Die ganze Skala der Empfindlichkeit, von der pathologischen Verletzbarkeit bis hin zur Majestätsbeleidigung, steht unter dem Satz: „De mortuis nihil nisi bene“ (unter dem Gesetz des ersten Todes).
Die magischen Attribute der monarchischen Institutionen hängen mit ihrer Beziehung zum Totenreich zusammen.
Dritte Leugnung: Über die Adornosche Bemerkung, wonach heute schon jeder Katholik so schlau ist wie früher bloß ein Kardinal, ist die Entwicklung inzwischen noch hinausgegangen. Der real existierende Katholizismus ist atheistischer als die Welt, der er sich angepaßt hat.
Der Verzauberung der Welt, auf die sich der Säkularisationsprozeß bezieht, ist das Werk des Christentums, Produkt seiner Unfähigkeit, den Bann des Mythos aufzulösen, der erst im Christentum wirklich böse geworden ist. Die Unfähigkeit, Joh 129 zu begreifen, hat den Grund für die Dämonisierung der Welt geschaffen (für ihre Remagisierung), die dann ihre projektiven Opfer in den Juden, Ketzern und Hexen gefunden hat, allesamt Realsymbole des katholischen Mythos: der Teufels- und Höllenvorstellung. In diesen Zusammenhang gehören auch die mittelalterlichen „Geschichtsfälschungen“, die ebensfalls als Produkte logisch überdeterminierter Spontanprojektionen sich begreifen lassen (Herrschaftsgeschichte ist Bewußtseinsgeschichte).
Die Entzauberung der Welt hat die Hölle zur Natur neutralisiert. Der moderne Naturbegriff ist selber ebensosehr Produkt wie Medium und Instrument projektiver „Erkenntnis“. Grund und Korrelat des Naturbegriffs ist die Verinnerlichung der Scham (die seine Stellung in der Geschichte des Sündenfalls markiert), ist das symbiotische Element, das bei Rousseau in der Wiederkehr des Inzestmotivs sich anzeigt.
In der Theologiegeschichte wäre das Syndrom der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit an der Geschichte der Umformung des Symbolum ins Bekenntnis nachzuweisen und zu demonstrieren. Die Bekenntnislogik war das Todesurteil der Theologie, Instrument der Verdrängung und Verwerfung einer Theologie im Angesicht Gottes.
Das „Hinweggenommen“ in Joh 129 ist wahr als Verheißung und als Gebot, nicht als indikativische Feststellung (als „nackte Tatsache“). War es nicht die opfertheologische Idee der „Entsühnung der Welt“, die Ihm mit der Last auch noch das Joch aufgebürdet (die Ochs und Esel gemeinsam vor den Pflug gespannt) hat?
Die Sprachlogik ist die Vergangenheit, die nicht vergeht: In ihrer gegenwärtigen Gestalt gehört sie zu den Konstituentien der Welt, die Auschwitz hervorgebracht hat.
Sind (im Kontext der Auslegung des Symbols durch Eleazar von Worms) nicht noch die Dornen von den Disteln zu unterscheiden? Sind die einen nicht Prdukt der neutralisierten Umkehr der andern (und ist ihre Einheit nicht die „subjektive Form der äußeren Anschauung“)? Die Jotham-Fabel, der brennende Dornbusch und die Dornenkrone haben es nur mit den Dornen zu tun.
Haben die Dornen und Disteln etwas mit dem Feuer und dem Wasser zu tun? Ist das Wasser das unter die Vergangenheit subsumierte Feuer?
Das Inertialsystem ist die Wand der fensterlosen Monade.
Die Identitätslogik abstrahiert von der Dreidimensionalität des Raumes. Hegels Dialektik ist der Versuch, die Identitätslogik mit der Dreidimensionalität des Raumes zu versöhnen.
Auschwitz
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12.2.1995
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11.2.1995
Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung, der Naturbegriff die Auferstehung. Das vermittelnde Glied ist die Leugnung des Todes durch den Weltbegriff.
Die exkulpatorische Absicht des Satzes „Wir sind allzumal Sünder“ wird daran deutlich, daß man glaubt, die Last von Auschwitz loszuwerden, wenn man die andern an Dresden erinnert?
Der destruktive Charakter des Schuldverschubsystems wird nur zum Schein aufgelöst durch kollektive Verdrängungsmechanismen: Das „Seid nett zu einander“ löst die Konflikte nicht auf, sondern verdrängt sie nur; das aber gelingt nur bei gleichzeitiger Abfuhr der unaufgelösten Aggressionen, durch projektive Verarbeitung des verdrängten. Tratsch macht süchtig.
Die Philosophie hat diese Form der projektiven Problemverarbeitung zu einem systematischen Teil ihres Erkenntnisbegriffs gemacht; jede Gestalt der Philosophie war Produkt einer relativen Stabilisierung des Schuldverschubsystems (durch Anpassung an die jeweiligen Herrschaftsstrukturen). Der Fortschritt der Philosophie, wie ihn die Hegelsche Philosophie dokumentiert hat, war eine Bewegung innerhalb dieses Schuldverschubsystems, das selber bis heute nicht Thema der Philosophie gewesen ist. Ausdruck dieses Schuldverschubsystems ist die Hegelsche Logik, der Hegelsche Begriff der Dialektik. Diese Dialektik ist die Dialektik von Verdrängung und Wiederkehr des Verdrängten in einer durch die Verdrängungsgeschichte veränderten Gestalt.
Ist nicht die Poesche Erzählung vom Maelstrom eine Variation, eine Paraphrase zur Geschichte vom Schiffsbruch Pauli vor Malta unter veränderten historischen Bedingungen? Der Fischer rettet sich durch den Sprung in den Abgrund, wobei er das Schiff opfert.
Die Kirche: Ist das nicht Jonas, der in der Flucht vor dem prophetischen Auftrag im Bauch des großen Fisches landet? Nur, daß sie es bis heute noch nicht begriffen hat.
Sind nicht das Geld und die Bekenntnislogik die Korrelate der Formen der äußeren und der inneren Anschauung? Sind sie nicht wechselseitig wie diese aufeinander bezogen? Die Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Sprache setzt die Kritik beider (die Aufhebung ihrer Trennung) voraus. Hierdurch würde sich die pathologische „Kultur der Empfindlichkeit“ in die befreiende Kultur der Sensibilität verwandeln. Hier beginnt die Freiheit der Kinder Gottes, auf die alle Kreatur sehnsüchtig wartet.
Unterscheiden Paulus und die Evangelien zwischen Hebräern und Israeliten?
Nach Otto Karrer ist der Autor des Judas-Briefes der Herrenbruder Judas und zugleich der „Thaddäus“, einer von den Zwölfen. Und der Jakobus-Brief ist der älteste Brief (was stimmt, wenn sein Verfasser der Herrenbruder ist, der schon früh das Martyrium erlitten hat). Was bedeuten die Namen Alphäus und Thaddäus (haben diese Namen etwas mit dem „A und O“ des hebräischen Alphabets zu tun, mit Aleph und Taw? Enthält Flavius Josephus hierzu einen Hinweis? Und wie hängt das Problem der Herrenbrüder mit der Frage der davidischen Abstammung Jesu zusammen?
Kommen die Namen Alphäus und Thaddäus sonst noch vor?
Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist die Finsternis über dem Abgrund. Haben das A und O etwas mit dieser Form der Beziehung von Vergangenheit und Zukunft zu tun (und die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit mit den Pforten der Hölle)?
Die göttlichen Verheißungen sind nicht der Lohn für die Befolgung der göttlichen Gebote, sondern deren Inhalt selber. Ist nicht der Heilige Geist der Garant der Einheit von Verheißung, Gebot und Erfüllung des Gebots (des Worts)? -
31.1.1995
Zum Stern der Erlösung: Kritik des Systems heißt nicht Leugnung des Systems. Sie setzt vielmehr voraus, daß die Wirklichkeit kein Ensemble isolierter Fakten ist, sondern in sich selber systemisch strukturiert ist. Wer Kritik an Hegel übt, erledigt ihn nicht, so als ob es danach sich erübrige, mit Hegel noch sich zu befassen, sondern setzt voraus, daß die Hegelsche Philosophie Anteil an der Wahrheit hat, die allerdings nur durch Kritik zu gewinnen ist, und die ohne die Hegelsche Philosophie, an der sie sich abarbeitet, nicht zu gewinnen wäre.
Ist nicht die Rosenzweigsche Vorwelt eine nachkantische und nachhegelsche Vorwelt?
Nicht das Ja und nicht das Nein, sondern das Und ist bei Rosenzweig der Statthalter der Apokalypse. Zeugt nicht auch die Gelassenheit des Tons bei Rosenzweig noch von einer Verdrängung und von der Anspannung, das Verdrängte unten zu halten? Dieser „Ton“ verschweigt die jüdische Welterfahrung, die eine den Juden durch Christen zugefügte apokalyptische Welterfahrung ist.
Rosenzweig unterscheidet ein östliches, ein nördliches und ein südliches Christentum: die Orthodoxie, den Protestantismus und den Katholizismus. Was er nicht sieht – und das hängt damit zusammen, daß er die Apokalypse im Und verschweigt -, ist das „westliche“ Christentum: das okzidentale, „abendländische“ Christentum, das politische Christentum: seine politische Instrumentalisierung, das gleiche Christentum, daß in einer Folge von Eruptionen, von den Kreuzzügen bis Auschwitz, geschichtsnotorisch geworden ist.
Theologie im Angesicht Gottes: Hat nicht das Feuer dieser Sonne (das Leuchten des göttlichen Angesichts) die Sulamit des Hoheliedes schwarz gebrannt?
Anmerkung zum Trinitätsdogma (und zur Opfertheologie): Ham hat die Blöße seines Vaters offenbar gemacht; dafür wurde Kanaan, sein Sohn, verflucht.
Der Fluch über Kanaan, der ihn zum Knecht Sems und Japhets gemacht hat, ist mit der „Marktwirtschaft“ über die ganze Welt gekommen. Folgt nicht heute auf eine semitische und dann japhetitische Phase der Offenbarungsgeschichte eine hamitische? Ist nicht auch heute das gelobte Land nur im Kampf gegen ein Kanaan, das wir selbst sind, zu gewinnen (Rücknahme der projektiven Schriftauslegung, die sieben Völker Kanaans und die sieben Siegel)? -
29.1.1995
Ist die Astrologie der Traum des Nebukadnezar, den Daniel erst rekonstruieren muß, ehe er ihn auslegen kann?
Vater und Mutter ehren heißt, aus der Familienbande heraustreten.
Als subjektive Formen der Anschauung sind Raum und Zeit auf das Verhältnis von Vorn und Hinten bezogen, als Inertialsystem auf das Verhältnis von Rechts und Links. Erst in diesem Abstraktionsschritt werden die Unterschiede von Vorn und Hinten, Rechts und Links und Oben und Unten irreal, neutralisiert. Innerhalb der Form des Raumes sind diese Unterschiede nicht mehr rekonstruierbar, sind sie ihm äußerlich geworden.
Verhalten sich nicht Nebukadnezar und Alexander wie Konstantin und Karl der Große: Die ersten haben einen starken historischen Realitätsgehalt, die letzten verschwimmen in ihren Legenden. Die ersten begründen einen Staat, die letzten eine Zivilisation. War der Traum des Nebukadnezar ein Modell des konstantinischen Dogmas, der gordische Knoten ein Modell der Beziehung von Kirche und Staat?
Hängen nicht Bezeugen und Erzeugen ähnlich zusammen wie Bescheinen und Erscheinen, Bekenntnis und Erkenntnis (Stern der Erlösung, S. 379)?
Ist der Faschismus als Rassismus die mißlungene Versöhnung des Christentums mit seiner jüdischen Wurzel (S. 380).
Man sollte den gelassenen Ton des Sterns der Erlösung nicht falsch verstehen: In dem gleichen Ton ließe sich auch der innere Zustand einer Atombombe beschreiben, kurz bevor die kritische Masse erreicht ist. Objektiv, seinem Sachgehalt nach, beschreibt der Stern der Erlösung die Situation vor Auschwitz.
Der Universalismus der Theologie unterscheidet sich von dem der Philosophie dadurch, daß er nicht auf den Begriff der Welt sich bezieht, sondern auf die göttlichen Verheißungen.
Zum Angesicht Gottes: Das biblische Motiv, daß niemand Gott von Angesicht zu Angesicht sieht und überlebt, steckt auch in der Todesangst von Gethsemane und in der theologischen Tradition des Kreuzestodes, überhaupt in der Beziehung der Theologie zum Tod (in der Todesfurcht im Anfang des Stern der Erlösung). Wie verhält sich das Inertialsystem zum Angesicht Gottes?
Bezeichnet nicht die Beziehung des jüdischen zum christlichen Weg in der Geschichte nach Rosenzweig genau den Punkt, auf den die Apokalypse sich bezieht? Das Christentum, das Franz Rosenzweig beschreibt, ist eines, das die Apokalypse verdrängt hat. Aber ist nicht die Apokalypse die Gestalt der Offenbarung, die dem Christentum entspricht?
