Wenn die Welt schlecht ist, ist alles erlaubt, was nicht durch Gesetz verboten ist. Die Unlösbarkeit des Beweisproblems begründet den Satz, daß man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen. Bestraft wird das Erwischtwerden (die Nachweisbarkeit), nicht die Tat. Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand (weil sie aus beweistheoretischen Gründen rechtlich nicht fassbar ist: sie liegt außerhalb der Grenzen des Erwischtwerdenkönnens). In diesem Kontext, nämlich auf der Grundlage der Instrumentalisierung der Grenzen der Beweisbarkeit, ist die Logik, die in Staatsschutzprozessen den Angeklagten zum Feind, die Verteidiger zu Parteigängern des Feindes und die Besucher zu Sympathisanten macht, rekonstruierbar.
Bei Habermas findet sich ein sonst nur in den Medien gebräuchlicher Genitiv nach „gemäß“: „Diese (sc. Systemdifferenzierung, H.H.) wiederum legt er sich gemäß seines Vierfunktionenschemas zurecht, …“ (Bd. 2, S. 426). Dieser Genitiv ist ein Symptom der Objektsprache, der Verdrängung des Freiheitsraums, den die Sprache eröffnet, der Zernichtung der benennenden Kraft der Sprache, der Trennung von objektiver Welt und subjektiver Meinung (von Realität und kommentierendem Raisonnement). Zerstört ist die Kraft des Namens: Hier wird der Atheismus zum Prinzip der Selbstzerstörung der Erkenntnis.
Wenn irgend etwas, so beweist die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns die Notwendigkeit kritischer Selbstreflexion der Wissenschaft. Hierbei wäre zu demonstrieren, daß und auf welche Weise der vergegenständlichende Blick (die subjektiven Formen der Anschauung) idealisierend wirkt, d.h. die Theorie von ihren realen Wurzeln trennt. Gründet nicht darin die Notwendigkeit der Theologie, und zielt nicht die Rosenzweigsche Darstellung der wechselseitigen Begründung von Philosophie und Theologie, sein Nachweis, daß die Philosophie um des Objekts willen der Theologie bedarf, auf diesen Sachverhalt?
Wissenschaftskritik: Die Habermassche Theorie bezieht ihre Namenskraft nicht aus den Objekten, auf die sie sich bezieht, sondern aus dem Verfahren und aus der Vorgeschichte, in denen diese Objekte sich konstituieren. Es gehört zu Habermas‘ Instinkt, an die allerdings seine Einsicht nicht ganz heranreicht, wenn er in der Konstruktion seiner Theorie eigentlich sehr deutlich zu erkennen gibt, daß das politische Subjekt dieser Theorie die amerikanische Weltmacht ist. So war es ihm möglich, den Anschluß an die bundesrepublikanische Wirklichkeit über sein Konstrukt des „Verfassungspatriotismus“ ins Bekenntnishafte zu transformieren. Es war die Bekenntnislogik, die zwar „klare Verhältnisse“ in der Theorie geschaffen, dafür aber die „Neue Unübersichtlichkeit“ der Wirklichkeit begründet, die den Erkenntnisanspruch der Theorie verwirrt hat.
Ist das Grundgesetz nicht in der Geschichte seiner Änderungen immer realitätsferner, immer bekenntnishafter geworden, bis hin zum Asylrecht, in dem die in den Artikel 16 neu eingefügten Bestimmungen dessen ersten Satz außer Kraft gesetzt haben. (Interessant und wichtig wäre eine Geschichte der Grundgesetzänderungen, in der im einzelnen die Anlässe und die Gründe der Änderungen chronologisch und im Kontext einer kritischen Geschichte der Bundesrepublik entfaltet würden.) Inzwischen hat die bundesrepublikanische Realität das (nicht zuletzt durch den Begriff des „Verfassungspatriotismus“) zum bloßen Bekenntnis depotenzierte Grundgesetz längst besiegt.
Ein anderes Paradigma für die politische Wendung der Bekenntnislogik in der Bundesrepublik ist die fatale Geschichte der „Wiedervereinigung“, ein Beispiel dafür, wie aus einem Lippenbekenntnis, an dessen Realität bis unmittelbar vor dem Eintritt des Ereignisses, niemand, am wenigsten die, die dieses Bekenntnis immer im Munde führten, geglaubt hat, „wie durch ein Wunder“ (ein Stichwort dafür war „Wahnsinn“) Realität geworden ist.
Es gibt eine Theologie hinter dem Rücken Gottes, aber gibt es auch eine Theologie im Angesicht Gottes, würde diese nicht aufhören, Theologie zu sein? In einer Theologie im Angesicht Gottes wäre Gott kein Objekt mehr, diese Theologie wäre der Anfang der Heiligung des Gottesnamens. Das Problem gleicht dem der Naturphilosophie, die erst sich erschließt, wenn die Natur nicht mehr als Natur, wenn sie nicht mehr als Objekt begriffen wird.
Ist der Objektbegriff, der sich der objektiven Erkenntnis in den Weg stellt, die „Pforte der Hölle“, von der es heißt, daß sie sie (die „Kirche“) nicht überwältigen werde?
Zu Rosenzweigs Kritik des All: Verweist der Begriff des Allgemeinen nicht auf das All als die Wurzel des Gemeinen?
Bezieht sich nicht die kopernikanische Geldtheorie auf ein Problem der Inflation: auf die Frage, wie es möglich ist, Realwert und Nominalwert der Münze (ähnlich wie die Maße der Entfernungen in unterschiedenen Dimensionen des Raumes) dauerhaft zur Deckung zu bringen? Und hängt dieses Problem nicht in der Tat zusammen mit der astronomischen Lösung des Problems der Planetenbewegung durch Substitution eines einheitlichen Raumes im heliozentrischen System?
Was ist der Unterschied zwischen den biblischen Namen für Erde und Land? Das „Trockene“ ist die logische Opposition zum Wasser. Steckt nicht im Namen der Erde die Beziehung zum Himmel, in dem des Landes (des Namens für das Trockene) hingegen die zu anderen Ländern? Das Trockene ist das, was dann „sichtbar“ wird. Für wen wurde es sichtbar, nachdem Tiere und Menschen erst am fünften und sechsten Tage erschaffen wurden? Begleitet nicht das Sehen Gottes die ganze Schöpfungsgeschichte („und Gott sah, daß es gut war“, ein Satz nur am zweiten Tag fehlt, als Gott die Feste schuf, die er Himmel nannte). Aber Gott sah nicht „in dem“ Licht, das er am ersten Tag geschaffen hat, sondern er sah „das“ Licht. Gehört in dieses Sehen Gottes nicht auch der Begriff des Ebenbildes: Sieht Er sich in diesem Ebenbild nicht selbst? Zum Sehen aber gehört auch das Werk des ersten Tages, das Licht und seine Unterscheidung von der Finsternis, die nur fürs Sehen gilt.
Mit dem Satz: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand hängt es zusammen, wenn Verbrechen (strafrechtliche Tatbestände) in letzter Instanz keine tatbezogenen, sondern beweisbezogene Tatbestände sind. Die Nachweisbarkeit ist rechtssystemisch ein Konstituens des Verbrechens. Hier liegt der Ansatzpunkt für die Konstruktion synthetischer Urteile apriori im Recht (vgl. Lyotards Bemerkung zum Zeugenproblem im Kontext des „vollkommenen Verbrechens“, das kein Verbrechen mehr ist, weil es mit den Opfern auch die Zeugen „aus der Welt schafft“: Gehört nicht die Vorstellung einer Natur, die unabhängig von den Menschen da ist, zu dieser Vorstellung eines vollkommenen Verbrechens, ist nicht der Weltbegriff selber die Verkörperung des vollkommenen Verbrechens?).
Bekenntnislogik
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24.1.96
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20.1.96
Die Formalisierung der Logik ist der Versuch, auch die Logik noch zum Gegenstand der transzendentalen Logik zu machen und logische Zusammenhänge durch (subjektunabhängige) Kausalzusammenhänge zu ersetzen (bezieht sich hierauf die habermassche Kritik der „Bewußtseinsphilosophie“?). So wird die transzendentale Logik zu einer Naturkraft, die als gegeben hinzunehmen ist, wobei die Kausalität abgespalten und aus einem erkenntnisbegründenden logischen in einen objektiven empirischen Sachverhalt transformiert wird (so auch Habermas, Bd. 2, S. 2??). Dem entspricht die Gegenprojektion (S. 234), die mythisches Denken reproduziert, indem sie die mythische Naturmetaphorik durch eine technologische (informationstheoretische) Metaphorik ersetzt, informationstheoretische Kategorien zur Darstellung stammesgesellschaftlicher Strukturen verwendet. Anstatt gesellschaftliche Verhältnisse in Naturkategorien zu begreifen, werden technologische Kategorien, die im Zusammenhang der Instrumentalisierung von Naturverhältnissen gewonnen worden sind, zur Erklärung gesellschaftlicher Verhältnisse herangezogen.
Merkwürdige Umkehrung: Habermas‘ „Kritik der funktionalistischen Vernunft“ macht funktionalistische (technologische) Kategorien zum Modell von Rationalität. Die Kategorien, durch die hindurch man die Dinge sieht, werden selbst nicht mehr gesehen, sie werden in den blinden Fleck gerückt.
Das Beweisproblem ist mit der Mathematik (und mit dem Weltbegriff) entstanden, es hat sich entfaltet im Ursprung und in der Ausgestaltung des Rechts (Zeugenregelung).
Unterm Primat des Seitenblicks (des Blicks „von außen“) wird das Angesicht zum Objekt, das nur noch gesehen wird, selber aber nicht mehr sieht. Die Hereinnahme des Seitenblicks (des Blicks des andern, des Zeugen) in das eigene Sehen begründet die subjektiven Formen der Anschauung, das Instrument der Selbstbegründung der intentio recta. Die subjektiven Formen der Anschauen und die intentio recta sind ein Produkt der Vergesellschaftung des Sehens.
Die subjektiven Formen der Anschauung, die mit der Entfaltung der Mathematik sich entfaltet haben, sind die Grundlage des mathematischen Beweises, des redundanten, sich selbst begründenden Beweises. Das Grundproblem der Mathematik und der subjektiven Formen der Anschauung ist die Orthogonalität, die Form der Beziehungen der Dimensionen im Raum, die als getrennte Dimensionen durch ihre orthogonalen Beziehungen hindurch sich konstituieren. Ist die Orthogonalität das Instrument der Veranderung, Produkt der Hereinnahme des objektivierenden Seitenblicks?
Der Abstraktionsprozeß, in dem die subjektiven Formen der Anschauung sich herausgebildet haben, wurzelt in der Bekenntnislogik; sie sind das Produkt der Neutralisierung der Bekenntnislogik, der Objektivierung der Verdrängung (Feigenblatt, Umkehrung des Schuldbekenntnisses, Verdrängung der Schuld, Konstituierung des Weltbegriffs). Im Kern der subjektiven Formen der Anschauung steckt die Opfertheologie (Joh 129; die „Entsühnung der Welt“, Teil der Neutralisierung der Reflexion von Herrschaft, gehört zu den Bedingungen der Selbstbegründung des Weltbegriffs).
Habermas hat in den Abgrund geschaut und ist zurückgeschreckt; die Entwicklung seiner Philosophie beschreibt eine Bahn, die als Fluchtbahn vor diesem Abgrund sich bestimmen läßt. Wobei er vergißt, daß es genau diese Flucht vor dem Abgrund ist, die in den Abgrund hineinführt.
Der ungeheuerliche Gedanke Levinas‘, daß das Problem der unendlichen Ausdehnung des Raumes sich im Angesicht des andern löst, ist vorgebildet in der Gesamtkonstruktion des Stern der Erlösung, die nichts anderes ist als die Entfaltung und Durchführung dieses Gedankens.
Kopernikus hat das Wasser und das Feuer im Namen des Himmels, realsymbolischer Inbegriff der Fragepronomina Was und Wer, durch die Beantwortung der Frage nach dem Wie ersetzt. Das heliozentrische System ist der Inbegriff (die erscheinende Totalität) des kontrafaktischen Urteils (der Antwort auf das Wie), das den Himmel erinnerungslos zum Verschwinden gebracht hat.
Was hat die Naturwissenschaft (das kontrafaktische Urteil als Totalität) mit dem Unzuchtsbecher zu tun? Liegt diese Frage nicht schon der Kritik der reinen Vernunft zugrunde (in der im Begriff der Erscheinung die Totalisierung der Frage nach dem Wie und im Ausschluß der Erkenntnis der Dinge an sich der Ausschluß der Frage nach dem Was und Wer sich manifestiert)?
Der Satz Roman Herzogs „Wir wollen das Entsetzen nicht konservieren“ distanziert sich von allen, denen die Schrecken des Faschismus in die Glieder gefahren sind, die das Entsetzen nicht loswerden. Und er macht gemeinsame Sache mit allen, die dieses Entsetzen nie erfahren haben und glauben, es durch Verurteilung des Geschehenen sich vom Leibe halten zu können. Er konserviert die universale Verdrängung, die die falsche Normalität nach dem Kriege ermöglichte. So steht er in der präsidialen Tradition des Begriffs der Kollektivscham. Seit Theodor Heuss diesen Begriff unters Volk brachte, haben die Deutschen gelernt, sich im Blick der andern zu sehen, sind sie von der Frage, was die andern über sie wohl denken mögen, nicht mehr losgekommen. – Welche neue Wendung drückt sich in dem Satz Roman Herzogs aus (der auf die exkulpierende Kraft der Verurteilung, auf das Abwerfen der Scham, auf die neue „Unverkrampftheit“, abzuzielen scheint)?
Wer die „Konservierung des Entsetzens“ (um die es nicht geht, der Ausdruck denunziert nur die Erinnerung) vermeiden will, konserviert das Entsetzen vor dem Entsetzen: die verdrängte Schuldreflexion, die dabei ist, in eine neue Qualität der Wut umzuschlagen.
Die Übertragung der transzendentalen Logik aus dem Medium der Naturerkenntnis in das des Rechts läßt sie nicht unverändert. Die Apriorisierung des Objektbegriffs macht den Angeklagten zum Feind; die transzendentale Ästhetik wird zurückübersetzt in die Bekenntnislogik (der das Feindbild sich verdankt); die synthetischen Urteile apriori werden singularisiert und zurückgeführt auf die reine Verurteilung, ein reines Subsumtionsurteil: unendlich schuldig (die Schwere der Schuld wird unermeßlich). Der Grund der Singularisierung des synthetischen Urteils apriori liegt in der Einheit von Projektion und Schuldverschiebung, die die Apriorisierung des Objekts im Feindbild erst ermöglicht. Die Schwere der Schuld des Angeklagten hat ihr Maß am Gewicht der verdrängten (im Urteil durch Projektion nach außen abgeleiteten) Schuld des Staats, die ihr eigenes Maß an dem sich kontrahierenden Gewaltmonopol des Staates hat. -
18.1.96
Die psychotisierende Wirkung der Empörung genauer bestimmen. Die Verhaltenssicherheit, die man glaubt, durch Empörung (und Verurteilung) zu gewinnen, ist zu teuer erkauft (oder: die Adaptation der Bekenntnislogik ist zu teuer erkauft). Der Antisemitismus gehorcht paradigmatisch der Logik der Empörung: er ist die Verkörperung seiner Umformung und Perfektionierung zur transzendentalen Empörungs-Logik.
Die Bekenntnislogik ist das Ferment der Komplizenschaft. Durchs Dogma hat die Kirche sich auf die Seite derer gestellt, die den Kreuzestod zu verantworten haben: auf die Seite der Täter. Die Bekenntnislogik ersetzt die Umkehr durch die Logik der Verurteilung; die Verurteilung aber ist das Alibi für die Komplizenschaft, die sie zwischen dem Urteil und der Tat, die sie verurteilt, herstellt. So ist das Christentum herrschaftsfähig geworden.
Die logische Struktur der Verurteilung gründet in der Bekenntnislogik, in der gleichen Konstellation, zu der auch das Feindbild und die Frauenfeindschaft gehört, sie gehört zugleich zu den teleologischen Grundlagen des Urteils: sie schirmt den Begriff gegen die Empörung des Objekts ab, das in dieser Konstellation zum verdinglichten Objekt wird. Das Objekt (das Ding) ist das Produkt einer reaktiven Empörung: der ohnmächtigen prophylaktischen Abwehr der Empörung, durch die der Begriff über das Objekt sich erhebt, es unter sich subsumiert. Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung, daß die Distanz zum Objekt vermittelt ist durch die Distanz, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt, ist darin begründet. Die Verurteilung ist die Verurteilung des Objekts zum Objekt.
Die Bekenntnislogik hat die Religion von ihrem politisch-ökonomischen Grund abgespalten und zu einem Herrschaftsinstrument gemacht.
Wodurch unterscheidet sich der jüdische vom griechischen Tempel? Und in welcher Beziehung steht der nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft wieder aufgebaute Tempel zum Tempel Salomos? Ist der salomonische Tempel historisch oder prophetisch (vgl. den ezechielischen mit dem salomonischen Tempel)?
Geschichte: Wie verhält sich die Frage: Wie es denn wirklich gewesen ist, zu den Fragen nach dem Was und dem Wer? Die kontrafaktischen Urteile beziehen sich nur aufs Wie (auf den durch die Logik des vergleichenden, moralischen Urteils definierten Erfahrungsbereich). Hängen nicht das Wer und das Was mit den Namen des Wassers und des Feuers im Namen des Himmel zusammen?
Wie hängen die Fragepronomina Wer, Wie und Was mit den bestimmten Artikeln, mit der, die und das (und insbesondere das Wie, das eigentlich ein Vergleichspartikel ist, mit dem femininen Artikel die) zusammen? Was hat das kontrafaktische Urteil (die kontrafaktische Vergleichbarkeit des Einmaligen) mit dem Weiblichen zu tun?
Beim Ding zielt das Wie auf die Eigenschaften, auf das, was es mit anderen Dingen gemeinsam hat. -
17.1.96
Die Kritik der Bewußseinsphilosophie leugnet den Schmerz. Diese Leugnung gründet in der Verdrängung der Empathie durch die Logik der Verurteilung (die Logik der Verurteilung begründet den Rechtfertigungszwang); sie ist der Grund der heute sich ausbreitenden Form des Atheismus.
Gehört nicht zur Theorie des kommunikativen Handelns die Reflexion darauf, daß sie die Wahrnehmung und Erinnerung des Leidens ausschließt? Und zwar deshalb ausschließt, weil das Handeln, auf das diese Theorie sich bezieht, ein subjektloses Handeln, ein gehandelt Werden, eigentlich ein Erleiden ist (man muß in die Sprache hineinhören, um wahrzunehmen, was es heißt, wenn das immenente telos des kommunikativen Handelns ein „Konsens“ ist, der durch den Diskurs herzustellen ist). Im Kontext des kommunikativen Handelns ist die Stelle des Leidens schon vom Handeln besetzt (was auf den realen Grund des kommunikativen Handelns verweist: aufs Selbstmitleid).
Hier liegt der (selbstverschuldete) systematische Grund der „Neuen Unübersichtlichkeit“, die Habermas später einmal beklagte.
Kommunikatives Handeln steht unterm Rechtfertigungszwang und ist ein Instrument des Schuldverschubsystems. Die dem Begriff des kommunikativen Handelns zugrunde liegende Idee der Intersubjektivät ist die der Bekenntnislogik, der subjektiven Formen der Anschauung, des Logik des Geldes. (Im Begriff der „Weltanschauung“ gibt sich die Bekenntnislogik als subjektive Form der Anschauung zu erkennen.)
Habermas verwechselt die Norm (die zur Logik der Welt gehört) und das Gebot (das von Gott ausgeht).
In den drei Sprechakten präsentiert sich das eigene Handeln als ein Ausfluß der objektiven Welt, in deren Gesetze es eingebunden ist, deren Norm es unterworfen ist, während Subjektivität im expressiven Sprechakt auf den reinen Ausdruck des Leidens zusammenschrumpft (logischer Grund der Geschichte der Kunst).
Die Kulturindustrie hat die Expression als Ausdruck des (von jeder Fremderfahrung abgeschnittenen) Selbstmitleids dem Wertgesetz unterworfen und zur Ware gemacht. Mit der Verwerfung der Mimesis, mit der Verwerfung des Eingedenkens der Natur im Subjekt (die Habermas als „Eingedenken der ‚gequälten‘ Natur im Subjekt“ denunziert) wurde die Selbstreflexion des kommunikativen Handelns unterbunden, das Konstrukt dogmatisiert.
Im Bereich des expressiven Sprechakts (der „subjektiven Welt“) kennt Habermas zwar den Begriff der „Wahrhaftigkeit“ (der „Authentizität“). Den Begriff des „falschen Zeugnisses“, der eine Schlüsselfunktion in einer Philosophie, der die Ethik zur prima philosophia geworden ist, bezeichnet, kennt er nicht (wie er auch – trotz einer Theorie der Argumentation – eine Beweistheorie nicht kennt).
Die beiden ersten Sprechakte, die sich auf die objektive Welt und auf die Normen beziehen, sind eigentlich nur zwei Seiten ein und derselben Sache. Hier wird aus der asymmetrischen Struktur einer Sache ein Nebeneinander zweier getrennter Dinge (was dem „Nebeneinander“ der empirischen Fakten und der normativen Kraft der mathematischen Theorie <der „Formeln“> in den Naturwissenschaften entspricht: Produkt der Verdrängung des Bewußtseins der konstitutiven Bedeutung des Inertialsystems für die Erscheinungen in ihm). Die Reflexion der Asymmetrie ist aus dem Erkenntnisbegriff ausgeschieden worden, als die Erkenntnistheorie gelernt hat, zwischen primären und sekundären Sinnesqualitäten zu unterscheiden.
Das Inertialsystem und die mathematischen Naturwissenschaften haben das Seufzen der Kreatur nicht aufgehoben, sondern nur zum Schweigen gebracht (und ins Selbstmitleid des bürgerlichen Subjekts, in den Grund seiner Empfindlichkeit, zusammengezogen: aus diesem Fundus, den am Ende die Kulturindustrie auszubeuten gelernt hat, hat die Kunst geschöpft).
Die Kunstbewegungen des letzten Dezenniums vor dem ersten Weltkrieg waren Ausbruchsversuche der Kunst aus der Kunst.
Habermas hat vergessen, was er aus seiner Hegel-Kenntnis hätte wissen müssen: daß große Philosophie nicht widerlegt werden kann. Die These, daß Georg Lukács in den „objektiven Idealismus zurückgefallen“ sei, ist eine Denunziation, die versucht, seine eigenen Voraussetzungen polemisch gegen ihn auszuspielen. Wenn Marx Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt hat, dann hat er ihn berichtigt, nicht widerlegt. Diese Form der Kritik dagegen ist nur hilflos und deshalb aggressiv, sie macht Hegel zum toten Hund und möchte den Lukács gleich mit verscharren (hat nicht Wellmer in einem Seminar bei Adorno einmal die These Georg Lukács‘ vom kontemplativen Charakter der Naturwissenschaften mit dem Hinweis auf die experimentelle „Praxis“ zu widerlegen versucht? Ist es nicht gerade das Experiment, das durch seine Kriterien: Wiederholbarkeit, Unabhängigkeit von Raum und Zeit, Gültigkeit für jeden, die „Praxis“ ins Gefängnis der Kontemplation einsperrt, Modell der repetitiven Tätigkeiten, zu denen die Arbeit in Büro und Fabrik geworden ist?).
Gehört dieses Verständnis des Experiments nicht zu einer Logik, die die Leute veranlaßt, die Ärmel aufzukrempeln, wenn sie „Praxis“ hören?
Wird in Tschetschenien nicht die Schraube des Terrorismus, die im jugoslawischen Bürgerkrieg schon angezogen worden ist, um eine weitere Windung weitergedreht?
Wer Elendsflüchtlinge, die hier, um dem von uns verursachten Elend in ihrer Heimat zu entgehen, um Asyl nachsuchen, „Wirtschaftsflüchtlinge“ nennt, macht die wirklichen Wirtschaftsflüchtlinge unsichtbar: von Jürgen Schneider über Leeson zu Steffi Graf und Boris Becker, oder auch die Kunden der Commerz- und der Dresdner Bank, die über deren luxemburgische Filialen ihre hier erworbenen Vermögen der Steuer entziehen.
Mit der Orthodoxie, mit dem Dogma und mit der Bekenntnislogik hat sich die Theologie zu einem Instrument der Begründung und Stabilisierung der Welt gemacht, hat sie die Vorarbeit geleistet, die am Ende, in der durchrationalisierten Welt, die subjektiven Formen der Anschauung übernommen haben, die heute helfen, die gesamte Vergangenheit durch Vergegenständlichung zu verdrängen.
Wie hängt der Satz, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, mit der logischen Struktur des Schuldbegriffs zusammen, einer logischen Struktur, die anhand der Konstruktion des Schuldverschubsystems oder auch im Kontext des Satzes, daß nur, wer die Schuld auf sich nimmt, sich von ihr befreit, zu bestimmen wäre. Im Kontext des Weltbegriffs, der in allem dem Angesicht Gottes opponiert, ist das Herz der Menschen nicht nur unsichtbar, es versteinert.
Die Theologie im Angesicht Gottes öffnet das Herz, während die Welt (in deren Bann die Theologie hinter dem Rücken Gottes steht) es verhärtet und verschließt.
Der Satz, daß „Bewußtsein aufgrund seiner intentionalen Struktur stets Bewußtsein von etwas (ist)“ (Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Band, S. 80), ist in dieser Form falsch: Bewußtsein schließt auch die Fähigkeit zur Reflexion seiner eigenen intentionalen Struktur mit ein. „Wo Es ist, soll Ich werden“: Dieser Satz wäre ohne diese Reflexionsfähigkeit nicht zu halten. Wäre er wahr, so wäre der Atheismus unvermeidbar, da der Name Gottes den Einspruch gegen Seine (wie gegen jede) Vergegenständlichung mit einschließt. Gott ist nicht Gegenstand eines intentionalen Akts. -
16.1.96
Die Schicksalsidee war die erste gegenständliche Verkörperung des Rechtfertigungszwangs. Damit aber gehört der Rechtfertigungszwang auch zu den Voraussetzungen des Begriffs, die in der Folge dann den Begriff zu einem Instrument der Exkulpation durch Schuldverschiebung gemacht hat. Darin gründet die Logik.
Die Idee der Entsühnung der Welt (der Kern des Logozentrismus) ist der Angelpunkt der Zivilisation: Was zuvor das trinitarische Dogma geleistet hat, leisten heute die subjektiven Formen der Anschauung.
Die Bekenntnislogik ist ein Produkt der Vergesellschaftung der Selbsterhaltung (daraus wären die Komponenten der Bekenntnislogik: das Feindbild, das Verrätersyndrom und die Frauenverachtung, abzuleiten).
Schlüsselbegriffe:
– der Weltbegriff und die subjektiven Formen der Anschauung,
– Objektivation und Instrumentalisierung,
– die Bekenntnislogik,
– das Dogma als die Wahrheit des Inertialsystems,
– der Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, die Reflexion von Herrschaft,
– die Logik der Schrift,
– die Geschichte der drei Leugnungen, der Kelch (Getsemane),
– die Attribute Gottes (Indikativ und Imperativ),
– das Angesicht, der Name und das Feuer (über das Feuer hängt der Name mit dem Licht zusammen: im Kontext des Begriffs ist der Name ebenso gegenstandslos wie das Licht im Kontext des Inertialsystems – das Hören Seiner Stimme ist das Leuchten Seines Angesichts),
Wichtig der Stellenwert des Naturbegriffs in der Rosenzweigschen Konstruktion der Vorwelt: Er konstituiert sich an der Grenze des Nichtwissens, als die Bejahung dessen, was nicht Gegenstand des Wissens ist (Gott Welt Mensch), während der Weltbegriff in der Verneinung, in der Begrenzung dieses Gegenstands, gründet. Insofern gehört die Welt, die aus dem Nichtwissen hervorgeht, zu den Konstituentien des Wissens. Das aber heißt, daß alles Wissen unter dem Bann des Weltbegriffs steht und erst die Reflexion des Nichtwissens den Blick in die Vorwelt eröffnet.
In welcher Beziehung steht die innere Differenzierung des Naturbegriffs bei Eriugena (die Unterscheidung von schaffender, geschaffener und ungeschaffener Natur) zur Rosenzweigschen Konstruktion?
Adornos Eingedenken der Natur im Subjekt ist die Vorstufe zur Reflexion des („trinitarischen“) Naturbegriffs.
Die merkwürdige Konstruktion im Stern der Erlösung, in dem die Kritik der Geschichtsphilosophie geschichtsphilosophisch begründet wird (wie die Kritik des Systems systemisch).
Eucharistieverehrung: Der Dingbegriff ist der entfremdete, entstellte Statthalter der Barmherzigkeit (das steinerne Herz, das am Ende durch ein fleischernes ersetzt wird). Wandert nicht der Objektbegriff im historischen Objektivationsprozeß in ähnlicher Weise durchs System wie die Gebärmutter nach der traditionellen Hysteriekonstruktion durch den Körper der Frau? – Vgl. hierzu die Zitate aus Geschichte und Klassenbewußtsein bei Habermas (im letzten Kapitel des 1. Bandes der Theorie des kommunikativen Handelns).
War nicht der Marxsche Begriff des Proletariats (und die Entfaltung dieses Begriffs bei Lukács) ein Versuch, dem Objektbegriff Subjektqualität zu verleihen?
Ist nicht die Beziehung von Objektivation und Instrumentalisierung ein Hinweis auf die verborgene Beziehung des Objektbegriffs zur Idee der Barmherzigkeit?
Der Objektbegriff ist ein Produkt der projektiven Verarbeitung des Selbstmitleids (und die subjektiven Formen der Anschauung sind die geronnenen Formen dieser Verarbeitung im Subjekt).
Die Differenz zwischen dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ und der „Theorie des kommunikativen Handelns“ läßt sich an der Differenz der beiden zentralen Kategorien festmachen: an der des Raisonnierens und der Rationalisierung. Wie das Raisonnement (die Meinungen und der Stammtisch) zur Information, so verhält sich die Rationalisierung zur „objektiven Welt“ (von der Habermas nicht mehr weiß, ob es die der Natur oder die der Ökonomie ist). Der Fortschritt von seinem Begriff der Öffentlichkeit zum Begriff des kommunikativen Handelns (vom Raisonnement zur Rationalisierung) ist ein Indiz für die überwältigende Macht des Rechtfertigungszwangs, er ist determiniert durch den Zwang, um jeden Preis die Idee einer eingreifenden Erkenntnis auszuschließen (die Idee einer Erkenntnis, die die Objektivität der Lehre gewinnt).
Hat nicht Habermas an der kritischen Theorie sich die Zähne ausgebissen, und jetzt steht er zahnlos da?
Hat die Geschichte von Stephanus und Saulus/Paulus etwas mit der Geschichte von Kain und Abel zu tun? Stephanus sah den Himmel offen und den Sohn zur Rechten des Vaters stehen, Paulus hingegen hatte eine Erscheinung und wurde später (in den dritten Himmel) entrückt (eine Allegorie der Theologie hinter dem Rücken Gottes, die in ihrem Ursprung an dem Tötung dessen, der den Himmel offen sah, teilhat). Ist die Entrückung eine Entrückung aus dem den Himmel öffnenden Angesicht?
Kopernikus oder das heliozentrische System als Reflex der ökonomischen Neutralisierung und Säkularisierung der Astrologie (erst der beginnende Kapitalismus hat die immanente Logik des heliozentrischen Systems begründet und stabiliert).
Wer sich dem Schuldverschubsystem (der Grundlage des Konkretismus, der Verdinglichung und der Personalisierung) überläßt, wird lernunfähig.
Im Begriff der Natur (Produkt der projektiven Leugnung der Barmherzigkeit) hat sich der Begriff des Wissens seine eigene gegenständliche und zugleich apriorische Grundlage geschaffen.
Mit dem Namen des Mutterleibs wird die Berufung des Propheten einem Ort zugewiesen, den der Begriff der Natur (und damit die Philosophie, die mit der Konstruktion dieses Begriffs beginnt) systematisch ausgeblendet, zum Nicht-Ort, zur Utopie, gemacht hat. Die gegenwärtige Abtreibungsdebatte gehorcht den Imperativen des Schuldverschubsystems; sie trifft, wenn man sie beim Wort nimmt, den Naturbegriff und die Philosophie. -
15.1.96
Habermas‘ Begriff des kommunikativen Handelns steht unter einem Objektivitätsdruck, der das Handeln gleichsam apriori in institutionelles Handeln verwandelt. Nicht zufällig entspricht die Aufteilung in objektive, soziale und subjektive Welt der Beziehung von Ökonomie, Verwaltung und Kultur. Ist nicht der Begriff des kommunikativen Handelns eine Weiterbildung des Begriffs der Öffentlichkeit, deren Strukturwandel einmal Thema der Habermasschen Habilitationsarbeit war (und bei dem auch schon ein verdinglichter Realitätsblock als Korrelat der Information vom Raisonnement, dem Bereich der subjektiven Meinung, deutlich unterschieden wurde)?
Durch den Begriff der objektiven Welt (und seine Unterscheidung von der sozialen und der subjektiven Welt) ist die Logik des „kommunikativen Handelns“ schon vorentschieden. Bezeichnend, daß
– eine Theorie des Geschwätzes (die auch eine Gestalt des kommunikativen Handelns ist) ebenso fehlt wie eine Diskussion des Vorurteils (z.B. der Studie über den autoritären Charakter),
– das Problem der Objektivität (der Sprachlogik des Indikativs) unreflektiert bleibt (daß die Objektivität im Kontext des zweckrationalen Handelns sich auskristallisiert, wird bemerkt, aber die Konsequenzen bleiben unreflektiert),
– das Problem des „falschen Bewußtseins“ ebensowenig angesprochen wird wie das der Rationalisierung (deren Begriff durch Übertragung auf den Bereich der Rationalität, so als wäre diese ein Produkt von Rationalisierung, verwischt wird).
Welche Bedeutung hat eigentlich die Horkheimersche Bemerkung, wonach der Antisemit unbelehrbar ist, für die Konsistenz einer Theorie des kommunikativen Handelns?
Herrschaftsfreier Diskurs: Diskurs der Herrschenden, nachdem die Beherrschten endgültig stumm geworden sind.
Der Objektivitätsdruck ist Ausdruck des Rechtfertigungszwangs, unter dem die Theorie des kommunikativen Handelns steht, so wie der historische Objektivationsprozeß als Teil des Prozesses der gesellschaftlichen Schuldverarbeitung (als Teil der Herrschaftsgeschichte) zu bestimmen wäre.
Eine Theorie des kommunikativen Handelns, die etwas taugt, müßte in der Lage sein, den Faschismus oder den Fundamentalismus (den Holocaust oder den jugoslawischen Bürgerkrieg) zu erklären. Faschismus und Fundamentalismus sind nicht nur „Beispiele“ kommunikativen Handelns, sondern Knotenpunkte, an denen die Logik des kommunikativen Handelns sich demonstrieren ließe.
Grundlage der Konstruktion des kommunikativen Handelns ist ein kastrierter Begriff der Erkenntnis (deren Repräsentant ist das propositionale Urteil, das auf die Sache nur noch äußerlich sich bezieht).
Dem Judentum und dem Christentum hat Habermas den Trieb zur Weltbeherrschung attestiert, während der Islam unerwähnt bleibt. Im Gegensatz zum Islam ist beim Judentum die Unterstellung eines Weltbeherrschungstriebs in jedem Falle unbegründet, sie erinnert nicht zufällig an die antisemitische Tradition.
Die Mordlust (die in einer logischen Beziehung zum Weltbeherrschungstrieb steht) ist ein Produkt der Bekenntnislogik, die im Christentum ausgebildet wurde: Sie ist ein Produkt der Externalisierung der Bekenntnislogik, insbesondere der Opfertheologie, die den Kern der Bekenntnislogik bildet. Skinheads sind die letzten Confessores.
Der Markt und das Tauschprinzip definieren die der organischen Natur aller selbsterhaltenden Institutionen zugrunde liegende anorganische Natur. Bezeichnet in der Entwicklung dieser organischen Naturen die Magie die pflanzliche, der Mythos die animalische Stufe?
Die Frage, ob die Geschichte sich begreifen läßt, die Wolfgang Pohrt im Zusammenhang seiner Kapitalismuskritik stellt, ist nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten. Es ist beides darin: Post festum läßt sich die Geschichte begreifen, ist der ungeheure Zwang nachvollziehbar, unter dem der historische Prozeß abläuft. Es gibt keinen affirmativen Begriff der Geschichte, die vielmehr nur als das gnadenlose Weltgericht sich begreifen läßt. Das hebt die gleichzeitige Unbegreiflichkeit der Geschichte nicht auf, die vielmehr das Wesentliche an ihr bezeichnet: Diese Unbegreiflichkeit ist a) der Schutz vor der Verurteilung des Vergangenen, sie entzieht b) jeder Vorstellung, die mit der Gegenwart ihren Frieden schließen möchte, den Boden, Sie hebt das Einverständnis mit der Gegenwart auf und sensibiliert die Erkenntnis. Jede Empörung weist auf diese Sensibilisierung zurück, verrät sie aber zugleich an die Logik des Urteils. Jede Empörung ist ein Instrument der Abwehr, damit aber ein Beweis für die Existenz des Abgewehrten, dessen Inhalt nur dann sich erschließt, wenn man dem Trieb, sich zu empören, nicht nachgibt.
Standesehre: Der Trieb, sich zu empören, ist insbesondere bei Bekenntnisgruppen verbreitet (wobei auch Standesorganisationen dazu neigen, wie Bekenntnisgruppen zu reagieren).
Die subjektiven Formen der Anschauung gründen in der Tradition der Bekenntnislogik: In ihnen vollendet sich die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers.
Die Schicksalsidee ist das logische Korrelat des Rechtfertigungszwangs, der Begriff seine erste Verkörperung und das Objekt das telos des Schuldverschubsystems (der Dingbegriff gründet in der Eucharistieverehrung des Mittelalters: im Anblick des die Bekenntnisgemeinschaft begründenden Symbols des entsühnenden Opfers). -
12.1.96
Wie der Mensch das Ebenbild Gottes, so ist die Ware (das Objekt als Subjekt) das des Staates. Der Begriff der Zerstörung des Gebrauchswerts ist als ökonomische zugleich eine politische Kategorie: Mit der Ware verliert auch der Staat seinen Gebrauchswert.
In dem Zitat aus Hans-Jürgen Krahl „Konstitution und Klassenkampf“ (in Wolfgang Pohrt „Theorie des Gebrauchswerts“, S. 53) sind einige Kategorien auf offensichtlich signifikante Weise unverständlich:
– Was ist gemeint, wenn es bei Krahl heißt, daß „Entfremdung und Verdinglichung heute Kategorien sind, deren Gültigkeit für den Kapitalismus zweifelhaft wird“, oder
– „das Stadium der immanenten Selbstzersetzung der Warenform zugunsten des totalitären Tauschs ist erreicht“?
Zur Verdinglichung: Diese Kategorie wird nicht „zweifelhaft“, sondern ungegenständlich, sie ist in den blinden Fleck der Erkenntnis gerückt. (Es hängt mit der logischen Beziehung von Ware und Staat zusammen, wenn der Dingbegriff als der Kern der hegelschen Logik sich erweist – als Quellbegriff des Absoluten.)
Zum Tausch: Der Begriff des Tauschs wird nicht totalitär, sondern universal, Kristallisationskern der Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur, Welt), deren Kritik auf der Tagesordnung steht. Die Unterstellung eines totalitären Tauschbegriffs steht schon unterm Systemzwang der entgegenständlichten Verdinglichung; zu ihren Konsequenzen gehört die personalisierende Umformulierung der Marxschen Theorie, die in die Verwirrungen des Terrorismus geführt hat.
In dem gleichen Maße, in dem die Produktion den Gebrauchswert der Waren zerstört, wächst ihr eigener Gebrauchswert für den Staat.
Gebrauchswert und Tauschwert sind Reflexionskategorien, das Modell der Beziehung des Dings zu seinen Eigenschaften. Die verdinglichende Kraft des Tauschprinzips reduziert die Dinge auf ihre (vergleichbaren) Eigenschaften, durch die sie in den Prozeß von Arbeit, Produktion und Konsum hineingezogen werden.
Der formale Charakter des Begriffs Gebrauchswert läßt an den Objekten seiner Anwendung sich demonstrieren: Dem Geld, dem Staat, der Lohnarbeit, dem Kreuzestod Jesu, dem Militär, auch der Philosophie wächst unter definierbaren Bedingungen Gebrauchswert zu. Gebrauchswert ist ein Aspekt der Instrumentalisierung, in deren Geschichte verflochten, keine Natureigenschaft eines Objekts. Das, was Pohrt die Selbstzerstörung des Gebrauchswerts nennt, ist keine Selbstzerstörung, sondern eine Verschiebung des Gebrauchswert, der im gesamten Objektbereich wandert.
Der letzte Gebrauchswert des Staates ist der faschistische: der Nationalismus, das Gefühl, dazuzugehören, auch wenn man selbst davon nichts hat.
Der Terrorismus, der den Staat zwingen will, sein wahres Gesicht zu zeigen, hat schon vergessen, daß der Staat gesichtslos ist; er gleicht sich selber dem an, was er für das „wahre Gesicht des Staates“ hält. Wer glaubt, dem Staat den Spiegel vorhalten zu können, vergißt, daß der Staat blind ist.
Kann es sein, daß das Modell für die astrophysikalische Theorie des „schwarzen Lochs“ in dem zu suchen ist, was die analsadistische Sprache ein „Arschloch“ nennt?
Gehören nicht die Theorien vom Urknall wie vom schwarzen Loch zu den Legitimationskonstrukten der Naturwissenschaften, die von den Ursprungs- und Zielphantasien, die sie zugleich zu neutralisieren gezwungen ist, sich nicht lösen können?
Zieht sich nicht heute das Opfer der Vernunft, welches Adorno im Ursprung der Zivilisationsgeschichte erkennt, auf den einen Punkt der Verwerfung der Theologie zusammen? Das fast Irrsinnige daran ist, daß die Verwerfung der Theologie selber aus einer theologischen Tradition sich speist, die auf den Kern der christlichen Tradition zurückweist. Der Ursprung des Säkularisationsprozesses liegt in der Ursprungsgeschichte der Orthodoxie, der Bekenntnislogik. Er liegt an genau dem Punkt, als die Theologie einen Gebrauchswert bekam (für den Staat, aber auch für die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung des Herrendenkens, der Vergesellschaftung von Herrschaft). Der Gebrauchswert der Theologie ist der Quellpunkt ihrer Instrumentalisierung, die ihren Grund in der Opfertheologie hat.
Paradigmatisch für den Gesamtumfang des Problems des Gebrauchswerts ist der Jugoslawienkonflikt (wahnsinnige Vorstellung, daß dieser Konflikt auf eine frühe bundesrepublikanische Intervention, auf ein Projekt der Destabilisierung Jugoslawiens durch den BND unter der Leitung von Klaus Kinkel, des heutigen Außenministers der BRD, sich zurückfnhren läßt).
Hätte nicht Sloterdijk, der Autor der Kritik der zynischen Vernunft, diesen Vorgang erkennen mnssen? Ja, wenn er nicht selber seine Kritik am Ende ins Affirmative umgebogen, als Ausweg den Kynismus empfohlen hätte. So wurde aus der Kritik der zynischen Vernunft ein Stück Schwabinger Philosophie.
Nach kabbalistischer Tradition sind die sechs Richtungen des Raumes auf sechs göttliche Namen versiegelt. Die Vermutung, daß diese Siegel unter Einschluß des siebten Siegels (des Sabbats, als dessen Herr der Menschensohn sich zu erkennen gegeben hat) in den sieben unreinen Geistern (in der Gestalt der Maria Magdalena) und in den sieben Siegeln der Apokalypse sich wiederfinden, mag vielleicht ein Licht nach beiden Seiten werfen.
Zur Astrologie: In welcher Beziehung stehen die Venus zum Mond, der Mars zum Jupiter und der Merkur zur Sonne? -
7.1.96
Die Verurteilung des Faschismus hängt zusammen mit dem Status der Vergangenheit, den sie bestätigt. Die Verurteilung schließt jedes „Verständnis“ aus, sie begründet aber eben damit den nicht mehr durchschaubaren Wiederholungszwang. Die Verurteilung ändert nichts, sie ist so etwas wie ein magischer Akt, ein Akt der Exkulpation; sie gehört in den Zusammenhang der Bekenntnislogik, die auch nichts ändert, nur den Urteilenden aus dem Objektbereich der Schuld heraushilft (Problem der Sündenvergebung und der Rechtfertigungslehre). Kann es sein, daß das Interesse an der Verurteilung in einem anderen Interesse verwurzelt ist: sich ein Alibi zu verschaffen (vgl. die Position von Habermas im Historikerstreit)? Und verweist das nicht auf die Zweideutigkeit, den dämonischen Charakter der Verurteilung und des Rechts? Ist das Weltgericht ein Instrument der Verdrängung des Bewußtseins des Jüngsten Gerichts?
Die Verurteilung ist die aufgeklärte Gestalt der Totenbeschwörung: Indem sie den Schrecken der Erinnerung und das Grauen durch Personalisierung zu bannen versucht, weigert sie sich, dessen fortbestehende Ursachen wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Die Verurteilung des vergangenen Faschismus, mit der man glaubt, der Komplizenschaft, in die heute alle verstrickt sind, entrinnen zu können, macht den gegenwärtigen unsichtbar (verleiht der nachfaschistischen Welt den Schein der Normalität).
Der Begriff des „dramaturgischen Handelns“ (Theorie des kommunikativen Handelns, S. 135ff), der am Schauspiel sich orientiert, und zu dessen Voraussetzungen ein Publikum, eine Gesamtheit von Zuschauern, gehört, wirft ein Licht auf die kopernikanische Wende, die, durch den ihr korrespondierenden Begriff des unendlichen Raumes, die Natur insgesamt zu einem ästhetischen Objekt gemacht hat. Das Sonnensystem ist ein Schauspiel, aufgeführt auf der Bühne der subjektiven Form der äußeren Anschauung. Kopernikus hat die Natur zu einer Totalität gemacht, in der der Mensch nicht mehr vorkommt. Die kopernikanische Wende hat gleichsam den Habitus des Zuschauers ontologisiert; daraus hat Kant mit seinem Konzept der subjektiven Formen der Anschauung die philosophischen Konsequenzen gezogen. Fürs Publikum gibt es zwar Normen (Kriterien der Beurteilung), aber keine Moral: In eine Schauspiel greift man nicht ein (die ästhetische Grenze ist eine Vergangenheitsgrenze).
Beachte den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs der Erfüllung in den Evangelien:
– Mt: der einzige, der extensiven Gebrauch macht von dem Begriff der Erfüllung der Schrift,
– Mk: gebraucht diesen Begriff der Erfüllung der Schrift nur zweimal (und beidemale in eindeutigem Zusammenhang mit der Passion),
– Lk: hier sind Personen mit dem Heiligen Geist, mit Schrecken, mit Freude erfüllt, und hier erfüllt sich die Zeit, nicht die Schrift,
– Joh: hier erfüllt sich die Zeit, das Haus (mit dem Duft des Öls), auch die Schrift.
Welche Verben werden mit „Erfüllen/Erfüllung“ übersetzt:
– gemo/gemizo (bin erfüllt, erfülle mit),
– teleioo/teleiosis (vollende, Passiv: in Erfüllung gehen/ Vollendung, Erfüllung),
– pleroo/pleroma (erfülle, vollende/Erfüllung, Vollzahl, Mt, Mk, Lk),
– pimplemi (fülle mit <Eifersucht, Hl. Geist, Zorn>, Lk).
Joh 33/7 und 331: das anothen bedeutet sowohl „von oben her“ als auch „von neuem“: Ist der Himmel die zukünftige Welt? -
6.1.96
Die Theorie des kommunikativen Handelns, der ihr zugrundeliegende Begriff der Sprache, verwechselt Wort und Schrift, sie verdrängt die sprachlogische Differenz beider. Die Sprache, deren Begriff dem Konzept zugrunde liegt, ist die einer bücherinternen Kommunikation. Die Levinassche Asymmetrie gründet in der Beziehung zwischen mir und dem Andern (zwischen Ego und Alter), sie ist der Grund der Differenz zwischen Wort und Schrift, in deren Kontext sie sich (im Staat, im Recht, in der Wissenschaft) entfaltet. Sie begründet die Logik der Schrift und am Ende das Konzept einer „Erkenntnistheorie ohne erkennendes Subjekt“ (Titel eines Vortrags von Karl Popper, vgl. Habermas, S. 115). Die Logik der Schrift bringt die Stimme zum Schweigen, ersetzt das Gebot durchs Gesetz, schafft eine Welt (ex nihilo), in der man alles darf, sich nur nicht erwischen lassen (der Nominalismus hat gleichsam grundsätzliche Vorkehrungen gegen das Erwischtwerden getroffen; vgl. das Feigenblatt und die Bekenntnislogik).
Habermas‘ „Verletzlichkeit der Person“ und seine Ranküne gegen Adorno gründen in seiner Abwehr der Theologie.
Ist in dem Gleichnis vom Weizen der steinige Grund die Kirche („auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“), und sind die Dornen und Disteln der Staat und die Ökonomie?
Nicht die Kirche, sondern der Kapitalismus, die Ökonomie, ist das steinerne Herz der Welt; er hat deshalb gesiegt, weil er der Erbe und die Verkörperung aller Sieger ist: das Subjekt des Hegelschen Weltgerichts.
Enthält nicht Mt 16 (zusammen mit Mt 18) über die Gründungs- und Bestandsgarantie der Kirche hinaus eine weit darüber hinausreichende Dramatik?
Das Inertialsystem ist als Instrument der Instrumentalisierung der externe (anorganische) Kern des Animalischen. Das Tier unterscheidet sich von der Pflanze durch seine sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit, durch die Selbstbewegung und durch seine objektivierende Tätigkeit (sein „kommunikatives Handeln“). Nur daß beim Tier diese objektivierende Tätigkeit insgesamt zwangshaft ist: instinktgebunden.
Indikativ und Imperativ: Wäre Gott allwissend, wäre er nicht barmherzig.
Die Sprache lebt aus der Kraft des göttlichen Namens. Deshalb können Tiere nicht sprechen. -
5.1.96
Wie verhält sich die Kommunikationstheorie zur Bekenntnislogik, zur Logik des Weltbegriffs, wieweit ist sie zum Opfer eines selbstbezüglichen, das Subjekt unter dem Diktat der Intersubjektivität von sich selbst ausschließenden Säkularisationskonzepts geworden?
Habermas macht den absoluten Schnitt zwischen Natur und Kultur, so macht er die Natur zum absoluten Gegensatz des Geistes: macht er sie unerkennbar, er streicht die kantischen Noumena einfach durch. So wird ihm auch die Kultur zu einem Stück anorganischer Natur.
Wenn die Ökonomie die anorganische Natur der Staatenwelt ist, ist Deutschland dann nicht der Friedhof der Welt?
Gibt es nicht neben (und als Voraussetzung) der „Kolonialisierung der Lebenswelt“ eine „Kolonialisierung der Vergangenheit“, die nur durch Erinnerungsarbeit aus dieser Verstrickung zu lösen ist?
Ist nicht der Universalismus das Bonbon, das Habermas seiner akademischen Umwelt in den Mund steckt, mit dem er seine Gemeinschaft beteuert und versichert: Ich bin doch einer von euch; ihr seht, ich nehme euch ernst, nun akzeptiert mich doch endlich.
Seit 68 reicht der durch den Faschismus erzeugte Rechtfertigungszwang so tief, daß selbst das Handeln sich darin verstrickt. Seitdem gibt es ein Handeln, das zwar nichts ändert, dafür aber als Alibi gebraucht werden kann; man kann sich selbst und andern sagen: Wir tun was. Hieraus läßt sich die raf ableiten.
Staatsanwalt: Der Satz „Der Teufel steckt im Detail“ ist zu ergänzen: Der Satan (der Ankläger) ist eine Verkörperung des Systems.
Seit der kopernikanischen Wende ist das falsche Zeugnis ein systemimmanentes Moment.
Das Prinzip der Delegation von Verantwortung, das nach dem Krieg als Herrschaftsinstrument Karriere gemacht hat, war eigentlich ein Exkulpations-, ein Schuldverschiebungsinstrument. Nicht die Verantwortung, sondern ihre Last wurde delegiert. Genau das ist das Prinzip des Verwaltungshandelns, und dieses Verwaltungshandeln ist das Modell dessen, was Habermas kommunikatives Handeln nennt. Ist nicht die Kommunikationstheorie (die ein Ableger der Linguistik ist) Indiz und Gradmesser des Eindringens der Logik des Verwaltungshandelns in die Praxis und ins Selbstverständnis des Rechts und der Wissenschaften?
Ausländerhaß ist eine Form von Selbsthaß in einer Welt, in der „wir alle“ Ausländer sind, die Deutschen (infolge des verlorenen, durch keinen Friedensschluß mehr zum Abschluß gebrachten Krieges) aber in besonderem Maße. Carl Schmitts Begriff und Verständnis der Souveränität (und jeder Nationalismus seitdem) war ein letztes verzweifeltes Aufbegehren dagegen. Das Problem der Souveränität ist kein Gesinnungsproblem, sondern ein geschichtslogisches Problem. -
3.1.96
„… laß die Toten ihre Toten begraben“ (Mt 822): Beschreibt dieser Satz nicht aufs genaueste die Automatik des Inertialsystems, des Weltbegriffs und der Bekenntnislogik? Wer die Vergangenheit nur überwindet (sie „bewältigt“), ist ihr schon verfallen. (Dieser Zusammenhang läßt sich demonstrieren an Habermas‘ eigener Darstellung seiner Beziehung zu Adorno <in der Neuen Unübersichtlichkeit>, die nicht ohne Ranküne ist – wenn er z.B. aus Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ ein „Eingedenken der ‚gequälten‘ Natur“ macht, S. 204 – und auf eine Verletzung zurückzuweisen scheint, die Habermas nicht mehr reflektieren kann oder will; der gleiche Zusammenhang ist anwendbar aufs vierte Gebot: Vater und Mutter ehren heißt nicht, sie wie Tote behandeln und von ihnen nur Gutes denken).
Logik als Trauma: Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung, der Weltbegriff und die Bekenntnislogik Produkte einer in ihnen sich fortpflanzenden Verletzung und Instrumente der Ranküne?
Das Inertialsystem (das Trägheitsgesetz) verdankt sich der Abstraktion von der Schwerkraft. Mit der Vergegenständlichung der Schwerkraft, mit dem newtonschen Gravitationsgesetz, wurde die Vergangenheit entrealisiert, wurde sie vergegenständlicht, ästhetisiert und zugleich verdrängt. Verhält sich nicht das Trägheitsgesetz zur Gravitation wie das Tauschprinzip zur Schuldknechtschaft? Die Abstraktion von der Schwere, Bedingung jeder ästhetischen Vergegenständlichung und Grund der subjektiven Formen der Anschauung, war der Schnitt, der die Theorie von der dialogischen Asymmetrie der Sprache befreit, der sie monologisiert hat. Die Abstraktion von der Schwere hat das Ungleichnamige gleichnamig gemacht, die Sprache von der Last der Herrschafts- und Schuldreflexion befreit; sie hat die Sprache selbst neutralisiert, die ihr einwohnende und sie belebende Kraft des Namens verhext. Die Monologisierung der Theorie ist das Produkt der Verdrängung des Bewußtseins der Asymmetrie zwischen mir und dem Andern, sie ist der Grund eines Universalismus, der die Gewalt der Sprache in die Sprache der Gewalt transformiert. Ein Universalismus, der die Asymmetrie mit reflektiert, damit die Gewalt der Sprache zurückgewinnt, wäre der Universalismus der Lehre (einer Lehre, die nicht mehr belehrt). -
1.1.96
Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns verdankt sich der Logik der Ästhetisierung: der Abstraktion vom Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, von der Schwerkraft, vom Tod, von der Sexualität. Der entscheidende Schritt der Abstraktion von der Schwerkraft (der Konstituierung des Trägheitsgesetzes) war die newtonsche Theorie, die Vergegenständlichung der Schwerkraft durchs Gravitationsgesetz, die sie zu einer Reflexionsbestimmung gemacht hat. Erst Newton ist es gelungen, den Schrecken der Schwerkraft, den die Theologie unter dem Titel der Erbsünde reflektiert hat, durch Vergegenständlichung zu bannen (nicht freilich, ihn aufzulösen).
Die newtonsche Gravitationstheorie hat die Erinnerung an den Fall verdrängt; so ist die Welt zu „allem, was der Fall ist“ geworden.
Ihr seid das Licht der Welt: Wenn das Licht die erinnerte Schwere ist, ist dann nicht die Lichtgeschwindigkeit das Instrument der Verdrängung dieser Erinnerung?
Die letzte Phase der Physik – in der Konsequenz der Vergegenständlichung der Schwere – war die Selbstverzehrung und die Löschung des Lichts.
Beschreibt nicht das Licht den Weg des Namens?
Sind nicht alle Theorien seit dem Ursprung des christlichen Dogmas Theorien, deren Zweck es ist, die Reflexion von Herrschaft auszuschließen und einen schuld- und herrschaftsfreien Raum zu konstituieren, ist das nicht das Gesetz ihres „Fortschritts“?
Sind Satan und der Teufel die Gegenbilder von JHWH und Elohim, Reflexe des Gottesnamens im Säkularisationsprozeß? Und hängt die Unterscheidung von Satan und Teufel mit der Trennung von Natur und Welt zusammen (oder auch mit der Unterscheidung des Planetensystems vom Tierkreis)?
Ist nicht der Beamte, der aus seinem Nichtsein, aus seiner Selbstverleugnung, sein Selbst gewinnt, ein Beleg für die creatio mundi ex nihilo?
Die Bekenntnislogik ist die Logik des entäußerten Gewissens.
Die Frage, was geht in den Köpfen derer vor, die dieses Verfahren (den Hogefeld-Prozeß) so durchziehen zu müssen glauben, gewinnt Bedeutung vor dem Hintergrund, daß dieser Prozeß seitens der Anklage im Namen des Staates und seitens des Gerichts im Namen des Volkes geführt wird. Aber wenn die Öffentlichkeit nach dem Motte reagiert: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, gerät sie in den Bann der Komplizenschaft.
War nicht die raf (der Terrorismus) ein Angriff von einer Seite, von der er nicht erwartet wurde: ein Überraschungsangriff, der der Öffentlichkeit die Sprache geraubt hat?
Zum Erbe des Faschismus gehört die Neigung, historische Erscheinungen zu verurteilen, bevor man sie begriffen hat (Zusammenhang mit dem Unschuldssyndrom und der Bekenntnislogik). Gilt nicht Hegels Satz: Das Wirkliche ist vernünftig, das Vernünftige ist wirklich, in dem Sinne auch weiterhin, daß er generell vor das moralische Urteil das Begreifen dessen, worauf das Urteil sich bezieht, setzt? Bezeichnet die Formel „Solidarität ohne Komplizenschaft“ nicht auch Beziehung zur Vergangenheit, die in der Lage wäre, dem moralischen und dem kontrafaktischen Urteil über Vergangenes den Boden zu entziehen?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie