Die subjektiven Formen der Anschauung, das Geld und die Bekenntnislogik begründen drei getrennte Reiche der Erscheinungen.
Rosemary Radford Ruether und Erich Fromm kommen in der Untersuchung von Reinhart Staats über das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel nicht vor.
Doppelte Konsequenzen:
– Unmöglichkeit der Harmonisierung der Theologie mit Auschwitz und mit den Naturwissenschaften;
– Franz Rosenzweig: Konversion zum Judentum nach Auschwitz nicht möglich; seine Theologie vermag die Idee der Auferstehung zu begründen, nicht aber die Unsterblichkeit der Seele;
– Karl Thieme: Hitler war nicht der Antichrist, nur die Generalprobe; Rosenzweig wichtiger als Buber.
Läßt sich die These, daß Auschwitz, je mehr es in die Vergangenheit zurücksinkt, umso mehr uns auf den Leib rückt, nicht aus der logischen Beziehung von Bekehrung und Umkehr (Maria Magdalena und die sieben unreinen Geister) begründen?
Zu den Bedingungen des Holocaust gehört ganz wesentlich die Rolle des Staates. Nur die im Staat installierten Exkulpationskräfte haben den Tätern das gute, zugleich mit Rachsucht und Infamie aufgeladene Gewissen gegeben (die Befreiung von Schuldgefühlen durch die Erniedrigung, das Quälen und das Töten der Juden), ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre. Spielt hier nicht in der Tat eine sehr protestantische Tradition mit herein, die über die Rechtfertigungslehre den Staat zur Quelle des Gewissens gemacht (und dem Gewissen die Möglichkeit der Orientierung an der Idee der Barmherzigkeit genommen) hat?
Die Trinitätslehre, deren dogmatische Entfaltung zusammenfällt mit der konstantinischen Wende, hat die Logik dieses Exkulpationsmechanismus begründet. Durch die lutherische Neudefinition des Glaubens ist sie (und mit ihr die damit verbundene Staatsmetaphysik) ins einzelne Subjekt übertragen worden. Die „Rechtfertigung durch den Glauben“ gründet in dieser Konstellation.
Die konstantinische Wende hat die Tradition der Barmherzigkeit aus der theologischen Spekulation verdrängt; die Rechtfertigungslehre hat die Tradition der Barmherzigkeit (den theologischen Grund der Herrschaftskritik) aus dem Handeln verdrängt und durch die Gnadenlehre ersetzt.
Das Symbolum bezieht sich weniger auf das Zeichen, an dem die Christen sich erkennen, als vielmehr auf einen Sachverhalt, der in dem Satz Jesu sich ausdrückt: Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich vor dem Vater bekennen. Und ist das nicht in der Tat der logische Kern des Symbolbegriffs? Dieses Bekennen ist eigentlich ein Bezeugen, und hierauf bezieht sich der Satz: Das Zeugnis Jesu ist der Geist der Weissagung. Und hierzu gehört auch der andere Satz, daß keiner zum Vater kommt außer durch den Sohn.
Die blasphemische Wendung der Orthodoxie beginnt mit jenem Akt, mit dem Theodosius die Glaubensformel zur Grundlage des römischen Bürgerrechts gemacht hat.
Verschweigt Reinhart Staats nicht den Grund des Konflikts zwischen Ambrosius und Theodosius, in dem Ambrosius gegen den Kaiser die Rechtmäßigkeit eines Pogroms, einer antisemitischen Aktion der Gläubigen, behauptet und durchsetzt? Das endet in Carl Schmitts Rechtfertigung der Nacht der langen Messer durch Berufung auf die Souveränität des Führers. Carl Schmitt war der Autor einer politischen Theologie, die das Freund-Feind-Verhältnis als Grundlage sich erwählte.
War es nicht Reinhart Staats (Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel), der an einer Stelle anstatt vom Geist vom Gerhirn sprach?
Der logische Grund des Staates ist in der Tat das Feinddenken, für das der Staat die Verantwortung übernimmt. Nur der Staat hat das Recht zu töten, das er an seine Bürger delegieren kann, ohne daß diese „schuldig“ werden. So richtet sich auch die strafrechtliche Verfolgung des Mörders nicht gegen die Tat, sondern allein gegen den Täter, in dem der Staat seinen Widersacher erkennt: einen, der für sich ein Recht in Anspruch nimmt, das nur dem Staat zukommt. Deshalb sind Soldaten keine Mörder. Und der Mörder im Sinne des Strafrechts zieht die Rachsucht aller auf sich, weil er die Exkulpationsgewalt des Staates, die den, der in seinem Auftrag tötet, rechtfertigt, und damit ein zentrales Element der Ich-Bildung in Frage stellt.
Daß die Philosophie den Tod verdrängt, hängt mit ihrer logischen Beziehung zum Staat, zur Herrschaftslogik, zusammen. Diese Beziehung des Staats zum Tod drückt in dem jesuanischen Gebrauch des Kelch-Symbols (in dem „Karriere“-Dialog mit den Zebedäus-Söhnen und in Getsemane) sich aus, der genau dadurch von dem vorhergehenden prophetischen Gebrauch sich unterscheidet. So wird
– die Bekenntnislogik (das Produkt der Rezeption der Philosophie und des Weltbegriffs in der Theologie) zur Bekenntnislogik durch die Opfertheologie (durch die Lehre vom Opfertod Jesu),
– das Inertialsystem zum Inertialsystem durch die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (durch die Säkularisation der eucharistischen Vergegenwärtigung des Kreuzestodes, durch die Konstituierung des Totenreichs): es bezieht sich essentiell auf tote (anorganische) Materie,
– das Geld zum Geld durch seine Beziehung zum Opfer.
Hängt mit dieser Geschichte und mit dieser Logik nicht das merkwürdige Verhältnis der Evangelien zu den Vätern („laßt die Toten ihre Toten begraben“) zusammen?
Auschwitz
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14.09.1996
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12.09.1996
Ist nicht das Konzil eine Metamorphose der Arena? An die Stelle des Märtyrers tritt der Confessor, und der Herr über beide ist der Caesar. Gehört dieser Prozeß nicht zur Neukonstituierung der Öffentlichkeit, der res publica, unter den Bedingungen des Imperium Romanum, des Caesarismus? Die Transformation des Märtyrers zum Confessor gehört zum Prozeß der Vergeistigung der Gewalt, der Identifikation mit dem Aggressor und dem Formelbekenntnis als Feigenblatt. Instrument dieser Transformation war das Dogma, die Trinitätslehre, die Orthodoxie (mit der Opfertheologie im Kern).
Beachtenswert ist die merkwürdige Unsicherheit im Prozeß der Dogmenbildung, im Gebrauch der Begriffe Zeugung und Geburt (die zurückweist auf die Differenz im Naturbegriff, den Unterschied zwischen der lateinischen und der griechischen Version dieses Begriffs). Vgl. „gezeugt/geboren, nicht geschaffen“, „hat Fleisch angenommen aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria/durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria“, „aus dem Vater gezeugt/geboren vor aller Weltzeit“ (sh. Staats, S. 19ff).
Nach dem griechischen Text ist der Sohn aus dem Vater vor aller Weltzeit gezeugt, und aus dem Heiligen Geist und Maria der Jungfrau geboren, nach dem lateinischen Text ist der Sohn vor aller Weltzeit aus dem Vater (der ihn auch gezeugt, nicht geschaffen hat) geboren, und durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria geboren.
Hierzu eine Randbemerkung: Wenn Paulus (in der Apostelgeschichte) sagt, er sei ins römische Bürgerrecht „hineingeboren“, ist er dann nicht in dem gleichen Sinne Römer „von Natur“ wie nach 1 Kor 1114f „die Natur selbst (uns belehrt), daß, wenn ein Mann lange Haare trägt, es eine Schande für ihn ist, wenn aber eine Frau lange Haare trägt, es eine Ehre für sie ist“? Natur ist eine herrschaftsgeschichtlich definierte Kategorie.
Hängt nicht auch das „filioque“ mit der Differenz der lateinischen gegenüber der griechischen Sprachlogik zusammen? Im Griechischen geht der Geist aus dem Vater hervor, während der Sohn (den der Vater gezeugt hat) aus dem Geist (und aus der Jungfrau Maria) geboren wird; im Lateinischen hat der Vater den Sohn gezeugt, geht der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohne hervor, wird der Sohn durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria geboren. Hat die lateinische Version den Heiligen Geist (der dem Sohn ebenso folgt, wie er ihm vorausgeht) endgültig vom Mutterschoß (vom Ort der Barmherzigkeit, aus dem die Propheten berufen und hervorgegangen sind) getrennt? Und erinnert nicht die lateinische Version eher noch (und auch logisch genauer) als der Mythos, auf den Freud sich bezieht, an den „Ödipus-Komplex“? Löst sich damit nicht die verwirrende Logik der lateinischen Version, in der Grund und Ursache ununterscheidbar werden, in der die zeitliche und die logische Folge nicht mehr sich auseinanderhalten lassen?
Ist die Trinitätslehre der durchschlagene Knoten, und ist die Stelle, an der er durchschlagen wurde, nicht rekonstruierbar?
Peri physeos: Steckt in diesem Generaltitel der vorsokratischen Philosophie nicht noch das Bewußtsein der männlichen Zeugung, des aktiven Hervorbringens im Ursprung des Objektivationsprozesses: Ist die Natur der Inhalt des Unzuchtsbechers?
Wenn das Meer die Völkerwelt symbolisiert, welche Folgen hat das für das Verständnis der signifikanten Stellen, an denen das Meer erscheint?
– Während es sonst heißt, daß Gott den Himmel und die Erde erschaffen (den Himmel aufgespannt, die Erde gegründet) hat, gibt es einige Stellen an denen es heißt, daß Gott den Himmel, die Erde und das Meer erschaffen hat. Und Jonas gibt sich (auf dem Schiff nach Tarschisch) als Hebräer zu erkennen, der „den Herrn (verehrt), den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht“ hat (haben dieses „Meer und das Trockene“ etwas mit der Völkerwelt und dem Petrus zu tun?).
– Und was hat es mit dem Stein, der, einem großen Mühlstein gleich, ins Meer geworfen wird (Apk 1821) auf sich? Ist es der gleiche Stein, der nach Mt 186 denen, die „einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zu Sünde verführen“, um den Hals gehängt und mit ihm in die Tiefe des Meeres versenkt werden sollte; und ist das Meer das gleiche, das am Ende nicht mehr sein wird (Apk 211)?
Zur Goldhagen-Diskussion: Sollte man nicht ein Buch an seiner eigenen Intention messen, und nicht an dem, was einer von ihm erwartet? Sind nicht von außen herangetragene Erwartungen (wie auch das von außen an eine Sache herangetragene Maß, insbesondere der Inbegriff dieser Maße, das Inertialsystem) hinterhältig?
Franz Rosenzweigs gelegentliche Bemerkung, daß seine Arbeit erst posthum Anerkennung finden werde, bezieht sich nicht nur auf seinen eigenen Tod, sondern nach Auschwitz auf den Untergang der Judenheit in Deutschland überhaupt. Und verstärkt sich nicht zusehends der Eindruck, daß Auschwitz, je weiter es in die Vergangenheit zurücksinkt, uns immer näher auf den Leib rückt?
Nochmal zur Sprache der Medien („diesen Jahres“): Wie hängt die Adjektivierung des Demonstrativpronomens zusammen mit der Vertauschung von Genitiv und Dativ nach trotz, wegen, entsprechend? Und wie hängen beide damit zusammen, daß der Nominativ immer deutlicher als durch den Akkusativ vermittelt sich erweist (Grund der Umwandlung des Nomens ins Substantiv)? Läßt das Ganze aus der Neudefinition des Wahrheitsbegriffs (aus der Formel: Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand) sich ableiten, die der Konstituierung der subjektiven Formen der Anschauung (des Inertialsystems) sich verdankt, aus der neuen Urteilsform, die an den Objektbegriff sich anschließt?
Wegen müßte den Genitiv, trotz und entsprechend müßten den Dativ nach sich ziehen. Die Vertauschung von Genitiv und Dativ verschiebt die Sprache ins Autoritäre. Gehorsam wird zum Dank gegen die höhere Einsicht der Welt, während der Eigenwille seiner Sprache beraubt wird. Die Medien-Grammatik ist die präventive, vorauseilende Einübung in die Grammatik des autoritären Denkens. Sie treibt den Menschen den Widerspruch aus und macht die Sprache zur Sprache der Unterwerfung, der im Voraus kapitulierenden Ohnmacht, der mit Hilfe dieser Grammatik eingebläut wird, daß sie gegen das, was ist, nichts mehr auszurichten vermag.
Das Fernsehen ist das zum Leben erweckte Menetekel, das Zeichen an der Wand: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden (anschaulich vor Augen geführt in dem vorgestern gesendeten Gespräch Bioleks mit Kohl).
Ist nicht Kohl der lebendige Beweis dafür, daß der A…. keine Ohren hat? Ein überdeutlicher Hinweis zur Ortsbestimmung des Weltgeistes, der autistisch geworden ist und nicht mehr auf dem Pferde sitzt (ja, wo reiten sie denn, oder: wohin ist der Weltgeist gerutscht?).
Das Subjekt war noch das dem Allgemeinbegriff (dem Prädikat) Unterworfene; beim Objekt liegt diese Unterwerfung dem Urteil voraus, sie wird schon durch die subjektiven Formen der Anschauung, die damit in die Urteilsform hineinregieren (und die Begriffe depotenzieren), geleistet.
Im Kontext der polis wird die Natur von den Bürgern erzeugt; im Kontext des Imperium Romanum ist die Erzeugung der Natur abgeschlossen, wird die Natur zum Geborenen.
Die heutige Astrologie ist deshalb so unsäglich, weil sie dem System, das zu negieren sie vorgibt, verhaftet bleibt: dem System der Selbsterhaltung, das im kopernikanischen System kosmische Qualität gewonnen hat.
Der Begriff der Verurteilung markiert den Übergang von der Urteilslogik zum moralischen Urteil. Und dieser Übergang trägt alle Züge einer Katastrophe (die in der Geschichte vom Sündenfall im Wort von der Erkenntnis des Guten und Bösen sich anzeigt). Natur ist gefallene Natur, es gibt keine andere. -
10.09.1996
Der Objektbegriff zieht die Verurteilungslogik nach. Die subjektiven Formen der Anschauung, die die Verurteilung zum Maß der Logik machen, sind das Produkt einer Implosion der Rechtfertigungslogik, die glaubt, dem vernichtenden Urteil dadurch entrinnen zu können, daß sie sich auf die Seite der Urteilenden (der Gemeinschaft der Urteilenden in Wissenschaft und Recht, sowie angesichts des Faschismus des Urteils des Auslands) begibt, mit den urteilenden Instanzen sich identifiziert. Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit drückt im Raum in der Reversibilität aller Richtungen sich aus: in der Subsumtion der Rechten unter die Linke, des Im Angesicht unter das Hinter dem Rücken und des Oben unter das Unten (die Säkularisation der Theologie). Ist nicht der Säkularisationsprozeß insgesamt die Wassertaufe (die Sammlung der Wasser an einem Ort und das Sichtbarwerden des Trockenen), die auf die Geisttaufe wartet? Goldhagen: Je weiter wir uns von Auschwitz entfernen, umso näher wird es uns rücken. Der Rassismus macht die Nationalitätsgrenzen zu Rassengrenzen. Verweist nicht die Zusammenstellung von „Völkern, Stämmen, Nationen und Sprachen“ in apokalyptischen Texten auf diese Abgrenzungen: auf ein System von Abstraktionschnitten? Auschwitz hat das Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ in die Nähe des „Abgestiegen zur Hölle“ gerückt. Dieser schreckliche Mechanismus: Anstatt zu begreifen, daß in den Folterstaaten, in Bosnien, auch in der RAF, uns unsere eigene Vergangenheit einholt, nutzen wir sie als Exkulpationsmittel: „Die sind auch nicht besser“. Ihr Deutschsein ist die empfindlichste Stelle der Deutschen: Käme es nicht darauf an, auf den dieser Empfindlichkeit zugrunde liegenden Trieb das Keuschheitsgebot anzuwenden? Carl-Friedrich von Weizsäckers Bemerkung, daß die naturwissenschaftliche Entwicklung der zwanziger Jahre (gemeint war die Geschichte der Kopenhagener Schule) einer „Explosion von Genie“ sich verdanke, hat einen anderen Sinn, als ihm bewußt war: War nicht auch der Faschismus eine Explosion der Tradition, die im Geniebegriff gründete? Siehe hierzu die kantische Definition und Bestimmung des Geniebegriffs, der auch diesen exkulpatorischen Effekt hatte: Nicht ich bin es, sondern die Natur in mir ist die schöpferische Kraft, der die großen Werke der Kunst, der Musik, der Philosophie, der Literatur, und am Ende auch der Naturwissenschaften, der Ökonomie und der Politik sich verdanken. Wenn von Hitlers „Charisma“ die Rede war, und wenn Hitler selbst als ein Werkzeug der Vorsehung sich verstand, so stand das in dieser Tradition. Die bisher einzige richtige Antwort hierauf war Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“, der Versuch, diese Sphäre (und in ihr den Bann des Geniebegriffs) durch Reflexion aufzuhellen.
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16.08.1996
Zum Milgram-Experiment verweist Goldhagen auf eine Studie, die nachweist, daß es in diesem Experiment nicht um Gehorsam, sondern um „Vertrauen“ ging (Hitlers willige Vollstrecker, S. 665, Anm. 19). Heißt das gleiche Vertrauen in der christlichen Tradition nicht „Glaube“?
Gründet die Logik dieses Glaubens nicht in der gleichen Konstellation, zu der auch der individualisierende Akt des Ursprungs des Charakters gehört (vgl. hierzu Rosenzweigs „Stern der Erlösung“), und verweist diese Konstellation nicht auf die Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs? Korrespondiert der Charakter nicht dem Gattungsbegriff im Tierreich und dessen Beziehung zum Weltbegriff, und ist er nicht (wie auch der Glaube) eine der Reflexbildungen des Weltbegriffs im Subjekt? Gibt es noch andere (wie es scheint, genau bestimmbare und abzählbare) Reflexbildungen des Weltbegriffs im Subjekt, und ist der Kern dieser Reflexbildungen in den subjektiven Formen der Anschauung verborgen, die durch ihre neutralisierende Gewalt zugleich als Instrument der Verblendung in ihnen sich erweisen? Gründet hierin das Problem der sieben unreinen Geister, von denen Maria Magdalena befreit wurde?
Ist nicht jeder Götzendienst Sternendienst?
Sh. die ungeheure Geschichte im Buch Jonas: Erst das Volk, dann der König, und der König ruft mit dem Volk dann auch das Vieh, „Rinder und Schafe“, zur Buße auf. Rinder und Schafe sind Opfertiere; Esel wurden nicht aufgerufen.
Ist es nicht ein gemeinsamer Hang zum Populismus, der, indem er in vorauseilendem Gehorsam den kollektiven Rechtfertigungszwängen folgt, taz und Publik Forum immer mehr aus ihren kritischen Anfängen heraus- und in immer gefährlichere Zonen hineintreibt? Symbolfigur dieses Trends in Publik Forum ist mittlerweile wohl Eugen Drewermann, der sich seinen Mut an der heute ohnehin ohnmächtigen Kirche beweist, während er zugleich jede wirkliche Herrschaftskritik denunziert.
In den dreißiger Jahren gab es eine Schallplatten-Reklame, die mit einem Bild warb, auf dem ein Hund aufmerksam einer Schallplatte lauscht; dazu der Slogan „die Stimme seines Herrn“. So hat das ganze Volk bei „Führer-Reden“ vorm Lautsprecher gesessen.
Hat der Nationalsozialismus nicht das Instrumentarium gleich mitgeliefert, das den kollektiven Verdrängungsakt am Ende des Kriege ermöglichte? Die Verbrechen der Nazis waren mit ihrer „Weltanschauung“ nicht rational (durch Begründung), sondern nur durch die Bekenntnislogik (durch ein Verurteilungs- und Rechtfertigungssystem) verbunden, die es ermöglichte, die Verbrechen durch den kollektiven Bekenntniswechsel (durch ein anderes Verurteilungs- und Rechtfertigungssystem) gleich mit zu verdrängen. Seitdem hat – bis in die Theologie hinein – das Bewußtsein sich ausgebreitet, daß es auf den Inhalt einer Religion (eines „Bekenntnisses“) garnicht so sehr ankommt, sondern nur darauf, eine zu haben. Die Instrumentalisierung der Bekenntnislogik durch Nazis, die der Kern des „eliminatorischen Antisemitismus“ war, ist offensichtlich nicht mehr rückgängig zu machen.
Naturwissenschaft: Selbstverblendung durch Erkenntnis.
Gründen die drei evangelischen Räte in ihrer Beziehung zu den drei transzendentalen Formen der Logik:
– die Armut in der Beziehung auf die durchs Tauschprinzip (durchs Geld) beherrschte Welt,
– das Hören in der Beziehung auf die durchs Inertialsystem (durch die „subjektiven Formen der Anschauung“) beherrschte Natur und
– die Keuschheit auf die Beziehung zu den durch die Bekenntnislogik von Selbstreflexion und Herrschaftskritik „befreiten“ Formen der Erkenntnis und des Wissens? – Ist die Bekenntnislogik der „Unzuchtsbecher“?
Hat der „Dieb in der Nacht“ etwas mit der Tötung der Erstgeburt, die um Mitternacht erfolgte, zu tun?
Jesus wußte sich zu den verlorenen Kindern Israels gesandt; Paulus hat begriffen, daß die Rettung Israels nur über die Völker (die „Heiden“) möglich ist; die Kirche hat daraus die Verwerfung Israels abgeleitet, anstatt in der Rettung Israels die eigene zu begreifen. Auschwitz ist der Greuel am heiligen Ort.
Die Ängste, die während des Krieges insbesondere in der katholischen Kirche verbreitet waren: Heute die Juden, morgen sind wir dran, waren nur insoweit unbegründet, als sie nach der Niederlage der Nazis ihren Urheber verloren zu haben schienen. Aber hatten sie ihn wirklich verloren, hatte die Kirche, als sie vergaß, daß sie selbst mit zur Ursprungsgeschichte dieser „Urheberschaft“ gehörte, diese nicht schon so sehr verinnerlicht, daß sie für sie nur nicht mehr sichtbar (dafür aber umso gefährlicher geworden) war? Mit dem Verrat der Juden, deren Leiden sie nicht wahrzunehmen fähig war, hat die Kirche sich selbst verraten. Ausdruck dieses Verrats ist nicht zuletzt der Zustand der Theologie heute.
Die Deutschen mögen Hitlers willige Vollstrecker gewesen sein (und sie waren es), aber war Hitler nicht der „willige Vollstrecker“ des Selbstverrats der Kirche? Der Antisemitismus hat kirchliche Wurzeln, Deutschland war nur das Treibhaus, in dem diese Pflanze zu ihrer vollen Pracht sich entfalten konnte.
Kann es sein, daß das Hethitische, in dem das Neutrum durch den Verzicht auf die grammatische Geschlechtertrennung erkauft war, zur Ursprungsgeschichte der indoeuropäischen Sprachen gehört? Ist der Ursprung des Neutrum durch die sprachliche Verdrängung des Weiblichen vermittelt (das in der Folge dann nur in dritten Person wieder erscheint, während im Hebräischen die Geschlechtertrennung auch in der zweiten Person noch gilt)?
Wenn Hitler in der „Masse“ eine weibliche Komponente erkannte, steckt darin nicht die merkwürdige sprachlogische Beziehung des Feminimum zum Plural im Deutschen? Beim bestimmten Artikel, wo das Femininum zur Grundlage des Plural geworden ist, erscheint im Genitiv und Dativ des femininen Artikels die Nominativform, beim Plural im Genitiv die Nominativ-, im Dativ die Akkusativform (!) des singularen maskulinen Artikels, in beiden Fällen sind Eigentum und Herrschaft sowie das Geben, Gewähren, auf einen männlichen Adressaten bezogen. Es ist davon auszugehen, daß diese sprachlichen Beziehungen nicht zufällig sind, daß es sich nicht nur um äquivoke Beziehungen handelt, sondern (wie auch im „Sein“, das sowohl den Infinitiv des Hilfsverbs wie auch das Possessivpronomen der dritten Person singular bezeichnet) sprachlogische Beziehung, die zu entschlüsseln wäre. Nicht auszuschließen, daß die Ontologisierung einer männlichen Possessivbeziehung im Namen des Seins den Schlüssel hierzu liefert.
Der Rassismus blendet die Herrschaftskritik aus, er erspart sich die Reflexion dadurch, daß er einem sprachgeschichtlichen Sachverhalt einen biologischen substituiert. Die Logik dieser Substitution ist im Weltbegriff vorgebildet, durch den Weltbegriff determiniert. Im Grunde ist jede Sprachforschung, die die Geschichte der Sprache vom herrschaftsgeschichtlichen Prozeß trennt und an die Geschichte von Völkern und Stämmen bindet, immer noch rassistisch.
Hat nicht die lateinische Sprache, und zwar unter einem großen sprachlogischen Zwang, das Evangelium durchs Dogma ersetzt?
Der Satz, daß der Menschensohn Herr des Sabbath ist, hat etwas mit der Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern (die ebenso wie der Sabbath auf das antike moralisch-kosmologische Verständnis des Planetensystems, auf die Astrologie, verweist) zu tun.
Wachet und betet: Ist das nicht die Aufforderung zur Erinnerungsarbeit? Der Nazi-Slogan „Deutschland erwache“, der eigentlich auf das vollständige Vergessen, auf die Unterdrückung des Eingedenkens, zielte, ist das Produkt einer schrecklichen Verschiebung. Dieses „Deutschland“, das seiner nicht spotten läßt, ist der Kern und der Inbegriff einer pathologischen Empfindlichkeit, der Energielieferant der antisemitischen Wut und Aggression. Im Kern dieses Namens steckt eine, wie es scheint, unheilbare Paranoia.
Mit der Begründung seiner Entscheidung, Jude zu bleiben, hat Franz Rosenwzeig gleichzeitig Vorkehrungen getroffen gegen ein Mißverständnis des Sterns der Erlösung. Er hat jedes missionarische Verständnis dieses Buches im Vorhinein ausgeschlossen, er hat der Proselytenmacherei, aber auch einem etwaigen Wunsch eines Christen, nach der Lektüre dieses Buches zum Judentum zu konvertieren, einen Riegel vorgesetzt, der nicht mehr zu lösen ist. Aber war der Preis dieser Abgrenzung, die Bindung des Jüdischen ans Blut, nicht zu hoch?
Das griechische physis ist männlich, das lateinische natura (wie die daraus abgeleitete Natur) feminin; darin spiegelt sich die unterschiedliche Sprachwurzel, die im Griechischen auf die Zeugung, im Lateinischen auf die Geburt verweist. kosmos und mundus sind beide männlich, die deutsche Welt ist feminin. Kann es sein (und hängt das hiermit zusammen), daß die Namen der Nationen im Deutschen (wie der Name mizrajim im Hebräischen – heißt deshalb der ägyptische König Pharao?) Kollektivnamen sind, während sie in den alten (und in den anderen europäischen) Sprachen sonst durch ein grammatisches Geschlecht bestimmte individuelle Begriffe sind? Liegt nicht die Schwierigkeit (und der Wendepunkt) darin, daß der logische Status der Namen der Nationen zusammen mit dem mittelalterlichen „Realismus“, der den Begriffen objektive Realität zuerkannte, in der Ursprungsgeschichte des den Nominalismus begründenden Inertialsystems obsolet geworden und untergegangen ist?
Im Deutschen sind die Namen der Nationen Kollektivbegriffe und Totalitätsbegriffe zugleich, die wie die Gattungsnamen durch Gebrauch des (bestimmten oder unbestimmten) Artikels auf die „Exemplare“ der Nation (oder der Gattung) sich beziehen. Sie sind eigentlich hypostasierte Adjektive: sie drücken eine gemeinsame Eigenschaft unterschiedlicher Individuen aus. Nationen stehen wie Gattungen in Konkurrenz zum Weltbegriff …
In welcher Beziehung stehen Nationennamen zu den Abstrakta, zur Hypostasierung von Eigenschaften, die in der Regel mit Suffixen wie -heit oder -keit gebildet werden? Welche sprachlogische Bedeutung haben die Bildungen auf -tum (wie Deutschtum, Judentum, Heidentum, aber auch Reichtum, Eigentum u.ä.)?
Sind nicht das Gerundium, auch das Supinum (die nicht auf Ei-genschaften, sondern auf Tätigkeiten sich beziehen), lateinische Vorläufer dieser Abstrakta? In imperialen Zusammenhang werden die Abstrakta durch ihre Beziehung auf Eigenschaften (die zusammen mit dem Dingbegriff sich konstituieren) gerückt, die die Dinge beherrschbar machen (Zusammenhang mit dem Ursprung des Trägheitsprinzips).
Sind die philosophischen Akzidentien nicht die ersten hypostasierten Adjektive?
Der Unterschied zwischen physis und natura drückt in der Frage sich aus, ob Eigenschaften durch Zeugung oder durch Geburt vererbt werden. (Hat nicht die Trinitätslehre diese beiden Aspekte getrennt: der innertrinitarischen Zeugung ohne Geburt entsprach die homousia, der irdischen Geburt ohne Zeugung die Inkarnation, die Menschlichkeit des Gottessohns. Und wenn Paulus „Römer von Geburt“ war, war er dann nicht Römer „von Natur“, und konnte die Geburt nicht durch eine Adoption ersetzt werden?)
Die Ware, die nur noch Exemplar eines Kollektivs ist, so daß die Exemplare nicht mehr von einander sich unterscheiden lassen (eines Kollektivs von Dingen mit identischen Eigenschaften, in denen das Wesen und die Qualität der Ware begründet ist), ist weiblich! Waren nicht Sklavinnen die ersten Waren? – Wie hängt der Name einer Nation mit dem eines Markenartikels zusammen, der ihn heute zu beerben scheint?
Hängt die Ware mit dem Imperfekt von Sein („war“) zusammen wie das Possessivpronomen der dritten Person männlich mit dem Infinitiv Sein?
War nicht der Name Edom („Roter“) der erste auf eine Eigenschaft gegründete Name (und Edom war der Name der ersten Königtümer, später der Deckname für Rom)? Im Lateinischen entspricht ihm der Name Rufus! (Simon von Cyrene war der Vater des Alexander und des Rufus: Klingen darin der Hellenismus und das Römische Reich an? – Paulus hatte mit Rufus eine gemeinsame Mutter?)
Gehören das Symbol und der Typos zum Begriff einer Erkenntnis, die an der Idee der Auferstehung sich orientiert (die Idee der Auferstehung verändert die Erfahrung von Natur und Geschichte)? Die Idee der Auferstehung gilt nur den Andern, niemals dem, der sie hegt: Sie ist Teil der Hoffnung, die uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben ist.
Das Harmloseste, das man von den Angriff auf Adorno, den Schmid-Noerr mit völlig unzureichenden Kategorien beschreibt, sagen kann, ist, daß hier zwei Welten auf einander geprallt sind. Aber sind nicht auch in Auschwitz zwei Welten auf einander geprallt? Ich befürchte, daß man nicht ausschließen kann, daß das Bewußtsein, daß Adorno Jude war, mit hereingespielt hat. Ich würde gerne wissen, was aus den jungen Frauen geworden ist.
Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war ein Mittel, historische Prozesse reflexionsfähig zu machen; es hat dann allerdings zugleich die so reflektierte Geschichte wieder historisiert (und zwar dadurch, daß man, nach dem gleichen Prinzip, das bereits den mythischen Kosmologien zugrundelag, einem Prozeß der zweiten Natur einen der ersten substituiert hat).
Kann es sein, daß das Wort der drei Weisen aus dem Morgenland: Wir haben seinen Stern gesehen, auf ein politisches und nicht auf ein astronomisches Ereignis sich bezog? -
11.8.1996
Ist nicht die Nachkriegsgeneration in der verqueren Situation, daß sie eine Reflexion, die wir versäumt haben, nachholen müßte und es nicht kann, – weil sie den Gegenstand der Reflexion nicht kennt, und – weil wir sie zugleich der Mittel beraubt haben, mit deren Hilfe es vielleicht möglich gewesen wäre? Die Bedeutung von Sätzen hängt nicht nur von der Bedeutung der Worte ab, aus denen sie gebildet sind, sondern ebenso sehr auch von der Situation, zu der die Sätze gehören. Deshalb gibt keine Dogmen, und deshalb gibt es keine in Urteilen ausdrückbare Wahrheit. Zum Angesicht: Der Blick ist ein Teil der Kommunikation. Blick ein Kind an, und achte darauf, wie es zurückblickt: Dieser Blick spricht. (Gibt es nicht Situationen, in denen die Sprache zu einer unzulängnlichen Ausdrucksform wird?) Resurrectio naturae: Die Natur ist kein Objekt der Barmherzigkeit; sie ist kein Subjekt, darin gleicht sie den Toten. Das Eingedenken der Natur im Subjekt gilt dem Toten, das zum Leben zu erwecken wäre (und nicht der „gequälten Natur“). „Nur Gott sieht ins Herz der Menschen“, und „Wer euch angreift, greift meinen Augapfel an“: Sind diese beiden Sätze nicht durch den Antisemitismus, der mit der Vernichtung der Juden dem Angesicht Gottes sich entziehen zu können glaubt, bewiesen? Wenn der Antisemitismus darauf abzielt, den Augapfel Gottes zu vernichten, dann war Auschwitz der Versuch eines absoluten Verbrechens (vgl. Lyotard). Sind nicht die Planeten zu Planeten geworden, als sie sich die Sonne zum Feind machten? Sind die Planeten Feinde der Sonne, ist der Mond der Erde Feind, und wie steht es mit Erde und Sonne, wer kreist hier um wen (wo ist die Sonne still gestanden)? Zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos: Nach Kopernikus war die Erde Feind der Sonne (so hat das heliozentrische System zur Begründung und Legitimierung des Absolutismus beigetragen). Kopernikus war (als Astronom) Monarchist. Müßte die Demokratie nicht wieder davon ausgehen, daß die Sonne um die Erde kreist? Oder müßte sie, wenn sie endlich sich selbst begreift, nicht dieses Feindsystem ingesamt auflösen: die Klassengesellschaft? Steht der Tod der Erstgeburt unterm Zeichen des Saturn, die Finsternis und das Blut unter denen der Sonne und des Mondes? Sind die ägyptischen Plagen die Negative der Sefirot? Feindbindung und Sucht: Wie der Sexist so kommt auch der Antisemit von seinem Feind nicht mehr los. Wer in den Menschen Feindbilder erzeugt, macht sie zu Objekten der Mechanik (des Seitenblicks, der der Kommunikation ausweicht und sich entzieht) und damit beherrschbar. Die sublimste Art der Feindbild-Erzeugung ist es, sie zu anschauenden und urteilenden Wesen zu machen. Deshalb ist die kantische Unterscheidung zwischen bestimmenden und reflektierenden Urteilen so wichtig. Der Glaube, man könne den Faschismus durch Verurteilung unschädlich machen, hat seine Wurzel in dem ungeheuren Verdrängungsakt, mit dem die Deutschen am Ende des Krieges ihr Wissen von den Verbrechen der Nazis und ihre Beteiligung an ihnen glaubten loswerden zu können. Die Verurteilung als Instrument der Selbstexkulpation gehört zur Bekenntnislogik, die hier erst endgültig von ihren christlichen Ursprüngen sich abgelöst (und sie zugleich instrumentalisiert) hat. So fanden sich Täter und Opfer in der Gemeinschaft der Verurteilenden wieder. Was (im Hinblick auf Filbinger) einmal das „pathologisch gute Gewissen“ genannt worden ist, gründet in dieser Verurteilungsstrategie. Aber war diese Problemlösungsstrategie nicht doch nur auf der high-brow-Ebene (vor allem in der Politik und an den Universitäten) anwendbar, während unten der Antisemitismus teils im Anblick von Auschwitz wirklich sich aufgelöst hat, teils allerdings nur in die Potentialität zurückgedrängt wurde (und das insbesondere bei denen, die aktiven Anteil an den Verbrechen, die sie nie als Verbrechen wahrgenommen haben, gehabt hatten, bei denen die Verdrängung ein Teil, mehr noch: die Voraussetzung der Tat war)? Diese Problemlösungsstrategie aber hat die Probleme nicht wirklich gelöst, sondern nur auf die folgenden Generationen verschoben. Ich hätte mir gewünscht, daß dieser Sachverhalt, zumal Birgit Hogefeld ihn selbst angesprochen hat, in dem Bändchen „Versuche, die RAF zu verstehen“ thematisiert worden wäre. Die wütenden Reaktionen auf die Untersuchungen von Daniel Goldhagen sind ein weiteres Indiz für die Unwirksamkeit aller Problemlösungsstrategien, die, auf der Grundlage und unter dem Bann der Bekenntnislogik, sich allein des Instruments der Verurteilung bedienen. Die dritte Leugung oder der verdorrte Feigenbaum: Ist nicht der kollektive Verdrängungsakt am Ende des Krieges in Deutschland durch eine Logik (durch die „pharisäische“ Logik der kollektiven Verurteilung) abgesichert worden, die die Bekenntnislogik von der Theologie getrennt, damit der Theologie endgültig den Boden entzogen und den Nachgeborenen jede Chance genommen hat, an die Sache überhaupt noch heranzukommen (die die Bekenntnislogik zum Instrument der Selbstverfluchung gemacht hat)? Als Heidegger die Angst (zur Unterscheidung von der Furcht) als objektlos definierte, hat er ihrer Reflexion (und damit der Reflexion der Schuld und der Herrschaft, die den Zeitkern der Wahrheit ins Licht rückt) den Weg verstellt. Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung Produkt und Instrument der Abstraktion von dieser dreifachen Reflexion? Stammheim oder das Haus des Seins: Die „Fundamentalontologie“ ist die Selbstreflexion der Isolationshaft des Denkens im Hochsicherheitstrakt der subjektiven Formen der Anschauung (die Kritik der reinen Vernunft war der erste Ausbruchsversuch).
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09.08.1996
Rasenpflege: Der Historiker läßt über die Vergangenheit Gras wachsen.
Die Frankfurter Schule hat es nie gegeben; was so heißt, ist die organisierte Selbstverleugnung der Frankfurter Schule.
Historismus als Instrument der Entlastung: Darin gründete die Nähe der historischen Bibel-Kritik zum Antisemitismus.
Hier gilt das Gleiche, das auch für Teile der Zeitgeschichtsforschung gilt, die automatisch: durch die Objektivierung und Historisierung des Geschehenen, zur Selbstentlastung beiträgt; das Entscheidende (das, was am Vergangenen nicht vergeht: das Objekt des Eingedenkens) ist nicht objektivierbar, fällt durch die Maschen.
Karl Thieme hat einmal gegen von Ranke darauf hingewiesen, daß die Frage, „wie es denn eigentlich gewesen ist“, das „Was“ unterschlägt: Zum Es wird neutralisiert, worauf es ankommt: Zu erkennen, was geschehen ist? Wird nicht durchs Verfahren der Objektivierung die Geschichte auf die Geschichte der Sieger, auf Herrschaftsgeschichte reduziert, ist deshalb alle Geschichtsschreibung nationalistisch?
Die unsägliche Diskussion, ob es zur „Endlösung der Judenfrage“ einen Befehl Hitlers gegeben habe, war schon von der Intention (vom Beweisanliegen) her obsolet. Die Alternative, unter der sie steht, war falsch: Entweder war Hitler der Verantwortliche (und alle anderen haben nur Befehle ausgeführt), oder es war ein automatischer Ablauf (und alle Beteiligten nur Rädchen in einer ohne ihr Wissen und ihren Willen ablaufenden Maschinerie).
Zum Problem der „Identitätsbildung“, das Jörg Rüsen anspricht: Entzieht das Geschehene nicht diesem Problem generell den Boden? Wer nach Auschwitz noch davon ausgeht, daß Geschichte dazu beitragen könne, das Problem der nationalen Identität der Deutschen zu lösen, leugnet Auschwitz.
Verhalten sich nicht die Kritiker Goldhagens wie die Eltern, die bestimmte Fragen ihrer Kinder nur noch als unverschämt empfinden? Und was die Kritiker an diesem Buch so ärgert, ist ihr wohl nicht unbegründeter Eindruck, daß es solche, von ihnen als unverschämt empfundene Fragen auslöst. Damit scheint der Eindruck des „Fürsorg-lichen“, Pädagogischen, um nicht zu sagen der Bevormundung, zusammenzuhängen, den der Tonfall bei fast allen Kritikern erweckt, so als müßten die kranken Leser vor schädlichen Einflüssen in Schutz genommen werden. Fast möchte es scheinen, als sei nicht der Autor, sondern als seien die Leser die Adressaten dieser Kritiken, die vor einer möglichen Ansteckung gewarnt werden sollen, und denen man vorsorglich einige Verhüterli anbietet.
Gibt diese Art der Kritik nicht Anlaß, über das Problem der Metaphorik noch einmal nachzudenken? Es gibt eine Art der Metaphorik, die einer verdeckten Strategie gehorcht (der Rückschluß auf Rechtfertigungszwänge, von denen eine vergleichbare kommunikationslogische Wirkung ausgeht, ist naheliegend): Umgangssprachlich scheint das gemeint zu sein, wenn man sagt, daß einer „durch die Blume“ spricht. Hier ist die Sache, über die gesprochen wird, nicht die Sache, die gemeint ist, weil diese Sache nicht offen ausgesprochen werden kann. Wer das nicht durchschaut und meint, es ginge um die Sache, über die gesprochen wird, sitzt schon in der Falle drin.
Kehrt hier nicht ein Rätsel der Theologie-Geschichte wieder, ein Rätsel, das aus der Dogmen-Geschichte, der Geschichte der „Widerlegung“ und Verurteilung der Häresien bekannt ist: Es gibt weite Bereiche, in denen es Theologen wie Historikern auf Genauigkeit gar nicht so sehr ankommt. Aber an welchen Punkten wird’s ungemütlich, wann und wo wird’s ernst, werden die Fragen und die Urteile rigide?
Wem der Schrecken so in die Glieder gefahren ist, daß er davon nicht loskommt, kennt die Erfahrung, daß es Punkte gibt, an denen er auf Abwehr und Schweigen, wenn nicht auf Wut stößt. Das Problem der Historiker ist es, daß diese Vergangenheit nicht vergangen ist, sich nicht in die Objektivität der Vergangenheit bannen läßt (sind die Historiker die „Toten, die ihre Toten begraben“, und kann man diesem Satz in diesem Zusammenhang vielleicht doch noch einen positiven Sinn abgewinnen? Repräsentieren die Väter in den Evangelien die Geschichte? Ist der Satz nicht auch anwendbar auf die Kirche?).
Gibt es nicht wirklich so etwas wie die Tücke oder die Rache des Objekts; und gehört nicht Hegels „Weltgericht“ – als Totalität der logisch durchorganisierten Rache des Objekts – in diesen Zusammenhang? Ist nicht Hegels Weltgericht ein spätes Echo der Gewalt, die die Schöpfung einleitet und das tohuwabohu und die Finsternis über dem Abgrund hervorruft? Und ist das Jesaja-Wort „Ich bin der Herr und keiner sonst, der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und Unheil schaffe, ich bin’s, der Herr, der dies alles wirkt“ (457) ein Hinweis auf den Schöpfungs-Rhythmus von Katastrophe und Rettung? Und ist nicht die Bedingung der Rettung die Wahrnehmung der Katastrophe (vgl. Jürgen Ebachs Hinweis zu Lots Weib; gibt es hier nicht einen Zusammenhang mit der merkwürdigen Rolle der Väter in den Evangelien?). Unterscheidet sich nicht die Apokalypse von der Prophetie durch die „Wahrnehmung der Katastrophe“? – Die Zuschauer sind die Väter und die Richter, während Mütter die Mitleidenden, die Barmherzigen sind.
Wäre es nicht sinnvoll gewesen, in die „Versuche, die RAF zu verstehen“ auch Texte der Mütter oder überhaupt einer Frau mit aufzunehmen? – Bemerkenswert, daß der Senat in keinem Falle etwas gegen Ausfälle von Seiten der Anklagevertreter gegen Prozeß-Besucher, gegen die Mutter der Angeklagten oder zuletzt gegen einen Zeugen eingegriffen hat, während er jeden Versuch, die Vorgänge in Bad Kleinen aufzuklären, rigoros unterbunden hat, und daß, obwohl er die Anklage gegen Birgit Hogefeld wegen Beteiligung am Mord an dem GSG-9-Beamten Newrzella trotz offenkundiger Widersinnigkeit zugelassen hat, eine Anklage, zu deren Hintergrund die Kenntnis des gesamten Vorgangs in Bad Kleinen gehört, nicht nur das isolierte Faktum eines bis heute nicht nachgewiesenen „Mords“ (die Tatsache, daß das Gericht sich diesen Mord sehr gut vorstellen kann, ist noch kein Beweis). Hätte dieser Senat nicht auch die Chance, sich auf die friedenstiftende Kraft des Rechts zu besinnen? Statt dessen hat er die Verhandlung in ein Kant-Seminar umfunktioniert: in eine praktische Übung zur Frage der Konstruktion synthetischer Urteile apriori, in deren Kontext schon Kant zufolge die Dinge, wie sie an sich sein mögen, nicht erkennbar sind. Auch die Philosophie hat nicht nur seit je den Tod verdrängt, sie hat auch das Mitleid, die Fähigkeit, in andere sich hineinzuversetzen, nie gekannt (der Kampf der Philosophie gegen das Vorurteil, war ein Kampf gegen die Vorurteile, die dem reibungslosen Ablauf des Geschäfts und dem Prinzip der Selbsterhaltung im Wege standen). Die Philosophie hat seit je das Urteil zum Maß der Wahrheit gemacht, sie hat von der Hemmung des Urteils durch das Mitleid und das verteidigende Denken seit je abstrahiert.
Hat das „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ etwas mit Adam, dem Staub und der Schlange zu tun?
Kann es sein, daß das Symbol der Taube, die das Opfer der Armen war, auch in der Geschichte von der armen Witwe, die ihr letztes Scherflein in den Opferstock wirft, noch nachklingt? Ist nicht der Heilige Geist der Inbegriff und die letzte Verkörperung des Satzes „Barmherzigkeit, nicht Opfer“? Vgl hierzu noch einmal die Geschichte mit Zacharias: Er brachte das Rauchopfer dar (das die „Gebete der Heiligen“ symbolisiert), als der Engel Gabriel ihm die Geburt des Johannes ankündigte; und die andere Geschichte: Was geschah, als nach der Geburt Jesu die Tauben geopfert wurden (die Geschichten mit Simeon und Anna, der Tochter Penuels, aus dem Stamme Asser, „etwa 84 Jahre alt“)?
Zur Rekonstruktion des Antisemitismus wäre es wichtig, den logischen Zusammenhang zu begreifen, der den modernen Nationalismus mit dem Rassismus verbindet. Der Nationalismus, selber ein Produkt des Weltbegriffs und der säkularisierten Bekenntnislogik, ist der Nährboden des Antisemitismus, die Umschlagstelle des Schuldverschubsystems, der das projektive Moment im rassistischen Antisemitismus logisch begründet. -
2.8.96
Credo, quia absurdum: Die Bekenntnislogik entspringt in einer Konstellation, in der ich selbst mich mit den Anderen identifiziere, „vor denen“ ich „das Bekenntnis ablege“: mit der Welt, die das Bekenntnis nicht versteht. Die Bekenntnislogik ist die Logik des Schuldverschubsystems: sie lädt der Welt die Sünde auf, anstatt die Sünde der Welt auf sich zu nehmen, und beruhigt sich in dem Glauben, daß Jesus, das „Lamm Gottes“, die Sünde der Welt „hinweggenommen“ hat. Die Bekenntnislogik ist die Umkehrung der Versöhnung. – Steht das Verhältnis der Kirchen zu ihren Vergangenheiten bis hin zu Auschwitz nicht unter dem Gesetz dieser Bekenntnislogik, der Logik der Konfessionalisierung und damit der systematischen Verweigerung der Erinnerung, des Eingedenkens? Im Kontext der Bekenntnislogik werden Vergangenheiten immer nur überwunden oder bewältigt, nicht erinnert. „Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt …“ (Mk 838): Steht nicht die Bekenntnislogik unter dem Gesetz dieser Scham? Und die Konsequenz: „dessen wird sich auch der Menschensohn schämen“ bezeichnet einen einfachen logischen Sachverhalt, sie ist nicht Ausdruck eines Rachetriebs (nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir), zu dem sie erst auf der Grundlage der Bekenntnislogik wird. Die Salbung in Bethanien (Mk 143ff, vgl. Bedenbender in TuK 67, S. 51): Ist sie nicht Totensalbung und die Salbung des Messias (des Gesalbten) zugleich? Ton Veerkamp zitiert in TuK 67, S. 53 die drei Stellen in der hebräischen Bibel, an denen das Verb nippasch, „aufatmen, beseelen“ vorkommt. Die eine bezieht sich auf David (2 Sam 1614), eine weitere auf Gott, der am siebten Tage „aufatmete“ (Ex 3117) und die dritte auf Ex 2310, „wo der Sohn der Dienstmagd und der Fremde ‚beseelt‘ werden“. Der letzte Vers lautet vollständig: „Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun, am siebten Tage aber sollst du feiern, damit dein Rind und dein Esel ruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremdling aufatmen können“ (Übersetzung nach Zürcher Bibel). Verweisen Rind und Esel auf Joch und Last, der Sohn der Sklavin und der Fremdling auf den Sohn Marias und die Heiden? Hat nicht die Bemerkung Ton Veerkamps, daß „am Schabbath … unsere Maschinerie relativiert (wird)“ und „die strukturlose Zeit … die tödliche Bedrohung aller Menschheit (ist)“, auch „erkenntnistheoretische“ Konsequenzen: rühren sie nicht an das Problem des Inertialsystems, an die Vergegenständlichung der Zeit, die Konstituierung der Vorstellung des Zeitkontinuums durch Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: durch dein Blick von außen auf die Dinge (den Seitenblick, den Blick des Andern. den verandernden Blick)? In dieser Konstellation liegt die ungeheure Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das an die innere Grenze dieses Systems rührt und auf die Sphäre verweist, die dem „Seitenblick“, dem verandernden Blick, sich entzieht. Die Natur kann den Begriff nicht halten: sie löst sich auf mit der Erkenntnis des Namens; die Welt kann das Objekt nicht halten: sie ist der Inbegriff der Verblendung, die mit der Auferstehung der Toten und im Leuchten Seines Angesichts vergeht.
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29.7.96
War Johannes nicht „der Jünger, den der Herr liebhat“, und auch der, von dem er sagte: „Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich wiederkomme, was geht das dich an“, nach einer Tradition, an die Karl Thieme erinnert hat, der Typos der Juden (Petrus hingegen der Typos der Kirche)? Hat nicht die Kirche mit der Rezeption des Hellenismus das gleiche Scheusal verinnerlicht, gegen das einmal der Aufstand der Makkabäer sich richtete?
Man muß von der Vorstellung Abstand nehmen, daß in einer seit je bestehenden und immer sich gleichbleibenden Welt, die gleichsam nur als Bühne fungiert, die politischen Änderungen dann sich abspielten. Es waren politische Ereignisse, Prozesse und Veränderungen, die den Weltbegriff, die Spiegelung und Legitimierung der Herrschaftsstrukturen im Objekt, hervorgebracht und mit verändert haben. Die Kosmogonien, die mythischen Weltentstehungserzählungen, sind nicht nur unwahr: Sie reflektieren die mit der Entstehung der politischen Herrschaftsstrukturen verbundene Geschichte des Ursprungs des Weltbegriffs. Deshalb war der biblische Schöpfungsbericht ein Teil der Kritik der Idolatrie, der im Götzen-, Sternen- und Opferdienst sedimentierten Herrschaftsideologie. Hängt die Unfähigkeit, den Zusammenhang zwischen dem Reichtum der Metropole und der Armut in der Dritten Welt überhaupt wahrzunehmen, nicht mit dem Naturbegriff zusammen, mit dem die Herrschenden vor dem Erkanntwerden und schließlich vor der Selbstwahrnehmung sich schützen? Und beschreibt nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos genau diesen Prozeß (und damit auch den Prozeß der Konstituierung des Naturbegriffs)? Ton Veerkamps „Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ wird widerlegt durch den anderen Satz: Das Vergangene (die Verhärtung des Herzens Pharaos, der Kreuzestod Jesu, der Faschismus und Auschwitz) ist nicht nur vergangen.
Deshalb ist Theologie ohne Erinnerungsarbeit nicht möglich, aber diese Erinnerungsarbeit (und damit die Theologie) zielt aufs Begreifen der Gegenwart (nicht des Überzeitlichen).
Wird nicht das Erzählen zum Mythos, wenn man die Halacha von Haggada trennt (durch den Rechtfertigungszwang, unter dem alles Erzählen steht: es entlastet)? Dieses Erzählen erzeugt aus sich selbst den Bann der Schicksals, dessen Logik es dann nicht mehr zu entrinnen vermag.
Die Lehrerfrage, die Schülern die Literatur verekelt: „Was wollte der Autor damit sagen?“ findet sich heute auch bei Theologen, die unterstellen, ein biblischer Autor habe nicht das gesagt, was er gesagt hat, sondern etwas gemeint, was von dem, was er gesagt hat, noch unterschieden sei; die meinen, es käme darauf an zu erkennen, was er hat sagen wollen, als wäre das etwas anderes als das, was er gesagt hat. Es ist der allwissende Theologe, der die geheime Absicht des biblischen Autors besser zu kennen vorgibt als der Autor selber. Er erweckt den Eindruck, erst wir wüßten wirklich, was der biblische Autor mit den damaligen, noch unzulänglichen Mitteln noch nicht so deutlich habe ausdrücken können, wie wir es heute können. So heißt es an einer Stelle im neuen katholischen Weltkatechismus (ich zitiere sinngemäß), der Autor der Genesis habe den an sich klaren Sachverhalt, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat, nur undeutlich (in der „Sprache seiner Zeit“) mit dem Satz, daß Gott im Anfang den Himmel und die Erde erschuf, wiedergegeben, vielleicht weil ihn seine Zeitgenossen, die noch in im Bann eines mythischen Weltbildes lebten, sonst nicht verstanden hätten. Aber gibt es einen undeutlicheren Satz als den, daß Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat? Bewußtsein ist falsches Bewußtsein, und das „naturwissenschaftliche Weltbild“ die Finsternis über dem Abgrund der Geschichte. Bewußtsein ist falsches Bewußtsein, weil es vom Hören abstrahiert. Das Credo spricht die Sprache des Bewußtseins. Wenn ich etwas „bewußt“ sage, sage ich etwas anderes als ich meine, verfolge ich mit dem, was ich sage, eine Absicht, die ich zugleich verberge, ist für mich die Sprache ein bloßes Instrument, aber unfähig, die Wahrheit auszudrücken. Kein Bewußtsein ohne „Hintergedanken“, ohne List, ohne Ziele, die im Dunkeln bleiben. Das Bewußtsein spricht durch die Blume. Erst seit es das Bewußtsein gibt, gibt es die Psychologie, die Frage nach dem, was sich „hinter“ den manifesten Äußerungen des Bewußtseins verbirgt. Wer von einem biblischen Text sagt, daß der Autor „bewußt“ etwas sage oder nicht sage, kreuzigt das Wort. -
27.7.96
„Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (Ton Veerkamp, TuK 70, S. 23): Heißt das, daß, wenn Primo Levi seine Erinnerungen nicht niedergeschrieben hätte, Auschwitz „nicht passiert“ wäre? Heißt das, daß, wenn der 5. Strafsenat des OLG in Frankfurt jede Nachfrage nach dem, was in Bad Kleinen wirklich geschehen ist, wenn das Erzählen unterdrückt wird, dann auch die Ereignisse ungeschehen zu machen sind? Begründet dieser Satz nicht die Logik des Namens: Nestbeschmutzer? Begründet er nicht die Hoffnung der Täter (die Hoffnung, deren Logik Lyotard in seinen an Auschwitz anschließenden Reflexionen über das „vollendete Verbrechen“, das die Tat ungeschehen zu machen hofft, indem es auch die Zeugen aus der Welt schafft, untersucht, eine Untersuchung, die auch Licht in die Logik der frühchristlichen Märtyrer-Geschichte <und in die Umkehrung dieser Logik in der Gestalt des Confessors, der den Märtyrer ablöst> bringt)?
Zahl und Schein: Wie hängt der Begriff der Erzählung mit dem der Erscheinung zusammen? Ist nicht das Organisationsprinzip der ersten die Form der inneren Anschauung (die chronologische Einheit der Erzählung), das der zweiten hingegen die der äußeren Anschauung (die räumliche Einheit, in welche die Naturprozesse durch Verräumlichung der Zeit mit hereingezogen werden)? Erscheinungen sind Erscheinungen im Raum (ihre Gegenwart ist die der Präsenz des Objekts), während Erzählungen als Vergegenwärtigung von Vergangenem deren Gegenwart (nicht das Vergangene selber) als eine sprachliche, als erinnerte Gegenwart erst herstellt.
Dem kontemplativen Erzählen des Vergangenen entspricht das Beschreiben des Gegenwärtigen: In welcher Beziehung steht das Zählen zum Schreiben?
Das Erzählen, das heute notwendig wäre, hätte das Prinzip der chronologischen Einheit mit zu reflektieren.
Kann es sein, daß die Vorstellung sich widerlegen läßt, daß dem Niederschreiben einer Erzählung (des homerischen Epos oder der biblischen Erzählungen) eine Phase der mündlichen Tradition vorausgeht? Ist nicht vielleicht doch das Erzählen ein Produkt der Schrift? Wie hängen Epos, Astronomie und Schrift mit einander zusammen? Ist die Hieroglyphen-Schrift (und ihre Beziehung zum Tempel, deren Wände sie ziert) der Grund dafür, daß Ägypten kein Epos hervorgebracht hat, statt dessen die Pyramiden?
Zwischen der Himmelfahrt Jesu und Pfingsten liegt nur die Wahl des Zwölften, der stumm bleibt, und von dem dann nichts mehr erzählt wird. Der Zwölfte (sein Name war Matthias) füllt die Stelle aus, die durch den Verrat des Judas Iskariot freigeworden ist.
Ist das Interesse zu erfahren, was denn wirklich passiert ist, so unerheblich? Gehört nicht die Spannung zwischen dem Erzählten und dem Geschehenen, die nicht aufhebbar ist, zur Wahrheit des Erzählten (zur Wahrheit dessen, was geschehen ist)? Es geht nicht um die nackten Tatsachen, aber auch nicht nur um das Kleid, das die Nacktheit verdeckt (die Legende), sondern um das Unerlöste in der Beziehung beider: um die Erfüllung des Worts, mit der das Vergangene erlöst wird, sich vollendet.
Hatte der Greuel, das Scheusal der Ägypter, das nach dem Wort des Moses an Pharao die Israeliten am dritten Tag nach dem Auszug aus Ägypten opfern wollten, etwas mit der „Sünde der Welt“ zu tun? Ist nicht der Weltbegriff der Inbegriff der Begriffe, Gesetze und Strukturen, in denen die Vergangenheit fortschreitend Macht über die Dinge gewinnt, der Inbegriff der die Dinge verschuldenden Gewalt; und ist das nicht der Feind, dem die Wahrheit immer erneut abgerungen werden muß? Die Erzählung ist nicht die Welt, aber sie lebt von der Spannung zur Welt.
Karl Thieme hat einmal gegen das berühmte Wort Leopold von Rankes darauf hingewiesen, es komme nicht darauf an, zu erkennen, wie es eigentlich gewesen sei, sondern was eigentlich geschehen ist. (Biblische Religion heute, Heidelberg 1960, S. 181) Auf dieses Was zielt die Erinnerungsarbeit, aus der das Erzählen sich nährt, auch wenn sie nicht nur im Erzählen sich äußert. Ist nicht jede Theologie, die diesen Namen verdient, Erinnerungsarbeit, und die Schrift der Schlüssel, der die Pforten der Erinnerung öffnet?
Haben das Wasser und das Trockene (des dritten Tages) etwas mit dem Was und dem Wer, die nach kabbalistischer Tradition im Namen des Himmels gründen, zu tun?
„Persönlichkeit“: Hierzu wäre an Rosenzweigs Bemerkungen zu diesem „höchsten Glück der Erdenkinder“ zu erinnern, zugleich aber daran, daß nicht sie, sondern die „Kinder Gottes“ es sind, auf deren Freiheit dem Römerbrief zufolge die ganze Schöpfung wartet. Jesus mag der Sohn Gottes gewesen sein, aber er war gewiß keine Persönlichkeit. Sprachgeschichtlich dürfte der Begriff der Persönlichkeit auf den gemeinsamen Ursprung mit der Ausgliederung und der Verselbständigung der Personalpronomina in den modernen Sprachen zurückweisen. Er verdankt sich der gleichen logischen Bewegung, der auch die Herauslösung des „Ich“ aus seinem dialogischen Kontext und seine idealistische Hypostasierung sich verdankt. Im Begriff der Persönlichkeit enthüllt sich das idealistische Absolute als Gattungsbegriff (und der Begriff der Zeugung im christlichen Dogma als deren theologischer Reflex). Frage: Wer ist das Ich im kantischen Begriff des transzendentalen Subjekt, im „ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“? Ist es nicht ein männliches Subjekt, das gegen alle „seine“ Vorstellungen als selbständiges, „autonomes“ Subjekt sich muß behaupten können, und ist es nicht das bürgerliche Subjekt, das es sich leisten kann, Herr all seiner Handlungen (und nicht das Objekt seiner Begierden und Triebe) zu sein? Schließt dieses Ich (das Ich der Persönlichkeit), ähnlich wie der frühchristliche „Confessor“, aus dem es sich herleitet, nicht ebenso wie die Frauen auch die Juden (und natürlich die Häretiker) von sich aus?
Das Sein, der Gegenstand der Ontologie, ist ein durch Neutralisierung unkenntlich gemachtes Maskulinum und zugleich ein von der Beziehung auf ein bestimmtes Subjekt abgelöstes (und so ebenfalls unkenntlich gemachtes) Possessivpronomen, und die Ontologie selber der Statthalter des Patriarchats in der Philosophie. Das Sein steht zwar völlig nackt da, aber es verbirgt sein Geschlecht durch das magische Verbot, es wahrzunehmen: durchs Verbot der Sprachreflexion, das zu den logischen Gründen des Rassismus gehört (der Wirkung dieses Verbots schienen Nazis nicht ganz zu trauen, die, wenn sie in Uniform fotografiert wurden, ihre Hände davor hielten).
Die Gravitation und das Selbstgefühl gründen in der Oben-Unten-Beziehung, während das Sehen (in dem die Schwere nicht erscheint) auf den Horizont und die vier Himmelsrichtungen verweist. Zur Befreiung des Sehens („da gingen ihnen die Augen auf“) gehört der aufrechte Gang.
Die Beziehung des Sehens zur Schwere reflektiert sich in der des Trägheitsprinzips zur Schwere (im Verhältnis der trägen zu schweren Masse, deren Identität der Einheit des Inertialsystems sich verdankt), auch in der des Tauschprinzips zur Schuldknechtschaft (die ihre Einheit außer sich, im Geld, erst finden).
Ist es nicht der Hahn, der einen Sünder vom Irrweg bekehrt? Und wie hängt die Geschichte von der Maria Magdalena und den Frauen, die hinausgingen, um den Leichnam Jesu zu salben, mit der Geschichte der drei Leugnungen Petri zusammen?
Wenn der Kreuzestod auf die Zerstörung Jerusalems verweist, verweist er dann nicht auch auf Auschwitz?
„Allein den Betern kann es noch gelingen, …“: Kann es sein, daß das Wort „Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein“ sich auf die Heiligung des Gottesnamens bezieht?
Die dritte Leugnung: Heute hält selbst sich die Theologie die Theologie vom Leibe, mit der Folge, daß sie unfähig geworden ist, in der Verhärtung des Herzens Pharaos die eigene wiederzuerkennen.
Als Hegel aus dem transzendentalen Subjekt (dem Ich in Kants „ich denke, …“) die Idee des Absoluten entwickelte, stieß er zwangsläufig auf Strukturen, die identisch waren mit denen des Dogmas, der Orthodoxie.
Hängt nicht Wittgensteins Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ mit der Schellingschen Formulierung, die Zukunft werde „geahndet“, zusammen, und erfüllen sich nicht beide aufs entsetzlichste in einer Welt, die die Zukunft verrät?
Ist nicht dieses „Ahnden“ eine logische Folge der Schellingschen Naturphilosophie, die den Schuldzusammenhang universal gemacht hat?
Natur und Moral: Die Urteilsmoral ist die Folge eines Selbstverständnisses, dem die eigenen Interessen und das eigene Handeln zur reinen, gegen jede moralische Reflexion immunen Natur geworden sind, zu „Sachzwängen“, deren Objekt es bloß ist. Es gehorcht nur den Gesetzen der Selbsterhaltung. Moral ist als Urteilsmoral (als „Wertethik“) Moral für andere: die Moral des steinernen Herzens, dem die Barmherzigkeit, die Fähigkeit, in den andern sich hineinzuversetzen, gegenstandslos und zum flatus vocis geworden ist. Der ökonomische Grund dieser logischen Konstruktion läßt an den Argumenten sich ablesen, mit denen die Sprecher aus Wirtschaft und Politik die Notwendigkeit des Sparens aus den Taschen der anderen begründen. Ist nicht Natur, insbesondere auch die, die die Gesetze diktiert, nach denen ich vorgebe, zu handeln gezwungen zu sein, seit dem Ursprung ihres Begriffs das Korrelat des steinernen Herzens? Deshalb wird es eine Theologie, die diesen Namen verdient, ohne Kritik der „Naturwissenschaft“ nicht mehr geben. -
26.7.96
Das Ende des Messianismus manifestiert sich im Werk des Paulus, nicht bei den Evangelisten (TuK 70).
Ist die paulinische „Rechtfertigung durch Glauben“ nicht der Ausdruck einer tiefen Verzweiflung darüber, daß das Wort und das Handeln (die Thora, das Gesetz und das Tun) nicht mehr zusammenzubringen sind?
Waren die Evangelien nicht u.a. deshalb notwendig, weil nach Paulus das Christentum – aufgrund der Abstraktion von der Lehre Jesu – zu einer magischen Religion (zu einer Opfer- oder Mysterienreligion) zu werden drohte?
Ist nicht das Wort von dem einen Sünder, über dessen Bekehrung im Himmel mehr Freude herrscht als über 99 Gerechte, ein antipaulinisches Wort: Ist nicht dieser eine Sünder der, der über das Gesetz und die Thora, über das Bewußtsein der Sünde, zur Gottesfurcht gelangt ist, die Paulus, der einigemale auf sein „ruhiges Gewissen“ verweist, auch den Christen ersparen möchte?
Das Fleisch, oder die Gewalt der Sünde über mich, ist nur durch Reflexion und Umkehr, nicht durch Verurteilung und durch Verdrängung, nicht durch Tabuisierung, zu brechen.
Kommt der Name der Barmherzigkeit bei Paulus überhaupt vor, und verdeckt nicht die Rechtfertigungslehre genau diese Lücke? Gibt es eine Stelle, die der im Jakobusbrief, daß die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert, entspricht?
Hat Paulus nicht das Christentum zu einer Schutzhütte vor den Unbilden des Römischen Reiches gemacht? Hier ist der Messianismus gestorben und begraben worden, ist das Christentum zu einer magischen Religion geworden.
Während die Synoptiker nur die leeren Stellen der paulinischen Theologie auffüllen, ist das Johannes-Evangelium antipaulinisch: der Kampf gegen die Komplizenschaft der Herrschenden (deren V-Mann Paulus war, als er noch Saulus hieß) mit den Römern. In der Konsequenz dieser johanneischen Intention liegt die Apokalypse (kann es sein, daß das „Tier vom Lande“, das „zwei Hörner (hat) wie ein Lamm“, aber „spricht wie ein Drache“, vielleicht doch an Paulus erinnert?). Dieser Johannes schreibt immerhin unter dem Namen des „Donnersohns“, des gleichen Jüngers, den „der Herr liebhat“.
Wenn man im Römerbrief die „Beschneidung“ als Bekenntnis liest, kommt man der Wahrheit näher.
Der Antisemitismus und vor ihm der kirchliche „Antijudaismus“ gründen in Vorurteilsstrukturen, die durchsichtig werden, wenn man auf das projektive Element in ihnen aufmerksam wird, auf die Mechanismen der Selbstentlastung durch Schuldverschiebung. Beide, der Antisemitismus und der Antijudaismus, sagen nichts über die Juden, aber sehr viel über die Antisemiten und die antjüdischen Christen. Der „eliminatorische Antisemitismus“, auf den Daniel Goldhagen verweist, dessen Buch bereits soviel Hühnerhof-Aufregung verursacht hat, bevor es in Deutschland überhaupt erschienen ist, gründet in genau diesem Mechanismus. Und, bei allen Mängeln, die das Buch haben mag, beweist nicht diese Reaktion, daß es einen Nerv getroffen hat?
Zu den großen Partien bei Paulus gehört der Satz, daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet; dazu gehören die Elementarmächte; dazu gehört nicht zuletzt sein Begriff des Glaubens, wenn man ihn als Asyl des Messianismus begreift. Unerträglich hingegen ist der apologetische Grundton fast aller paulinischen Briefe (sein „Theologisieren“).
Ist nicht der Hierarchie-Begriff eine zwangsläufige Folge der Subsumtionslogik (in der der Begriff, der die Dinge unter sich begreift, selber in einer Subsumtionsbeziehung zu „höheren“ Begriffen sich wiederfindet)? Läßt er nicht aus der neuplatonischen Emanationslehre sich herleiten, in der Elemente der Licht- und der Herrschaftsmetaphysik trübe sich mischen, und die selber zu den kosmologischen Konsequenzen der Rezeption der Sündenfall-Theologie zu gehören scheint? Hierarchische Strukturen sind Konstrukte der Selbstreproduktion der Subsumtionslogik des Begriffs, die in der Moderne in den subjektiven Formen der Anschauung auf ihren Grund in der Subjektivität zurückgeführt werden; aufzulösen sind sie allein durch die logische Kraft des Namens.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind das logische Äquivalent der Finsternis über dem Abgrund: Unter ihrem Zwang erkenne ich nur noch, was ich in die Dinge hineinlege, nicht mehr, was sie an sich selbst sein mögen. Es hilft nichts, den kantischen Agnostizismus zu kritisieren; hier wird sehr präzise und konkret die vorletzte der ägyptischen Plagen, die allgemeine Finsternis, aufgedeckt.
Am ersten Schöpfungstag hat Gott nicht die Finsternis durch das Licht vertrieben, sondern eine Hilfe geschaffen, einen realsymbolischen Hinweis darauf, daß die Finsternis nicht alles ist.
Quoad nos ist die Finsternis das Erste. Aber sind die Christen nicht „das Licht der Welt“ (und zwar nicht durch Restauration irgendwelcher Vergangenheiten, sondern durch Errettung der vergangenen Hoffnung)?
Verwechseln wir nicht die Heiligen mit den Helden? (Auf diese Verwechslung bin ich bei meiner Erstkommunion gestoßen worden, durch ein Buch, das ich geschenkt erhielt, und das mir durch die Enttäuschung, die es mir beim Lesen bereitete, die Augen geöffnet hat: „Helden und Heilige“. Ich hatte vorher Märtyrer-Geschichten gelesen, aus denen ich gelernt hatte, daß Christsein nicht am Triumph und Sieg der Helden, an ihrem Nachruhm, sondern allein an der Bereitschaft der Heiligen, Leiden und Niederlagen auf sich zu nehmen, auch wenn außer Gott keiner es sieht und anerkennt, sich messen läßt. Das hat mich vorbereitet auf den Vers von Reinhold Schneider.)
Wer die Gewissenserforschung nur tief genug treibt, wird an einen Punkt kommen, an dem er zum Propheten wird.
Kann es sein, daß ich an den „Kern der Sache“ nicht herankomme, weil ich ihn nur vor Augen, nicht im Ohr habe?
Vor dem Gesetz: Hat nicht Kafkas Erzählung einen Mangel; sind es anstatt des einen nicht mindestens sieben Tore, die uns den Weg zum Gesetz verstellen?
Was heute zur Verzweiflung treibt, ist genau das, was die Verzweiflung vertreiben soll: daß das Leben vor der Glotze endet.
Ist nicht die chronologische Verwirrung und die Verwirrung der Namen (von Personen und Völkern), die beide zusammenhängen, eine zwangsläufige Folge des Positivismus im neunzehnten Jahrhundert, nach dem Zerfall der idealistischen Systeme? Sie wurde vorbereitet im kopernikanischen System, das, nach seiner dynamischen Begründung durch Newton, durchs Gravitationsgesetz, den Zusammenhang von Sprache und Erinnerung durch Verdinglichung der Erinnerung zum astronomischen Gesetz zerrissen, den Sprachgrund in den Sachen neutralisiert, das Ungleichnamige gleichnamig gemacht hat.
Trägt nicht die Formulierung (Ton Veerkamp): „Kommt der Messias nicht (bald), hat Paulus ein Problem, ein unlösbares Problem“ (TuK 70, S. 24), die Züge einer Projektion? Nicht Paulus, sondern die gesamte christliche Theologie hat in der Geschichte der Moderne „ein Problem, ein unlösbares Problem“ bekommen. Und heißt dieser Paulus nicht eigentlich Luther?
War es nicht Paulus, der den Sündenfall zum Absoluten gemacht (und das Christentum zweitausend Jahre vor die Wand gejagt) hat (und hat das nicht die paulinische Tradition begründet)? Als Paulus die Erlösung zur reinen Gnade machte, hat der den Satz vom Binden und Lösen geleugnet, eine Tradition begründet, in der die Kirche als hierarchische Verwaltungsorganisation und die Theologie als Theologie hinter dem Rücken Gottes nur noch binden, nicht mehr lösen konnten.
War nicht Bubers Übersetzung von Gnade mit „Huld“ eine sehr schlimme christliche Übersetzung, die endgültige Verdrängung dessen, woran die scholastische Lehre von der „heiligmachenden Gnade“ letztmals erinnerte, Ausdruck der Regression der Gnadenlehre durch Einbindung in einen autoritären Kontext? Eine Gnade, die bloß rechtfertigt, nicht gerecht („heilig“) macht, ist ein Palliativ.
Kommt es nicht im Ernst darauf an, den Begriff der Heiligkeit aus der Tabuzone der Eigentums- und Herrschaftssicherung, aus den Verstrickungen seines nationalen Mißbrauchs, zu befreien?
Die Idee der Auferstehung lebt von dem ungeheuerlichen Gedanken, daß es ein Leben gibt, das vom Tod (von den Strukturen und Institutionen, die ihn verkörpern) im Kern nicht berührt wird. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen, während der Tod sein gegenständliches Korrelat im Staat hat. Der Staat ist in der Tat der Statthalter des Gerichts in der Welt; aber „die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ (Jak 213). Ist das nicht der zentrale Einspruch des Jakobus gegen die paulinische Theologie (und gehört dieser Einspruch nicht auch zur Kontroverse um die Beschneidung)?
Vielleicht hätte es, wenn es Paulus nicht gegeben hätte, das Christentum nicht gegeben. Und vielleicht war nur über diesen „Irrweg“ (Jak 520) eine Tradition zu retten, die anders untergegangen wäre?
Der Glaube ist die Gestalt, in der die Wahrheit den Weltlauf überlebt. Dieser Glaube aber hat unter dem Bann der Rechtfertigungslogik sich als Keim einer Logik entwickelt, die zur Logik des Vorurteils geworden ist (bezieht sich hierauf das Symbol des Tieres vom Lande, das zwei Hörner hat wie ein Lamm, aber spricht wie ein Drache?).
Bezeichnen nicht alle antisemitischen Stereotype, vom Hostienfrevel über die Brunnenvergiftung zum Ritualmord (der Wiederholung des Gottesmords) Tatbestände, die den Antisemiten kennzeichnen:
– der Hostienfrevel die Verdinglichung, die Logik des Fundamentalismus,
– die Brunnenvergiftung die Bekenntnislogik als Wurzel des Nationalismus und
– der Ritualmord (der Gottesmord) die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie?
Rührt Auschwitz nicht an die Idee der Auferstehung, stellt Auschwitz nicht Ostern in Frage?
Muß nicht, wer heute noch glaubt, Christ sein zu können, entweder sehr viel verdrängen, oder aber die Kirchengeschichte und die Theologie gegen den Strich bürsten, auf jeden Fall endgültig Verzicht leisten auf jede Form der Apologetik? War es nicht immer schon leichter, aber auch verhängnisvoller, Ereignisse wie Kreuz und Auferstehung auf die eigene Seele zu beziehen anstatt auf den Zustand der Welt?
Ist nicht Helmut Gollwitzer, als er glaubte, gegen Gerschom Scholems Bemerkungen über den christlichen „Messianismus“ sich verteidigen zu müssen, in eine offene Falle hineingelaufen? Und sind nicht auch die Reflexionen von F.W. Marquardt, denen ich den Hinweis verdanke, daß es Helmut Gollwitzer war, an den der Brief Gerschom Scholems gerichtet war, noch sehr hilflos; können wir uns, kann irgend ein Christ sich freisprechen von dem, was Scholem zu Recht so scharf anspricht? – Müßten nicht in jede Reflexion über den Messianismus dieser Text von Scholem, aber auch seine übrigen Untersuchungen zum Thema (insbesondere über die Geschichte des Sabbatai Zwi, die auch eine Untersuchung über Paulus und das Christentum ist), mit einbezogen werden? Gehorcht nicht auch noch das Verschweigen dieser (im Kern mit Auschwitz zusammenhängenden) Untersuchungen den Rechtfertigungszwängen, die Auschwitz hinterlassen hat, und aus denen Gollwitzer wie auch Marquardt nicht herausgekommen sind (und hat nicht Auschwitz vom Grunde her das Problem der Rechtfertigung in dem Sinne selber neu gestellt, daß der Holocaust dieses Problem theologisch gegenstandslos gemacht hat)?
Wie kommt es, daß bis heute kein Theologe das Blasphemische, das z.B. an den Kriegsgräberstätten (die die Toten nochmals schänden) sich wahrnehmen läßt, beim Namen genannt hat? Sind nicht diese „Gedenkstätten“, die die Toten instrumentalisieren und mißbrauchen, Gedenkstätten eines Nationalismus, den die Toten, die er produziert hat, überhaupt nicht interessieren, außer als Mittel zur Reproduktion der Logik, der der Nationalismus sich vedankt. Nur die Lüge, sie seien „für die Nation“ (für Führer, Volk und Vaterland, so hieß es damals) gestorben, während sie in Wahrheit für ihnen fremde Zwecke verheizt worden und elend verreckt sind, soll erhalten bleiben: fürs nächste Mal? Aber sind diese Gedenkstätten nicht eigentlich Gedenkstätten einer Opfertheologie, deren säkularisiertes Ritual sie zelebrieren? Die Symbolik, die diesem Ritual zugrundeliegt, ist eine Blutsymbolik: danach heiligt das Blut, das hier verströmt ist, den Zweck, für den es vergossen ist: die Nation, das „heilige Vaterland“, das zwar keiner mehr so zu nennen wagt, das aber der Sache nach weiter besteht.
Vor diesem Hintergrund kann ich mit der anderen Blutsymbolik, daß wir durch das Blut des am Kreuz geopferten Gottessohns von Sünden rein gewaschen werden, nichts mehr anfangen. Ich meine, die Reflexion dieser Symbolik dürfe nicht länger mehr verdrängt werden. Ich weiß nicht, welche Folgen es haben wird, wenn wir das Paradigma einer Versöhnung durch Blut weiterhin akzeptieren. Vielleicht hilft der Hinweis auf den Satz Jesu, daß er von diesem Weinstock erst im Reiche Gottes wieder trinken wird. Hat nicht die Blutsymbolik etwas mit dem schrecklichen Verdrängungsakt, den das Kriegsende für die Deutschen bedeutete, die danach im Ernst überzeugt waren, nichts gewußt zu haben, zu tun? (Und was passiert, wenn an diese Verdrängung gerührt wird?)
Schweigen die Götter wirklich in einer Welt, in der, soweit ich sehe, bis heute kein Theologe Anstoß daran genommen hat, daß die „Kriegsgräberfürsorge“ auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht nur nicht beendet wurde, sondern zu einer endlosen Geschichte zu werden droht? (Welche Rolle spielt eigentlich der Israel-Nationalismus einiger Theologen bei der Restauration des deutschen Nationalismus?)
Ideologie ist Rechtfertigung: Beide stehen unter dem Bann der Schuld, den sie nicht zu sprengen vermögen. Die Rechtfertigung reagiert ex post, während die Gotteserkenntnis an das ante, an den Geist der Weissagung heranzukommen trachtet.
Gehört nicht die Identifizierung des Fleisches mit der Beschneidung in den Scholem-/Gollwitzer-/Marquardt-Komplex?
Vor einem Schaufenster, in dem u.a. Objekte archaischer „Kunst“ angeboten werden, überfällt mich der Gedanke: „Da halte ich mich lieber ans Original“, und denke an Klee. – Ist der Gedanke nicht ungeheuerlich, daß ein Bild von Klee das Orginal und die archaischen Objekte bloße Nachahmungen sind?
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22.7.96
Jak 520: Gerettet ist nicht, wer frei von Schuld ist, sondern wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums bekehrt. Mission, Propaganda, Reklame sind die Irrwege der Bekehrung. Bekehrung ist nicht Umkehr: Bekehren kann ich auch mit Gewalt, aber Umkehr kann ich nicht erzwingen.
Ist nicht das Scheitern des real existierenden Sozialismus der Beweis dafür, daß die richtige Gesellschaft sich nicht über die Köpfe der Menschen hinweg (nicht durch „Bekehrung“) errichten läßt? Die wirkliche Umkehr korrespondiert mit der Auferstehung aller.
„Was nicht erzählt wird, ist nicht passiert“ (Ton Veerkamp in TuK Nr. 20, S. 23): Dieser Satz ist schrecklich. Der Kreuzestod Jesu oder Auschwitz wären demnach nicht „passiert“, wenn nicht davon erzählt worden wäre? Und das namenlose, nie erzählte Grauen in der Geschichte ist nicht gewesen, wenn niemand es erzählt? Ist es nicht vielmehr das Leiden, an dem, was Rosenzweig wie auch Adorno einmal den Vorrang des Objekts genannt haben, sich demonstrieren läßt? Ist es nicht der Sinn des Eingedenkens, des Erinnerns, auch das Nicht-Erzählte, das, was im Dunkeln liegt, noch ans Licht zu bringen? Und korrespondiert nicht das Dunkel der Vergangenheit mit den heutigen Objekten der Verdrängung (liegt hier nicht die geheime Korrespondenz der Gegenwart mit der Vergangenheit, an die Walter Benjamin in seinen Geschichtsphilosophischen Thesen erinnert)?
Was nicht erzählt wird, ist so, als wäre es nicht passiert; aber dieses „als“ ist ein Äquivalent der Verdrängung. Denn die Spuren auch des nicht erzählten Leidens sind unauslöschbar. Das Erzählen ist wichtig als eine Hilfe des Nicht-Vergessens; nur im Mythos hat es objektkonstituierende Macht. Martin Buber hat die Bücher Josua bis Könige zu den Geschichtsbüchern gezählt und für Mizrajim den Namen Ägypten gewählt. Hängt nicht beides zusammen, hat er hier nicht das hellenistische Erbe (das auch das Christentum verhext) übernommen? Ist nicht die Historisierung dieser Bücher ein Symptom der Historisierung der Prophetie, eigentlich ihrer Leugnung durch Remythisierung?
Ist es nicht ein Unterschied, ob man die drei Geschichten von Sodom, Jericho und Gibea historisch, oder ob man sie prophetisch begreift (z.B. als Hilfe zum Verständnis von Rostock, Mölln, auch von Auschwitz)?
Paulus war kein Zelot (gegen Jankowski), eher ein Skinhead.
Ist nicht heute die Freudsche Psychosenlehre wichtiger geworden als seine Neurosenlehre (liegen nicht die Fortschritte der Psychoanalyse heute im Bereich der Erforschung der Schizophrenie und des Autismus, auch der Antipsychiatrie)? Und werden hier nicht biblische Motive wie das Gebot, die Eltern zu ehren, oder das der Bekehrung der Herzen der Väter zu ihren Kinder, auch das, daß nur der seine Seele rettet, der einen Sünder von seinem Irrweg bekehrt, auf ein ganz neue Weise aktuell? Rühren diese Motive nicht genau an diesen Punkt? Nur: das Problem der Psychose ist im Gegensatz zu dem der Neurose psychologisch (subjektintern) nicht mehr darstellbar, es rührt an den Grund des Zustands der Welt (wie in der Theologie der Name Israel oder der corpus Christi mysticum). Ist die Jesus-Geschichte nicht die Innenseite (die Feuerseite) der gleichen Geschichte, deren Außenseite (Wasserseite) im Römischen Imperium und im Caesarismus sich manifestiert? Gründet nicht Adornos Ästhetik (der Begriff wie auch das Werk, das diesen Titel trägt) in Hegels Logik des Scheins?
Die Welt ist alles, was der Fall ist: Bezeichnet nicht dieser Begriff des Falls einen physikalischen, einen gesellschaftlichen und sprachlogischen Sachverhalt? Dieser eine Begriff bezieht sich nicht zufällig (nicht durch bloße Äquivokation) gleichzeitig auf – die Erscheinungen der Gravitation, – die Objekte der Verwaltung: die Fälle, die die Verwaltung bearbeitet, und nicht zuletzt – die casus der Grammatik. Gehören nicht zu dem sprachtheoretischen Konstrukt einer „indoeuropäischen Ursprache“ acht casus (neben den vier kanonischen: Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ, der Ablativ, der Lokativ, der Instrumentalis und der Vokativ)? Sind nicht die casus, die dann (in den modernen europäischen Sprachen, nach dem griechischen Vorbild, das zusätzlich allerdings noch den Vokativ enthielt) kanonisch geworden sind, die Reflexionsformen des Begriffs im Objekt? War nicht die Einführung des unbestimmten Artikels, die sprachlogisch mit dem Ursprung der Hilfsverben zusammenzuhängen scheint, der entscheidende Schritt zur Kanonbildung der casus? Ist es nicht eine gemeinsame (ihren empirischen Objektbezug begründende) Sprachlogik, die das englische to be mit der Tatsache verknüpft, daß gleichzeitig die Artikel im Englischen geschlechtsneutral sind und nicht dekliniert werden? Sprachlogisch lassen männlich und weiblich nicht mehr sich unterscheiden, Akkusativ und Nominativ nur noch durch ihre Stellung im Satz, während Dativ und Genitiv von außen, durch vorangestellte Präpositionen, bestimmt werden. Wann und in welchem herrschaftsgeschichtlichen (gesamtgesellschaftlichen) Kontext sind die Hilfsverben entstanden? Ist das englische to be ein sprachlogisches Denkmal des Übergangs von der Stammesgesellschaft zur Monarchie (und das deutsche Sein eines des Ursprungs der Reichsgeschichte und des Kaisertums)? Ist das to be (wie auf andere Weise auch das Sein) nicht ein Exorzismus (einer, der die Geister leben läßt, sich aber nicht mehr vor ihnen fürchtet)? Sind die Hilfsverben Beleg einer Entwicklung, die (wie das mittelalterliche Christentum insgesamt) den Mythos übersprungen hat, ihn aber eben deshalb (in Gestalt der Hilfsverben, mit Hilfe der Logik, die sie repräsentieren) in sich reproduziert?
Die kantischen Prolegomena verhalten sich zur Kritik der reinen Vernunft wie Engels zu Marx. Der Nationalsozialismus, der seine „Weltanschauungs“-Kriege im Rußland-Feldzug wie in Auschwitz als Vernichtungs-Kriege geführt hat, hat damit den Begriff der Weltanschauung selber aufgedeckt und unbrauchbar gemacht.
Der Begriff der Weltanschauung ist aus zwei Komponenten zusammengesetzt, die jede für sich auf die Ursprungsgeschichte der gleichen Zivilisation verweisen, die sie in dieser Komposition von innen sprengen. Der Begriff der Weltanschauung macht den apokalyptischen Vorgang unkenntlich, den er bezeichnet.
Die Auseinandersetzung mit dem Staat ist die Auseinandersetzung mit der Quelle der Logik, die auch das eigene Bewußtsein beherrscht. Das Feindbild Staat gewinnt seine Verführungsgewalt aus der Vorstellung, dieser Auseinandersetzung (der Selbstreflexion des falschen Bewußtseins, dessen Quelle in der Tat der Staat ist) sich entziehen zu können. Zugrunde liegt das Versäumnis der Reflexion des Faschismus (der deshalb das „wahre Gesicht des Staates“ ist, weil der Staat keins hat). -
12.7.96
Zur Kritik der Urteilskraft: Hat nicht Auschwitz der Idee des Erhabenen den Boden entzogen?
Hegels Bemerkung, daß, was aus dem Grunde kommt, auch zugrunde geht, ist ein Ausdruck der absoluten Verzweiflung: Kant zufolge ist der Grund eine Reflexionsform des Zwecks. Für Hegel gibt es, anders als für Kant, keinen „Endzweck“; der ist in der Idee des Absoluten untergegangen und begraben.
Der Begriff der Größe wird vor allem auf historische Personen angewandt, insbesondere auf Herrscherfiguren wie Alexander, Konstantin, Karl der Große, Friedrich der Große (und sein Vater: der große Kurfürst); merkwürdig, daß es im gleichen historischen Kontext auch ein weibliches Exemplar der Größe gibt: Katharina die Große. Dieses Attribut scheint insbesondere den Reichsgründern zuerkannt zu werden; welche Bewandnis hat es dann mit der Gründung des preußischen Staates (gegen eine in die Repräsentation des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eingebundene österreichische Herrscherin, und im Vorgriff auf die Gründung des Zweiten Deutsche Reichs)? Was zeichnete diesen Staat (der zum Modell der Hegelschen Staatsmetaphysik, der Verkörperung der Idee des Absoluten, geworden ist) vor anderen Staaten aus, und was verbindet ihn mit dem Untergang des Ersten Reiches? Dazu merkwürdig, daß Alexander und Karl inzwischen in Verdacht geraten, nur Phantomfiguren zu sein, als Verkörperungen einer Geschichtslogik, die ihre Objekte einem Verfahren der Ästhetisierung unterwirft, sich ins Irreale zu verflüchtigen scheinen.
Mit dem mathematischen Begriff der Größe ist die Orthogonalität mit gesetzt. Kann es sein, daß der ästhetische Begriff der Größe, der der Idee des Erhabenen zugrunde liegt, durch einen der Orthogonalisierung vergleichbaren Effekt sich auszeichnet? Und kann es sein, daß die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes ihre säkularisierende Wirkung darin hat, daß sie die Vollständigkeit der Fundierungsbedingungen der mathematischen Größen (nicht ihre Realisierungsbedingungen: die schließen einen subjektiven Akt, einen Akt der Setzung, der Konvention mit ein) in sich enthält (was darin sich manifestiert, daß sie im Prinzip bereits dem ästhetischen Begriff der Größe die Grundlage entzieht)? These: Der Begriff der historischen Größe und die Idee des Erhabenen gründen in einem noch vornewtonschen, naiven Verständnis der Schwere; sie stehen in einem logischen Zusammenhang mit der Geschichte und der Logik des Weltbegriffs (seiner Beziehung zum Begriff des Falls – vgl. Wittgesteins Definition des Weltbegriffs). Kann es sein, daß Größe und Erhabenheit (die beim Augustus sogar zum Namen geworden sind) als besondere ästhetisch-historische Kategorien die christliche theologisch-dogmatische Weiterbildung der Logik, den Begriff und die Realität der Orthodoxie, voraussetzen, auf ihrer Grundlage sich gebildet haben? – Die vorchristliche Welt kannte die „sieben Weltwunder“ (und die rechtsgründenden Taten der Heroen), aber – außer den erst in christlicher Erinnerung so genannten – keine „Großen“; dagegen stand die Logik des Mythos und des Schicksals, insbesondere das absolute Urteil der Hybris.
Ist nicht das Attribut „der Große“ ein (dem Alexander aus durchsichtigen Gründen nachträglich zuerkanntes) „historisches“ Attribut?
Vgl. die Reflexionen Lyotards zum Begriff des Erhabenen!
Hat die Logik der Orthodoxie (die Bekenntnislogik) für die Geschichte der Theologie und des Dogmas die gleiche Funktion wie die durch die Orthogonalität als Norm determinierte Raumvorstellung für die Bildung der Vorstellung kontinuierlicher und diskreter Größen?
In welcher Beziehung stehen das aristotelische Staunen und die „sieben Weltwunder“ zu den Wundern der Evangelien, waren sie so etwas wie eine gleichsam prophylaktische Vorkehrung, die dem fundamentalistischen Mißverständnis dieser Wunder Vorschub geleistet (ihren „symbolisch-typologischen“ Sprachsinn unkenntlich gemacht) haben? Und war nicht dieses fundamentalistische Mißverständnis eine der Ursprungsbedingungen des Dogmas?
Die mathematische Größe bedarf des Maßes; das aber ist Produkt einer Konvention. Es gibt kein „natürliches“ Maß der Länge, der Zeit, des Gewichts, des Geldes.
Wenn die moderne Sprachtheorie die Worte als konventionelle Symbole begreift, verwechselt sie die Sprache mit der Mathematik. Und ist nicht der Begriff der Konvention ein falscher Ausdruck für die verandernde Kraft des Urteils? Wer das Resultat dieser Veranderung zur Sache der Konvention macht, trennt die Sprache von ihrer Wurzel im Namen.
Die verandernde Kraft des Urteils aber gründet in der Eigentumslogik (der der Staat und der Weltbegriff sich verdanken, und die dem Naturbegriff sein Objekt gibt): in der Beziehung der objektivierenden Kraft des Seins (der Kopula) zu der objektivierenden Kraft, die der staatlich geregelten und rechtlich sanktionierten Eigentumsordnung (der Trennung und Unterscheidung der Öffentlichkeit, der Sphäre des Eigentums anderer, von der Privatsphäre) sich verdankt.
Zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Die Tatsache, daß die Lichtgeschwindigkeit eine „empirische“ Größe ist, macht ein durch Konvention definiertes Element (ein durch „konventionelle“ Maßbestimmungen mit definiertes Element) zu einem Systemelement, das die „Objektivität“ der Erkenntnis mit garantiert. Ist dieses Systemelement nicht eines, das in den Grund des Feuers hinabreicht? Deshalb ist die Bestimmung der Beziehungen des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu den Konstituentien der Mikrophysik so zentral. Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der durch Umwendung ins Äußere unkenntlich gemachte Knoten, der zu lösen wäre?
Lust ist eine ins Ästhetische reflektierte, durchs Ästhetische vermittelte Empfindung. Das Korrelat der Unlust ist der Schmerz. Jede Empfindlichkeit ist pathologisch, der Schmerz ist real.
Erscheint der historisch-ästhetische Begriff der Größe (des Erhabenen) auch bei Hegel? Vgl. auch die Weltgeschichtlichen Betrachtungen Jakob Burckhardts. Im Gröfaz („größten Führer aller Zeiten“) ist der Begriff der Größe explodiert (und zwar sowohl in den unmittelbaren Zielen und Folgen der nationalsozialistischen Politik, als auch in den Metastasenbildungen in den Diktaturen heute); seit Auschwitz gibt es kein Erhabenes mehr. Reflektiert sich das nicht in der Sprache der Nachgeborenen, die z.B. den Begriff der Anmut nicht mehr kennen („heute nennen wir das geil“), aber auch in der Neigung der Medien, das Interesse der Gesellschaft anstatt durch die Sache, durch Steigerung der Reize zu gewinnen (Sensation ist ein Empfindungsbegriff, der von der Last der Reflexion entbindet)?
Ist nicht die Größe prima facie ein Attribut des Männlichen, und das Schöne (die „Anmut“, das „Liebliche“) eines des Weiblichen? Die Blume ist schön, der Baum erhaben? Hängt es nicht mit der Verwischung der Geschlechterdifferenz zusammen, wenn in der Sprache der Jugendlichen das Erhabene vom Wahn und das Schöne vom Sexuellen nicht mehr sich scheint trennen zu lassen? Sind nicht die Attribute, mit denen Jugendliche die Dinge heute benennen, ein Indiz des Weltzustandes? Verweist nicht die Differenz des Schönen und Erhabenen auch auf die Unterscheidung von Natur und Welt, ist nicht das Schöne ein Objektgefühl, das Erhabene ein Verstandesgefühl (das Absolute ist das an sich Erhabene)? Gehören nicht das Schöne wie das Erhabene einer Sphäre an, die im Urteil gründet (und nur dem Gefühl sich erschließt, aber einem, das den Anspruch auf Objektivität erhebt)? Der Faschismus, der zum absoluten Objekt der Verurteilung geworden ist, ist weder schön noch erhaben, eigentlich die Vernichtungsmaschine beider. In diesen Zusammenhang gehört Adornos Satz, nach Auschwitz Gedichte schreiben sei barbarisch (gegen den alle protestierten, die das Privileg nicht aufgeben wollten, sich weiterhin einen Reim auf diese Vergangenheit zu machen).
Blumen sind schön, Bäume erhaben: Heißt das nicht auch, daß Blumen als Naturwesen, Bäume als Weltwesen apperzipiert werden? Was bedeutet dann die Wendung „durch die Blume sprechen“?
Wer die Korrektur-Vorschläge der Kant-Herausgeber in den Anmerkungen der Kant-Ausgaben liest, bekommt einen Vorbegriff davon, wie der Duden einmal entstanden sein mag. Kaum eine „Verbesserung“, an der nicht mit Händen sich greifen ließe, daß nicht nur die kantische Sprachlogik sondern mit ihr entscheidende Motive seiner Philosphie nicht mehr verstanden wurden. Alle „grammatischen Fehler“, die hier „berichtigt“ werden, sind nicht nur keine, sie drücken in Wahrheit genau das aus, was seitdem an Kant verdrängt und vergessen wurde.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie