Banken

  • 3.7.96

    Gegen den 68er Bruch: Der Faschismus war keine Naturkatastrophe, und das Horkheimer-Wort, daß, wer vom Faschismus redet, vom Kapitalismus nicht schweigen dürfe, wird heute durch Umkehrung wahr: Vom Kapitalismus darf nicht reden, wer vom Faschismus schweigt.
    Die 68er Bewegung hat den faschistischen Zivilisationsbruch als Kulturbruch ratifiziert. Mit der Beziehung zum (weiterhin realen) Staat hat sich auch die Beziehung zur Sexualität, das Verhältnis von Eigentum und Besitz, verändert. Die traditionelle Sexualmoral war Ausdruck der am Eigentumsbegriff sich orientierenden Beziehung der Person zu sich selbst. Ist nicht an die Stelle der Eigentumsbeziehung (deren Respektierung die Sexualmoral leisten sollte) das Besitzverhältnis (an die Stelle des Respekts vor dem Andern die Freiheit der Güternutzung) getreten? Gibt es (nach der Globalisierung des Marktes und der Verrottung des Staates) überhaupt noch „Eigentum“? Ist sein Verschwinden nicht am Verschwinden des Tabus auf der Sexualität (mit den Folgen, die das insbesondere für den weiblichen Teil der Gesellschaft hatte) ablesbar?
    Das Privateigentum konstituiert die Privatsphäre (den idiotes).
    Rühren die Probleme der Theorien Heinsohns nicht daher, daß er einem Theorie- und Objektivitätsmodell sich verpflichtet fühlt, daß aus der Physik stammt? Die vermittelnde Kategorie scheint der Eigentumsbegriff zu sein, der in der Tat einmal den Naturbegriff konstituiert hat: Der Eigentumsbegriff verhält sich zur Geldwirtschaft wie die träge Masse zur Physik insgesamt.
    Die begriffliche Trennung von Eigentum und Besitz, die mit der von Tausch- und Gebrauchswert zusammenhängt, determiniert die Widersprüche, die Heinsohns Konzept durchziehen (vgl. z.B. S. 129 und 137 zum Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Geschichte).
    Wenn Heinsohn die Geschichte sowohl braucht als auch abwehrt, so drückt sich darin genau die Ambivalenz seiner Theorie aus: Er braucht die Geschichte als Mittel zur Erkenntnis der Logik der Ökonomie, er muß sie abwehren, weil sie diese Logik zugleich zum Sprechen zu bringen droht.
    Besitz ist eine Gebrauchskategorie, Eigentum eine Geldkategorie (vgl. Heideggers Unterscheidung des Zuhandenen vom Vorhandenen). Hat nicht Polyani den Ursprung der Eigentumsgesellschaft sehr viel genauer beschrieben, nämlich anhand der Übertragung der Wareneigenschaften auf Grund und Boden (Eigentum), auf die Arbeit (Lohnarbeit) und aufs Geld (Banken)? Heinsohn selber verweist darauf, daß die Lohnarbeit erst in der modernen Entwicklung hinzukommt; verweist das nicht auf eine qualitative Differenz auch beim „Eigentum“ und beim Geld (doppelte Buchführung)?
    Der philosophische Reflex des Eigentumsbegriffs ist der Begriff der Substanz (der mit dem Begriff des Substantivs das Verständnis der Grammatik und der Sprache verändert hat, der das Nomen gelöscht und die Sprache zu einem Mittel der Information gemacht hat).
    Das Substantiv ist eine Fortbildung des Begriffs der Substanz. Drückt nicht im Begriff des Substantivs eine qualitative Veränderung im Eigentumsbegriff sich aus?
    Der Konkretismus Heinsohns manifestiert sich nicht nur in der Theorie der Venus-Katastrophe (in der Ersetzung der gesellschaftlichen Naturkatastrophe durch eine reale kosmische Katastrophe), sondern auch in seinem Eigentumsbegriff, der ihm zu einem festen Grundlagenbegriff wird, und an dem er den historischen Prozeß, dem er entspringt und in dem er sich verändert, nicht wahrnimmt. Die Trennung von Eigentum und Besitz manifestiert sich in den Änderungen der ökonomischen Gesellschaftformen, in der Übertragung der Geschäftsführung an ein Management und im Ursprung und in der Entfaltung und Ausdifferenzierung der Verwaltung (die die Besitzfunktionen des Eigentums realisiert). Aber ist nicht das Eigentum unabhängig vom Besitz (vom Gebrauch, der es qualifiziert) eine leere Abstraktion? Wie das Eigentum im ökonomischen Prozeß sich verändert, kann man heute von jedem Landwirt (noch krasser freilich an den Vorgängen in der Dritten Welt, die jetzt langsam anfängt zu begreifen, was ihr geschieht) erfahren.
    Durch seinen Eigentumsbegriff wird dieses Buch zum Kompendium einer Hausbesitzer-Ideologie.
    Das Konstrukt der Venus-Katastrophe war notwendig, weil der genetische Zusammenhang des Eigentumsbegriffs mit dem Begriff und der Praxis der Gewalt in der Gesellschaft ausgeblendet wird. Gehört nicht der Eroberungskrieg (wie am modernen Kolonialismus drastisch sich zeigen läßt) zur Ursprungsgeschichte des Eigentums (die Ureinwohner der kolonialisierten Länder „kennen keine Schrift, kein Geld, sind nackt“; sie sind deshalb nicht fähig, über ihren Besitz wie über Eigentum zu verfügen; als „Wilde“ sind sie apriorische Objekte von Gewalt)?
    War die Kosntituierung des Eigentums das Ergebnis einer Revolution von innen (bei den Griechen als Revolution gegen den mykenischen Feudalismus), oder war sie das Ergebnis einer Eroberung von außen, durch umherstreifende Brüder- und Männerhorden (Rom, die Hapiru, die „Hebräer“)? Unterscheidet sich darin nicht das Eigentums-Buch vom Patriarchats-Buch Heinsohns?
    Irgendjemand hat einmal die Tempel als Säkularisations-Instrumente beschrieben (Entzauberung der Welt durch Konzentration des Heiligen im Tempel). Eine ähnliche Funktion scheinen die christlichen Kirchen, Kathedralen und Dome im Mittelalter gehabt zu haben. Als Säkularisations-Instrument hat der Tempel die Welt eigentumsfähig und damit zur Welt gemacht; deshalb gehören zur Tempelwirtschaft die Kosmogonien.
    Waren der Islam das Persien, Frankreich und England hingegen das Griechenland des Mittelalters? Dann war Deutschland das Rom.
    Adorno hat mich in die Lage versetzt, mein Faschismus-Trauma zu bearbeiten; anders wäre ich das Opfer dieses Traumas geworden.
    Heinsohn: der Drewermann der Nationalökonomie?
    Die Orthogonalität ist das Abstraktionsgesetz der Erkenntnis, sie ist zugleich das Formprinzip des Urteils. Durch die Orthogonalität werden die Richtungen des Raumes getrennt und unterschieden und zugleich zueinander in Beziehung gesetzt; das gleiche Formgesetz gilt für die Beziehung von Raum und Zeit und dann auch für die Beziehung von Raum und Zeit zur Materie. Die Orthogonalität (die Entdeckung der Winkelgeometrie durch die Griechen) ist das Modell der Beziehung von Begriff und Objekt. Wie hängt die Entdeckung der Orthogonalität mit dem Ursprung des Eigentumsbegriffs, mit der Unterscheidung von Eigentum und Besitz und mit dem Ursprung des Staates zusammen?
    Im Buch Josue wird das Land Kanaan durchs Los auf die Stämme Israels verteilt. Wann und auf welche Weise erfolgte die individuelle Eigentumsbegründung (zusammen mit der Begründung weiblicher Erbrechte)? In der Bibel wird vom Kauf eines Grundstücks nur im Hinblick auf kanaanitisches Eigentum (bei Abrahams Kauf des Grundstücks für das Grab Saras und bei Davids Kauf der Tenne Araunas) berichtet.
    Sind die Probleme, vor die die Philosophie in jeder Epoche neu sich gestellt sieht, die logischen Probleme des Eigentums; und ist die Philosophie deshalb der Reflex der Herrschaftsgeschichte?
    Das Armutsgebot, das wir heute ganzen Erdteilen aufzwingen, der Export der Armut in die Dritte Welt: Die Eigentumslosigkeit schlägt die Eigentumslosen zur bloßen Natur, macht sie zu einer brachliegenden Ressource, für die es keine Verwendungsmöglichkeiten mehr gibt: zu herrenlosem Gut.
    Nachdem die Aufklärung, und ihrer Folge Kant und der deutsche Idealismus, der Natur schöpferische Kräfte angedichtet hat, hat da nicht Marx, als er glaubte, im Proletariat das Subjekt der Revolution zu erkennen, daraus nur die Konsequenz gezogen (das Proletariat: die Verkörperung er resurrectio naturae)?
    Werden heute nicht alle Siege zu Pyrrhus-Siegen?
    Ist nicht jede Personalisierung ein Indiz mangelnder Autonomie? Zitiert nicht jede Personalisierung (und jeder Konkretismus) die kollektive Absicherung einer Projektion?
    Hängt nicht die mittelalterliche Fälschungsgeschichte mit den übermächtigen Legitimationsbedürfnissen, die die Begründung der Eigentumsgesellschaft wachgerufen hat, zusammen?

  • 14.5.96

    Das Gebot der Feindesliebe schließt die Kritik des Urteils mit ein (die gegenständliche, das Objekt aufsprengende Kraft der Erinnerung). Ist nicht – die Kritik der reinen Vernunft eine säkularisierte Schöpfungslehre, – die Kritik der Urteilskraft eine säkularisierte Offenbarungslehre und – die Kritik der praktischen Vernunft eine säkularisierte Lehre von der Erlösung, und sind nicht die nachfolgenden idealistischen Systeme allesamt in der ersten Stufe, in der der Schöpfungslehre, steckengeblieben? – Fichtes Wissenschaftslehre verstand sich ohnehin nur als Entfaltung der Transzendentalphilosophie; – Schellings Naturphilosophie knüpft zwar an die Kritik der Urteilskraft an, übersieht aber, daß das angestrebte Ziel unter dem Apriori des Naturbegriffs unerreichbar war; – Hegel muß, um die Logik des Weltbegriffs entfalten zu können, den Kern der Kritik der praktischen Vernunft, den Pflichtbegriff und das Sollen, dekonstruieren. Ist der Staat der unreine Geist, der in die Wüste geht (und zugleich der eine Sünder, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über 99 Gerechte)? Die Wahrheit der Opfertheologie: Wenn der Glaube an die magische Kraft des Urteils (der Quellcode der autoritären Persönlichkeit) wächst und nicht mehr reflexionsfähig ist, wird er wieder seine Opfer fordern. Die Deutschen wollen sein wie die andern Völker und begreifen nicht, daß sie es nicht mehr können. Haben Auschwitz und das Nachkriegsdeutschland mit der Geschichte von dem einen unreinen Geist, der in die Wüste geht und mit sieben anderen unreinen Geistern zurückkehrt, zu tun: Die letzten Dinge dieses Menschen werden ärger sein als die ersten? Die Zivilisationsschwelle, die als Ursprungsgeschichte des Weltbegriffs sich bestimmen läßt, ist die gleiche Schwelle, die die Geschichte von der Vorgeschichte trennt. Ägypten, Assyrien, Babylon, Israel, die Hethiter, die Philister, Kanaan: die ganze altorientalische Welt verhält sich zur Geschichte wie die Sozialhilfeempfänger, die Asylanten, die Arbeitslosen zur zivilisierten Welt. Auf sie man ungestraft seine projektiven Bedürfnisse ableiten darf. Die Unfähigkeit, die Ursprungsgeschichte der Zivilisation zu reflektieren, findet hier ihr vorbezeichnetes Objekt. Bezeichnet nicht Israel die eigentliche Verlegenheit der altorientalischen Geschichte? Die pharaonische Verhärtung des Herzens hat ihre objekiven Gründe im Kontext der Herrschaftsgeschichte, und ihre Rekonstruktion ist ein Mittel zur Erkenntnis der Objektivität, die in der Herrschaftsgeschichte sich bildet. Die Vergangenheit ist nicht vergangen: Das Sklavenhaus besteht weiter, nur als ein Sklavenhaus mit Gummizellen, und d.h. als Irrenhaus. Ist nicht der Habermassche Verfassungspatriotismus ein Glaube an die höhere Einsicht der Irrenärzte? Was hat es mit den Philistern auf sich, und was unterscheidet sie (und ihre Stellung in der Geschichte Israels) von Ägypten, Kanaan und Babylon? Die jüdische Tradition ist aus der Reflexion und der bestimmten Negation der Idolatrie entstanden. Verhält sich der gegenwärtige Stand der altorientalischen Geschichte zum Antisemitismus wie die Kopenhagener Schule zur Deutschen Physik? Oder auf der anderen Seite: Gleicht nicht der Historikerstreit dem der Kopenhagener Schule mit der Deutschen Physik?
    Ohne das Gewaltmonopol des Staates gibt es keinen Rechtsstaat. Das aber heißt, daß nur die Reflexion des staatlichen Gewaltmonopols den Rechtsstaat daran hindert, zum Instrument der Selbstzerstörung des Staates zu werden.
    Im Eucharistiestreit ging es um die Frage, ob das Brot der Leib Christi ist, oder ob es den Leib Christi nur bedeutet. Es ging um die Differenz von Sein und Bedeutung. In dieser Frage war der Ursprung der Phänomenologie, von Hegels Phänomenologie des Geistes bis zur Fundamentalontologie Heideggers, vorgebildet. In der „Frage nach dem Sinn von Sein“ hat Heidegger das Problem zur Unlösbarkeit kontrahiert. Seitdem gibt es die Seinsfrage, die Judenfrage und die Ausländerfrage. – Hat diese Geschichte etwas mit der sprachlogischen Geschichte des Ursprungs der grammatischen Geschlechter zu tun (im Hebräischen gibt beim Nomen kein Neutrum, nur die Geschlechterdifferenz, während das Fragepronomen Person und Sache unterscheidet; hat das Hethitische diese Differenz dann ins Substantiv – von der Prädikatsseite zur Seite des Urteilssubjekts – verschoben, und hat mit dieser Verschiebung die Urteilsform überhaupt erst sich gebildet? Welche Rolle spielt das deiktische Moment, auf das das Deuten im Bedeuten verweist, und das beim Nomen durch den bestimmten Artikel repräsentiert wird? Steht nicht Heideggers Begriff des Daseins unter dem Gesetz der Logik der Trennung von Sein und Sinn: „Warum ist überhaupt etwas, und nicht vielmehr nichts“? Im Hebräischen wird der bestimmte Artikel durch den gleichen Laut ausgedrückt, der auch das Lachen bezeichnet <„ha“>. Nur im Griechischen und im Deutschen wird der bestimmte Artikel zusammen mit dem Nomen dekliniert – wird das Lachen sprachlogisch – als ein die ganze Sprache durchdringedes Gesetz – organisiert. Entspringt der Begriff des Substantivs in der deutschen, dieser durch die Deklination des bestimmten Artikels definierten Sprachlogik? – Das Substantiv ist das ausgelachte Nomen, das „Dasein“ der ausgelachte Mensch <und die Fundamentalontologie dessen entfaltete Selbstreflexion>.) Wirft das Zusammenzwingen von Sein und Bedeutung (in der Frage nach dem „Sinn von Sein“ und im Begriff des „Daseins“) nicht rückwärts ein Licht auf den Ursprung des Neutrums? Mit der Frage „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“ hat sich die Philosophie mit dem Strick erdrosselt, den sie seit den vorsokratischen Anfängen der Philosophie geflochten hat (beschreibt die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos dieses Flechten des Stricks?). Das Objekt (das Ding) ist der Grund und der Reflex der Idee des Absoluten.
    Auch die Spekulationsgewinne müssen „erwirtschaftet“ werden, wenn auch nicht von denen, die die Gewinne machen. Das „Risiko“ (nach Dirk Baecker die Ware der Banken) ist ein Kalkulationsfaktor jeder Produktion heute. (Das Risiko des Unternehmers war noch sein eigenes Risiko; heute, in der Ära der Bankenfinanzierung und des Managements, ist das Risiko vergesellschaft, und treffen tut’s eh den Falschen; real schlägt es nur bei denen durch, die es nicht zu veantworten und keinen Einfluß drauf haben, aber ihre Existenz verlieren. – Liegt hier nicht die Wurzel einer Moral, die nicht mehr an der Tat, sondern allein am Erwischtwerden sich mißt, und längst Vorsorge getroffen hat, daß das Erwischtwerden an andere fällt?) Panik bricht heute zuerst in den Chefetagen aus; die andern trifft’s unvorbereitet.

  • 2.5.96

    Sind die Banken nicht das Modell der repräsentativen Demokratie: Die Einlage der Kunden bilden das Stimmpotential, das die Macht der Banken begründet (nach der Ausbreitung und Vergesellschaftung des Bankwesens bedurfte es der Gewichtung der politischen Stimmen nach Einkommen nicht mehr)?
    Blumenpflücken verboten: Woher kommt der Ausdruck „durch die Blume sprechen“? Ist nicht „Blüte“ auch ein Name für Falschgeld? Die „blühenden Landschaften“, die Kohl versprochen hatte, waren wohl eher metaphorische Landschaften: die neuen Einkaufszentren, der Warenhimmel, der den „Besserverdienenden“ offensteht.
    Blumen sind in der Geschichte der Evolution zusammen mit den Säugetieren, Bäume mit den Primaten entstanden. Bei den Säugetieren gibt es (anders als bei Fischen, Vögeln und Reptilien) erstmals eine Gebärmutter.
    Jonas im Bauch des „großen Fisches“ (nachdem die Schiffsleute ihn ins Meer geworfen hatten, „entbot der Herr einen großen Fisch, Jona zu verschlingen“): Wie ist er dann wieder an Land gekommen („der Herr gebot dem Fisch, und er spie ihn ans Land“)? Hat diese Geschichte (das „Zeichen des Jona“) nicht eindeutig apokalyptische Konnotationen (vgl. das „Tier aus dem Meer“ und das „Tier vom Lande“)?
    Eröffnet die Geldspekulation erstmals den Blick in den Abgrund, über dem bis heute Finsternis liegt?
    Schwur und Blutrache: Waren nicht schon die Asylstädte ein Versuch, den Schwur zu lösen (hängt der Schwur mit dem Binden und Lösen zusammen)? Die sechs Asylstädte gehören zu den (48) Levitenstädten.
    Zum letzten Satz des Jakobus-Briefes gehört die Geschichte von dem einen Sünder und den 99 Gerechten und die Geschichte von der einen verlorenen Drachme.
    Die Ambivalenz des Heideggerschen Sinn-Begriffs („Sinn von Sein“) ist ein Beispiel für die Beziehung von Rind und Esel.
    Zitiert Franz Rosenzweig, wenn er den das Sigel R (Redaktor) für sich mit Rabbenu übersetzt, nicht Maria Magdalena, die den Auferstandenen, den sie zunächst für einen Gärtner gehalten hat, nachdem sie ihn erkennt, so nennt?
    Die Weltgeschichte läßt sich als fortschreitender Objektivationsprozeß begreifen; hier hat der Begriff des Fortschritts sein fundamentum in re. Objekt und Medium dieses Fortschritts ist die politische Ökonomie, in der jede Entwicklungsstufe die Grundlage der nächstfolgenden Stufe ist: keine verschwindet, jede bleibt in jeder nachfolgenden erhalten, und keine kann übersprungen werden. Für die jeweils erreichte Stufe ist jede vorausgegangene eine vergangene, überholte und insoweit „veraltete“ Stufe. Motor dieser „Entwicklung“ ist die Ökonomie; das Gesetz, dem sie gehorcht, ist das Gesetz des Erfolgs, das Gesetz von Sieg und Unterwerfung.
    Die Naturwissenschaften erfüllen ihren gesellschaftlichen Auftrag, die Selbstrechtfertigung des Bestehenden, als theoretischer Reflex der durchs Tauschprinzip beherrschten Praxis. Der Naturbegriff, der den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß (wie das kantische „Ich denke“, dessen Erbe er ist) begleitet, bezeichnet den jeweiligen Stand des die Ökonomie wie die Naturerkenntnis gleichermaßen beherrschenden Objektivationsprozesses, kein ein für allemal vorgegebenes All von Objekten; die Einheit des Objekts der Naturwissenschaften ist eine formale, seine materiale Identität eine Funktion des Objektivationsprozesses. Es gibt nicht „die Natur“, sondern nur historisch variable Entwicklungsstufen der Erkenntnis, deren Objektseite jede Epoche als Natur definiert und begreift.

  • 16.4.96

    Die Trinitätslehre neutralisiert das Angesicht, sie macht die Theologie zur Theologie hinter dem Rücken Gottes. Sie ist ein Produkt der Logik der Schrift, nicht des Worts.
    Antizipiert der Geist, der über den Wassern schwebt, nicht schon das andere Element des Himmels, das Feuer: als Luft (als Hauch und Atem Gottes)?
    „Fest soll mein Taufbund immer stehen“: So wird die Bekenntnislogik durch einen Schwur begründet. Ist nicht jedes Bekenntnis auch ein Stück Verschwörung, und ist deshalb die Bekenntnislogik so anfällig für Verschwörungstheorien?
    Hängt nicht das „Du sollst nicht schwören“ (Mt 534ff, Jak 512) mit der Selbstbegründung des Glaubens zusammen, und trifft es nicht den Kern der Logik des Glaubens?
    Gibt es eine Beziehung des Schwurs zur Konstituierung der Naturwissenschaften (der subjektiven Formen der Anschauung)?
    Beerscheba: Der Name bezeichnet sowohl den Schwurbrunnen als auch den Siebenbrunnen. (Hat die Formel „von Dan bis Beerscheba“ etwas mit Orion und den Plejaden zu tun? – Vgl. Amos)
    Jakobusbrief: Wie hängen Schwur und Irrtum (die Siebenzahl mit den „Planeten“, den Irrsternen) zusammen? Oder: Hängt die Auferstehung Jesu mit der Befreiung der Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern zusammen?
    Gründet nicht auch die Ehe in einem Schwur? Aber ist dieser Schwur nicht das Abbild der Beziehung Gottes zu Israel (und zur Kirche)? Bezeichnet nicht der apokalyptische Begriff der Unzucht den Mißbrauch (die Instrumentalisierung) dieses Schwurs (ein Mißbrauch, der sowohl „naturphilosophische“ als auch „religiöse“ Bedeutung hat, in ihrer Beziehung zur Herrschaft gründet)?
    Die Längenkontraktion und die Zeitdilatation wie auch die Äquivalenz von Materie und Energie sind keine universalen Bestimmungen, sondern richtungsbezogen. (Das Angesicht ist die Widerlegung der Unendlichkeit des Raumes; oder: die Unendlichkeit des Raumes leugnet das Angesicht.)
    Der Fortschritt der Subjektivierungsgeschichte geht über die Verdrängung der sinnlichen Qualitäten, die Unterdrückung der Fähigkeit zur Herrschaftskritik bis hin zur Unfähigkeit zur Schuldreflexion, zur Verwandlung der Schuld in Schuldgefühle (die dann den Mechanismen des Schuldverschubsystems gehorchen).
    Der Jakobusbrief bewegt sich diesseits der Christologie, der Opfertheologie und der Bekenntnislogik („auch die Dämonen glauben es und zittern“ 219).
    Ist die concupiscentia, die die alte Theologie mit der Sexualität gleichgesetzt hat, nicht etwas Objektives; ist nicht das Geld ihre Verkörperung?
    Die Selbstaufklärung der Astronomie wird erst zusammen mit der Selbstaufklärung der Banken möglich sein.
    Woher kommt der Name der „Heiden“, wodurch unterscheiden sich die Heiden von den Völkern? Auch hier käme es darauf an, das Paradigma Innen/Außen durch das andere: Im Angesicht/Hinter dem Rücken zu ersetzen. Die Heiden sind ein Produkt des Hellenismus: Sie haben die Stelle der Barbaren eingenommen (und die Christen zu Hebräern gemacht).
    War nicht jede dogmatische Ausgrenzung auch ein Instrument der Rechtfertigung?
    Jak 119: Beitrag zur Kritik der transzendentalen Ästhetik und Logik. Das Objekt ist ein Produkt des schnellen Redens und des schnellen Zorns.
    Jak 413 – 56: Ist heute nicht 413-17 zu einem Element von 51-6 (die Zirkulation zu einem Teil der Produktion) geworden? (Absicherung der Produktion durch Rationalisierung der Marktchancen; Marktforschung und PR als Instrumente der Stabilisierung des Absatzes).

  • 15.4.96

    Als Urteilsmoral hat die christliche Sexualmoral die Gottesfurcht durch das schlechte Gewissen ersetzt, das die Menschen beherrschbar macht.
    Die Bekenntnislogik ist die Logik der Objektivierung und Instrumentalisierung der Wahrheit. Deshalb gibt es kein Bekenntnis ohne Opfertheologie. Und der Götzendienst war bereits eine experimentelle Vorform der Bekenntnislogik.
    Die Lohnarbeit war der Beginn eines Prozesses, der darauf abzielt, am Ende auch die Zirkulation in die Produktion mit einzubeziehen, (durch Marktanalyse und Reklame beherrschbar zu machen). Die Globalisierung des „freien Marktes“ hat die Logik des Kapitals (ähnlich wie die Staatsschutzjustiz die Logik des Rechts) zur transzendentalen Logik (zu einem Instrument der Konstruktion von synthetischen Urteilen apriori) gemacht.
    Ist nicht das Wort über den Handel und an die Reichen (Latifundienbesitzer) bei Jakobus an Griechenland und an Rom adressiert?
    Die Blinden und die Lahmen: Läßt sich diese Konstellation nicht an der Beziehung zum Faschismus demonstrieren? Werden nicht die, die den Faschismus durch Verurteilung (aus der Sicht der Nachgeborenen) bannen wollen, blind, und die, die ihn von innen (aus der Sicht seiner Opfer) begreifen wollen, lahm?
    Die Menschen leben nicht (wie die Tiere) in der Natur, sondern in der Welt. Die Welten der Tiere, sind allesamt Teil der Natur (die Natur ist der Inbegriff aller Objekte von Urteilen: das Tier ist ein lebendiges Objekt eines Urteils).
    Zum Symbol des Kreuzes: In der Mathematik sind wir die Opfer einer Logik, die uns beherrscht; die Beweislogik ist die Logik dieser Herrschaft, einer Logik, deren Ursprung wir nicht kennen, und an deren Ursprung wir nicht heranreichen.
    Wenn der Staat die Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern ist, dann, so scheint mit, verweist das auch auf den Ursprung der Mathematik (des „Bogens in den Wolken“?).
    Ist der Bogen in den Wolken das hebräische Gegenstück zum griechischen Gnomon?
    War nicht die Darstellung der Praxis der Getreide-Spekulation und ihrer Folgen bei Frank Norris (in dem Roman, der Bert Brecht zum Marxisten gemacht hat), noch harmlos gegenüber der Funktion und Bedeutung, die die Spekulation (als reine Geldspekulation) heute gewinnt? Die Hypothese wäre zu prüfen, ob nicht das Geld-Spekulationsgeschäft, das nicht nur (wenn auch vor allem) Banken betreiben, mit der Explosion der Armut, die ganzen Bevölkerungen die Existenzgrundlage entzieht, zusammenhängt, und das nicht nur symbolisch, sondern real.

  • 4.4.96

    Was wird aus dem Christentum, wenn man in den kanonischen Schriften und in der Theologie konsequent den Gehorsam durchs Hören ersetzt? Das Hören, wenn es nicht in blinden Gehorsam entarten soll, setzt die Reflexionsfähigkeit voraus. Was aber bedeutet dann das Wort vom „Gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz “ (Phil 28, mit dem Folgesatz: „Daher hat Gott ihn erhöht und ihm den Namen geschenkt, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu sich beuge jedes Knie derer, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind, …“)? Das durchs Autoritätssyndrom verhexte Hören wird blind und am Ende lahm.
    Die Blinden und die Lahmen (vgl. die Geschichte der Eroberung Jerusalems durch David): Repräsentieren sie nicht das (verblendende) Tauschprinzip und das (lähmende) Trägheitsprinzip?
    Mit dem Stellvertreter-Konstrukt ist das Tauschprinzip in die Theologie eingeschmuggelt worden. Zugrunde liegt ihm die Differenz von Last und Joch (Esel und Rind): das Prinzip, daß ich die Last nicht andern als Joch aufbürden darf. Falsch ist allein die Universalisierung dieses Prinzips, aus dem andere keinen Rechtsanspruch auf Befreiung vom Joch ableiten können. Ist nicht dieses Stellvertreter-Prinzip der Grund der Opfertheologie, die der Kern der Bekenntnislogik ist?
    Ist das Stier-Opfer ursprünglich dem Baal zugeordnet? Unterscheidet sich das israelitische Stier-Opfer vom Baal-Opfer nur durch den Ursprung des Feuers? Was bedeutet es, wenn in der Samson-Geschichte (anstelle eines Stiers, eines Widders/eines Lamms oder einer Taube?) ein Ziegenbock geopfert wird?
    Alle Opfertiere sind gehörnte Tiere: Haben deshalb der Drache wie auch die beiden Tiere (aus dem Meer und vom Lande) Hörner? Liegt hier der Schlüssel für die unterschiedlichen Kombinationen Hörner/Köpfe/Kronen bzw. „hat Hörner wie ein Lamm und redet wie ein Drache“?
    Wenn es im Hebräischen keine Begriffe für Natur und Welt gibt, ist dann nicht das Hebräische eine Sprache der urteilsfreien Erkenntnis? Die so begründete Sprachlogik aber schließt den theologischen Gebrauch von Begriffen wie Allmacht oder Allwissenheit aus. Allwissend ist der Autor im Hinblick auf das Handeln und das Schicksal der Gestalten seines Werks; der ästhetische Genuß des Lesers gründet nicht zuletzt in der Teilhabe an dieser „Allwissenheit“. Der Begriff bezeichnet ein Attribut, das allein ästhetisch, niemals aber theologisch sich begründen läßt. Allwissenheit setzt einen Begriff der Erkenntnis voraus, der auch die Zukunft mit einschließt, einer Erkenntnis, die nur unter der Bedingung der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, das aber heißt: nur als endliche Erkenntnis sich konstituieren läßt.
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Institutionen, die nach dem letzten Krieg eine gleichsam explosive Ausdehnung erfahren haben: der Rüstung, der Banken und der Einrichtungen des Strafvollzugs? Ist nicht in allen Fällen das Medium dieser Explosion eines, das man als Industrialisierung beschreiben könnte?

  • 27.1.96

    Horror vacui: In der Vorstellung des leeren Raumes vereinigt sich die Offenheit der Zukunft mit dem Nichtsein des Vergangenen. Oder anders: Der leere Raum ist die gegenständliche Verkörperung der Vorstellung, daß die Zukunft durch Verdrängung der Vergangenheit sich eröffnen läßt. Die Logik dieses in der Raumvorstellung geronnenen Verfahrens ist durchs Dogma, durch die opfertheologische Verarbeitung des Kreuzestodes Jesu, vorgebildet worden.
    Gibt es eine ökonomische Entsprechung des horror vacui, und wäre er nicht in der Logik und Funktion der Banken zu suchen (oder, in der Vorgeschichte der Banken, in der des Tempels im Bereich der Tempelwirtschaft; hängt hiermit die Funktion des Tempels in der Ursprungsgeschichte der Kosmologie zusammen, der Tempel als Abbild des Kosmos)?
    Was bedeutet es, wenn im zweiten Schöpfungsbericht die Reihenfolge des Geschaffenen umgekehrt wird, wenn das „im Anfang schuf Gott (Elohim) den Himmel und die Erde“ transformiert wird in den Satz „zur Zeit, da Gott der Herr (Elohim JHWH) Erde und Himmel machte“? Zu dieser Transformation gehört im einzelnen
    – die verändert Name des schaffenden Subjekts: die Differenz Elohim/Elohim JHWH,
    – der Fortfall des bestimmten Artikels (bei den geschaffenen Objekten) nach Umkehrung der Objektfolge,
    – die Änderung der Benennung des Tuns von Schaffen ins Machen und
    – die Änderung der Zeitbestimmung vom absoluten „Im Anfang“ zum relativen „Zur Zeit, da …“.
    Im Selbstmitleid, das heute als fast unausweichlich sich erweist, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, manifestiert sich die eigene Ohnmacht; oder genauer: Im eigenen Selbstmitleid manifestiert sich das Selbstmitleid und die Ohnmacht der Andern und darin die eigene Ohnmacht.
    Es gibt einen Atheismus, der mit der Leugnung Gottes die Menschheit verrät.
    Gotteserkenntnis ist ein notwendiges Sinnesimplikat einer Erkenntnis, die die Reflexion auf die Asymmetrie, die unaufhebbare Differenz zwischen mir und dem Andern, in sich mit aufgenommen hat: den Einspruch gegen einen Universalismus, der es sich zu leicht macht, der nur den Weg des geringsten Widerstands wählt und um der Erkenntnis willen die Welt verrät (ist der Habermassche Universalismus – ähnlich dem der Naturwissenschaften, dem er nacheifert – nicht ein auf den Kopf gestellter Fundamentalismus?).
    Die kantische Frage nach der Objektivität der subjektiven Formen der Anschauung (weshalb sie „gleichwohl objektiv“ sind) schließt die Frage nach dem Grund der Vorstellung mit ein, weshalb es eine Natur gibt, die ohne uns da ist. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Verinnerlichung des Opfers, des Opfers des Selbst an die ohne dieses Opfer nicht bestehende Natur.
    Es gibt einen sehr tiefsinnigen Hinweis auf das Problem Kants in der Frage nach der Objektivität der subjektiven Formen der Anschauung: die Hegelsche Bemerkung, daß der Begriff der Geschichte sowohl die Geschichtsschreibung als auch die Geschichte als Inbegriff der historischen Ereignisse selber bezeichnet. – Bezeichnet nicht Rosenzweigs Konzept des Sterns der Erlösung genau den Punkt, an dem er den Bann des Historismus bricht (das logische Problem der historischen Gegenständlichkeit in den Blick rückt)?
    Das Moment der Selbsthistorisierung, der Selbstobjektivation, das in der Berufung auf das Urteil der Geschichte steckt, begründet und rechtfertigt die Politik des Nichthandelns, des Aussitzens. Der gleichen Politik, die durch die „Wiedervereinigung“ in den Schein einer historischen Bestätigung gerückt worden ist, die sich selbst dementiert (die „Wiedervereinigung“, die das Ergebnis des verlorenen Krieges revidiert, ist das reallogische Pendant eines Krieges, der nicht mehr durch einen Friedensschluß beendet werden konnte).
    Israel ist die Verkörperung des Baums des Lebens in einer Geschichte, die durch den Baum der Erkenntnis und den Sündenfall determiniert ist.
    Das Wort „Richtet nicht …“ wäre heute zu ersetzen durch das „Verurteilt nicht, auf daß ihr nicht verurteilt werdet“: durch die Kritik des Objektivationsprozesses insgesamt.
    Das „Richtet nicht …“ ist ein Einspruch gegen das Hegelsche Weltgericht.

  • 31.12.95

    Was wird aus einem Staat, der den Richtern die Last des Bewußtseins der Folgen seines Tuns abnimmt?
    Nur finstere Geheimnisse kann man verraten. Die göttlichen Geheimnisse (die von theologischen Geheimnissen zu unterscheiden sind) sind Gegenstand der Offenbarung.
    Transzendentale Ästhetik: Das Inertialsystem ist (nach der Erfindung des Geldes und nach der Entfaltung der Bekenntnislogik) die letzte Gestalt der Instrumentalisierung des Feigenblatts.
    Delegation, Stellvertretung, Repräsentation und Schuldverschubsystem: In dieser Konstellation konstituiert sich das Objekt.
    Der Handel hat mit dem Gebrauch des Geldes das Schuldverschubsystem begründet und darin die Erinnerung an die Schuldknechtschaft, die zur Ursprungsgeschichte des Geldes gehört, aufbewahrt.
    Der Name der Schlachtbank hält die Erinnerung an den Ursprung der Banken in der Tempelwirtschaft wach.
    Als Habermas den Gedanken einer resurrectio naturae verworfen hat, hat er den Begriff der Politik instrumentalisiert.
    Kronzeugenregelung: Instrumentalisierung und rechtliche Absicherung des falschen Zeugnisses.
    Reklame: Die Instrumentalisierung der Zeugenschaft (der Schlager macht Reklame für die Ware, die er selber ist: Reklame der Reklame; im Markenartikel machen die Ware und ihre Käufer Reklame für die Reklame, die den Verkauf der Ware sichert: Säkularisation der Bekenntnislogik und der ihr inhärierenden Exkulpationsautomatik, ihrer schuldvernichtenden und erlösenden Macht; vergleichbar dem Sport, der die nationalen Emotionen an sich bindet und reproduziert, die ohne ihn drohen, gegenstandslos zu werden).
    Die Hooligans gehören wie die Benutzer/Träger von Markenartikeln zu den letzten Nachfahren der Confessores (der BMW-Fahrer bekennt sich zu BMW; wer Levi’s trägt, ist cool).
    Ursprung des Neutrum: Folge der Abstraktion vom Geschlechterverhältnis im Begriff der Gattung (Konstituierung des Allgemeinen; Ursprung des Unzuchtsbechers: der Gemeinheit). Mit dem Neutrum (mit der transzendentalen Ästhetik und Logik, mit der Trennung der Begriffe Natur und Welt) ist die Sexualmoral entstanden.
    To be or not to be, that is the question: Das Präfix be-, das im Englischen als Name des Seins fungiert, ist der logische Katalysator der Vergegenständlichung, des Objektbegriffs. Der englische Empirismus ist sprachlogisch begründet.
    Im Bekenntnis wird die Erkenntnis sich selbst zum Objekt, erstickt die Kraft des Namens, wird sie blind und lahm: das Bekenntnis ist die genaue Umkehrung des homologein, der Heiligung des Gottesnamens. Die Bekenntnislogik ist ein Teil der Logik des Weltbegriffs.

  • 11.12.95

    Was bedeutet der Begriff der Heiligung in dem Satz „Der Zweck heiligt die Mittel“? Heißt es nicht, daß hier eine Sache nur der Kritik entzogen wird? Gehört es nicht in einen Zusammenhang, in dem Blasphemie und Majestätsbeleidigung (Verunglimpfung staatlicher Symbole) nicht mehr sich unterscheiden lassen, ist es nicht eine Heiligkeit, die als Unberührbarkeit der Macht sich begreift: als Verdinglichung des Heiligen? Es ist das genaue Gegenteil des Begriffs der Heiligung, der dem Gebot der Heiligung des Gottesnamens zugrundeliegt.
    Zum Begriff des Neutrums gehört auch die grammatische Form des Indikativs, einer sprachlichen Form der Objektivität, die von allem Subjektiven (Wunsch, Zweifel, subjektiv Möglichem) gereinigt ist, das dann in den Konjunktiv verschoben wird. Im Lexikon der Sprachwissenschaft (Kröner, Stuttgart, 19902) wird der Indikativ als „neutraler Darstellungsmodus“ definiert (S. 407). Vgl dazu Hegels Bestimmung des Ursprungs und der Form der Prosa (ein Begriff, der im ebengenannten Lexikon ebensowenig vorkommt, wie auch nur ein Ansatz zu einem Versuch der sprachlogischen Bestimmung des Neutrums).
    Als Habermas mit dem Titel „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ das Thema verfehlte, hat er sich von der kritischen Theorie verabschiedet. Seitdem gilt er als ihr Vertreter.
    Heute ist die Gegenwart in einem Maße historisiert, daß jeder kritische Impuls Gefahr läuft, sich ins Kontrafaktische zu verlieren (zum ohnmächtigen und unverbindlichen Räsonnement wird, das die Betonwand des Wirklichen nicht mehr zu durchdringen vermag). Die kontrafaktische Reflexion bezieht sich nicht mehr nur auf vergangene Entscheidungen, sondern die Gegenwart selber ist in einem Maße vorentschieden, daß Reflexion insgesamt in Gefahr ist, kontrafaktisch zu werden.
    Merkwürdiges Gefühl beim Heribert Prantl: Er rührt an den Kern der Dinge, aber auf eine bloß noch räsonnierende Weise: auf die Weise des resignierten, ohnmächtigen Protests, dem die Kapitulation vor der Übermacht des Bestehenden schon einbeschrieben ist (vgl. Ulrich Sonnemann: Der verwirkte Protest, in: Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten, Hamburg 1963).
    Als Habermas die Natur von der Hoffnung auf eine befreite Gesellschaft ausschloß, hat er vor der Übermacht des Bestehenden kapituliert.
    Heute reflektieren alle nur noch über die Sache, anstatt die Sache zu reflektieren. Wäre der Satz, mit dem das kommunistische Manifest beginnt: „Ein Gespenst geht um in Europa – …“, heute nicht anders weiterzuführen: Anstatt auf den Kommunismus wäre er heute auf die Gestalt des abgestorbenen Geistes (und nur so gewinnt der Name des Gespensts Realität), die in den Banken umgeht und rumort, zu beziehen. Der Macht und dem Tun dieses Gespenstes ist es zu danken, wenn heute der Name des Geistes endgültig obsolet geworden zu sein scheint. Als der Faschismus Vergangenheit geworden ist, hat er die Gegenwart in diesen Hades mit hereingezogen. Auf dem Boden der Katastrophe gibt es nur noch die Macht der Reflexion; wer glaubt, auf diesem Boden eine andere Welt erbauen zu können, wird in ihren Strudel mit hereingezogen. Wenn die kopernikanische Wende (die neue Astronomie) die Neukonstituierung der politischen Institutionen begleitet, ist dann nicht das Medium, in dem die neue Physik sich herausgebildet hat, insbesondere die Elektrodynamik, Symptom des Ursprungs und der Entfaltung jener Macht, die die politischen Institutionen der Moderne unterminiert, neutralisiert und verdrängt: der Ökonomie?
    Gründet nicht die Verdrängung der Kritik der subjektiven Formen der Anschauung in der bewußtslosen Anwendung des Satzes, daß der Zweck die Mittel heiligt? Der diesem Satz zugrundeliegende Begriff der Heiligung steht in genauestem Gegensatz zum Gebot der Heiligung des Gottesnamens. Die Heiligung des Gottesnamens ist ein Erkenntnisgebot, die Heiligung der Mittel durch die Zwecke ist ein Ensemble von Tabus, von Verdrängungen, von Erkenntnisverboten (Quellpunkt des Opfers der Vernunft).
    Wer das, was Bundesanwälte, Richter und die Polizei sich heute selber antun, beim Namen nennt, beleidigt sie. Damit hängt es zusammen, daß es einen herrschaftsfreien Diskurs solange nicht geben wird, wie es nicht gelingt, die Reflexion von Herrschaft auch in die Institutionen des Rechts hineinzubringen.
    Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande: Es gilt zu begreifen, daß das Neutrum zwar ein Instrument der Desensibilisierung ist, selber aber das sensibelste, empfindlichste Wesen ist (Geld macht sinnlich).
    Die Exkulpationsmacht des Staates ist nur solange zu halten, wie sie selber der Reflexion und der Kritik sich entzieht (durchs Tabu, durch den Schutz vor „Verunglimpfung“). Wäre nicht das adornosche Stichwort der „vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte“ zu ersetzen (und zu erfüllen) durch die restlose Reflexion des Säkularisationsprozesses, zu dessen Geschichte die der Theologie dazugehört? Für den Mord an Menschen, die herrschaftskritische Hoffnungen verkörpern, gibt es unendlich viele Beispiele. Gibt es ein einziges Beispiel eines wirklich gelungenen Tyrannenmords? Ist nicht das einzige historische Beispiel hierfür der Mord an Julius Caesar, der real den Caesarismus (bis hinein in den Caesarismus der dogmatischen Theologie, in dessen Kern die Opfertheologie steht, die eher auf die Ermordung Caesars als auf den Kreuzestod Jesu sich beziehen läßt) überhaupt erst begründet hat? War nicht Brutus das Modell für das christliche Verständnis des Verräters Judas? Die Kosmologie, die Naturphilosophie und dann die Naturwissenschaft sind der Schatten und das Reflexionsmedium der Staatenbildung.

  • 6.12.95

    Definition der Prophetie (für Jürgen Ebach): So tief in einen Sachverhalt eindringen, daß die Zukunft in ihm ablesbar wird. Diese Zukunft ist katastrophisch: Prophetie ist per definitionem „Unheilsprophetie“, unter den Bedingungen des Weltbegriffs ist sie apokalyptisch.
    Die Logik der Schrift wird erst durchsichtig, wenn in ihr die Logik des Weltbegriffs, das objektivitätskonstituierende Element in der Logik der Schrift, erkennbar wird. (Anmerkung: Hubertus Janssen berichtet, daß H.-E. Richter die Erklärung zum Hogefeld-Prozeß nicht unterschrieben hat mit der Begründung, er kenne die Fakten nicht und könne nicht zu Dingen Stellung nehmen, die er nur vom Hörensagen kennt. Der Hogefeld-Prozeß gewinnt demnach erst Realität, zu ihm kann man erst Stellung nehmen, wenn öffentlich über ihn berichtet wird: Die Existenz einer Sache ist ein logischer Sachverhalt, der konstituiert wird durch Öffentlichkeit: durch die Schrift, die selber wiederum zu den Konstituentien der Öffentlichkeit gehört (beide, Schrift und Öffentlichkeit, begründen den Weltbegriff). Das begründet hinreichend das ambivalente Verhältnis des 5. Senats des Frankfurter OLG zur Öffentlichkeit, wenn er diese aufteilt in Sympathisanten, eine Art nichtöffentlicher Öffentlichkeit, und eine „seriöse“ Berichterstattung, die sich an die Vorgaben der amtlichen Pressestellen hält.)
    Medien und Banken: Nicht nur die Schrift, auch das Geld ist existenz- und weltbegründend (ähnlich wie das Inertialsystem nur im Zusammenhang seiner objekt- und naturbegründenden Funktion sich bestimmen läßt). Ist hier nicht der Vermittlungspunkt, an dem sich zeigen läßt, daß und weshalb Geschichte durch Geschichtsschreibung sich konstituiert und Realität gewinnt?
    Kelch des göttlichen Zorns: Die Vorstellung des Zeitkontinuums ist vermittelt (bedingt) durch die des dreidimensionalen Raumes; die Unendlichkeit der Zeit ist ein Reflex der Unendlichkeit des Raumes: Der Raum ist der Betondeckel auf der Vergangenheit, die Leugnung der Idee der Auferstehung. Diese Leugnung gehört zu den Konstituentien des Herrendenkens.
    Simulieren nicht die Fernsehnachrichten (die Berichterstattung im Fernsehen allgemein, die inzwischen zur Norm auch der übrigen Medien geworden ist, und das in einem durchaus geometrisch begründbaren Sinne) den privaten Blick auf die Dinge: den Blick aus dem Wohnzimmer? Machen sie sich nicht schon präventiv mit den Zuschauern gemein, die durch die Information in ihrer Privatruhe nicht gestört sein wollen und selber wiederum einer genau darauf abgestimmten Organisation der Information bedürfen, um diese Ruhe abzusichern (Drachenfutter)? Wie wäre es anders zu erklären, wenn heute „nationale“ Sportereignisse politischen und wirtschaftlichen Informationen in der Berichterstattung den Rang streitig machen können? Die Information rückt die Welt aus dem Bereich des Handelns in den des Urteils. Die transzendentale Logik der Medien wäre noch zu schreiben (Voraussetzung wäre die Bestimmung der zugrundeliegenden transzendentalen Ästhetik der Medien, ihrer „subjektiven Formen der Anschauung“, die auf den Schuldzusammenhang, der ein Urteilszusammenhang ist, zurückweisen).
    Nicht nur der Schuldzusammenhang, auch der Herrschafts- und Verblendungszusammenhang ist ein Urteilszusammenhang, die Urteilsform ist ihr Kristallisationskern.
    Nachrichten: Einübung in die Entsolidarisierung der Kritik. Sie fordern anstatt zum Handeln zum Urteilen heraus (Schuldverschubsystem, Esel und Rind). Entsolidarisierung schafft den Boden, auf dem die Sensationen wachsen und gedeihen (Beispiel: die Scharping-Kampagne, die von einem bestimmten Zeitpunkt an zum Selbstläufer geworden ist, der keines der Medien sich mehr zu entziehen vermochte).
    Der wechselseitigen Konstituierung von Privatsphäre und Information korrespondiert die „Amtlichkeit“ der Nachrichten, ihr gleichsam hoheitlicher Charakter: Moderatoren und Sprecher werden präsentiert, als stünden sie hinterm Schalter oder säßen an einem Schreibtisch (und Schalter oder Schreibtisch werden dann via Fernsehen ins Wohnzimmer transportiert). Ist der Nachrichtensprecher ein später Nachfahre des „Engels Elohims“ (der Abraham aufforderte, seinen Sohn zu opfern)?
    Die Medien verarbeiten die Informationen imd Interesse des „beschränkten Untertanenverstandes“.
    Jürgen Ebachs Bemerkung: „wir haben nur unsere Ohren“ (Junge Kirche), wäre im Hinblick auf den Gebrauch des Possessivpronomens zu überprüfen. Verstopft nicht dieses Possessivpronomen die Ohren? Die Norm des Hörens, die im „Heute“ begründet ist (Heute, wenn ihr seine Stimme hört), wird durchs Possessivpronomen gleichsam inertialisiert, von der Erinnerungsarbeit getrennt, die der Tatsache Rechnung zu tragen versucht, daß dieses Heute durchaus ein vergangenes sein kann (das der Prophetie, der Schrift, die „vergangene Hoffnung“ der Dialektik der Aufklärung). Nicht das Unser, sondern das Heute ist das Kriterium des Hörens, das der zukünftigen Welt den Weg freimacht.
    Die Zeugenschaft gründet im Sehen (das Ezechiel aufs Antlitz fallen läßt); deshalb ist die authentische Form der Zeugenschaft das Blutzeugnis. Die Auferstehung hingegen gründet im Hören (das Ezechiel wieder aufrichtet).
    In ihrer Ursprungsphase war die raf selber ein Teil des öffentlichen Diskurses. Sie stand in der Tradition der „symbolischen Aktionen“ (so der Kaufhausbrand in Frankfurt, aber auch der Anschlag auf das Heidelberger Hauptquartier der US-Army, mit dem der Anschlag auf den US-Airport in Frankfurt sich nicht mehr vergleichen läßt), diese zielten in erster Linie auf die kritische Öffentlichkeit. Terroristisch wurde die raf, als sie fundamentalistisch wurde, ihre Aktionen aus dem symbolischen Diskurs in den dogmatisch-politischen Indikativ übersetzte: als sie aus dem Bereich der Öffentlichkeit und der Sprache in den der Macht sich abdrängen ließ. Der zweiten und dritten Generation der raf fehlte das Sensorium für den kritisch-symbolischen Diskurs, sie ist aus der Öffentlichkeit (freilich nicht ohne Mitwirkung der Institutionen der Öffentlichkeit selber, die tatkräftig mitgeholfen haben, diesen Diskurs durch Diskriminierung zu neutralisieren) nur noch herausgefallen, wie die Szene dann nur noch stumm geblieben ist. Diese Generation ist zur Erinnerungsspur des Verdrängten geworden; sie wird nicht mehr wahrgenommen, sondern löst – wie alles Verdrängte – nur noch Ängste und Aggressionen aus.
    Merkwürdig das Stichwort „Generationenkonflikt“, das sehr früh ins Spiel gebracht, aber nie wirklich begriffen worden ist. Hat dieses Stichwort nicht einen ganz anderen Sachverhalt verdeckt: Dies war die erste Generation, für die der Faschismus Geschichte, Vergangenheit, nur noch Gegenstand des Urteils, nicht mehr der eigenen lebendigen Erfahrung war. Sie war die erste Generation, die ohne es durchschauen zu können, allein durch ihre Geburt in einen Schuldzusammenhang verstrickt war, an dem sie sich (zu Recht) unschuldig fühlte. Sie stand unter einem Rechtfertigungsdruck, dessen Ursprung für sie selbst im Dunkel lag. Die Gnade der späten Geburt erwies sich als deren genaues Gegenteil: als ein objektives, schicksalshaftes Urteil, dem sie nur durch die Verurteilung der Generation glaubte entrinnen zu können, die für sie diese Vergangenheit verkörperte und die sie durch ihre Beteiligung an dieser Geschichte in diese Lage gebracht hatte. Dieser Ausweg aber war keiner. Der Konflikt ist im Felde des Urteils nicht aufzulösen. Das Stichwort „Generationenkonflikt“ hat den Konflikt nur scheinbar verständlich gemacht; sein Preis war der Abbruch der Kommunkation. Dieser Konflikt war kein Generationenkonflikt, sondern Symptom einer herrschaftsgeschichtlichen Katastrophe, ein verzweifeltes Echo der „Endlösung“. Das Stichwort Generationenkonflikt entlastet nur, löst aber nichts auf. Im Gegenteil: Indem es entlastet, vermehrt es die Last.
    Beitrag zur Kritik der Phänomenologie: Symptomatisch, daß die Vermummung der Polizei gleichzeitig erfolgte wie das gesetzliche „Vermummungsverbot“, in dem die „Erscheinung“ des Jugendprotests als Handeln erkannt und diskriminiert wurde. Was ist da wirklich passiert? (Hinweis: Der Personbegriff verweist ebenso wie auf die Sphäre des Rechts auf die des Schauspiels. Persona war die Maske des Schauspielers, durch die hindurch seine Stimme tönte.)
    Hegels Hinweis, daß die Natur den Begriff nicht zu halten vermag, wird von ihm selbst begründet mit dem Hinweis auf die Differenzierung der Gattungen und Arten der Tierwelt; er ließe sich ebenso demonstrieren an der Differenzierung der „Gattungen und Arten“ der indoeuropäischen Sprachen, die den gleichen Sachverhalt widerspiegelt. Die indoeuropäischen Sprachen haben das Perfekt vom Handeln ins Urteilen verschoben, indem sie es in die Vergangenheit zurückgestaut haben.
    Betroffenheit: Das Wörterbuch des Unmenschen, das heute implodiert und die Sprache insgesamt in sich aufsaugt und verschlingt, entstammt der theologischen Tradition.
    Das Hegelsche Absolute ist die Seele des sterblichen Gottes, als dessen Namen Hobbes den Leviathan erkannte. Ist nicht das Absolute die in den Begriff erhobene Natur, das Tier, das nicht mehr in der Endlichkeit der Gattungen und Arten gefangen ist?
    Brauchten die Christen nicht einen „persönlichen Gott“, um dem Konstrukt der Sündenvergebung die erforderliche Grundlage zu geben? Erst, wenn ich mich zum Objekt der Sündenvergebung mache, wenn ich sie als Mittel der Vernichtung meiner Schuldgefühle mißbrauche, benötige ich als magischen Helfer einen „persönlichen Gott“ (das absolute Kuscheltier).
    Mit der Einführung des Priestertums ist die sadduzäische Tradition (das Bündnis mit der Macht) ins Christentum mit aufgenommen worden. (Wer ist die Magd und wer sind die Knechte des Hohenpriesters in der Geschichte von den drei Leugnungen?) Symptom dieser sadduzäische Tradition ist die Stellung zur Lehre von der Auferstehung: Das Christentum hat diese Lehre neutralisiert, als sie sie zum Gegenstand der Bekenntnislogik machte. Würde auch nur ein Theologe wirklich an die Auferstehung glauben, die Theologie würde anders aussehen.
    Die Idee des Heiligen läßt sich durch ihre Beziehung zum Possessivpronomen definieren. Das Heilige ist dem Anwendungsbereich des Possessivpronomens (den der Weltbegriff umschreibt und definiert) enthoben. Theologie im Angesicht Gottes ist die Erfüllung des Gebots der Heiligung des Gottesnamens, und die Kritik des Weltbegriffs ist die Kritik der universalen Anwendbarkeit des Possessivpronomens (das am Andern seine Grenze findet: das Antlitz des Andern ist die Sichtbarkeit dieser Grenze; deshalb ist das Gesicht die Verkörperung des Gebots „du sollst nicht töten“).
    Die „vollständige Säkularisation aller theologischen Gehalte“ ist eine contradictio in adjecto: Der Begriff der vollendeten Säkularisation postuliert den universalen Geltungsanspruch des Possessivpronomens; dagegen ist die Theologie der letzte Einspruch. Das Gesicht ist das Wunder in der Erscheinungswelt.

  • 29.11.95

    Die BILD-Zeitung erzeugt selber die Sucht, die sie befriedigt. Ist sie nicht auch ein Organ der Linguistik: Instrument der Reduzierung der Sprache auf Sätze (ohne Komma und Semikolon)?
    In der FR heute ein Hinweis auf einen Bericht der BILD-Zeitung, wonach die deutschen Männer immer dicker werden. BILD empfiehlt fettarmes Essen. Ist das nicht ein exemplarischer Fall von Schuldverschiebung? Müßte der Rat nicht lauten: Aufhören, BILD zu lesen?
    Die 68er Bewegung war nicht das Erwachen aus einem Alptraum, sie war der Traum dieses Erwachens im Alptraum. Das erinnert mich an die Mitschüler in der Nazizeit, die damals HJ-Führer waren, die nach dem Krieg (nach einem Gesinnungswechsel, der sie der Last der Erinnerung enthob) ihren Führungstraum in ihren beruflichen Karrieren ungebrochen haben fortsetzen können. Die 68er nannten diesen Führungstraum ihren „Marsch durch die Institutionen“ (in dem allerdings nicht sie, sondern die Institutionen den Sieg davon getragen haben).
    In dem Maße, in dem wir die Vergangenheit verdrängen, sie für überwunden halten, gewinnt sie Macht über uns. Das ist eine der Bedeutungen des Satzes „Richtet nicht …“.
    Was ist der Unterschied zwischen pragma, res und Ding? Läßt nicht anhand dieser Begriffe die herrschaftsgeschichtliche Verstrickung der griechischen, lateinischen und deutschen Fassung der christlichen Tradition sich demonstrieren?
    Wer Gemeinheit glaubt mit Empörung beantworten zu können, ist schon in der Gemeinheitsfalle gefangen. Aus dieser Falle gibt es keinen Ausweg.
    Der Nominalismus hat, indem er das Ungleichnamige gleichnamig gemacht hat, die Sprache in ihrem Grund und ihrer Wurzel vergiftet. Er hat die Gemeinheit absolut und das Absolute gemein gemacht.
    Erst das indogermanische Perfekt hat die Vergangenheit aus einem Geschehen in einen Zustand verwandelt (durch ihre Objektivation die Natur zur Natur und die Geschichte zur Geschichte gemacht).
    Der Faschismus war die erste Form der Privatisierung des Staates (der Barock als die Epoche der Privatisierung der Herrschaft war sein Vorläufer).
    Ist nicht die Theorie der Schwarzen Löcher eine Weiterbildung, Radikalisierung und Widerlegung der Kant-Laplaceschen Theorie?
    In welcher Beziehung stehen die Schwarzen Löcher zum Urknall? Verhalten sie sich nicht invers zueinander? Sie unterscheiden sich durch ihre Beziehung zur Zeit: Während der Urknall in einer kurzen, explosiven Bewegung abläuft, bezeichnet das Schwarze Loch einen Dauerprozeß. Die Frage, was vor dem Urknall war, ist ebenso sinnlos wie die, was im Innern des Schwarzen Lochs sich abspielt. Wie verhalten sich Urknall und Schwarzes Loch zur Entropie?
    Schöpfung und Weltuntergang: Sind nicht die Banken für die Wirtschaft (als Kreditgeber) der Urknall, für die Länder der Dritten Welt (als Gläubiger) das Schwarze Loch?
    Der Urknall ist kein Anfang, er setzt das, was er hervorbringt, schon voraus, während das Schwarze Loch nur soweit besteht, wie es seine eigenen Voraussetzungen aufzehrt.

  • 25.11.95

    Ist nicht die „Endlösung“, auf die Derrida den Benjaminschen Begriff der „göttlichen Gewalt“ glaubt beziehen zu können, ein Produkt der mythischen Gewalt, der Benjamin die göttlichen Gewalt entgegensetzt, und die er (mit durchschlagenden Gründen) im Recht erkennt? Und zeigt diese mythische Gewalt sich nicht insbesondere daran, daß der Holocaust die Nachgeborenen „nur verschuldeter als vordem“ hinterläßt (Zur Kritik der Gewalt, S. 56).
    Daß es nach dem faschistischen Krieg zu einem Friedensschluß nicht gekommen ist, hängt nicht nur mit der Zweideutigkeit der politischen Konstellationen zusammen (damit, daß der Sieg über den Faschismus den Keim des Kalten Krieges gegen den Sozialismus schon in sich enthielt: der Atombomben-Abwurf auf Hiroshima und Nagasaki hat sowohl den faschistischen Krieg beendet als auch den Kalten Krieg eröffnet). Was mit dem Faschismus in die Welt (und über die Welt) gekommen ist, war mit einem Friedensschluß, der eine neue Rechtsordnung hätte begründen können, nicht mehr ins Reine zu bringen. Im Faschismus hat das jeder staatlichen Rechtsordnung zugrunde liegende Gewaltpotential die Ordnung, die es begründen sollte, nur noch gesprengt, eine neue Rechtsordnung hätte sie nicht mehr begründen können. Ausdruck davon (und nicht einer göttlichen Gewalt, die nicht die Rechtsordnung, sondern das ihr zugrunde liegende Gewaltpotential vernichtet hätte) war der Holocaust. Und wenn Derrida darauf hinweist, daß rechtssetzende und rechtserhaltende Gewalt nicht mehr sich unterscheiden lassen (mit der Absicht, damit der Benjaminschen Argumentation den Boden zu entziehen), so übersieht er, daß genau diese Ununterscheidbarkeit der Grund ist, aus dem der faschistische Gewaltbegriff hervorgeht: Der Holocaust ist die Manifestation einer Gewalt, die ihren eigenen Ursprung, an den sie gefesselt bleibt, zugleich zerstört. Daraus wäre die nachfolgende Erosion des Rechts (von der Unfähigkeit, mit der eigenen faschistischen Vergangenheit ins Reine zu kommen, bis hin zu den „Staatsschutzprozessen“, in denen der Angeklagte zum Feind und der Prozeß zum Verfahren der Herstellung synthetischer Urteile apriori geworden ist, zwanglos abzuleiten.
    Auch der Kalte Krieg war schon früh überlagert von einem Konflikt, dem Nord-Süd-Konflikt, in dem die Geschichte dieses Jahrhunderts als die Exposition und Eskalation einer Katastrophe sich enthüllt (Stichworte: Schuldenkrise, Ausbeutung der Dritten Welt, Entstehung der Militärdiktaturen, Politik als Mittel der Herrschaftssicherung der Besitzenden, gleichzeitige Explosion des Bankengeschäfts und der Militärtechnik und der Rüstungsausgaben, Etablierung transnationaler Finanz-, Wirtschafts- und Verwaltungsinstitute, neoliberale „Privatisierungs“-Politik, Freisetzung der Marktkräfte: in denen die Besitzstrukturen als reine Herrschaftsstrukturen sich erweisen).
    Standort Deutschland: Alle Machtpolitik steht unter dem Primat der Außenpolitik (und das seit dem Ursprung des Handels im Fernhandel, der eigentlich ein organisierter Raub von Gütern, Sklaven und Frauen war). Sie erfüllt sich in einer Außenpolitik, die nur noch Organ und Instrument der Außen-Wirtschafts-Politik (der Sicherung der Rohstoff- und Absatz-Märkte) ist.
    Paradigma: Stimmt es, daß Kinkel schon als BND-Chef Initiativen zur Destabilisierung Jugoslawiens (eines der Sprecher der Gruppe der Blockfreien) und damit einen Prozeß eingeleitet hat, der dann nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen war und mit der Bosnien-Katastrophe endete?
    Wie hängt der Hinweis, daß das Recht in seinem Ursprung ein Vorrecht der Herrschenden (der Könige, der Besitzenden) war, daß es erst als geschriebenes Recht „allgemeines“ Recht geworden ist, mit dem andern zusammen, daß die Distanz zum Objekt, Voraussetzung jeder Abstraktion, vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt? Auch die Rechtsgeschichte ist ein Teil der Geschichte der Konstituierung des Objektbegriffs (vermittelt durch den Eigentumsbegriff, dem Statthalter der Herrschaft im Recht).
    Ist der Bogen in den Wolken das prophetische Gegenstück zur philosophiekonstituierenden Winkelgeometrie?
    Der „mystische Grund der Autorität“ (Untertitel zu Derrida: Gesetzeskraft): Hier verwechselt Derrida Mystik und Mythos, und diese Verwechslung ist, wie es scheint, konstitutiv für seinen Begriff der Dekonstruktion.
    Einer der Gründe, aus denen Derrida seine argumentative Kraft zieht, ist seine These, daß rechtssetzende und rechtserhaltende Gewalt sich nicht voneinander trennen lassen. Hängt diese Trennung zusammen mit der Trennung von Natur und Welt, mit dem Durchschlagen des gordischen Knotens (der Joch und Deichsel mit einander verband)?
    Beachte die logische Inkonsistenz, wenn Derrida aufgrund einer Bemerkung Benjamins über die Polizei (und gleichsam als Retourkutsche) den benjaminschen Text (den er als dekonstruktiven Text versteht) gespenstische Züge attestiert (Gesetzeskraft, S. 90f).
    Mit dem, was der Verbrecher anderen antut, greift er ein in das Vorrecht des Staates (zu töten, in die Eigentumsrechte seiner Bürger einzugreifen); deshalb wird er vom Staat (im Rahmen des Rechts) verfolgt. Nicht zufällig bleibt im Rechtsverfahren, das allein auf die Verletzung des Gesetzes, des Staatswesens, abhebt, das Opfer ebenso wie der Anspruch des Täters auf eine Bereinigung seiner Tat im Anblick des Opfers unberücksichtigt. Für den Mord wie für jedes andere „Verbrechen“ gilt, daß allein erheblich ist, was die Tat dem Opfer und was sie Gott und dem Täter selbst antut, (Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, S. 62). Völlig unerheblich aber ist, was sie dem Staat antut.

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