Auschwitz

  • 11.11.93

    physis und natura: die beiden Begriffe beziehen sich auf den gleichen Sachverhalt, sie unterscheiden sich aber wie Zeugen und Geborenwerden, wie der aktive und der passive (der männliche und der weibliche) Aspekt der Sache.
    Die Idee des Absoluten ist das Produkt der Neutralisierung Gottes, seiner Verweltlichung. Die Ambivalenz des Konzepts der Säkularisierung aller theologischen Gehalte ist darin begründet. Ist nicht die Säkularisierung die Enthebung des Denkens vom Denken, seiner Veranderung (weshalb Habermas vor der Kritik des Naturbegriffs kapituliert, die Natur, wie sie ist, akzeptiert)?
    Die Enteignung der Wahrsager und die Herstellung des kaiserlichen Wissensmonopols in der Spätantike (Marie Theres Fögen) hängt mit der Beziehung der Institution des Caesars zur Idee des Absoluten (der Kaiser ist der Schöpfer der Welt: Ursprung der Reichsidee) zusammen.
    Durch die „Enteignung der Wahrsager“ wurde der Weg freigemacht für den historischen Objektivationsprozeß. Der Cäsar steht unter dem Gesetz und dem Zwang des Absoluten, und genau hier liegt die verhängnisvolle Verwechslung Hegels, wenn er die Folgen, die dem Caesarismus zuzuschreiben sind, auf das Christentum projiziert. Bezieht sich nicht der Kelch von Getsemane auf den Caesarismus und seine Folgen?
    Ist nicht der Märtyrer- und Reliquienkult (im Kontext der Instrumentalisierung des Kreuzestodes) ein logisches Appendix des Caesarismus?
    Was und wer waren die Auguren, und was bedeutet es, wenn Cicero ein Augur war? Hängt die Selbstbenennung des Okatavian als Augustus mit dieser Konstellation zusammen? Haben Augustus und die Auguren eine gemeinsame sprachliche Wurzel, und wie ist dann der grammatisch-logische Zusammenhang? Hat Augustus sich durch seinen Namen zum aktiven Subjekt des passiven Augurentums gemacht, das Augurenwesen durch die Institution des Caesar Augustus säkularisiert (Zusammenhang mit dem Ursprung des Weltbegriffs und der logischen Stellung des Caesaren zum Weltbegriff; gründet darin die Zuwendung des Cicero zur Philosophie)? Ist die Geschichte des Mönchswesens in der Spätantike der Schatten des Caesarismus?
    Zu Marie Theres Fögen: Wodurch Jesus sich von den übrigen Magiern und Wundertätern unterscheidet, ist seine Beziehung zur Prophetie.
    Auffällig an den jüngsten Manifestationen der Gewalt in der Gesellschaft ist, daß und in welcher Weise Kopf und Gesicht zu Objekten der Gewalt (schon bei Kindern) werden; in den dreißiger Jahren waren es (auf den Schulhöfen) die Genitalien, an denen die Gewalt sich erprobte. Liegen die Angriffe auf den Kopf nicht in der logischen Konsequenz der Friedhofschändungen, und kehrt auf diesem Wege nicht Auschwitz an den Tatort zurück? Was haben die Großeltern dieser jugendlichen Delinquenten in der Nazizeit gemacht?
    Assur und Babylon, Ninive und Babel: Ist nicht Assur der Typos der reinen Militärmacht, Babel hingegen der der Tempelwirtschaft: die früheste Gestalt der Marktwirtschaft? – Assur hat Jerusalem nicht einnehmen und zerstören können, wohl aber Babel. Vgl. hierzu die Gestalt des Jeremias.
    Ist die Grenze der Anwendung des Weltbegriffs, die Tatsache, daß er auf Tiere, nicht jedoch auf Pflanzen sich anwenden läßt, darin begründet, daß das dem Weltbegriff logische zugehörige Subjekt der Selbstbewegung fähig sein muß? Deshalb gibt es eine kopernikanische („heliozentrische“) Welt. Ist nicht der Weltbegriff ein Tierbegriff, und beginnt das Humanum nicht erst mit der Übernahme der Sünde der Welt? – Liegt hier ein Hinweis auf die Lösung des Problems der Tiere (des „Behemot“, aber auch des Leviatan, des Rahab, der Tiere vom Wasser und vom Lande, der Tiere mit Köpfen, Kronen und Hörnern, der Zahl 666) im Kontext der Weltuntergangsvisionen in der Apokalypse?
    Sind der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis Repräsentanten von Barmherzigkeit und Gericht? Durch die Erkenntnis des Guten und Bösen gewinnen die Menschen Anteil an der richtenden Gewalt. – Hat der Baum des Lebens dann etwas mit der Gebärmutter zu tun (und mit den messianischen Aspekten des Weiblichen: mit der Feindschaft zwischen dem Weibe und der Schlange und mit den Schmerzen des Gebärens nach dem Sündenfall)?
    Haben die Blinden und die Tauben (Mt 115, Lk 722) etwas mit den Juden und Christen zu tun: Sind die Christen taub (und deshalb paranoid, seit sie das Hören durch den Gehorsam ersetzt haben) und die Juden blind? Vgl. die einzige Stelle, an der Jesus einen Taubstummen heilt (Mk 730, auch 925).
    Wäre es nicht ein legitimes Ziel des jüdisch-christlichen Dialogs, die Christen von ihrer Taubheit und die Juden von ihrer Blindheit zu befreien?
    Jes 4218ff: Ihr Tauben, höret, und ihr Blinden, schauet her und sehet! Wer ist blind, wenn nicht mein Knecht, und taub wie mein Bote, den ich sende? Wer ist blind wie der Gottgeweihte und taub wie der Knecht des Herrn? Viel hast du gesehen, doch nicht beachtet, hast mit geöffneten Ohren nicht gehört.
    Gibt es einen Zusammenhang mit Ochs und Esel:
    – Jes 13: Der Ochse kennt seinen Meister, der Esel die Krippe seines Herrn;
    – Deut 154: Du sollst dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden;
    – der gordische Knoten, den Alexander durchschlagen hat, war der Knoten, der das Joch des Ochsens mit der Deichsel des Ochsenkarrens verband; aber
    – der Messias reitet auf einem Esel in Jerusalem ein, Sach 99.
    Ist der Ochse (die Philosophie) taub und der Esel (die Prophetie) blind? Die Philosophie ist seit ihrem Ursprung taub (das begründet die Stellung und Funktion der Formen der Anschauung in der transzendentalen Logik Kants), und zwar taub durch den Begriff, der das Hören (das dann die Kirche in den Gehorsam verfälscht hat) sabotiert. Ist nicht der Begriff (und die indogermanische Sprache) taub und der Name (die semitische Sprache) blind (wie die Klugheit der Schlangen und die Arglosigkeit der Tauben)?
    Erweist es sich nicht heute, daß die Taubheit (die Verwechslung von Hören und Gehorsam) schlimmer ist als die Blindheit? Ist nicht die Trinitätslehre, das Produkt des Versuchs, eine Theologie ohne Umkehr zu etablieren, zum Symbol der Taubheit geworden (sie macht die Theologie taubstumm: zur Theologie hinter dem Rücken Gottes)?
    Und er ging hinaus und weinte bitterlich: Öffnet nicht erst das Weinen die Ohren (während das Lachen sie verschließt)?
    Zur Blindheit vergleiche die Gestalt des Tobit (und das Buch Tobias, in dem Tobit wieder sehend, aber Ninive am Ende doch zerstört wird).
    Jesus hat die Blinden und den Taubstummen durch eine Mischung aus Speichel und Erde geheilt?

  • 04.10.93

    Die Anschauung verletzt das Bildergebot, ihr ist das Gesetz der Verdinglichung einbeschrieben.
    Ist nicht das Präsens in jeder Hinsicht eschatologisch: das Ende des Alten und der Beginn des Neuen?
    Muß man den hegelschen Satz, wonach die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, nicht heute dahin verschärfen: daß der bürgerliche Reichtum jetzt aus seinen eigenen Prämissen und Voraussetzungen die Armut und den Pöbel erzeugt?
    Stämme, Völker, Sprachen und Nationen: Ist das nicht aufzuschlüsseln nach: Genealogien, Königtümern (Tempel und Opfer), Sprachen, Städte (Geldwirtschaft, Handel)?
    Zum Kerub mit dem kreisenden Flammenschwert: Thront nicht Gott auf den Keruben, und ist nicht der Himmel sein Thron (und die Erde der Schemel seiner Füße)? Aber heißt es nicht auch: Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst (und das kreisende Flammenschwert zurückgenommen) sein?
    Das Bekenntnis ist undialogisch: das gemeinsame Bekenntnis von Einsamen.
    Wenn Kohl vom Urteil der Geschichte spricht, denkt man nicht dann an den zukünftigen Tatenruhm, der den toten Helmut überleben soll? Aber ist der Toten Tatenruhm nicht heute durchsetzt von dem Leichengift und dem Leichengeruch von Auschwitz?
    Ist nicht Brechts „Der Schoß ist fruchtbar noch“ noch zu harmlos, beginnt nicht die Vergangenheit, aus der Auschwitz hervorgegangen ist, heute Auschwitz zu überleben? Und war es nicht genau das, was Heitmann zum Ausdruck gebracht hat?
    Hat Auschwitz nicht in der Tat der Opfertheologie (der theologischen Instrumentalisierung des Kreuzestodes) die Grundlage entzogen, und ist der Hinweis in den Elementen des Antisemitismus (in der Dialektik der Aufklärung) nicht doch endlich ernst zu nehmen?
    – Ein undeutliches Bild aus der Kindheit: Es ist Winter, draußen liegt Schnee, ich stehe in der Küche am Küchenfenster. Draußen ist jemand mit einem Schlitten, der mich auffordert, herauszukommen und auf dem Schlitten mitzufahren. Aus einer Wunde (wessen Wunde es war, weiß ich nicht mehr) tropft Blut in den Schnee, und ich bin nicht mehr dazu zu bewegen, nach draußen in den Schnee zu gehen.
    – Kann es sein, daß es am Rande (neben dem realen Anlaß: den Gesprächen zuhause über Hitler und die wachsende Nazibewegung) eine Beziehung zur Frage des Fünfjährigen gibt, wann die Welt untergehen wird?
    – Das Ganze wächst weiter, als ich in der Vorbereitungszeit vor der Erstkommunion auf Geschichten aus der Märtyrerzeit stoße, die mir klarmachen, daß man nicht Christ sein kann ohne die Bereitschaft, im Ernstfall auch physisches Leiden auf sich zu nehmen.
    – Das nächste ist die Geschichte der Operation, der ich mich als 16-jähriger habe unterziehen müssen, eine Operation an einer für einen Jungen in diesem Alter sicher empfindlichsten Stelle: eine Phimose-Operation. In dem Lazarett (1943, ich war Luftwaffenhelfer), in dem die Operation vorgenommen wurde, lag im gleichen Zimmer ein SS-Unterscharführer, der von seiner Beteiligung an den Judendeportationen aus Holland erzählt. Hat sich vielleicht die Erinnerung an die Operationen mit Vorstellungen über eine Beschneidung vermischt? – Aber die Operation war ebensowenig eine Beschneidung wie Auschwitz ein Holocaust war.
    Hängen meine Ängste bei physischen Eingriffen, von der Blutentnahme beim Arzt bis zur Zahnarzt-Behandlung, mit diesen Erinnerungen zusammen? Und reicht das nicht mit hinein in die (zweifellos aus der christlichen Sexualmoral erwachsene) Vorstellung, daß Sexuelles an den Grund der Welt rührt (in welcher Beziehung steht die Sexualität zu den objektivierenden, verdinglichenden Logiken des Inertialsystems, der Geldwirtschaft und des Bekenntnisses)?
    Das Werk der subjektiven Formen der Anschauung (insbesondere der Form des Raumes) ist die Vernichtung des Angesichts.

  • 27.09.93

    Die Schrift wird zu einem durchsichtigen Körper im Angesicht Gottes, wenn in ihr die Gegenwart sich selbst begreift.
    Im Begriff des Monarchen in der Hegelschen Rechtsphilosophie begreift Hegel die Welt als Erbe, zu dem es ein Testament, einen Erblasser und einen Erben geben muß. Das Testament ist die Logik.
    Wollte man die Kritik der reinen Vernunft heute noch einmal schreiben, so müßte man anstatt mit den subjektiven Formen der Anschauung mit den Begriffen Welt und Natur (den Reflexionsbegriffen der subjektiven Formen der Anschauung) beginnen.
    Beerscheba: Wie hängt der Name Siebenbrunnen mit dem Namen Schwurbrunnen zusammen? Drückt sich darin auch ein Inhaltliches aus: ein Zusammenhang der Zahl Sieben mit dem Schwur (dem Siegel)?
    Schwur, Eid und schwören, Zeuge und Zeugenschaft (vgl. auch Quell und Brunnen): Hängen die Verwerfung des Schwurs und die Austreibung der Dämonen (und die Stellen mit den sieben unreinen Geistern) zusammen? Der Schwur ist eine Bekräftigung der Zeugenschaft (Unterschied zwischen der männlichen und weiblichen Zeugenschaft: Beziehung zum Bekenntnisbegriff).
    Meineid hängt mit gemein, dem Allgemeinen, zusammen, ähnlich das Tauschen mit dem täuschen.
    Wie verhalten sich die sieben Völker Kanaans zu den Philistern?
    Ist das Antlitz Gottes das Antlitz JHWHs oder das Antlitz Elohims?
    Nur die Gotteserkenntnis befreit von der Trägheit des bloß Urteilenden. Aber die Idee Gottes ist nur zu halten zusammen mit der Idee, daß
    – das Vergangene nicht nur vergangen ist und
    – die Natur nicht siegen wird.
    Und die Vorstellung, daß Auschwitz endlich in die Geschichte einzuordnen sei, ist schlicht blasphemisch (warum erhebt kein Theologe Einspruch gegen die Sprüche des Theologen Heitmann?).
    Heute hat der Faschismus Kreide gefressen und sich ein Schafsfell umgehängt.
    Ist nicht die Subjektivität das Feuer, in dem der Himmel und die Elemente verbrennen, während die Welt als Asche zurückbleibt?
    Bindung Isaaks: Sind wir nicht heute dabei, unsere Kinder zu opfern, und wo bleibt der Engel JHWHs, der uns davon abhält? (Ist das vergleichbar?)
    Ein Beitrag zur Geschichte der Verinnerlichung des Opfers: Der eucharistische Ursprung des kantischen Objektbegriffs. Das Objekt ist das gekreuzigte Ding (es liegt im Zentrum der Todesgrenze, des Inertialsystems: so ist es auf die subjektiven Formen der Anschauung bezogen und an sie gebunden).

  • 18.09.93

    Die alte KZ-Wärter-Logik „Wenn du’s nicht tust, dann tut’s ein anderer“ und „Einer muß schließlich die Drecksarbeit tun“ ist die herrschende Logik in Politik und Wirtschaft heute.
    Die ambivalente Position der Dialektik der Aufklärung, zu der Walter Benjamin das Bild geliefert hat, war nicht durchzuhalten. Man kann sich der Theologie nicht bedienen und sie zugleich als Zwerg unterm Tisch verstecken, man muß sie hervorholen, auch auf die Gefahr hin, daß die im Gebrauch des Weltbegriffs wurzelnden Vorurteile dann nicht mehr zu halten sind.
    Was wir die Welt nennen, ist eine Momentaufnahme im Säkularisationsprozeß. Es ist die Ersetzung der Gegenwart, die von objektiven Korrespondenzen: von Verheißungen und Erinnerungen durchdrungen ist, durch das Gesetz der Gleichzeitigkeit (durch die Form des Raumes). Ist es nicht der quälend verlangsamte Weltuntergang, den wir betreiben, den wir allerdings zugleich aufgrund unserer Mittäterschaft wahrzunehmen nicht mehr fähig sind. Daß die Elemente verbrennen und der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollt, ereignet sich das nicht vor unseren Augen: im naturwissenschaftlichen Aufklärungsprozeß?
    Was Jesus dem Johannes im Gefängnis mitteilen läßt (Befreiung von den sieben unreinen Geistern?):
    – Blinde werden sehend und
    . Lahme gehen,
    – Aussätzige (d.i. Unreine: Beziehung zur Scham?) werden rein und
    . Taube hören,
    – Tote werden auferweckt und
    . den Armen (die Gott in der Welt repräsentieren) wird die frohe Botschaft verkündet, und
    – selig ist, wer an mir (an der Schrift, an den Juden) keinen Anstoß nimmt (Mt 115, Lk 722f),
    ist das nicht unsere vergangene Zukunft? Heute werden die Sehenden blind, die Gehenden lahm, die Reinen zur Wohnung der unreinen Geister, die Hörenden taub und die Armen der ausweglosen Verzweiflung ausgesetzt, während das im letzten Punkt benannte Ärgernis zwanglos sich auf die Theologie hinter dem Rücken Gottes (die den Anstoß des Kreuzestodes wegrationalisiert) und auf Auschwitz sich beziehen läßt. Hat nicht die Kirche zwangshaft und bewußtlos „an ihm Anstoß“ genommen (den Kelch getrunken), und dann den „Anstoß“ (das Ärgernis) projektiv mißbraucht?
    Ist dieses Jesus-Wort die Antwort auf das agnus dei, qui tollit peccata mundi, und die Entfaltung des Johannes-Worts von der Umkehr (Kehret um, denn das Reich Gottes ist nahe)? Es verknüpft die Befreiung von der Trägheit mit dem Sehen (das Angesicht), das Hören (Heute, wenn ihr meine Stimme hört) mit der Reinigung vom Aussatz und die frohe Botschaft an die Armen (die Gott selbst repräsentieren) mit der Auferweckung der Toten. Bezieht sich hieraus das ergreifende Paulus-Wort, wonach die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet?
    Nach dem Wort an Johannes kommt das Wort über Johannes (der, den ihr sucht, ist nicht an den Höfen der Könige).
    Zur Täufer-Theologie gehören Joh 129 und die obige Stelle (Mt 115 und Lk 722f), aber dazu zum letzten Punkt insbesondere die Aufarbeitung des Urschisma, die Kritik des kirchlichen Antijudaismus (Karl Thieme: die Stephanus-Rede und der Hebräerbrief).
    Arglos wie die Tauben: sich an ihm nicht ärgern.
    Heute genügt nicht mehr die Umkehr, sondern die Befreiung von den sieben unreinen Geistern, das Lösen der sieben Siegel. Klingt das nicht erstmals beim Jeremias an, dessen Nähe zu Jesus hier erkennbar wird: im Wort von dem „Grauen um und um“? Dieses Wort erscheint an drei Stellen (wie auch Gottes Aufforderung an Jeremias, nicht mehr für dieses Volk zu beten, und im Kontrast dazu das Gebot an das Volk: Betet für das Wohl der Stadt). Worauf beziehen sich diese Stellen?
    Nicht Griechenland, sondern Rom ist Babylon: Ist das Futur II (eine grammatische Errungenschaft der Lateiner) ein Produkt der Astrologie?
    Im Tempel, im Allerheiligsten, wohnt nicht Gott selber, sondern der Tempel ist das Haus des Namens (und der Herrlichkeit) Gottes. In katholischen Kirchen entspricht dem Namen Gottes die Eucharistie, aber was heißt das? Beim Tod am Kreuz ist der Vorhang des Tempels, der das Allerheiligste vom übrigen Raum abtrennte, zerrissen (was bedeutet der Vorhang im Tempel, Gen 2631ff?). Was ist in Auschwitz zerrissen?
    Das Bekenntnis und die ohnmächtige und folgenlose Gesinnung (vgl. gesonnen und gesinnt). Ist nicht die Gesinnung wie das Bekenntnis eine Alibi-Veranstaltung, der Bunker, in den sich das schlechte Gewissen vor dem Angesicht Gottes flüchtet? Adam und sein Weib „verbargen sich vor dem Angesichte Gottes des Herrn unter den Bäumen im Garten“ (Gen 38): Gehört das zur Geschichte des Ursprungs der Architektur?
    Islam und Christentum: Ist die Kaaba die Erinnerung an das unerlöste steinerne Herz der Kirche?
    Angst und Erkenntnis: Während die apokalyptische Stimmung Angst erzeugt, entspringt und konstituiert sich apokalyptische Erkenntnis in der Reflexion der Angst.
    Begriff und Erfahrung (zur Kritik der Erfahrung). Begriffe sind die Narben erlittener Erfahrung, Produkte des verdrängten Leidens. Welche Funktion hatte der Kreuzestod und seine theologische Verarbeitung (seiner Objektivation, Verdrängung und Instrumentalisierung) in der Geschichte des Begriffs? Ist nicht der Begriff in der Tat das Instrument der Zerstörung des Namens, der auf dem Grunde des Leidens ruht? Nur über das Leiden wird das Wort seiner selbst mächtig, gewinnt die Sprache ihre benennende Kraft zurück. Aber selbst das hat die Philosophie mit dem Begriff des „Existentiellen“ nochmal einzufangen und zu instrumentalisieren versucht. Der Existenz-Begriff ist mythologisch, weil er die Kraft des Namens in das Privileg des Opfers umlenkt und so neutralisiert, weil er die Heiligung des Namens (wie das Christentum) mit der Heroisierung, der Vergöttlichung des Opfers verwechselt. Nach meiner Kenntnis ist in der jüdischen Tradition der Begriff der Heiligung des Namens eine andere Bezeichnung fürs Martyrium. Ist das nicht das proton pseudos, aber liegt darin nicht zugleich auch die Verführungsgewalt des Mythos, daß er das Opfer mit der Sinnfrage verknüpft (das ist der Sinn von Heideggers Frage nach „dem Sinn von Sein“): Die Sinnfrage substituiert sich der erkennenden Kraft des Namens, kehrt sie nach außen und neutralisiert sie. Die Sinnfrage und ihr Vorläufer, die Theodizee, verrät das Opfer durch Heroisierung, durch Vergöttlichung. Die Göttlichkeit Jesu ruht in der Kraft des Namens, und nur insoweit in der Kraft des Opfers. Hier ist der Berührungspunkt der messianischen mit der Königstradition, die auch aus der Geschichte des Opfers stammt.
    Was unterscheidet die Königs- (Davids-) Tradition von der Reichs- und Kaiser-Tradition (von der Nebukadnezar-, Alexander-und Caesar-Tradition)? Oder auch: Was unterscheidet die englische und französische von der deutschen Tradition (in den politischen Institutionen, in der Sprache und in der Philosophie)? Aber hatten nicht auch die Engländer und die Franzosen ihren imperialistischen Sündenfall (Indien und Napoleon; das zweite deutsche Reich hat sich den Kaisertitel durch einen Sieg über Frankreich, das dann prompt zum Erbfeind ernannt wurde, zurückgeholt; Bedeutung des Rußlandfeldzugs für Hitler)?
    Enthält nicht das Problem der deutschen Einheit eine bis heute unbegriffene Herausforderung (die offensichtlich durch den Kandidaten Heitmann verdrängt werden soll)?

  • 14.09.93

    Zum Turm von Babel: Die Verwirrung der Sprache war das Produkt gesellschaftlich bedingter unterschiedlicher Beziehungen zur Sprache.
    In der Wendung „Wir Deutschen“ wird das idealistische Ich in ein Kollektivum übersetzt: Beide sind Produkte der Vergegenständlichung eines absolut Ungegenständlichen, was dann ohne Schuldverschiebung: ohne projektive Abarbeitung der Vergegenständlichung, und d.h. ohne Absolutierung, nicht zu halten ist. Dem gleichen Mechanismus verdanken sich im Ursprung der Philosophie insbesondere die Begriffe Natur und Materie.
    War der griechische Kosmos der schöne, geschmückte Kosmos, der lateinische mundus die von Feinden und Barbaren gereinigte, durchs Recht befriedete Welt?
    Zum Begriff und zur Geschichte des Himmels: Haben die Christen nicht den Himmel mit der Unterwelt vermischt? Was bedeutet es, wenn im Englischen sky und heaven unterschieden werden, im Deutschen eine etymologische Beziehung des Worts Himmel zum Hammer sich nachweisen läßt?
    Ist nicht die physikalische Nahwirkungstheorie, der prinzipielle Ausschluß jeglicher „Fernwirkung“, der falsche Ausdruck eines an sich richtigen Sachverhalts: daß das Inertialsystem nicht globalisiert werden darf.
    Zahlreich wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meer: Was bedeutet dieser Sand am Meer?
    Haben der Baum der Erkenntnis und die Dornen und Disteln etwas mit den Flexionen, und zwar der Baum der Erkenntnis mit den Konjugationen der Verben (dem Prädikat, dem Begriff), die Dornen und Disteln mit den Deklinationen: den casus, zu tun, die Schlange mit dem Neutrum und der zu bearbeitende Acker, dem die hervorbringende Erde zugrundliegt und von dem Adam, der Mensch, seinen Namen hat, generell etwas mit der Sprache?
    Wenn der Erde die Idee der Sprache zugrundeliegt, dann dem Himmel die der Erfüllung des Worts: hat Gott nicht die Erde gegründet und den Himmel aufgespannt?
    Gehört nicht der Nominalismus in die Geschichte der Urbanisierung, und wirft das nicht ein Licht auf Ninive, die „große Stadt“, in der die Menschen Rechts und Links nicht unterscheiden können (die genaueste Definition des Nominalismus)?
    Bezeichnen die Dornen und Disteln, das Widerständige, nicht aufs genaueste den Objektbegriff (als Kern des Naturbegriffs), die Null und den Punkt im Raum als Quellpunkt des Inertialsystems (genauer den Punkt in der Minkowskischen Raumzeit, in den das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Gleichungen der Lorentz-Transformation schon mit eingearbeitet wurden).
    „An jenem Tag wird Israel der Dritte im Bunde sein neben Mizrajim und Assur, ein Segen inmitten der Erde, die der Herr der Heerscharen segnet, indem er spricht: Gesegnet ist Mizrajim, mein Volk, und Assur, das Werk meiner Hände, und Israel mein Erbbesitz!“ (Jes 1924f)
    Die Gottesfurcht ist das Ende der Menschenfurcht: Sie macht den Haß der Welt, anstatt ihm nachzugeben, erfahrungs- und verarbeitungsfähig. Sie ist der Schutz vor der Identifikation mit dem Aggressor.
    Merkwürdige und erschreckende Erfahrung beim erneuten Lesen von Karl Thiemes Buch „Kirche und Synagoge“ (geschrieben 1944): So tief steckte der Antijudaismus in der kirchlichen Tradition. Steht das Buch nicht unter einem ungeheuren Rechtfertigungszwang: daß der kirchliche Antijudaismus nur ja nicht verwechselt werde mit dem gleichzeitigen Antisemitismus (gegen den Karl Thieme aktiv gearbeitet hat). Deutlich wird, wie eng der Antijudaismus mit Dogma und Bekenntnis, und zwar weniger mit ihrem Inhalt, als vielmehr mit ihrer gleichsam transzendentalen Logik, verknüpft ist.
    Aber spiegelt nicht das Thiemesche Kirchenverständnis (in Kirche und Synagoge) etwas von der Kirchenerfahrung unter Hitler wider, was heute zu leicht vergessen wird: die Kirche als Zuflucht, als Asyl und Schutzraum angesichts der Barbarei und der Greuel dieses apokalyptischen Zeitalters? Ist der Thiemesche Bekenntnisrigorismus nicht ein Produkt seiner apokalyptischen Erfahrungen?
    Nach diesem Buch würde ich mich heute gerne mit Karl Thieme über die drei Leugnungen Petri unterhalten.
    Vom Urknall zum Schwarzen Loch: War nicht der Antisemitismus der Urknall, und wird die Kirche nach der nicht gelingenden Aufarbeitung (in Deutschland heute: die CDU) zum Schwarzen Loch der politischen Astronomie?
    Es gibt kein Bekenntnis
    – ohne Feindbild (im Christentum: Juden und Heiden),
    – ohne Häretiker (Verräter und Abtrünnige),
    – ohne Sexismus, ohne patriarchalischen Kern (das „Glaubens“-Bekenntnis ist das Schuldbekenntnis der Natur, zu dem die Sexualmoral und das Unschuldsproblem, die Vorstellung einer natürlichen Unschuld, der Virginitas, gehört).
    Wenn der Weg der Befreiung versperrt ist, wird die Unschuldsfrage: das Problem der Rechtfertigung, übermächtig (Zusammenhang mit dem Ursprung des Weltbegriffs, dem projektiven Naturbegriff: die Vorstellung einer natürlichen Unschuld zielt auf die Unschuld und die befreiende Kraft des Opfers: Theologisierung der Logik der Naturbeherrschung?).
    Materie als reines Objekt von Herrschaft: Steckt im Begriff der Materie nicht die mater dolorosa? Die Vorstellungen von der unbefleckten Jungfrau, die dann zur Gottesmutter (zur Mutter des Gottes, den die Juden ans Kreuz geschlagen haben) wird, und der unberührten Natur haben etwas miteinander zu tun.
    Ist diese Theologie nicht das Abbild einer bis heute mißlungenen Naturphilosophie, und das Bekenntnis der Generator eines von den sieben unreinen Geistern beherrschten Naturbegriffs? Der Bekenntnisbegriff ist nicht abzulösen von der Geschichte des Ursprungs und der Anwendung des Inertialsystems. Das Bekenntnis als verdinglichte und neutralisierte Umkehr (mit dem wir uns das Gottesreich vom Leibe halten), Zusammenhang mit der dritten Leugnung und Selbstverfluchung: Erst in der Umkehr wird das steinerne Herz durch das fleischerne ersetzt.
    Ist nicht Adornos Kritik der Verdinglichung als Kritik des Objektbegriffs nur durch die Kritik des Dogmas hindurch noch möglich? Und ist nicht Auschwitz die dritte Leugnung und die Selbstverfluchung?
    Sind nicht alle drei großen Religionen, das Judentum, der Islam und das Christentum auf den Weltbegriff verhext? Und ist nicht jeder Fundamentalismus ein Produkt des Weltbegriffs und der daraus hervorgehenden Bekenntnislogik? Aber hat nicht nur das Christentum den Schlüssel zur Lösung?
    Der Streit um die Auslegung der Gottesknecht-Kapitel im Deutero-Jesaia ist nicht zu lösen, wenn man nicht das Nachfolgegebot mit hereinnimmt.
    Die Übernahme der Sünde der Welt schließt die Kritik des Naturbegriffs (des Kerns des Schuldverschubsystems) und seiner Vorgeschichte (in der altorientalischen Geschichte) mit ein. Hierzu gehören die Probleme
    – des Ursprungs der Astronomie und der Schrift,
    – des Ursprungs der Tempelwirtschaft und des Geldes sowie
    – des Ursprungs des Staates als Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern (Ursprung des Rechts).

  • 24.08.93

    Zu Erich Zenger, Gottes Bogen in den Wolken: Paßt nicht der Kriegsbogen zum kreisenden Flammenschwert?
    Ein prophetischer Begriff der Erkenntnis kann die Trennung von Natur und Welt nicht akzeptieren, er schließt die Kritik der Geschichte im Sinne einer praeparatio resurrectionis mit ein. Gründet nicht die Trennung von Prophetie und Schöpfungsgeschichte in der durch die Philosophie (und den Staat) vermittelten Trennung von Welt und Natur? Diese Trennung von Welt und Natur oder die Herrschaft des Begriffs und des Rechts ist nur zu kritisieren im Kontext einer Theorie des Namens, des Angesichts und des Feuers. Nicht nur die Prophetie, auch die Schöpfungslehre hat einen Aktualitätskern, der nur durch die Kritik der Trennung von Welt und Geschichte und der zugrundeliegenden Trennung von Natur und Welt wiederzugewinnen ist (Geschichte konstituiert sich durch den Naturbegriff: durch die Leugnung der Auferstehung hindurch); und das Medium dieser Wiedergewinnung ist Erinnerungsarbeit.
    In der Geschichte der drei Leugnungen ist die Magd des Hohepriesters (bei Johannes 1815ff u. 25ff) zugleich die Türhüterin, an der Petrus nur mit Hilfe des „anderen Jüngers“, der „mit dem Hohepriester bekannt war“ vorbei in den Hof hereingekommen ist. Bei Johannes fehlt der Satz von der Selbstverfluchung des Petrus und dem bitterlichen Weinen.
    Zenger, S. 109: Die Flutgeschichte erzählt gerade nicht, „daß und wie der Schöpfergott diesen „Gewaltbazillus“, der die Erde vergiftet hat, durch die Flut aus der Erde herausspült“, sondern dieser „Gewaltbazillus“ ist ein Systemteil der Flut, und seitdem ist die Erde damit vergiftet (hier ist alles Fleisch erst zu Fleisch geworden, auch im paulinischen Sinne: erst hier ändern sich auch die Tiere).
    Daß „die Wassertiere … in 721 verständlicherweise (fehlen)“ (S. 110), hat nicht nur den empirischen Grund, daß sie halt im Wasser leben, sondern verweist auch auf die „großen Meerestiere“ des fünften Tages, die, wie Himmel und Erde und wie der Mensch, unmittelbar von Gott erschaffen sind, und nicht nur die Sinflut überleben, sondern diese Katastrophe gleichsam antizipieren (vgl. die merkwürdige Beziehung der großen Meerestiere zur Philosophie und zum Staat: als Weltsymbole?).
    S. 111: „am Neujahrstag sind die Wasser von der Erde verschwunden“. Hat das (und die Sintflut insgesamt) etwas mit dem Wechsel vom Mond- zum Sonnenjahr zu tun? – Vgl. hierzu die Anm. 27.
    S. 117: Bezieht sich der Schrecken auf den Tieren in Gen 92 außer auf den Gottesschrecken bei der Landnahme (Josue) nicht auch auf den Schrecken Isaaks, und gehört nicht auch der „Schrecken um und um“ in diese Reihe? Und steht das Ganze nicht im Zusammenhang mit der Geschichte des Opfers als Vorgeschichte des Weltbegriffs? Ist nicht die Welt das subjektlose Subjekt dieses Schreckens (das subjektlose Subjekt einer Erkenntnis, deren Subjekt-Objekt der tiefste Grund dieses Schreckens, nämlich das Anderssein ist)?
    Verführung und Weltbegriff (et ne nos inducas in tantationem, sed libera nos a malo): Subjekt des Weltbegriffs sind die Menschen, aber davon werden sie durch den Weltbegriff zugleich entlastet: das ist die Sünde der Welt.
    Verstellt nicht auch in der Sintflutgeschichte das Chronologie-Problem den Blick auf ihre reale (und aktuelle) Bedeutung?
    Verweist nicht die Vorgeschichte (mit den Göttersöhnen und den Menschentöchtern und den Riesen der Vorzeit) aufs deutlichste auf die Zeus- und Heroen-Geschichten des griechischen Mythos?
    Ist nicht die Taufe (durch ihre Beziehung zur Sintflut) ein Symbol der Erinnerungsarbeit?
    Ist nicht „die Seite“ in der Schrift immer die linke Seite (von der Erschaffung Evas bis zum Lanzenstich am Kreuz)?
    Wie hängen die beiden – nach meinem Eindruck sehr katholischen -Wendungen im Verhältnis insbesondere zum Alten Testament zusammen:
    – das „Heute wissen wir, daß …“, mit dem störende Konnotationen beiseite geschafft, verdrängt werden, aber auch wenn eine Stelle dem Stand der naturwissenschaftlichen oder der historisch-kritischen Erkenntnis nicht mehr entspricht, und
    – die projektiv dem biblischen Autor unterstellte Absicht, die Behauptung zu wissen, was der biblische Autor an einer Stelle gemeint hat (insbesondere, wenn diese „Meinung des Autors“ mit dem Wortlaut des Textes nicht übereinstimmt)? Wäre hier nicht zu prüfen, ob die Vorstellung von der biblischen Autorschaft nicht in der Tat sehr projektive Züge trägt, und bestimmt ist vom eigenen Verfahren: vom Abschreiben aus Büchern in Zettelkästen und aus Zettelkästen in neue Bücher. Verkennt diese Vorstellung nicht doch zentral den realen Prozeß der literarischen Produktion in einer Welt, in der es noch keine Sekundärliteratur (die alle Quellentheorien gerne in die Texte hineinschmuggeln möchten) gibt?
    War nicht in der alten Welt das Verhältnis zur Sprache (bis hin zum Logos-Begriff des Johannes-Evangeliums) ein wesentlich anderes als unser heutiges, durch Rechtfertigungszwänge sowie durch Mathematik und Ökonomie zerstörtes und verwirrtes Verhältnis? Und ist nicht ein zentrales Moment der „Schrift“ Sprachreflexion?
    So wie zwischen dem „Stern der Erlösung“ und uns Auschwitz steht, so steht zwischen der Schrift und uns die zweitausendjährige Geschichte des Christentums, die in Auschwitz endet. Hier gründet die erschreckende und beklemmende Aktualität der Schrift.
    Nochmal zur Stelle: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, die Jesus dann selbst, so als sei es nur eine rhetorische Frage gewesen, beantwortet: Ihr werdet den Kelch trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten oder Linken habe nicht ich zu vergeben, sondern der Vater. – Nirgend kommt die Mittler-Rolle dramatischer zum Ausdruck als hier.
    Ist nicht die Geschichte der Dogmatisierung eine Geschichte der Subjektivierung (als welche sie zur Vorgeschichte der subjektiven Formen der Anschauung, ihrer Trennung vom Licht, gehört)? Und ist sie nicht (wie die subjektiven Formen der Anschauung) über den Weltbegriff herrschaftsgeschichtlich strukturiert (Verdrängung und Verachtung der Armen und der Fremden)? Bezeichnen nicht Gott, die Armen und die Fremden die andere Seite der Geschichte der Subjektivierung?
    Ist nicht das Feuer die Vermittlung zwischen dem Inertialsystem und dem Licht, und das Plancksche Strahlungsgesetz (zusammen mit der speziellen Relativitätstheorie Einsteins) der innerphysikalische Ausdruck dieser Vermittlung?

  • 22.08.93

    Ist der Personbegriff nicht ein Reflexionsbegriff der neutralisierten Welt (er bezeichnet den Schauspieler im Drama und das rechtlich schuldfähige Subjekt).
    Die sieben Siegel: Taufe, Firmung, Buße, Eucharistie, Priesterweihe, Ehe und Salbung.
    Wer den Faschismus nur unter dem Aspekt der Schuldfrage reflektiert, verfehlt ihn. Zu Auschwitz gibt es kein objektives Verhältnis mehr; das Besondere an Auschwitz ist die nicht mehr abweisbare Einsicht, daß man auch durch Nichthandeln (auch durch die Distanz des „historischen Betrachters“) schuldig wird. Mit Auschwitz enthüllt sich Objektivität insgesamt als Schuldzusammenhang.
    Grund des Weltbegriffs: Der Raum ist ein sich-selbst-tragendes Konstrukt (das reine Sich-Fortzeugen); er scheint nur hingenommen werden zu können und jeder Begründung und Reflexion sich zu entziehen. Die Konsequenzen allerdings sind unabsehbar.
    Die scheinbar so einfache und klare Struktur des Raumes ist in Wahrheit ein Produkt der Zerwirbelung der raummetaphorischen Elemente der Sprache:
    – im Angesicht und hinter dem Rücken,
    – rechts und links (Gerechtigkeit und Barmherzigkeit),
    – oben und unten (Herr und Knecht).
    Dies ist der Knoten, den Alexander als Erbe der Philosophie und Begründer des Cäsarismus, nur durchschlagen hat, während es darauf ankäme, ihn zu lösen.
    Hat nicht die Entdeckung des Winkels, der Orthogonalität, jene Seitenansicht der Dinge erst eröffnet und begründet, die dann die Begründung der Philosophie und die Konstituierung des Weltbegriffs (die Trennung des Natur- und Weltbegriffs) ermöglichte? Die ganze nachfolgende Geschichte, einschließlich des Ursprungs und der Ausbildung des Dogmas im Christentum, steht unter diesem Vorzeichen und war so die Voraussetzung für den europäischen Objektivations- und Säkularisationsprozeß. In diesem Prozeß ist die Seitenansicht dann zur Totalen geworden: zum Inertialsystem (der Verkörperung des Jeremias-Wortes vom „Grauen um und um“).
    Vgl. die schöne Stelle in Büchners „Lenz“: Sehen Sie, Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.
    Die Verführung des Feminismus: Wenn der Faschismus eine aus der Logik des Patriarchats erwachsene Erscheinung ist, dann ist der Feminismus gleichsam apriori exkulpiert. – Die große Bedeutung des Feminismus liegt darin, daß sie die politische Dimension des Sexismus wiederentdeckt hat.
    Gibt es eigentlich zum Schuldzusammenhang (und zum Rechtfertigungs- und Exkulpierungszwang) keine Alternative mehr?
    Die Unfähigkeit zur Schuldreflexion, die einhergeht mit der Unfähigkeit zur Sprachreflexion, reproduziert den Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, in dem sie gründet.
    Die technische Adaption der kritischen Theorie subsumiert sie unter Rechtfertigungs- und Alibizwänge.
    Die Kritik der Postmoderne, die Kritik Drewermanns und auch die Kritik Edith Steins trifft zwar den Sachverhalt, verdrängt aber zugleich das Problem und verfällt deshalb der Bekenntnislogik, der Vorstellung, das Bekenntnis zur richtigen Anschauung würde schon etwas ändern.
    Man muß sich klarmachen, daß das Inertialsystem das Referenzsystem aller physikalischen Erscheinungen, Begriffe und Gesetze ist, mit zwei Grenzfällen:
    – der speziellen Relativitätstheorie und
    – den Statistik-Gesetzen, insbesondere dem Planckschen Strahlungsgesetz.
    In beiden wird die Selbstreferenz und das Problem der Vermittlung im System als Gesetzeszusammenhang zu einem Teil des Systems. Die „empirischen“ Konstanten (der Wert der Lichtgeschwindigkeit und das Plancksche Wirkungsquantum) sind selber auch Knotenpunkte des Systems. Hier liegt der objektive, in der Physik selber verankerte Grund einer Theorie des Feuers.
    (Sind nicht die Banken die black boxes der Ökonomie?)
    Sind die drei großen und die zwölf kleinen Propheten Reflexgestalten der Patriarchen und der zwölf Söhne Israels?

  • 21.08.93

    Gründet nicht das Königtum über David in der Prophetie, das Kaisertum hingegen über Alexander in der Philosophie? So konnte das Christentum erst Staatsreligion werden, nachdem es als Dogma zum Teil der Philosophie (eine Phase im europäischen Aufklärungsprozeß) geworden war.
    Im Vordergrund der Diskussion der deutschen Physiker in Farm Hall bei Cambridge (sh. die Dokumentation in der FR von heute), als sie die Nachricht vom ersten Einsatz der Atombombe erhielten, stand die Schuldfrage, aber in einer merkwürdig gespaltenen Version:
    – als Erleichterung darüber, daß ihnen die Entscheidung über die Mitarbeit an der Bombe erspart geblieben ist, und zugleich
    – als Furcht, daß ihnen in Deutschland das Versagen vor der möglicherweise kriegsentscheidenden Entwicklung der Bombe als Schuld am verlorenen Krieg angelastet werden könne.
    Die größte Überraschung und die eigentliche Kränkung scheint jedoch darin gelegen zu haben, daß nicht sie, die Welt-Elite der Physik, sondern diese „Dilettanten“, die nach ihrem Verständnis provinziellen amerikanischen Physiker, den wissenschaftlichen Erfolg erringen konnten.
    Gehören nicht „Klugscheißer“ und „Hirngespinste“ sprachlogisch zusammen, und bezeichnen sie nicht einen höchst realen und zugleich erschreckenden gesellschaftlichen Tatbestand?
    Warnung vor der Bendorf-Euphorie: Warum fällt den Christlich-Jüdischen Gesellschaften bis heute zu Rostock nichts ein?
    Ich glaube nicht, daß man Auschwitz relativiert, wenn man die Indianermorde, die Todesschwadrone und die Folter in den Gefängnissen der Dritten Welt (und jetzt die Ausländerhatz in Deutschland) als Metastasen von Auschwitz begreift. Auschwitz ist nicht vergangen; und Auschwitz ist kein Gegenstand von „Vergangenheitsbewältigung“.

  • 19.08.93

    Es läßt sich stringent aus der Logik des Weltbegriffs (der verandernden Gewalt dieser Logik) herleiten, wenn die Deutschen sich als Opfer des gleichen Schicksals begreifen, dessen Urheber sie doch zugleich sind.
    Hat die Geschichte mit Noe und seinen Söhnen, die in der Verfluchung Kanaans endet, etwas mit der Geschichte vom Sündenfall zu tun? Und zu Japhet heißt es:
    Raum schaffe Gott dem Japhet, daß er wohne in den Zelten Sems, Kanaan aber sei ihm Knecht! (Gen 927)
    Übrigens: Paulus war ein Zeltmacher!
    Ist nicht Mizrajim ein Sohn Hams, und Heth ein Sohn Japhets?
    Ist nicht das Licht ein Einspruch gegen die Vergangenheit (gegen die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit)?
    Wie wird das Himmelblau erklärt? Und wäre die Frage, warum es nachts dunkel ist, nicht zu ergänzen durch die andere: Warum das Himmelblau am Tage die Grenze des Sichtbaren anzeigt (und wo liegt diese Grenze)?
    Sind nicht das Feuer und das Angesicht die Antipoden des Lichts?
    Die Entfaltung einer philosophischen Sprachlogik ist ohne eine Theorie des Feuers nicht mehr möglich.
    Zu der Vorstellung, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels wiederkehren wird: Führt nicht auch hier das naturwissenschaftliche bestimmte Bild der Wolken in die Irre? Und ist dahinter nicht die metaphorische Bedeutung der Wolken (die in der „Wolke der Zeugen“ – Hebr 121 – anklingt) verdrängt und untergegangen?
    Daß der Menschensohn bei seiner Wiederkunft in den Wolken erscheinen wird, verweist das nicht, ebenso die Wolke der Zeugen im Hebräerbrief, zurück auf den Noe-Bund (auf den Bogen in den Wolken, vgl. Erich Zenger)?
    Als Athalya Brenner auf die diffamatorische Nebenwirkung des prophetischen Gebrauchs der Worte Hure, Unzucht u.ä., auf die Nutzung der Frauen als Projektionsfolie für Verfehlungen des Volkes Israel, aufmerksam machte, hat sie zugleich auf eine logische Beziehung zur durchaus vergleichbaren Gebrauch des Namens der Juden im Neuen Testament und dann im christlichen Antijudaismus hingewiesen. Liegt hier nicht der Nachweis für den strukturellen Zusammenhang von Antisemitismus und Frauenfeindschaft (sowie Antisemitismus und Sexualmoral)? Gehört zur Entschärfung des Vorurteils nicht auch die Erkenntnis des Zusammenhangs der Form des Symbols mit seinem projektiven Inhalt? Wird nicht beidemale, mit der Unzucht bei den Propheten und mit den Juden im Johannes-Evangelium, eindeutig Herrschaftskritik gemeint, die projektive Züge erst dann annimmt, wenn die Worte aus ihrem wirklichen Kontext herausgelöst und (im augustinischen Sinne) „ad litteram“ gebraucht werden?
    Liegt hier nicht die Lösung des Problems der Beziehung von Symbol, Name, Instrumentalisierung, Begriff, Schuld, Herrschaft, Verdinglichung: nämlich im Zusammenhang einer Theorie des Feuers? Bezeichnet nicht das Feuer die Grenze zwischen Reflexion und Verdrängung: zwischen Begriff und Name? Indem ich das Verdrängte durch Reflexion verbrenne, lösche ich die Fluten der Sintflut? Hängen Wasser und Feuer nicht so im Namen des Himmels zusammen?
    Wasser und Feuer, Schwert und Kelch: Verweist nicht die Verwandlung von Wasser in Wein beim ersten Wudner in Kana auf diesen Zusammenhang (vgl. hierzu das johanneische Komma: Drei nämlich sind es, die Zeugnis ablegen: der Geist und das Wasser und das Blut, und diese drei gehen auf eins. – 1 Joh 57)?
    Der Thalessche Satz: Alles ist Wasser, ist als empirischer Satz, der die mythische Ära beendet und das philosophische Zeitalter eröffnet, zugleich ein prophetischer Satz: Hilft er nicht zum Verständnis des Wunders von Kana? Zum Satz Jesu: Ich werde von jetzt an von diesem Gewächs des Weinstocks nicht trinken bis zu jenem Tage, wo ich es mit euch neu trinken werde im Reiche meines Vaters (Mt 2629): Ist nicht der Taumelbecher und der Kelch des Zorns Produkt der Instrumentalisierung („der trinkt sich das Gericht“)? Beschwert sich nicht der Küchenmeister in Kana, daß andere Gastgeber den guten Wein am Anfang bringen, warum hier am Ende (sh. auch das „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen“, und den Hinweis Marias an die Diener: „Was er euch sagt, das tut“; und es waren die Reinigungskrüge, die sie dann mit Wasser füllen sollten)?
    Zu Jutta Voß: In ihrer Geschichte vom heiligen Franziskus würde ich auch die Partei des Lammes ergreifen.
    Theologie nach Auschwitz kann sich nicht darauf berufen, daß auch in Auschwitz gebetet wurde: Zwischen diesen Gebeten und uns steht Auschwitz. Und es wurde sicherlich auch geflucht. Theologie nach Auschwitz ist notwendig, weil anders die Opfer von Auschwitz nochmal verraten werden (eine andere Frage ist es, ob sie noch möglich ist). Aus dieser Formulierung ergeben sich Konsequenzen, wie diese Theologie beschaffen sein müßte.
    Die Corpus-Christi-mysticum-Lehre scheint irgendwann nach dem Kriege aus dem Bewußtsein der Kirche (und der Theologie) entschwunden zu sein, möglicherweise im Zusammenhang mit dem II. Vatikanischen Konzil? Kann es sein, daß sie genau zu dem Zeitpunkt „vergessen“ wurde, als man sie von der Erinnerung an Auschwitz nicht mehr trennen konnte (Auschwitz als Folge des durch die Instrumentalisierung des Kreuzestodes initiierten Wiederholungszwangs)? Steht die Theologie nicht heute unter dem Symbol: Abgestiegen zur Unterwelt (zur Hölle)?
    Die Wahrheit hat einen Zeitkern, und kann es nicht sein, daß dieser Zeitkern die Positionen des Glaubensbekenntnisses durchwandert?
    Kritik der reinen Vernunft, S. 508: Ein Hinweis auf die Unterscheidung der dynamischen von den mathematischen Grundsätzen des reinen Verstandes (auf Genesis und Bedeutung des Welt- und Naturbegriffs).

  • 04.08.93

    Jedes Urteil enthält ein projektives Element und ist in Schuld verstrickt, aber in eine Schuld, in die die Welt selber verstrickt ist: Diese Schuld ist der logische Grund des Weltbegriffs.
    Futur und Futur II sind Reflexionsformen von Imperfekt und Perfekt, davon nur durch die Prämisse einer unter die Vergangenheit subsumierten Zukunft unterschieden (Produkt einer innerzeitlichen Verschiebung: Ursprung des Naturbegriffs und seines sprachlichen Pendants, des Neutrums). Das Plusquamperfekt ist eine sprachlogische Konsequenz dieses grammatischen Eingriffs. Die hebräische Sprache kennt keinen Indikativ, diese verhängnisvolle Mischung von Präsens und Imperativ, das sprachliche Äquivalent dessen, was neudeutsch Sachzwang heißt.
    Der ungeheure sprachlogische Prozeß, in dem sich Futur und Futur II, Plusquamperfekt und Indikativ gebildet haben, auch das Neutrum (und der Welt- und Naturbegriff), hängt zusammen mit der Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung. Dessen Einheitsprinzip ist die Orthogonalität. Aber die Orthogonalität ist zunächst nur ein Strukturelement der Fläche, die selber wiederum dadurch definiert ist, daß sie auf eine und nur eine zu ihr orthogonale Richtung im Raum bezogen ist. Der Raum ist zwangsläufig dreidimensional. Der Preis für die Ausbildung der mathematischen Raumvorstellung ist die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: der oben bezeichnete sprachlogische Prozeß (oder die apriori positiv beantwortete Frage: if the future will be like the past).
    Die exkulpatorische Funktion der Ontologie wird erkennbar an dem unter Ontologen so beliebten Begriff des Geschehens, in das sie den Weltprozeß verzaubert. Dem entspricht das Fernsehen, das Politik und Zeitereignisse als Zeitgeschehen dem Konsum präsentiert, aber mit dem systemimmanenten Hinweis: Du bist Zuschauer und hast keine Chance, einzugreifen und die Dinge zu ändern. Mit der Betroffenheit, mit der alle auf die Darbietung des Schlimmsten reagieren (und aus dem die Fernseh-Theologie ihren erbaulichen Honig saugt), wird das moralische Subjekt, das hier ohnehin nicht mehr vorkommt, endgültig ausgelöscht. – Ist die Betroffenheit nicht eine Reflexionskategorie der Kollektivscham?
    Mit der Subsumtion unter die Vergangenheit schneiden wir den Dingen (auch dem Kreuzestod Jesu) die Zukunft ab. Was meint das Wort Name im Bekenntnis des Namens?
    Ist nicht die Beziehung des Begriffs zum Objekt (im Urteil die Beziehung des Prädikats zum Subjekt und in der Realität die des Schicksals zu seinem Substrat) eine genitivische: eine Eigentums- und Herrschaftsbeziehung (und zwar als wechselseitige oder als Reflexionsbeziehung: Grund der Unterscheidung von genitivus subjektivus und objektivus)? Der Eigentümer ist nicht nur Herr über seinen Besitz, sondern er selber wird durch seinen Besitz beherrscht („besessen“). Hier liegt der Ansatz zur Lösung des Problems des Weltbegriffs.
    Zum Antlitz des Hundes: Sind nicht alle Blickbeziehungen Herrschaftsbeziehungen, und ist das nicht der Grund, weshalb Hunde aufs Angeblicktwerden aggressiv reagieren? Der freie Blick ist etwas davon deutlich (nämlich durch die Fähigkeit zur Schuldreflexion) Unterschiedenes; er schließt die Umkehr mit ein, die Fähigkeit zur Reflexion der Intentionalität. Frei ist nur, wer den Rechtfertigungszwängen und der in den modernen Erkenntnisbegriff mit eingebauten Projektionsautomatik entronnen ist: Notwendigkeit einer Logik des Angesichts (das Gesehenwerden durchs Objekt und das Hören aufs Objekt in das Sprechen übers Objekt mit hereinnehmen)!
    Die Probleme des dritten Buchs im zweiten Teil des Sterns der Erlösung (die Probleme des Rosenzweigschen Erlösungsbegriffs) hängen zusammen mit den Problemen im zweiten Buch des ersten Teils des Stern (mit den Problemen des Weltbegriffs). Hier wird deutlich, was die jüdische Tradition in der Rosenzweigschen Fassung vom Christentum unterscheidet; aber diese Differenz war zwangsläufig, weil sie im Christentum selber bis heute nicht begriffen ist.
    Nicht der Erste Weltkrieg, sondern Getsemane ist das Korrelat des Anfangs des Sterns.
    Stern, S. 37: „Die Natur ist stets die eigene Natur der Götter.“ Darin steckt schon der christologische Naturbegriff.
    S. 153: Der Begriff einer Schöpfung aus Nichts „enthält die Leugnung des Chaos“; er ist ein Instrument der Leugnung und Verdrängung der Vergangenheit, der Diskriminierung der Erinnerung und der Verhinderung von Herrschaftskritik: Vor dem Ursprung des Weltbegriffs war nichts. Wenn doch etwas war, was nicht mehr zu leugnen ist, muß es dem Weltbegriff angeglichen und subsumiert werden (wie im Inertialsystem die Zukunft unter die Vergangenheit).
    Ebd.: Mit der Urteilsform ist die „Vorstellung“ eines Unvorstellbaren: einer unendlichen Vergangenheit, mitgesetzt.
    Zur Sünde der Welt: „Die Seele ist ihrer Last ledig im Augenblick, wo sie sie ganz auf die Schultern zu nehmen gewagt hat“ (S. 201).
    Ontologie und Umkehr: Das Sein, als allgemeines Possessivverhältnis, ist die Umkehr der Gnade, der Barmherzigkeit; daher seine „verandernde Kraft“ (Instrumentalisierung durch Vergegenständlichung rückt alles, was es ergreift, in ein vergesellschaftetes Possessivverhältnis: Deshalb gibt es ohne Staat keine Welt).
    Das Haus hat nicht nur mit Zweckmäßigkeitsgründen zu tun (Schutz vor den Unbilden der Witterung), sondern ebenso mit der Geschichte der Scham (Schutz der Intimsphäre): Hängen das Sklavenhaus Ägypten und der Name Pharao damit zusammen?
    Was bedeutet es eigentlich, wenn das Paradigma Innen/Außen nicht mehr zu halten ist: das Innere zu Nichts geworden ist?
    Die intersubjektive Welt ist zum gemeinsamen Gefängnis aller geworden: Alle sitzen in Isolationshaft.
    Der Korpuskel-Welle-Dualismus resultiert aus der objektiv unvermeidbaren Alternative, die der Lichtgeschwindigkeit zugrundeliegende „Bewegung“ entweder nur auf eine Richtung des Raumes zu beziehen, oder auf die Zeit, und damit auf die Totalität des Raumes.
    Das Inertialsystem abstrahiert vom Gesehen-Werden, von der Scham, die sich dann gegenständlich als Materie in den niederschlägt (sic, B.H.) (projektive Erkenntnis und Schuld). Scham ist Selbstbewußtsein des Andersseins, logische Konsequenz des Satzes: Das Eine ist das Andere des Anderen.
    Wann wird es gelingen, die Vergangenheit so einzudämmen, daß sie nicht mehr die Zukunft überschwemmt?
    Ist nicht im ersten Satz der Genesis (im „elohistischen“ Schöpfungsbericht, Gen 11) auch die Reihenfolge des Geschaffenen (Himmel und Erde) von Bedeutung? Erst am Anfang des zweiten („jahwistischen“) Schöpfungsberichts (24b), der die Paradiesesgeschichte und die Geschichte vom Sündenfall erzählt, wird die Folge umgekehrt („Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, …“). Wird der erste Schöpfungsbericht im Imperfekt, der zweite im Perfekt erzählt? Ist die Reihenfolge des Geschaffenen nicht in der Logik der Sprache begründet (in der perfektivischen Gestalt gewinnt die Erde den Vorrang vor dem imperfekten Himmel)? Deshalb endet der zweite Bericht mit dem Sündenfall und der jahwistischen Urgeschichte (bis zur Sintflut und zum Turmbau von Babel), der erste hingegen mit dem „sehr gut“. Enthält nicht die Geschichte von der Bindung Isaaks (mit dem Engel Elohims am Anfang und dem Engel JHWHs am Ende) den Lösungansatz?
    Zum ersten Satz der Genesis: den Himmel nutzt Gott als Namen für das Firmament, die Erde zur Herbringung der Kreaturen.
    Zum paradiesischen Nahrungsgebot: Nur dem Menschen ist die Frucht verheißen, den Tieren nur das Grün, die Blätter (vgl. das Feigenblatt und die Scham).
    (Gibt es im Hebräischen ein Partizip?)
    Ist nicht majim, das Wasser, ein Plural (wie schamajim, der Himmel), und ist nicht auch der deutsche Begriff Wasser ein Plural von Was (wie Völker von Volk)? Merkwürdig, daß der Ursprung der Philsophie mit der Neutralisierung des Wassers (Thales: Alles ist Wasser, Heraklit: panta rhei, und: niemand steigt zweimal in den gleichen Fluß) beginnt: der unendlich schwere, am Ende vergebliche Versuch das Flüssige dingfest zu machen (in einer wahrscheinlich entscheidenden Phase mit Hilfe der Theologie: Bedeutung der Trinitätslehre!)?
    Ist Theologie heute nicht doch nur noch in einer bekenntnishaften Form möglich, aber einer, die es wirklich ist: auf die Neutralisierung des Bekenntnisses, die Konfessionalisierung der Theologie, endgültig verzichtet? Dieses Bekenntnis wäre eines im Angesicht Gottes, nicht im Angesicht der Welt (dem Scheffel überm Licht). Durch Objektivierung und Theoretisierung wird der Inhalt der Theologie generell verfehlt.
    Das zum Bekenntnis neutralisierte Symbolon ist das vergrabene Talent.
    (Die Welt ist das Verwesungsprodukt des toten Gottes.)
    Steckt nicht in der projektiven Vorstellung vom „jüdischen Rachegott“ (bei Drewermann, Alt, Christa Mulack u.a.) auch die Angst vor einem Gericht, in dem die Opfer der Vergangenheit, die nur still sind, wenn sie endgültig tot sind, die Richter sein werden? Müßten nicht Kirche und Theologie, Gegenwart und Vergangenheit, aber auch Politik und Gesellschaft, völlig anders sich darstellen, wenn es auch nur einen gäbe, der wirklich an die Auferstehung glaubte? Hat das Christentum nicht die Theologie (Trinitätslehre und Christologie) auch dazu mißbraucht, sich die Vergangenheit (ihre jüdischen Wurzeln, aber dann auch ihre fatale eigene Rolle in der Geschichte) vom Leibe zu halten? Mit der Gehorsamsforderung wurden die Ohren verstopft, damit niemand das Blut, das zum Himmel schreit, mehr hören konnte. Ist nicht der „christliche Liebesgott“, der in der Vorstellung gründet, daß Gott seinen eigenen Sohn hingeschlachtet habe, „um uns zu retten“, Produkt und Deckbild einer nun wirklich sadistischen Phantasie? Während wir glauben, den „Rachegott“ nicht mehr zu brauchen, haben wir in Wahrheit genau diesen Aspekt längst neutralisiert und instrumentalisiert, indem wir ihn, wenn wir ihn nicht zu Zeiten auch einmal selbst in die Hand genommen haben, an den Staat, an die Institutionen des Rechts: der staatlichen Strafverfolgung und des Strafvollzugs, delegiert haben. Das „Volk“, in dessen Namen Gesetze erlassen, Recht gesprochen und Urteile gefällt werden, ist der anonymisierte Erbe dessen, den das antijudaistische Vorurteil einen „Rachegott“ nennt. Wer sich auch nur ein wenig mit den Zuständen in unseren Knästen (die jeder zu verantworten hat, der dem Volk angehört, in dessen Namen hier die „Strafen vollzogen“ werden) vertraut gemacht hat, weiß, daß zu den realen Gründen des Strafrechts auch, wenn nicht zentral, die Vergesellschaftung der Rachebedürfnisse gehört, während der „alttestamentliche Rachegott“ (das „Mein ist die Rache“ des Gottes, dessen wichtigste Eigenschaft die Barmherzigkeit ist) in seinem realen Kontext auf die Auflösung der Rachebedürfnisse der Opfer abzielt. Übrigens: Im Neuen Testament (im Hebräerbrief, 1030) steht der Satz: „Furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, während im Alten Testament (im Buch Jona, 411) Gott gegen Jona den Verzicht auf die Zerstörung Ninives so begründet: „Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als 120 000 Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können, und soviel Vieh.“
    Das gedankenlos Bösartige an der antijudaistischen Unterscheidung des „alttestamentlichen Rachegottes“ vom „neutestamentlichen Liebesgott“, das zum Syndrom der verfolgenden Unschuld gehört, wird deutlich, wenn man auch nur einen Augenblick daran denkt, wer – in einem geschichtlichen Kontext, zu dem Auschwitz gehört – hier an wen welches Ansinnen stellt: Der Täter schlägt dem Opfer das einzige Mittel, die Erinnerung an die Leiden zu verarbeiten, aus der Hand. Hier darf nicht mehr aufgearbeitet, hier soll nur noch verdrängt werden.
    Der Beter rächt sich nicht selbst (Zenger, S. 71): Ist das nicht das zentrale Anliegen eines jeden Gebets, das Moment, durch das es mit dem Gottsuchen sich verbindet, und der Wahrheitsgrund des Satzes von Reinhold Schneider? Wäre dieser Satz nicht heute eine der Grundlagen der Rechtskritik: als Kritik eines Instruments der instrumentalisierten Rache?
    Wird mit dem Gerede vom „jüdischen Rachegott“ nicht
    – der zugrundeliegende Text entstellt, seine Wahrnehmung verzerrt, und zugleich
    – ein theologischer Erkenntnisgrund durch Verdrängung neutralisiert?
    Verräterisch die Rede vom Gottesbild im Hinblick auf eine Religion, zu deren zentralen Elementen das Bilderverbot gehört: Zu den objektiven Intentionen des Bilderverbots gehört es, sich die reale Erfahrung nicht durch Bilder verstellen zu lassen. Hierzu gehört auch die biblische Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken. Der Antijudaismus ist ist ein System von Vorstellungen über die Juden hinter ihrem Rücken, er ist (nach einer auch hierauf zutreffenden Formulierung Adornos über den Antisemitismus) das Gerücht über die Juden, das jede reale Erfahrung mit Juden und mit der jüdischen Tradition scheut, wie der Teufel das Weihwasser.
    Hebr 1030f: Wenn wir vorsätzlich sündigen, gibt es für diese Sünden keine Opfer mehr. – Ist nicht das Opfer die Vergebung?
    In einer Welt, die bis in ihre innersten Strukturen hinein, und ohne daß eine Alternative dazu überhaupt noch sichtbar wäre, durchs Selbsterhaltungsprinzip geprägt und bestimmt ist, braucht man, wie es scheint, einen „Gott der Liebe“; aber gilt nicht hierfür Adornos Satz: Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist? Die Sperre vor der Fähigkeit zu lieben liegt in der Struktur dieser Welt.
    Die antikirchlichen Positionen in Kirche und Theologie sind nicht einfach nur falsch und zu verurteilen, sondern haben ihren eigenen Erkenntniswert in einem System, in dem Erkenntnis insgesamt seine projektiven Anteile nicht mehr abwischen kann.
    Den Begriff zum Sprechen bringen: das setzt eine Theorie des Lachens und des Schreckens voraus.
    Die subjektiven Formen der Anschauung und das Inertialsystem (der „luftleere Raum“) zerstören den Himmel durch die Zerstörung der „Elemente“ hindurch: die Erde, die Luft (das Pneuma), das Wasser und das Feuer (haschamajim).
    Physik als Kloß im Hals der Theologie: im „luftleeren Raum“ gibt es keine Luft zum Atmen.
    In welcher Beziehung stehen die Juden, Ketzer und Hexen der christlichen Geschichte zu den Barbaren der Griechen (trinitarische Entfaltung des projektiven Erkenntnisbegriffs der Philosophie)?
    Kants Philosophie war Erkenntniskritik, der stringente Nachweis, daß der Erkenntnisbegriff der Philosophie sich auf die Dinge, nicht wie sie an sich selber sind, sondern wie sie uns erscheinen, sich bezieht.
    Bekenntnisse des Jeremias: 1118-21, 121-6, 1510-21, 1714-18, 1818-23, 207-18: prophetischer Ursprung der Reflexion?
    Jeremias, der Prophet des welthistorischen Bruchs?
    – Dreimal verbietet Gott dem Jeremias, für das Volk zu beten; aber Jeremias gebietet dem Volk, für das Wohl der Stadt, in der sie nach der Deportation leben, zu beten.
    – Selbst wenn Mose und Samuel … (Jer 14-15?)
    – „Wer sich den Chaldäern ergibt, wird sein Leben als Beute gewinnen.“ (Jer 282, vgl. dazu den „Ursprung des Weltbegriffs“ und das Jesus-Wort: Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren.)
    – Dreimal „Grauen um und um“.
    – Ist der „Feind aus dem Norden“ (Babylon) ein Vorbegriff der Welt?
    – tewel (hebr. für Welt und Natur) nur zweimal im AT, beide Stellen bei Jeremias (?). Sonst „Himmel und Erde“; haolam ist der Bereich der göttlichen Herrschaft, nicht die Welt.
    – Zu Jer 1010-16: außer an dieser Stelle nur noch zwei andere „Schöpfungsberichte“, Ps 104 (der älteste) und Hiob 38ff.
    Erfüllung des Worts: „Der Prophet aber, der Heil weissagt – an der Erfüllung des prophetischen Worts erkennt man den Propheten, den der Herr wirklich gesandt hat.“ (Jer 289, vgl. Dt 1821-22, Ez 3333) Ist der Name die Erfüllung, das Eintreffen des Worts?
    Das Wunder gehört zur Prophetie: daß „das Wort sich erfüllt“, zum Namen wird (das Wunder erlischt im Namen).
    Das Absolute ist ein Korrelat der Welt: deshalb ist kein Gied in ihm nicht trunken.
    Zur Bestimmung der Theologie:
    – Aktualität (Prophetie),
    – eingreifende Erkenntnis,
    – apokalyptisch (aber nicht die Endzeit berechnend: dazu zwingt nur die Logik des Weltbegriffs).
    Kommen die Völker Kanaans in der Völkertafel, in den Genealogien der Genesis vor?
    Zur Vorgeschichte der drei Leugnungen Petri gehört ihre Weissagung:
    – Mt 2630 und Mk 1432: Ihr werdet in dieser Nacht (!) an mir Anstoß nehmen und zu Fall kommen.
    – Lk 2231ff: … der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf …, daß der Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich bekehrt hast, stärke dein Brüder.
    – Joh 1336ff: Wohin ich jetzt gehe, dorthin kannst du mir nicht folgen …
    Binden und Lösen: Ist nicht durchs Binden das Lösen neutralisiert, unkenntlich gemacht worden: und der Glaube zur Hybris?
    Das Dogma hat die Frage: Wie ist die Thora „heute“ (und d.h. prophetisch) zu verstehen, neutralisiert.
    Das Urschisma: auch eine Frage der Grammatik? Sind physis und kosmos (natura und mundus) grammatisch bedingte Begriffe? (Vgl. Rosenzweig: der „Mittler“ nur für die Heiden, nicht für die Juden).
    Der Weltbegriff fundiert den Egoismus (das Prinzip der Selbsterhaltung), den Sexismus und die Desensibilisierung, die Erfahrungsunfähigkeit.
    Die Welt ist Welt für andere: Schamgenerator. Durch die Identifikation der Kirche mit der Welt (mit dem Aggressor) ist die Kirche zum steinernen Herzen der Welt geworden.
    Hegel: die Neutralisierung der Philosophie zum Absoluten.
    Jeder Machtgewinn wird mit Sprachverlust erkauft.
    Zur Raummetaphorik: Die Neutralisierung von Oben und Unten ist ein Teil der Vergesellschaftung von Herrschaft.
    Ursprung des Geldes im Kontext der Schuldknechtschaft: Hat nicht das Bußsakrament das Lösen in kleine Münze umgemünzt (und ist nicht der verdinglichte Glaube ein Stück verinnerlichter Schuldknechtschaft)?
    Das Christentum hat der frühen Christenheit die Last der Umkehr abgenommen, heute blockiert es sie.
    Jona ben Amittai und Jesus kommen aus der gleichen Gegend (Nazareth und Umgebung).

  • 10.07.93

    Ist es richtig, daß die Bücher der Könige sich vorrangig auf die israelische, die der Chronik sich auf die judäische Königsgeschichte beziehen? Die isrealische Tradition, die nach Salomo und gegen ihn begründet wird, beruft sich auf Saul, die judäische, die dann die messianische Tradition begründet (Jesus: Das Heil kommt von den Juden), auf David (der den Goliat, Typos des zwar starken, aber dumpfen Heiden, besiegt hat). Die israelische Tradition ist von Anbeginn an eine des Abfalls, die judäische erst seit der Verschwägerung mit dem israelischen Königshaus. -Hat die nachsalomonische Beziehung Israel/Juda etwas mit dem dem Königtum vorausgehenden (und zuletzt in den das Königtum begründenden Kämpfen mit den Philistern erscheinenden) Verhältnis der Namen der Israeliten und Hebräer zu tun? Was bedeutet dieser Paradigmenwechsel? Haben die „Juden“ (die den Namen eines einzelnen Jakobssohnes, eines Stammes, tragen und nicht mehr Namen Abrahams, der als erster „ein Hebräer“ war: den Volksnamen) in der sich stabilisierenden Staatenwelt (und nach dem Verschwinden der restlichen zehn Stämme Israels) das Erbe der Hebräer angetreten, und was drückt sich in diesem Namens- und Statuswechsel aus (Hebräer: Kleinviehnomaden, Sklaven, Söldner; Juden: Objekte des Vorurteils, das mit dem Staat und dem Weltbegriff entspringt, und des Vernichtungswillens)? Welche anderen Namenswechsel gibt es: Abram/Abraham, Jakob/Isaak, Simon/Petrus, Saulus/Paulus?) Haben die „Juden“ etwas mit der Geschichte des Kelchs (und dessen Beziehung zu Babylon: der Name der Juden erscheint als allgemeiner Volksname erstmals bei Esra und Nehemia, nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft) zu tun? – Vgl. die Bemerkungen Michael Hiltons zum Namen der Juden.
    Rückt das nicht auch das Jesus-Wort „Das Heil kommt von den Juden“ (sowie den Antisemitismus und Auschwitz) in ein neues Licht? (Vgl. auch Sach 923: So spricht der Herr: In jenen Tagen werden zehn Männer aus Völkern aller Sprachen einen Mann aus Juda (nicht aus Israel, H.H.!) an seinem Gewand fassen, …)
    Michael Hilton weist hinsichtlich des Namen der Juden darauf hin: „the term Jewish … was a term which seems to have been used mainly by other people about Jews: the term occurs in the Book of Esther, and was the normal term used by the Romans and in the Gospels. … This implies that the word Jew could bear a sense different from Yisrael. A Yisrael ist somebody who follows the religion of Moses; a Jew is somebody who is part of a social group, who follows the customs of that people.“ (S. 125) Gehört zum Namen der Juden nicht auch die Geschichte mit Juda und Tamar?
    Der jüdisch-christliche Dialog ist kein Stellvertreter-Dialog: Unsere „Dialog-Partner“ sind die Ermordeten von Auschwitz, d.h.: außer den Ermordeten haben wir keine. Bezieht sich nicht darauf das Wort von der notwendigen Versöhnung mit der Bruder, bevor du zum Opfer gehst, und ist nicht daran das unendliche Gewicht zu ermessen, das dieses Wort nach Auschwitz bekommen hat? Daran hängt in der Tat die ganze Weltgeschichte.
    Sind die Wolken des Himmels, auf denen der Menschensohn wiederkehrt, die Wolken von Zeugen (Hebr 121): die Märtyrer (und die Geringsten seiner Brüder)?
    In den Tag- und Nachtbüchern Theodor Haeckers gibt es eine schlimme Stelle, an der er auf eine vorgebliche Ausnahme von der Regel, daß „in den Evangelien niemand in solcher Art (sc. welche Augen, welche Haare, welche Nase die Person einer Geschichte hat) beschrieben“ werde, hinweist: „Die einzige Ausnahme macht gewissermaßen Christus selber, da er einen seiner Jünger, ganz allgemein freilich, als echten Hebräer (sic!) anspricht, im Äußeren schon (sic!). Das setzt aber doch voraus, daß man sich über den Typus eines echten Hebräers durchaus im klaren war.“ (S. 50f) Dieser Hinweis kann sich nur auf die Berufung des Natanael (Joh 145ff) beziehen, den Jesus aber nicht einen echten Hebräer, sondern einen „echten Israeliten, einen Mann ohne Falschheit“ nennt. Spielt hier nicht der herrschende Antisemitismus dem Theodor Haecker einen nun wirklich entsetzlichen Streich, wenn er den Israeliten durch einen Hebräer ersetzt und diesen dann umstandslos auf sein „Äußeres“ reduziert: Wer „sich über den Typus eines echten Hebräers durchaus im klaren“ ist, kann nur die antisemitische Karikatur im Kopf haben. Daß einer, der im übrigen die Ereignisse der Zeit mit so großer Sensibilität beschreibt, selber zum Opfer der schlimmsten Vorurteile dieser Zeit geworden ist, ist entsetzlich. Aber vergleiche hierzu die ähnlichen Stellen:
    – S. 62: „… sind die Juden niemals Philosophen, Dichter, Maler, Bildhauer, Architekten ja nicht einmal Techniker gewesen“;
    – S. 77: „Den alten Juden wurde von Gott das Recht gegeben, Palästina zu erobern und Völker zu vernichten oder zu entrechten. Wir dürfen annehmen, daß diese Völker entartet waren …“;
    – S. 113f, über die Auferstehungslehre des Paulus: „Das ist die brutale Lehre eines fleischlichen Juden, der die Seligkeit ohne Verbindung mit dem Leibe sich nicht vorstellen kann“.
    Ist das nicht alles auch christliches Traditionsgut, das Theodor Haecker hier unreflektiert wiedergibt? Aber daß Theodor Haecker gleichwohl ein wirklicher Theologe war, beweist der Satz: Man soll und darf nur sich selber den Vorwurf machen, daß man kein Heiliger ist, beileibe keinem anderen (S. 305).
    Ein schlimmer Satz: Was geht’s mich an, was in der Welt vor sich geht, solange meine eigene Seele noch nicht heil ist? (Theodor Haecker, S. 239) Aber nach dem vorhergehenden Text ist klar: Es ist ein verzweifelter Satz.
    Durch ihre Verfolgung der Juden nähern sich nämlich die Deutschen innerlich immer mehr den Juden und ihrem Schicksal an. (S. 243f)
    Was aber, wenn das offenbare Scheusal (nämlich Hitler) doch nur der uns gnädig vorgehaltene Spiegel wäre, der mit exzeptioneller Schamlosigkeit und Aufrichtigkeit genau wiedergibt, wie wir in Wahrheit sind und vor Gott aussehen? Was dann? (S. 262)
    Gründet nicht das Problem Theodor Haeckers darin, daß er an der hierarchischen Struktur der Wahrheit und der Kirche festhält, zugleich aber mit größter Sensibilität das Grauen und die Gemeinheit notiert: Er ist nicht bereit, den Faschismus als eine Krankheit am Leib der Kirche selber zu begreifen. Enthüllen sich nicht die hierarchischen Strukturen am Ende als die sieben unreinen Geister?
    Zum Titel „Tag- und Nachtbücher“:
    – Er von stammt Theodor Haecker selbst (sh. S. 11).
    – Klingen nicht die Tage und Nächte der Schöpfungsgeschichte (als Begründung des hierarchischen Begriffs der Wahrheit) mit an?
    – Ist es ein Zufall, daß Johannes vom Kreuz (den Edith Stein übersetzt hat) zitiert wird?
    – Ist es nicht ein letzter Versuch, Licht und Finsternis zu scheiden?
    Läßt sich nicht an den Tag- und Nachtbüchern Haeckers ablesen, was der Faschismus für die Kirche wirklich bedeutet hat, und wie weit die Kirche, trotz aller Kritik und Distanz zum Nationalsozialismus, in diese Dinge verstrickt war. Hier scheint der Grund zu liegen, der bis heute die innerkirchliche Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit unmöglich gemacht und die entsetzliche Verwirrung, die nach dem Kriege immer deutlicher geworden ist, verursacht hat.
    Lingua latina: die lateinische Sprache.
    Ist der Begriff des Substantivs (in dem das Verb als Begriff das Nomen überwunden, besiegt hat, statt das Nomen in das eigene und sich selbst ins Licht des Namens zu rücken: Produkt der verdinglichten Grammatik und Denkmal der abgestorbenen benennenden Kraft der Sprache) antisemitisch?
    Drückt nicht das Schematismus-Kapitel bei Kant aufs genaueste den logischen Zusammenhang der subjektiven Form der inneren Anschauung mit dem Ursprung und der Geschichte des Nominalismus aus: die Selbstzerstörung und Substitution des Hörens durch die Gewalt der Vorstellung einer homogenen Zeit.
    An den Vorgängen von Bad Kleinen wird sich erweisen, wie weit das Prinzip des Aussitzens sich in diesem Lande der unbegrenzten Zumutbarkeiten durchhalten läßt.
    Bei einem Systemfehler hilft kein Auswechseln der Personen mehr, sondern nur noch das insistente Nachfragen und das Bestehen darauf, daß der Vorgang aufgeklärt und die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen werden.
    Wird das deutsche Volk nicht immer mehr zur Inkarnation des Weltbegriffs (Folge seiner ambivalenten Beziehung zur Welt, zum Ausland, zur Geschichte)?

  • 26.06.93

    Mit dem Weltbegriff wurde die Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft etabliert, damit die Quelle des Fortschritts eröffnet und die Erinnerungsfähigkeit domestiziert (abgeschnitten). In diese Geschichte ist das Christentum als Lehre und als Institution solange unheilbar verstrickt, wie es seine eigene Vergangenheit, nämlich die jüdische Tradition, nur in der durchs Dogma entstellten, antijudaistischen Gestalt erinnert.
    Bezieht sich das zweite bara in der Schöpfungsgeschichte (die Erschaffung der großen Seeungeheuer) auf den Staat?
    Ist die Metzsche Ersetzung der Sensibilität durch die Empfindlichkeit nicht ein Anpassungseffekt?
    Die Erweckungsgeschichten: der Jüngling von Naim, die Tochter des Jairus und Lazarus.
    Der Begriff der Gesellschaftskritik hatte auch ein Stück Exkulpations- und Alibifunktion: Schuldig waren die, die sich mit dieser Gesellschaft identifizierten, sie repräsentierten; der Gesellschaftskritiker war (wie generell der Empörte) durch seine Kritik (Empörung) ausgewiesen als einer, der der Schuld enthoben war. Auf die Änderung kam es schon gar nicht mehr an.
    War nicht die Enttäuschung der Parusieerwartung durch ihre Folgen (durch einen selbstreferentiellen Rückkoppelungseffekt) selber eine der Ursachen der Verzögerung, des Ausbleibens der Parusie? War sie nicht selber ein Teil der Parusieblockade? Und ist nicht das Dogma der Felsen, in den das Grab gehauen war, und der Stein vor dem Grab? Aber am Ende wird sich erweisen, daß das Grab leer ist. Als Petrus und der andere Jünger (Joh 203ff) zum Grab liefen, war der andere Jünger als erster am Grab, aber Petrus ging als erster hinein.
    Ist nicht der Begriff einer Enttäuschung der Parusieerwartung nur ein taktvoller Ausdruck für die Verdrängung der Parusieerwartung, und das etablierte Christentum die Erfüllung einer selffulfilling prophecy? Die Christen haben das letzte Wort am Kreuz umgekehrt: Sie vertrauen auf die Vergebung Gottes, indem sie sich bemühen, nicht mehr zu wissen, was sie tun. Wenn auch der neue Katechismus wieder die Barmherzigkeit Gottes in die Sündenvergebung legt, so apelliert er genau an diesen Mechanismus. Begründet ist das ganze in einem Personalismus, der die Schuld verrechtlicht, sie an das Prinzip der Zurechenbarkeit (und damit ans Prinzip des Beweises) knüpft, und dann nach dem Motto lebt, was die Welt nicht weiß, macht mich nicht heiß.
    Der Rechtsradikalismus heute hat seine Wurzeln nicht auf der Bekenntnisebene (im „Rassismus“), sondern auf der Verhaltensebene: in Ritualen und Wiederholungszwängen. Das ist es, was die Linken so irritiert, die selber von der idealistischen Vorstellung, daß das Tun in Vorstellungen und Ideen gründet, nicht mehr loskommen. Der Rechtsradikalismus zeichnet sich dadurch aus, daß er die Bekenntnislogik endlich vom Inhalt des Bekenntnisses gelöst, sie auf ihre Identifikationsfunktion reduziert und so zu einer reinen Verhaltenslogik gemacht, damit aber erstmals analysierbar gemacht hat.
    Läßt sich nicht die Kritik des verdinglichenden Denkens und die Kritik des Weltbegriffs aus dem „Richtet nicht …“ herleiten?
    Steckt die Beziehung des Glaubens- zum Schuldbekenntnis nicht in dem Schein der Schuldbefreiung (der „Rechtfertigung“) durch den Glauben, in der falschen, weil autoritären Plausibilität der Vorstellung, daß Er, wenn ich Ihn als den Herrn anerkenne, mich dafür lieb haben wird? Hier ist nicht mehr die Tat, sondern wie ich angesehen werde: das Erwischtwerden entscheidend (Problem der Scham). Und geht es nicht genau darum in der Geschichte von den drei Leugnungen: repräsentieren die Umstehenden nicht die Welt, die Ursache der Scham?
    Auschwitz ist die Frage an Petrus (die Kirche) vor der dritten Leugnung, und die Kollektivscham (der neue Katechismus, mit dem die Kirche der Kollektivscham ausweglos verfällt) die mit der Selbstverfluchung verbundene dritte Leugnung.
    Die Sorge um die Zukunft und die Sorge um den andern gehorchen der gleichen Logik.
    Auch das „Liebet eure Feinde“ ist (wie die Umkehr und das „Richtet nicht …“) ein erkenntnistheoretisches Prinzip: Es ist ein Sinnesimplikat der Kritik der Verdinglichung. Der Objektbegriff selber ist Repräsentant des Feindes im Objektivierungsprozeß, der von der Unterwerfung des zum Objekt Gemachten sich nicht trennen läßt. Das Urteil gründet im Schuldzusammenhang und konstituiert ihn zugleich; diesen Zusammenhang erstmals in die Nähe der Erkenntnis gebracht zu haben, ist das große Verdienst der kantischen Transzendentalphilosophie. Das Gebot der Feindesliebe ist nicht zu trennen vom Nachfolgegebot und seiner Begründung in Joh 129, von der „Übernahme der Sünden der Welt“. Die dogmenbegründende Opfertheologie perpetuiert das Feindbild und seine Logik (die Bekenntnislogik, die durch das opfertheologische Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ und durch das Opfer der Vernunft das Bekenntnis von der Erkenntnis trennt). Sie hat seit je mehr an den Teufel als an Gott geglaubt.
    Ist nicht das lateinische ire (gehen) ein reines Infinitivsuffix? Hat dieses ire etwas mit ira (Zorn) zu tun? Was bedeuten Verben wie dare (geben) und fere (tragen), die das Infinitivsuffix nur an einen Vokal binden? Gibt es nicht auch zu den gestae (Geschehnissen) einen Infinitiv gere?
    Nochmal zum Sein:
    – Ist nicht auch das esse ein reiner Infinitivsuffix? Dann aber diese merkwürdige Folge sum, es, est, sumus estis, sunt, mit gleichen Stämmen
    . in der 1. Pers. sing. und der 1. und 3. Pers. pl. (ich, wir und sie) bzw.
    . der 2. und 3. Pers. sing und der 2. Pers. pl. (du, er, sie, es und ihr).
    Hat das sum, sumus, sunt etwas mit sumere (nehmen) zu tun, das auf die merkwürdige (instrumentalisierende) Beziehung des Seins zum Eigentumsprinzip verweisen könnte?
    – Ist das Griechische einai ein durch das -ai suffigiertes Infinitivsuffix -ein? Gibt es das Suffix -ai auch sonst noch im Griechischen, ist es vielleicht Ausdruck einer Hypostasierung (durch Pluralisierung)?
    – Im Deutschen sind die Stammbindungen anders verteilt: bin, bist, ist, sind, seid, sind: Verbunden sind das ich und du, dann die Pluralbildung, während die 3. Pers. sing. (und anders die 3. Pers. pl., die rückwirkend auch die 1. Pers. pl. bestimmt: Selbstobjektivierung des wir!) an die entsprechende lateinische Bildung anklingt.
    – Im Englischen ist der Infinitiv von Sein (das to be) von den präsentischen Deklinationsformen getrennt (am, are, is, are, are, are, mit der merkwürdigen Identität aller Pluralformen mit der 2. Pers. sing. – Zusammenhang mit dem to be, der Hypostasierung des Präfixes be-?).
    Zur Sprachlogik des „Seins“ vgl. auch die Frage der Perfektbildungen mit den Hilfszeitverben haben und sein (im Englischen nur mit have). Ich habe getan, ich bin gewesen (I have been).
    Wird der Ausdruck „(diese) Person“ nur von Frauen über Frauen im diskriminierenden Sinne gebraucht? Bei einem Mann ist ein vergleichbarer Ausdruck „(der) Kerl“. Ist im Falle des Personbegriffs nicht gemeint, daß hier eine Frau sich herausnimmt, Person zu sein, was doch nur einem Mann zusteht? Und drückt darin nicht auch sich aus, daß der Personbegriff sich als Produkt einer Projektion begreifen läßt: als Produkt der Personalisierung; indem ich jemand als Person bezeichne, halte ich ihn für sein Tun rechtlich und moralisch verantwortlich. (Vgl. den theologischen Ursprung und Gebrauch des Personbegriffs in der Theologie: bei Tertullian; Grund der urpatriarchalischen Trinitätslehre?)
    Mit herauszuhören ist beim diskriminierenden Gebrauch des Personbegriffs auch der Anklang an die Diskriminierung der Prostitution, die weniger an die Verletzung des Sexualtabus (dann müßte die Diskriminierung sich gegen den Mann richten) als an das Problem der Emanzipation (der aktiven Teilnahme von Frauen am Warenverkehr) erinnert. Ist nicht der diskriminierende Personbegriff ein veralteter Ausdruck für das, was heute „Emanze“ heißt? Und rührt das ganze nicht viel mehr an das Problem der Ehe und deren Verstrickung in den historischen Prozeß (und an die politischen Konnotationen der Sexualmoral bei den Propheten)? Kulminiert dieser Konflikt nicht heute in der Werbung, die nicht nur den Tod verschweigt, sondern jeden Genuß auf den der sexuellen Gewalt reduziert (zurückführt)? Wäre nicht anhand der Werbung (und ihrer Vorform: der Propaganda, deren Begriff kirchlichen Ursprungs ist) zu demonstrieren, was heute Keuschheit heißen müßte, zusammen mit der Reflexion des Sachzwangs: Es gibt keine Massenproduktion (weder von Waren, noch von Christen) ohne Werbung. Die Produkte müssen sich (wie Babylon durch den Turm, wie die Christen seit Antiochien) einen Namen machen. Seitdem kann man sich dem Zwang, in jeder sprachlichen Äußerung nur noch herauszuhören, wofür oder wogegen einer ist (der Erkenntnis des Guten und Bösen), fast nicht mehr entziehen kann.
    Merkwürdige Beaobachtung beim Scharping (gestern in der ARD): Was hatte es zu bedeuten, wenn er in der Befragung gestern abend beim Wechsel des Fragenden jedesmal mit einer Wendung des Kopfes reagierte, die auszudrücken schien, welche Mühe es ihm bereitete, sich von der vorhergehenden Frage (und dem Fragenden) zu lösen, um der neuen Frage sich zuwenden zu können?
    Im Angesicht Gottes, oder wie hängen Sehen und Hören mit einander zusammen? Sind nicht die Blinden und die Tauben, nur beide mit charakteristischen Differenzen, auch von physiognomischen Wahrnehmungen und Erkenntnissen bestimmt? Die physiognomischen Wahrnehmungen des Blinden und seine Art der Aufmerksamkeit unterscheiden sich signifikant von denen des Tauben: Der Blinde lebt vom natürlichen Vertrauensvorschuß, während der Taube dem paranoiden Mißtrauen nur mit großer Anstrengung sich entziehen kann. Ist nicht die Erfahrung des Hasses der Welt eher ein Sinnesimplikat eher des Hörens als des Sehens? Und muß nicht, wer mit den Augen hören lernen will, durch diesen Haß der Welt hindurch? An diesem Haß der Welt habe ich als Sehender größeren Anteil denn als Hörender; er wird auf den begriffslosen Begriff gebracht durch die subjektive Form der äußeren Anschauung: durch die Form des Raumes. Heute vergeht dem wirklich Sehenden das Hören, dem wirklich Hörenden das Sehen. Aber lernen müßten wir, mit den Augen zu hören und mit den Ohren zu sehen. Steckt nicht das in dem Wort: Wer euch angreift, greift meine Augapfel an.
    Hat es nicht doch eine ganz anderen metaphysischen, oder genauer prophetischen Hintergrund, wenn heute die Beziehung der Geschlechter nicht mehr im Kern durch die Ehe, sondern durch den Zustand der Welt (der prophetisch im Bilde der Ehe zu begreifen wäre) definiert werden?
    Anhand der Ehe wäre zu demonstrieren, welche Bedeutung die Sakramente einmal für das „Bestehen der Welt“ (im objektiven, logischen, wie im subjektiven, moralischen Sinne) hatten, und welche Kräfte, Zwänge und Notwendigkeit hier wie auch bei der Säkularisation der anderen „Sakramente“, in der Geschichte des modernen Staates, wirkten und zugleich sich entfalteten, freigesetzt wurden (Ursprung der modernen Staatsmetaphysik). Diese Geschichte steht in Wechselwirkung mit dem Ursprung und der Entfaltung des Inertialsystems: Hier wurden die Sakramente zu den Siegeln (mit dem Nationalismus als säkularisierter Eucharistie: vgl. Bölls Sakrament des Büffels), deren Lösung die Apokalypse beschreibt.
    Ist nicht die Säkularisierung der sieben Sakramente beschrieben in Geschichte von den sieben unreinen Geistern? Und bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen nicht auf diese sieben Sakramente? Welche Bedeutung hat in der Johannes-Apokalypse (108ff) das Essen des Buches (im Munde süß, im Magen bitter)? Gibt es eine Beziehung zum Trinken des Bechers des Zorns? Ist das nicht die letzte Gestalt der Eucharistie? (Vgl. 1 Kor 1125ff)
    Was bedeutet das to arnion to esphagmenon (Offb 512, lt. Einheitsübersetzung: das Lamm, das geschlachtet wurde) wörtlich? Ist nicht das im Katechismus zitierte entsetzliche Lumen gentium-Wort von der „liebenden Zustimmung zur Schlachtung des Sohnes“ eine projektive Verarbeitung der Schuld, ohne die das Amt des Papstes nicht mehr zu ertragen wäre? Es reicht nicht mehr, nur Jesus die Schuld der Welt aufzubürden; auch diese Schuld (der Verdrängung, der zwangshaften und vergeblichen Wiederholung des Opfers) muß noch abgewälzt werden auf Maria: So wird sie zur „Mittlerin aller Gnaden“. Da ist das Stabat mater ehrlicher. Gibt es nicht ein herzzerreißendes und steinerweichendes Weinen?
    Diese ungeheure Schwammspinner-Johannistrieb-Natursymbolik? Wann begreifen wir’s endlich?
    Bezieht sich die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel auf das finster gewordene Geheimnis des Bußsakraments?
    Hängt der Patriarchalismus des Christentums mit dem Gebrauch des Personbegriffs in der Trinitätslehre zusammen? Welche Bedeutung hatte hier die Übertragung der Theologie aus der griechischen in die lateinische Sprache (Tertullian)?

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