Auschwitz

  • 7.1.1997

    Nach der Johannes-Apokalypse gibt es sieben Zornesschalen, nicht mehr nur den Kelch des Zorns, dazu den Unzuchtsbecher.
    Hat nicht Kopernikus den einen unreinen Geist in die Wüste geschickt, von wo er jetzt mit sieben unreinen Geistern in das leere, gereinigte und geschmückte Haus zurückkehrt?
    „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“ – Mit dem Hammer philosophieren, oder: Wie die Philosophie zum Hammer wird. Woher kommt der Ausdruck: „Das ist ein Hammer“, und was bedeutet er?
    Den Satz aufschlüsseln: „Ich darf nichts sagen, aber es ist schlimmer.“
    Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns ist eine Anwendung der double-bind-Theorie, die Begründung des Gesetzes-Gehorsams durch Umformung des „sie wissen nicht, was sie tun“ in einen Imperativ; das Nichtwissen als Pflicht.
    Der Himmel ist der Boden, in dem die Namenskraft der Sprache wurzelt und aus dem sie sich nährt.
    Das steinerne Herz der Welt: das ist der Himmel als Hammer.
    Die Geschichte der Aufklärung, die den Gott der Himmel, den Herrn der Heerscharen, nicht kennt, ist die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos.
    Als Büchners Lenz begriff, daß der Mond eine leere Steinwüste ist, ergriff ihn die Kälte bis ans Herz.
    Hat nicht Carl-Friedrich von Weizsäcker, als er die Gleichung für die Sonnenenergie aufstellte, damit a. die Atombombe gemeint und b. die Sonne verdunkelt?
    Als Walter Pehle das Buch von Goldhagen einen „Rückfall in die fünfziger Jahre Jahre“ nannte, hat er diesem Buch das größte Lob ausgesprochen.
    Habermas‘ Kritik der instrumentellen Vernunft (in der Theorie des kommunikativen Handelns) ist nur die Kritik des Bewußtseins davon; deshalb mußte Habermas die Bewußtseinsphilosophie „überwinden“. Übrig bleiben die logischen Strukturen des kommunikativen Handelns, ein Reich der Finsternis.
    Hegels Philosophie der Freiheit ist eine Philosophie des Bewußtseins der Freiheit; deshalb ist seine Philosophie eine Bewußtseinsphilosophie. Weshalb sind beide Versionen falsch, Hegels Bewußtseinsphilosophie und Habermas‘ Kritik der Bewußtseinsphilosophie?
    Sind nicht das „teleologische (zweckrationale) Handeln“, das „normengeleitete“ und das „dramaturgische Handeln“ drei Aspekte der gesellschaftlichen Anwendung des Inertialsystem, einer Konstruktion aus Eigeninteresse, Gesetzesherrschaft und Anschauungsbezogenheit (Begriff, Gesetz und Erscheinung bedürfen des Inertialsystems als Referenzsystem, in dem sie sich konstituieren und durch das sie aufeinander sich beziehen und wechselseitig sich definieren)?
    Die „Frage …, was es heißt, soziale Handlungen zu verstehen“ (I, S. 152) ist nicht identisch mit der Frage, was es heißt, einen Menschen und sein Handeln zu verstehen. Die Habermas’sche Frage steht schon unter dem Objektivierungszwang, sie schließt die Intention, in den andern sich hineinzuversetzen, und damit die Frage, die die Ethik vor jedes moralische Urteil setzt: Hätte ich anders handeln können, wenn ich an der Stelle des Andern gewesen wäre, a liminie aus. Sie macht z.B. den Versuch, Auschwitz zu verstehen, gegenstandslos, und glaubt so, der unendlichen Last der Reflexion sich entziehen zu können. Im Kontext dieser Frage kommt die Ethik nicht mehr vor. Für den Zuschauer, im Bann der Logik des Anschauens, gibt es keinen Unterschied zwischen einer Norm des Handelns und dem Maßstab eines Urteils. Die Asymmetrie zwischen mir und dem Andern (zwischen Handeln und Urteil), die der Sprache zugrunde liegt, wird neutralisiert.
    Die subjektiven Formen der Anschauung haben in der Gestalt der stoischen Ataraxia das Licht der Welt erblickt. Die kopernikanische Wende war der Initiationsritus, in dem sie erwachsen geworden sind.








  • 20.12.1996

    Der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht, ist identisch mit dem andern, daß er barmherzig ist.
    „Der Sinn ‚Gottes‘ ist die solidarische Gesellschaft“ (Ton Veerkamp, S. 99): Aber schließt das nicht auch die Vergangenheit mit ein: die Solidarität mit den Toten? Gilt nicht Horkheimers Satz immer noch: Wie kann auf diesem riesigen Leichenberg, auf dem wir leben, je eine richtige Gesellschaft errichtet werden?
    Nach Jer 423 entspricht der Erde das tohuwabohu, dem Himmel die Finsternis über dem Abgrund. Licht und Finsternis sind wie Wasser und Feuer Kategorien des Himmels, Kategorien der Reflexion des Himmels im Medium der Sprache. Im Kontext der naturwissenschaftlichen Erkenntnis gibt es die Unterscheidung zwischen Licht und Finsternis nicht mehr. „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 514, vgl. Joh 812).
    Erinnert nicht Ton Veerkamps Begriff der Weltordnung an den Habermas’schen „herrschaftsfreien Diskurs“? Es ist nicht nur eine Sache der freien Entscheidung, ob man sich für eine andere Weltordnung oder für den herrschaftsfreien Diskurs einsetzt. Es gibt neben der bestehenden Welt keine andere Weltordnung, die nicht durch die Reflexion dieser bestehenden Welt vermittelt wäre, und ebenso gibt es keinen herrschaftsfreien Diskurs, der nicht der Reflexion von Herrschaft bedürfte, um den Diskurs aus dem Bann der Herrschaft zu lösen.
    Mit der Marx’schen Kritik des deutschen Idealismus ist der Geist nicht erledigt. Marx hat Hegel nicht in dem Sinne widerlegt, daß man sich danach nicht mehr mit ihm zu befassen brauche. Er hat ihn „vom Kopf auf die Füße gestellt“: Seine Kritik war ein Akt der Umkehr.
    Der Weltbegriff ist der Inbegriff einer Eigentumsordnung, die vom individuellen Eigentümer abstrahiert, und deren Urheber der Staat, das Organisationsprinzip einer Gesellschaft von Privateigentümern, ist.
    Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein: Hat das nicht etwas mit der Welt zu tun, mit dem Knoten, den Alexander nur durchschlagen, nicht gelöst hat?
    Die Welt ist der Inbegriff einer apriorischen Logik, die uns die Erfahrung abnimmt.
    Wenn der Ursprung des Weltbegriffs zivilisationsbegründend war, dann war Auschwitz der Zivilisationsbruch, in dem die Welt untergegangen ist.
    Verstand und Einsicht: Während die Einsicht auf die Erkenntnis des Herzens, des Organs der Barmherzigkeit, sich bezieht, bezieht sich der Verstand auf das Auge, das Organ des Urteils, des Gerichts.
    Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Als sie erkannten, daß sie nackt waren, haben sie gelernt, sich in den Augen der Andern wahrzunehmen. Dagegen steht der Satz, daß Gott ins Herz der Menschen sieht (auch dieser Satz steht im Imperativ, nicht im Indikativ).
    Das „Bedecken der Sünde“ hat etwas mit der Vergangenheit und mit der „Erinnerungsarbeit“ zu tun: mit der öffentlichen Reflexion der Kräfte der Vergangenheit, die so ihre anwachsend nachtragende Macht über uns verlieren, deren Bann über uns nur so gebrochen werden kann. Die Sünde ist dieser Bann, der das Licht der Reflexion nicht aushält, nicht erträgt.
    Läßt der „Zentralbank-Kult“ (Edward Luttwak in Lettre Nr. 35, IV/96, S. 8ff) als ein zwangslogischer Versuch, das kopernikanische System politisch-ökonomisch nachzubilden, sich verstehen? Die Finsternis über dem Abgrund ist das gesellschaftliche Äquivalent des kosmischen tohuwabohu.
    Hegels logische Korrespondenz von Ich und Ding läßt sich näher bestimmen, wenn man das Ding als Ware begreift und das Ich als Reflexionsform der Warenform.

  • 16.12.1996

    „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“: Die Bekenntnislogik war das Instrument der Auflösung des Naturbegriffs durch eine Zwangsreflexion, die durch die Opfertheologie (und durch die Geschichte des Weltbegriffs, in der diese gründet) vermittelt ist. Die Bekenntnislogik reflektiert einen Bekenntnisbegriff, der seinem Ursprung im Schuldbekenntnis hat, aus ihm durch ihm durch eine systematische logische Umkehrung hervorgegangen ist (sic, B.H.). In der Bekenntnislogik wird das Schuldbekenntnis, das auf die Fähigkeit zur Schuldreflexion als Selbstreflexion sich gründet, zum Fremdbekenntnis, zum Schuldverschubsystem, zu einem systematischen Instrument der Abwehr, Verschiebung und Projektion. Es ist die gleiche Umkehr, die bei Kant das Verhältnis von reflektierendem und bestimmendem Urteil in der Sache bestimmt (das Instrument dieser Umkehr ist die transzendentale Ästhetik, sind die subjektiven Formen der Anschauung und in ihnen die durch Orthogonalität und Reversibilität definierten Beziehungen der Richtungen im Raum, die das Ungleichnamige gleichnamig machen). Zu den Wirkungen der Bekenntnislogik (aus denen ihre Ursprungsgeschichte sich ablesen läßt) gehört die Selbstzerstörung der an die Sprache gebundenen Sensibilität, die sie durch Empfindlichkeit ersetzt. Die Empfindlichkeit (die insgesamt pathologisch ist) gründet im Rechtfertigungszwang, der selber als Umkehrung der Fähigkeit zur Schuldreflexion, als Produkt der Verdrängung und Unterdrückung dieser Fähigkeit, sich begreifen läßt. Im Kontext dieses Rechtfertigungszwangs gründet eine Logik, unter deren Bann die Differenz zwischen Verstehen und Verzeihen sich verwischt, unkenntlich wird: die Logik der Verurteilung (die dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrundeliegt). So bleibt Auschwitz unter moralischem Apriori „unverständlich“, während das, was hier geschehen ist, ohne daß das an dem Urteil über das Grauenhafte etwas ändert, unter den Prämissen der Schuldreflexion (die durch den Weltbegriff außer Kraft gesetzt werden) sehr wohl sich verstehen läßt.
    (Hierzu:
    – Verurteilung des Nationalsozialismus ohne Reflexion des Schreckens nicht möglich;
    – Reflexion des Schreckens und Reflexion der subjektiven Formen der Anschauung;
    – Schuldverschubsystem, „Entsühnung der Welt“, Entlastung und Enthemmung, das Problem des Strafrechts und die Ohrenbeichte, Kirche und Staat als Produkte der Vergesellschaftung des Opfers und der Rache;
    – das Dogma, die Orthodoxie, das Geld, das Inertialsystem und die Logik der Verurteilung, des Schuldverschubsystems;
    – das Gebot der Feindesliebe und der imperativische Gehalt der Attribute Gottes;
    – die Astronomie und der Name des Himmels.)
    Das Problem der Bekenntnislogik ist ein lateinisches (und in der Folge dann ein deutsches) Problem. Die confessio ist ein halbiertes homologein. Sie unterscheidet sich wie das Bekenntnis vom homologein durch die Abstraktion von der Nachfolge (dem christlichen Äquivalent der Umkehr). Augustinus‘ Confessiones stellen dann die Beziehung zum „Sündenbekenntnis“, zur Schuld, her. Das homologein ist als Name der Umkehr aufs zukünftige Handeln bezogen, die confessio aufs vergangene, auf die „Bekehrung“, deren Geschichte Augustinus in seinen Confessiones erzählt, am Ende nur noch auf den Taufakt. Die confessio hat das homologein der Herrschaftslogik unterworfen. Erst als Bekenntnis wird das Bekenntnis endgültig und unentrinnbar zu einem Instrument der Herrschaftslogik: Durch die Umkehr des Schuldbekenntnis im Glaubensbekenntnis bekenne ich die Schuld der Andern, die ich weder bekennen kann noch darf. Durchs Glaubensbekenntnis wird das Christentum zum Christentum für Andere, hat es sich selbst instrumentalisiert. Diese Logik der Instrumentalisierung, die in der Theologie sich entfaltet hat, ist dann zum Modell der naturwissenschaftlichen Aufklärung geworden.
    Die Bekenntnislogik reprodziert und stabilisiert die Gewalt des Begriffs, während die Nachfolge den Begriff zurückübersetzt in den Namen (die Blätter des Feigenbaums zurückübersetzt in die Frucht).
    Gewinnt die Tatsache, daß nach dem Ende der Märtyrerzeit die geschlechtsspezifische Aufteilung der Heiligen in (männliche) Bekenner und (weibliche) Jungfrauen erfolgt, im Kontext dieser Logik nicht eine ungeheure symbolische Bedeutung?
    Es gibt keinen Weltbegriff ohne das projektive (feindbildlogische) Moment, das in dem Namen der Barbaren erstmals sich ausdrückt. Dieses projektive Moment ist in der Bekenntnislogik zur logischen Automatik geronnen: Deshalb gehört zur Bekenntnislogik ein eliminatorischer Wahrheitsbegriff: das Feindbild, die Ausgrenzung der Verräter (der Häresien) und die Frauenverachtung.
    Sind nicht die Christen reflektierte Barbaren, und gehörte zur Rehellenisierung des Christentums nicht die erneute projektive Ableitung dieses Syndroms im Namen der Wilden (auch im Begriff der „rohen Natur“, die nur durch Bearbeitung zu humanisieren ist)?
    Wer mit dem Verurteilen das Verstehen tabuisiert, die Fähigkeit, auch ins Verurteilte noch sich hineinzuversetzen, unterdrückt, fördert die Barbarei, die aus dem Vorurteil folgt. Und diese Geschichte (die Geschichte des Vorurteils) hat angefangen in der Geschichte der Dogmas, im Kampf gegen die Häresien, die auch nur verurteilt, aber nie verstanden wurden. Wer heute eine transzendentale Logik schreiben wollte, müßte sie als Reflexion der Bekenntnislogik schreiben, ihr Ziel wäre eine Theorie des Antisemitismus, der Xenophobie und des Sexismus. Diese Reflexion könnte dann allerdings vor dem Naturbegriff nicht halt machen, sie würde ihn sprengen.
    Im Bekenntnisbegriff ist das Pharisäische zu einem Teil des logischen Systems und damit instrumentalisiert worden. Und die kirchliche Rezeption Pharisäer-Kritik, der Verurteilung der Pharisäer, gehörte zu den Grundlagen des Bekenntnisbegriffs. Das Symbol dieser Geschichte ist das biblische Symbol des Feigenbaums.
    Zur Logik der Verurteilung gehört Walter Benjamins These vom mythischen Charakter des Rechts, und es ist nun wirklich ungeheuerlich, daß es – soweit ich sehe – zu Derridas „Gesetzeskraft“, zu seinen Reflexionen zu Benjamins Kritik der Gewalt, aus dem Bereich der Frankfurter Schule keine Erwiderung gibt.
    Das Problem, die Geschichte der RAF zu verstehen, gehört in den Umkreis der Reflexion der Logik der Verurteilung (und der Bekenntnislogik). Die RAF ist in extremer und signifikanter Weise (für sich selbst wie für die staatliche Verfolgung) zum Opfer der Logik der Verurteilung geworden. An den RAF-Prozessen wäre nachzuweisen, daß das Problem RAF auf diesem Wege nicht zu lösen ist, es sei den über die Selbstzerstörung der Gesellschaft.
    Die Reflexion der Bekenntnislogik schließt die Revision der Geschichte der Aufklärung, die mit der Dialektik der Aufklärung begonnen wurde, mit ein.
    Die Bekenntnislogik und das Dogma sind Stabilisatoren der Rechtfertigungszwänge, die durch Reflexion aufzulösen wären.
    Der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“ widerlegt die Bekenntnislogik, entzieht ihr die Grundlage.
    Die Logik der Verurteilung ist ein Sinnesimplikat der Geschichte des Begriffs. Deshalb ist die Weltgeschichte das Weltgericht. Und deshalb konnte Hegel diesen Schiller’schen Satz als Schlußstein seines Systems verwenden. – Aber dagegen steeht der Satz aus dem Jakobus-Brief: Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht.
    Aufgabe einer Theologie heute wäre es, das Dogma zurückzuübersetzen in eine Theologie der Erfahrung, in eine Logik-Kritik, die eins wäre mit dem Konzept, die Theologie hinter dem Rücken Gottes zurückzuübersetzen in eine Theologie im Angesicht Gottes. Das wäre zunächst ein sprachlogisches Problem, in dem ein reales Problem sich verbirgt: das der Apokalypse. Hierzu hat Franz Rosenzweig die ersten Stichworte geliefert: der Name ist nicht Schall und Rauch, und das Problem des Gottesnamens ist gründet in dem logischen Problem des Namens überhaupt. Das logische Problem der Verurteilung ist in der Logik des Begriffs selber präsent in der Frage der Konstituierung des Objekts, in der die Identität des Begriffs gründet. Oder anders: Das Problem des Gottesnamens, das Ton Veerkamp zu Recht ins Zentrum seiner „Autonomie und Egalität“ gerückt hat, ist das Problem der Selbstreflexion des Nominalismus, das in der Philosophie als das Problem der Rettung Kants durch seine Hegel’sche Widerlegung hindurch sich beschreiben läßt. Die Logik selber verändert sich, sie wird mit der Reflexion der Logik der Verurteilung, ihres blinden Flecks (des blinden Flecks, in den allein die Prophetie Licht zu bringen vermag), selber zum Medium der Reflexion. Ein sprachlogisches Hilfskonstrukt der Logik der Verurteilung, das zur Ursprungsgeschichte der Philosophie (und zur Konstituierung des Naturbegriffs) gehört, war der Name der Barbaren. Durch ihn ist der Objektbegriff als Repräsentant des Verurteilten, in dem der Begriff des Begriffs gründet, vermittelt.
    Die Reflexion der Verurteilung ist ohne die Reflexion des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs, in dem der Objektbegriff im Kontext seiner Konstituentien sich entfaltet, nicht mehr möglich. Deshalb ist das Kant-Studium immer noch unerläßlich.
    Die Fundamentalontologie ist der Statthalter des Fundamentalismus in der Philosophie. Merkwürdig, daß dieser Fundamentalismus, der einmal als weit folgenreicher sich erwiesen hat, weniger Widerstand hervorruft als der religiöse.
    Hat nicht der Satz „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ etwas mit dem Traum des Nebukadnezar zu tun? Ist nicht die Klugheit der Schlangen der Traum des Nebukadnezar? Oder anders: Ist nicht die Hegel’sche Philosophie einer der Verkörperungen sowohl der Klugheit der Schlangen als auch des Traums des Nebukadnezar, und war nicht Hegel ein halbierter Daniel, dem nur die Arglosigkeit der Tauben fehlte, um als ganzer Daniel den Traum seiner Philosophie auch deuten zu können?
    Die Instrumente der Subjektivierung (der Sinnesqualitäten, der Kritik und der Schuld) wird innerhalb der Gersamtzusammenhangs der transzendentalen Logiken repräsentiert durch die Form des Raumes, durch das Geld und durch die Bekenntnislogik, die das Subjekt in die Rechtfertigungszwänge und deren projektive Verarbeitung hineintreiben.
    Die Feindbildlogik transformiert die transzendentale Logik in die Urteilsmoral, sie verwandelt die Moral in eine Herrschaftsinstrument (in die Universalität einer Moral für andere).
    Das verteidigende Denken ist nicht nur auf Gesellschaftliches bezogen: Emitte spiritum tuum, et renovabis faciem terrae. Die Logik der Naturwissenschaften ist als reine Objektlogik die Logik der Verurteilung, einer Verurteilung, die heute dahin tendiert, das verteidigende Denken schon vom Grund her auszuschließen.
    Die Logik der Verurteilung ist die Logik des Vorteils, sie lebt von der Gewalt des Feindbildes.
    Der Staat reproduziert sich durch die Sanktionierung und Ausbeutung des Rachetriebs in der Institution des Rechts, während die Kirche sich über die Sanktionierung und Ausbeutung Unschuldtriebs reproduziert.
    Gab es in Israel Knäste (und waren die Schuldknechtschafts-Regelungen wie Sabbatjahr und Jubeljahr Institute zur Knastvermeidung)? Haben die Brunnen, in die Joseph und Jeremias geworfen wurden, etwas mit den Knästen zu tun?
    Die Landesgrenze ist wie jede Abstraktionsgrenze eine Verurteilungs- und Schuldgrenze.

  • 2.12.1996

    Die Erinnerung an die Schrecken des Holocaust ist nicht nur nicht mehr zu löschen, sie ist auch durch historische Vergegenständlichung nicht mehr zu neutralisieren. Deshalb rückt uns Auschwitz, je weiter wir uns in der Zeit von ihm entfernen, immer näher.
    Kann es sein, daß der Satz, der unter Katholiken im Krieg oft zu hören war: „Nach den Juden ist die Kirche dran“, sich heute auf eine damals nicht vorauszusehende Weise erfüllt, nämlich durch Kräfte, die in der Kirche selbst heranwachsen?
    Zeit theologische Fragen (sic, B.H.): Wie unterscheidet sich das Kaninchen, das durch den Blick der Schlange gebannt ist, vom Lamm, das keinen Widerstand leistet, wenn der Wolf es zerreißt? Und wie unterscheidet sich die Arglosigkeit der Taube vom Bann, unter dem das Kaninchen steht?
    Gegen die Metzgertheologie: Im reinen Opfer, in dem das Lamm widerstanslos zur Schlachtbank sich führen läßt, wird die Schlachtbank als Schlachtbank kenntlich. Unrein ist die Gewalt.
    Der Begriff der „Selbstbezichtigung“ ist ein Zerfallsprodukt des Bekenntnisbegriffs, der nicht mehr lange zu halten ist. Er notiert die contradictio in adjecto, die schon im Bekenntnisbegriff steckt. Der Begriff der Selbstbezichtigung unterstellt, daß der, der sich „selbst bezichtigt“, nicht weiß, was er tut. Genau damit aber macht er die Projektion kenntlich, die schon die Bekenntnislogik verhext.
    Die Rechtschreibreform treibt das Hören und Sehen aus: Sie dogmatisiert die Selbstverblendung, die in der Lehrerfrage sich ausdrückt: Was will der Autor damit sagen?, die unterstellt, daß man mit der Sprache nicht sehen kann – eine Folge der Trennung der Anschauung von der Sprache, der Ablösung und Hypostasierung der „subjektiven Formen der Anschauung“.

  • 30.11.1996

    Wenn Habermas Adornos Satz „Das Ganze ist das Unwahre“ widerlegen will, rückt er dann nicht die Welt in eine Perspektive, in der es Reflexion nicht mehr gibt? „Ganz“ ist nur die abgeschlossene Vergangenheit, die dann auch die Zukunft unter sich begräbt. Der Hegelsche Satz ist ebensowenig wie der Widerspruch Adornos ein metaphysischer Satz, sondern beide sind Erkenntnis leitende und vorprogrammierende Sätze. Wobei allein Adornos Satz die Intention mit einschließt, Erfahrungsfähigkeit und Sensibilität lebendig zu erhalten, der objektivierenden Gewalt nicht das letzte Wort zu geben.
    Welche Rolle hat eigentlich Hans Magnus Enzensberger in der Kolportation und Diskussion des Adorno-Satzes, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben, sei barbarisch, gespielt? Wie hat Enzensberger diesen Satz, dessen Quelle später keiner mehr zu kennen schien, zitiert? Kommt von ihm die Version, die seitdem in der Öffentlichkeit herumspukt (vgl. die Beispiele in „Auschwitz als Herausforderung“ oder in Ruth Klügers „weiter leben“): Es war kein Urteil übers Gedichteschreiben (so könnte es von Enzensberger, von dem auch der Titel „verteidigung der wölfe“ stammt, erfahren worden sein?), sondern Teil einer Reflexion Adornos über Auschwitz, für die die kantische Unterscheidung von reflektierendem und bestimmendem Urteil gilt.
    Ist Hegel ein halbierter Daniel: Ist seine Philosophie die Entfaltung des Traums Nebukadnezars, zu der nur die Deutung noch fehlt?
    Zu den Wirkungen der Medien gehört es, daß heute allen das Hören und Sehen vergeht: Sie leisten die Verdrängungsarbeit, die keiner mehr allein zu leisten vermöchte.
    Wenn ein Gericht sich zum Hilfsorgan der Anklage macht, erfüllt das nicht auch den Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung?
    In welcher Beziehung steht die Astrologie (die Hilfsdisziplin des babylonischen Staatsbegriffs) zur Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit (des Weltbegriffs)? Ist der Begriff der Öffentlichkeit ein anderer Name für die „Wege des Irrtums“, als welche die Planetenbahnen im Kontext der Astrologie sich enthüllen? Hat die Astrologie etwas mit der Tätigkeit des Himmel-Aufspannens (dem Werk des zweiten Tages) zu tun? Wird der (Sonnen-)Tag der Öffentlichkeit „aufgespannt“ durch die Institutionen, die in der Astrologie (in den heidnischen Sternenreligionen) durch die Planeten verkörpert werden. Und ist diese Öffentlichkeit nicht in allen Stücken das Gegenteil des Herzens, in das nur Gott schaut (Israel, der Tempel, die Prophetie): der Inbegriff des verhärteten Herzen? Was bedeutet der Name des „Himmelreichs“ (der basileia tou ouranou) bei Matthäus?
    Hat der Jubel im Himmel über den Untergang Babylons (Off 1820) etwas mit der Freude im Himmel über die Bekehrung des einen Sünders (Lk 157) und mit dem letzten Satz des Jakobusbriefs zu tun: Wer einen Sünder von seinen Wegen des Irrtums bekehrt, der wird seine Seele vom Tode retten und eine Menge Sünden zudecken (Jak 520)? Ist Babylon (der Ursprungsort der Astrologie, der mit der Errichtung des Pantheons nach Rom übertragen wurde) die Verkörperung des einen Sünders und der Inbegriff der Wege des Irrtums?

  • 22.11.1996

    Wer immer nur ein gutes Gewissen hat, klinkt sich aus der Solidarität aus.
    Der schärfste Einwand gegen den Unschuldtrieb, gegen den Zwang des guten Gewissens, liegt darin, daß die Freiheit von Schuldgefühlen das Gericht definiert (frei von Schuldgefühlen ist der Ankläger, der Satan).
    Die apokalyptischen Tiere: sind das nicht Verkörperungen des Verfolgers?
    Der Punkt ist die vollständig zusammengeschrumpfte Kugel, die kein Inneres mehr hat, die nur nach nach außen blickt, für die das Innere der anderen ebenso wenig existiert wie das eigene Innere, und die dieses Innere nicht nur nicht erkennt, sondern als inexistent setzt. Die Kugel ist Ausdruck der Gewalt der Rückseite über das Angesicht, der Linken über die Rechte und der unteren über die obere Welt. Der Punkt ist die Basis der Zahlen.
    Haben nicht die Babylonier die Arithmetik und die Ägypter die Geometrie entdeckt? Die Griechen haben Arithmetik und Geometrie mit einander verbunden (nicht versöhnt), und zwar durch die Entdeckung des Winkels.
    Die Entdeckung des Punktes ist eine Folge der Entdeckung des Inertialsystems: Der reine Punkt ist der Schwerpunkt. Die „Definition“ des Punktes ist durch das Bild des „ruhenden Inertialsystems“ vermittelt; der Versuch, dieses „ruhende Inertialsystem“ zu bestimmen, führt in die Paradoxien, deren Ausdruck die beiden Relativitätstheorien Einsteins sind, er führt zu den hochsymbolischen Bildern des fahrenden Zugs und des frei fallenden Fahrstuhls.
    Im Bild des Punktes vollendet sich die Abstraktion, deren Wurzel die Winkelgeometrie ist (der Punkt ist der Eckpunkt eines Winkels, auch im Inertialsystem).
    Daß der Punkt ohne dieses Referenzsystem (das „ruhende Inertialsystem“) nicht sich definieren läßt, drückt im Korpuskel-Welle-Dualismus der Mikrophysik sich aus, einer Konsequenz aus dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die das Inertialsystem selber dynamisiert. Hier werden beide, der Punkt und das ihn definierende Referenzsystem, in eine gemeinsame, wechselseitig sich reflektierende Bewegung hineingezogen. Hier erscheint das Referenzsystem in dreifacher Gestalt: als doppeltes Referenzsystem: nämlich sowohl der Korpuskel- als auch der Wellenbewegung, und in dieser Wellenbewegung zugleich als Objekt, als Erscheinung im System. Diese selbstreferentielle Konstruktion, deren systemische Wurzel das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bezeichnet, ist der Inhalt der mikrophysikalischen Strukturen, die in dieser Vermittlung überhaupt erst sich konstituieren.
    In den Dingen ist die Beziehung von Verfolgern und Verfolgtem auf die abstrakteste Form zusammengeschnurrt: auf ihre Beziehung zur Zeit. Die Zukunft des einen ist die Vergangenheit des andern. Die Begriffe Natur und Welt sind logische Zwillinge, die wie Zukunft und Vergangenheit als getrennte auf einander sich beziehen. Die Ontologie ist die Hypostasierung dieses Akts der Trennung (sh. Rosenzweigs „verandernde Kraft des ‚ist’“).
    Ist nicht die Pharao (in der Geschichte der zehn ägyptischen Plagen und der Verhärtung seines Herzens) der verfolgte Verfolger, und drückt das nicht in den Pyramiden aufs genaueste sich aus?
    Wie hängt der Satz „Allein den Betern kann es noch gelingen …“ zusammen mit dem andern „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“?
    War das nicht einer der fatalen Effekte des Historikerstreits, daß mit dem Bestehen auf der „Einmaligkeit“ von Auschwitz es danach eigentlich nichts Einmaliges mehr geben kann? Und ist das nicht gerade die Voraussetzung der Metastasen von Auschwitz? Manifestation des Einmaligen ist der Name, und indem dieses Einmalige in die Vergangenheit versetzt wird, wird auch der Name ins Perfektum, in die vollendete Vergangenheit versetzt: Kein Ruf, der ihn noch erreicht. So hängt Auschwitz mit der Theologie zusammen.
    Der Begriff instrumentalisiert den Tod, dem er das Objekt, auf das er sich bezieht, überantwortet. Dagegen steht der Name und die Idee der Auferstehung, ohne die es den Namen nicht geben würde. Wenn einer kabbalistischen Tradition zufolge die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, so drückt genau darin (in der Beziehung der Dinge zum Raum) die Beziehung der Dinge zum Namen sich aus.
    Von der Idee der Auferstehung kennen wir nur das sprachlogische Symbol, das am Namen haftet (und vom Begriff geleugnet wird).
    Ist nicht Jer 3134, wonach am Ende keiner mehr den andern belehren wird, weil alle Gott erkennen, ein Hinweis darauf, daß die direkte Belehrung (das „Überzeugen“) in der Tat unfruchtbar ist? Es bleibt allein noch die reine Erkenntnis Gottes und die Hoffnung, daß sie die Kraft hat, sich mitzuteilen, die Erkenntnis des Namens, in dem die Kraft der Erweckung der Toten beschlossen ist.
    Wäre nicht die Kritik der Ästhetik eine zentrale Aufgabe der Philosophie, die an der Kritik der reinen Vernunft anzusetzen hätte (was hat die „transzendentale Ästhetik“, was haben die subjektiven Formen der Anschauung mit der Kunst zu tun)? Die Ästhetik ist das Feuer im brennenden Dornbusch: Es brennt, aber es verbrennt den Dornbusch nicht. Und dieses Feuer ist nicht Gott, sondern Gott spricht aus diesem Feuer.
    Zu den Grenzen gehören: die Grenzen der Nation (die die „Völker“ und das Ausland ausschließen); das Schaufenster (und die Reklame), das den Käufer von der Ware trennt; die subjektiven Formen der Anschauung, die das Anschauen vom Angeschauten trennen, die Sprachgemeinschaft mit dem Angeschauten neutralisieren. Die Wurzeln dieser Grenzen sind die Grenze zum Himmel und die Grenze zur Vergangenheit, zum Hades.
    Zu Kanther fällt mir nur noch ein: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.
    Selbstreferentielle Asymmetrie: Wenn wir heute, in unserer politischen Selbstverständnis, das Handeln des „Auslandes“ zur Norm unseres eigenen Handelns machen, dabei merkwürdigerweise das „Urteil des Auslandes“ (als „Heuchelei“: sie treiben es ja auch nicht anders) ausblenden, weil wir es als Angriff erfahren, holen wir dann nicht über die Metastasen von Auschwitz Auschwitz wieder in unser Handeln zurück? Das Feindbild Ausland bleibt uns so auf jeden Fall erhalten.
    Feindbilder haben seit je auch die Funktion, das, was als Handeln des Feindes erfahren wird, zur Rechtfertigung des eigenen Handelns zu mißbrauchen und damit zur Norm des eigenen Handelns zu machen: die gleiche logische Konstruktion liegt dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß zugrunde, sie begründet die Logik der „Naturgesetze“ wie auch die Gesetze des Rechts. Diese Logik wird durchbrochen durchs Gebot der Feindesliebe, das sie aus der Starrheit erlöst und reflexionsfähig macht.
    Die Feindbildlogik ist in sich selber atheistisch, und die einzige Gestalt der Theologie, die heute noch möglich ist, wäre die, die dieses Feindbildlogik sprengt (und die Religion aus dem Bann des Fundamentalismus befreit ohne sie zu verraten). In die Feindbildlogik (und seine religiöse Variante, den Fundamentalismus) gerät zwangsläufig hinein, wer zum Herrendenken keine Alternative mehr kennt.
    Wer Horkheimers Begriff der instrumentellen Vernunft als Angriff erfährt, ist ihr bereits verfallen.
    Wie verhält sich der Satz Reinhold Schneiders „Allein den Betern kann es noch gelingen … und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“ zu den Reflexionen René Girards über das Heilige und die Gewalt? Ist nicht der Säkularisationsprozeß (der Prozeß der „Verweltlichung der Welt“) Teil einer Geschichte, die diese Forderung eines „geheiligten Lebens“ nachgerade erzwingt? Wie verändert sich der Begriff des Heiligen im Säkularisationsprozeß? Der Säkularisationsprozeß, die Geschichte der Aufklärung, ist ein Prozeß, der, indem er die Idee des Heiligen aus der Objektivität vertreibt, sie ins Subjekt zurücknimmt. Jeder Versuch, das Heilige in der Welt zu erhalten, ist fundamentalistisch, und damit ein Produzent von Gewalt. In diesem Kontext löst sich das Problem der Derridaschen Anfrage an Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ und den Begriff der göttlichen Gewalt, die in keinem Punkt mit irgend einer Form der staatlichen Gewalt sich berührt, es sei denn als Element ihrer Auflösung.
    Johann Baptist Metz‘ Konzept der Verweltlichung der Welt, führt in die Irre, wenn sie nicht die Kritik der Gewalt in sich aufnimmt. Die Kritik der Gewalt ist nicht zu verwechseln mit der Forderung nach Gewaltfreiheit: Während die Forderung nach Gewaltfreiheit sich unter das Gewaltmonopol des Staates stellt, zielt die Kritik der Gewalt auf die Auflösung des Gewaltmonopols des Staates: auf die Manifestation der göttlichen Gewalt. Die göttliche Gewalt leitet sich her aus dem Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“, sie manifestiert sich im „Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht“, im Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht. Dieser Akt ist der einzige Inhalt der Apokalypse.
    Wer glaubt, das Gewaltmonopol des Staates sei verfügbar im Interesse der Verwirklichung der richtigen Gesellschaft, verkennt u.a. auch den Marxschen Hinweis, daß in der richtigen Gesellschaft der Staat sein Ende findet, sich auflöst. Deshalb sind Staatsschutzsenate und ist der Titel Staatsanwalt schon vom Grunde her reaktionär.
    Wenn es dem Staatsschutz wirklich um die Bekämpfung des Terrorismus ginge, müßte er sein Ziel, nachdem die RAF dem Terrorismus abgesagt hat, im wesentlichen erreicht haben. Was er aber jetzt tut, beweist, daß es ihm garnicht um das Ende des Terrorismus, sondern um Rache geht. Verfolgt wird nicht der Terrorismus, sondern verfolgt wird die Reflexion, die schon der Terrorismus selber verraten hatte. Deshalb war dieser Staatsschutzsenat nicht einmal fähig, die Erklärungen Birgit Hogefelds auch nur sich anzuhören; das Urteil lautet so, als hätte es diese Erlärungen überhaupt nicht gegeben.
    Hegels Reflexion über das Problem des Anfangs in der Philosophie läßt an ersten Sätzen in der Philosophie sich demonstrieren, angefangen mit dem ersten Satz der Philosophie überhaupt (Thales: Alles ist Wasser) über den ersten Satz der Dissertation Thomas von Aquins: Parvus error in principio magnum est in fine, bis hin zum Anfang von Schellings Weltalter: … die Zukunft wird geahndet. Auch die ersten Sätze im Stern der Erlösung und in Wittgensteins Logisch-philosophischem Traktat gehören hierher. Außerdem: Seit wann (und aus welchem Grunde) werden zu philosophischen (und wissenschaftlichen) Werken Einleitungen geschrieben (und im Falle der Phänomenologie des Geistes zur Einleitung noch eine Vorrede)? Ist die Furcht, die Werke könnten mißverstanden werden, und damit der Versuch, diese möglichen Mißverständnisse schon im vorhinein durch eine Vorrede oder Einleitung zu zerstreuen, so unbegründet (haben nicht Rosenzweig und Wittgenstein auf eine Einleitung verzichtet)?
    Sind nicht eigentlich alle naturwissenschaftlichen Bücher Einleitungen zu Texten, die keine mehr sind: zu den Formeln, die die Texte dann nur unzulänglich zu erläutern vermögen? Wer vermöchte wirklich Das Gravitationsgesetz, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit oder die These von der Identität von träger und schwerer Masse in Sprache zu übersetzen?
    Die drei zivilisationskritischen Großprojekte der Aufklärung, Marx, Freud und Einstein, beschreiben sie nicht die Brennpunkte des Aufklärungsprozesses aus der Opferperspektive, Marx aus der des Proletariats, Freud aus der des Unbewußten, und Einstein aus der des materiellen Objekts? Und gehören hierzu nicht die Objekte der Kritik: das Tauschprinzip, das Realitäts- und Lustprinzip und das Trägheitsprinzip?
    Der Unschuldstrieb (das „reine Gewissen“) wird durch die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins symbolisiert und widerlegt.
    Kommt bei René Girard die Geschichte des Stephanus (und des Saulus) vor, und was bedeutet sie für sein Sündenbockkonzept? Ist nicht die Bekehrung des Paulus (die eine Bekehrung und keine Umkehr war) die eines Verfolgers, dessen Opfer „den Himmel offen“ sah?

  • 21.11.1996

    René Girard, Ausstoßung und Verfolgung: Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung die letzten Repräsentanten des kollektiven Mords? Klingt nicht in der Urteilsformel „Im Namen des Volkes“ dieser kollektive Mord, der den Staat begründet, nach?
    Das Sündenbock-Paradigma schlüsselt den Mythos, und in seinem Kern den Schicksalsbegriff, von innen auf.
    Alle Mythen sind Ursprungsmythen, und deren Reflexion ist ein Teil der notwendigen Erinnerungsarbeit.
    Das Sündenbock-Paradigma ist ein Teil der Feindbild-Logik, die erstmals im Namen der Barbaren sich stabilisierte. Der Name der Barbaren ist zugleich die erste Manifestation der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“, des Prinzips der Veräußerlichung der (subjektiven wie nationalen) Außenwelt.
    Wie paßt in dieses Sündenbock-Syndrom die Exodus-Geschichte hinein, mit der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos?
    Ist nicht die Daniel-Geschichte eine Fortführung und Erweiterung der Joseph- und Exodus-Geschichte (in der der Feuerofen dem Eisenschmelzofen Ägypten entspricht)? Ist Daniel der Joseph redivivus unter den veränderten Bedingungen Babylons?
    Unterscheidet sich nicht der Pharao von den Königen Babylons durch seine Anonymität? Er ist der Pharao, der König Ägyptens, während die Könige Babylons Nebukadnezar bzw. Belsazar (und die Könige Persiens Darius, Artaxerxes und Kyros) heißen.
    Der Staat ist die Institutionalisierung des kollektiven Mords, in dem er (wie das Nachkriegs-Deutschland in Auschwitz) seinen Gründungsakt erkennt und zu „vertuschen“ sucht. Die Vertuschungsarbeit ist der Mythos, in dem die Erinnerung jedoch durchscheint.
    An der Stelle, an der Rene Girard Plato zitiert, zitiert er den „Staat“, und zwar nicht nur das platonischen Werk, das unter diesem Titel überliefert ist, sondern auch die Institution.
    Der Staat ist die objektive Realität des Begriffs (das objektive Korrelat der subjektiven Formen der Anschauung). Insofern hat die gegenwärtige Phase der Geschichte der politischen Ökonomie ihre fundamentale Bedeutung für die Selbstverständigung der Philosophie.
    Der real existierende Sozialismus und – als es mit ihm zu Ende ging – die 68er Marxismus-Rezeption in der BRD haben, als sie sich der Selbstreflexion entzogen, deren Medien der eigenen Feindbildlogik angepaßt und zu den Waffen umgeschmiedet, an denen sie dann zugrunde gegangen sind.
    Die Begriffe, mit denen wir glauben, die Welt zu verstehen, und die Logiken, die wir mit diesen Begriffen rezipieren und verinnerlichen, sind in Wahrheit die Fäden, die uns zu Marionetten der Welt machen. Es gibt keine Selbstreflexion mehr ohne die Reflexion der Strukturen, die die Welt beherrschen, und wir verstehen die Welt nicht, wenn wir uns selbst nicht verstehen. Die Selbstreflexion ist ein zentrales Element der Kritik der politischen Ökonomie. Und wenn diese Selbstreflexion dahin führt, daß es sich als notwendig erweisen sollte, die erste der geschichtsphilosophischen Thesen Walter Benjamins zu korrigieren, indem man sie umkehrt, so wird man’s auch tun müssen: nämlich in dem Sinne, daß nicht die (als Zwerg unterm Tisch versteckte) Theologie dem historischen Materialismus dient, sondern daß der Zwerg unterm Tisch mit Hilfe des historischen Materialismus aus seiner Zwangslage sich befreit.
    Oder anders: Die kantische Vernunftkritik ist als Wissenschaftskritik zugleich Gesellschaftskritik, aber man kann die Gesellschaftskritik von der Wissenschaftskritik nicht trennen. Mit der Verwerfung und Preisgabe der Wissenschaftskritik haucht die Gesellschaftskritik ihren Geist aus. Auch das Projekt Moderne darf nicht dogmatisiert, es muß reflexionsfähig gehalten werden.
    Das Sündenbock-Paradigma wird durch die subjektiven Formen der Anschauung und die daraus hervorgegangene transzendentale Logik, in die sie mit eingeht, automatisiert und unkenntlich gemacht. In der transzendentalen Logik scheint jener Vertuschungseffekt, der den Mythos durchherrscht, endgültig geworden zu sein. Die Hinweise Kants, daß dieser transzendentale Apparat noch zu reflektieren wäre, sind schon von seinen Nachfolgern, die ihn nur perfektioniert haben, verdrängt worden. (Hegel, der die Reflexion bis zu den durch den Weltbegriff gesetzten Grenzen vorgetrieben hat, ist im Gelingen seines Projekts gescheitert.)
    Die subjektiven Formen der Anschauung haben den parvus error in principio der Theologie, des Dogmas, der Orthodoxie, der Opfertheologie, das Entsühnungskonzept und die Bekenntnislogik, rein herauspräpariert, er ist damit erstmals analysierbar geworden.
    Worauf es heute ankäme wäre: das Resultat der Kritik der Urteilskraft, das Konzept des reflektierenden Urteils, auf die transzendentallogischen Fundamente des bestimmenden Urteils, auf das Resultat der Kritik der reinen Vernunft, rückwirkend anzuwenden.
    Zielte nicht der Satz: „Seht ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ auf eine Erkenntnisfigur, die in der Beziehung Daniels zu Nebukadnezar vorgebildet ist: zu lernen, den Traum des Andern, den dieser vergessen hat, zu rekonstruieren und zu deuten?
    In Girards Sündenbock-Syndrom gibt es den entscheidenden Akt, in dem sich der Kreis um das Opfer schließt, bevor es ermordet, zerrissen und zur gemeinschaftsbildenden Grundlage der Brüderhorde wird. Ist nicht die Philosophie und die aus ihr hervorgegangene Geschichte der Aufklärung in diesen Kreis und in diese Tat gebannt, und zwar in eben diesem Akt, in dem sie das Bewußtsein der Tat verloren hat?
    Ist nicht das Bild des kollektiven Mords das präzise Bild dessen, was mit Auschwitz in Deutschland passiert ist? Und ist nicht das letzte Rätsel dieser Geschichte die kollektive Verdrängungsgeschichte, eine Verdrängungsgeschichte, an der alle teilhaben, in die alle verstrickt sind, der keiner sich entziehen kann, es sei denn, er versucht, diesen Bann durch Reflexion zu sprengen?
    Paßt nicht zu René Girard der Satz (Produkt eines reflektierenden, nicht eines bestimmenden Urteils), daß die Geschichte der Naturwissenschaften mit der Hexenverfolgung begonnen und mit Auschwitz geendet hat?
    Läßt nicht die Flucht des Jonas nach Tarschisch aus dem Sündenbock-Syndrom sich herleiten, und erinnert nicht die Szene auf dem Schiff, als die Schiffsleute ihn ins Meer werfen, an den kollektiven Mord?

  • 18.11.1996

    Der deutsche Begriff der Schöpfung leitet sich her aus dem Verb schaffen (schuf, geschaffen), wobei allerdings die Substantivierung auf das schwach konjugierte Verb schöpfen (schöpfte, geschöpft) zurückgreift. Vor diesem Hintergrund müßte das erschaffen eigentlich einem ausschöpfen entsprechen. Stehen die Begriffe Schöpfung und Geschöpf (zu dem es auch die Schöpfkelle gibt) in Zusammenhang mit einer sprachlogischen Entwicklung, die der Geschichte des Dingbegriffs analog ist und mit ihr auf einen gemeinsamen Ursprung zurückweist, eine Entwicklung, die eindeutig ökonomisch determiniert ist: Hier bezieht sich das Schaffen auf die materielle Produktion (schaffe, schaffe, Häusle baue), die Schöpfung auf deren ökonomische Grundlage: das Geld, den Kredit (die Geldschöpfung, deren Begriff der Vorstellung einer creatio mundi ex nihilo zugrundeliegt; ist dieses nihil nicht das durch den Staat gerantierte und organisierte Eigentum?). Das Schöpfen zieht die Vorstellung eines Gefäßes nach sich, aus dem ich etwas schöpfe (während die creatio auf eine Materie zurückweist, aus der etwas gemacht ist). Ist dieses Gefäß (an das der prophetische Gebrauch der Begriffe Topf, Kelch, Becher erinnert) nicht durch die kantische Vernunftkritik bestimmbar geworden: in den „subjektiven Formen der Anschauung“, sind die Formen der Anschauung vielleicht der Taumelkelch, der Becher des göttlichen Zorns, aus dem die Herrschenden trinken, und von dem alle, die aus ihm trinken, trunken werden? War nicht der Rußlandfeldzug der Nazis, in dem sie die Kirchen als Verbündete gewonnen haben, und in dessen Schatten die „Endlösung der Judenfrage“ in Angriff genommen werden konnte, ein Weltanschauungskrieg und deshalb ein „totaler Krieg“ und ein Vernichtungskrieg?
    Bezieht sich nicht das Präfix er- in erschaffen, erscheinen, auf das ex nihilo im theologischen Schöpfungsbegriff? Nur ist hier das nihil ästhetisch vordefiniert.
    Die deutsche Sprache enthält das Potential zu einer Erkenntnis des Weltzustandes, die nur über die Sprachreflexion zu gewinnen ist.
    Der Kern des Neutrum ist nicht das Was, sondern das Wie.
    Die Skinheads verwechseln radikal mit ratzekahl.
    Gibt es Literatur zur Geschichte der ägyptischen Plagen und der Verhärtung des Herzens Pharaos?
    Ist nicht Auschwitz der Versuch einer Umsetzung eines naturwissenschaftlichen Welt-Konzepts in ein gesellschaftliches?
    Der ungeheuerliche Gedanke Hegels, daß Tiere zu anderen Arten wie zu anorganischen Materien sich verhalten, stimmt nur halb; richtiger ist, daß das Verhältnis der Arten zueinander unter dem Gesetz der Feindbildlogik steht, unter dem Gesetz des Gerichts. Der Begriff der Art ist für Hegel der Grund und der Beweis dafür, daß die Natur den Begriff nicht halten kann. Daß aber umgekehrt der Begriff zuerst als Art (als Subjekt-Objekt der Feindbildlogik, als Totem) sich konstituiert, daß er selber mit dem Mal behaftet ist, das Hegel der Natur ankreidet: das wäre der Punkt, aus dem die Kritik der Hegelschen Philosophie herzuleiten wäre.
    Im noachidischen Bund hat Gott den „Bogen in den Wolken“ vom Objekt der Anschauung zu einem Gegenstand der Erinnerung gemacht. Er soll an die Verheißung erinnern, daß es eine zweite Sintflut nicht geben wird, und an den in dieser Verheißung begründeten noachidischen Bund.
    Christkönig: der einzige König mit einer Dornenkrone.
    Ist nicht der Satz „Die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ auch ein Hinweis auf die Kraft der Sprache, auch den Bann der Naturwissenschaften über die Dinge zu brechen?
    Löst sich nicht das Problem, weshalb das Opfer Abels angenommen worden ist, das Opfer Kains hingegen nicht, durch die (anachronistischen) Hinweis auf die beiden Nahrungsgebote? Und hier löst sich auch das Problem, weshalb der Name des Gerichts beides bezeichnet, das Essen und die richtende Instanz.
    War nicht in der Geschichte des Opfers die der Barmherzigkeit verborgen? Nur unter diesem Aspekt ist das Kreuzesopfer ein Opfer. Der andere, der herrschaftsstabilisierende Aspekt des Opfers, ist blasphemisch. Auch hier gilt das Gesetz der Asymmetrie: Opfer werden gebracht, aber sie dürfen niemals gefordert werden. So, nur so wird das Opfer durchsichtig als ein Symbol der Logik der Schuld. Er, der die Sünde der Welt auf sich genommen hat, hat sich selbst als Opfer dargebracht, aber hätten wir es jemals annehmen dürfen? Mir sind heute Reinhold Schneider und Camilo Torres näher als der Priester am Altar.
    Hat nicht das lateinische Christentum seit je die Erlösung mit Ataraxia verwechselt (mit Marc Aurel als Kirchenvater)?
    Zum Begriff der Kälte, oder zur Idee einer moralischen Geographie: Gehört zu Reinhod Schneiders Winter in Wien nicht der Nordpol Rom? Zum Weltbegriff der Apokalypse gehört eine Geographie, deren Grundlagen der Moral zu entnehmen sind (ein Weltbegriff, deren prima philosophia nicht die Ontologie, sondern die Ethik ist).
    Der einzige Erkenntnisweg von dieser Welt zur zukünftigen Welt führt durch eine Gestalt der Erinnerung, die an der Idee der Auferstehung sich orientiert, hindurch.
    Rosenzweig hatte recht: In der Welt, in der er lebte, war das Christentum für ihn keine Alternative, war das Feuer der Theologie allein noch in der jüdischen Tradition lebendig. Genau aus diesem Grunde hat das Judentum den Vernichtungswillen der vom Christentum geprägten Welt auf sich gezogen. Deshalb richtet sich die Idee der Auferstehung (als regulative, nicht als konstitutive Idee) in erster Linie auf Auschwitz: als ein Mittel, das Unbegreifliche zu begreifen.

  • 16.11.1996

    „Es war, als sei man einfach dadurch, daß man am Leben war, in ein fremdes Grundstück eingebrochen, und der das Wort an dich richtet, läßt dich wissen, daß dein Dasein unerwünscht ist“ (Ruth Klüger, weiter leben, S. 113): Deutlicher kann man den Zusammenhang des Antisemitismus (der Feindbildlogik) mit dem Eigentumsprinzip, das den Staat begründet, nicht zusammenfassen.
    Zur Bemerkung über Adornos Satz, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, der hier wieder einmal nur in der Gestalt zitiert wird, in der ihn das öffentliche Gerücht kolportiert (Klüger, S. 127), wäre einfach auf die Fundstelle in den Prismen (1955. S. 31), die keiner zu kennen scheint, zu verweisen.
    Heute in der FR ein Hinweis auf Rene Girard („Religion und Gewalt“): In den Erklärungsansatz wäre das Problem des Objektivierungsprozesses, der Zusammenhang von Ökonomie und Naturwissenschaften und ihres gemeinsamen Apriori, in denen die Sündenbockmechanik und die mythische Opferlogik (Feindbildlogik, Sündenbockmechanismus und Bekenntnislogik) sich reflektieren, mit aufzunehmen.
    Der Grund der Unterscheidung von Welt und Natur liegt in der Unterscheidung der subjektiven Formen der äußeren und der inneren Anschauung (in der Unterscheidung von Raum und Zeit). Der Begriff der Natur (der auf das „dynamische Ganze der Erscheinungen sich bezieht) steht unter dem Gesetz der inneren, der der Welt (der auf das „mathematische Ganze der Erscheinungen“ sich bezieht) unter dem der äußeren Anschauung. Der Naturbegriff gründet in der Vergegenständlichung der Zeit, der Weltbegriff in der des Raumes.
    Natur und Ökonomie sind beides Produkte des Seitenblicks auf die Zeit: die Ökonomie unter dem Aspekt der Produktion (des ante rem: der Vergegenständlichung der Zeit), die Natur unter dem des Konsums (des post rem: der bereits vergegenständlichten Zeit): Nach der biblischen Geschichte vom Sündenfall produziert Adam den Staub, den die Schlange frißt. Das Subjekt der Ökonomie setzt sich gleichsam an den imaginären (unendlichen) Anfang der Zeit, das der Natur an ihr imaginäres (unendliches) Ende: so sind die säkularisierten Formen der Schöpfung und des Gerichts auf einander verwiesen. Hiermit hängt es zusammen, wenn der Weltbegriff die Schöpfung leugnet und der Naturbegriff die Auferstehung.
    Die RAF-Prozesse sind Teil einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, in deren Folge Auschwitz uns immer näher auf den Leib rückt. Es gibt eine Form der Aufarbeitung der Vergangenheit, die ohne es zu wissen in Wiederholungszwänge umschlägt. Der Transmissionsriemen dieses Umschlags ist die Urteilsmagie, die Vorstellung, man könne den Schrecken durchs Urteil bannen.
    Auf einem Sportplatz spielen zwei Mannschaften von 10-Jährigen Fußball; am Rande die Trainer der beiden Mannschaften, die ihre Kommandos ins Feld brüllen, die die Kinder dann begeistert befolgen: So werden Pawlowsche Reflexe eingeübt, die nicht nur die Grundlage sportlicher Erfolge sind, sondern zugleich die Erfolgsreligion (die winner-Mentalität und die Logik, die ihr zugrundeliegt: die Feindbildlogik) eintrainieren. So wird der Sport zu einem Nebenzweig einer von der BWL dominierten Ökonomie, zu einer die Herrschaft des Selbsterhaltungsprinzips stabilisierenden Ideologie. Vor dieser Folie ist der Graf-Prozeß ein nationales Ereignis.
    Ließe sich nicht anhand der Steuerprozesse zunächst gegen Graf Lambsdorf und jetzt gegen Graf der „Fortschritt“ der politischen Ökonomie aufs genaueste bestimmen? Im Zuge der Privatisierung staatlicher Aufgaben und der gleichzeitigen Transformation von Politik in Verwaltung lassen private und öffentliche Interessen sich schon fast nicht mehr unterscheiden.
    Boris Becker und Steffi Graf: So wurden die Funktionen, die früher einmal Filmstars hatten, vom Film in den Sport, vom Himmel auf die Erde, transformiert. Rührt das nicht an den Kern der Logik, aus der der Antisemitismus sich herleitet?
    Haben nicht das Tier aus dem Meer und das Tier vom Lande schon etwas mit der Unterscheidung von Himmel und Erde zu tun, und ist nicht der falsche Prophet und der Antichrist die Verkörperung einer Phase des Säkularisationsprozesses, die das Feuer des Himmels zum Objekt von Naturbeherrschung zu machen strebt (Off 1313: „Und es tut große Zeichen, sodaß es sogar Feuer vom Himmel fallen läßt, vor den Menschen“)?
    Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet: Wenn am Ende die Menschen (die „Väter“) der Verblendung verfallen, selber Schöpfer der Dinge geworden zu sein, werden die Dinge sie verbrennen.
    Ist nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos die früheste Gestalt der Hegelschen Geschichtsphilosophie (mit dem Untergang der Streitmacht Pharaos im Schilfmeer als Weltgericht)?
    Die Gestalt der Selbstreflexion, die heute notwendig wäre, läßt sich nur mit dem Wort in Joh 129 noch bestimmen: Das Sehet, mit dem dieses Wort beginnt, richtet sich nicht an den Zuschauer, sondern an den Nachfolger, es steht nicht im Indikativ, sondern im Imperativ.
    Die Urteilsmoral ist die Moral des Zuschauers (und des Richters). In dieser Konstellation gründet der Zwang zum Geschwätz. Die Feindbildlogik ist ein Teil der Logik des Geschwätzes.
    Beziehen sich das Angesicht, der Name und das Feuer auf eine Trinitätslehre von innen, und was hat diese Trinitätslehre mit einem Schöpfungsbegriff zu tun, in dem neben Himmel und Erde auch das Meer vorkommen?
    Auschwitz hat die Erinnerung des Himmels verbrannt, die Asche gegen den Himmel gestreut. Aber dieses Feuer ist nicht erloschen: in diesem Feuer sind wir.
    Die Logik, die die Oben-Unten-Beziehung reversibel gemacht hat, hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht: Sie hat die Herrschaftslogik ausweglos gemacht und die Feuer der Hölle in der Sprache entzündet.
    Hängt nicht das Wort, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden, mit dem anderen zusammen: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?
    Der ungeheure Gedanke, daß der Himmel die sinnliche Grenze zur Vergangenheit ist (eine Grenze, die nur die Gebete der Heiligen zu durchdringen vermögen). Die Erinnerung an diese Grenze wurde durch Kopernikus verdrängt. Seitdem erreicht das Gebet den Himmel nicht mehr, bleibt es ins monadologische Subjekt, in die Bedürfnisse der Einsamen (wie der Gegenstand der Planckschen Strahlungsformel in den dunklen Hohlraum, aus dem keine Strahlung mehr nach draußen entweicht), eingesperrt.
    Die ergreifende Symbolik des Satzes: „Wenn mei dä Augen togeiht, wär’n se enk opgaohn“, auch das Bild der alten Frau im Krankenhaus, die 1945 immer nur den einen Vers sang „Wildgänse rauschen durch die Nacht … die Welt ist voller Morden“.
    Wenn es einen Fortschritt in der Geschichte gibt, dann müßte er in der Linie Assur, Babylon, Persien, Griechenland und Rom liegen: Militärmacht, Tempelwirtschaft, Rechtsstaat, Zivilisation zur öffentlichkeitsfundierten respublica und zum Caesarismus.
    Das Sklavenhaus Ägypten, der Eisenschmelzofen, ist zu dieser Geschichte exterritorial.
    War es nicht der „politische Auftrag“ der Geschichtswissenschaft seit der Erfindung der Sumerer, diese klaren und durchsichtigen Strukturen zu verwirren? Und gleicht dieser Auftrag nicht dem, den die Kopenhagener Schule in der Physik dann übernommen hat?
    Newton hat das to be ins naturwissenschaftliche Grundgesetz übertragen: ins Gravitationsgesetz (das Präfix be-: Kristallisationskern der Verräumlichung und Verdinglichung).

  • 15.11.1996

    Das Bild des in den Abgrund rasenden Zuges ist ebenso real wie es auch nur Schein ist: ein Reflex der Vorstellung des Zeitkontinuums. Die Beschleunigung des Zuges zieht ihre Energie aus dem Verbot, in andere sich hineinzuversetzen.
    Der Faschismus war die Probefahrt des in den Abgrund rasenden Zuges.
    Die Welt wird erst anders, wenn es mit der Logik, die glaubt, aus dem Leiden ein Recht auf Rache herleiten zu können, ein Ende hat. Die einzige rationale Konsequenz, die aus dem irrationalen Leiden sich ziehen läßt, ist die, daß es nicht sein soll.
    Mein ist die Rache, spricht der Herr: Das heißt auch, daß Er sie nicht an den Staat, nicht einmal an den Rechtsstaat, delegiert.
    Was ist, wenn einer nach Tarschisch flieht, aber bei aufkommendem Sturm es unterläßt, vor den Schiffsleuten sich als Hebräer zu bekennen, der den Gott des Himmel verehrt, der das Meer und das Trockene gemacht hat? (Kommt eine vergleichbare Wendung sonst nur in der Apg vor (424: Petrus, und 1415: Paulus und Barnabas)?
    Es gibt keine autobiographischen Texte ohne Legendenbildung. Hegel hat einmal gesagt, für den Kammerdiener sei der Held kein Held: Gehört nicht in jede Selbstdarstellung auch zumindest der Versuch einer Korrektur durch Hereinnahme auch des Blicks des Kammerdieners?
    Die Deklination des bestimmten Artikels im Deutschen, dieses innere Reflexion des Deiktischen, hat ihre Entsprechung in dem Reichtum der Präpositionen und der Präfixe (und gehört zur Hypostasierung des Substantivs, der Grundlage der Großschreibung).
    Hängt die deutsche Staatsmetaphysik (bis hin zu Auschwitz) nicht auch damit zusammen, daß wir die Sprache in einer Weise gegen Reflexion glauben abschirmen zu können, daß wir nur noch Objekte der Sprache sind, nicht der Sprache mehr mächtig. Grundfrage jedes Deutschunterrichts: Was wollte der Dichter damit sagen? Ein Wort, das hilft, den Schülern jede Lust an der Literatur auszutreiben, ihnen statt dessen die Grundregeln der Paranoia beibringt. Wer nur Objekt der Sprache ist, sie nicht zu reflektieren vermag, ist zwangsläufig paranoid.
    Ist nicht die Linguistik inzwischen zu einem Instrument der Neutralisierung und Verdrängung der Sprachreflexion geworden? Die Bemerkung, daß der Begriff des Akkusativ Produkt eines Mißverständnisses und einer Fehlübersetzung sei, mag insoweit zutreffen, als vielleicht im Griechischen der Akkusativ noch keiner war; dann aber ist er im Lateinischen (mit dem Wegfall des bestimmten Artikels) dazu geworden, und seitdem ist er’s geblieben.
    Die Wahrheit hat mehr mit der Selbstverständigung, mit dem Versuch, mit sich selbst ins Reine zu kommen, zu tun als mit der Abstraktion von allem Subjektiven. Es liegt vielmehr ein Stück Hoffnung darin, auf dem Wege der Selbstverständigung an einen Punkt zu gelangen, an dem Einsichten möglich sind, die die Kraft in sich tragen, sich mitzuteilen, an dem der Funke sich bildet, der überspringt. Dieser Funke, das wäre das Paradigma der Wahrheit.
    Ist nicht jede Belehrung heute nur noch ein Indiz für die mißlungene Selbstverständigung, die dann die Gemeinschaft und die Zustimmung der Andern sucht?
    Neigte nicht auch die RAF dazu, das „System“ an seinen schwächsten Stellen, an den Stellen, die die geringsten Risiken in sich bargen, anzugreifen?
    Die Staatschutzsenate reproduzieren zwangshaft den Fehler, den Mangel, der der Grund war für die mißlungene „Aufarbeitung der Vergangenheit“: Diese Vergangenheit war nicht durch allgemeine Verurteilung zu „bewältigen“, sondern allein durch die Einübung und Erhaltung der Fähigkeit, in den Schrecken sich hineinzuversetzen, ihn zu reflektieren.

  • 9.11.1996

    1945: Der unreine Geist, nachdem er wasserlose Orte durchzogen und keine Ruhestätte gefunden hat, in sein Haus zurückkehrt, es leer, gereinigt und geschmückt vorfindet, geht hin und nimmt sieben andere Geister mit, die schlimmer sind als er, und sie ziehen ein und wohnen dort, und es wird nachher mit jenem Menschen schlimmer als vorher. (Mt 1243ff, vgl. Lk 1124ff)
    Ist nicht die rhetorische Frage in der Regel die Frage der Empörung, oder auch das in Frageform gekleidete kontrafaktische Urteil? Wie hängt die Massenbildung mit der Empörung zusammen?
    Die rhetorische Frage, wie auch das kontrafaktische Urteil, ist ein Element der Klage; in ihr gründet das Problem der Theodizee. Ist nicht diese Klage das Element, aus dem Anklage erwächst, und dann das Schuldurteil?
    Wenn eine Vorstellungswelt zerbricht, zerbricht nicht die Welt.
    Die Sprengung der Herrschaftslogik schließt die Sprengung der Vorstellung des Zeitkontinuums mit ein, das aber heißt, sie schließt die Idee der Auferstehung der Toten mit ein.
    Die heroische Attitüde Heideggers gibt es auch schon bei Hegel, dort wo er von der Kraft, der Negativität und dem Tod standzuhalten, ihnen ins (leere, nicht vorhandene) Angesicht zu sehen, spricht.
    Der Satz „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ ist ohne die Idee der Auferstehung der Toten nicht mehr zu denken.
    Kann es sein, das das „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ in dem Allereinfachsten besteht, daß dann jede Träne abgewischt wird: daß Herrschaft ihr Objekt, auf das sie sich stützt, verlieren und das nicht ertragen wird? Wäre das nicht der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht?
    Hat nicht der 5. Strafsenat Birgit Hogefeld dafür mit dieser wütenden Verbissenheit zur Rechenschaft gezogen und verurteilt, weil sie ihn in eine Situation gebracht hat, der er nicht gewachsen war? Sie hat diesen Senat vor eine Entscheidung gestellt, die er nur hätte treffen können, wenn er den Mut und den Verstand gehabt hätte, die er nicht hatte.
    Dieser Prozeß und dann dieses Urteil hat etwas verändert. Jetzt wird man reden müssen
    – über den Geist und das Handeln der Strafschutzsenate und der Bundesanwaltschaft,
    – aber auch über die RAF, die einerseits diesen Institutionen die Vorwände geliefert hat, so zu werden, wie sie heute sich darbieten, andererseits aber zugleich den Opfern dieser Institutionen die Solidarität verweigert,
    – und nicht zuletzt über die Öffentlichkeit, die ihre Wahrnehmungsfähigkeit eingebüßt hat und wieder einmal das Wegsehen einübt, und an der es sich jetzt rächt, daß in diesem Lande die Aufarbeitung der Vergangenheit in folgenlose Bekenntnisse sich verflüchtigt hat, real aber nie gelungen ist.
    Manchmal überkommt mich der böse Verdacht, ob die Frage des Richters Klein an die Angeklagte nicht eigentlich hätte lauten müssen: Hat es die RAF überhaupt noch gegeben? Und ist es wirklich ganz auszuschließen, daß der Anschlag auf Weiterstadt auf eine konspirative Provokation (BAW/VS/Steinmetz?) zurückzuführen ist, die dann ihren Zweck voll erfüllt hat, nämlich der Öffentlichkeit zu den nie aufgeklärten Taten der 80er Jahre nachträglich eine RAF zu liefern, die es eigentlich schon nicht mehr gab? Und bekennen sich die Hardliner der RAF vielleicht heute zu Handlungen, von denen sie selbst nicht wissen, wer sie begangen hat, an denen sie nur deshalb festhalten, weil ihre von der Realität abgespaltene Phantasie sie als Identitätsstütze braucht? Und das bis zu der bitteren Konsequenz, daß sie die eine, die den Sinn dieser Handlungen in Frage stellt, mit dem Bann belegen und aus ihrer wahnhaften Bekenntnisgemeinschaft zwangshaft ausschließen müssen? Zugleich muß der Staatsschutz sie mit der Verurteilung zu lebenslänglicher Haft aus dem Verkehr ziehen, weil sie, ähnlich wie Irmgard Möller nach der Stammheim-Katastrophe, die einzige ist, die vielleicht auf die Spuren stoßen und sie öffentlich machen könnte, die den Alptraum, zu dem dieser Staat in gleichem Maße zu werden scheint, in dem keiner es mehr für möglich zu halten fähig ist, als Realität erweisen würden.
    Die Nazis haben ihre Untaten durch ihre Dimensionen und ihr Ausmaß vor der Öffentlichkeit schützen können: Die Greuel waren leicht als Greuelmärchen zu dementieren, weil niemand (außer ihren Opfern, die sie real an sich selbst erfuhren) sie mehr für möglich halten konnte. Nur waren damals die Grenzen zwischen Realität und Vorstellungsvermögen noch nicht so scharf definiert: Zur Stabilisierung des abgespaltenen Vorstellungsvermögens, als wirksame kollektive Verdrängungshilfe, brauchten die Nazis das Gerücht von der Realität, das Klima des Terrors als allgegenwärtige und für alle spürbare Gewalt, die die Menschen zum Wegsehen zwang. Dieses Konstrukt hat die Nazizeit überlebt in dem Wort „Nestbeschmutzer“. Diskriminiert wurden nach dem Krieg nicht die Täter, sondern die, die ihre Taten an die Öffentlichkeit brachten.
    So gleicht sich die Realität immer mehr der Paranoia an, die sie doch zugleich falsch abbildet. Oder anders: So wird die Paranoia zu einem Erklärungsmuster der Realität, mit der Folge, daß heute die Realität nicht mehr begreift, wer nicht bereit ist, auch das Undenkbare zu denken, ohne daraus ableiten zu können, es sei so. Die Logik der Paranoia ist eine Erkenntnishilfe, aber man darf ihr nicht verfallen.
    Gegen diese Logik sind die Lyotardschen Reflexionen über das perfekte Verbrechen (die an die Erinnerung an Auschwitz anknüpfen) noch harmlos, weil sie zum Vebrechen verdinglichen, was in Wahrheit nur als kritische Reflexion eines logischen Sachverhalts sich begreifen läßt. An diesen logischen Sachverhalt, der an den Grund des Strafrechts selber rührt, reicht der strafrechtliche Begriff des Verbrechens nicht mehr heran.
    Der Versuch, das Undenkbare zu denken, liefert den Schlüssel zu den finsteren Geheimnissen des Staates (oder auch der Bekenntnislogik und der Opfertheologie, die die Religion zur Staatsreligion gemacht haben), vielleicht hilft er, Licht in dieses Dunkel hineinzubringen.
    Das Undenkbare denken: Dazu gehört auch, daß man einer Logik, die davon ausgeht, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, sich entzieht, daß es gelingt, die Kräfte, die es unterm Nationalsozialismus erlaubten, reale Greuel als „Greuelmärchen“ zu dementieren und so ihre Wahrnehmung zu verhindern, zu reflektieren und damit unwirksam zu machen. Ein Denken, das Herrschaftsinteressen, die heute mit dem Eigeninteresse derer, die an dem Privileg des Denkens noch teilhaben, konvergieren, sich unterordnet, mag sich als klug erweisen, es mag von einem hohen Grad der Intelligenz zeugen, es ist doch im Kern zugleich auch dumm, es verlernt, die Verblendung, deren Opfer es wird, zu durchschauen, es sieht insbesondere nicht mehr, was es anrichtet.
    Was einmal das „pathologisch gute Gewissen“ genannt wurde, ist eine in die Logik des Bewußtseins selber mit eingebaute Automatik; diese Automatik hat die kantische Philosophie, und zwar in der transzendentalen Ästhetik, erstmals rein herauspräpariert, sie ist damit bestimmbar und analysierbar geworden. Der erste, bis heute freilich nicht verstandene Beginn der Analyse dieser Automatik war Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung, ein im Kern logisch-philosophisches Werk, das nur aufgrund seiner Konsequenzen der speziellen Disziplin der Religionsphilosophie zugeordnet und so neutralisiert worden ist (der Gedanke, daß der Kern der Logik in der Theologie liegt, gehört zu dem Undenkbaren, auf das die Forderung, es endlich zu denken, sich bezieht). Der Stern der Erlösung gehört zu den epochalen Werken der Philosophie dieses Jahrhunderts, von gleichem Rang wie das Werk Walter Benajmins, Georg Lukacs‘ „Geschichte und Klassenbewußtsein“ oder die „Dialektik der Aufklärung“.
    Der Begriff Greuelmärchen war ein prophylaktischer Teil des aus ihm entwickelten Mechanismus, der nach dem Krieg den kollektiven Verdrängungsprozeß mit getragen hat. Danach konnten alle (und das subjektiv ehrlich) sagen, sie hätten nichts gewußt.
    „Satanisch, teuflisch, dämonisch“: An diesen Begriffen läßt die Magie des Urteils sich demonstrieren. Deren Bann wird erst gebrochen, wenn man, ohne Verharmlosung in der Sache, diese Begriffe reflexionsfähig macht, wenn man im Satanischen den Ankläger, im Teuflischen die feindbild-logische Instrumentalisierung der Sprache, ihre Subsumtion unter fremde Zwecke, im Dämonischen die Sprache der Rechtfertigung erkennt, in ihnen allen die Formen der Selbstzerstörung der erkennenden Kraft der Sprache; auch das ist ein Teil des Versuchs, das Undenkbare zu denken. Der Ansatz zur Lösung des Banns ist in dem Jesus-Wort vom Geist enthalten: „Wenn sie euch dann hinführen, um euch zu überliefern (Einheitsübersetzung: und <man> euch vor Gericht stellt), so sorget euch nicht im voraus darum, was ihr reden sollt, sondern was euch in jener Stunde gegeben (E.: eingegeben) wird, das redet. Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der heilige Geist.“ (Mk 1311) Der heilige Geist ist das Subjekt der erkennenden, aus dem Bann ihrer Instrumentalisierung befreiten Sprache. Der Kern dieses Banns ist die Logik der Welt: die Feindbildlogik, die dem Feind aus freien Stücken die Waffen liefert, mit denen er uns besiegt.
    Das Undenkbare denken, auch im Anblick des Schreckens den klaren Verstand zu behalten: Das wäre der Schlüssel zu einer Theologie im Angesicht Gottes.
    Zur Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit: Die stoische Ataraxia, die dann in den Begriff und in die Konstruktion der Öffentlichkeit mit eingegangen ist, ist kollektiv eingeübt worden in den römischen Arenen, in dem freiwilligen und zum Genuß (zur „Augenlust“) dargebotenen Anblick des Schreckens, der nur die Opfer, nicht die Zuschauer des Spektakels traf. Schon die aristotelischen Affekte Furcht und Mitleid, die die Tragödie im Zuschauer hervorruft, hatten Teil an dieser Ataraxia: Dem Mitleid war durch die ästhetische Grenze, durch die Abstraktion vom eingreifenden Handeln, die den Zuschauer vom tragischen „Geschehen“ trennt, die moralische Gemeinschaft mit dem ästhetischen Objekt aufhebt, der Weg zur Barmherzigkeit abgeschnitten: Im Mitleid genießt das Publikum (der Zuschauende) nur noch seinen eigenen Affekt, es erreicht sein Objekt nicht mehr. Die Arenen haben diese (die logische Konstruktion der Öffentlichkeit begründende) ästhetische Grenze zum Objekt vergesellschaftet. In diese Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit gehören die Scheiterhaufen, auf denen die Ketzer und Hexen verbrannt worden sind, die öffentlichen Hinrichtungen. Auch der Kreuzestod Jesu ist durch die christliche Opfertheologie zu einem öffentlichkeitskonstituierenden Akt geworden (der in den Christen das schlechte Gewissen installiert hat, das dann bekenntnislogisch abgearbeitet werden mußte). Die Theologie war seit den Kirchenvätern nur das Exil der Philosophie, diese war das Schiff, auf dem sie aus Furcht vor ihrem Auftrag, Ninive den Untergang anzusagen, nach Tarschisch zu fliehen versucht hat.
    Aber war die Philosophie nicht auch der eine unreine Geist, der am Ende mit sieben anderen Geistern in das leere, gereinigte und geschmückte Haus zurückkehren wird; und die letzten Dinge werden dann ärger sein als die ersten?
    Der Staat ist die Quelle und der Produzent des „Seitenblicks“, der in den Arenen (und in der nachfolgenden Geschichte der Kunst) zunächst eingeübt und dann auch reflektiert worden ist. Und das hegelsche Absolute ist der Gott, der in diesem Staat sich verkörpert (und durch ihn hindurch das Reich der Erscheinungen als seine Welt erschafft, die am Ende niemand von der wirklichen mehr unterscheiden kann).
    Das kantische Religionsverständnis unterscheidet sich vom hegelschen dadurch, daß es das Moment der Hoffnung (auch für die Toten) noch in sich enthält, es weder verleugnet, noch verdrängt, noch unterdrückt hat, und in dieser Hoffnung die Kraft der Reflexion, die er in der Kritik der Urteilskraft zu entfalten versucht hat.
    Das Undenkbare denken, oder die Bundeanwaltschaft als Verkörperungen der Staatsparanoia.
    Der Konkretismus und die Personalisierung verstören die Sprache der Reflexion, versuchen ständig, sie eine Sprache des bestimmenden Urteils (der synthetischen Urteile apriori), des Indikativs, zu übersetzen.
    Das Undenkbare denken (Gliederung):
    – Indikativ und Imperativ (Levinas),
    – Verstörung des reflektierenden Denkens durch die Mechanismen der Verdinglichung,
    – die Auflösung des Problems der Verhärtung des Herzens (Pharao und hodie, si vocem eius audieritis),
    – Theologie im Angesicht Gottes,
    – die Sünde wider den heiligen Geist (die Sünde der Übersetzung des reflektierenden Urteils ins bestimmende Urteil, der Verdinglichung, der Feindbildlogik, die Sünde der Welt <im Kontext des Nachfolgegebots, nicht der Opfertheologie>).
    Die Theologie im Angesicht Gottes ist eine herzzerreißende Theologie: Sie zerreißt das steinerne Herz (das sentimentale Herz) und ersetzt es durch das fleischerne Herz (ein Herz, in dessen Verletzlichkeit seine erkennende Kraft gründet). – „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“
    Auch der Satz, daß Gott am Ende das steinerne Herz durch ein fleischernes ersetzen wird, steht im Imperativ, nicht im Indikativ.
    Zu Kafkas Bau: Das Tier hat vierzig Jahre im Untergrund gewühlt, und jetzt steckt es die Nase heraus in der Hoffnung, daß da nicht ein Gärtner mit dem Spaten steht und es erschlägt.
    Das Undenkbare denken: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns (Kafka). Auf diesen Satz antwortet eine Theologie, die die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele aufgibt, dafür aber an der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten festhält. Nicht für mich (und nicht für die, die unter Rechtfertigungszwängen auf einen gnädigen Gott hoffen), nur für die Andern gilt: Die Liebe deckt eine Menge Sünden zu. Das Jakobus-Wort, daß, wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums befreit, seine eigene Seele vor dem Tode rettet, schließt die Frage mit ein, wer ist dieser Sünder? Ist es nicht der gleiche, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über die 99 Gerechten?
    (Adressaten: Christiane Dannemann, Michael Schwenn, auch Pfarrer Nieder, Antje Vollmer?)
    Wenn ich die „objektive“ Analyse einer Sache durch die Erfahrung, die ich mit ihr gemacht haben, ersetze, so ist das der einzige Ausweg, über den ich die Sache selbst noch herauszubringen vermag.
    Instrumentalisierung der Anklagepraxis durch die Bundesanwaltschaft (mit dem Ziel der Aussagenerpressung: Angebot der Kronzeugenregelung bei Birgit Hogefeld, Ermittlungsverfahren gegen Steinmetz, Anklage mit Kronzeugenangebot bei Frau Andrawes), dazu paßt die fiktive Anklage im Hogefeld-Prozeß (eine Anklage, die aus den gleichen Gründen, die dann zum Freispruch führten, eigentlich schon bei Prozeßeröffnung hätte zurückgewiesen werden müssen, die aber nur so ihren Zweck erfüllen konnte: die zwar nicht nachgewiesene, aber wegen der Freispruchs der Angeklagten auch nicht mehr revisionsfähige gerichtliche Feststellung, daß Wolfgang Grams den GSG-9-Beamten Newrzella erschossen hat). Steht nicht die Anklagepraxis der BAW, die ein Teil ihres Politikverständnisses ist, in einem so exzessiven Maße unter dem Zwang der Feindbildlogik, daß sie deren Reflexion schon vom Grunde her auszuschließen gezwungen ist?

  • 07.10.1996

    Die träge Masse ist ein Reflex des Selbsterhaltungsprinzips.
    Der existierende Sozialismus hat in seinem Marx-Verständnis das reflektierende mit dem bestimmenden Urteil verwechselt. Aber war das nicht Hegelsches Erbe, hat nicht Hegel, als er die Antinomien der reinen Vernunft dialektisch instrumentalisiert hat, genau diese kantische Unterscheidung verwischt?
    Auschwitz ist das Verbrechen, dessen Historisierung nicht gelingen wird.
    Der Rassismus ist das Ergebnis des Versuchs, die Erbsünde durch projektive Verschiebung loszuwerden.
    Ist nicht Johannes der gefährdetste der neutestamentlichen Autoren (sh. aber 1 Joh 510)?
    Et resurrexit tertia die: am dritten Tag?
    Luther hatte recht: Die Kirche ist Babylon. Aber er hätte die Kirche nicht verlassen dürfen. Gilt nicht das Jeremias-Wort „Suchet das Wohl des Landes, in das ich euch verbannt habe, und betet für es zum Herrn; denn sein Wohl ist auch euer Wohl“ (Jer 2813) auch für dieses Babylon?
    Das „Sich nicht Rühmen“ gilt ebenso wie für jeden Christen auch für die Kirche, soweit sie als weltliche Institution dem Selbsterhaltungsprinzip unterworfen ist.
    Zwei Sätze zu Hegel:
    – Das Weltgericht ist nicht das jüngste Gericht; das Jüngste wäre vielmehr das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.
    – Das Absolute ist nicht Gott, sondern der Schatten, den die Subjektivität auf Gott wirft, der ihn unsichtbar macht.
    Hegels Leistung besteht darin, daß er die Quintessenz der dogmatischen Theologie, ihren philosophischen Kern, rein herauspräpariert und so kritikfähig gemacht hat. An Hegel hätte eine Idee der Kritik sich zu bewähren, die anstatt an der Widerlegung an der Rettung sich orientiert. Die Unwiderlegbarkeit Hegels macht ihn zum Gegenstand der rettenden Kritik.
    Wenn die Theologie kein Gegenstand der intentio recta ist, dann heißt das nicht, sie sei gegenstandslos.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie