Bäume

  • 28.08.92

    Die eigentliche Botschaft, die die Naturwissenschaften nach draußen vermitteln, liegt nicht in dem, was in populärwissenschaftlichen Büchern steht, sondern in der Grunderfahrung, daß die Welt aus Material und den Mitteln seiner Bearbeitung besteht und die Natur das natürliche Objekt der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist.
    Heinsohn spricht zentrale Probleme der Menschheitsentwicklung (Ursprung des Geldes und der Sexualmoral) an, löst sie aber auf eine Weise, die den Autor und den Leser entlastet, indem sie ihn aus dem Schuldzusammenhang herausnimmt und Sündenböcke (vorge-schichtliche Naturkatastrophe, kirchliches Interesse an Menschenproduktion) zur Abdeckung der Lücken im System, des Defizits anbietet (ausgeklammert wird generell der patriarchalisch-frauenfeindliche Aspekt). Nicht zufällig erinnert sein Verfahren an das der Aufklärung, die immer schon mit Hinweisen auf Natur und Priestertrug Rationalitätsdefizite begründete. Hier scheint auch der Grund der Notwendigkeit und der Qualität seines polemischen Talents zu liegen. In dem bevölkerungstheoretischen Ansatz seiner Erklärung der Hevenverfolgung liefert er durchschlagendes Material für das Verständnis der Funktion der Sexualmoral insgesamt, wehrt aber dann im Hinblick auf Reich dessen „funktionalisierenden Ansatz“ ab (und behält damit von Reich nur den Slogan einer Zigarettenreklame übrig: Genuß ohne Reue). Und die unbesehene Gleichsetzung der präurbanen Methoden der Verhütung mit den technisch-industriellen, die heute sich durchsetzen, verweist auf die Schwächen seines Ansatzes. Das Vorurteilsmoment im Hexenwahn, das sehr früh seine eigene trieb- und realökonomische Schubkraft gewann, bleibt außerhalb seines Gesichtskreises und wird auch bewußt dort gehalten. Damit aber bleibt auch der Grund und der Stellenwert des Sexualtabus (sein Rationalitätskern im patriarchalischen Herrendenken) unbearbeitet. Seine Polemik zehrt vom Gestus des Jüngsten Gerichts (einer verkürzten Version des Hegelschen Weltgerichts), mit einer durchgebildeten Sündenbock-Dämonologie (in der der verdrängte Rationalitätskern der kirchlichen Sexualmoral wiederkehrt).
    Muß Heinsohn das Vorurteilsmoment im Hexenwahn leugnen, weil dessen Erkenntnis an die eigenen Verdrängungen rührt? Und geht es nicht in der Naturkatastrophen-Theorie und im bevölkerungspolitischen Ansatz seines Hexenverfolgungs-Konzepts um die Neutralisierung des gleichen Problems (des Problems der Gemeinheit und ihres Ursprungs im Kontext des Patriarchats, der Entstehung des Privateigentums, des Weltbegriffs)?
    Die biblischen Genealogien sind wohl auch aus ihrer Verknüpfung mit dem chronologisch-biologischen (Zeugungs-)Kontext herauszulösen:
    – Abraham entstammt der Linie Arpachschad (und nicht Aram), aber seine Verwandten sind Aramäer (er selbst ein Hebräer).
    – Die Stammbäume des Kain und des Seth sind teilidentisch, unterscheiden sich u.a. durch die Reihenfolge (vgl. insbesondere Henoch und Enosch, auch Lamech!).
    Gilt der Satz „Niemand kennt die Zeit und die Stunde außer dem Vater, der im Himmel ist“ außer für die Zukunft auch für die Vergangenheit (Verhältnis von vergangener Zukunft und zukünftiger Vergangenheit)? Und sind unter diesem Vorbehalt nicht auch die Genealogien (die toledoth, einschließlich des Sechstagewerks) zu lesen?
    Haben die sieben unreinen Geister etwas mit den sieben Engeln der Gemeinden (die Adressaten, nicht Boten der apokalyptischen Botschaft sind: aber wessen Boten sind sie?) in der Apokalypse zu tun? Und gibt es eine gemeinsame Beziehung beider zu den sieben Diakonen (die ersten Märtyrer: ein Apostel und ein Diakon, Jakobus und Stephanus)?
    Das hypostasierende, verdinglichende Denken, das die Erneuerung der Theologie heute verhindert, wird durchs Dogma und durchs Bekenntnis und ihre gemeinsame Logik abgesegnet und stabilisiert.

  • 22.08.92

    Das Staunen Gunnar Heinsohns darüber, daß die gleiche israelitische Geschichte, die einmal Maßstab war für die altorientalische Chronologie, dann daraus gestrichen wurde, während die so entstandene Chronologie im übrigen unverändert beibehalten und dann antisemitisch genutzt wurde, paßt sehr genau zusammen mit jener merkwürdigen Geschichte, in der die christliche Theologie (die dogmatisch verstandene Orthodoxie) objektiv zu den Entstehungsbedingungen der modernen Naturwissenschaften gehört – wobei der moderne Naturbegriff ohne die christologische Logik (die den Täter exkulpierende Logik der Vergöttlichung des Opfers) nicht zu denken ist -, nicht den Naturbegriff in Frage stellt, sondern durch ihn hindurch die Theologie so verhext, daß sie, zur Unkenntlichkeit entstellt, ohne Gefahr des Einspruchs bestritten werden kann.
    Die Astronomie gehört seit je zu den staatsbegründenden Wissenschaften (Kopernikus, Bodin, Kolumbus und die Hexenprozesse).
    Wo liegt die Differenz zwischen einer gesellschaftlichen und einer realen Naturkatastrophe? In ihren Auswirkungen auf die Opfer kann sie nicht liegen. Worin lag die Bedeutung des Erdbebens von Lissabon für die Geschichte der europäischen Aufklärung? Lag sie nicht darin, daß es sich hier um eine Katastrophe handelte, die keinen Schuldigen brauchte?
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind die subjektiven Formen der Anschauung der anderen; in ihnen bezieht sich das Denken auf das Denken der anderen; sie sind die Statthalter der anderen im Subjekt (Medium der Vergesellschaftung des Subjekts). Darin liegt ihre große Bedeutung für die philosophische Begründung des Wissenschaftscharakters der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Hier lernt das Subjekt sich selbst von außen (in den Augen der anderen) sehen. Das gehört in die Geschichte vom Sündenfall: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
    Das, was im Objektivationsprozeß nach innen verdrängt wird, wird verdrängt vor der Gewalt des Äußeren, vor der das Subjekt schon kapituliert hat. Diese Kapitulation ratifiziert das Ende des Prozesses: das Barbarisch-Werden und schließlich das Verschwinden dessen, was unterm Begriff des Inneren falsch begriffen wird. Die Idolatrie und der Ursprung des Weltbegriffs bezeichnen den Anfang dieses Prozesses.
    In der Diskussion der transzendentalen Logik gab es die Frage nach der transzendentalen Ableitung dieser Schreibfeder, die Aufforderung an den transzendentalen Idealismus, ihre Existenz aus den Voraussetzungen der reinen Vernunft zu konstruieren. Mit diesem Beispiel wurde auf den auch durch den transzendentalen Idealismus nicht aufgehobenen Wert der Empirie hingewiesen. Aber dahinter steckt ja doch auch noch ein anderes: Ist die „Ableitung“, die „apriorische Konstruktion“ einer Schreibfeder so denkunmöglich? Wäre sie nicht doch zu leisten durch eine Erinnerungsarbeit, die mit der Schreibfeder die ganze Geschichte der Schrift und ihrer Stellung im Lebensprozeß der Gesellschaft (Zusammenhang der Schrift und ihrer Techniken mit der Urgeschichte des Staates und der Zivilisation, des Geldes, der Sprache, des Mythos, der Philosophie, der Prophetie) und den Stand dieser Geschichte in der Gegenwart, in der die Schreibfeder (dann der Füllfederhalter, die Schreibmaschine, die elektronische Textverarbeitung) ein wichtiges Indiz für die Stellung des Bewußtseins zur Objektivität und für die geistigen Produktions- (und Erinnerungs-)Bedingungen ist.
    Die Ezechielstelle über Jerusalem (Vater ein Amoriter, Mutter eine Hetiterin) mit Abraham-Melchisedek, mit Davids Eroberung Jerusalems und dem Hebräer-Brief vergleichen?
    Die Frage, ob das Tausch-Paradigma oder das Schuldknechtschafts-Paradigma wichtiger sei für die Gesellschaftserkenntnis, scheint mir der anderen Frage vergleichbar zu sein, ob der begriffliche Zusammenhang der Mechanik besser durchs Relativitätsprinzip oder durchs Gravitationsgesetz zu bestimmen sei. Beide Aspekte gehören zum Begründungszusammenhang ihres Objektbereichs und zum Konstitutionszusammenhangs ihres objektbegründenden Referenzsystems. – Bedeutung der Relativitätstheorien Einsteins, die zwar nicht die Lösung bieten, aber die bis heute genaueste Darstellung des Problems.
    Zur Kritik der Naturphilosophie: Bezeichnet nicht der Naturbegriff seit je den Mülleimer der Philosophie: Mit dem Naturbegriff wurde der Widerspruch zugedeckt, der von der Arbeit des Begriffs nicht abzulösen ist. Wer diesen Mülleimer öffnet, muß damit rechnen, daß, was er darin sieht, nicht mehr mit der Philosophie zusammen sich anschauen läßt. Mit der Auflösung des Rätsels des Naturbegriffs löst sich die Philosophie selber auf. Seit ihrem Ursprung hat die Philosophie den Naturbegriff als Mittel ihrer Selbstkonstituierung benutzt; sie hat ihn damit der Reflexion entzogen und ihm zugleich eine Last aufgebürdet, die er zu tragen nicht imstande ist.
    Wenn man die hegelsche Philosophie – das Autodafe der bisherigen Philosophie, wie Franz von Baader sie genannt hat – als die Selbstverständigung der Geschichte des Herrendenkens begreift, und wenn man das Herrendenken als die Außenseite der Theologie begreift, dann ist Adornos negative Dialektik Theologie.
    Der Nationalsozialismus, die Rassenideologie, enthält wie jede Ideologie (oder auch wie jeder Wahn) einen rationalen Kern. Diesen rationalen Kern mit aufzuarbeiten, ihn mit zu reflektieren, heißt auch: ihn dadurch, daß man ihn reflektiert, ihn ins Bewußtsein hebt, zu neutralisieren, ihm seinen wahnhaften Charakter zu nehmen.
    Die Tatsache, daß die hebräische Sprache kein Futur kennt, hängt mit dem Bilderverbot zusammen. Umgekehrt hängt die Existenz der futurischen Formen in den sogenannten indogermanischen Sprachen mit der Ausbildung des mythischen Denkens, mit der Geschichte der Säkularisation des mythischen Denkens durch Verinnerlichung des Schicksals, des Ursprungs und der Entfaltung des begrifflichen Denkens zusammen, bis hin zum Ursprung des Weltbegriffs, des Inertialsystems und der naturwissenschaftlichen Aufklärung. Der Schritt über die vorgriechische Geschichte hinaus wird präzise bezeichnet durch die Bildung des Weltbegriffs, mit dem Naturbegriff gleichsam als Abfalleimer.
    Die Wiedergewinnung des messianischen Element ist ohne die Kritik der Christologie und ihres Zusammenhangs mit dem philosophischen Naturbegriffs nicht zu leisten.
    Die Entdeckung des Blutkreislaufs und die Entdeckung des kopernikanischen Systems sind gleichzeitig; sie stehen in einem Schuld-und Systemzusammenhang mit dem anatomischen Ursprung der modernen Medizin und der gleichzeitigen Geschichte der Hexenverfolgung.
    Kann es sein, daß der Begriff der Arier kein stammesgeschichtlicher, sondern ein herrschafts- und sprachgeschichtlicher (Ursprung der staatenbegründenden Sprache) und damit primär ein soziologischer ist?
    Ist das Wasser, dieses flüssige Element, ein Symbol der Zeit, genauer: der Zeit, wie sie im Zusammenhang mit dem Futur II und dem Inertialsystem sich darstellt (der Fähigkeit, die Zukunft als vergangen zu denken)? Und wird dieses „flüssige Element“ im Relativitätsprinzip (in dem der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie gemeinsamen Prinzip) benannt? Das würde die Einsteinsche Theorie erst in den Zusammenhang ihrer realen Bedeutung stellen: So wäre sie unmittelbar auf Thales („Alles ist Wasser“) und auf den biblischen Schöpfungsbericht (Geist Gottes über den Wassern, Scheidung der Wasser durch die Feste). – Die Festkörperphysik und die Gastheorien sind Objekttheorien, während die Flüssigkeitsphysik eine Systemtheorie sein müßte. Der speditionelle Begriff des Massengutes rührt ebenso wie der damit verwandte Begriff der flüssigen (nicht festen) Materie an den Grund des philosphisch-naturwissenschaftlichen Massenbegriffs.
    Der Arzt als magischer Helfer: diese Vorstellung ist ein Produkt der exkulpatorischen Delegation der eigenen Verantwortung für die eigenen Physis und die Gesundheit an einen Sündenbock; auch ein Versuch, schuldlos zu erscheinen (exkulpatorisches Element in der Krankheitslust).
    Das unbekehrte Christenum ist verinnerlichte Idolatrie, die so zum Ferment des Bösen wird: daher die Bedeutung der Teufel, Dämonen, unreinen Geister und die Höllenvorstellung im Christentum.
    Der Weltbegriff ist ein Begriff der Herrschaftsgeschichte, nach der Vergesellschaftung von Herrschaft, nach der Implantierung der subjektiven Formen der Anschauung im Subjekt, fast nicht mehr kritisierbar.
    Die Marxsche These (aus den Thesen über Feuerbach):
    Bisher haben die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert, es käme aber darauf an, sie zu verändern,
    genauer bestimmen:
    Bis jetzt steht die Philosophie unter dem logischen Gesetz des Weltbegriffs, es käme aber darauf an, sie aus dieser Verstrickung zu lösen.
    Mit der Reformation hat die Kirche ihre „häresienbildende Kraft“ verloren. Seitdem schmort sie in ihrem eigenen Saft.
    In dem in traditionellen Darstellungen der Logik beliebten Beispiel eines logischen Schlusses:
    Alle Menschen sind sterblich.
    Sokrates ist ein Mensch.
    Also ist Sokrates sterblich.
    wird unterschlagen, daß Sokrates sich dem Verfahren eines amtlich verordneten Selbstmords unterworfen hat. Er hat die Todesstrafe, die die polis über ihn verhängt hat, selber vollstreckt und den ihm nach seiner Verurteilung überreichten Schierlingsbecher getrunken. Das, so scheint mir, ist das Modell für das Heideggersche „Vorlaufen in den Tod“, die durch den Tod vollzogene Identifikation mit dem Kollektiv (Hegels „Substanz als Subjekt“); dieser Tod ist die Grundlage des Herrendenkens. Und die Heideggersche „Eigentlichkeit“ ist die Schrumpfform des philosophischen Unsterblichkeitsgedankens. Aber in dieser Konstruktion steckt zugleich das Echo aus der Geschichte vom Sündenfall: Wenn ihr von diesem Baume eßt, müßt ihr sterben, sterben. Hier wird der Tod als eine Konsequenz an eine Gestalt der Erkenntnis geknüpft, die seitdem der Grund ist für die Instrumentalisierung der Welt: die Erkenntnis des Guten und Bösen. Es ist der gleiche Prozeß, in dem über die Gestalt des sokratischen daimon und durch die Verinnerlichung der mythischen Schicksalsidee das Subjekt glaubt, aus dem mythischen Schuldzusammenhang heraustreten zu können und sich als „philosophisches Subjekt“ und als Teil der („zivilisierten“) Welt konstituiert. Die verinnerlichte Struktur des Schicksal ist zum Wesen des Begriffs geworden, unter dessen Herrschaft die Welt als Welt sich konstituiert.

  • 16.08.92

    Eugen Drewermann (Publik Forum vom 14.08.92, Dossier: Heute muß die Reformation eine Revolte sein): Nicht nur die Reformation, sondern die Geschichte der Häresien insgesamt (seit dem Urschisma) „als ein Gegenüber zur Selbstkorrektur begreifen“, beim Protestantismus nur das Besondere: das Verschwinden der häresienbildenden Kraft.
    Nicht die „Zerrissenheit“ und die „Zerspaltenheit“ der Christenheit ist der Skandal, sondern die Unfähigkeit zu begreifen, was es mit der Geschichte des Christentums auf sich hat.
    Was meint D., wenn er schreibt: „Er (Jesus) wollte nicht eine Gegenbewegung dem Volk der Erwählung gegenüberstellen“?
    Oder: Jesus „wollte vielmehr das intensivste, gläubigste und frömmste Anliegen der Propheten seines Volkes verdichtet wissen in seiner eigenen Person und endlich lebbar machen für die Menschen seiner Zeit und aller Zeiten“?
    Und was soll der Hinweis auf die kirchlichen „Beamtenstuben“?
    Oder: Die Botschaft Jesu war sehr einfach: Das Reich Gottes ist in euch …“
    Oder „… er veränderte die Botschaft vom Jordan in den Dörfern Galiläas, indem er eine Sammlung an die Stelle der Bildung neuer Eliten setzte“ (gegen Johannes den Täufer?)?
    Was meint D. mit dem „Kampf auf Leben und Tod“?
    Oder, wenn er schreibt, daß Jesus wollte, „daß wir Gott wiederfänden als einen Bezugspunkt von Vertrauen …“?
    Oder: „Ein Gott, der es regnen läßt über alle Menschen, ist kein Bezugspunkt für Ausgrenzungen, sondern für das verdichtete Gefühl von Zusammengehörigkeit“?
    Wird das Wort „Richtet nicht …“ nicht neutralisiert und verharmlost, wenn man es „provokatorisch und agitatorisch“ nennt?
    Das „Er ist und war ein Freund der Zöllner und der Huren“ ist gerade nicht „der eigentliche Schuldvorwurf“, sondern der erwächst aus der Tempelreinigung.
    War es nicht der Fehler Luthers, gegen den die katholische Kirche (auch wenn sie es selbst bis heute nicht begriffen hat) recht hatte, daß er bei der Frage „wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ und bei dem Versuch, sie für sich und die Christen seiner Zeit zu beantworten, mit den Werken auch den Zustand der Welt religiös neutralisierte, ausklammerte und verdrängte (Paradigma der paranoischen Grundstruktur: die Objektbindung des Wahrheitsbegriffs; Bedeutung der „Arglosigkeit“).
    Mit dem Wort von den „zehn Geboten für die Durchschnittsmenschen“ (Gegenstück einer „elitären“ Moral der Bergpredigt?) beweist D., daß er keines der zehn Gebote begriffen hat. Es ist wirklich schlimm.
    „Die vatikanische Zentrale ist die Ausbeutung schlechthin gegen jeden anderen Stand“: Hier liegt der Grund seines Antiklerikalismus. Luthers Kampf gegen den Ablaß fällt in die Zeit des Beginns der Ausplünderung Amerikas. Hier wird das Problem von der ökonomischen Realität auf die Kirche (die als Hehlerin mitschuldig ist) verschoben (Vorbild des antisemitischen Wucher-Vorwurfs).
    Verräterisch der Hinweis auf die „zu wenig wohlverschlossenen Türen unseres Seelenhaushalts“: auf den Verdrängungsblock, den auch D. unangetastet läßt.
    Drewermann begibt sich in einen fürchterlichen Selbstwiderspruch, wenn er in der Kirche die Folgen dessen angreift, was er selbst in ihr sucht.
    Das ist nun wirklich schlimm, daß „wir als Glaubende“ nach D. „mehr wissen, als alle Päpste und Bischöfe der Kirchengeschichte zusammen“. Oder: „Aus dem eigenen Ich sprachen die Propheten …“ – Eben nicht (vgl. dagegen Rosenzweigs Bemerkung zum „Spruch des Herrn“)?
    Hegels Philosophie ergreift am Ende doch die Partei des Andersseins, und erliegt damit der verandernden Kraft des Seins.
    Es wäre eine Untersuchung vonnöten, die den sprachgeschichtlichen Ursprung des Seins im Kontext einer Geschichte der Grammatik ermittelt und benennt.
    Adornos Bemerkung, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie doch zugleich falsch abbildet, hängt mit dem Gesetz von Objektivation und Instrumentalisierung zusammen, mit der verwirrenden und ambivalenzerzeugenden Kraft des Begriffs. Wer der Eindeutigkeit des Begriffs besteht (um die Instrumentalisierung der Wahrheit dem Blick zu entziehen), wird zum Parteigänger der Herrschaft (nicht der „Macht“) und fühlt sich zwangsläufig von den Fremden und den Armen bedroht und verfolgt (weil er sie selbst bedroht, ihnen ihre Erfahrung raubt, sie zur Stummheit verurteilt).
    Die kantische transzendentale Logik, die Kritik der reinen Vernunft, ist die erste Gestalt der realen Reflexion des Schuldzusammenhangs, in den das Denken selber verflochten ist.
    Die Idee der Übernahme der Sünde der Welt legt der Theologie die Pflicht auf, sich in der Wahrheitssuche am Zustand der Welt zu orientieren, d.h. die geschichtliche Reflexion in sich mit aufzunehmen (die Zeichen der Zeit erkennen und beurteilen).
    Aufgabe, ja Pflicht der Kirche wäre es, den Knoten endlich zu lösen, den Alexander (der erste Aristoteliker) nur duchschlagen hat.
    Die Kirche braucht in der Abtreibungsfrage die rechtliche Absicherung ihres moralischen Urteils aus Exkulpationsgründen: Nur noch der rechtliche (und nicht mehr der theologische) Schuldbegriff spricht die Kirche frei von ihrer Mitschuld an Auschwitz. Aber genau hier wird der Schuldzusammenhang unauflösbar, in den jeder Versuch einer rechtlichen Selbstexkulpation hineinführt, indem er sie mit dem Opfer der Anderen erkauft (Umkehrung des Kreuzesopfers, der Pflicht zur Übernahme der Sünde der Welt). Aber in diesen Zusammenhang führt der Mechanismus jedes moralischen Urteils, das aus dem Sündenfall, der Wirkung des Baumes der Erkenntnis, sich herleitet, zwangsläufig hinein; dagegen steht das Wort „Richtet nicht …“.
    Das Pflichtzölibat verletzt das Keuschheitsgebot (wie die Hierarchie das Gehorsamsgebot und das Dogma das Armutsgebot) an der Wurzel.

  • 06.08.92

    Denn sie essen das Brot der Gottlosigkeit und trinken den Wein von Gewalttaten. (Spr 417)
    Er wird den Gewalttätigen schlagen mit dem Stab seines Mundes und mit dem Hauch seiner Lippen den Gottlosen töten. (Jes 114)
    Staat und Sinnlichkeit, oder Ableitung der Sexualmoral: Die Abtreibungsdebatte fördert es zutage, daß es in allen Rechtsverhältnissen um die Anerkennung von Besitzansprüchen geht. In der Abtreibungsfrage geht es darum, wer Besitzansprüche gegen den Fötus geltend machen kann: der Staat oder die Frau. So erweitert der Staat sein Gewaltmonopol bis in den Schoß der Frau. Und die sexuelle Lust steht gleichsam in Konkurrenz zur Gewaltlust des Staates (zur Verletzbarkeit seiner Eigentumsansprüche); deshalb war sie als Träger der (vorweltlichen) Erbschuld zu kriminalisieren. Und die Gewaltlust des Staates wurde zum Ursprung und Modell jeglicher Vergewaltigung.
    Begriffe sind Verkörperungen des Gewaltmonopols des Staates, unkenntlich gemachte Vergewaltigungen der Sprache.
    Vernunft und Sexualität verhalten sich zueinander wie Welt und Natur; als getrennte gründen beide in Gewalt.
    Die Vorstellung von einer schöpferischen Kraft der Natur ist phallokratisch.
    Die Heiligengestalt der virgo entstammt einer Zeit, in der den Menschen das Bewußtsein der Erbschuld noch präsent war. Und der Vollständigkeit halber wird man sagen müssen, daß auch die Kirche die Lehre von der natürlichen Unschuld nie akzeptiert hat; Beweis: die Kindertaufe.
    Wollte man heute die virginitas dem Verständnis näherbringen, so müßte man anstatt von Unschuld von Keuschheit reden. Keuschheit aber ist keine Naturqualität, sondern eine ausgesprochen soziale und moralische. Und Keuschheit steht nicht einer direkten, gleichsam intentionalen Beziehung zur Sexualität, sondern in einer reflektierten; sie ist vor allem eine Qualität der politischen Praxis, aber eine fast nicht mehr auffindbare, nicht mehr erkennbare. Ich glaube, man kommt der Sache näher, wenn man Keuschheit im Kontext von Gewalt und Gewaltfreiheit begreift und zu bestimmen versucht. Keuschheit hängt eher mit Arglosigkeit (und ihrer Beziehung zur Unschuld) zusammen als mit jener Unschuld, die sich ausschließlich durch ihre Beziehung zur Sexualität definiert. Dafür ist die Kirche nun wirklich der schlagende Beweis, daß es eine sehr unkeusche Art der sexuellen Enthaltsamkeit gibt.
    Keuschheit ist einer der drei evangelischen Räte (die alle sich auf das Leben im Angesicht Gottes beziehen). Die beiden anderen sind Gehorsam und Armut: die Fähigkeit zu hören (das Eingedenken, die Erinnerung) und das reflektierte Verhältnis zum Geld und zu den durchs Geld bestimmten Verhältnissen (Übernahme der Sünde der Welt). Das Verständnis der Keuschheit wird erschwert durch die das Bewußtsein beherrschende Funktion der Naturwissenschaft (Inbegriff der Unkeuschheit?). „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren, und sie schämten sich“: das ist der Ausgangspunkt. Die Keuschheit ist eine Weise des Umgangs mit dieser Nackheit, ein Reflex der Scham, der Fähigkeit, sich in den Augen der Anderen zu sehen. Die Scham, die Furcht, nackt und bloß da zu stehen, bezeichnet einen sozialen Sachverhalt: Kinder schämen sich für ihre Eltern; Eheleute schämen sich für einander; wir schämen uns, Deutsche zu sein. Scham ist ein Reflex der Erkenntnis, von anderen gesehen zu werden: ein Reflex der Erfahrung, als Objekt (gleichsam hinter dem eigenen Rücken oder im Stande der realen Schuld) gesehen zu werden. Grundlage fürs Verständnis der Keuschheit ist das Begreifen, wie sich die Nacktheit von der sexuellen Sphäre in alle Lebensverhältnisse verlagert und ausbreitet, und zwar ausbreitet im Prozeß der Objektivation, der das Maß abgibt für den weltgeschichtlichen Stand von Scham und Keuschheit.
    Ist nicht das Bild des Objekts, das der Begriff der Natur uns vor Augen stellt, das Bild absoluter Schamlosigkeit (wie sich leicht anhand der Stellung des Objekts in der transzendentalen Logik nachweisen läßt)?
    Obszön ist die Abtreibungsdebatte, die ein Problem der Sexualität (letztmals?) zur Rechtfertigung der Gewalt mißbraucht.
    Die Vorstellung, Kinder seien unschuldig, ist insoweit zynisch, als sie die Kinder mit ihrer realen Schulderfahrung allein läßt. Ebenso ist allerdings die kirchliche Lehre von der Erbschuld zynisch, weil sie den Kindern die ganze Last der Sünde der Welt aufbürdet, anstatt endlich dem Nachfolgegebot zu gehorchen und sie selber zu übernehmen.
    Adornos Hinweis auf den Einschulungsschock und seine Funktion im Hinblick auf die Genese des Antisemitismus greift – wie mir scheint – noch zu kurz: Der Zustand, in den unser Schulwesen gegenwärtig hineintreibt (vom Zustand des zu vermittelnden Wissensstandes bis hin zu den objektiven Bedingungen wie numerus clauses, Leistungsprinzip, Elterndruck), prolongiert den Einschulungsschock; das scheint überhaupt den gegenwärtigen Weltzustand zu definieren: Schock als andauernder Weltzustand (wichtig für die Rezeption Benjamins).
    Beachte das Verhältnis von Schule, Kinder und Musik, das das eines Opfergangs geworden ist. Die BILD-Zeitung und der Zustand der Konsum-Musik heute sind die schärfste Anklage gegen den Zustand unseres Schulwesens.
    Der Begriff des Anstands hilft nur, den Schein zu wahren, während der des Takts die Sensibilität für den Umgang mit fremder Scham bezeichnet. Leute, die auf Anstand pochen, sind in der Regel taktlos.
    Sind Petrus und Paulus (?) Namen, die sowohl im Griechischen als auch im Lateinischen unmittelbar verständlich sind?
    Zu den Insignien der Herrschaft gehören neben dem Thron die Krone, das Zepter und der Reichsapfel:
    – Der Reichsapfel war das Bild der Welt, deren Einheit durch Herrschaft definiert wurde, war er auch Modell für das Bild des Apfels, den der Tradition nach Eva Adam reichte? Ist die Frucht des Baumes der Erkenntnis der Ursprung des Weltbegriffs?
    – War das Zepter ein Phallussymbol (vgl. das Buch Esther)?
    – Und welche Bedeutung hatte die Krone?
    Die Astronomie seit Kopernikus (seit dem altorientalischen Sternendienst?) gleicht dem Versuch, Anthropologie anhand von Zinnsoldaten zu studieren.

  • 16.04.92

    Ist die Erde eine Kugel? Oder ist der Vergleich von Mond und Apfel zulässig? Gleichnamigkeit des Ungleichnamigen: Kann von der Größendifferenz von Körpern abgesehen werden: Wenn nicht bei Maus und Elefant, weshalb dann bei Erde und Sonne, bei Apfel und Mond (Differenzen ergeben sich schon aus der unterschiedlichen Relation von Masse und Oberfläche; welche anderen Probleme sind vergleichbar; Grenzbereiche Gravitation und Licht: warum ist es nachts dunkel)? Warum können Bäume nicht in den Himmel wachsen? Wie begründet ist die Rückrechnung aus dem Gravitationsgesetz auf das „Gewicht“ der Sonne und der Planeten? Kann man die Sterne auf die Waage legen? Ist das Problem des Planetensystems und der Sternenwelt das Korrelat des Quantenproblems in der Mikrophysik (der Korpuskel-Welle-Dualismus)?
    Ist der Raum als „Form der Gleichzeitigkeit“ (und nicht nur als Form der Anschauung) zu halten? Ist der Blick in die Sternenwelt ein Blick in die Vergangenheit? Kann angesichts des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit die Vorstellung eines nach allen Seiten unendlich ausgedehnten Raumes, seine gegenständliche Stabilität, noch gehalten werden? Ist hierauf nicht die theologische Tradition, wonach die Erbschuld sich über die sexuelle Lust fortpflanzt, anzuwenden: Ist nicht die Vorstellung des unendlichen Raumes (deren Entstehung mit der Hexenverfolgung zusammenfällt) Produkt dieser „Fortpflanzungslust“? Und erweist sich nicht damit:
    – diese Fortpflanzungslust als Grund der Urteilslust, und
    – und die „kopernikanische Wende“ als die entscheidende Wende im Prozeß der Verinnerlichung des Patriarchats, des Sexismus, der Vergewaltigung als System?
    (Der Raum und das Lachen, der Raum und das Gericht; Fortpflanzung: Zusammenhang von Zeugung und Zeugnis; Stellenwert und Bedeutung der Sexualmoral im Christentum: Zusammenhang mit dem Weltbegriff; gegenseitige Stabilisierung von Ökonomie und Natur; das Problem der Größe reflektiert sich in der Ökonomie im Schuldenproblem: vgl. Hegels Satz über den Zusammenhang des bürgerlichen Reichtums mit der Armut).
    Hängt diese Bedeutung des Raumes mit dem trinitarischen Zeugungsbegriff (der Vergeistigung der Genealogie) zusammen?
    Der Raum ist das Gattungswesen von Welt und Menschheit. Und die subjektiven Formen der Anschauung sind die anonymisierten Repräsentanten der Gesellschaft im eigenen Innern.
    If the future will be like the past: Die Frage, ob Erkenntnisse, die anhand der Vergangenheit gewonnen werden, sich auf die Zukunft übertragen lassen, hat im Konzept des Inertialsystems ihre instrumentalisierte Antwort („Lösung“) gefunden. D.h. die Zukunft, die wir so begreifen, ist die Zukunft des Futur II, die zukünftige Vergangenheit. Und dieses Futur II ist die Grundlage des hypostasierenden Denkens, der transzendentalen Logik und der synthetischen Urteile apriori: der Urteilsform. Es verstrickt sich ins Herrendenken, schließt den Schöpfungsgedanken aus (der dann im Rahmen der domestizierten Theologie als creatio ex nihilo dem kapitalistischen Bewußtsein sich einverleiben und zugleich unschädlich machen läßt; er setzt dann die Grenze zwischen Barbaren und Wilden, als Reflexionsgestalten der Zivilisation).
    Zusammenhang mit der Selbstverblendung des Kapitalismus, an der alle partizipieren: Rekonstruktion des blinden Flecks im Zentrum dieses Systems? (Apokalyptische Vorstellungen Reagans, Bushs „Neue Weltordnung“; Grenada, Irak, Lybien; Problem Israel)
    Erst wenn wir das Problem des Gravitationsgesetzes lösen, stürzt Babylon.
    Christentum heißt auch: Unsere Zukunft liegt in der Vergangenheit. Und das etablierte Christentum hat alles getan, um die Vergangenheit des Vergangenen zu stabilisieren (sich der Auferstehung in den Weg zu stellen). Darauf bezieht sich die Geschichte von den drei Verleugnungen (Warten auf den Hahnenschrei).
    Derrida ist der Drewermann der Philosophie.

  • 11.04.92

    Das Bild ist Modell und Ursprung des Objekts; Ursprung und Modell des Bildes ist das Opfer, das Bild das Gedächtnis oder Ersatz des Opfers. Das Bild ist aber ebensosehr der Quellpunkt der Schrift, des prädikativen Denkens, des Logos und der Welt. Und der Gott und das Opfer sind Modell der Beziehung von Welt und Natur.
    Das Opfer und das Ding hängen über die Exkulpationsautomatik zusammen (gegenüber einem Ding kann ich nicht schuldig werden: Verdinglichung als Schutz vor dem schlechten Gewissen, Schutz vor der Gottesfurcht).
    Der Untergang der Welt und die Erneuerung des Antlitzes der Erde: das ist ein Vorgang.
    Hat nicht die Fortpflanzung des Lichts (Modell der Selbstausbreitung des homogenen, isotropen Raumes) tatsächlich etwas mit der Fortpflanzung, der Zeugung (und diese Zeugung etwas mit dem Zeugnis, den Bedingungen der Anerkennung der Zeugenschaft (Geschlecht und Anzahl der Zeugen): der Raum ist der Zeuge der Naturwissenschaft, aber das perfekte falsche Zeugnis wider den Nächsten), zu tun? Und ist der Frühling so etwas wie ein Orgasmus der Natur? Was bedeuten dann die Insekten und die Vögel? Sind die Vögel nicht akustische Blüten (und die Insekten Bastarde aus Raum und Licht (vgl. Belzebul, den Herrn der Fliegen)?
    Das organische Leben unterliegt der Dialektik von Innen und Außen und der Prävalenz des Außen. Durch die Geldwirtschaft wurde diese Dialektik auf die Evolution des Kapitalismus übertragen. Der Darwinismus verdankt sich der projektiven Übertragung dieser gesellschaftlichen Evolution auf die Natur. Frage: Welche Stellung haben die Blumen, die Insekten, die Bäume, die Vögel, die Säugetiere und die großen Seeungeheuer (Behemot und Leviatan) in der Evolutionsgeschichte des Kapitalismus?
    Bei den Tieren drückt sich das Verhältnis von Im Angesicht und Hinter dem Rücken im Angriffs- und Fluchtverhalten aus, in der organischen Selbstinstrumentalisierung der Arten und Gattungen (in den Hörnern, dem Gebiß, den Klauen und Pfoten, den galoppierenden Hufen). Und wie sieht es aus mit dem Charakter von Behemot und Leviatan? Und mit der Schlange: als reine Selbstinstrumentalisierung der „Klugheit“? Hier ist – wie bei den Tieren überhaupt – die Instrumentalisierung durch Gattung und Art vorgegeben (von der organischen Ausstattung bis hin zum Verhalten: wie hängen beide zusammen?). Das einzelne Tier ist für seinen Charakter (seine organische und Verhaltens-Ausstattung) nicht verantwortlich, reiner Ausdruck des Schuldzusammenhangs der Welt. Der Mensch hingegen ist für seinen Charakter und für sein Gesicht verantwortlich. Er muß die Selbstinstrumentalisierung selbst arrangieren, wobei ihm die Gesellschaft (in der Gesamtheit ihrer Institutionen) die Mittel an die Hand gibt, die diese Selbstinstrumentalisierung zumindest erleichtern, in der Regel bewußtlos durchsetzen.
    Die Musik mißt die Distanz zwischen der nominalistisch depotenzierten Sprache und dem Schuldgrund, auf den sie zurückzubeziehen ist. Die Kunst federt die Brutalität des Aufklärungsprozesses ab und ermißt sie zugleich, sie verleiht dem Leiden die Sprache vor der Sprache. Die Konstellation von Technik, Material und Ausdruck in Musik und Malerei ist das Medium dieser seismographischen Wahrnehmung.
    Das Osterlachen scheint mir (in Publik-Forum) völlig falsch interpretiert zu sein. Das exhibitionistische Element als Anlaß des Lachens verweist auf die Soziologie des Witzes, nur daß hier – wie beim Clown – Erzähler und Objekt des Witzes eins sind. Das Osterlachen ist tieftraurig und blasphemisch zugleich, die umgekippte Osterfreude.
    Die gesamte Geschichte der europäischen Aufklärung steht unter dem Zeichen des Gerichts.
    Wittfogel, Franz Borkenau und Alfred Sohn-Rethel: An den Rändern der Frankfurter Schule scheinen die Versuche mißlungen zu sein, an das offene Problem der Frankfurter Schule sich heranzutasten. Die realen Ursachen dieser Probleme werden vielleicht am ehesten sichtbar an dem konspirativen Element im Ursprung der Theorie Sohn-Rethels. Lösbar ist das Problem erst geworden durch Einstein.
    „Das Christentum als Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“
    Die Gebote des Dekalogs sind strikte Gebote, keine durch Sanktionen abzusichernde Gesetze. Das unterscheidet sie von Rechtsgründungen der Hamurabi, Solon u.a.
    Aufschlußreich (für das Verhältnis von Wirtschaftsmacht und Recht) ein Fall, der heute in der Rundschau geschildert wird: Ein Großunternehmen verklagt einen öffentlichen Kritiker (Leserbriefschreiber) und setzt die Schadensersatzforderung und den Streitwert so hoch, daß die Rechtsschutzversicherungen andere Beteiligte (u.a. das Publikationsorgan, das den Leserbrief veröffentlicht hatte) zwingen, die Klage zurückzuziehen. (Der Kritiker selbst hält durch und gewinnt den Rechtsstreit.) Wie lange gibt es angesichts der jedem Vergleich spottenden Unterschiede der ökonomischen Potenz für einen privaten Beteiligten überhaupt noch eine Möglichkeit, gegen einen potenten Kläger sein Recht zu bekommen? Es ist offensichtlich ein Leichtes, einen etwa bestehenden Rechtsschutz auf legale Weise auszuhebeln. Ist es nicht längst so, daß „Rechtspersonen“ Vorrechte vor realen Personen haben (und die Gleichheit vor dem Gesetz längst zur Makulatur geworden ist: Rückkehr des Naturzustandes, Undomestizierbarkeit der in Privathand angewachsenen ökonomischen Gewalt)?

  • 10.03.92

    Bedeutungswandel des Namens des Himmels im Christentum: Zusammenhang mit dem Namen des Logos und der Übernahme der Sünde der Welt? Konstitutiert sich dieser Himmelsbegriff in der Reflexion des Schuldzusammenhangs? Und wie hängt dieser Himmel mit dem empirischen Himmel (der „Feste“ und der Sternenwelt) zusammen? Ursprung der neuen Himmelsvorstellung in der Apokalypse, Zusammenhang mit der Schöpfungsidee und mit dem Weltbegriff?
    Dankbarkeit und Schuld sind Korrelate der Gnade und des Gerichts: Ist Undankbarkeit Schuld? Und ist erzwungene Dankbarkeit noch Dankbarkeit (Ursprung des Herrschaftsverhältnisses und des Schuldzusammenhangs)? – Anwendung auf das Verhältnis von Genitiv und Dativ.
    Zur Baum-Metaphorik: Unterscheidung des Baumes des Lebens vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Beide sind sprachlicher Natur, wie überhaupt Bäume mit Sprache zu tun zu haben scheinen (Erlaubnis, von den Früchten der Bäume – mit der bekannten Ausnahme – zu essen). Der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen scheint die durch die Urteilsform geprägte und präjudizierte Sprache, die begriffliche Sprache, zu symbolisieren, der Baum des Lebens die Ausdruckssprache, die metaphorische, die Namenssprache (die Sprache, die ihre Wurzeln in ihrer benennenden Kraft hat, und in deren Krone die Vögel des Himmels nisten).
    Hat der Rhizynus-Strauch im Buch Jona etwas mit dem Senf-Strauch im Gleichnis Jesu tun? Auf diesen Strauch bezieht sich der Dialog, in dem am Ende Gott auf die 120000 Menschen, die rechts und links nicht unterscheiden können, und auf soviel Vieh verweist.
    Welche Bäume gibt es in der Schrift (Ölbaume, Weinbäume, Eichen, Zedern)? Nach der Kabbalah gibt es sieben Baumarten (Zusammenhang mit Schöpfung und Apokalypse, Astrologie).
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Hier ist der Ursprung des Weltbegriffs, die reinste Beschreibung des Falls, und zwar sowohl als Vorgang, als Prozeß, als auch der Bahn, auf der dieser Vorgang verläuft.
    Die Zeitdilatation ist richtungsabhängig und nicht unmittelbar auf den ganzen Raum bezogen. Bedeutung für die Frage der Chronologie, der Umkehr, der sieben unreinen Geister, der Schöpfung und Apokalypse?
    Das „Seid klug wie die Schlangen“ (griechische Tradition) ist leicht im Verhältnis zu dem „arglos wie die Tauben“ (jüdische Tradition).
    „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“: Hängt das mit der Umkehr und den sieben unreinen Geistern zusammen (vgl. auch die sieben Werke der Barmherzigkeit bei Matthäus)?
    Die Hebräer haben im Sklavenhaus Ägypten Ziegel gebrannt: wurden die Pyramiden mit Ziegeln oder mit Quadersteinen erbaut; war der Ziegelbau nicht eine Spezialität in Mesopotamien?
    Das christliche Dogma blockiert die Sprache und den Dialog auf ähnliche Weise wie das Rechtbehaltenwollen bei (nicht nachprüfbaren) Zukunftsaussagen (negative Prognosen).
    Parakletisches oder messianisches Denken vermag nicht die Schöpfung zu rekonstruieren, den Schöpfungsprozeß nachzuvollziehen, aber es reicht heran an den Ursprung des Sündenfalls (an den Grund der Sünde der Welt).
    „Ich bin das Licht der Welt“: Das Licht macht die Welt nicht durchsichtig, aber hell, und das ist möglich nur im Kontext der Auf-sich-Nahme der Sünde der Welt.

  • 19.01.92

    Läßt sich aus dem biblischen Schöpfungsbericht eine Theorie der Sprache entnehmen? Oder ist die Sprache der Schöpfung eine Frage, die immer noch auf unsere Antwort wartet?
    – Himmel und Erde sind stumm erschaffen (ohne das Wort).
    – Erst das Licht ist durchs imperative Wort geworden (Anfang der Schöpfung durchs Wort).
    – Das Firmament, die Lichter am Himmelsgewölbe, wurden, nach der Ankündigung durchs Wort, gemacht,
    – die großen Seetiere, die Fische und die Vögel, nach der Ankündigung durchs Wort, geschaffen (nicht vom Wasser hervorgebracht).
    – Durch das imperative Wort wurde die Sammlung des Wassers an einem Ort veranlaßt.
    – Durch den instrumentalen Imperativ wurde die Erde veranlaßt, die Pflanzen wachsen zu lassen, ebenso die Tiere hervorzubringen (Gott hat dann die Tiere gemacht, und Adam hat sie später benannt).
    – Die Menschen wurden erschaffen (3 x „schuf“) nach dem Selbstgespräch Gottes („Laßt uns den Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich“).
    – Geschieden wurden (stumm, ohne ankündigendes Wort) Licht und Finsternis sowie (mit ankündigendem Wort und instrumental: durch das Firmament) die Wasser oberhalb und unterhalb des Firmaments.
    – Benannt wurden Licht und Finsternis (nach der Trennung) als Tag und Nacht sowie das (die Wasser trennende) Firmament als Himmel (Zusammenhang von Scheiden und Be#nennen).
    – Instrumentalisierung, Ermächtigung (und Delegation des Scheidens, Herrschens, Hervorbringens und Benennens): das Firmament (scheidet Wasser von Wasser), die Leuchten am Himmel (erleuchten den Tag und die Nacht und herrschen über die Zeiten), die Erde (läßt Pflanzen wachsen, bringt Tiere hervor), der Mensch (herrscht über die geschaffene Welt, benennt die Tiere). Zusammenhang von Instrumentalisierung und Benennung?
    – Zu unterscheiden sind:
    . das hervorbringende Wort (Licht)
    . das imperative Wort (an das Wasser: Sammlung an einem Ort, an die Erde: Wachsen der Pflanzen, Hervorbringen der Tiere)
    . das ankündigende (z.T. auch imperative, zweckbestimmte) Wort (das Firmament, die Leuchten, die Pflanzen, Fische, Vögel, Tiere)
    . das reflexive Wort (die Menschen)
    . das benennende Wort (Tag und Nacht, der Himmel)
    . das segnende Wort (an die Fische, Vögel, Tiere und Menschen: „Seid fruchtbar und vermehret euch …“)
    – Gottes Wort wird unmittelbar repräsentiert
    . als das schaffende Wort durch das Licht,
    . als benennendes Wort durch den Tag und die Nacht sowie durch das Firmament (als Himmel) und schließlich
    . durch den Segen (der sich an die Fische und Vögel, an die Menschen und an den siebten Tag richtet: die Reproduktion und Ausbreitung des Lebens: das „Seid fruchtbar und vermehrt euch“).
    Beim Segen für die Menschen sprach er erstmals „zu ihnen“ (im Plural, nämlich zu Mann und Frau).
    Wer spricht wann zu wem im zweiten Schöpfungsbericht? Hier kommen
    – nach lauter stummen Tätigkeiten:
    . noch keine Feldsträucher, -pflanzen, aber Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte den … Acker;
    . Gott formte den Menschen und blies ihm den Odem ein;
    . legte in Eden einen Garten an und setzte dorthin den Menschen (wie vorher die Leuchten an das Himmelsgewölbe);
    . ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, in der Mitte den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse;
    . ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; teilt sich in vier Hauptflüsse;
    . Zweck: daß der Mensch den Garten bebaue und hüte;
    – als erstes Wort das Gebot Gottes an die Menschen („von allem Bäumen …“, mit der direkten Ansprache: „Du“),
    – dann erst spricht er (Monolog: „es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei“);
    – danach benennt Adam die Tiere (die Gott dem Menschen zuführt),
    – dann – nach einem „tiefen Schlaf“ und nach der Trennung von Mann und Frau – spricht erstmals der Mensch (Monolog: „Das endlich ist …“).
    – „Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.“
    – Der erste Dialog (Dialog der Verführung, des Betrugsvorwurfs gegen Gott) ist der zwischen der Schlange und der Frau, während die Interaktion der Frau „mit ihrem Mann“ noch stumm ist.
    – „Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. … versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott … unter den Bäumen des Gartens.“
    – Gott ruft Adam, Adam meldet sich, antwortet; Dialog Gottes mit der Frau;
    – Gott verflucht die Schlange, die Frau und Adam, sowie im Wort an Adam den Acker.
    – Adam benennt seine Frau (Eva, Mutter aller Lebendigen).
    – Abschlußmonolog Gottes, Vertreibung aus dem Paradies und Aufstellung der Kerube „mit dem lodernden Flammenschwert“.
    – Adam erkennt Eva, seine Frau.
    Was war das Wort Gottes ohne den Menschen? Ist nicht in dem (noch unentfalteten, gleichsam embryonalen) sprachlichen Element des Schöpfungsberichts der Adressat dieser Sprache mitgesetzt? Wer ist dieser Adressat? Gibt es ein Hören und Verstehen des Geschaffenen schon vor der Erschaffung des Menschen, oder ist die Schöpfung ein ins Leere, in der Erwartung, daß der Mensch sie einmal vernehmen und begreifen wird, gesprochenes Wort? Ist die objektive Sprache das Element, in dem die Schöpfung bis hin zum Menschen sich entfaltet?
    Zum Inertialsystem: die Erhaltungssätze ergeben sich zwangsläufig aus den Orthogonalitätsbedingungen des Systems (nach der Übertragung und Erweiterung der räumlich-metrischen Strukturbestimmungen aufs Inertialsystem: auf die Zeit und die Materie, die „träge Masse“).
    Die Reflexion des Herrschaftsmoments im Inertialsystem ist nur möglich, wenn sich das Inertialsystem als etwas Abgeleitetes bestimmen läßt (Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit). Die Kommunikationstheorie, die (nach der falschen Versöhnung mit der Natur) die Versöhnung durch den Konsens ersetzte, verdrängt das Schuld- und Herrschaftsmoment in der Erkenntnis.
    Gründet die Sexualmoral im Verbot des Mißbrauchs des Segens? Hängt hiermit die Selbstverfluchung in der Geschichte der petrinischen Verleugnungen zusammen?
    Wer den „inneren Schweinehund“ (sc. das Gewissen oder die Gottesfurcht) in sich besiegt hat, hat seitdem Angst vor der „Nestbeschmutzung“ („die Juden haben das Gewissen erfunden“: die Gottesfurcht).
    Die private Existenz ist die vergesellschaftete, verdinglichte Gestalt des Lebens „im Angesicht“, seine Geschichte ist mit der des Christentums (und mit der der christlichen Sexualmoral, der Privatisierung der politischen Moral) untrennbar verbunden. Die christliche Sexualmoral gehört in den Kontext der verwalteten Lehre und des verwalteten Segens (der verwalteten Gnade: der christlichen Opfertheologie). Grund ist die Verwechslung der Schöpfung mit der Welt (die dann am Ende die schöpferische Potenz blasphemisch naturalisiert; sie ist vorbezeichnet im trinitätstheologischen Begriff der Zeugung, der den der Versöhnung neutralisiert, indem er ihn naturalisiert).
    Zwei Zitierweisen: Neben dem autoritären Zitat, das den Zitierenden der Begründung enthebt, gibt es das Einsichtzitat, in dem die Begründungspflicht fortbesteht, der Zitierende nur die Formulierungshilfe eines anderen in Anspruch nimmt (Verhältnis von Einsicht und Begründung: Problem des Erkenntnisbegriffs).
    Die Geschichte der Dogmenentwicklung ist die Geschichte der Identifikation mit dem Aggressor.
    Kant hat mit seinem Begriff der „kopernikanischen Wendung“ etwas sehr Wichtiges bezeich#net: Das Inertialsystem und die naturwissenschaftliche Aufklärung übernimmt von dem Herrschaftsauftrag an die Sonne das Herrschen über die Zeit, von dem an den Mond das Erleuchten der Nacht (Bedeutung der Astronomie für die Geschichte der Aufklärung).
    Die Welt ist der Inbegriff der Urteile der anderen (des Auslands, der Geschichte, der Wissenschaft), die nur deshalb meine Zustimmung fordern, weil ich selbst für andere ein anderer bin (der ohnmächtig-wütende Protest des Ausländerfeinde gründet in diesem Konzept).

  • 08.12.91

    Die islamisch-christliche Differenz im Schöpfungsbegriff: in jedem Augenblick neu und Erhaltung der Welt, reflektiert die Differenz der Beziehung des Islams und des Christentums zur Philosophie, zur Verinnerlichung des Schicksals.
    Im zweiten Schöpfungsbericht werden die Tiere von Gott aus dem Acker gebildet (und dem Menschen zur Benennung vorgeführt), nur im ersten bringt sie die Erde hervor.
    Was ist der Unterschied zwischen der Erde (E. und Himmel), dem Acker (Acker und Adam) und dem Garten Eden (dem Garten der Bäume, die Gott „aus dem Acker … schießen“ ließ)? Und welche Bedeutung haben die vier Flüsse im Garten Eden (Beziehung zu den Wassern oberhalb und unterhalb der Feste)?
    Das Christentum ist eine apokalyptische Religion, sein Grundwort ist das „Maranatha“, das dann freilich im Prozeß der Dogmatisierung (Parusieverzögerung) verdrängt wurde.
    Nicht das Denken, sondern die Mathematik (in der das Denken sich nur auf sich selbst bezieht) ist das Narkotikum.
    Jesus hat das Feuer auf die Erde gebracht, und er wollte, es brennte schon. Nur ist dieses Feuer dann nach innen geschlagen und zum Schwelbrand geworden: so ist das Christentum ausgebrannt.
    Ist nicht heute die Kirche der Lazarus, der tot ist und schon riecht?
    Wer in der Sprache sehen gelernt hat, für den gibt es keine Theorie mehr, sondern nur noch die Wahrheit.
    Zum Genitiv: Hängt der Begriff des Genitivs nicht mit dem genus, mit der Zeugung, mit den toledot zusammen? Aber so, daß dieses Verhältnis (wie in der Trinitätslehre) in die casus mit hereingezogen: in ein Eigentums- und Herrschaftsverhältnis umgewandelt worden ist. Gilt nicht auch hier das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren?
    Im Genitiv sind die Zeugungen idealistisch geworden (werden Begriffe zeugungsfähig und gezeugt): das ist der blasphemische Sinn des Zeugungsbegriffs, Erbe des hieros gamos und dessen, was die Propheten Hurerei nannten. Die Hegelsche Logik: die Totalität der Anti-toledot, und die Onanie der synthetischen Urteile a priori (die das namenlose Objekt erzeugen). Zusammenhang von Er- und Bezeugen (im Kontext des Beweises)?
    Die Idee des Ewigen hat zwei Konnotationen, die zusammenzubringen sind: Die eine ist, daß sich das Ewige in keinerlei Hinsicht als vergangen denken läßt; die andere aber ist, daß das unabgegoltene Vergangene, die Toten, in die Idee des Ewigen mit hereingehören. Das aber heißt, daß die Idee des Ewigen ohne Erinnerungsarbeit, ohne das Eingedenken: ohne den Gedanken, daß die Toten, die wir nur noch ausbeuten, unsere Richter sein werden (ohne Umkehr des Historismus), nicht zu denken ist.
    Mit jedem Menschen stirbt eine Welt, aber nicht das Zeugen, sondern Gerechtigkeit begründet eine Welt.

  • 18.10.91

    Die ersten Gefangen waren Gefangene aus Kriegen oder Gefangene im Rahmen der Schuldknechtschaft.
    Sind die himmlischen Heerscharen die Wasser oberhalb des Firmaments?
    Der cäsarische Weltbegriff im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unterscheidet sich vom davidischen, der in den Königstraditionen, insbesondere in England, erhalten geblieben ist. Der davidische Weltbegriff enthält das reflektorische Moment in der Selbstbezeichnung der Hebräer, während der cäsarische Weltbegriff das projektive Moment in der Fremdbezeichnung der Barbaren enthält (zusammengefaßt in der Selbst- und Fremdbezeichnung der Deutschen, die sich nur noch als Barbaren verstehen: die Zivilisation wird durchs Ausland vertreten, deshalb die Ausländerfeindschaft – um die Last der Zivilisation endlich abwerfen zu können).
    Das Römische Reich ist sowohl von innen, durch die Krise des Latifundiensystems, als auch von außen, durch den Barbareneinfall, zugrunde gegangen.
    Aufarbeitung von Wut in Zorn, oder Rückgewinnung der prophetischen Kraft (die prophetische Kritik der Idolatrie war Staatskritik: seitdem gehören Staatskritik und Kunstkritik zusammen: der Begriff des Schöpferischen in der Kunst ist ein Reflex der Weltschöpfung durch den Staat).
    Die Bäume sind der manifeste Ausdruck des Kampfs gegen die Schwerkraft und des Strebens zum Licht. Was bedeuten vor diesem Hintergrund der Baum der Erkenntnis und der des Lebens? Der Kampf gegen die Schwerkraft ist der Grund für die Verstockung der Bäume, während das Streben zum Licht ihr alljährliches neues Leben begründet.
    Es gibt kein Bekenntnis ohne Totenkult: das ist der Grund für die Pyramiden wie für die Mausoleen im staatskapitalischen Sozialismus und nicht zuletzt für die christliche Trinitätslehre (die Vergöttlichung Jesu und deren säkularisierte Gestalt im modernen Naturbegriff) wie für den Zusammenhang von Heiligenverehrung und Reliquienkult.
    Die Verfluchung nach dem Sündenfall ergeht direkt nur an Adam, während sie an Eva zusammen mit der messianischen Verheißung ergeht (um aus Adam etwas Brauchbares zu machen, muß man ihn in Tiefschlaf versetzen und ihm ein Stück aus seiner Seite herausnehmen).
    Die Bedeutung der Hegelschen Philosophie liegt darin, daß sie das Moment der Vergegenständlichung am Begriff (Vergegenständlichung des Begriffs und des Objekts) herausgearbeitet (und zur Grundlage der Dialektik gemacht) hat. Nur daß Hegel dann am Ende die Partei des Begriffs (der Vergegenständlichung als Voraussetzung und Sinnesimplikat der „Wissenschaftlichkeit“ seiner Philosophie gegen die Unmittelbarkeit: die Partei der Entfremdung) ergreift. Die „Trunkenheit“ des Absoluten ist die notwendige Folge daraus.
    In einem Zug, der auf den Abgrund zubraust, hilft es wenig, sich über einen Schaffner zu beschweren, der einen wegen Fahrens ohne gültigen Ausweis belangen will. Die Gemeinheit reizt zweifellos und nicht unbegründet zur Empörung. Aber angesichts der Gesamtsituation wäre diese Empörung völlig unangemessen; insbesondere würde sie an der Situation nichts ändern: Der Zugführer ist besoffen; Frage, ob es nicht möglich ist, gemeinsam mit dem Schaffner den Zugführer aus dem Verkehr zu ziehen und den Zug mit Mitteln, die Aussicht auf Erfolg haben, jedenfalls die Katastrophe nicht beschleunigen, zum Halten zu bringen. Es gibt Situationen, in denen es auf die Wirkung und nicht aufs Rechthaben ankommt.
    Das Christentum studieren, weil nur so die Verführungsmechanismen sich bestimmen lassen (Bekenntnislogik; Empörung und moralisches Urteil; Feinddenken und Ausgrenzung von Verrätern; Christologie und die Vergöttlichung des Opfers: Natur- und Staatsmetaphysik; Materialismus als Ideologie und Totenkult; Trinitätslehre, Dialektik und Gemeinheit: Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang; Religion als Blasphemie: Atheismus und das Fortleben von Auschwitz).
    Die sogenannten Terrristenprozesse sind genau an jener empfindlichen Stelle installiert, an der das offizielle Christentum und das Rechtssystem (die beide über den Bekenntnis- und den Personbegriff verbunden sind) sich gegen ihre kritische Selbstaufklärung abschirmen. Die Grundlage, daß Schuld sich individuell muß festmachen lassen, die den Vorteil hat, daß sie Kirche und Recht exkulpiert, kann sich gegen den Schuldvorwurf nur wehren, wenn sie ihn qua Kollektivität (über die „gerichtskundigen“ eigenen Vorurteile) in den Gegner hinein(zurück-)projiziert. Auch wenn Mord kein Mittel der Aufklärung ist: Gemeinheit ist ungeeignet, zur Herstellung des Rechtsfriedens beizutragen. Beide Seiten unterliegen der gleichen Verblendung.

  • 02.10.91

    Zu Jahwe und Elohim: Elohim scheint der Gott zu sein, der versucht (und handelnde Person des Hexaemeron ist: Urheber der Schöpfung im ersten Schöpfungsbericht, während der zweite Schöpfungsbericht – mit Paradies und Sündenfall – von den Taten Jahwe Elohims handelt: nur die Schlange beruft sich auf Elohim; erst nachdem Adam Eva „erkannte“, mit der Geburt Kains und mit dem Brudermord, tritt Jahwe auf; der Same Sets kommt wieder von Elohim, dessen erster Sohn Enosch erstmals den „Namen Jahwes“ anruft, während Henoch mit ha-Elohim wandelte, der ihn dann auch „zu sich nimmt“); die Aufforderung an Abraham zur Opferung Isaaks kommt vom Engel Elohims, während die Aufforderung, Isaak nicht zu opfern, vom Engel Jahwes kommt. Hier scheint ein ähnliches, für die Selbstverständigung der Theologie zentrales Sprachstruktur-Problem vorzuliegen wie bei der Differenz zwischen Hebräern und Israeliten (Differenz zwischen Selbst- und Fremdbezeichnung sowohl bei den Israeliten als auch bei Gott? -Gibt es eine Entsprechung im Christentum? Ist der „Vater“ Jesu -und in seiner Folge die gesamte Trinitätslehre – nur ein Deckwort für den auch im Christentum – und hier verschärft -unaussprechbaren Gottesnamen? Sind die christliche Selbst- und Gottesbezeichnung nur Fremdbezeichnungen, denen keine Selbstbezeichnung mehr entspricht?).
    Adam „erkannte“ Eva zweimal: vor der Geburt Kains und vor der Geburt Sets; Abel wurde nur als Bruder Kains geboren. Die erste Erkenntnis bezog sich auf Jahwe, die zweite auf Elohim. Hängt damit Identität und Differenz der Stammbäume Kains und Sets zusammen?

  • 20.09.91

    Theorie des Feuers (gibt es in der Schrift eine Erinnerung an den Ursprung des Gebrauchs des Feuers?).
    Off 1318: Hode hä sophia estin. ho echon noun psäphisato ton arhithmon tou thäriou. arhithmos gar anthropou estin. kai ho arhithmos autou hexakosioi hexäkonta hex. – Ist es die Zahl eines oder des Menschen? Weisheit und Verstand werden dann in Off 179 zitiert und erläutert: auf Rom bezogen.
    Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande: wie verhalten sich diese drei zur Struktur von Herrschaft, Schuld und Verblendung?
    Die Schrift macht das hic et nunc gegenstandslos und das Eine zum Anderen des Anderen (oder sie befreit den Gegenstand vom hic et nunc, von seinem Namen, und begründet die verandernde Kraft des Seins).
    Der Fisch ist ein Christus-Symbol (ichthys = iesous christos theou uios sotär), aber ebenso das Lamm (der Widder?). Jedoch der Fisch aufgrund seines Namens, das Lamm, weil es stumm zur Schlachtbank geführt wird. Das Lamm liefert Wolle und Fleisch, die Kuh Milch und Fleisch, das Schwein nur Fleisch (das Schwein wird durch Domestizierung nackt).
    Gibt es eine Evolutions-Synopse, die die Erdentwicklung, die Entwicklung der Pflanzen und die der Tiere synoptisch, in ihrem gleichzeitigen Verlauf, darstellt?
    Die Sonne beherrscht den Tag und das Jahr, der Mond die Nacht und den Monat.
    Der Sabbat ist der Tag des Saturn, nicht der Sonne. Der Sonnentag ist der erste Tag, der der Erschaffung des Lichts. Die Wochentage, die auch mit dem Schöpfungswerk (dem Hexaemeron) zusammenhängen, stammen wahrscheinlich aus dem Sternendienst, sie orientieren sich an den „Planeten“, den beweglichen Sternen:
    – Sonne
    Licht (Tag und Nacht)
    – Mond
    Gewölbe mitten im Wasser, scheide Wasser von Wasser (Himmel)
    – Merkur
    Wasser sammle sich, das Trockene werde sichtbar (Land, Meer)
    das Land lasse Grün, Pflanzen mit Samen, Bäume mit Samen und Früchten wachsen (das Land brachte … hervor)
    – Jupiter
    Lichter am Himmelsgewölbe, um Tag und Nacht zu scheiden (als Zeichen und zur Bestimmung von Festzeiten, Tagen und Jahren); Gott machte die beiden großen Lichter (das größere soll über den Tag, das kleinere über die Nacht herrschen) und die Sterne; Gott setzte die beiden Lichter ans Himmelgewölbe (sie sollen über die Erde hin leuchten, über Tag und Nacht herrschen, Licht von der Finsternis scheiden)
    – Mars
    das Wasser wimmele von lebendigen Wesen, Vögel über der Land am Himmelsgewölbe; Gott schuf …; Gott segnete sie (fruchtbar, vermehren, bevölkern)
    – Venus
    das Land bringe alle Arten von lebenden Wesen hervor (Vieh, Kriechtiere, Tiere des Feldes).
    Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich, sie sollen herrschen über Fische des Meeres, Vögel des Himmels, das Vieh, die ganze Erde und alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf … (als sein Abbild, als Abbild Gottes, als Mann und Frau). Gott segnete (seid fruchtbar, vermehrt euch, bevölkert die Erde, macht sie euch untertan, herrscht über Fische, Vögel, Tiere). Nahrungsgebot (vegetarisch).
    So wurden Himmel und Erde vollendet und ihr ganzes Gefüge.
    – Saturn
    Gott vollendet das Werk, das er geschaffen hatte.
    ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte.
    segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig, denn an ihm ruhte Gott, nachdem er … geschaffen hatte.
    Hängt die Finsternis (die Scheidung des Lichts von der Finsternis) mit dem Gravitationsfeld zusammen? Und hängt die Mathematik mit den Zeugungen zusammen?
    Wehalb durfte am Freitag kein Fleisch, wohl aber Fisch gegessen werden (Venus/Drachen: apokalyptisches Mahl des Leviatan)? Der Freitag ist der Tag der Kreuzigung, der Donnerstag der des Abendmahls.
    Zum Zeichen des Tieres an Hand und Stirn: Was bedeuten Hand und Stirn? (Off 1316ff; zu Zeichen vgl. Gen 415, 912; zu Hand Deut 68; zu Stirn Ez 94 und Off 94).
    Er ging hinaus und weinte bitterlich: das Weinen ist Trauerarbeit. Das Weinen bezieht sich auf den Trotz, in der Geschichte der drei Verleugnungen auf den in der Selbstverfluchung sich vollendenden Trotz. Das Weinen ist Ausdruck der Einsicht und des Bekenntnisses: Ja, das bin ich gewesen, das habe ich getan.
    Wenn ich noch die Zeit und die Kraft dazu hätte, würde ich gerne
    – einen Kommentar zur Hegelschen Logik schreiben. Arbeitstitel: Die Hegelsche Logik und das Inertialsystem.
    – Oder eine Kritik der Heideggerschen Philosophie. Arbeitstitel: Die Fundamentalontologie oder das Herrendenken als Selbstverfluchung.
    Kann es nicht sein, daß ebenso wie Abraham in der Genealogie vor die Könige (mit dem Einschub der Parodie auf beide: das Richterbuch) gesetzt wird, auch die Schöpfungsgeschichte, das Hexaemeron, im Rahmen der (nachdynastischen) Auseinandersetzung mit dem Sternendienst, an den Anfang gesetzt wurde?
    Welche Rolle spielen eigentlich Lot, Ismael und Esau in der Vätergeschichte?
    Ist Melchisedech, der „König von Salem“, ein Nachfahre des David? Welche Abraham-fremden Vorfahren gibt es in der Genealogie Davids (und Jesu): die Frauen?
    – Tamar die Kanaaniterin (Mutter des Perez),
    – Rahab die Frau aus Jericho (Mutter des Boas),
    – Rut die Moabiterin (Mutter des Obed),
    – Batseba die Hethiterin (Mutter des Salomo)?
    Schon der Vorläufer des Personbegriffs, die hypostasis (das hypokeimenon oder die Substanz), das Zugrundeliegende, der Träger der Eigenschaften (wie die Person Träger des damit neutralisierten Namens ist) ist vom Bekenntnisbegriff (und der Bekenntnislogik, die die Logik der Verdinglichung ist) nicht zu trennen. Das Bekenntnis drückt genau die Trennung des Subjekts vom Prädikat, des Trägers (Dings) von seinen Eigenschaften aus; diese Trennung ist der Grund der Verdinglichung, sie verwandelt die dann sich bildende Beziehung in eine Schuldbeziehung. So zieht der Personbegriff auch den Namen in diese Schuldbeziehung mit herein (und neutralisiert seine benennende Kraft, verwandelt ihn in einen singulären Begriff: in eine singuläre Eigenschaft, die die Person dingfest macht; im Spitznamen drückt sich diese verdinglichende, fertigmachende Gewalt als Gelächter, deren letztes Objekt die Person ist, aus).
    Empörung gibt es nur im Kontext der Personalisierung (Personalismus und Wertethik). Grundsatz der Personalisierung: An sich ist die Welt in Ordnung, aber leider gibt es ein paar Bösewichter (Prinzip der Idolatrie: Vergöttlichung der Bösewichter).
    Personalismus und Wertethik ratifizieren die Zerstörung der Idee des Glücks. Benjamins Satz „Glücklich ist, wer seiner selbst ohne Schrecken inne wird“ bezieht sich auf ein Selbst, das sich allein im Angesicht Gottes konstitituiert.
    Der Personalismus ist ein Ableger der christlichen Sexualmoral, die ihn zugleich stabilisiert; diese ist der Grund dessen, was seitdem „persönliche Verantwortung“ heißt: Zentrum einer Moral, die als Urteilsnorm das moralische Urteil durch Setzung des korrespondierenden Objekts: der Person, konstituiert. Hier liegt der Grund und der Ursprung des historischen Verdrängungsprozesses, Produkt einer auf den ersten Blick geringfügigen Verschiebung: der Vorstellung, die Erbsünde werde durch die Sexuallust (anstatt durch durch die sexualmoralische Urteilslust) auf die nachfolgenden Generationen übertragen. Das einzige Gegenmittel ist das Nachfolgegebot, das dem sexualmoralisch begründeten Feinddenken den Boden entzieht. (Zusammenhang von Sexualmoral, Objektivation und Verdinglichung, Personalisierung und Verinnerlichung des Opfers, Verschiebung des Mitleids vom Opfer aufs Selbst). Neubestimmung des Schuldbegriffs im Kontext des Nachfolgegebots (Befreiung vom Projektionszwang).
    Personalisierung ist die letzte Möglichkeit, unter Verkennung der realen Beziehungen zwischen Welt und Person (der Weltgrundes der Person) Rachephantasien auszuleben. Die Verdrängung der Frage, was nach dem revolutionären Akt kommt, brutalisiert den revolutionären Akt, macht ihn terroristisch; ihr subjektiver Grund sind Heile-Welt-Phantasien (das Unheil kann nur von Bösewichtern kommen: so aber hat’s seit je die Kirche gelehrt). Die Säkularisierung der falschen Theologie, die Beibehaltung des Bekenntnisprinzips (mit Feinddenken, Ketzerverfolgung und -nicht zuletzt – Frauenfeindschaft) ist nur ein Indiz dafür, wie tief das christliche Erbe sitzt, wie sehr es uns in Fleisch und Blut übergangen ist; sie ist aber nichts weniger als eine geglückte Aufhebung des falschen Christentums. Der Atheismus, die Gottesleugnung, ändert die Welt nicht, versperrt nur der Reflexion die letzte Chance, das Moment der Unwahrheit im Weltbegriff zu begreifen.
    Der Personbegriff drückte einmal die Anerkennung durch andere aus, die Hegel zufolge im Kampf um Leben und Tod errungen wurde und (ebenso wie das Eigentum, die Rechtsfähigkeit) die Person zur Person machte; in der verwalteten Welt ist die Person zum Knoten im Netz geworden, in dem sie gefangen ist und aus dem sie nicht mehr herauskommt: ist sie zu einer bloßen Funktion des Staates geworden, dessen Gewaltmonopol sie hilflos ausgeliefert ist, sofern sie nicht durch Eigentum geschützt ist. In dem Schimpfwort „diese Person“, das seinen logischen Ort im nachbarlichen Gerede hat, drückt sich die Wahrheit der vorfaschistischen Wertethik aus: als Person ist sie ungeschützt den Werturteilen ihrer Umwelt ausgeliefert; ohne Personbegriff kein Feinddenken: Horkheimers Wort über die Ambivalenz des Christentums gründet im christlichen Gebrauch des Personbegriffs (ohne den Personbegriff in der Trinitätslehre würde es keinen Grund für Apologetik und Theodizee geben; die damit systemlogisch verbundene Gottesidee ist ohne verteidigendes, apologetisches Denken nicht zu halten: Umkehrung der so neutralisierten Idee des Heiligen Geistes; es ist nicht unwichtig zu wissen, daß Tertullian, der den Personbegriff in die lateinische Theologie eingeführt hat, Jurist war: der Gedanke ist nicht abzuweisen, daß der Personbegriff hier nur noch das gemeinsame Verfügungsrecht der drei göttlichen Personen über die eine Wesenheit, die homoousia, ausdrückt).
    Der Bekenntnisbegriff sowie Form und Inhalt des christlichen Dogmas bilden ein System, das jedoch nur dann zu begreifen ist, wenn das System als ganzes gleichsam als sein eigener Umkehrpunkt begriffen wird. Die Bekehrung dieses Systems, seine Rettung vor dem Instrumentalismus, läßt sich begründen aus dem Nachfolgegebot; ihre Realisierung wäre die Wahrheit des Satzes „Schwerter zu Pflugscharen“.
    Gegen Heinsohn: Das Opfer ist kein Mittel der Katastrophenbewältigung, sondern eines der Schuldbewältigung: es will (wie das Experiment in der Physik) eine Untat durch Wiederholung ungeschehen machen. Und die Idolatrie (auch der Sternendienst und das Bilderwesen) ist ein Mittel der Komplizenschaft: der Rechtfertigung von Herrschaft.
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Bezeichnungen Barbaren und Hebräern? Wenn, dann würde das genau die Differenz zwischen der hellenischen und der israelitischen Tradition ausdrücken: der Unterschied zwischen der projektiven Fremdbezeichnung und der reflexiven Selbstbezeichnung (sie „lebten als Fremde im Lande“ – ist der „hebräische Sklave“ ein „fremder“ Sklave?). Ist die Teilung bei Eber die zwischen Hellenen (im weitesten Sinne) und „Barbaren/Hebräern“ (der erste historische Ausdruck der Klassengesellschaft), die Teilung, in der sich die Hebräer auf der anderen Seite wiederfinden (und „Abraham der Hebräer“ sollte „ein Segen für die Völker“ werden)? Der verzweifelt scharfsichtige Nietzsche hatte Recht: die jüdisch-christliche Religion ist eine Sklaven-Religion (aber der „Wille zur Macht“ ist die falsche, die faschistische Konsequenz daraus: jedoch die einzige, wenn die jüdisch-christliche Tradition verworfen wird). Die Söhne Ebers waren Peleg (Teilung) und Joktan, Peleg gehört zum Stammbaum Jesu. Zwischen den Genealogien Joktans (Gen 1026) und Pelegs (Gen 1118) liegt der Turmbau zu Babel (Gen 111ff).
    Nochmal zu den Söhnen Ebers: Ist der Teil der Nachkommenschaft Ebers, der vor der Sprachverwirrung benannt wird und wohl im Arabischen wohnt, eine Abspaltung, in der sich die Ursprache (die Sprache vor der Sprachverwirrung) erhalten hat? Oder hat Eber mit Abraham und seine Söhne mit den Söhnen Abrahams (und insbesondere Joktan mit Ismael) zu tun (wo sind ihre Siedlungsgebiete: die Söhne Joktans von Mescha, wenn man über Sefar kommt, bis ans Ostgebirge – Gen 1030 – und die Söhne Ismaels von Hawila bis Schur, das Ägypten gegenüber an der Straße nach Assur liegt – Gen 2518; ist nicht die Jakobsleiter in der Jakobsgeschichte das Gegenstück zum Turmbau von Babel)?
    Die barbaroi sind die „Stammelnden“, nur die Hellenen sind sich selber verständlich. Ist nicht in der Prophetie der „Taumelkelch“ ein Bild für das, was im Hellenismus (im griechischen Mythos und in der Philosophie, in dem, was Nietzsche im Dionysischen, der Innenseite des Apollinischen, begriffen hat) dann sich entfaltet? Im Hegelschen Absoluten, in dem „kein Glied nicht trunken ist“ (vgl. hierzu auch Kants Antinomien der reinen Vernunft und Hegels Bemerkungen dazu), kehrt das wieder. In der philosophisch instrumentierten Trinitätslehre ist dieser „Taumelkelch“ ins Christentum eingewandert. Und der zentrale Begriff war wohl der der homoousia, den Konstantin in Nizäa durchgesetzt hatte.
    Das Stammeln der Barbaren ist in der Schrift Wort geworden. Und die Aufgabe der historischen Bibelkritik scheint es zu sein, die Bibel aus ihrer falschen Verständlichkeit in dieses Stammeln zurückzuübersetzen, aus dem heraus sie vielleicht einmal wirklich verstanden werden kann. (Ist Hebräisch eine Objektsprache? Und verweist die Unterscheidung von Hellenen und Barbaren auf den Turmbau zu Babel?)
    Die Sprache des NT ist Griechisch: die damalige „Weltsprache“ und die Sprache der Philosophie. Aber das neutestamentliche Griechisch ist weder das eine noch das andere, es stammelt gleichsam in beiden Sprachen. Zu begründen ist das neutestamentliche Griechisch eigentlich nur durchs Nachfolge-Gebot: als ein erster Versuch, in der Sprache der Welt die Schuld der Welt auf sich zu nehmen. So hat es auch sprachlich die Gestalt des Gottesknechts angenommen (Jes 421-9, 491-7, 504-11, 5213-53).
    In Heideggers Fundamentalontologie wird der Taumelkelch zur Droge; davon ist die Kirche süchtig geworden.
    Maß, Zahl und Gewicht (Waage): sind das nicht Raum, Zeit und Materie (vgl. Hegels Logik, Quantität)?
    Zu Maß, Zahl und Gewicht (die Produkte der Abstraktion und des Vergleichens, von Augustinus als Hinweis auf die Trinitätslehre verstanmden): Liegt der Ursprung des „Gewichts“ im Geldwesen (das Geld als Einheit von schwerer und träger Masse; babylonische Tempelwirtschaft und Astronomie / Astrologie, Schuldknechtschaft; moderne Astronomie und Gravitationslehre als Stabilisator der Mechanik; Kopernikus und Newton waren Münzbeamte)?
    Die Welt, auch die physikalische, ist die Wolfswelt.
    Der „Schrecken Isaaks“ ist der Schrecken des „Er lacht“. Die tiefe Zweideutigkeit, die Dämonie des Lachens, in dem Freude und Hohn kaum voneinander sich trennen lassen, klingt hier an. Zuletzt erscheint das in der verkehrten (unbekehrten, mit dem christlichen Begriff der Sexualmoral zusammenhängenden) Vorstellung des Augustinus, daß zur Glückseligkeit der Seligen im Himmel der Anblick der Leiden der Verdammten in der Hölle gehört. Hier ist einer der christlichen Ursprünge des Faschismus; hier sind die Seligen im Himmel schon auf der Bahn zum KZ-Wächter. In jeder Law and Order-Mentalität steckt etwas davon.
    Der positivistische Ansatz in Loretz‘ Hebräer-Buch hängt nachweislich zusammen mit der Unfähigkeit, das Moment der Gemeinheit im wissenschaftlichen Objektivismus (und in der vergesellschafteten Welt) zu reflektieren.
    Die Josephs-Geschichte beschreibt den Vorgang der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals im Kontext des Staatskapitalismus, während die ökonomisch-religiösen Institutionen in Babylon solche der Privatwirtschaft gewesen zu sein scheinen. Das Königtum und die Tempelwirtschaft sind Instrumente eines Handelsbürgertums, das so die Grundlagen des Handels: das Geld und das Vertragswesen, absicherte (dagegen ist der Dekalog von Grund auf antikapitalistisch).
    Pyramide und Mausoleum: Zusammenhang von Staatskapitalismus und Totenkult.
    Der Ursprung der Idee, die Welt müsse zivilisiert werden, ist griechisch (Alexander); und der Ursprung der Idee, sie müsse befriedet werden, römisch (Cäsar / Augustus). Beides kehrt wieder in der spätchristlichen Verbindung von Mission und Kolonialismus (die Asylanten von heute sind die Nachfahren der Hebräer).
    Ebenso, ja mehr noch wie im Wörterbuch steckt die Weltgeschichte in der Grammatik (Genitiv / Dativ; mit dem Ablativ verschwindet der Sprachgrund der Gnadenlehre). Der Weltbegriff selber ist Teil einer grammatischen Struktur, eines grammatischen Konstrukts, des gleichen Konstrukts, durch das der Begriff in der Sprache verankert wurde (das prädikative Urteil, die damit zusammenhängenden Strukturen der Deklination und Konjugation), während die Mathematik sich aus der Sprache und gegen die Sprache entfaltete (Beziehung von Mathematik und prädikativem Urteil; Verstärkung der Gewalt des prädikativen Urteils durch die Mathematik: Was bedeutet der Begriff Mathematik?).
    Die Metaphysik setzt die Physik, die Gegenstandswelt, voraus. Deren Konstruktion setzt wiederum die Astronomie voraus.
    Die Heideggersche Philosophie ist ein Reflex der verdinglichten Objektwelt: die auftrumpfende Ohnmacht des Subjekts, der zwangshaft sich selbst reflektierende Instrumentalismus, der das Bewußtsein, Instrument zu sein (der „Uneigentlichkeit“), unter taktischer Verwendung der selber instrumentalisierten Bekenntnislogik (des Dezisionismus) zur „Eigentlichkeit“ aufspreizt.

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