Wenn die Schlange auch sprachsymbolisch zu verstehen ist: als Symbol des Neutrum, und wenn der Hinweis darauf, daß die Schlange das klügste aller Tiere ist, ernst genommen wird, haben dann nicht die Tiere insgesamt etwas mit dem Neutrum zu tun? Hängt damit nicht die Beziehung der Tiere zum Weltbegriff und die Bemerkung Teilhard de Chardins, daß alle Tiere als Verkörperungen instrumentalisierter Verhaltenweisen sich begreifen lassen, zusammen? (Vgl. das Neutrum als weltkonstituierendes Sprachelement, Tiere als Totem und als Staatssymbole, den Tierkreis und die apokalyptischen Tiere.) Sind die Tiere nicht überhaupt Neutra, subjektlose Subjekte, Verkörperungen synthetischer Urteile apriori? Subjekt des Weltbegriffs ist das Tier, dessen Gattungen Verkörperungen der inneren Pluralität des Weltbegriffs sind. Der Akt der Benennung der Tiere durch Adam bezeichnet die Beziehung des Menschen zum Weltbegriff.
Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sich selbst im Blick der andern sehen: Ist das nicht der Schritt über die Philosophie hinaus (Name der Hebräer)? Wird damit nicht genau das bezeichnet, was die die Philosophie verdrängt? Indem die Philosophie den Blick des Andern verdrängt, wird sie selbst zur Verkörperung des Blicks des Andern: begründet sie den Weltbegriff. In dieser Bewegung entfaltet sich die Form des Raumes als subjektive Form der Anschauung. Damit verdrängt die Philosophie die Erfahrung dessen, der selber Objekt dieses Blicks ist (Ursprung des Begriffs der Barbaren). Symbol dieser Verdrängung ist das Durchschlagen des gordischen Knotens (dessen Lösung auch die Lösung des im Himmel noch Gebundenen wäre).
Das Verdrängte ist die Erinnerung ans Zukünftige: ans noch ausstehende Jüngste Gericht (ans Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht). Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (vgl. Rosenzweig, S. 381).
Die subjektiven Formen der Anschauung entspringen in der Abstraktion vom Gegenblick; aber genau dadurch werden sie zum Inbegriff des Gegenblicks (und zum Quellpunkt der transzendentalen Logik): zur Leugnung des göttlichen Angesichts.
Der Zeitcharakter des Christentums, das „Zwischen“, ist kein spezisch christliches Motiv, sondern ein sprachliches: Sein Sprachgrund ist das indoeuropäische Präsens, der Kern der indoeuropäischen Form der Konjugation, der Subsumtion der Verben unters Zeitkontinuum. Kern der hebräischen (semitischen) Konjugationsformen ist die Unterscheidung von Perfekt und Imperfekt.
Ist es nicht bedenkenswert, daß die Rosenzweigsche Phänomenologie des Christentums (unterm Stichwort des „ewigen Wegs“) als Beschreibung des Inertialsystems sich verstehen läßt? -
28.1.1995
Das Hohelied der Liebe hebt an mit dem „Köstlicher als der Wein ist die Liebe“ (12) und endet mit dem Satz „Stark wie der Tod ist die Liebe“ (86) und „Große Wasser können die Liebe nicht löschen“ (87)?
Ist nicht die Kollektivscham das letzte Säkularisationsprodukt, der Endpunkt des Sündenfalls?
Die Übernahme der Sünde der Welt schließt jede projektive Schuldverarbeitung aus. Mit dem Rechtfertigungszwang entfällt auch jene Neugier, die sich selbst beweisen will, daß die andern auch nicht besser sind.
Der Verzicht auf projektive Verarbeitung der Erfahrung schließt auch die projektive Verarbeitung der Prophetie und der Apokalypse mit ein.
Das Buch Daniel, die erste Apokalypse, entsteht in Babylon. Es verweist auf die differentia specifica der apokalptischen Erkenntnis: Daniel legt den Traum des Nebukadnezar nicht nur aus, er muß ihn auch selbst finden und rekonstruieren.
Haben die drei Weisen aus dem Morgenland etwas mit den drei Jünglingen im Feuerofen zu tun?
Auschwitz ist insoweit „unbegreiflich“, als es keine Objektivationsmöglichkeit gibt. Jeder Vergleich mit anderen Untaten ist unzulässig. Aber das gilt für jede Untat.
Der kirchliche Begriff der Buße, der einem herrschaftslogischen Zusammenhang angehört, ist der Beweis dafür, daß die Kirchen die Sündenvergebung, die die Herrschaftslogik sprengt, bis heute nicht verstanden hat.
Der Satz, daß das Lamm die Sünde der Welt hinwegnimmt, steht im Futur, nicht im Präteritum. So fällt er unters Nachfolgegebot. -
26.1.1995
Theologie im Angesicht Gottes: Erst im Licht des göttlichen Antlitzes wird die Welt erleuchtet, wird sie im Licht der göttlichen Verheißungen durchsichtig.
Sind nicht alle Formen des Glaubens heute durchsetzt von Verlassenheitsängsten, und hat die Flucht der Jünger angesichts der Kreuzigung Jesu sich nicht im dogmengeschichtlichen Prozeß fortgesetzt? Ist der Fluchtpunkt der Geschichte der drei Leugnungen darin nicht vorgezeichnet?
Nach Franz Rosenzweig sind die Gebete der Einsamen immer in Gefahr, Gott zu versuchen, Aber ist es nicht die Geldwirtschaft, indem sie jeden auf das Gesetz der Selbsterhaltung fixiert, die die Menschen isoliert und in ihnen die Verlassenheitsängste induziert, und die die Gebete zu Gebeten der Einsamen macht? (Deshalb gibt es seit der „Liturgie-Reform“ der Kirche keine Liturgie und keine Gebete mehr.) Nicht die Verurteilung des „Egoismus“, sondern die Reflexion seiner Existenzbedingungen befreit von diesen Zwängen.
Die Selbstlegitimation des Bestehenden durch die Naturwissenschaften gründet in den Beziehungen der Naturwissenschaften zum System der Selbsterhaltung.
Identifikation mit dem Aggressor: War es nicht der Existenzbegriff, der die Philosophie aufs Prinzip der Selbsterhaltung vereidigt hat. Zu diesem Existenzbegriff gehört der Begriff der „Eigentlichkeit“.
Reflex der Selbsterhaltung in der Theologie ist die Bekenntnislogik.
Liegt die Bedeutung der Apokalypse nicht darin, daß die Kirche erst in dem Augenblick, in dem sie sich selbst im Bilde des Tiers erkennt, vom Bann der Bekenntnislogik sich befreit?
Ist es nicht die apokalyptische Gestalt der Offenbarung, vor der Franz Rosenzweig zurückgeschreckt ist? Das war die Schwelle, die er nicht hat überschreiten können. Deshalb wird der Stern der Erlösung mit dem dritten Buch des zweiten Teils und dann mit dem dritten Teil so hilflos. Der dritte Teil beschreibt die Wahrheit in der Gestalt ihrer vergangenen Zukunft, den liturgischen Jahreslauf als mythische Wiederkehr des Gleichen. Rührt diese Remythisierung im Jahreskreislauf der Liturgie nicht an das Rätsel der Astrologie?
Rührt der letzte Satz des zweiten Teils des Stern der Erlösung nicht an einen apokalyptischen Sachverhalt, und wird er nicht wahr, wenn er mit reflektiert wird? Diese Reflexion wird heute erzwungen durch die inzwischen eingetretene faschistische Katastrophe. Sind nicht zum Stern der Erlösung der Geist der Utopie und Lukacs‘ Geschichte und Klassenbewußtsein mit hinzuzunehmen?
Skinheads und Hooligans: Wäre nicht (vor allem im Hinblick auf die Selbstverständigung der Theologie) endlich zu begreifen, daß der Faschismus nur den Fluchtlinien der Bekenntnislogik gefolgt ist und diese bis zum bitteren Ende ausgezogen hat? Der Rechtsextremismus heute ist nur die real existierende Erinnerung an die Versäumnisse der Theologie: ein Exzess der Bekenntnislogik ohne Gott.
Zum Verständnis der Schrift als Komposition: Franz Rosenzweig nennt einmal Simson und Saul in einem Atemzug (S. 83). Hat nicht das Erblinden der Einwohner von Sodom im xenophoben Exzess außer mit dem Untergang Sodoms auch etwas mit rätselhaften Wort über die Blinden und Lahmen bei der Eroberung Jerusalems durch David sowie schließlich mit der Antwort Jesu auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, zu tun: mit dem Hinweis darauf, daß die Blinden sehen und die Lahmen gehen?
Die Blinden sehen und die Lahmen gehen: Verweist das nicht auf den Zusammenhang des Trägheitsprinzips, des Inertialsystems, mit der Verwirrung der Optik bei Newton?
Theologische Erkenntnis kommt zu sich selber, wenn sie zur eingreifenden Erkenntnis wird. Hängt die Rosenzweigsche Trennung der Erleuchtung von der Liebestat (die nach Rosenzweig blind ist) nicht damit zusammen, daß er die apokalyptische Schwelle der Erkenntnis nicht zu überschreiten wagt? Die Erleuchtung, die die Liebe sehend macht, ist die apokalyptische. Darin steckt der dreifache Bezug des Symbols der Schlange, ihre Beziehung
– zum sprachgeschichtlichen Ursprung des Neutrum (die bei Rosenzweig anklingt, aber nicht im Zusammenhang begriffen wird),
– zur Ursprungsgeschichte der Astronomie (und zu den Seraphim), und
– zu Babylon, zur Ursprungsgeschichte der politischen Theologie.
Die Geschichte der modernen Naturwissenschaften beginnt mit der Hexenverfolgung und endet mit Auschwitz. Als Referenzsystem der Aufklärung gehört die Naturwissenschaft zu den Konstituentien der Projektionsfolie, deren die Aufklärung bedurfte, um davor ihre Leuchtkraft zu begründen: dem Begriff der Wilden, der die der Barbaren und der Heiden ersetzt hat. Wenn der Begriff der Barbaren als eine Inversion des Namens der Hebräer sich begreifen läßt, und der der Heiden (der „Völker“) auf den Namen der Christen verweist, worauf bezieht sich dann der Begriff der Wilden?
Die mythische Welt ist die verschlossene Welt, die erst durch Umkehr sich auftut: So entspringt – durch Umkehr
– Gottes Schöpfermacht seiner Freiheit, die Offenbarung dem Schicksal,
– des Menschen Demut seinem Trotz, seine Liebe dem Charakter.
Was geschieht der Fülle und dem Logos der verschlossenen Welt, wie findet der Begriff der Umkehr hier einen Ansatz und ein Ziel? -
24.1.1995
Die katholische Theologie sollte endlich Kant zur Kenntnis nehmen (und das, ohne ständig die Transzendenz mit dem Transzendentalen zu verwechseln). Das setzte voraus, daß sie den wissenschaftskritischen Impuls mit aufnimmt. Das experimentum crucis wäre die Naturwissenschaft. Damit würde sie sich allerdings der eigenen Geschichte als Legitimationswissenschaft begeben (sic, B.H.), die dazu ohnehin nicht mehr taugt.
War nicht die kirchliche Sexualmoral seit je Ursprung und Transporteur des „islamischen“ Religionsverständnisses (zum Begriff des Islam vgl. Stern der Erlösung, S. 191). Eine rigide Sexualmoral und ein fundamentalistisches Schrift- (und Geschichts-) Verständnis haben sich seit je wechselseitig fundiert.
Der Stern der Erlösung ist die erste konsequente Entfaltung der Idee, daß die theologische Idee der Wahrheit mit einer Änderung des Subjekts einhergeht, daß zur Theologie eine Idee der Wahrheit gehört, die ins Bestehende eingreift, weil sie die Umkehr mit einschließt. Aber: Ist die Umkehr bei Rosenzweig nicht schon eine sechsfache, und kommt sie nicht in die Nähe der Lösung der sieben Siegel?
Hat Rosenzweig die Theologie nicht doch nur bis zur Schwelle, die sie jetzt überschreiten müßte, geführt? Vgl. hierzu den Satz über das Verhältnis von Barmherzigkeit und Liebe (S. 193) sowie die Aussparung der Apokalypse (die Nicht-Reflexion der Beziehung von Gericht und Gnade). Die Schwelle, die Rosenzweig nicht überschritten hat, ist die Schwelle von Gethsemane. Ist nicht der Rosenzweigsche Koffer (Stern, S. 124) in Wirklichkeit der Kelch, und hat nicht das Gott Mensch Welt mehr mit der Trinitätslehre zu tun, als Rosenzweig weiß?
Hängt nicht die Verdrängung der Barmherzigkeit bei Rosenzweig, die er unterm Islam abhakt, mit der Verdrängung der apokalyptischen Dimension der Theologie zusammen: die Barmherzigkeit hängt über den Namen der Gebärmutter (und durch die projektive Beziehung der Hysterie zur Barmherzigkeit) mit den messianischen Wehen zusammen.
Die Form des Raumes, das ist das gegenständliche Korrelat der List der Vernunft, die bewirkt, daß mit jeder Umkehr der alte Zustand sich wiederherstellt. Die Zusage, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden, bezieht sich hierauf.
Eine Erkenntnis, die nicht ins Bestehende eingreift, verdient diesen Namen nicht, aber mein Gefühl ist, daß Johann Baptist Metz sich seit einiger Zeit in die Ecke gedrängt fühlt und deshalb der Apologie verfallen ist. Bezieht sich nicht das Wort vom Binden und Lösen auf die Idee der eingreifenden Erkenntnis?
Ist nicht das Christentum immer wieder von seinen Vergangenheiten eingeholt worden, und das gerade von jenen, die es glaubte überwunden zu haben?
Die christliche Theologie hat eigentlich seit je alle Vorkehrungen getroffen, die es ihr ermöglichten, sich von der Schrift nicht angesprochen zu wissen. Das gilt für die ganze Breite von den Propheten bis Gethsemane.
Nicht die Ökumene (kein Multi-Kirchen-Konzern), sondern die Entkonfessionalisierung der Kirchen wäre das Ziel.
Ist nicht die in der Genesis vor dem ersten Schöpfungstag beschriebene Situation (wüst und leer, Finsternis über dem Abgrund, der Geist Gottes über den Wassern) ein Bild des gegenwärtigen Weltzustandes?
Wenn Auschwitz mit dem Kreuzestod zu tun hat, sind dann nicht auch wieder einmal die Jünger davon gelaufen (die dreifache Leugnung ließe sich hierauf beziehen)? Es ist vielleicht weniger wichtig, daran zu erinnern, daß in Auschwitz gebetet worden ist; wichtiger erscheint mir der Bezug zu dem Satz: Wer Euch anrührt, greift seinen Augapfel an.
Die verandernde Gewalt des Objektivationsprozesses hat sich zuerst in der Geschichte der Dogmenbildung, der opfertheologischen Verarbeitung der Erinnerung an den Kreuzestod, manifestiert.
Angst und Projektion: Sind es nicht generell unsere Ängste, die uns in die Projektion hineintreiben; ist nicht jede Projektion eine falsche Form der Angstverarbeitung? Gründen nicht alle Ängste in der Sünde der Welt. Die Aufarbeitung dieser Ängste, die Aufarbeitung des Empörungstriebs und seiner projektiven Wurzeln, sprengt die Herrschaft der Urteilsform über das Denken und begründet jene Sensibilität, die mit der Idee des Heiligen Geistes mehr zu tun hat, als das kirchliche Lehramt. -
22.1.1995
Was ergibt sich, wenn man im NT die Gehorsam-Stellen mit Hören übersetzt (gehorsam bis zum Tod am Kreuz)?
Zu Rosenzweigs Begriff der „historischen Aufklärung“ (sh. Stern der Erlösung, S. 108) – für ihn der Ausgangspunkt seiner Abkehr vom Relativismus – vgl. Hegels Bemerkung über den Begriff der Geschichte.
Die Objektivation des Vergangenen durch die historische Aufklärung zerstört die Erinnerung; sie neutralisiert die Vergangenheit, indem sie sie zu einem Objekt des Wissens macht. (Zusammenhang von Objektivierung, Instrumentalisierung und Vergesellschaftung: die historische Aufklärung ist eine politische, welt- und staatsbegründende Wissenschaft; sie hat gleichsam kosmogonische Bedeutung, verdrängt aber zugleich das Bewußtsein davon. Mit der Objektivierung der Vergangenheit beweist sich der Staat seine weltbegründende Macht.)
Zum Begriff des Eigentums: Jeder Staat hat seine Geschichte.
Kohls Berufung auf die Geschichte hatte vor einigen Jahren sein komisches Echo in einem Statement Boris Beckers, der in der Anfangsphase seiner Karriere nach einem gewonnenen Match einmal erklärte, die Bedeutung dieses Sieges werde man erst nach zwanzig Jahren ermessen können.
Die Schuld haftet wie eine Eigenschaft an der vergangenen Tat; ich kann nicht aufgrund einer noch nicht begangenen Handlung schuldig werden. Aber ich kann sehr wohl aufgrund der vergangenen Tat anderer schuldig werden: Auschwitz und Adam.
Hegels Kritik des heiligen Dings (des katholischen Eucharistie-Verständnisses) schlägt auf ihn selbst zurück. Das heilige Ding ist der Kern seiner Logik: die Quelle des Begriffs des Absoluten.
Der Atheismus, der im übrigen bis in die Kirche und in die Theologie hineinreicht, ist heute der Schlaf, aus dem man nicht geweckt werden will, der den Traum von der Religion nicht mehr ausschließt. Deshalb bedarf es des Hahns.
Der Fortschritt, dem die Konstruktion und die Ausstattung des Komfortzugs „Industriegesellschaft“ sich verdanken, ist zum Maß der Beschleunigung geworden, mit dem er dem Abgrund zurast. -
1.1.1995
Zu Benveniste: Ist die Ehe nicht gleichursprünglich mit dem Staat, mit ihm zusammen entsprungen, und wie dieser zunächst „namenlos“ und eine der Quellen der Idee des Absoluten? Beide, Ehe und Staat, entspringen zusammen mit dem Weltbegriff. Verweist die Ehe auf das Moment der Unzucht in der Idee des Absoluten (den „Unzuchtsbecher“)?
Der Weltbegriff ist der Inbegriff der Selbstlegitimation des Bestehenden, der durch den Naturbegriff und seinen Kern, die mathematische Raumvorstellung, gegen die Wahrnehmung seines eigenen Widerspruchs sich abschirmt (und mit Hilfe des Rechts gegen die Manifestation dieses Widerspruchs).
Der Weltbegriff bezeichnet den Bedingungszusammenhang der Selbsterhaltung; daran mißt sich das Bestehende. Die drei evangelischen Räte sind die Erinnerungsmale an die parvi errores im Weltbegriff (die Formulierung am Anfang von de ente et essentia wäre zu korrigieren: parvi errores magni sunt in fine).
Wie ist eigentlich die Beziehung des zweiten zum ersten Tier in der Apokalypse (des Tieres aus dem Meer zum Tier vom Lande)? Verweisen Meer und Land nicht auf den dritten Schöpfungstag („und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung der Wasser nannte er Meer“)?
Als Sprache der Rechtfertigung hat die Sprache ihre erkennende Kraft verloren, verstrickt sie sich in den Schuldzusammenhang, aus dem sie entrinnen möchte. Nur durch die Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt gewinnt sie die erkennende Kraft zurück, wird der Logos zum Logos.
Zur Geschichte der drei Leugnungen: Eine Barmherzigkeit, die vor der Vergangenheit Halt macht, erreicht auch die Gegenwart nicht mehr, verliert ihre Kraft für die Gegenwart. Hier liegt die Wurzel sowohl der Prophetie als auch des parakletischen Denkens. In diesen Kontext gehört die Habermassche Entscheidung, die Reflexion der Natur beiseite zu stellen, davon abzusehen. Ihm wurde die Erinnerung an die Theologie an der Stelle unheimlich, an der sie allein fähig ist, Barmherzigkeit zu begründen.
Wenn die Idee des Ewigen die Vergangenheit von sich ausschließt, dann können die vergangenen Hoffnungen nicht nur vergangen sein: nicht an sich, sondern nur für uns sind sie vergangen (vgl. Kafka: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns). Ein Begriff der Vergangenheit, die nur vergangen ist, mag die Voraussetzung begrifflicher Erkenntnis sein, er ist aber zugleich das Verdammungsurteil über diese Erkenntnis.
Zur „Kultur der Empfindlichkeit“: Ist das Kabarett nicht deshalb unwirksam, weil es die eigene Empfindlichkeit (die eigene Abhängigkeit vom Urteil anderer) in die andern (in sein Publikum) hineinprojiziert, und damit aufs präziseste sein Objekt verfehlt?
Postmoderne: Wer in England, in Belgien, in Frankreich war, kennt den Schock bei der Rückkehr, nach dem Überschreiten der Grenze. Die Einübung in die Ellenbogen-Gesellschaft auf den deutschen Autobahnen entspricht dem horror vacui in den durch den „Wiederaufbau“ verwüsteten Städten: Jede Spur, die an die Vergangenheit erinnert ist getilgt; die pseudohistorische Fachwerkseligkeit der Fußgängerzonen besiegelt das nur. Lyotards an Auschwitz erarbeitetes Konzept des vollkommenen Verbrechens, zu dessen Ausführung die Beseitigung aller Zeugen und Spuren gehört, scheint der deutsche Wiederaufbau post festum realisiert zu haben. -
9.10.1994
„Das Wesen der Sprache wäre demnach Verantwortung“ (Levinas, Vier Talmud-Lesungen, S. 40). Was heißt „Verantwortung“? Die beiden Bücher der Chronik gehören – wie Rut und Ester, Daniel, Esra und Nehmias – zu den „Schriftwerken“, während die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige zu den „Büchern der Geschichte“ gehören.
Die Medien sind zu Riten der Vereinigung mit der Welt geworden (insbesondere das Fernsehen; Computerspiele: Initiationsriten des Apparats). War nicht die unio mystica seit je ein Instrument der Säkularisation?
Rekonstruktion der Sprache aus ihrer Beziehung zum gesellschaftlichen Schuldzusammenhang? Ist es nicht die Sprache, die von der Last befreit, indem sie sie auf sich nimmt?
Die Verschiebung vom Nomen zum Substantiv, vom Namen zum „Hauptwort“, ist die letzte Konsequenz der Unterwerfung der Sprache unter die Logik der Schrift. Läßt sich hierauf nicht das „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz bedeckt mit Hohn“ beziehen: Reflex der Verwandlung des Verbs ins Prädikat, in den Begriff? Und ist der bestimmte Artikel, der das Nomen zum Hauptwort macht, die Dornenkron‘, die das Substantiv zum Substantiv gemacht hat?
Pilatus: Die Ontologie ist der Statthalter des Inertialsystems in der Sprache.
Die Theologie hinter dem Rücken Gottes macht nicht nur Ihn zum Autisten, sondern – durch das Gesetz, wonach alle Attribute Gottes Imperative sind – auch die Gläubigen. War das nicht der eigentliche Zweck der Sache?
Unter diesem Aspekt – daß die Attribute Gottes Imperative und keine harmlosen Indikative sind – die Trinitätslehre und die Opfertheologie untersuchen: Problem der Anwendung der Objektivationslogik auf Gott und ihrer Wirkungen. Hier bleibt einem das Wort von der „Rede von Gott“ (bei der Theologen wohl nur an die Predigt denken) nicht im Halse stecken?
Ist nicht der Weltbegriff, der zwangsläufig die Idee des Absoluten nach sich zieht, in sich selbst blasphemisch?
„Fremdwörter“: Ich vermute es gibt Leute, die Religion für ein deutsches Wort und Theologie für ein Fremdwort halten. (Aber ist nicht in der Tat Theologie nur innerhalb des Christentums, in der Religion des Logos, erlaubt und möglich?)
Ist nicht die Differenz zwischen der griechischen und lateinischen Theologie u.a. darin begründet, daß der Logos maskulin und das Verbum neutrum ist? Und spielt dieses Differenz nicht in die Beziehung von physis und natura, kosmos und mundus, mit herein? Das neutrale Verbum ist bereits Ausdruck der Einbeziehung des Logos ins imperiale Herrendenken. Der byzantinische Pomp ist eine Ersatzbildung für das fehlende logische Äquivalent des Herrendenkens in der Sprache, das erst im Lateinischen sich bildet.
Autonomie ist das Ziel, aber sie ist nur durch das Votum für die Armen und die Fremden hindurch zu gewinnen.
Bezeichnet nicht die List der Vernunft bei Hegel die Stelle, an der bei Carl Schmitt der dezisionistische Souveränitätsbegriff und bei Heidegger die Entschlossenheit und das Vorlaufen in den Tod steht? Ist nicht Hegels List der Vernunft ein Produkt der Instrumentalisierung der Umkehr? Die Unterscheidung von Begriff, Urteil und Schluß hat die drei Dimensionen des Raumes (ihre Anwendung auf die Sprache) zur Grundlage und gehört zu den Konstituentien des Objektbegriffs.
Schließt nicht die adamitische Benennung der Tiere die des Tierkreises mit ein? Und gehört die Geschichte der Astrologie zur Geschichte des Ursprungs der Schrift (und hängt sie zusammen mit der Bildung des Neutrum und dem Ursprung der indogermanischen Sprachen?
Was bedeutet es eigentlich für die logische Struktur des Staates, wenn es keine Alternative mehr gibt zur strafrechtlich abgesicherten Beschneidung der „Freiheit der Rede“ (Leugnung von Auschwitz)? Kann es überhaupt noch einen Staat geben, zu dessen Vergangenheit ein Verbrechen wie Auschwitz gehört? Welche Nachwirkungen hat dieses Verbrechen:
– für eine Justiz, die nicht fähig war, ihren eigenen Anteil daran aufzuarbeiten, die sich selbst zum Apparat: und damit für unzurechnungsfähig und im Entscheidenden für schuldunfähig erklärt hat,
– für eine Politik, die durch ihre eigenen Rechtfertigungszwänge sich gezwungen sieht, Entscheidungen, die sie nicht mehr zu fällen in der Lage ist, an die Justiz, die für ihre Entscheidungen nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann, zu delegieren?
Gibt es eine Beziehung (oder sogar eine funktionale Abhängigkeit) zwischen dem Wert der Lichtgeschwindigkeit und der Gravitationskonstanten? Und kann es sein, daß diese Beziehung zu den Gründen der Bewegungen des Himmels und der Sterne gehört?
Hinweis zur Geschichte der Vergesellschaftung von Herrschaft: Der kopernikanischen Wende in den Naturwissenschaften ist die konstantinische Wende in der Theologie (der Rezeption des Weltbegriffs in der Theologie mit der Folge der trüben Vermischung von Gotteserkenntnis und Herrschaftsmetaphorik, insbesondere im Begriff des Absoluten) vorausgegangen. Die aufklärerische Bedeutung der Naturwissenschaften liegt darin, daß sie, indem sie die Herrschaftsmetaphorik in sich aufgesaugt hat, diese für theologische Zwecke unbrauchbar gemacht hat. -
5.10.1994
Das Objekt des Vorurteils ist aufgrund seiner Apriorität unzerstörbar (und der Antisemitismus aus diesem Grunde unbelehrbar).
Das Problem des falschen Propheten findet seine Lösung in der Unterscheidung zwischen der Erfüllung der Schrift (der „Unheilsprophetie“) und der Erfüllung des Wortes („Heilsprophetie“). Die „Unheilsprophetie“ ist aufgrund ihrer Beziehung zur Logik der Schrift grundsätzlich wahr (kann jedoch durch das Erbarmen Gottes „enttäuscht“ werden); die „Heilsprophetie“ ist nur dann wahr, wenn „das Wort sich erfüllt“. In dieser Konstellation findet das Bild des Tieres vom Lande seine Lösung.
Scham ist die Innenerfahrung des Witzes (die Erfahrung, die das Objekt eines Witzes mit dem Witz macht). Sensibilität ist die Fähigkeit, diese Innenerfahrung des Witzes zu reflektieren.
Die Idee des Parakleten gründet in der Umkehr der Logik des Witzes: Ihre Intention ist die Verteidigung des Objekts, über das gelacht wird, gegen das Kollektiv der Lacher (gegen die Welt). Zur Idee des Parakleten gehört der Satz: Aufgrund der Asymmetrie zwischen mir und den anderen ist Selbstverteidigung nur über die Verteidigung des andern erlaubt.
Steckt nicht in jedem objektivierenden Verfahren, in der Konstitution des Objekts selber, etwas von dem Auslachen, gegen das die Idee des Parakleten sich richtet?
Die Idee des Absoluten hat die Verinnerlichung der Scham zur Grundlage; über die Verinnerlichung der Scham ist die Idee des Absoluten an den Weltbegriff gebunden. Wittgensteins Satz: Die Welt ist alles, was der Fall ist, verweist auf diese Konstellation.
Die List der Vernunft gehört zu den Konstituentien der Idee des Absoluten. Wer den Realgehalt dessen, was Hegel die List der Vernunft nennt, begreifen will, muß den Argumentationsstil Kohls (unter Einschluß der Elemente der Selbstinszenierung: von der Versöhnung über den Gräbern bis hin zum bedenkenlosen Gebrauch der Gemeinheit) untersuchen.
Wie wär’s mit dem schönen Titel: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört?
Als Adam sich unter den Bäumen des Gartens versteckte, da schämte er sich. Stammten diese Bäume vom Baum der Erkenntnis?
Der Takt verbietet es, im Hause des Mörders vom Opfer zu sprechen: Dieser Takt war der Grund, aus dem der Begriff der Kollektivscham hervorgegangen ist (Kohl: Es gibt Wichtigeres als Solingen).
Zur Feste des Himmels: Kann es sein, daß Gott keine „Rückseite“ hat, daß es diese „Rückseite“ nur für uns gibt: Sie fällt zusammen mit der Idee des Absoluten : mit dem Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft (mit der Spiegelung Gottes in der Logik der Schrift).
Wie hängen die Idee des Absoluten, die Feste des zweiten Tages und die Gestalt des Elias (des Vorläufers des Messias) miteinander zusammen?
Das philosophische Subjekt, Korrelat des Weltbegriffs, ist ein Produkt der Logik der Schrift.
Das Richtige unterscheidet sich von der Wahrheit durch seine Beziehung zu anderen; im Falle des Richtigen ist diese Beziehung eine konstitutive, im Falle der Wahrheit eine regulative Beziehung. Beide unterscheiden sich wie die Lüge und das falsche Zeugnis (wie Schrift und Wort).
Der ungeheure Gedanke, daß Gott meine Schuld gegen andere nicht vergeben kann, daß er deren Vergebung nicht antizipieren kann, verweist auf den Tabestand, der dem Lösen zugrunde liegt. („Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dort eingedenk wirst, daß dein Bruder hat etwas gegen dich hat, …“ Mt 523). Ist das Bußsakrament nicht eine ungeheure Anmaßung: werden hier nicht die Opfer ihrer Kraft zu vergeben, die der Grund ist, daß ihnen selbst vergeben wird, enteignet? – Haben die sieben unreinen Geister nicht tatsächlich etwas mit den sieben Sakramenten zutun?
Die Philosophie beschreibt den Akt des Heraustretens aus dem Bann des Mythos. Wäre der letzte Akt der Philosophie nicht der ihrer Selbstauflösung: der des Heraustretens aus dem mythischen Bann der Logik der Schrift? Dazu bedarf es der Hilfe der Theologie: beide können diesen Schritt nur gemeinsam gehen.
Die Opfertheologie war der Preis für die theologische Rezeption des Weltbegriffs; die Höllenvorstellung, die Vorstellung von der Ewigkeit der Höllenstrafen, der Preis für die Rezeption des Naturbegriffs (die projektive Verarbeitung des Feuers).
Haschamajim: Die Sintflut ist das Realsymbol der Verinnerlichung des Schicksals (der Überflutung der Objektivität durch die Fluten des Begriffs); sie repräsentiert den Wasseraspekt der Geschichte der Aufklärung. Die Verinnerlichung der Scham (die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der Raumvorstellung) und ihr gegenständliches Korrelat, die Verdinglichung der Welt, repräsentiert die Vorgeschichte des Feuers: Die Erfüllung der Logik der Schrift als Vorgeschichte der Erfüllung des Worts. „Ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu holen, und ich wollte, es brennte schon.“
Die spontane Reaktion auf die ersten Meldungen über Auschwitz: „das wird sich einmal rächen“, ist wahr geworden im Begriff der Kollektivscham. Ralph Giordano wäre dahin zu korrigieren: Nicht die Zweite Schuld bezeichnet den Kern der Nachkriegsentwicklung, sondern die zweite Intrumentalisierung der Schuld im Begriff der Kollektivscham. Die Erfindung der Kollektivscham war der schreckliche Versuch der Naturalisierung der Schuld, der Versuch, die Pforten der Hölle endgültig und ausweglos zu schließen. Sie war der Greuel al heiligen Ort.
Erst die Reflexion der Scham macht die Theologie zu einer experimentellen Wissenschaft.
Die Apokalypse des Johannes ist kein Schauspiel, nicht durch die ästhetische Objektivitätsgrenze von der Gestalt des Zuschauers getrennt. Wir stecken mitten drin wie Jonas im Bauch des Fisches. Auch die Apokalypse ist aus dem Bann der Logik der Schrift zu befreien. (Ist nicht der Fisch ein Sprachsymbol: ein Symbol der Logik der Schrift? Und ist der Fisch, das große Seeungeheuer, das Zweitgeschaffene, wie die Logik der Schrift das eigentlich apokalyptische Symbol: die Logik der universalen Vergegenständlichung?)
In der Astronomie gilt – wie im Recht -, daß das Nichtbeweisbare nicht existiert (Folge der ästhetischen Beziehung zur Sternenwelt). Gilt der die Grenzen des Rechts definierende Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, auch für die Astronomie (und in ihrer Folge für die modernen Naturwissenschaften)? Die Grenzen der Beweislogik widerlegen sie nicht, aber sie machen die Beweislogik reflexionsfähig und das, was durch die Beweislogik ausgeschlossen wird, doch noch erkennbar. Vor allem ist jeder Versuch, die Beweisgrenzen zu schließen, auf seine Haltbarkeit und auf seine Nebenwirkungen zu prüfen.
Beweislogik und Verdinglichung: Das deiktische Element im bestimmten Artikel ist ein Produkt der Beweislogik. Dagegen hat die negative Dialektik das mikrologische Verfahren der Reflexion zu mobilisieren versucht.
Hitlers Wort, daß die Masse ein Weib ist, knüpft an die merkwürdige Beziehung des Femininum zum PLural an (die gleiche Beziehung, die auch im Begriff der Materie sich ausdrückt).
Die Logik der Schrift, deren Ursprung an der Hegelschen Analyse des Hier und Jetzt (in der Phänomenologie des Geistes), sich demonstrieren läßt, entfaltet sich in der Vorstellung des Inertialsystems, gewinnt in ihr ihre ungeheure abstraktive Gewalt. Sie ist der Grund des Abstraktionsprozesses, der (über die Opfertheologie) in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung sich vollendet.
Die Angst, den Boden unter den Füßen zu verlieren, ist das erste (und notwendige) Resultat der Kritik des Inertialsystems (und der Opfertheologie: der Vorstellung, daß die Welt durch den Kreuzestod Jesu entsühnt worden sei). Der Versuch, dieses Gefühl durch durch die Vorstellung, „in Gottes Hand geborgen“ zu sein, zu unterdrücken, ist der Kern der Verführung durchs Herrendenken.
Die Kritik der Naturwissenschaft findet ihren Hauptwiderstand an der nie reflektierten pseudotheologischen Begründung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs (an ihrem Zusammenhang mit der Opfertheologie). -
27.8.1994
Steckt in dem Wort „Erfüllung“ (des Wortes, der Schrift) das Kelch-Symbol?
Die Lösung des Problems der Ästhetik, und zwar der transzendentalen Ästhetik Kants wie auch der Kunstphilosophie, liegt in der Idee der Auferstehung.
Ist das indische Om ein Hinweis auf den Quellpunkt der indogermanischen Sprachlogik/Grammatik? Hier liegt der Grund für die faschistische Grundstruktur der Fundamentalontologie.
Ist die indische Schrift eine Buchstabenschrift (eine phonetische Schrift), und wie hängt sie mit der phönizischen und griechischen Schrift zusammen?
Das Sein ist das schwarze Loch, zu dem die Idee des Absoluten wird, wenn man sie gegen die Reflexion abzuschirmen versucht.
Die erkennende Kraft der Sprache ist heute nicht nur noch durch die Reflexion der Logik der Schrift hindurch zurückzugewinnen.
Im NT kommen beide Versionen vor: sowohl daß die Schrift (oder gar das Gesetz) sich erfüllt, wie auch, daß das Wort sich erfüllt. Sind diese drei Textarten nicht auseinander zu halten?
Ist nicht der gesamte Wissenschaftsbetrieb auf die Logik der Schrift und ihr gegenständliches Korrelat, die lineare Zeit, bezogen?
Daß die Wahrheit einen Zeitkern hat, und daß es zur Nachfolge dazugehört, die Zeichen der Zeit zu erkennen, verweist auf die Notwendigkeit der Reflexion der Logik der Schrift.
Ist nicht das Thalessche „Alles ist Wasser“ eine bleibende, apriorische Grunderfahrung der Philosophie, eine Erfahrung, in der sich die Philosophie immer wieder erneuert: Indem sie vergangenes Denken vergegenständlicht, reflektiert, verflüssigt sie es: erfährt sie es als „flüssig“. Das „Alles ist Wasser“ ist die Urform der Reflexion (die Wiederkehr des Mythos im Denken).
Ist die Philosophie nicht im Römischen Reich zur Rhetorik geworden, und waren es nicht Rhetoriker, die die lateinische Theologie begründeten (von Tertullian bis Augustinus)?
Mit dem Licht hat sich Gottes Wort in der Welt seinen Grund geschaffen.
Im NT träumt Joseph (im Traum erscheint ihm ein Engel), und Petrus träumt (er „sieht“ ein Bild), während Paulus in den dritten Himmel entrückt war und Stephanus den Himmel offen sah. Prophetie heute muß den Traum, den Nebukadnezar vergessen hatte, der heute zum Inbegriff aller nicht geträumten Träume geworden ist, erst erfinden, um ihn deuten zu können.
Engel im NT: real bei der Geburt des Johannes, in der Verkündigungsgeschichte (beidemale Gabriel), bei der Geburt Jesu, später dann in der Apostelgeschichte, z.B. bei der Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis; sonst nur in den Träumen des Joseph? Wie war es bei der Geburt des Johannes (beim Zacharias)? Sonst heißt es nur noch von den Kindern, daß ihre Engel Gottes Angesicht schauen (gilt dieses Wort auch für die Kinder in Auschwitz, und wenn ja: was heißt das?).
Zur Theorie des Traumes vgl. Hegels Erörterungen über Indien in seiner Geschichtsphilosophie (enthalten nicht die Teile, die von den „vorgeschichtlichen“ Völkern, von Afrika, China und Indien handeln, den von Hegel verdrängten prophetischen Impuls?). Gehört nicht das Problem des Traums zu dem der Ästhetik?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie