
    Gleitet nicht der Historismus heute in eine Konstellation ab, in der von der Geschichte nur noch die Verwerfung der Vergangenheit bleibt? „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“: Die Leugnung der Auferstehung, die dem Historismus zugrunde liegt, ist das Gericht der Welt über die Welt.
    Hat die Sünde wider den Heiligen Geist (die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird) etwas mit den Zeitbestimmungen der apokalyptischen Tiere zu tun?
    In der Apokalypse gibt es drei Reflexionsgestalten der Zeit:
    – Gott ist der, „der ist, der war und der kommt“,
    – er ist „das A und das O, ist der Anfang und das Ende“,
    – das Tier aber „war und ist nicht und wird heraufkommen aus der Unterwelt und geht ins Verderben“.
    Zu der Zusammenstellung „Stämme, Völker, Sprachen und Nationen“:
    – im Buch Daniel fehlen die Stämme (im Buch Esther werden die Sprachen den Völkern, die Schrift hingegen den Juden zugeordnet),
    – die Begriffe erscheinen erstmals in den Stammbäumen der Söhne Noes (die Namen der Söhne der Söhne Noes sind die Namen der Sprachen),
    – sie weisen zurück auf den Turmbau zu Babel, auf die Verwirrung der Sprache (und auf die Völkertafel und die siebzig Völker).
    Hat die Völkertafel (die Zahl siebzig) etwas mit den sieben Köpfen und den zehn Hörnern des Drachen und des Tieres aus dem Meere zu tun?
    Haben der Drache und die apokalyptischen Tiere etwas mit der Beziehung des Neutrum zum Ursprung des Natur- und des Weltbegriffs zu tun?
    Der Satz, daß die Sünde wider den Heiligen Geist weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird, enthält keine Drohung, die an eine bestimmte Tat geknüpft wird, sondern beschreibt die innere Logik dieser Tat selber. Ist diese Sünde die des einen Sünders, über dessen Bekehrung große Freude im Himmel herrscht, und ist dieser Sünder der, an dessen Bekehrung die Verheißung der Rettung der eigenen Seele gebunden ist?
    Kann es sein, daß die Gematria nur auf die hebräische Schrift anwendbar ist, daß das Problem der symbolischen Zahlenbedeutungen im Kontext der griechischen Sprache auf einer anderen Ebene liegt? Die Zahlensymbolik des Neuen Testamentes läge dann auf dieser Ebene.
    Summenzahlen: 10, 36, 153, 276, 666.
    Träume sind die nächtlichen Schatten des Herrendenkens. Und es gibt Träume, die man beim Erwachen vergißt. Käme es nicht heute darauf an, diese Träume zu rekonstruieren und dann zu deuten?

  • 04.10.1996

    „Es gibt nichts tierischeres als ein reines Gewissen“: Dieser Satz (der die Bekenntnislogik in ihrer Wurzel trifft) rechtfertigt nicht nur den Nobel-Preis: Er bezeugt die Sensibilität und Aktualität, die prophetische Erkenntniskraft, seiner Trägerin. Er ist ein Schlüsselsatz zur Erkenntnis jeder Art von Faschismus.
    Die Logik des apagogischen Beweises ist der Stachel im Herzen des Objekts (Grund des kontrafaktischen Urteils, der Urteilsethik, der Wertethik).
    Die Bekenntnislogik versucht die Lücke zu schließen, die der apagogische Beweis aufreißt. Dazu bedarf sie der Idee des Absoluten (der gegenstandslosen Spiegelung des Subjekts im Unendlichen). Die Confessiones des Augustinus enden mit dem Selbst-Bekenntnis.
    Sind nicht die Confessiones des Augustinus die Urgestalt der erbaulichen Literatur, die lateinischen Ursprungs ist? Zur erbaulichen Literatur gehört die „fromme Lüge“: Religion als Mittel der Verführung anderer? Die Idiosynkrasie gegen das Theater verweist auf eine Dramaturgie, dessen Bühne eine Sprache ist, die die Namenskraft der Sprache aus dem prosaischen Indikativ, an den sie gefesselt ist, nicht mehr zu entwickeln vermag (wodurch unterscheidet sich der lateinische vom griechischen Indikativ?). Die „Wörtlichkeit“ des Genesis-Kommentars des Augustinus (de genesi ad litteram) drückt das aufs genaueste aus. Es ist die Wörtlichkeit eines Indikativs, der im Bann der imperialen Logik der lateinischen Sprache die Herrschaftsreflexion verlernt hat. Der Bann der imperialen Logik ist der Bann der Objektivierung.
    Zu den Elementen der erbaulichen Literatur gehören:
    – die Legende (die, nachdem sie von der Herrschaft in den Dienst genommen wurde, zur Fälschung sich entwickelt hat),
    – die Privatisierung der Idee der Vorsehung (und deren Erkennbarkeit durch den Frommen), die die stoische Ataraxia als Gleichgültigkeit gegen die Welt ins Objektive wendet: in die Dinge projiziert,
    – die zentrale Funktion der Sexualmoral (und der zölibatären Lebensweise), in die die verdrängte Herrschaftskritik projiziert wird,
    – daraus abgeleitet die merkwürdige Beziehung zu Frauen (die heilige Mutter und die namenlose und dann verstoßene Geliebte).
    Die subjektiven Formen der Anschauung (zur Logik der Natur- und Geschichtserkenntnis): Der mitleidlose Blick strahlt als Kälte der Welt zurück.
    Der Bruch zwischen E- und U-Musik (und die zunehmende Verrottung beider) ist ein Reflex der Entstehungs- und Vollendungsgeschichte der Beton-Welt: Die Rockmusik lehrt die Menschen, nach der Pfeife dieser Betonwelt zu tanzen, während die Schlager (und die Pop-Musik) ihnen helfen, vor dieser Welt die Augen zu verschließen, sich aus dieser Welt herauszuträumen. Nicht mehr die Musik, sondern die avancierteste Gestalt ihrer Reflexion erschüttert die Fundamente der Welt.
    Die Beton-Welt ist ein ebenso realer wie sprachlicher Sachverhalt: An der Zeit wäre die Entfaltung einer politischen Grammatik (Ursprung des Neutrum, Geschichte der Deklination und Konjugation, Beziehung der Sprache zur Mathematik, zum Inertialsystem).
    Die Apokalypse unterscheidet zwischen den Gebeten der Heiligen (Rauchopfer) und den Taten der Heiligen (weiße Kleider).
    Sind Satan und Teufel Verkörperungen der imperialen Macht, symbolisieren sie den Caesar? Gibt es hierzu Hinweise in der Geschichte der Versuchungen Jesu (die in der konstantinischen Wende real werden: Teilhabe an der Macht, Steine statt Brot, Sturz von der Zinne des Tempels)?

  • 01.10.1996

    Das Prinzip der Schuldumkehr (und somit ihre Beziehung zum Schuldbekenntnis) bindet die Bekenntnislogik an die Logik der Verurteilung und ans Feindbild. Die Bekenntnislogik ist das Produkt der Instrumentalisierung des Symbolums. Drückt die Differenz des Bekenntnisses zum Symbolum nicht in der des confiteri zum homologein sich aus? Und ist nicht der Kontext der confessio (ihre passive, auf den Blick und das Urteil der Andern bezogene Beziehung zur Sündenvergebung, zur Rechtfertigung) ein anderer als der des homologein (der aufs Handeln: auf die aktive Nachfolge, verweist)? Die confessio trennt die Sündenvergebung vom Sündenvergeben (das Gericht von der Barmherzigkeit), sie transformiert so das homologein in ein theologisches Inertialsystem (sie subsumiert das Bekenntnis unters Gesetz der Instrumentalisierung).
    Die Trinitätslehre ist – insbesondere in ihrer lateinischen Fassung – ein logisches Konstrukt. Es ist nicht unerheblich, daß die bedeutendsten lateinischen Theologen (von Tertullian bis Augustinus) Rhetoren waren, die die Logik, indem sie sie wie eine Ingenieurswissenschaft betrieben (als Mittel für subjektive Zwecke), zu einem Instrument der gesellschaftlichen Naturbeherrschung gemacht haben. Hier ist der instrumentalisierende Grundzug in die Theologie hereingekommen, der seitdem nicht mehr aus ihr herauszubringen ist. Ist nicht das Modell der trinitas der Raum mit seinen drei Dimensionen (und das der Orthodoxie die Orthogonalität)? Die Trinitätslehre ist das embryonale Modell der universalen Verdinglichung (der Verhärtung des Herzens).
    Rind und Esel: Im Strafrecht verfolgt der Staat seine Konkurrenten: die Anmaßung des „Verbrechers“, von einem Recht Gebrauch zu machen, das nur ihm, dem Staat, zusteht. Deshalb kennt das Strafrecht keine Versöhnung und keine Wiedergutmachung, aber auch keine Umkehr, sondern nur die Strafe: die Befriedigung des Rachetriebs. Das Strafrecht wird, wenn es das Element seiner Humanisierung (die Domestizierung des Rachetriebs) endgültig verwirft, zu einer projektiven Verfolgungsmaschine (die dann im deutschen Judenmord gegen das Strafrecht, aus dem sie hervorgegangen ist, sich verselbständigt hat), eine Maschine, mit deren Hilfe der Staat sein eigenes Verbrechen (das Verbrechen seines Bestehens) an anderen verfolgt, um so sich selbst zu exkulpieren. Ist nicht das Bekenntnis zum Staat, Grund und einziger Inhalt des Nationalismus, das verstockte Bekenntnis zu diesem Verbrechen (und ist nicht die Schuldumkehr, in der das Bekenntnis sich konstituiert, der Grund der Verhärtung des Herzens)?
    Hängt die consubstantialitas mit der homousia auf ähnliche Weise zusammen wie die confessio mit dem homologein?
    Ist nicht die confessio eine passivische Perfektbildung (abgeleitet aus dem Verb confiteri, confessus sum), und ist nicht der lateinische Substanzbegriff ein Produkt (das gegenständliche Pendant) der confessio? Das Substantiv ist das Produkt der logischen Verknüpfung beider.
    Wie kommt es, daß fast alle grammatischen Bezeichnungen (wie Substantiv, Akkusativ, Nominativ etc.) auf -iv(um) enden; drückt sich darin nicht schon ihre Beziehung zur Ursprungsgeschichte des Trägheitsbegriffs, des Inertialsystems, aus? – Verweist das -ivum nicht auch auf einen Eingriff, auf eine gegenständliche, formende Tätigkeit: auf eine apriorische Sprachlogik, eine Herrschaftslogik der Sprache? Ist diese Sprachlogik nicht die Embryonalform der transzendentalen Logik (und ihr Subjekt die des transzendentalen Subjekts)?
    Vor dem Erscheinen des Tiers aus dem Wasser wird der Drache (der „Ankläger unserer Brüder“) vom Himmel auf die Erde geworfen. „Darum frohlockt, ihr Himmel, und die ihr darin wohnt! Wehe der Erde und dem Meer! denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen …“ Auf die Erde herabgeworfen, verfolgt der Drache das Weib, das den Knaben geboren hat, und das in die Wüste flieht, „fern vom Angesicht der Schlange“. Es steckt eine ungeheure Dramatik in den Kapiteln 12/13 der Johannes-Offenbarung: Der Drache übergibt dem Tier seine Kraft, seinen Thron und große Macht … Der Drache und das Tier werden angebetet; dann macht das Tier vom Lande ein Bild des ersten Tieres, das große Zeichen tut, sogar Feuer vom Himmel auf die Erde herabfallen läßt, es verleiht dem Bild Lebensgeist, sodaß das Bild sogar redet und bewirkt, daß alle, die das Bild nicht anbeten, getötet werden.
    Worauf bezieht sich das Bild von dem vom Himmel auf die Erde geschleuderten Drachen, hängt es mit dem Wort aus dem Johannes-Evangelium zusammen: „Jetzt ergeht ein Gericht über diese Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden …“ (Joh 1231, vgl. auch 1430 und 1611, sowie Lk 1018). Und hat diese Geschichte nicht etwas mit der Ursprungsgeschichte des „transzendentalen Subjekts“, der Konstruktion des Bewußtseins und dem Ursprung der Philosophie (in denen die Ursprungsgeschichte des Staates sich spiegelt) zu tun?
    Erinnert nicht die Trennung von Information und Feuilleton in den Medien (die auf die sachliche von Politik/Ökonomie und „Kultur“ zurückweist) an die Unterscheidung des Tiers aus dem Meere vom Tier vom Lande?
    Die kantische Antomienlehre enthält die Ansätze einer Kritik der Logik, sie eröffnet einen Blick in den Abgrund der Logik, den Hegel durch die erneute Einbindung in die Logik (durch Einbindung der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik) zu schließen versucht hat.

  • 20.7.96

    Ist der biblische Schöpfungsbericht eine Kampfschrift gegen die Herrschaft Babylons? Der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, ist ein Bollwerk gegen den Weltbegriff, gegen den universalen Eigentumsbegriff, der mit dem Ursprung des Staates, mit der Begründung einer Gesellschaft von Privateigentümern, mit gesetzt ist. „Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße“: Dieser Satz begründet die andere Eigentumsordnung, die die Thora entfaltet, insbesondere den Einspruch gegen ein unbeschränktes Eigentumsrecht an Grund und Boden und an einem Glied des Volkes Israel. Der biblische Begriff der Heiligkeit drückt genau diese Einschränkung des Eigentumsbegriffs aus (am Dornbusch: „ziehe die Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, worauf du stehst, ist heiliges Land“ <Ex 35>, dagegen bei der Landnahme: „jeden Ort, darauf eure Fußsohle treten wird, gebe ich euch“ <Jos 13>).
    Wer die Schöpfung (die auch auf Raum und Zeit sich erstreckt) als einen Vorgang in Raum und Zeit sich vorstellt, schließt die Möglichkeit der Herrschaftskritik vom Grunde her aus.
    Hegel begreift nur, wer begreift, daß der Weltbegriff vom Grunde her mit dem des Staates verbunden ist und den Staat nicht überlebt. Hegels Weltgericht beschreibt präzise das Lebensprinzip des Staates, nicht aber das, was die Theologie das Jüngste Gericht nennt. Das Weltgericht ist das Gericht der Sieger über die Besiegten. Dagegen steht der Satz im Jakobusbrief: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Das rührt an den zentralen Einwand gegen Hegel: Das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.
    Hegels Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, ist ein analytisches Urteil: Wenn die Natur der Inbegriff aller Objekte ist, so ist sie das Substrat des Begriffs, vermag ihn aber nicht zu halten, da sie ihn außer sich hat.
    Wer den Messianismus leugnet, leugnet auch noch die Hoffnung, die uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben ist. Ist der Benjaminsche Satz, der hier zitiert wird, nicht eine Erläuterung (oder eine Verschärfung) des letzten Satzes des Jakobusbriefs?
    Wenn das Bestehende die Kraft der Selbstlegitimation hat, so gründet das in der Logik des Weltbegriffs.
    Beginnt nicht der nationalistische Grund der Logik des Bestehenden heute zu einer Logik der Selbstzerstörung zu werden (Jugoslawien, Nordirland)? Verweist dieser nationalistische Grund der Logik des Bestehenden nicht auf die Bekenntnislogik, aus der sie hervorgegangen ist? Deshalb ist die Entkonfessionalisierung der Kirchen wichtiger als die Ökumene, die vergeblich versucht, die ungleichnamigen Hierarchiebegriffe der christlichen Kirchen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
    Zur Herrschaftslogik gehört das Prinzip der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Dieses Prinzip droht heute aus einem theoretischen (wissensbegründenden) zu einem praktischen Prinzip zu werden: Als theoretische hat sie die Kraft der Erinnerung zerstört, als praktische zerstört sie die Vorstellungskraft für das, was wir anrichten.
    Ist nicht der aktuellste Satz in den Evangelien der aus Matthäus: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?
    Fällt nicht das Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ unter das Marxsche Verdikt: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern. Das Fatale dieses Konstrukts liegt darin, daß es die „andere Interpretation“ der Welt schon für eine Änderung der Welt hält, während die „Änderung“ nur im Subjekt stattfindet, in einer Exkulpation, die es vom Bewußtsein der Schuld (nicht von der Schuld, die es nur aus dem Blickfeld verbannt) „befreit“: Hegels „Bewußtsein der Freiheit“ verweist auf diesen Zusammenhang. Der Weltbegriff selber birgt in sich eine Exkulpationsautomatik, die darin gründet, daß sie von der Last der Reflexion befreit. Exkulpiert wird der „Urheber“ der Welt, der Staat, der von der Kraft der Selbstlegitimation des Bestehenden in erster Linie profitiert.
    Die Bekenntnislogik macht das Subjekt zum Objekt von Herrschaft, indem sie Herrschaft ins Innere des Subjekts mit hereinnimmt, sie so aus dem Blickfeld rückt.
    Die Bekenntnislogik ist postdogmatisch, ihre Sprachlogik ist die der lateinischen Sprache und Grammatik.
    Läßt die Geschichte der drei Leugnungen an den geschichtlichen Brechungen der kirchlichen Theologie sich demonstrieren: an den theologischen Revolutionen, für die die geographischen Namen der jeweiligen „Grenzen der Welt“: Nordafrika, Irland und Südamerika stehen (Tertullian und Augustinus, die irischen Mönche und Johannes Scottus Eriugena, die Befreiungstheologie)?

  • 15.7.96

    Es ist die Orthogonalität als Norm, die die Größen in kontinuierliche und diskrete Größen aufspaltet.
    Verhält sich nicht die Wiedergeburt zur individuellen Unsterblichkeit wie die kontinuierliche zur diskreten Größe? Wahr ist allein die Lehre von der Auferstehung der Toten.
    Die indikativische Seelenunsterblichkeit ist als Imperativ das Selbsterhaltungsprinzip.
    Die Idee der Ewigkeit manifestiert sich nicht im mathematischen Reich der Zahlen, sondern allein im Namen. Das verhärtete Herz ist das gegen seinen Namen verhärtete Herz (das nicht hörende, unbelehrbare Herz), das Korrelat des Begriffs, dessen Objekt der Reue und der Umkehr unfähig ist.
    Ist nicht das Attribut der Größe der Knoten der zu lösen ist (es ist nicht zufällig dem als ersten zuerkannt worden, der den Knoten, anstatt ihn zu lösen, nur durchschlagen hat)? Die Größe ist das Attribut des gefallenen Morgensterns. Der Begriff der Größe enthält ein eindeutiges Richtungselement, das nach oben weist. Schlechthin groß ist, zu wem es kein Größeres gibt. Dem Begriff der Größe korrespondiert allein der der Tiefe (die „Tiefen des Satans“), die beide durch Richtungsumkehr auf einander bezogen sind, sich nur durch ihren Objektbezug unterscheiden: Nur die Größe ist ein Objektattribut, während die Tiefe ein reiner Richtungsbegriff ist; damit hängt es zusammen, daß, während die Größe über den Raum sich erhebt, die Tiefe im Raum verbleibt, den Raum, dem sie nicht zu entfliehen vermag, gleichsam in ihrem Rücken hat. Zur Lösung dieser Beziehung dürfte es dienlich sein, wenn man den Raum als Inbegriff des Instrumentellen begreift. Groß wäre dann das über jede Instrumentalisierung Erhabene (der Herr aller Hierarchien), während die Tiefe (deren Begriff den entscheidenden Hinweis zur Lokalisierung der Hölle gegeben hat) den Ort der absoluten, ausweglosen Verstrickung bezeichnet.
    War es nicht ein tiefer machtpolitischer Instinkt Kohls, der ihn geleitet hat, als er sich weigerte (und dann auch damit sich durchsetzte), im Zuge der Wiedervereinigung das Grundgesetz zu ändern, es neuzufassen? Die Wiedervereinigung durfte nur als Angliederung an einen bestehenden Bundesstaat (ein Staatenbund, der sich selbst als Staat versteht) erfolgen, der nur so, als fortbestehender, nicht aber als neuzugründender, das machtlogische Erbe des Reiches zu verkörpern in der Lage war. Das hat Änderungen des Grundgesetzes (nämlich als Anpassung an veränderte Verhältnisse, deren übergeordnete Macht damit anerkannt war) nie ausgeschlossen, nur daß diese Änderungen von den Erfordernissen der übergeordneten Instanz, niemals jedoch von den angegliederten Staaten auszugehen hatten. Das Grundgesetz erwies seine Unberührbarkeit gleichsam dadurch, daß es gegen alle Änderungswünsche, die von unten kamen, ausgesessen wurde. Damit war auch der Zugang, durch den die „Angliederung“, die eine Einverleibung war, zu erfolgen hatte, definiert.
    Ist nicht der, dem man „in den Arsch kriecht“, einer, an den man über die Ohren nicht herankommt? Und ist nicht das das Problem der Öffentlichkeit heute?
    Der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland ist an dem Satz de Gaulles, den er im Hinblick auf Sartre einmal gesagt hat, zu erkennen: Einen Voltaire zieht man nicht vor Gericht. In Deutschland hingegen war es nur eine folgenlose (und dann auch sofort verdrängte) Einsicht der Philosophie, eigentlich nur der Philosophie Kants, daß die Vernunft größer ist als der Staat. Heute steht dagegen schon der Staatsanwalt (die einzige Institution, die noch ein philosophisches Erbe, nämlich das der hegelschen Philosophie, zu verkörpern scheint).
    Was würde herauskommen, wenn man den habermasschen „Verfassungspatriotismus“ mit den Grundgesetzänderungen des letzten halben Jahrhundert konfrontiert? Wäre dieser Verfassungspatriotismus nicht als eine Form der Subreption erkennbar, die die Realität der Verfassung mit ihrer Idee verwechselt? Auch am Verfassungspatriotismus wäre zu demonstrieren, daß jeglicher Patriotismus ein Instrument der Blendung ist (einer Blendung, deren Quelle bei Habermas präzise sich bezeichnen ließe). Übriggeblieben ist eine Gestalt der Kritik, die das Bewußtsein ihrer Ohnmacht in sich mit aufgenommen hat: Kritik als Raisonnement.
    Muß man nicht Erbsünde und Erbschuld unterscheiden, und wird nicht am Ende diese Unterscheiden darauf hinauslaufen zu begreifen, daß es nur eine Erbsünde, aber keine Erbschuld gibt? Erst als vergangene Tat wird die Sünde zur Schuld, worauf es ankommt ist aber das gegenwärtige Tun: die Vermeidung der Sünde, nicht die der Schuld. Nur daß das allein möglich ist durch Reflexion des Schuldzusammenhangs, die allein den Bann zu brechen vermag, der das Fortzeugen der Sünde determiniert. Der Schuldzusammenhang gründet in einer Logik, die alles Tun ins Licht der Vergangenheit rückt.
    Die Idee der ewigen Anschauung Gottes trägt den Keim des Selbstdementis in sich. Das Angesicht Gottes ist kein Gegenstand der Anschauung.
    Die Apokalypse, und nicht (wie etwa Hegel – und mit ihm die Mehrheit der christlichen Theologen – meinte) die Trinitätslehre, ist die Offenbarung Jesu, und ihr Grund ist das „Zeugnis“ Jesu, sein Martyrium.
    Zur Confessio, der vergeistigten Gestalt des Martyriums, gehört das Confiteor, aber eines, das den „Bruder, der etwas gegen mich hat“ zum Adressaten hat, und nur insoweit auch Gott und alle Heiligen. Das Confiteor der Messe schließt die Verwechslung des Adressaten mit dem, in dessen Angesicht ich bekenne, nicht aus. Erst die Rücknahme dieser Verwechslung befreit das Credo vom Bann der Bekenntnislogik und die Religion vom Rechtfertigungszwang.
    Öffentliche Kraft gewinnt der Glaube nicht durch Affirmation, sondern allein durch Kritik, durch Kritik auf dem Boden der Solidarität mit denen, die unten sind. Jeder Glaube, der es versäumt, sich zur Stimme derer, die unten sind, zu machen, ihnen seine Stimme zu leihen, ist Kleinglaube.
    Die Pharisäer-Kritik, und zwar nicht als Geschichte, sondern als prophetisches Wort, ist ein zentrales Motiv der Evangelien, ein Indiz zugleich für meine These, daß die Evangelien von der Prophetie primär durch den Ursprung des Weltbegriffs, der alle Relationen verschiebt, sich unterscheidet: Der Pharisäismus, die Heuchelei, ist ein Systemelement des Weltbegriffs. Als Schuldverschubsystem begründet der Weltbegriff die Logik der Projektion, und damit der Heuchelei.
    Ist es nicht die logische Gewalt der Institution des Eigentums, die den Naturwissenschaften gleichsam ontologische Qualität verleiht? Das Medium, über das die eigentumslogischen Strukturen in die Naturwissenschaften hereinkommen, sind die subjektiven Formen der Anschauung (sind Raum und Zeit, ist das Inertialsystem).
    Zum Begriff der Größe: Aus welchen Gründe wurden dem Papst Gregor und dem Philosophen und Theologen Albertus Magnus (dem Lehrer des Thomas von Aquin) das Attribut beigelegt?
    Josef (der Vater Jesu) kommt als Person nur bei Matthäus und Lukas vor; bei Markus und Johannes wird Jesus gelegentlich Sohn des Joseph genannt. Bei Matthäus nennt der Engel Joseph im Traum Sohn Davids, sonst wird nur Jesus so genannt.
    Der Pharao, der Joseph nicht mehr kannte, kannte auch den Namen Gottes nicht. Hängt nicht beides mit einander zusammen, und findet darin nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens (dieses Pharaos) ihren Grund?
    Sind nicht die zehn ägyptischen Plagen Manifestationen der Verdrängung des Schuldzusammenhangs, welche Verdrängungen dann als Plagen erscheinen?
    Bezeichnet nicht der Genitiv eine Eigentums- und Herrschaftsverhältnis? Weshalb wird der Genitiv dann auch zur Bezeichnung der Vater-Sohn-Beziehung verwandt? Ist die Genitiv-Beziehung auch das Modell der Beziehung von Begriff und Objekt, Welt und Natur (woraus der griechische und der lateinische Name der Natur und die Differenz beider sich begründen ließe)? Ist nicht der griechische Begriff der Materie abgeleitet vom Holz, der lateinische hingegen vom Namen der Mutter?
    Weshalb muß im Dogma die Mutter eine virgo sein? War die theotokos schon im Griechischen eine (dazu noch unbefleckt empfangene) Jungfrau? Gibt es zum Confessor und zur Virgo ein griechisches Äquivalent? Falls nicht, so wäre das der deutlichste Beleg dafür, daß das lateinische Kirchen- und Theologieverständnis nachdogmatisch ist.
    Eine Begriffsgeschichte des Begriffs der Natur müßte den Wechsel von physis zu natura mit reflektieren: Fällt nicht in diese Reflexion die Geschichte des Dogmas, zu der auch die Titel Kirchenvater und Confessor gehören? War Tertullian noch ein Kirchenvater, und war er nicht der erste Confessor? Und war Augustinus, der sich nach Augustus nannte, selber auch Confessor und zugleich der letzte Kirchenvater? Augustinus war im übrigen wohl der einzige Kirchenvater, der auch einen Sohn (Adeodatus) hatte, dessen Mutter er freilich verstoßen hat.
    Ist nicht das Confiteor ein Passivum, zu dem es kein Aktiv gibt? Und ist nicht dieser sprachliche Sachverhalt die Grundlage des Gnadenbegriffs? Und rührt nicht auch die Konstellation, daß Augustinus zugleich Kirchenvater und Confessor war, an den Grund seiner Gnadenlehre, zu der es – soweit ich sehe – in der griechischen Theologie keine Entsprechung gibt? Vgl. hierzu die Entwicklung der (an die Konfession gebundenen) Gnadenlehre von Augustinus über die Scholastik bis hin zu Luthers Rechtfertigungslehre.
    War nicht die „Erzeugung“ der Trinitätslehre durch die Kirchenväter das genaue Modell der Vater-Sohn-Beziehung in der Trinitätslehre?
    War nicht das „Um Gotteswillen“, das mir entfuhr, als ich nach vierzig Jahren meine Briefe an Martin Buber erstmals wieder las, wörtlich zu nehmen?

  • 26.12.95

    Für den „Leidenskelch“, von dem Bedenbender gelegentlich spricht, gibt es zwei neutestamentliche Belegstellen: die Getsemane-Geschichte und die Stelle, an der Jesus den Jakobus fragt, ob Jakobus den Kelch trinken könne, den er, Jesus, wird trinken müssen. Aber meinen diese Stellen nicht eigentlich etwas anderes: Ist der „Leidenskelch“ nicht in Wahrheit der Taumelkelch, der Kelch des göttlichen Zorns und Grimms, am Ende der Unzuchtsbecher: Symbol der Geschichte des Herrendenkens (der Taumelkelch ist der Kelch, den die Herrschenden trinken, der sie besoffen macht; vgl. Hegels Definition des Wahren in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, Theorie-Werkausgabe, S. 46)?
    Zur Jotham-Fabel: Der Feigenbaum ist ein Symbol des Friedens (das Sitzen unterm Feigenbaum). Die Dornen und Disteln wachsen in der Wüste (mit der Wüste als Symbol der wachsenden Herrschaft des Äußeren über das Innere: der Geschichte des Weltbegriffs).
    Verweist nicht der strafrechtliche Begriff des Mordes auf eine merkwürdige Über-Kreuz-Verschiebung (ursprünglich verweist das lateinische mors, aus dem der Begriff des Mordes sich herleitet, auf das subjektlose Sterben, während der Begriff des Todes auf ein Töten durch einen andern zurückweist)? Im Begriff des Mords ist nicht mehr die Tat, sondern der Täter das eigentlich definierende Moment: in ihn ist das Moment der Konkurrenz zum Staat mit eingegangen, das den Mord zum Mord und den anderen Tod zu einem neutralen Ereignis, einem Naturereignis, gemacht hat (darin spiegelt sich die Beziehung des Ursprungs und der Geschichte des Staats zum Ursprung und zur Geschichte des Naturbegriffs).
    Gehört nicht das strafrechtliche Konstrukt des Mörders zu den logischen Bedingungen des Objektbegriffs, fällt es nicht unter die Kritik der Verdinglichung? Die Begründung einer Eigenschaft durch eine vergangene Tat, die zugleich verurteilt wird (die Begründung der Eigenschaft und des Dings in der Logik der Verurteilung): Steht dagegen nicht Joh 129, die Forderung der Übernahme der Sünde Adams, die den christlichen Namen begründet? Es gibt keine Theologie ohne die so begriffene Idee der Erbsünde: Die Sünde der Welt ist die Erbsünde (und die Taufe, die „von der Erbsünde befreit“, das Symbol der Erfüllung des Nachfolgegebots).
    Die Theologie im Angesicht Gottes gründet in der Erinnerung des Paradieses.
    Im Gegensatz zum Gott der Philosophen ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs einer, den etwas gereut: der lernfähig ist. Diese Lernfähigkeit gehört zu den Attributen Gottes, die im Imperativ, nicht im Indikativ stehen.
    Die kantische Vernunftkritik hat (als Kritik des Wissens) die Idee eines „allwissenden“ Gottes widerlegt; sie hat damit eine Gottesvorstellung widerlegt, zu deren Konsequenzen die Leugnung der Lernfähigkeit: die Leugnung des Attributs der Barmherzigkeit, gehört.
    Der aristotelische Gott war der „erste Beweger“; den „allwissenden“ Gott hingegen haben die Muslime erfunden, die dann konsequenterweise aus der Barmherzigkeit Gottes seine unterschiedslose „Allbarmherzigkeit“ gemacht haben.
    Gott ist nicht allwissend, er sieht ins Herz der Menschen (das ist das Feuer, das Jesus vom Himmel bringen wollte, und er wollte, es brennte schon).
    Die InfoAG gleicht darin dem Gericht sich an, daß sie die Beziehung der „Kirchenleute“ zur Angeklagten zu diskriminieren versucht, ihnen in ähnlicher Weise wie das Gericht Hubertus Janssen unterstellt, er unterstütze die raf, den Verdacht, „objektiv“ für den VS zu arbeiten, anzuhängen versucht. Beide Konstrukte sind paranoid, beide arbeiten nach der Methode der Umkehr der Beweislast: der Ankläger braucht seine Unterstellung nicht zu begründen, der Beschuldigte soll seine Unschuld beweisen. Beide machen Gebrauch von dem Satz, wonach Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
    Das Feinddenken und die Ausgrenzung und Diskriminierung des Verräters sind, weiß Gott, nicht unbegründet, sie sollten aber reflexionsfähig gehalten werden, weil sie anders in eine Logik hineinführen, die am Ende als Logik der Identifikation mit dem Aggressor sich erweist. Diese Logik ist die Logik des Staates, die es zu durchbrechen gilt.
    Die Bekenntnislogik hat einen paranoiden Kern.
    Der Begriff der Erscheinung erinnert nicht zufällig an den Bereich des Gespenstischen: Sind nicht die neutestamentlichen Dämonen Vorläufer der Naturwissenschaften (in deren Bann die Welt insgesamt heute steht)?
    Hegel hat den kantischen Kritikbegriff vergegenständlicht (ins Vergangene transformiert), ihn in den Begriff der Objektivität selbst hineingetrieben, wo er dann in der Idee des Weltgerichts sich verkörpert. So ist Kritik zu einer im Interesse der Herrschaft instrumentalisierten und domestizierten Kritik geworden. Dieser Kritikbegriff hat die Dialektik begründet, er ersetzt Solidarität durch Komplizenschaft. Er hat den Erkenntnisbegriff durch ein eingebautes Freund-Feind-Denken vergiftet.
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit läßt auch eine Interpretation zu, in der die Lichtgeschwindigkeit selber als unendliche Geschwindigkeit sich erweist, während die schlechte Unendlichkeit der räumlichen Ausdehnung (und mit ihr das die Raumvorstellung konstituierende Prinzip der Gleichzeitkeit) auf die Logik der Zeitumkehr, der im Objekt nichts entspricht, zurückweist. Nur im Kontext dieser Logik, die die Vorstellung des Zeitkontinuums begründet (die Zukunft zu einer zukünftig vergangenen Zukunft macht), sind die Richtungen des Raumes reversibel. Die Logik der Zeitumkehr verwirft die Idee der Rettung, sie macht den katastrophischen Lauf der Geschichte unumkehrbar. In den indoeuropäischen Sprachen beherrscht diese Logik über die Formen der Konjugation (insbesondere über das Präsens und über den darin fundierten Ursprung des dritten Geschlechts, des Neutrums) die Grammatik (in der Geschichte vom Sündenfall symbolisiert die Schlange das Neutrum). Die Logik der Zeitumkehr ist der Kern der Logik der Schrift.
    Zum Verständnis der „subjektiven Formen der Anschauung“: Ein Kind, das etwa 20 m hinter seiner Mutter hergeht, blickt mich, als ich ihm begegne, ganz kurz aus seinen Augenwinkeln an, senkt dann seinen Blick, verschließt sein Gesicht und drückt so seine Weigerung aus, aus dem Status des Objekts meiner Anschauung (dem Status des räumlichen Objekts) herauszutreten und mit mir, und sei es nur durch den Blick, zu kommunizieren.
    Es gibt nichts Neues unter Sonne (Kohelet): Es ist die gleiche Sonne, die Homer und die uns bescheint, aber es sind nicht die gleichen Sterne.
    Gehört nicht das Auftreten der Ehrenbataillone beim Empfang fremder Staatsmänner im Fernsehen ebenso zu den Formen der politischen Verdummung wie der Auftritt der MP- und Schußwesten-bewehrten Polizeibeamten beim Hogefeld-Prozeß? In beiden Fällen verselbständigt sich die öffentliche Demonstration gegen das, was wirklich dort passiert (und gegen die Öffentlichkeit abgeschirmt werden soll). Dieser Prozeß darf nicht einmal mehr ein Schauprozeß sein, weil er sich damit selbst entlarven würde. Daß Justitia eine Binde vor den Augen trägt, heißt, daß sie ohne Ansehen der Person urteilt (sie soll nicht den Rang der Person, sondern nur die Tat vor Augen haben). Dieser Grundsatz jeden rechtsstaatlichen Verfahrens wird suspendiert, wenn statt des Angeklagten ein Feind zum Gegenstand des Verfahrens wird.
    Zu den Konstruktionsprinzipien synthetischer Urteile apriori gehört das Prinzip der Austauschbarkeit, der Reversibilität von Subjekt und Prädikat. Im Rahmen dieser Logik begründet der Satz „Alle Mörder sind Staatsfeinde“ den Schluß „Alle Staatsfeinde sind Mörder“. Das aber ist die Logik des Vorurteils (der moralischen Version des synthetischen Urteils apriori) ebenso wie die der mathematischen Erkenntnis (diese Logik liegt u.a. der kopernikanisch-newtonschen Astronomie zugrunde): Sie macht das Ungleichnamige (e.g. Himmel und Erde) gleichnamig. Die kantischen Antinomien der reinen Vernunft (die Hegel, um seine dialektische Logik zu begründen, neutralisieren muß) beziehen sich auf diesen Sachverhalt, sie haben ihn erstmals kenntlich gemacht, und zwar mit Hilfe der logischen Figur des „apagogischen Beweises“, mit dessen Hilfe Kant dem Prinzip der Reversibilität von Subjekt und Prädikat endgültig die Grundlage entzogen hat. Dieser Nachweis aber reicht weiter, als es zunächts erscheint: Er rührt an den Grund und die Grenze der Beweislogik, und damit an den Grund und die Grenze des Satzes, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist (der u.a. dazu dient, das Verfahren der Umkehr der Beweislast unangreifbar zu machen). Der kantische Nachweis ist die erste Demonstration der logischen Relevanz des Levinas’schen Hinweises auf die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern, ein Hinweis, der den logischen Universalismus sprengt (und in diesem Zusammenhang den Erkenntnisbereich, auf den in der theologischen Tradition der Begriff Lehre sich bezog, neu begründet). In der kantischen Antinomie der reinen Vernunft hat die Philosophie das Prophetenwort vom Rind und Esel (und dessen biblischen Konnotationen, die tief in den theologischen Begriff des Opfers hineinreichen) eingeholt.
    Das Prinzip der Umkehr der Beweislast begründet das positivistische Rechtsverständnis, indem es das Recht zu einem Subsumtionsrecht macht (das dann den Weg frei macht für ein Verfahren, in dem der Angeklagte zum Feind wird).
    Gemein ist jede Präventiv-Anklage, die dem andern die Last des Unschuldsbeweises zuschiebt, die davon ausgeht, daß die Verteidigung allein Sache des Angeklagten sei. Diese Form der Präventiv-Anklage geht davon aus, daß Unbarmherzigkeit und Gnadenlosigkeit erlaubt sind (und das ist der logische Abgrund, aus dem der Staat hervorgeht). Dieser Logik hat Kant den Boden entzogen.
    Was ist von einem Verfahren zu halten, in dem durch Gerichtsbeschluß die Wege verstellt werden, auf denen vielleicht der Unschuldsbeweis zu führen möglich wäre?
    Ist nicht die Bekenntnislogik der Knoten, den Alexander nur durchschlagen hat, der eigentlich zu lösen wäre: der Knoten, der den gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang zusammenbindet? Wäre nicht die Kritik der Bekenntnislogik das Ende des Bücherschreibens (die Widerlegung des Kohelet), das Heraustreten aus dem Bann der Logik der Schrift, das Heraustreten aus dem Bann der Logik des Weltbegriffs?
    Hängt die Bedeutung der apokalyptischen Formel „der ist, der war und der sein wird“ nicht auch von der Reihenfolge der Zeitbestimmungen ab?
    Zu den Orionen (vgl. das Jesaia- Zitat bei Bedenbender) wäre die Hiob-Stelle hinzuzunehmen (über den Orion und die Plejaden). Beschreiben nicht die Planeten die Außengrenzen, zu denen neben dem König, dem Krieg und dem Handel (der Geldwirtschaft) auch die Frauen gehören (Zitat eines Ethnologen: das ist ein feindlicher Stamm, mit dem heiraten wir nur).
    Empfindlichkeiten sind Wege in die Opferfalle: Bezeichnen sie nicht genau den Punkt, in den das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden, Hoffnung zu pflanzen versucht?
    Pharisäer und Schriftgelehrte: Nur unterm Rechtfertigungszwang, der selber aus dem Vergangenheitscharakter des Gebots entspringt, wird das Gebot zum Gesetz.
    Zu Kafkas Parabel vom Schauspieldirektor, der eine Neuinszenierung vorbereitet: Müßte er nicht den zukünftigen Schauspieler, dessen Windeln er wechselt, erst zeugen?
    Diente nicht die Verschiebung des Naturbegriffs von der Zeugung zur Geburt (von physis zur natura) dazu, die messianischen „Wehen der Geburt“ zu verdrängen, sie unsichtbar zu machen, sie zu individualisieren, sie als individuelle Strafe für die „Sünde der Welt“ dem ganzen Kollektiv der Frauen anzuhängen? Verweist die Bedeutungsverschiebung in den Begriffen Natur und Welt nicht auf eine sprachlogische Differenz, die auf die Beziehung der griechischen zur lateinischen Grammatik zurückweist? Und liegt dieser sprachlogischen Differenz nicht die Differenz in den politischen Institutionen zugrunde, der Unterschied der institutionellen und imperialen Entfaltung des Römischen Reiches und des Caesarismus zur philosophiebegründenden polymorphen Gestalt der griechischen Polis?
    Gab es die hagiographische Unterscheidung von Confessor und Virgo schon in der griechischen Kirche, oder gehört sie zur Gründungsgeschichte der lateinischen Kirche? Hängt sie mit der Umformung des Symbolums in eine Confessio, mit der nicht nur der Name, sondern zugleich die Logik der Sache sich ändert, zusammen? Die Vermutung wäre zu begründen, daß das Symbolum (das für Augustinus noch ein sacramentum war) im Schuldzusammenhang der imperialen lateinischen Sprachlogik zur Confessio geworden ist.

  • 22.10.95

    Der Ursprung des (prosaischen) Handels ist das Ende der (heroischen) Tat. Im Handel durchdringen sich Aktiv und Passiv, Handeln und Erleiden: Sie neutralisieren sich wechselseitig, der Handelnde wird gehandelt. Zu den ersten Handelswaren gehörte der Sklave (Ursprung des Handels im Raub, der Eroberungspolitik in den nomadischen Razzien, des Tauschprinzips in der Schuldknechtschaft).
    Das pragma bezeichnet das Objekt des Handelns, das Ding ist das Objekt des Gerichts. Was bedeutet und auf welchen Ursprung verweist der Begriff der res (wie ist die polis zur res publica geworden)?
    Im Übergang von der griechischen zur lateinischen Sprache haben – wie vor allem am Begriff der Natur sich nachweisen läßt – die Bedeutungen, die Konnotationen der Begriffe sich verändert. Deshalb ist die lateinische Theologie der griechischen weder sprachlich noch inhaltlich kompatibel. Tertullian, der die Begriffe der lateinischen Theologie geschaffen hat, hat diese Begriffe der griechischen Metaphysik entnommen und in die Sprache der lateinischen Rechts übersetzt. Waren Tertullian und Augustinus die ersten Scholastiker?
    In der griechischen Sprache war die Erinnerung noch präsent, daß die Natur, ihre Gegenständlichkeit, nicht einfach nur vorgefunden, sondern auch sprachlich erzeugt wird, erst im Lateinischen, in dem die Bedeutung des Naturbegriffs von der Zeugung auf die Geburt sich verschiebt, tritt der Staat als zeugende (als rechtsetzende und -garantierende) Gewalt zwischen die Natur und das erkennende Subjekt, das sie dann nur noch passiv hinnehmen kann, zur reinen Rezeptivität (die in der augustinischen Gnadenlehre ihren theologischen Ausdruck findet) erstarrt. Mit der Übersetzung aus der griechischen in die lateinische Sprache wird das symbolische Element fortschreitend neutralisiert, aus der theologischen Erkenntnis eliminiert; es wird durch eine „Wörtlichkeit“ ersetzt (vgl. Augustinus: „De Genesi ad Litteram“), die am Ende zur sprachlogischen Quelle des Fundamentalismus geworden ist.
    Der Ursprung der Sexualmoral, ihrer Privatisierung, ist eine Folge der Änderung im Naturbegriff: Mit der Verdrängung des Zeugungsbegriffs, der nicht zufällig in der Trinitätslehre wiederkehrt, wird das politische, herrschaftskritische Moment aus dem biblischen Begriff der Unzucht herausgebrochen, zugleich theologisch neutralisiert; seitdem ist die Sexualmoral zu einem nützlichen Instrument der Herrschaftssicherung geworden. (Vgl. die kirchliche Entfaltung der lateinischen Theologie in der devotio moderna, in der Ursprungsgeschichte von Zölibat, Ohrenbeichte und Fegfeuermythos, in der Scholastik.)
    Kirchengeschichtlich fallen die Anfänge dieser Geschichte mit dem Ende der Märtyrerzeit zusammen: Die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen in confessor und virgo (in den Bekenner, der die Schuld der Zeugung verdrängt, und die Jungfrau, die sich von der Befleckung durch die Zeugung rein erhält) war die erste Manifestation der Bekenntnislogik, die in der Dogmenentwicklung sich entfaltet hat. Seitdem kann das Symbolische mit dem Wörtlichen nicht mehr zusammengebracht werden, wird der Indikativ zu Lasten des imperativen Gehalts der Attribute Gottes zum Medium der Theologie, wird die Theologie zur Theologie hinter dem Rücken Gottes: Ursprung des Nominalismus.
    Hatte die Schlange nicht recht, als die sagte: Wenn ihr von diesem Baum essen werdet, werdet ihr sein wie Gott? Sie sagte „wie Gott (Elohim)“, nicht „wie der HERR (JHWH)“. Drückt nicht in der Beziehung der Gottesnamen Elohim und JHWH die Beziehung von Katastrophe und Rettung (oder das Gereuen und die Umkehr Gottes) sich aus? Aber sind nicht im Werk der Elohim die Elemente der Rettung vorgebildet (deren Erkenntnis erst mit Auschwitz sich uns endgültig verschlossen hat)?
    Der Rachetrieb entspringt nicht unmittelbar am Unrecht, das mir selbst widerfährt, sondern in erster Linie an dem Unrecht, das mein Kind, meine Eltern, meine Frau, meine Geschwistern trifft. Im Nationalismus wird dieser Rachetrieb vergesellschaftet, das Volk („wir Deutsche“) zur Schicksalsgemeinschaft, an der er sich entzündet. Die Delegation dieses Rachetriebs an den Staat löst ihn nur zum Schein, macht ihn in Wahrheit unauslöschbar, zum Wurm, der nicht stirbt. Der Rachetrieb begründet das Gewaltmonopol des Staates, das die Geschichte der Aufklärung seit ihren Anfängen verhext.
    Die Personalisierung, das Sündenbockdenken, das nach den Schuldigen sucht, um sich zu entlasten, opfert die Masse, die sie zu vertreten vorgibt.
    Theologie im Angesicht Gottes sprengt mit den subjektiven Formen der Anschauung die Fesseln der Ästhetik: die Gewalt des Mythos.
    Wer meint, ein Rechtsanwalt sei dem Recht des Angeklagten verpflichtet, ist durch den Stammheim-Prozeß eines Schlechteren belehrt worden: Durch die Verpflichtung als „Organ der Rechtspflege“ ist er zu einem Hilfsorgan des Staatsanwalts geworden. Seitdem erwecken Staatsschutz-Verfahren den Eindruck, das in dubio pro reo gelte nur noch fürs Gericht, nicht mehr für die Angeklagten. Seitdem finden diese Prozesse kein ernsthaftes öffentliches Interesse mehr.

  • 14.6.1995

    Die Blinden und die Lahmen: Gibt es nicht ein Erblinden und Erlahmen durch die Theologie?
    Hängt Joh 129 zusammen mit der Antwort Jesu auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, und bezieht sich das in den Evangelien (Mt 33) auf Johannes bezogene Prophetenwort (Jes 403): „die Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, machet seine Straßen gerade“, auf die Johannes-Apokalypse?
    Gehört es nicht zum Begriff der Moderne, daß sie die „Wilden“ erfunden hat?
    Der Garant der transzendentalen Logik ist das transzendentale Subjekte, das die Distanz zum Objekt herstellt, durch die es in den herrschaftsgeschichtlichen Prozeß verflochten ist: seine Einheit. Es ist kein Zufall, daß die Philosophie auf ihrer Spitze, in Hegels Logik und Staatsphilosophie, zur Selbstbegründung des Nationalismus geworden ist.
    Bezeichnet nicht der Name der Basilika den unter den Bedingungen des Hellenismus säkularisierten, auf den König anstatt auf den nationalen Gott bezogenen Tempel (die Handels-, Bank-, Gerichts- und Versammlungsstätte)?
    Die subjektiven Formen der Anschauung konstituieren das Objekt, und sie trennen den Namen, den sie zugleich depotenzieren, vom Begriff.
    Die Person ist der Statthalter des Namens unter den Bedingungen des Staates (des Rechts).
    Zu den Confessiones des Augustinus: Der Vater und die Geliebte bleiben namenlos, während die Mutter und der Sohn mit Namen genannt werden.
    Ich und Du: Im Deutschen wird zwischen Antlitz und Angesicht unterschieden. Worin liegt der Unterschied, und ist dieser Unterschied nicht in der deutschen Sprachlogik (in ihrer Verarbeitung der christlichen Tradition) begründet? Bezeichnet nicht das Antlitz das Entgegenblickende, das Angesicht das Angesehene?
    Zur Frage des Maimonides (ob nicht der Messias, wenn er am Ende erscheinen wird, das Antlitz dessen tragen wird, der schon einmal dagewesen ist) gibt es auch noch eine dritte Möglichkeit: Es könnte sein, daß der, der am Ende kommen wird, das gleiche Gesicht haben wird wie der, der im Stall geboren und am Kreuze hingerichtet worden ist; aber werden wir ihn wiedererkennen? Vgl. hierzu Theodor Haeckers Bemerkung über die Evangelien, in denen das Aussehen Jesu nicht überliefert wird, und den Zusammenhang dieser Bemerkung mit der unmittelbar nachfolgenden Verwechslung des Israeliten mit dem Hebräer. Ist nicht die Ikonographie Jesu, sein in der Kunst überliefertes Aussehen, selber schon ein Produkt der Theologie hinter dem Rücken Gottes, und ist dieses Antlitz nicht schon Ausdruck des kirchlichen Antisemitismus?
    Was findet sich im Personalausweis und auf Fahndungsfotos: das Antlitz oder das Angesicht? (Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Kruzifix und dem Fahndungsfoto?)
    Politische Theologie leistet keinen Beitrag zur Institutionenlehre, zur Begründung der Organisation des Staates. Politische Theologie ist Herrschaftskritik.
    Der deutsche Schöpfungsbegriff hat die Welt insgesamt in den Kelch transponiert. Heideggers Dasein als In-der-Welt-Sein, Produkt des Vorlaufens in den Tod, ist der genaueste Ausdruck davon.
    Ist nicht Heideggers Eigentlichkeit ein letzter Nachhall von Hegels Bewußtsein der Freiheit, das selber schon den Hinweis darauf mit einschließt, daß hier das Subjekt zum Opfer seiner eigenen List der Vernunft geworden ist? Hegels Bewußtsein der Freiheit ist Ausdruck der tiefsten Verzweiflung, der Heidegger mit seinem Begriff der Eigentlichkeit noch einen positiven Sinn abzugewinnen versucht: den Sinn von Sein. Die Eigentlichkeit hängt mit dem Sinn von Sein auch insofern zusammen, als sie daran erinnert, daß die Subjektqualität an die Funktion des Urteilens gebunden ist, dessen Kern die Kopula, das Sein, ist. Aber Eigentlichkeit konstituiert sich nur, wenn zugleich verdrängt wird, daß der Urteilende das Urteil auch über sich selbst aufrichtet, selber zum Objekt des Urteils wird (Ableitung der Schicksalsidee aus der Urteilsform). Wenn Kants erhabene Nüchternheit gegen den ontologischen Gottesbeweis an der Differenz zwischen dem realen und einem bloß gedachten Vermögen festhält, so rührt Kant damit an die im Weltbegriff selber verankerte Beziehung des Infinitivs Sein zum Possessivpronomen der dritten Person singular, männlich, das ebenfalls durch das Wort „Sein“ ausgedrückt wird.
    Lassen sich nicht die Bemerkung aus der Dialektik der Aufklärung, daß „jedes Tier an ein abgründiges Unglück (erinnert), das in der Urzeit sich ereignet hat“, und der darauf bezogene Wunsch, „daß der Mensch, der durch Vergangenes mit ihm eins ist, den erlösenden Spruch findet und durch ihn das steinerne Herz der Unendlichkeit am Ende erweicht“ (Neupublikation 1969, S. 264), die ohnehin an prophetische Zusammenhänge erinnern, auf das apokalyptische Tier, auf die Kirche (das steinerne Herz der Welt) und auf das Wort vom Binden und Lösen beziehen?
    Wenn man sieht, daß ein Kind in den Brunnen fällt, bedarf es keiner Autorität, die einem sagt, was zu tun ist. Aber gibt es nicht auch den andern Fall, daß einer in den Abgrund geschaut hat, in den nicht mehr nur ein Kind fällt, dem vielmehr die Welt, die ihn aus sich selbst erzeugt, zurast: Sind die Konsequenzen dann nicht ebenso zwingend und spontan wie im Falle des Kindes und des Brunnens? Ist es dann nicht ebenso wichtig, die Mechanik dieses Vorgangs zu studieren in der absurden Hoffnung, vielleicht doch noch die Stelle zu finden, an der ein Eingreifen möglich ist?
    Die kopernikanische Wende hat die Voraussetzungen für den Kapitalismus geschaffen, sie hat den Weg freigemacht.
    „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz zur Sache, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt.“ (Dialektik der Aufklärung, 1969, S. 19)

  • 6.5.1995

    Macht und Bekenntnis: Ist nicht das „theis heauton“ des Marc Aurel, wie die Stoa insgesamt, ein Vorläufer der Bekenntnisliteratur von Augustinus bis Rousseau? War nicht Marc Aurel ein Vorläufer Konstantins und die Stoa die Embryonalform des Staatschristentums?
    Confessor und Virgo: Unterm Titel der Schuld wird das Vergehen auf das Urteil der Andern bezogen, und dagegen hilft gleichsam prophylaktisch das Bekenntnis, während der Begriff der Sünde auf die Tat sich bezieht: ohne Sünde ist nur die Virgo. Aber ist nicht die Virginitas dann zu einem Qualitätsmerkmal der Ware Frau geworden, zu einem Kriterium ihres Gebrauchswerts (Ursprung der Naturbeherrschung)?
    Gründet nicht die Xenophobie in der Vergewaltigungsmentalität, und ist das nicht der Hintergrund des Begriffs der Sodomie?
    Wenn es ein hochsymbolisches Gleichnis gibt, dann das vom Feigenbaum, der keine Frucht mehr trägt.
    Die Trinitätslehre als Kern der Bekenntnislogik ist der Repräsentant und Statthalter der subjektiven Form der äußeren Anschauung in der Theologie. Durch die Trinitätslehre haben wir Gott in das Gefängnis der Logik der Anschauung, der Bekenntnislogik, eingesperrt (durch die Theologie hinter Seinem Rücken haben wir Ihn zum Autisten gemacht).
    Gehört nicht der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen schaut, zu den Attributen Gottes, die nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen? War das nicht der Sündenfall der Theologie, daß sie den Imperativ in einen Indikativ verwandelt hat? Und diesen Zustand hat sie seit je durch die Ontologie zu retten und zu erhalten versucht. Theologie im Angesicht Gottes ist der Versuch, die gesamte Theologie aus dem Indikativ wieder in den Imperativ zurückzuübersetzen: in das Eine, das nottut.
    Bezeichnet nicht der Begriff der Notwendigkeit in der Logik den Akt der Übersetzung des Imperativs in den logischen Zwang des Indikativ? Die logische Notwendigkeit ist eine, die aus der Verdrängung und dem Zwang der Vermeidung der Gottesfurcht sich herleitet.
    Die Strategie der Vermeidung der Gottesfurcht liegt insbesondere der Geschichte des Ursprungs und der Entwicklung der Raumvorstellung zugrunde: der Ästhetisierung der Wirklichkeit, die den moralischen Bezug durch die Verantwortungslosigkeit des Zuschauens ersetzt. Eines der Instrumente dieser Neutralisierung der Objektivität ist die Ontologie, und diese Position hat die Fundamentalontologie bis in ihre bösen Konsequenzen hinein radikalisiert. Hier (wie für den kirchlichen Antijudaismus, die Häretiker- und Frauenfeindschaft) gilt der Satz: Parvus error in principio magnus est in fine.
    Bangemachen gilt nicht: Wäre nicht die Theologie im Angesicht Gottes eine, die Gott selber Mut macht?
    Schon in den ersten Sätzen der Genesis (in der Erschaffung von Himmel und Erde: und die Erde war wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund) ist das theologische Grundmotiv benannt: der Rhythmus von Katastrophe und Rettung.
    Binden und Lösen: Wenn die Katastrophe nicht als unabwendbares Geschehen, dessen Objekte und Zuschauer wir nur sind, gefaßt wird (wenn sie nicht zu einem unabwendbaren Geschehen, zum „Schicksal“, ontologisiert wird), sondern als Konsequenz und Folge einer moralischen Katastrophe, in die wir verstrickt sind, dann wird auch die Rettung zu einem Akt, an dem wir nicht unbeteiligt sind. Hierauf bezieht sich Joh 129, das Täufer-Wort, das nur begriffen wird, wenn es ins Nachfolgegebot mit hereingenommen wird. Deshalb ist der Titel Menschensohn (mit seinem ungeheuren antitotemistischen Gewicht) ein messianischer Titel. Unverantwortlich gegenüber der Welt, in der es lebt, ist nur das Tier, nicht der Mensch.
    Nur durch die Kritik der Ontologie und die Restituierung der Ethik als prima philosophia vermag die Theologie sich aus dem logischen Bann der Schicksalsidee zu befreien.
    Die frühe Einsicht, daß die Theologie mit den Naturwissenschaften zusammen nicht bestehen kann, wird in eine neues Licht gerückt durch die wachsende Einsicht in die Beziehung des Ursprungs und der Entfaltung der Raumvorstellung zum historischen Objektivationsprozeß und zur Herrschaftsgeschichte. Der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang hat seinen realsymbolischen Grund in den drei Dimensionen des Raumes.

  • 1.3.1995

    Die 42 Auschwitz-„Theorien“, die Heinsohn zusammenstellt und „widerlegt“, erinnern nicht zufällig an die kantischen Antinomien der reinen Vernunft, die Argumente Heinsohns an die „apagogischen“ Argumente Kants: Sowohl die (meisten der) „Theorien“ als auch deren Widerlegung sind wahr. Das ungute Gefühl, das einen beschleicht, wenn man sieht, wie Heinsohn die „Elemente des Antisemitismus“ aus der Dialektik der Aufklärung zur „Theorie“ zusammenstutzt, gründet darin. Für die Gesamtkonstruktion Heinsohns scheint die Verarbeitung des apokalyptischen Elements entscheidend zu sein. Durch einen Trick wird es vorab „unschädlich“ gemacht: durch das naturhistorische Konstrukt der Venus-Katastrophe, auf deren Erinnerung die Apokalypse generell reduziert wird; so verliert die Apokalypse durch Projektion ins Vergangene (als Erinnerung an eine vergangene Naturkatastrophe) jede „prophetische“, auf die Zukunft bezogene Bedeutung. Nur, was Heinsohn übersieht: Die Apokalypse ist zwar seit je (in der Urgeschichte des Fundamentalismus seit Augustinus) als Angst-Generator, als ein Mittel, die Menschen in einen Zustand zu versetzen, in dem sie beherrschbar sind, genutzt worden (in diesem Sinne war auch Hitler ein Apokalyptiker) – und gegen diesen Gebrauch richtet sich das Verfahren, das in der Geschichte der Aufklärung ebenfalls seit je als Mittel der Angstbearbeitung genutzt worden ist: die Projektion ins Vergangene. So, durch die gleichen Formen der Verdrängungsarbeit, hat die Aufklärung in der Ursprungsgeschichte der Philosophie den Mythos und das Schicksal, und mit dem Ursprungskonstrukt der modernen naturwissenschaftlichen Aufklärung (mit dem Inertialsystem) die Projektionen der Angst und des schlechten Gewissens in einer keineswegs „entsühnten Welt“ zu bewältigen versucht. Etwas anderes ist es jedoch, wenn man versucht, in der Apokalypse, in ihren Symbolen und Bildern, den rationalen Kern zu entdecken, sie als ein Mittel der Angstbearbeitung zu nutzen.
    Der Preis für seine (von ihm nicht reflektierte) apagogische Beweisführung ist die Identifizierung des jüdischen „Monotheismus“ mit dem philosophischen und die Ausscheidung der Apokalypse aus der Prophetie.
    Die heinsohnsche „Ursachenforschung“ trägt gleichsam bekenntnis-technische Züge: Wer die Ursache kennt, kann sie abstellen. Das Ergebnis ist eine Knopfdruck-Philosophie. Zugleich scheint ihr Motto zu sein: „Dixi et salvavi animam meam“, ein Satz, der bei Ezechiel eine ganz andere Funktion und Bedeutung hatte, jedenfalls nicht auf die Rechtfertigung derer abzielte, die glauben, doch nichts ändern zu können, und deshalb wenigstens rechtbehalten wollen.
    Adorno hat einmal auf die ihn erschreckende Erfahrung aufmerksam gemacht, daß Studenten weithin nur noch auf eine sehr instrumentalisierte Weise erfahrungsfähig sind, daß sie aus dem, was einer sagt, nur noch heraushören, wofür oder wogegen es sich richtet. Unter dem Bann dieser Fixierung scheint auch das heinsohnsche Konzept zu stehen; das ist es, was er aus den Auschwitz-Theorien vorab herauszuhören scheint. So entartet Kritik zum Grabenkrieg im Bekenntniskampf.
    Das apagogische Argument (dessen Logik damit zusammenzuhängen scheint) rührt an die Grenzen der Beweislogik, wie auch der Satz, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist. Das aber verweist darauf, daß die Explosion von Gemeinheit, als welche der Faschismus in der Erinnerung sich enthüllt, außerhalb der Beweislogik liegt. Es gibt keinen Wahn, der nicht auch von einer nur ihm eigenen Logik beherrscht wird. Und um einen Wahn aufzulösen, bedarf es auch der Kritik der Logik, die ihn beherrscht. Diese Kritik der Logik ist nicht irrational, sondern die Freisetzung einer Rationalität, die den Bann des Wahns bricht. Zentral in der Kritik der Logik ist die Kritik des Rechtfertigungszwangs, die die Fähigkeit zur Schuldreflexion mit einschließt. Logische Zwänge sind auch Rechtfertigungszwänge, sie gehorchen dem Exkulpationstrieb. Ihre Überzeugungskraft gründet in der exkulpatorischen Wirkung des Objektivationsprozesses. Insofern hängt Auschwitz in der Tat mit dem, was in Joh 129 die „Sünde der Welt“ heißt, zusammen.
    Zur Auflösung der Problems des apagogischen Beweises (die ein Problem der Logik der Schrift ist) trägt das Jesaia-Wort vom Rind und Esel bei, die Unterscheidung von Joch und Last, die Reflexion der Asymmetrie im dialogischen Kern der Sprache, von der das geschriebene Wort abstrahiert (die Logik der Schrift neutralisiert die Asymmetrie von Ich und Du, Zukunft und Vergangenheit, Himmel und Erde). Hierzu gehört der ungeheure Gedanke Kants, daß allein die Hoffnung das Gleichgewicht der apagogischen Beweise, das die Antinomie der reinen Vernunft begründet, zu stören vermag.
    Habermas: Die subtilste Art des Vatermords ist die, sich selbst zum Erben zu erklären. Eine Erbschaft kann nur antreten, wer davon ausgeht, daß der Erblasser tot ist. Das Erbe setzt die Enteignung der Toten, die Aufhebung ihrer Eigentumsfähigkeit, voraus. Steht nicht das Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, gegen die Form der Erbschaft unterm Gesetz des Privateigentums, die das uneingeschränkte Verfügungsrecht mit einschließt (und jeden Anspruch der Toten gegen uns ausschließt)? Vater und Mutter ehren heißt, aus der Rolle des Erben heraustreten. Vgl. dagegen die auf das Erbschaftsinstitut reflektierenden Erörterungen bei Paulus, aus denen u.a. der Begriff des „Neuen Testaments“ sich herleitet. Das Testament regelt die Erbschaft und setzt den Tod des zu Beerbenden voraus, während der Bund auf das Verhältnis freier Partnern sich bezieht. Die Vorstellung, das Christentum habe Israel beerbt, ist der Grund des christlichen Antijudaismus (mit der Folge der Neutralisierung der Prophetie, die im Antisemitismus, im Judenmord, endet).
    Zum Kontext des Begriffs des Erbes gehört der Weltbegriff, der aufgrund der Erbschafts-Konstellation in ihm den (am Ende eskalierenden) Generationenkonflikt aus sich entläßt.
    Nietzsches Wort „Gott ist tot, wir haben ihn getötet“ ist keine theoretische Feststellung, sondern Ausdruck einer verzweifelten Erfahrung. Die christliche Theologie war seit ihrem Ursprung eine Tod-Gottes-Theologie, ein nekrophiles Konstrukt. Das Wort „Gott ist tot“ steht erstmals in der „Fröhlichen Wissenschaft“. Hier ist erstmals das Lachen als Argument erfahren worden, dem Nietzsche nichts mehr entgegenzusetzen hat, und an dem er zugrunde gegangen ist. Der Sohar hat es noch gewußt: Lachen ist schlimmer als Zorn. Nietzsches Philosophie: Der verzweifelte Ausdruck der Hilflosigkeit und Ohnmacht im Angesicht des Lachens; darin gründet sowohl die Lehre vom Übermenschen und vom Willen zur Macht als auch deren metaphysisches Korrelat, die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen.
    Das apokalyptische Symbol des Lachens ist der Unzuchtsbecher.
    Haß der Welt: Die Scham macht den Andern (und der Inbegriff aller andern ist die Welt) zum Richter über das Subjekt, setzt das Weltgericht an die Stelle des Jüngsten Gerichts.
    Traum und Vision haben im Buch Daniel eine Entwicklungsgeschichte:
    – Vom Traum des Nebukadnezar, über den das Buch Daniel objektiv, in der dritten Person, berichtet, den Nebukadnezar vergessen hat, und den Daniel, bevor er ihn erklären kann, erst rekonstruieren muß,
    – über den Traum, den Nebukadnezar (in der ersten Peron) selbst erzählt, und den Daniel dann auslegt,
    – über Belsazar und die Schrift an der Wand, die Daniel erklärt,
    – über das Traumgesicht des Daniel,
    – bis zu den Gesichten Daniels.
    Beschreibt diese Geschichte die Ursprungsgeschichte des „Gesichts“, der apokalyptischen Vision?
    Die Getsemane-Geschichte wird unauflösbar, wenn das Kelch-Symbol in dieser Geschichte nur auf den privaten Tod Jesu, auf das Schicksal, das ihm widerfährt, bezogen wird. Vor diesem Hintergrund verdampft das Kelch-Symbol zu einem erbaulichen Vergleich, wird der Kelch gleichsam „innerhalb“ des Kelchs verstanden (der Kelch auf sich selbst angewendet): So wird der Kelch zum Unzuchtsbecher (Subsumtion des Kelches unter den Kelch: die Verwechslung von Joch und Last, Rind und Esel). Hiermit hängt es zusammen, wenn in den Texten des Christentums nur Esel und Lamm (das im Opfer für die Erstgeburt des Esels eintritt) noch erinnert werden, die Erinnerung ans Rind aber verschwunden ist.
    Klingt nicht im philosophischen Begriff der Erscheinung (und im Namen der Phänomenologie) der Name des Festes der Epiphanie, der „Erscheinung des Herrn“, nach?

  • 2.11.1994

    Aufs Wort gehorchen: Unterm Gesetz der Logik der Schrift wird das Hören zum Gehorsam. Durch diesen Gehorsam wird genau das unterbunden, was die Schrift ins Hören zurück übersetzen könnte: die Reflexion. Die systematische Unterbindung dieser Reflexion ist der Positivismus, dessen Unmittelbarkeit die durch die Logik der Schrift (paradigmatisch: durchs Inertialsystem) vermittelte ist. Modell des positivistischen Wissenschaftsverständnisses sind die mathematischen Naturwissenschaften.
    Grund der Unfähigkeit zur Reflexion ist die Unfähigkeit zur Reflexion des subjektiven Apriori der Naturwissenschaften, der subjektiven Formen der Anschauung, die Angst, daß deren Verflüssigung einen Sturz ins Bodenlose nach sich zieht. Aber wäre diese Verflüssigung, die „Liquidierung“ der subjektiven Formen der Anschauung, nicht die Entzündung des Feuers (nach der Sintflut: next time fire)?
    Das Plancksche Strahlungsgesetz beschreibt den Dingbegriff (das mechanischen Objekt) von innen: Hat es nicht etwas mit dem brennenden Dornbusch zu tun (Theorie des Feuers)?
    Zu den Voraussetzungen des Inertialsystems gehört das Prinzip der Identität von träger und schwerer Masse. Bezieht sich hierauf das biblische Verbot, mit Ochs und Esel gemeinsam zu pflügen: das Joch und die Last in eins zu setzen?
    Ist nicht die ganze Geschichte der Physik die Geschichte der Kritik ihrer eigenen Voraussetzungen und gleichzeitig die Geschichte der Verdrängung dieser Kritik? Darin liegt die Ursprungsgeschichte des Positivismus.
    Ein Propädeutikum der Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung ist die marxsche Kapitalismuskritik, die Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung aber wäre die Voraussetzung der Erfüllung des Wortes, die Rekonstruktion der benennenden Kraft der Sprache.
    Die Materie ist das gegenständliche Korrelat der Leugnung des Gottesnamens. Darauf bezieht sich das Wort des Täufers von der Sünde der Welt in Joh 129.
    Das „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ heißt nicht: Seid hinterhältig (wie die Schlangen), sondern: Begreift den Hinterhalt, in dem ihr steckt.
    Durch die Bekenntnislogik (eine Emanation der Logik der Schrift) ist der Faschismus auf die christliche Tradition als seinen Ursprung bezogen. Jedes Bekenntnis ist ein Schuldbekenntnis, und als Bekenntnis gehört es zur Logik der Schuldbefreiung. Die Bekenntnislogik macht von der exkulpierenden Kraft des Bekenntnisses Gebrauch unter gleichzeitiger Nutzung der verandernden Kraft der Weltbegriffs, seiner projektiven Schuldverschub-Automatik. Die Bekenntnislogik gehört zum Schuldverschubsystem (und weckt so das Strafbedürfnis gegen sie) und setzt die identifikatorische („gemeinschaftsbildende“) Kraft des „Glaubens“ (die aus der Zone der Schuld herausführt, den Gläubigen in die Gemeinschaft der Geretteten zurückführt: extra ecclesia nulla salus) dagegen. Hat nicht erst die lateinische Theologie das symbolum durch die confessio ersetzt? Der durchs Bekenntnis definierte Glaube ist der Schlüssel zum Schuldverschubsystem (eine Fortentwicklung der Logik des Begriffs). Hier liegt der Grund, weshalb der Confessor ein männlicher Heiliger war (und sein Gegenstück die Virgo).
    An dem Punkt, an dem das Bekenntnis aus einer Sache der Märtyrer zu einer des Confessors wird, verrät Augustinus seine namenlose Geliebte, gerät das Bekenntnis in die Zwangslogik der Männerphantasien. Das Bekenntnis, das die Herrschenden fordern, leugnet das Bekenntnis (die Zeugenschaft) des Märtyrers: Hierauf bezieht sich die Geschichte der drei Leugnungen.
    Die Bekenntnislogik, das Dogma und in ihrem Kern die Opfertheologie sind Produkte der Logik der Schrift. In ihnen erfüllt sich die Schrift und nicht das Wort. Mit der Bekenntnislogik, mit dem Dogma und mit der Opfertheologie tritt die Theologie in den Prozeß der Aufklärung ein.
    Deutscher Umgangston: Anonymer Hinweis an einer Mülltonne vor einem Mehrfamilienhaus „Wissen Sie nicht, daß … Sie, ja genau Sie sind gemeint“. Das Ich des deutschen Idealismus ist ein Papier-Ich.
    Zu Veerkamp, Vernichtung des Baal, S. 60: Unter welchem Busch saß Jona? Und gibt es eine Beziehung zwischen Hagar, Elijahu und Jona? Hat der Busch bei Hagar, Elijahu und Jona etwas mit den Bäumen des Paradieses, unter denen Adam sich versteckte, zu tun?
    Ist nicht der Polizei- und Medienaufwand um die beiden Geiselnehmer in diesen Tagen ein Indiz dafür, wie stark der Ablenkungsbedarf (das Strafbedürfnis und das Vorurteilspotential) ist?
    Das Votum für die Armen und das Votum für die Fremden hängt mit den beiden getrennten Elementen der Logik des Angesichts zusammen:
    – das Votum für die Fremden verweist auf den Ursprung und den Widerschein der eigenen Fremdheit in der Fremdheit des andern; es ist die reinste Reflexionsbeziehung und zugleich die Evokation der Gottesfurcht;
    – das Votum für die Armen bezieht sich auf das Verhältnis von Gericht und Gnade; es ist die Evokation der Barmherzigkeit.
    Zur Dialektik der Paranoia gehört es, daß sie genau das ausbrütet, wovor sie sich fürchtet; ihr Ursprung wird in Heideggers objektloser Angst bezeichnet.
    Das Neutrum und die durch es determinierten Grammatiken sind die Repräsentanten der Logik der Schrift in der Sprache.
    Die mathematische Logik hat in der logischen Begründung und im Begriff des Grundes noch das teleologische Prinzip und in ihm die letzte Erinnerung an den Mythos erkannt; deshalb hat sie sie aus der Logik verbannt (und mit ihr die Argumentation aus dem Denken: Ursprung des autoritären Prinzips oder auch die ironische Erfüllung der Prophetie – Jer 3134).
    Als Hegel die Antinomien der reinen Vernunft aus der transzendentalen Ästhetik in die transzendentale Logik übertragen hat, hat er die Ästhetik in die Logik mit übertragen; sie erscheint hier unter dem Begriff des Scheins.

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