Ist das Vaterland nicht eine römische Erfindung (patria), und ist der Gottename Vater nicht dagegen gerichtet (und hat das Problem der Väter in den Evangelien überhaupt hier seine Ursache, wie z.B. das „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ oder die Frage: „Welcher Vater würde, wenn sein Kind ihn um ein Stück Brot bittet, ihm einen Stein geben“ – steckt in dieser Frage nicht die ganze Staatskritik der Evangelien)?
Die subjektive Form der äußeren Anschauung ist der Repräsentant des Gewaltmonopols des Staates im Subjekt, die subjektive Form der inneren Anschauung das Instrument seiner Vertuschung. Das gegenständliche Korrelat der subjektiven Form der inneren Anschauung ist der Hades, das Totenreich, die Hölle.
An den Gleichungen der Lorentz-Transformation läßt sich das Gesetz der Umkehrung erkennen, dem das Inertialsystem sich verdankt.
Das spezielle Relativitätsprinzip macht die vier Himmelsrichtungen (rechts und links, vorn und hinten) konvertibel, das allgemeine Relativitätsprinzip Himmel und Erde (oben und unten). Nur: Die Bewegung des fallenden Fahrstuhls ist nicht umkehrbar. Das aber heißt, daß die Beziehung von oben und unten genau durch die Operation, die sie reversibel macht, irreversibel wird.
Ähnlich sind die Staatsschutzprozesse als politische Prozesse Prozesse der Entpolitisierung.
Während das Strafrecht sonst dem Trägheitsgesetz, der Mechanik korrespondiert, korrespondiert das Staatsschutzrecht dem Gesetz der Schwere, das nur über die Identität von träger und schwerer Masse dem Trägheitsgesetz kompatibel gemacht werden kann. Der Satz „Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand“ gilt unmittelbar nur fürs Strafrecht, dessen Grenze er definiert; in den Staatsschutzverfahren, die die Grenzen des Strafrechts ausloten, wird er zum Prinzip und zur Grundlage der Verfahren. Staatsschutzverfahren suchen (durch Anwendung der Logik des Schuldverschubsystems) den schwerelosen Zustand herzustellen, der das Innere des fallenden Fahrstuhls definiert. Staatsschutzverfahren gehorchen zwangshaft und blind dem Unschuldstrieb des Staates, der ihn vollends böse macht.
An dem Bild des frei fallenden Fahrstuhls läßt sich die Beziehung der Naturwissenschaft zur politischen Ökonomie demonstrieren und klären: Im frei fallenden Fahrstuhl ist das Kausalverhältnis eindeutig von seinem Bewegungszustand auf den Zustand im Innern des Fahrstuhls gerichtet. Im Bereich der politischen Ökonomie kehren sich die Verhältnisse um: Der Versuch, im Innern eines ökonomischen Systems einen schwerefreien Zustand herzustellen, versetzt dieses System in den Zustand des freien Falls. Das Problem der Beziehung von Naturwissenschaft und Ökonomie ist das Problem der Reversibilität (die dem Unschuldstrieb folgende Unfähigkeit zur Schuldreflexion macht die Schuld erst irreversibel, sie zerstört die Sprache, die von der Idee der Reversibilität der Schuld: von der Idee der Umkehr lebt).
Laborbedingungen sind Exkulpationsbedingungen: Sie gehorchen dem Schuldverschubsystem und haben den gleichen Effekt wie Schlachthäuser, Irrenhäuser, Gefängnisse („Zuchthäuser“). Gründet die kabbalistische Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, nicht in dieser Konstellation? Die sechs Richtungen des Raumes sind insgesamt dann noch mal auf die Irreversibilität der Zeit versiegelt: das ist das siebte Siegel; deshalb ist der siebte Tag der Tag der Ruhe (und der Menschensohn der Herr des Sabbat). Das „ruhende Inertialsystem“ (das zwangsläufig in zwei Versionen sich konstruieren läßt) ist die absolute Parodie des Sabbat.
Gehorsam und Hören: Die Grenze zu den Barbaren ist die Grenze der sprachlichen Kommunikation. An der gleichen Grenze erfolgte die Erfindung der alphabetischen Schrift bei den ersten Handelsvölkern (der erste Handel war Fernhandel), den Phöniziern. Ist nicht die griechische Sprache eine Folge der Erfindung der Schrift: Ist nicht die innere sprachlogische Ausgestaltung des Griechischen der zweite Schritt, der dieser Sprache (wie das Aramäische dem Hebräischen) den Charakter einer Verkehrssprache verliehen hat? Hier erst ist diese Schrift zivilisationsbegründend („hellenistisch“) geworden.
Haben die Inder das Wissen, die Griechen die Natur und die Römer die Welt erfunden? Ein Prozeß mit einer merkwürdigen logischen und zeitlichen Verschiebung: Er beginnt mit den „Veden“ und vollendet sich mit einer über die Araber vermittelten indischen Erfindung: mit der Erfindung der Null, die die moderne Algebra und die Konstruktion des Inertialsystems überhaupt erst ermöglichte.
Was vermag das Sündenbocksyndrom und das Konzept der wechselseitigen Begründung des Heiligen und der Gewalt zu leisten im Hinblick auf die Selbstaufklärung des Begriffs der Öffentlichkeit (Hinrichtungen waren und Strafprozesse sind öffentlich)?
Haben nicht die Staatschutzprozesse aus den Fehlern des Volksgerichtshofs gelernt? Ist nicht diese unheilige Trinität aus BKA, BAW und Staatsschutzsenaten ein Versuch, das Vorurteil zu rationalisieren, es technisch verfügbar zu machen? Oder anders: Ist nicht der Begriff der „Organisierten Kriminalität“ (und sind nicht einige andere ähnliche Konstrukte) auch ein Stück Projektion, steckt dain nicht etwas, in dem der Staat sich selbst wiedererkennen müßte? Sind nicht die mafiösen Strukturen, die ihren Namen von der italienischen Mafia haben, heute dagegen exemplifiziert werden an Organisationen, die aus China, aus Vietnam, aus Rußland oder aus Rumänien stammen, ein Abbild von Strukturen, die unter dem logischen Zwang der Aufgaben in staatlichen Einrichtungen sich herausgebildet haben und erkennen lassen? Sind nicht die Formen der „Organisierten Kriminalität“ Reflexionsformen des „freien Marktes“, und dienen die Hinweise auf die „Organisierte Kriminalität“ nicht mittlerweile als Alibi für die entsprechende Ausgestaltung der Einrichtungen, die sie bekämpfen (und zugleich auf andere Aufgaben sich vorbereiten) sollen ? Ist das nicht eine der Folgen der Feindbildlogik, die seit je mit dem Hinweis auf den Feind bewußtlos die eigene Angleichung an den Feind betrieben hat?
Sind nicht alle Feindbilder: Organisierte Kriminalität (Mafia), Terrorismus (Iran, Libyen, PKK, IRA, ETA, Fundamentalismus, insbesondere der Islam) zugleich Bilder von feindlichen oder verbrecherischen Organisationen ausländischer Herkunft oder des Internationalismus im Innern des Staates? In den gleichen Kontext gehört das Wiederaufleben der Religions- und Weltanschauungskriege.
Gehören hierher nicht die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und im Anblick der aus dem Bann des Ost-West-Konflikts herausgetretenen Ökonomie (Globalisierung, Freisetzung der Kräfte des „freien Marktes“, „Reform“ des Sozialstaats) notwendigen Versuche der Reorganisation (der Neudefinition der Aufgaben) der Militärapparate, der Geheimdienste, der Terrorismus- und der Kriminalitätsbekämpfung?
Ähnlich wie die Privatisierung des Fernsehens die Medienlandschaft verwüstet hat, verwüsten die Privatisierung staatlicher Aufgaben die Politik und die Staatsschutzprozesse den Rechtsstaat.
Lassen sich nicht heute schon die mafiösen Strukturen in der Politik an Parteien festmachen: an der Komplizenschaft von Religion und intriganter Machtpolitik, an der Speerspitze des Neoliberalismus, der nur noch die Interessen seiner Klientel vertritt, und an der Einbindung der Sozialdemokratie, die für sich selbst das „Bangemachen gilt nicht“ längst außer Kraft gesetzt hat?
Das Problem läßt sich am Beispiel Helmut Schmidt demonstrieren, der einmal den Ermittlungsbehörden und den Gerichten die Weisung mitgegeben hat, in der Terrorismus-Bekämpfung „bis an die Grenze des Rechtsstaats“ zu gehen, während er in der Frage der Währungspolitik der Deutschen Bundesbank seine kritische Reflexionsfähigkeit sich bewahrt zu haben scheint.
Ähnlich die Kirche, die die Spannung ihre eigenen inneren Widerspruchs (des Widerspruchs zwischen dogmatischer und moralischer Tradition und den materiellen Zwängen des ökonomischen Weltzustandes) heute bis zum Zerreißen an sich selbst erfährt (die Last, unter der sie steht, ist in der Gestalt des gegenwärtigen Papstes, der kein Zyniker ist, aber trotzdem das Opus Dei stützt und seiner Hilfe sich bedient, geradezu sinnlich erfahrbar). Die Kirche in Deutschland dagegen scheint allein an der repressiven Sexualmoral zu leiden, während sie das Problem des Dogmas, des Bekenntnisses, der Orthodoxie nicht sieht und die ökonomischen Weltprobleme nur bis zu dem Punkt zu sehen scheint, an dem sie beginnen, den eigenen Status in Frage zu stellen.
Es gibt nicht mehr den einen Angelpunkt, an dem alle Probleme sich festmachen lassen. Ist nicht das Problem heute in der Schrift schon präzise bezeichnet: in der Geschichte der drei Leugnungen und in der Geschichte von den sieben unreinen Geistern (in den Gestalten des Petrus und der Maria Magdalena).
Zu verweisen ist insbesondere auf die sieben unreinen Geister, von denen keiner mehr für sich alleine in Anspruch nehmen darf, den Angelpunkt der Lösung der Weltprobleme zu bezeichnen.
Zu René Girard: Ist nicht das Lamm Gottes, das würdig ist, die sieben Siegel zu lösen, die Umkehrung der Perspektive des Sündenbock-Syndroms?
Nicht in der Sonne und nicht im Mond, aber auch nicht in Jupiter und Mars oder Venus und Merkur, sondern im Saturn, und dann erst in der Konstellation der anderen „Planeten“, ist die Lösung der Welträtsel beschlossen. In den vergeblichen Versuchen der sechs anderen Planeten, in sich selbst die Imago der Ruhe nachzubilden, die im Saturn ihren Grenzbegriff findet. Die Abbilder des ruhenden Zentrums sind allesamt Verführungen des Unschuldstriebs.
Venus und Merkur: Liegt die Exogamie nicht noch vor dem Ursprung des Fernhandels?
Jupiter und Mars: Liegt der Krieg vor der Konstituierung des Rechtsstaats?
Adornos Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt war ein saturnisches Konzept.
Was hat diese ganze Geschichte mit dem Wasser und dem Feuer zu tun, mit der Taufe und dem Geist?
Bekenntnislogik
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24.11.1996
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14.11.1996
Die Beziehung des Inertialsystems zum Dogma liegt nicht in seiner Form – das Äquivalent dieser Form ist die Bekenntnislogik -, zur Stabilisierung der subjektiven Formen der Anschauung (und der Bekenntnislogik) bedarf es eines inhaltlichen Dogmas, und dessen Rolle hat das kopernikanische, das heliozentrische System übernommen. An dessen Stabilität, die mit der Opferung des Himmels (oder, was dem gleichbedeutend ist: mit der Verinnerlichung des Opfers) erkauft ist, hängt die der gesamten Naturwissenschaft.
Roland Barthes‘ Rekonstruktion des Mythos („Mythen des Alltags“), in dem er der Logik der Beziehung von Herrschaft, Natur und Mythos auf die Spur kommt. Zu rekonstruieren wäre ergänzend dazu der ökonomische Grund dieser Logik.
Gilt nicht der Satz „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet“, für den Mythos insgesamt (durch Reflexion den Bann des Urteils, der in den Sternen sich verkörpert, brechen). Ist nicht der Mythos Ausdruck der urteilsproduzierenden Gewalt?
Israel ist sein erwähltes Volk, nicht sein auserwähltes: In diesem „aus-“ drückt die neiderfüllte Selbstausgrenzung der „Völker“ sich aus, die den Antisemitismus erzeugt.
Im Objektbegriff steckt ein politisches Moment: ein Stück feindliches Ausland. Sind nicht die Form des Raumes und die Logik des Geldes Denkmäler der Eroberungs- und Unterwerfungsgeschichte, in der der Staat sich konstituiert und entfaltet hat?
Ist der Himmel die sinnliche Entsprechung der Grenze zum Ausland schlechthin, und deshalb das providentielle Korrelat der Herrschaftslogik? Durch die kopernikanische Wende ist die ganze Welt zum herrenlosen Gut für eroberungssüchtige Staaten geworden.
Versicherungsprobleme, Bemerkung zum Vertrauensproblem in der Ökonomie (vgl. die Dokumentation in der FR von heute): Werden nicht durch die gleiche Logik, die die Realität heute versteinern macht und dem ökonomischen Begriff des Vertrauens seine raison d’etre entzieht (was in der ökonomischen Theorie in der Ersetzung der Nationalökonomie durch die BWL sich widerspiegelt), die „Risiken“ von der Unternehmensseite nach unten verlagert und zum Bodensatz der verschwindenden Kraft der Reflexion; ist das Ganze nicht ein Teil der Sozialgeschichte des Urteils?
Brennender Dornbusch: Ist der Name des Himmels, der nach kabbalistischer Tradition die Namen des Wassers und des Feuers in sich enthält, die erste Manifestation der Urteilsform, und zugleich die einzige, die deren Formgesetz von innen enthüllt? Sind Wasser und Feuer die Angesichte, die Subjekt und Prädikat, das Wer und das Was, Objekt und Begriff, einander zukehren: Ist das Wasser das Antlitz des Begriffs, das Feuer das des Objekts? Gründet das Relativitätsprinzip im Namen des Wassers, und verweisen das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und das der Identität von schwerer und träger Masse aufs Feuer?
Der erste Satz der Philosophie ist von Thales überliefert: Alles ist Wasser.
Worauf bezieht sich der „Bogen in den Wolken“ nach der Sintflut (und das daran geknüpfte Versprechen)? Und in welcher Beziehung stehen die Wolken des Himmels und der Menschensohn), die Sterne des Himmels (das Himmelsheer und der Dominus Deus Sabaoth) und die Vögel des Himmels?
Der Himmel ist Sein Thron: In welcher Beziehung steht der Himmel (die Urteilslogik) zum Eigentum (zum Staat als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern)? Und was hat das Privateigentum (und die in ihm gründende „Privatsphäre“) mit dem Grenzbegriff der Identität von träger und schwerer Masse zu tun?
Ist der hebräische wie auch der deutsche Name des Wassers nicht der Plural von Was? Auf welche sprachlichen Wurzeln verweisen die Namen ouranos, caelum, sky und heaven? Und was hat der Himmel mit dem Hammer zu tun (vgl. Kluge: Etymologisches Wörterbuch)?
Das vierte Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren, …“) ist das alttestamentliche Korrelat des neutestamentlichen Gebots der Feindesliebe.
Wer heute gegen Mauern anrennt, härtet die Mauern und rennt sich selbst den Kopf ein: Zu den Mitteln, die die Mauern härten, gehört auch die Feindbildlogik (die im übrigen ein Kollektivum ist, der logische Kern des Weltbegriffs, zu dem, wenn man ihn als Kopf begreift, als Mauer die Natur gehört). -
10.11.1996
Der neue Faschismus hat sein Zentrum aus der Politik in die Ökonomie verlagert. „Standort Deutschland“ ist ein faschistisches Programm. Die direkte Kolonialisierung der dritten Welt (und der Nicht-Besitzenden im eigenen Land) wird durch die Marktgesetze ersetzt, die dann durch überdimensionale Militär- und Polizeiapparate geschützt werden müssen.
Der neue Faschismus hat einen Rationalitätskern, den alle Privateigentümer, Hausbesitzer und Familienväter aufgrund der ökonomischen Zwänge, denen sie selbst unterworfen sind, spontan verstehen. Erkennbar ist dieser Faschismus nur noch auf der Seite der Realität, die sie nicht mehr sehen. Sein Rationalitätskern ist zugleich der blinde Fleck dieses Faschismus.
Was einmal Ausbeutung hieß, heißt heute Sparprogramm.
Ist die Unterscheidung von Eigentum und Besitz (die in der Institution des Staates gründet) nicht eine theologische Unterscheidung: Verleiht das Eigentum dem Eigentümer nicht die theologischen Attribute, die im Begriff der Ware, an der Marx sie wahrgenommen hat, nur sich widerspiegeln? Oder mit anderen Worten: Ist nicht die herrschende Eigentumsordnung (zu der es keine Alternative zu geben scheint) in sich selber atheistisch, und die Religion, die sie stützt, Götzendienst?
Zur Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos: Ist das pharaonische „Faul seid ihr, faul“ nicht das Modell der heutigen Sparprogramme?
Vorn und hinten, rechts und links sind reversibel, oben und unten hingegen sind es nicht: Deshalb steht der Begriff über dem Objekt wie der Herr über dem Knecht. Die moderne Raumvorstellung, in der alle Richtungen gleich sind, verdankt sich der Übertragung der Eigenschaften der vier Himmelsrichtungen auf die Beziehung von Himmel und Erde. Der Zustand, in dem der Schein (der die Wurzel jedes Scheins ist) sich durchsetzt, oben und unten seien reversibel, ist der in dem fallenden Fahrstuhl, an dem Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie demonstriert hat: ein Bild der Katastrophe, die keiner mehr wahrzunehmen fähig ist. Aber: Gott hat Himmel und Erde erschaffen, nicht die Welt. Die Idee des Himmels, die im Kontext des Ursprungs des Weltbegriffs zunächst zum mythischen Götterhimmel (mit der Schicksalsidee als logischem Kern) neutralisiert, dann mit der kopernikanischen Wende verdrängt worden ist, war für die Prophetie der Fundus der Herrschaftskritik. Die Apokalypse unterscheidet sich von der Prophetie durch den bereits erfolgten Abschluß des historischen Umwälzungsprozesses, der im Weltbegriff, in der durch ihn neu organisierten Erfahrung des Bewußtseins, sich manifestiert.
Ist die Lichtgeschwindigkeit eine in erster Linie auf die vier Himmelsrichtungen bezogene „Naturkonstante“, und erst sekundär auf die durch oben und unten definierte Richtung des Raumes zu beziehen? Oder anders: Drückt in der Lichtgeschwindigkeit das Verhältnis der Schwere zu den zur Fallrichtung orthogonalen Richtungen sich aus? Das Undenkbare denken, das hat sowohl einen politischen wie auch einen naturwissenschaftskritischen Sinn.
Ist nicht Hitlers politisch-gesellschaftlicher Begriff der Masse ein spätes Echo des lateinischen (von mater abgeleiteten) Begriffs der Materie?
Gehört nicht zum Begriff der „Schwere der Schuld“, der in den Staatsschutzprozessen zentral zu werden beginnt, ein Begriff der Unschuld, der nur noch für jene gilt, die oben sind: für die Herrschenden? In diesem Begriff der „Schwere der Schuld“ vollendet sich das Schuldverschubsystem. Aber gibt es nicht ein christliches Erlösungskonzept und zu seiner Begründung eine ganze Theologie, die dem vorgearbeitet haben?
Das Gebot der Feindesliebe rührt an die Wurzeln des Staates, der ohne die Feindbildlogik zu existieren aufhören würde.
Der real existierende Sozialismus ist daran zugrunde gegangen, daß er gemeint hat, es sei möglich, das Spiel der imperialistischen Mächte (in das er sich im vorauseilenden Gehorsam seines machtpolitischen Realismus hat hineinziehen lassen) mitzuspielen. In diesem Spiel ist die Theorie zur Ideologie und die Praxis gemein geworden. Auch hier gilt: DIE BANK GEWINNT IMMER.
Außen und Innen: Dieses Paradigma bestimmt auch die Bekenntnislogik: Der Feind ist draußen, der (mit dem Feind kooperierende) Verräter im Innern. Und sind die Frauen nicht die Indifferenz beider, haben sie nicht etwas vom Feind und vom Verräter zugleich?
Das Präfix be- ist der sprachliche Repräsentant der veräußerlichenden, von außen auf die Sprache einwirkenden und das Innere der Sprache nach außen kehrenden Kraft: der Repräsentant des Raumes, der Form der äußeren Anschauung, in der Sprache. Beschreiben nicht die Präfixe insgesamt den gesamten und umfassenden sprachlogischen Zusammenhang, in dem die inertia, das Inertialsystem, sich konstituiert? Sind sie (wie die Präpositionen, mit denen sie zusammenhängen, ja teilweise identisch sind) nicht die sprachlichen Reflexionsformen dieser Äußerlichkeit, die unterm Bann der „subjektiven Form der äußeren Anschauung“ nur noch blind, reflexhaft angewandt und nicht mehr reflektiert werden? Sind sie nicht die Schale des Kelchs?
Entspricht dem englischen to be nicht im Französischen das Präfix de-; sind sie nicht der sprachliche Reflex der jeweiligen Sprachlogik, der empirischen Sprachlogik im Englischen und der rationalen, deduzierenden Sprachlogik im Französischen? Während das englische to be dem Infinitiv Sein im Deutschen entspricht, verweist das französische Präfix de- auf eine ganze Konstellation von Präpositionen und Präfixen im Deutschen wie von, aus, ab-, ent-. Zum deutschen ur- (in Urteil und Ursprung) scheint es im Englischen und im Französischen keine Entsprechung zu geben. Ist die deutsche Sprachlogik eine Ursprungslogik, ist die Ursprungslogik das Medium der Selbstreflexion der deutschen Sprache?
Der Logik des Vorurteils kommt es – wie der Logik der Urteile in Staatsschutzprozessen – nicht mehr darauf an, ob eine Position, eine These, eine Feststellung wahr ist, sondern nur noch darauf, daß sie nützlich und unwiderlegbar ist. Das Vorurteil (und in ihrem Kern die Logik der Gemeinheit) ist kein inhaltliches Problem, sondern eins der Beweislogik.
Wie hängt die Logik des Vorurteils mit dem Grund der Ästhetik zusammen?
Reproduzieren nicht die Urteile der Staatsschutzsenate zwangshaft den Fehler, der die Aufarbeitung der Vergangenheit seit ihren Anfängen erlegen ist: Die Vergangenheit war nicht mehr durch Verurteilung aufzuarbeiten, sondern allein dadurch, daß man in den Schrecken sich hineinversetzt, ihn reflektiert.
„Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe; deshalb seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“: Das Undenkbare denken heißt heute, auch der Paranoia als logisches Hilfsmittel der Reflexion (nicht jedoch des bestimmenden Urteils: des Vorurteils) sich zu bedienen; wer sie als Hilfsmittel des bestimmenden Urteils mißbraucht, ist ihr schon verfallen. Ist das nicht auch ein Problem der Schriftinterpretation und des Schriftverständnisses? Hat nicht die historische Bibelkritik, als sie dem grassierenden Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts erlegen ist, aus den Netzen der Paranoia (in diesem Falle des Antisemitismus) nicht mehr sich lösen können?
Es gibt keine Möglichkeit, aus der Theologie hinter dem Rücken Gottes einfach nur herauszutreten. Der Weg in eine Theologie im Angesicht Gottes führt nur durch die Reflexion der Theologie hinter dem Rücken Gottes hindurch. Auch das ist ein Anwendungsfall des Programms: das Undenkbare denken. -
9.11.1996
1945: Der unreine Geist, nachdem er wasserlose Orte durchzogen und keine Ruhestätte gefunden hat, in sein Haus zurückkehrt, es leer, gereinigt und geschmückt vorfindet, geht hin und nimmt sieben andere Geister mit, die schlimmer sind als er, und sie ziehen ein und wohnen dort, und es wird nachher mit jenem Menschen schlimmer als vorher. (Mt 1243ff, vgl. Lk 1124ff)
Ist nicht die rhetorische Frage in der Regel die Frage der Empörung, oder auch das in Frageform gekleidete kontrafaktische Urteil? Wie hängt die Massenbildung mit der Empörung zusammen?
Die rhetorische Frage, wie auch das kontrafaktische Urteil, ist ein Element der Klage; in ihr gründet das Problem der Theodizee. Ist nicht diese Klage das Element, aus dem Anklage erwächst, und dann das Schuldurteil?
Wenn eine Vorstellungswelt zerbricht, zerbricht nicht die Welt.
Die Sprengung der Herrschaftslogik schließt die Sprengung der Vorstellung des Zeitkontinuums mit ein, das aber heißt, sie schließt die Idee der Auferstehung der Toten mit ein.
Die heroische Attitüde Heideggers gibt es auch schon bei Hegel, dort wo er von der Kraft, der Negativität und dem Tod standzuhalten, ihnen ins (leere, nicht vorhandene) Angesicht zu sehen, spricht.
Der Satz „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ ist ohne die Idee der Auferstehung der Toten nicht mehr zu denken.
Kann es sein, das das „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ in dem Allereinfachsten besteht, daß dann jede Träne abgewischt wird: daß Herrschaft ihr Objekt, auf das sie sich stützt, verlieren und das nicht ertragen wird? Wäre das nicht der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht?
Hat nicht der 5. Strafsenat Birgit Hogefeld dafür mit dieser wütenden Verbissenheit zur Rechenschaft gezogen und verurteilt, weil sie ihn in eine Situation gebracht hat, der er nicht gewachsen war? Sie hat diesen Senat vor eine Entscheidung gestellt, die er nur hätte treffen können, wenn er den Mut und den Verstand gehabt hätte, die er nicht hatte.
Dieser Prozeß und dann dieses Urteil hat etwas verändert. Jetzt wird man reden müssen
– über den Geist und das Handeln der Strafschutzsenate und der Bundesanwaltschaft,
– aber auch über die RAF, die einerseits diesen Institutionen die Vorwände geliefert hat, so zu werden, wie sie heute sich darbieten, andererseits aber zugleich den Opfern dieser Institutionen die Solidarität verweigert,
– und nicht zuletzt über die Öffentlichkeit, die ihre Wahrnehmungsfähigkeit eingebüßt hat und wieder einmal das Wegsehen einübt, und an der es sich jetzt rächt, daß in diesem Lande die Aufarbeitung der Vergangenheit in folgenlose Bekenntnisse sich verflüchtigt hat, real aber nie gelungen ist.
Manchmal überkommt mich der böse Verdacht, ob die Frage des Richters Klein an die Angeklagte nicht eigentlich hätte lauten müssen: Hat es die RAF überhaupt noch gegeben? Und ist es wirklich ganz auszuschließen, daß der Anschlag auf Weiterstadt auf eine konspirative Provokation (BAW/VS/Steinmetz?) zurückzuführen ist, die dann ihren Zweck voll erfüllt hat, nämlich der Öffentlichkeit zu den nie aufgeklärten Taten der 80er Jahre nachträglich eine RAF zu liefern, die es eigentlich schon nicht mehr gab? Und bekennen sich die Hardliner der RAF vielleicht heute zu Handlungen, von denen sie selbst nicht wissen, wer sie begangen hat, an denen sie nur deshalb festhalten, weil ihre von der Realität abgespaltene Phantasie sie als Identitätsstütze braucht? Und das bis zu der bitteren Konsequenz, daß sie die eine, die den Sinn dieser Handlungen in Frage stellt, mit dem Bann belegen und aus ihrer wahnhaften Bekenntnisgemeinschaft zwangshaft ausschließen müssen? Zugleich muß der Staatsschutz sie mit der Verurteilung zu lebenslänglicher Haft aus dem Verkehr ziehen, weil sie, ähnlich wie Irmgard Möller nach der Stammheim-Katastrophe, die einzige ist, die vielleicht auf die Spuren stoßen und sie öffentlich machen könnte, die den Alptraum, zu dem dieser Staat in gleichem Maße zu werden scheint, in dem keiner es mehr für möglich zu halten fähig ist, als Realität erweisen würden.
Die Nazis haben ihre Untaten durch ihre Dimensionen und ihr Ausmaß vor der Öffentlichkeit schützen können: Die Greuel waren leicht als Greuelmärchen zu dementieren, weil niemand (außer ihren Opfern, die sie real an sich selbst erfuhren) sie mehr für möglich halten konnte. Nur waren damals die Grenzen zwischen Realität und Vorstellungsvermögen noch nicht so scharf definiert: Zur Stabilisierung des abgespaltenen Vorstellungsvermögens, als wirksame kollektive Verdrängungshilfe, brauchten die Nazis das Gerücht von der Realität, das Klima des Terrors als allgegenwärtige und für alle spürbare Gewalt, die die Menschen zum Wegsehen zwang. Dieses Konstrukt hat die Nazizeit überlebt in dem Wort „Nestbeschmutzer“. Diskriminiert wurden nach dem Krieg nicht die Täter, sondern die, die ihre Taten an die Öffentlichkeit brachten.
So gleicht sich die Realität immer mehr der Paranoia an, die sie doch zugleich falsch abbildet. Oder anders: So wird die Paranoia zu einem Erklärungsmuster der Realität, mit der Folge, daß heute die Realität nicht mehr begreift, wer nicht bereit ist, auch das Undenkbare zu denken, ohne daraus ableiten zu können, es sei so. Die Logik der Paranoia ist eine Erkenntnishilfe, aber man darf ihr nicht verfallen.
Gegen diese Logik sind die Lyotardschen Reflexionen über das perfekte Verbrechen (die an die Erinnerung an Auschwitz anknüpfen) noch harmlos, weil sie zum Vebrechen verdinglichen, was in Wahrheit nur als kritische Reflexion eines logischen Sachverhalts sich begreifen läßt. An diesen logischen Sachverhalt, der an den Grund des Strafrechts selber rührt, reicht der strafrechtliche Begriff des Verbrechens nicht mehr heran.
Der Versuch, das Undenkbare zu denken, liefert den Schlüssel zu den finsteren Geheimnissen des Staates (oder auch der Bekenntnislogik und der Opfertheologie, die die Religion zur Staatsreligion gemacht haben), vielleicht hilft er, Licht in dieses Dunkel hineinzubringen.
Das Undenkbare denken: Dazu gehört auch, daß man einer Logik, die davon ausgeht, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, sich entzieht, daß es gelingt, die Kräfte, die es unterm Nationalsozialismus erlaubten, reale Greuel als „Greuelmärchen“ zu dementieren und so ihre Wahrnehmung zu verhindern, zu reflektieren und damit unwirksam zu machen. Ein Denken, das Herrschaftsinteressen, die heute mit dem Eigeninteresse derer, die an dem Privileg des Denkens noch teilhaben, konvergieren, sich unterordnet, mag sich als klug erweisen, es mag von einem hohen Grad der Intelligenz zeugen, es ist doch im Kern zugleich auch dumm, es verlernt, die Verblendung, deren Opfer es wird, zu durchschauen, es sieht insbesondere nicht mehr, was es anrichtet.
Was einmal das „pathologisch gute Gewissen“ genannt wurde, ist eine in die Logik des Bewußtseins selber mit eingebaute Automatik; diese Automatik hat die kantische Philosophie, und zwar in der transzendentalen Ästhetik, erstmals rein herauspräpariert, sie ist damit bestimmbar und analysierbar geworden. Der erste, bis heute freilich nicht verstandene Beginn der Analyse dieser Automatik war Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung, ein im Kern logisch-philosophisches Werk, das nur aufgrund seiner Konsequenzen der speziellen Disziplin der Religionsphilosophie zugeordnet und so neutralisiert worden ist (der Gedanke, daß der Kern der Logik in der Theologie liegt, gehört zu dem Undenkbaren, auf das die Forderung, es endlich zu denken, sich bezieht). Der Stern der Erlösung gehört zu den epochalen Werken der Philosophie dieses Jahrhunderts, von gleichem Rang wie das Werk Walter Benajmins, Georg Lukacs‘ „Geschichte und Klassenbewußtsein“ oder die „Dialektik der Aufklärung“.
Der Begriff Greuelmärchen war ein prophylaktischer Teil des aus ihm entwickelten Mechanismus, der nach dem Krieg den kollektiven Verdrängungsprozeß mit getragen hat. Danach konnten alle (und das subjektiv ehrlich) sagen, sie hätten nichts gewußt.
„Satanisch, teuflisch, dämonisch“: An diesen Begriffen läßt die Magie des Urteils sich demonstrieren. Deren Bann wird erst gebrochen, wenn man, ohne Verharmlosung in der Sache, diese Begriffe reflexionsfähig macht, wenn man im Satanischen den Ankläger, im Teuflischen die feindbild-logische Instrumentalisierung der Sprache, ihre Subsumtion unter fremde Zwecke, im Dämonischen die Sprache der Rechtfertigung erkennt, in ihnen allen die Formen der Selbstzerstörung der erkennenden Kraft der Sprache; auch das ist ein Teil des Versuchs, das Undenkbare zu denken. Der Ansatz zur Lösung des Banns ist in dem Jesus-Wort vom Geist enthalten: „Wenn sie euch dann hinführen, um euch zu überliefern (Einheitsübersetzung: und <man> euch vor Gericht stellt), so sorget euch nicht im voraus darum, was ihr reden sollt, sondern was euch in jener Stunde gegeben (E.: eingegeben) wird, das redet. Denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der heilige Geist.“ (Mk 1311) Der heilige Geist ist das Subjekt der erkennenden, aus dem Bann ihrer Instrumentalisierung befreiten Sprache. Der Kern dieses Banns ist die Logik der Welt: die Feindbildlogik, die dem Feind aus freien Stücken die Waffen liefert, mit denen er uns besiegt.
Das Undenkbare denken, auch im Anblick des Schreckens den klaren Verstand zu behalten: Das wäre der Schlüssel zu einer Theologie im Angesicht Gottes.
Zur Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit: Die stoische Ataraxia, die dann in den Begriff und in die Konstruktion der Öffentlichkeit mit eingegangen ist, ist kollektiv eingeübt worden in den römischen Arenen, in dem freiwilligen und zum Genuß (zur „Augenlust“) dargebotenen Anblick des Schreckens, der nur die Opfer, nicht die Zuschauer des Spektakels traf. Schon die aristotelischen Affekte Furcht und Mitleid, die die Tragödie im Zuschauer hervorruft, hatten Teil an dieser Ataraxia: Dem Mitleid war durch die ästhetische Grenze, durch die Abstraktion vom eingreifenden Handeln, die den Zuschauer vom tragischen „Geschehen“ trennt, die moralische Gemeinschaft mit dem ästhetischen Objekt aufhebt, der Weg zur Barmherzigkeit abgeschnitten: Im Mitleid genießt das Publikum (der Zuschauende) nur noch seinen eigenen Affekt, es erreicht sein Objekt nicht mehr. Die Arenen haben diese (die logische Konstruktion der Öffentlichkeit begründende) ästhetische Grenze zum Objekt vergesellschaftet. In diese Ursprungsgeschichte der Öffentlichkeit gehören die Scheiterhaufen, auf denen die Ketzer und Hexen verbrannt worden sind, die öffentlichen Hinrichtungen. Auch der Kreuzestod Jesu ist durch die christliche Opfertheologie zu einem öffentlichkeitskonstituierenden Akt geworden (der in den Christen das schlechte Gewissen installiert hat, das dann bekenntnislogisch abgearbeitet werden mußte). Die Theologie war seit den Kirchenvätern nur das Exil der Philosophie, diese war das Schiff, auf dem sie aus Furcht vor ihrem Auftrag, Ninive den Untergang anzusagen, nach Tarschisch zu fliehen versucht hat.
Aber war die Philosophie nicht auch der eine unreine Geist, der am Ende mit sieben anderen Geistern in das leere, gereinigte und geschmückte Haus zurückkehren wird; und die letzten Dinge werden dann ärger sein als die ersten?
Der Staat ist die Quelle und der Produzent des „Seitenblicks“, der in den Arenen (und in der nachfolgenden Geschichte der Kunst) zunächst eingeübt und dann auch reflektiert worden ist. Und das hegelsche Absolute ist der Gott, der in diesem Staat sich verkörpert (und durch ihn hindurch das Reich der Erscheinungen als seine Welt erschafft, die am Ende niemand von der wirklichen mehr unterscheiden kann).
Das kantische Religionsverständnis unterscheidet sich vom hegelschen dadurch, daß es das Moment der Hoffnung (auch für die Toten) noch in sich enthält, es weder verleugnet, noch verdrängt, noch unterdrückt hat, und in dieser Hoffnung die Kraft der Reflexion, die er in der Kritik der Urteilskraft zu entfalten versucht hat.
Das Undenkbare denken, oder die Bundeanwaltschaft als Verkörperungen der Staatsparanoia.
Der Konkretismus und die Personalisierung verstören die Sprache der Reflexion, versuchen ständig, sie eine Sprache des bestimmenden Urteils (der synthetischen Urteile apriori), des Indikativs, zu übersetzen.
Das Undenkbare denken (Gliederung):
– Indikativ und Imperativ (Levinas),
– Verstörung des reflektierenden Denkens durch die Mechanismen der Verdinglichung,
– die Auflösung des Problems der Verhärtung des Herzens (Pharao und hodie, si vocem eius audieritis),
– Theologie im Angesicht Gottes,
– die Sünde wider den heiligen Geist (die Sünde der Übersetzung des reflektierenden Urteils ins bestimmende Urteil, der Verdinglichung, der Feindbildlogik, die Sünde der Welt <im Kontext des Nachfolgegebots, nicht der Opfertheologie>).
Die Theologie im Angesicht Gottes ist eine herzzerreißende Theologie: Sie zerreißt das steinerne Herz (das sentimentale Herz) und ersetzt es durch das fleischerne Herz (ein Herz, in dessen Verletzlichkeit seine erkennende Kraft gründet). – „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“
Auch der Satz, daß Gott am Ende das steinerne Herz durch ein fleischernes ersetzen wird, steht im Imperativ, nicht im Indikativ.
Zu Kafkas Bau: Das Tier hat vierzig Jahre im Untergrund gewühlt, und jetzt steckt es die Nase heraus in der Hoffnung, daß da nicht ein Gärtner mit dem Spaten steht und es erschlägt.
Das Undenkbare denken: Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns (Kafka). Auf diesen Satz antwortet eine Theologie, die die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele aufgibt, dafür aber an der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten festhält. Nicht für mich (und nicht für die, die unter Rechtfertigungszwängen auf einen gnädigen Gott hoffen), nur für die Andern gilt: Die Liebe deckt eine Menge Sünden zu. Das Jakobus-Wort, daß, wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums befreit, seine eigene Seele vor dem Tode rettet, schließt die Frage mit ein, wer ist dieser Sünder? Ist es nicht der gleiche, über dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel sein wird als über die 99 Gerechten?
(Adressaten: Christiane Dannemann, Michael Schwenn, auch Pfarrer Nieder, Antje Vollmer?)
Wenn ich die „objektive“ Analyse einer Sache durch die Erfahrung, die ich mit ihr gemacht haben, ersetze, so ist das der einzige Ausweg, über den ich die Sache selbst noch herauszubringen vermag.
Instrumentalisierung der Anklagepraxis durch die Bundesanwaltschaft (mit dem Ziel der Aussagenerpressung: Angebot der Kronzeugenregelung bei Birgit Hogefeld, Ermittlungsverfahren gegen Steinmetz, Anklage mit Kronzeugenangebot bei Frau Andrawes), dazu paßt die fiktive Anklage im Hogefeld-Prozeß (eine Anklage, die aus den gleichen Gründen, die dann zum Freispruch führten, eigentlich schon bei Prozeßeröffnung hätte zurückgewiesen werden müssen, die aber nur so ihren Zweck erfüllen konnte: die zwar nicht nachgewiesene, aber wegen der Freispruchs der Angeklagten auch nicht mehr revisionsfähige gerichtliche Feststellung, daß Wolfgang Grams den GSG-9-Beamten Newrzella erschossen hat). Steht nicht die Anklagepraxis der BAW, die ein Teil ihres Politikverständnisses ist, in einem so exzessiven Maße unter dem Zwang der Feindbildlogik, daß sie deren Reflexion schon vom Grunde her auszuschließen gezwungen ist?Adorno, Andrawes, Aristoteles, Ästhetik, Auschwitz, Bekenntnislogik, Benjamin, Dannemann, Feindbildlogik, Grams, Hegel, Heidegger, Hogefeld, Horkheimer, Inquisition, Justiz, Kafka, Kant, Lukacs, Lyotard, Möller, Nieder, Paranoia, Philosophie, Rosenzweig, Schwenn, Sprache, Steinmetz, Theodizee, Theologie, Vollmer -
4.11.1996
Zur Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins gehört das Bild des Fahrstuhls, der aus seiner Halterung sich losgerissen hat und in den freien Fall (in den Zustand gleichförmiger Beschleunigung) übergegangen ist. Die Bewegung dieses Fahrstuhls ist in seinem Innern, wenn der Blick nach draußen versperrt ist, nicht mehr wahrnehmbar. Sie ist allein daran zu erkennen, daß nur die reinen Trägheitsgesetze herrschen, während die Schwere aufgehoben zu sein scheint. Dieses Bild läßt sich ins Gesellschaftliche übersetzen, wenn man den Begriff der Schwere durch den der Schulderfahrung ersetzt und zugleich Ursache und Wirkung austauscht: Der Versuch, eine Gesellschaft zu konstruieren, in der es gelingt, die Schulderfahrung und ihre Reflexion (die mit der Fähigkeit, in den andern sich hineinzuversetzen, logisch verknüpft ist) endgültig auszuschließen, wird auf ein Modell hinauslaufen, das dem des fallenden Fahrstuhls aufs Haar gleicht. Nur: Diese Welt, deren Modell eine Welt ist, die von den reinen Marktgesetzen beherrscht ist, wird eine vom Feindbilddenken verhexte Welt sein.
Ist nicht die Sprache, und in ihr die Kraft, in einen andern sich hineinzuversetzen, die nur in der Sprache gründet, der Beweis für die Idee der Auferstehung der Toten?
Die Bundesanwälte wie auch die Richter in den RAF-Prozessen werden sicher gut schlafen: es gelingt ihnen, auch noch die Alpträume, von denen sie eigentlich selbst heimgesucht werden müßten, auf andere zu verschieben.
Dieser Prozeß bringt ein bis oben mit Tränen angefülltes Faß zum Überlaufen.
Erkenntniskritische Einrede wider den „Rechtsstaat“: Schuld ist kein Gegenstand des Wissens.
Täterstrafrecht ist Schuldrecht und ein Feindrecht, während das Strafrecht selber seiner eigenen Logik nach eigentlich nur auf Handlungen, auf Taten sich beziehen läßt (der Schuldspruch gilt der Handlung, nicht der Person). Mit der Einbeziehung des Täters ins Strafrecht wird zwangsläufig zugleich die Gemeinheit aus dem Kreis der Straftatbestände ausgeschlossen. Der Begriff und die Gestalt des Angeklagten gehört zu einem Strafrecht, das eigentlich nur auf Handlungen sich bezieht. Im Täterrecht, das auch die Gesinnung zu einem strafrechlichen Tatbestandsmerkmal macht (das apriorische Objekt des Täterrechts ist der Mörder), wird der Angeklagte tendentiell zum Feind: zu einem Objekt, das durch seine Tat sich selbst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen hat, und für das die moralische Hemmung, die der Manifestation von Gemeinheit im Wege steht, eigentlich nicht mehr gilt. Der Antisemitismus ist eine hypertrophe Form des Täterstrafrechts.
Eine der Interpretationen der letzten Satzes des Buchs Jona wäre, daß am Ende die Barmherzigkeit auch die Unbarmherzigen, die nicht wissen, daß sie es sind, ergreift.
Spenglers Bemerkung, daß die Musik in der modernen Welt die Stelle einnimmt, die in der alten Welt die Statue eingenommen hat, ließe vielleicht sich so erläutern, daß die Erstarrung, die damals (in der Statue wie im Namen des Heros) die Menschen ergriffen hat, heute die Welt ergreift, und die Musik das Aufbegehren dagegen ausdrückt. Gibt es nicht heute schon eine Musik, die nur noch gegen die Wände antrommelt?
Hat nicht der Begriff der Liebe, wie er dann (unter Ausschluß der Außenwelt und unter Verdrängung der Idee der Barmherzigkeit) in die christliche Tradition eingegangen ist, etwas von dem – mit der gleichzeitig entstandenen Bekenntnislogik verknüpften – Affekt, der die Menschen unter der Gewalt eines gemeinsamen Feindbildes aneinander bindet, ein Affekt, der heute beginnt, als Begleitaffekt der Komplizenschaft sich zu enthüllen? Steht nicht die Geschichte vom barmherzigen Samariter gegen genau diesen Affekt? Eine Liebe, die nur auf den Nächsten geht, und nicht auch auf die Ausgegrenzten und den Feind (auf die Armen und die Fremden), hat diesen Namen nicht verdient.
Die jüngste Version der kantischen Antinomien der reinen Vernunft ist die, die im Blick auf die Nazis sich zeigt: Das, was sie getan haben, darf nicht ungesühnt bleiben, aber reproduziert sich in dem Urteil und in der Strafe, die wir über sie verhängen, nicht der Faschismus selber (wie der Raum in der Vorstellung seiner unendlichen Ausdehnung)?
Das Bekenntnis des Namens Gottes (nicht das Bekenntnis zu Gott: der Tempel war nicht das Haus Gottes, sondern das Seines Namens) würde, wenn wir endlich begreifen, was das heißt, die subjektiven Formen der Anschauung sprengen und der Sprache die Kraft des Sehens zurückgeben. Das hat einmal in den Bildern der prophetischen Utopie sich ausgedrückt (in dem Begriff des Gotterkennens, des Geistes, der die Erde erfüllen wird, und in der Ersetzung des steinernen durch das fleischerne Herz).
Das letzte Opfer wäre das des transzendentalen Subjekts, aber war das nicht schon in den biblischen Tieropfern eigentlich gemeint? In einer Sprache, die der erkennenden Kraft des Namens mächtig (und deren innere Triebkraft die Barmherzigkeit) wäre, bedürfte es des transzendentalen Subjekts nicht mehr.
Der Übergang vom confiteri und von der confessio zum Bekennen und zum Bekenntnis ist der Übergang von der Ohnmachtserfahrung zur bewußten und intendierten Identifikation mit dieser Ohnmacht, die, anstatt im Symbolum den Funken der Hoffnung, im Bekenntnis nur noch ihre Rechtfertigung sucht. Hier ist die Erinnerung an die Umkehr getilgt. Der moderne Bekenntnisbegriff ist das Siegel auf den subjektiven Formen der Anschauung (das Siegel der Orthogonalität), das Gegenteil der Siegel, mit denen einer kabbalistischen Tradition zufolge die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind.
Das Feuerwerk von Ideen, die nicht mehr zum ruhigen Licht der Sonne, die den Tag erhellt, sich zusammenschließen wollen.
Hören und Sehen: Was haben der Hahn und der Morgenstern gemeinsam? Gibt es nicht im Sohar eine Stelle, wonach der Hahn die Dämonen der Nacht vertreibt?
Wenn die Gebete der Heiligen in der Apokalypse im Bilde des Rauchs, der zum Himmel aufsteigt – ein angenehmer Geruch für Gott -, symbolisiert werden, verweist das nicht auf die innerste Intention des Gebets, in Gott die Kräfte der Erinnerung wachzurufen, die an den Geruch sich anschließen? Das diffamierende antisemitische Bild der jüdischen Nase diente unter anderem auch dazu, das Eingedenken mit einem wirksamen Tabu zu belegen.
Wer nicht fähig ist, in einen anderen sich hineinzuversetzen, wird sich selbst nicht begreifen.
Aufmerksamkeit ist einmal das „natürliche Gebet der Seele“ genannt worden. Ist Aufmerksamkeit nicht die vielfach eingeübte, dann spontan gewordene Fähigkeit, in den Andern sich hineinzuversetzen? Zur Einübung dieser Fähigkeit gehört insbesondere der Widerstand gegen Geschwätz und Gerücht.
Auch die Erkenntnis der Dinge ist durch die Reflexion des Andern, durch die Fähigkeit, in andere sich hineinzuversetzen, vermittelt. Deshalb ist der der Wissenschaft zugrundeliegende Erkenntnisbegriff, der an der intentio recta sich orientiert, reflexionsbedürftig. Die subjektiven Formen der Anschauung sind das bloße Alibi für diese intentio recta, ein Intrument der Verhinderung der Reflexion.
Gott ist niemals Objekt, und die theologische Bedeutung des Gottesnamens liegt darin, daß er daran erinnert, daß Gotteserkenntnis des Mediums der Sprachreflexion bedarf. -
3.11.1996
Wie hängt das Problem des apagogischen Beweises mit der Logik der Instrumentalisierung (des „Seitenblicks“ und der Fähigkeit, rechts und links zu unterscheiden) zusammen? Gründen die Probleme, in deren Zusammenhang für Kant der apagogische Beweis zum Problem wird, in der doppelten Instrumentalisierung (der Instrumentalisierung der instrumentalisierenden Gewalt durch die subjektiven Formen der Anschauung), und hängen sie nicht mit der Konstituierung der drei Totalitätsbegriffe (der Begriffe des Wissens, der Natur und der Welt, die in der kantischen Vernunftkritik erstmals rein hervortreten), mit deren Hilfe sie gegen die Reflexion sich abschirmen, zusammen? Und ist nicht die Reversibilität aller Richtungen im Raum (derzufolge jede Richtung in die gleiche schlechte Unendlichkeit, ins gleiche nihil, führt) das Modell, an dem der apagogische Beweis (und durch ihn hindurch der Hegelsche Begriff der Dialektik) sich orientiert? – In diesem Zusammenhang gewinnt die kantische innere Differenzierung des nihil, des Begriffs des Nichts (in der Anmerkung zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe, Kr.d.r.V., Insel-Ausgabe, S. 267ff), eine hochsignifikante Bedeutung.
Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum erzeugt den Schein der Gleichheit von Anklage und Verteidigung im Rechtsstreit und verdrängt das Herrschaftsmoment, an das der deutsche Titel Staatsanwalt so deutlich erinnert, und das in Staatsschutzprozessen zu der Situation führt, die Birgit Hogefeld mit dem Satz „die Bank gewinnt immer“ aufs genaueste bezeichnet hat. Aber wird dieser Schein nicht schon durch die Beziehung des Begriffs zum Objekt, in der die herrschaftsmetaphorische Zuordnung von Oben und Unten eindeutig festgelegt ist, widerlegt, während doch zugleich der Materialismus oder das Postulat vom Vorrang des Objekts von der Hoffnung lebt, daß die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert? Und ist nicht das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum (und damit die subjektive Form der äußeren Anschauung selber, die darin sich ausdrückt) der Grund, aus dem die Feindbildlogik hervorgeht, und das Konstrukt, in dem sie zugleich sich vollendet, sowie die Verkörperung der logischen Struktur, die die Herrschaftsbeziehung von Begriff und Objekt begründet und sie zugleich verstellt, als Herrschaftsbeziehung unkenntlich macht? Löst sich nicht in dieser Konstellation das Problem der kantischen Antinomien und des apagogischen Beweises, damit aber das Problem der Beweislogik überhaupt? Diesen Knoten aufzulösen wäre eine der Hauptaufgaben der Philosphie, die dann aber sich nicht wundern darf, wenn sie in der Theologie sich wiederfindet.
Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum leugnet den Tod und macht ihn irreversibel zugleich (darin gründet die Logik der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit). Schließt nicht die Idee der Unsterblichkeit der Seele, die in diesem Prinzip gründet, die Vorstellung mit ein, daß sie für die Toten nicht gilt, und liegt nicht ihr Haupteffekt in der Leugnung der Idee der Auferstehung, die sie nach außen zugleich dementiert? Hier liegt die fast unüberwindbare Hemmung, die der Lösung des Problems der Raumvorstellung sich entgegenstemmt. Das Prinzip der Reversibilität aller Richtungen im Raum ist der fast nicht mehr aufzuhebende Grund der Irreversibilität der Zeit, und die Außengrenze, die der Raum für mich definiert, ist eine Grenze zur Vergangenheit, die nur ich nie überschreiten werde, während alle andern sie bereits überschritten haben, für mich schon tot sind (sic, B.H.). In dieser Konstellation gründet das Problem des apagogischen Beweises und seine Lösung (vgl. hierzu die kabbalistische Tradition, daß die sechs Richtungen des Raumes auf göttliche Namen versiegelt sind, auch die Gestalt der Maria Magdalena und die Geschichte von ihrer Befreiung von den sieben unreinen Geistern).
Das Canettische Bild vom Sieger, der als letzter Überlebender auf einem Riesenleichenberg steht, ist das genaueste Symbol der Logik der subjektiven Formen der Anschauung. Die Form der äußeren Anschauung ratifiziert an den Dingen, was in der Form der inneren Anschauung, in der Vorstellung des Zeitkontinuums, vorgebildet ist: die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit, die Konstituierung des Totenreichs, über das der Anschauende starr, sprach- und empfindungslos als einziger sich erhebt. Durch die Subsumtion der gesamten Zukunft unter die Vergangenheit (die den Begriff des Wissens begründet) mache ich mich selbst zum Sieger, der alle überlebt; und das ist die der Idee der Unsterblichkeit der Seele zugrunde liegende Vorstellung, die als eine ihrer Konstituentien den Widerspruch gegen die Idee der Auferstehung der Toten in sich enthält. Heideggers Hinweis, daß wir den Tod nur als den Tod der anderen erfahren, nie als den eigenen, gründet in dieser Logik, deren Bann allein durch den Levinas’schen Hinweis auf die Asymmetrie, die den Anderen als Medium der Selbsterkenntnis ins Blickfeld rückt, sich auflösen läßt.
Die subjektiven Formen der Anschauung, in denen die richtende Gewalt, die sie für die gesamte Objektwelt repräsentieren, zugleich gegen das richtende Subjekt sich erstreckt, sind der Beweis des Satzes „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“.
Die subjektiven Formen der Anschauung sind der blinde Fleck in der Ursprungs-, Entfaltugns- und Durchsetzungegeschichte der Marktgesetze.
Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren: Der richtende Blick erfährt sich selbst im richtenden Blick des Andern, und d.h. als nackt.
Gehört nicht zu dieser Problem-Konstellation aus Logik der Gemeinheit, Beweislogik, Feindbildlogik auch das der Beziehung des Rechts zum Staat, daß insbesondere ein Recht, das sich zum Organ des Staates macht, indem es die Selbstreflexion des Staates, in dessen Logik seine eigene Ursprungsgeschichte beschlossen ist, grundsätzlich ausschließt, damit die Idee der Gerechtigkeit selber tangiert? Die Instrumentalisierung des Rechts, die im Hogefeld-Prozeß am gesamten Beweisverfahren, insbesondere aber an der (Nicht-)Behandlung des Gesamtkomplexes Bad Kleinen sich demonstrieren läßt, läßt keine andere Wahl.
Wenn die RAF zum Symbol für das grundsätzliche und generelle Verbot, in den Angeklagten sich hineinzuversetzen und damit die Selbstreflexion des Staates in den Prozeß der Urteilsfindung mit hereinzunehmen, wird, dann kann sie nur noch unter der Bedingung zum Objekt des Rechts gemacht werden, daß das Recht auf die Idee der Gerechtigkeit keine Rücksicht mehr nehmen darf, daß es aus dem Bereich, in dem Gerechtigkeit allein möglich wäre, sich verabschiedet. Wenn das Recht, wie im Bereich der „Staatsschutz-Verfahren“, dem Staatsinteresse sich unterordnet (wenn der „Staatsanwalt“ nicht mehr Partei ist, sondern Herr des Verfahrens wird), dann wird es zu einem reinen Machtinstrument, und das ist in RAF-Verfahren geradezu sinnlich wahrnehmbar. Die besonderen Haftbedingungen derer, die Objekte solcher Verfahren sind, – und zu diesen Haftbedingungen gehören nicht nur die physischen Haftbedingungen, die Isolationshaft und die rigorose Einschränkung aller Beziehungen zur Außenwelt, zu Angehörigen und Freunden, sondern auch die damit zusammenhängenden Einschränkungen der Möglichkeiten der Verteidigung und der Verteidigerrechte (Beispiele: der vorenthaltene Text einer Rede Carlchristian von Braunmühls – Begründung: sie sei nicht wegen des Mordes an von Braunmühl angeklagt, der Zusammenhang mit der Anklage wegen Mitglieschaft in der RAF, der in anderem Zusammenhang als Beweismittel mit verwandt wurde, wurde schlicht verdrängt; dazu gehört die Ausgrenzung des Gesamtkomplesxes Bad Kleinen, die Ablehnung unabhängiger Gutachter sowie die – durch den Tenor des Senatsbeschlusses offen diskriminierende und beleidigende – Ablehnung des Antrags eines katholischen Pfarrers auf Genehmigung eines von der Angeklagten gewünschten seelsorglichen Gesprächs; zum Gesamteindruck dieses Prozesses gehört es, daß alles, was nicht in die vorprogrammierte Beweisführung <in das Verfahren der Konstruktion eines synthetischen Urteils apriori> hineinpaßte und zur Entlastung der Angeklagten hätte beitragen können, rigoros ausgegrenzt wurde; der geradezu wütende Verurteilungswille beherrschte den ganzen Verlauf des Verfahrens). Auch wenn vor dem endgültigen, rechtskräftigen Urteil grundsätzlich die generelle Unschuldsvermutung gilt, die realen Folgen, die der Verdacht für den Angeklagten hat, haben die massive und irreversible Qualität einer Vorverurteilung und einer präventiven, das offenbar schon feststehende Urteil vorwegnehmenden Strafe.
Wie es scheint, waren für die Ablehnung von Anträge der Verteigung drei Gesichtspunkte maßgebend:
– der ungestörte Ablauf der vorprogrammierten Beweisführung,
– die Ausgrenzung jeder Reflexion des Selbstverständnisses der Angeklagten und
– die Eingrenzung des Verfahrens auf das einen reinen Kriminalprozesses.
Im Hogefeld-Prozeß, in dem jedem, der die Dinge verfolgt hatte, klar war, daß ernsthafte Störungen des Prozesses nicht zu erwarten waren, liefen die Begleitumstände gleichwohl nach den üblichen, ebenso massiven wie diskriminierenden Methoden ab, vom Transport der Gefangenen mit Blaulicht und Martinshorn bis zu den Eingangskontrollen der ProzeßbesucherInnen. Und das nicht nur aufgrund der behördenüblichen Trägheitsgesetze, sondern, wie vermutet werden darf, auch wegen der durchaus beabsichtigten Öffentlichkeitswirkung dieser Verfahrensweisen. Das hat zur Stabilisierung des Klimas beigetragen, in dem dieser Prozeß und sein Verlauf allein möglich war.
RAF-Prozesse dienen nur noch der Herrschaftssicherung; dazu braucht man zwar Angeklagte, die aber sollten tunlichst nicht durch Reflexion den Zweck des Verfahrens, in dem sie nur Geisel sind, stören. Hier geht es um Wichtigeres: Hier werden Instrumente auf ihre Brauchbarkeit getestet, die eines Tages auch zur Erledigung anderer Aufgaben, die man offensichtlich auf sich zukommen sieht, brauchen wird; dann nämlich, wenn das Umverteilungsprojekt auf die Hilfe der Justiz angewiesen sein wird.
Nach Hegel ist die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug, der Armut und der Entstehung des Pöbels zu steuern. Nachdem der Westen bisher die Armut in die Dritte Welt hat exportieren können, scheint dieser Markt jetzt gesättigt, und der Reimport der Armut, der mit der weltweiten Ausdehnung der Marktgesetze, dem Zerfall und der Verrottung der politischen (staatlichen) Souveränität, der fortschreitenden Ersetzung politischer Entscheidungskräfte durch Verwaltungseinrichtungen einhergeht, beginnt. War es bisher notwendig, den Reichtum mit dem militärischen Droh- und Vernichtungspotential nach außen zu schützen, wird es möglicherweise schon bald sich als notwendig erweisen, ihn gegen die fehlende Einsichtsfähigkeit der eigenen Bevölkerungen auch nach innen zu verteidigen. Hierzu bedarf es anderer Einrichtungen, deren Brauchbarkeit und Effizienz bisher vor allem in den Auseinandersetzungen um wirtschaftliche und militärische Großprojekte, die gegen den Willen der betroffenen Bevölkerungen durchgesetzt werden mußten, aber auch in der Terrorismus-Bekämpfung, in der die RAF als nützliches Testobjekt sich erwiesen hat, erprobt werden konnten. Jetzt gibt es ein erprobtes und schlagkräftiges Instrument, das man sich durch eine Angeklagte, auch wenn man ihr die Taten, deretwegen sie verurteilt werden soll, partout nicht nachweisen kann, nicht kaputtmachen läßt. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
Zur Ersetzung der Regierung durch Verwaltung, die mit dem ökonomischen Privatisierungsprojekt (mit der Ersetzung nationalökonomischer Prinzipien und Kriterien durch betriebwirtschaftliche) zusammengeht, gehört auch ein Strukturwandel in der Justiz, der dahin tendiert, dem Verwaltungsrecht, das ein Subsumtionsrecht, ein Recht des bestimmenden, nicht des reflektierenden Urteils ist, sich anzugleichen. Es ist dieses Subsumtionsrecht, für das dort, wo das gerechte Urteilen sich hineinzuversetzen hätte, nichts mehr ist. Hier ist der Staatsschutz ein Vorreiter, der das Selbstverständnis des Angeklagten vom Grunde her ausgrenzen zu müssen glaubt, mit der Folge, daß diese Prozesse unter dem Zwang, als reine Kriminalprozesse geführt zu werden, zu politischen Prozessen werden: Sie sind Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses, der in der Ökonomie wie in der Politik selber auf eine fortschreitende Entpolitisierung, auf eine schleichende Erosion der politischen Logik hinausläuft, auf ein Ausblenden dessen, was als Reflexionsfähigkeit einmal als Grundlage der politischen Freiheit begriffen worden ist.
Das Faszinierende am Hogefeld-Prozeß war die Wahrnehmung, daß es hier der Angeklagten erstmals gelungen ist, durch eine Reflexion, die auch das Verfahren mit einbezog, aus dem Bann der Logik, die dieses Verfahren beherrscht, auszubrechen, ihn für sich selber zu brechen. Daß dieser Akt auf Seiten des Gerichts nur Abwehrmechanismen wachruft, war zu erwarten, und es ist zu befürchten, daß das auch aufs Urteil sich auswirken wird. Aber könnte es nicht sein, daß dieses Gericht genau dadurch, daß es die Dehnbarkeit der Grenzen des Rechststaats nicht mehr einzuschätzen vermag, den Bogen überspannt, damit aber diesen ganzen Bereich in ein Licht rückt, in dem er nackt dastehen wird, in dem erstmals erkennbar wird, was hier passiert?
Die RAF hat bisher auf die Probleme, vor die sie sich gestellt sah, nur mechanisch reagiert. So hat sie, ohne es zu wissen oder gar zu wollen, ihrem Widersacher in Hände gearbeitet. Grund war die Feindbildlogik, in deren Netze sie seit ihren Anfängen sich verstrickt hat. Diese Feindbildlogik ist Teil einer Logik, in deren Herrschaftsbereich – nach einer wie ein Blitz einschlagenden Formulierung Birgit Hogefelds – die Bank immer gewinnt. Es wäre nicht nur im ureigensten Interesse der RAF, wenn sie endlich die Reflexionsfähigkeit gewinnen würde, deren erstaunliche Anfänge hier, bei Birgit Hogefeld, wahrzunehmen sind.
Diese Reflexionsfähigkeit ist im Falle Birgit Hogefelds der Beweis, daß das Urteil, wie es auch ausfallen wird, nur ein Fehlurteil sein kann, daß nicht sein Objekt, das vom Urteil nicht getroffen wird, verurteilt wird, sondern das Gericht, das – wie so viele in diesem Lande – nur seine ihm von den Verhältnissen auferlegte Pflicht tut, dabei aber nicht mehr weiß was es tut, mit diesem Urteil sich selbst verurteilt. Nur wenn es selber reflexionsfähig gewesen wäre, hätte dieses Gericht sich selber durch das einzig gerechte Urteil, das möglich war, freisprechen können.
Hegels Philosophie beschreibt nicht nur die Stationen auf dem Wege des Weltgeistes, sondern auch das Ende des Weges, an dem der Weltgeist sein Ziel erreicht hat. Was danach kam, läßt sich eigentlich nur noch unter dem Stichwort des Endes des Weltgeistes, seiner Selbstzerstörung, beschreiben. Das Ende des Weltgeistes ist das Ende der Geschichte, die das Weltgericht ist, das hiernach nicht mehr über die Geschichte, sondern erstmals über den Richtenden selber ergeht. Das Ende des Weltgeistes ist das Ende der richtenden Gewalt, die er verkörpert.
Wer Billardkugeln, die Objekte der Mikrophysik und die Sternenwelt unter ein gemeinsames Gesetz bringt, ist ein Agent Beelzebubs, dessen Reich nur besteht, wenn es nicht mit sich selbst uneins ist. Die Angst vor dem Zerfall der Identität ist die Angst Beelzebus, des Herrn der Fliegen, eine Angst, die zu den Konstituentien des Insektenstaats gehört. Die Einheit des gemeinsamen Gesetzes, das die drei Sphären mit einander verbindet, wäre auf zwei Wegen zu sprengen: durch die Reflexion des Falls und durch die Reflexion des Feuers. Die Ansätze hierzu liegen vor in den beiden Relativitätstheorien Einsteins, in dem Theorem der Identität von träger und schwerer Masse und im Prinzip der Konstanz der Lichgeschwindigkeit. Aber werden die Probleme, die den beiden Reflexionen zugrundeliegen, durch sie zu lösen wären, nicht aufs merkwürdigste rerpäsentiert durch die beiden Seiten, die in den RAF-Prozessen sich gegenüberstehen: durch die Seite der Anklage und des Gerichts, und durch die der Angeklagten und RAF?
Der Fortschritt gegenüber den Hexenprozessen, mit dem RAF-Prozesse sich durchaus vergleichen lassen, scheint mir, liegt darin, daß die Beziehung sich umgekehrt hat: In den Hexenprozessen bezeichnet der Fall (der Sturz in den Fundamentalismus) den Ausgangspunkt und das Brennen (die Scheiterhaufen) die Folge, RAF-Prozesse spielen mit dem Feuer und eröffnen in ihm den Abgrund, in den sie selber dann hineinstürzen. Das Feuer, in dem das Gericht glaubt, die Angeklagten verbrennen zu können, bevor es sie verurteilt, wird es selbst ergreifen, wenn die Urteile zu Fehlurteilen werden.
Die erste und die zentrale Manifestation des Feuers, in dem „die Welt untergehen“ wird, war der Antisemitismus. Auch die Juden sind in Deutschland unter der Herrschaft der Judengesetze schon verbrannt worden, bevor man sie dem Abgrund überantwortet hat, dessen Verkörperung Deutschland war.
Der Urknall steht am Anfang, das schwarze Loch am Ende: Die Realsymbolik dieser Begriffe wird erkennbar, wenn man sie auf die Selbstzerstörung der Moral durchs Urteil bezieht (der verdorrte Feigenbaum).
Ist nicht der Antisemitismus „genial“ in dem Sinne, in dem Kant diesen Begriff definiert, nämlich als das Handeln der Natur im Subjekt? Wer das begreift, weiß, worauf Adornos Konzept des „Eingedenkens der Natur im Subjekt“ abzielte: durchs Eingedenken den Naturzwang zu brechen. Adorno meinte nicht das Mitleid mit den Tieren, das Habermas im Sinn zu haben schien, als er das Wort Adornos abänderte ins „Eingedenken der gequälten Natur im Subjekt“.
Hat die kantische Unterscheidung von bestimmendem und reflektierendem Urteil nicht etwas mit der von Wasser und Feuer (oder auch mit der Beziehung des Was zum Wer) im Namen des Himmels zu tun? Und verweist nicht das bestimmende Urteil, auf das die transzendentale Logik sich bezieht, auf die Sintflut, die die Welt überschwemmt hat, das reflektierende Urteil, die Manifestation der Urteilskraft, hingegen auf das reinigende und verwandelnde Feuer, in dem die Welt am Ende vergehen wird?
Wer den Versuch einer physiognomischen Beschreibung der Vertreter der Anklage und der Mitglieder des Senats unternehmen wollte, hätte mit Sicherheit einige Beleidigungsprozesse zu erwarten.
Das Zeichen des Jona: Kann es sein, daß die Flucht des Jona nach Tarschisch in der Angst vor den Folgen seines prophetischen Auftrags begründet ist, und ist nicht die ganze Geschichte des Christentums die Geschichte dieser Flucht?
Grundwerte und Prinzipien: Rückt nicht der Verfassungspatriotismus die Verfassung selber in die Logik des Feindbilddenkens (in die Bekenntnislogik, deren Symbol der Feigenbaum ist, der nur noch Blätter, keine Früchte mehr hervorbringt und am Ende verdorrt)? -
1.11.1996
Hat die Geschichte vom Traum des Nebukadnezar, den Daniel nicht nur auslegen, sondern zuvor selber erst rekonstruieren muß, da Nebukadnezar ihn vergessen hat, nicht etwas mit den versteinerten Verhältnissen (in denen das subjektive „Gewinnstreben“ vom objektiven Rentabilitätsprinzip abgelöst worden ist) zu tun?
Das Hebräische kennt zwar keinen Dativ, und d.h. kein Absolutes (und nur in dessen Kontext gibt es das „Gegebene“, auch einen Gott, den „es gibt“) wohl aber einen Stamm, ein Land und Menschen mit dem Namen Juda, von dem die „Juden“ ihren Namen haben. Juda aber heißt Dank. Israel kennt keinen Gott, der gibt, auch keinen Gott, den es gibt, nur den einen Gott, der fordert. Israel kennt keinen „lieben Gott“ und auch keinen „Herrgott“.
Dativ: Sind das transzendentale Subjekt, die Idee des Absoluten und der Staat durch den Dativ vermittelt? Hat der Dativ den Genitiv reversibel gemacht (und so das Neutrum begründet)? War der Dativ der Kristallisationskorn der veränderten Konjugationsformen (der Repräsentant des Seitenblicks und der Katalysator der Vergegenständlichung der Zeit)? Bezeichnet der Dativ die Grenze zwischen Welt und Natur (nach ihrer Trennung durch die Urteilsform)? Ist der Dativ der Kern der hypostasierenden und verdinglichenden Gewalt in der Sprache (Ursprung des Substantivs, Denkmal und Spur des verschwundenen Namens)?
Sind die Wege des Irrtums (auf die der Jakobusbrief verweist) nicht vorgezeichnet im Staat (in der Idee des Absoluten, die im Staat sich verkörpert: der Staatsanwalt ist der Anwalt dieses Absoluten, das nicht Gott ist, sondern der Schatten, den das Subjekt auf Gott wirft)?
Wenn Pferde scheuen, wenn sie durch eine Pfütze gehen sollen, hat das vielleicht etwas mit der Erinnerung an das Schilfmeer zu tun?
Feuer und Rasse: Sind Pferde das säkularisierte Feuer aus dem Namen des Himmels (das Modell jedes Rassismus), rührt daher nicht ihre Stellung in den Apokalypsen? Ist Reiten der Versuch, das Feuer zu domestizieren? War in St. Peter die Figut eines reitenden Papstes? Es gab sehr wohl (und das mehrfach) Pferde, die dem Wasser sich entrangen, aus ihm emporstiegen (ein, wie mir scheint, in dieser Gestalt sehr barockes und zugleich päpstlich-kirchliches Symbol). Die Griechen kannten Zentauren und den Pegasus. Mohammed ist zu Pferd gen Himmel aufgefahren, aber wie war es mit dem Elias?
Das Rind, dem das Joch auferlegt wird, frißt Gras (ebenso Behemoth und Nebukadnezar). Auch Hitler war Vegetarier, und Kain opferte die Früchte des Feldes.
Liegt nicht der schärfste Einwand gegen die habermas’sche Kommunikationstheorie in der Frage, ob ein herrschaftsfreier Diskurs überhaupt möglich ist? Wenn er möglich ist, dann nur im Zusammenhang der Reflexion von Herrschaft (der Auflösung der verblendenden Gewalt des Herrendenkens). Auch hier gilt der Satz, daß, wer nicht in den Angeklagten (ins Objekt, in die, die unten sind: in die Armen und die Fremden) sich hineinzuversetzen vermag, nicht mehr fähig sei, gerecht zu urteilen. Ein gerechtes Urteil wäre eins, in dem der Angeklagte (das durch den Akkusativ vermittelte Objekt) sich wiederzuerkennen vermag. Dem hat das positivistische Rechtsverständnis, eine Art zu richten, die den kantischen Unterschied zwischen bestimmendem und reflektierendem Urteil nicht mehr kennt, den Boden entzogen. Diese Konstellation ist vorgebildet und beim Namen genannt im deutschen Titel des Staatsanwalts.
Der Verfassungspatriotismus macht die Verfassung zu dem, was sie ihrer eigenen Intention zufolge nicht sein darf: zu einem puren Bekenntnis. Man könnte sagen: Seit es den Verfassungpatriotismus gibt (den Radikalen-Erlaß und das Bekenntnis zur FdGO), ist die Verfassung zu einem Schutz der Verfassung vor sich selber, zu einer Waffe gegen ihre eigenen Grundsätze, geworden. Das Bekenntnis zu einer Sache destruiert ihren imperativen Gehalt. Seitdem gibt es die ebenso folgenlosen wie verhängnisvollen „Werte“, das Ferment der Selbstzersetzung der Moral.
Es gibt nur einen Fall, in dem ein Jahrzente überdauerndes folgenloses Bekennen dann doch zu einer Art Realisierung führte: den der Deutschen Einheit, die sich einmal als Fall erweisen wird. Seitdem gilt Kohl, der seit je alle Probleme durch Aussitzen erledigte, als großer Staatsmann. Und seitdem beginnt eine ganze Nation, ihre Probleme nur noch auszusitzen. Dieser Arsch mag Ohren haben (mit denen er gleichwohl nichts mehr hört), er hat keine Augen mehr. Er ist nur noch auf sein Inneres gerichtet, und was er da wahrnimmt, ist Sch…
Beitrag zur politischen Logik heute: Ist nicht die Logik des folgenlosen Bekennens und des dazugehörigen Aussitzens auch eine Gefahr für die politische Kritik, die von der Reflexion sich verabschiedet hat; gehören in den gleichen logischen Kontext nicht auch die Sitzblockaden (die dann ebenso akausal und aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß genommen haben, zu einem „Ergebnis“ geführt haben wie die „Wiedervereinigungspolitik“)? Waren diese Sitzblockaden nicht der genaueste Reflex des Aussitzens, dessen Logik auch keiner begriffen hat? Und gibt es schließlich nicht eine gesellschaftslogische Beziehung des Aussitzens und der Sitzblockaden zu den Formen der juristischen Bekämpfung des Terrorismus, die ebenso phantasie- und reflexionslos sind, insbesondere zur Logik der „Isolationshaft“ (zusammen mit den mehrfach lebenslänglichen Haftstrafen, die, außer in einem antinomischen, in keinem rationalen Verhältnis zu dem juristisch an sich geforderten individuellen Nachweis der Beteiligung an den terroristischen Taten stehen)? Steht nicht die „Wiedervereinigungspolitik“ in der gleichen antinomischen Beziehung zu ihrem „Ergebnis“, das anderen Ursachen sich verdankt, wie die Sitzblockaden zum Abzug der Raketen und die Strafen in RAF-Prozessen zu den Beweisverfahren, auf deren Grundlage sie verhängt werden? Sind nicht die Demonstrationen und Sitzblockaden und die polizeilichen und juristischen Reaktionen darauf, die Isolationshaft und die mehrfachen lebenslänglichen Freiheitsstrafen, mit denen in diesem Lande der Terrorismus bekäpft wird, die Kehrseite der Politik des folgenlosen Bekennens und des Aussitzens, einer Politik der unschuldigen, sich selbst exkulpierenden Gewalt?
Demonstrationen: die Wallfahrten des ritualisierten Widerstands.
Findet die Beziehung der Politik der Bundesregierung zu ihrer kriminalpolitischen Durchsetzung nicht ihre erschreckende typologische Parallele in der Beziehung der Protagonisten der Deutschen Bischofskonferenz: in der Beziehung von Lehmann und Dyba? Verdiente der logische Zusammenhang des folgenlosen Bekennens mit dem gewalttätigen Aussitzen der Probleme (das innerkirchlich in der Fixierung auf die sexualmoralischen Themen sich anzeigt und an deren herrschaftslogischer Rekonstruktion sich demonstrieren ließe) nicht auch eine ernsthafte theologische Analyse?
Hat nicht das Aussitzen mit der Sphäre zu tun, die in Psychoanalyse mit dem Analen näher bezeichnet wird? Hierher gehört sowohl die psychoanalytische Geldtheorie wie auch die Theorie der Paranoia.
War nicht die Geschichte der ägyptischen Plagen und die der Verhärtung des Herzens Pharaos das genaueste symbolische Modell des Aussitzens? Der Pharao, zu dem diese Geschichte gehört, war der, der Joseph, die Ursprungsgeschichte seiner ökonomischen Macht, nicht mehr kannte.
Hat der Vater Jesu, dieser andere Joseph, und zwar nicht nur durch seinen Namen, etwas mit dieser Ursprungsgeschichte von Herrschaft zu tun, und hängt die merkwürdige Rolle, in die die Väter in den Evangelien gerückt werden, nicht mit dieser Erinnerung zusammen? Hat nicht Jesus mit dem Gottesnamen Vater (mit dem er seinen eigenen messianischen Titel begründet) alle anderen Väter verdrängt?
Reicht nicht das Beelzebub-Motiv vom Reich, das zerfällt, wenn es mit sich selbst uneins wird, das sein apokalyptisches Echo in Off 1713.17 in der „einen Meinung“ findet, die die Könige, die von den zehn Hörnern des symbolisiert werden, charakterisiert, in den Kern des apokalyptischen Gedankens, der apokalyptischen Idee?
Sind die Planeten das Rätselbild des darin versteckten und verwirrten Baums des Lebens?
Gibt es nicht seit dem Ende des Nationalsozialismus eine fürchterliche Angst vor Schuldgefühlen, die die Menschen zur projektiven Verarbeitung aller Erfahrungen, die daran erinnern, zwingen? Der Nationalsozialismus hat noch in seinem Untergang ein Netz ausgeworfen, aus dem es kein Herauskommen mehr zu geben scheint. Mit diesem Netz fängt er selbst die noch ein, die glauben, sich als seine Gegner verstehen zu dürfen.
Haben nicht die indoeuropäischen Sprachen eine eingebaute logische Schutzvorrichtung, die ihre Reflexion erschwert, wenn nicht unmöglich macht, und ein rassistisches Selbstverständnis der „Arier“ fast erzwingt?
Ist der „Angriff auf den Rechtsstaat“, den Hubertus Janssen in diesem Gericht (im 5. Strafsenat des OLG Frankfurt) erkannte, nicht in der inneren Logik des Rechtsstaats selber begründet? Ist es nicht die Verwechslung von Recht und Moral, die das „gute Gewissen“, das das Recht erzeugt, tierisch macht (eine Verwechslung, die am Ende nur theologisch sich auflösen läßt)? Stammt nicht die exkulpierende Kraft jeder Empörung aus dem Bewußtsein des Rechts, aus dem sie sich herleitet? Der Heiligkeit des Rechts entspricht hierbei die Heiligkeit der Empörung (Heumann ist die reinste Verkörperung dieser „heiligen Empörung“, die zwangsläufig denunziatorisch ist). -
30.10.1996
Die Bekenntnislogik verdinglicht das Bekenntnis und macht den Bruch, auf den der Name des Symbolon noch hinwies, unkenntlich: Die Bekenntnislogik ist das Inertialsystem der Theologie (vgl. § 77 der Kr.d.U.).
Der Ausdruck „dingfest machen“ stammt aus dem Wortfeld des Thing und bezieht sich auf die Festnahme eines Beschuldigten. Ist in dieser Wortbildung nicht die Isolationshaft schon vorgebildet?
Unterscheiden sich Genitiv und Dativ wie Privateigentümer und Staat, und sind sie nicht wie diese aufeinander bezogen? Und hängt das grammatische Problem, das insbsondere Journalisten mit dem Gebrauch dieser Kasus haben, mit den objektiven Problemen des gegenwärtigen Stands der politischen Ökonomie zusammen (die im Kontext der objektiv gewaltsamen Durchsetzung der Marktmechanismen dahin tendiert, den Staat aus seiner Eigentümerfunktion zu entlassen)? Ist dieses grammatische Problem (und nicht nur dieses) nicht der Reflex eines politisch-ökonomischen Problems?
Kann es sein, daß BAW und Senat deshalb aus der Klemme, in die sie sich im Hogefeld-Prozeß selber hineinmanövriert haben, nicht wieder herauskommen, weil, wenn hier auch nur eine kleine Lücke sich auftut, mehr daraus hervorquellen wird als die Probleme dieses Prozesses?
Als in den Stammheim-Prozessen die Verteidigung zum „Hilfsorgan der Rechtspflege“ gemacht wurde, ist das Gericht zu einem Hilfsorgan der Bundesanwaltschaft geworden. Diese definiert seitdem, was Rechtspflege heißt.
Was mir nachträglich an der Marxismus-Rezeption der 68er (die keine Marx-Rezeption war) auffällt, ist, daß ein Thema völlig übersehen und dann verdrängt worden ist, das einzige Thema übrigens, das an die Notwendigkeit der Reflexion, das kantische Erbe in der marxschen Theorie, erinnert: das Problem des falschen Bewußtseins. Deshalb ist der Begriff der Ideologie, wie übrigens schon im Sowjetmarxismus, zu einem reinen Kampfbegriff geworden und die marxsche Theorie selber zu einem Herrschaftsinstrument. Der Begriff der Politik, der im Rahmen dieser Logik dann sich herausgebildet hat, war vom faschistischen fast nicht mehr zu unterscheiden, eine Mischung aus Ideologie, Machtpolitik und Propaganda. Hier wiederholt sich etwas, was im Christentum schon vor anderthalb Jahrtausenden das erste Modell des Selbstverrats vor Augen geführt hat: im Prozeß der Dogmatisierung, des Verrats der eigenen Ursprünge und Tradition durch Selbstinstrumentalisierung im Interesse der Partizipation an der Herrschaft und ihrer Absicherung von innen. Das dogmatische Christentum hat die erste Version des Zuges, der heute in den Abgrund rast, geliefert.
Im Dogma ist die Theologie verstummt und zu einem Instrument der Instinktregulierung des animalisierten Gesellschaftskörpers geworden (im Kontext dieses Vorgangs hat die „Sexualmoral“ ihre zentrale Funktion und Bedeutung gewonnen: als Urteilsmoral, nicht jedoch als das moralisch allein zu begründende Verbot, den Andern zu instrumentalisieren). Aber hat nicht Jona seine Sprache endgültig erst im Bauch des großen Fisches wiedergefunden?
Den Menschen ist die Sprache gegeben, auf daß sie denen, deren Leiden sonst stumm bleiben würden, zur Sprache verhelfen. Dämonisch ist die Sprache, die, was ohnehin unten ist, zusätzlich noch zur Stummheit des Objekts verurteilt.
Standort Deutschland: Unter dieser Parole droht das ganze Land zur Garnison der Industrie zu werden, und die Deutsche Bischofskonferenz bewirbt sich als einziges militärbischöfliches Amt, das die Moral der Truppe garantieren will.
Zum währungspolitischen Auftrag der Deutschen Bundesbank: Hat nicht die Stabilisierung der Währung etwas mit der Orthogonalisierung des ökonomischen Inertialsystems, des Referenzsystems der Wirtschaft, zu tun? (Ist die Bundesbank die Erbin der kaiserlichen Marine, die das Staatsschiff im wogenden Weltwährungsmeer „stabilisieren“ und auf Kurs halten soll?)
Kann es sein, daß Heide Platen, wenn sie in der taz von heute die „Prozeßbeobachterin“ erwähnt, die „zu Beginn der Verhandlung“ Birgit Hogefeld „Größenwahn, Realitätsverlust, Übersteigerung der eigenen Rolle, Wichtigtuerei und Selbstmitleid … vorgeworfen“ hat, damit von sich selbst in der dritten Person spricht? Diese Konstellation wäre, wenn sie zuträfe, ein wahrhaft erhellendes Modell journalistischen Selbstverständnisses heute. Journalisten sind ja nur „neutrale Beobachter“ dessen, wovon sie berichten, und keinesfalls haftbar zu machen für ihr dummes Geschwätz von gestern, zu dem eine immer punktueller und erinnerungsloser werdende Öffentlichkeit sich selbst und die Welt macht.
Wenn es überhaupt noch eine Rekonstruktion des autonomen Subjekts im Sinne der Aufklärung geben soll, dann wäre sie nur an der Stelle noch möglich, den der Satz: „Nur Gott schaut ins Herz der Menschen“, aufs genaueste bezeichnet.
Die Erklärung Birgit Hogefelds ist ein Modellfall der Erinnerungsarbeit. Wäre diese Aufarbeitung der eigenen und der Geschichte der RAF nicht auf die Geschichte insgesamt zu übertragen? Diese Erklärung liefert den Beweis, daß ihre Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus für sie nicht nur eine rhetorische Formel war.
Birgit Hogefeld: Nur wer rücksichtslos gegen sich selbst ist, hört auf, es gegen andere zu sein; wer seine eigene Ehre darein setzt, von den Mitteln der Abwehr, der Verdrängung, der Schuldverschiebung und der Projektion, mit einem Wort: von der Feindbildlogik keinen Gebrauch mehr zu machen.
Ist die Gleichzeitigkeit des Hogefeld-Prozesses und des Erscheinens des Buches von Daniel Jonah Goldhagen vielleicht doch providentiell?
Dieses Gericht hätte eine Chance, das Vertrauen in eine Justiz, deren Ziel die Gerechtigkeit ist, und die ihre Aufgabe nicht darin sieht, die Rachebedürfnisse zu befriedigen, die die Welt heute so massenhaft produziert, erstmals zu schaffen.
Was es mit dem „Insektenstaat“ auf sich hat, läßt an folgenden Assoziationen sich demonstrieren:
– an Reinhold Schneiders Reflexionen über Insekten in seinem schwärzesten Buch „Winter in Wien“;
– unterm Gesetz eines tiefsitzenden Rache- und Harmoniebedürfnisses landet das Interesse an Insekten bei den Bienen (der Vorsitzende des 5. Strafsenats am OLG Frankfurt, der den Hogefeld-Prozeß leitet, ist auch Vorsitzender des Deutschen Imkerbundes);
– am Stichwort Insektenforscher;
– am Stichwort Spinnenphobie;
– dazu am Beelzebul, dem Herrn der Fliegen, dessen Reich zefällt, wenn es in sich uneins ist.
Haben die Mücken, das Geziefer und die Heuschrecken in der Geschichte der „ägyptischen Plagen“ etwas mit dem Konstrukt „Insektenstaat“ zu tun (und gehört hierzu nicht auch die merkwürdige Verknüpfung der Heuschrecken mit den Pferden in apokalyptischem Zusammenhang, aber auch schon in in der Parallele der Heuschrecken-Plage zum Untergang der pharaonischen Streitmacht im Schilfmeer)?
Feindbild-Logik: Als Natur wird die Welt sich selbst zum Feind (schon bei Kant stehen Natur und Welt nicht idyllisch nebeneinander wie Lukacs‘ Grandhotel und der zugehörigen Abggrund).
Es gibt eine Feindbild-Symbiose; aber läßt sich dieses Konstrukt nicht auch umkehren: steckt im Kern jeder Symbiose die Feindbild-Logik (und verweist das nicht auf den mit der Trinitätslehre universal gewordenen imperativen Gehalt der dogmatischen Theologie)?
Die Umkehr, die unsere Theologie in eine Theologie im Angesicht Gottes verwandeln würde, hat ihr Modell nicht mehr an einer Drehung im Raum, sondern eher am Umstülpen, an einem Akt, durch den ein linker Handschuh in einen rechten sich umformen läßt. Steckt ein Hinweis darauf nicht in der Geschichte von der Buße Ninives, in der Verdopplung ihres Ausgangspunkt, der einmal beim Volk, das zweite mal beim König liegt?
Die Natur ist der Inbegriff des Unbewußten, ohne das es Bewußtsein nicht gibt. Sie ist der Mülleimer der projektiven Objekt-Beziehung, die das Bewußtsein konstituiert.
Creatio mundi ex nihilo: Ist das Strafrecht der Versuch, im Konzept der Strafe jenes Nichts herzustellen, aus dem das Absolute, das im Staat sich verkörpert, die Welt erschafft? Die Logik des nationalsozialistischen Antisemitismus scheint in diesem Konstrukt zu gründen und ließe leicht aus ihm sich herleiten. Das Strafrecht ist eine Maschine, die die Todesfurcht erzeugt und verdrängt zugleich, indem es ihr die Chance verweigert, als Gottesfurcht sich zu begreifen (der Stern der Erlösung hat diese Beziehung der Todes- zur Gottesfurcht erstmals ins Licht gerückt).
Das Schwert, das die Wunde schlägt, heilt sie auch: Gilt das nicht für die Anwendung der Mittel der Objektivierung auf die Objektivationsgeschichte selber?
Wenn K. meint, daß die Schwarz-Weiß-Malerei der RAF doch nicht (wie es nach ihrem Eindruck Birgit Hogefeld tut) auf die RAF selber angewendet werden dürfe, so wäre dazu nur zu sagen, daß der Abgrund, den die Schwarz-Weiß-Malerei erzeugt, leider nur mit den Mitteln der Schwarz-Weiß-Malerei sich zeigen läßt. Hier gibt’s keine Grautöne und keine Farben mehr. Der Abgrund ist das Schwarze Loch. Wer der Gegenseite sich anpaßt, von ihrer Logik sich anstecken läßt, stärkt sie nur.
Zur Theorie des Feuers: Die Hölle, ist das nicht ein Produkt der Verkörperung und Totalisierung des „hinter dem Rücken Gottes“, das im Angesicht Gottes sich auflösen, im Leuchten Seines Angesichts in Licht sich verwandeln wird? Wer vorher schon die Hölle leugnet, ist ihr bereits verfallen. Die Hölle wird bestehen „per omnia saecula saeculorum“, was nicht heißt: in alle Ewigkeit, sondern in aller Weltzeit. Wer die Hölle leugnet, leugnet die Erinnerung, und ein Verfahren dieser Leugnung ist das Verfahren der Vergegenständlichung ihres Objekts: die Historisierung.
Wenn das Feuer im Namen des Himmels das Wer symbolisiert, ist dann nicht die Hölle ein Symbol der Unerlöstheit Gottes? Löst sich dann nicht mit der Selbsterlösung Gottes auch der Feuerpfuhl, nachdem der Drache, die Tiere und der Tod ihm überantwortet worden sind: in der Erkenntnis des Gottesnamens und im Leuchten Seines Angesichts?
Das falsche Bewußtsein ist eine Folge der Verdrängung der Vergangenheit, nur: auch durch Historisierung ist die Vergangenheit zu verdrängen. Deshalb haben deutsche Historiker den Goldhagen als Angriff erfahren.
Der letzte, heute vielleicht allein noch mögliche „Gottesbeweis“ wäre der, der aus der Einsicht in die Unmöglichkeit einer ursprünglichen Vergangenheit sich ableiten ließe. Gäbe es eine ursprüngliche Vergangenheit, dann müßten alle Blätter eines Baumes einander gleich und mathematisch rekonstruierbar sein, und es dürfte nur eine Tiergattung und eine Insektenart geben.
Hat nicht die Trinitätslehre Gott zu einem Gott gemacht, der wegsieht (zu einem autistischen Gott), und ist das nicht der bewußtlose imperative Gehalt dieser Theologie, die in ihren Gnaden- und Rechtfertigungslehren dieses Wegsehen zum Kern ihrer Lehre von der Sündenvergebung gemacht hat? Auch hier gilt die Levinas’sche Asymmetrie: Wegsehen darf allein das Opfer, nicht der Täter, darf der Andere, nicht ich.
Was unter anderem an unserer Theologie falsch ist:
– das Wegsehen,
– die Entsühnung der Welt (das Korrelat der creatio mundi ex nihilo),
– die Individualisierung des Seelenheils (so als habe es mit dem Zustand der Welt, mit der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, nichts zu tun),
– die Unfähigkeit, den ungeheuren Verdrängungsblock, der der Rezeption des Weltbegriffs sich verdankt und der in der Bekenntnislogik sich manifestiert, noch zu reflektieren,
– die Übersetzung des Begriffs Theologie mit „Rede von Gott“, die offensichtlich ein Theologie-Verständnis ähnlich stabilisieren helfen soll wie die Orthogonalität das Inertialsystem und die Bundesbank die Währung, den Geldwert.
Zur pharaonischen Verhärtung des Herzens: Das Problem der Theologie gleicht dem der fast unmöglichen Rekonstruktion des Raumes aus der Sicht und Erfahrung des Objekts (nicht des Subjekts, dem diese Sicht und diese Erfahrung apriori versperrt ist). Der Raum ist der Inbegriff des Schuldverschubsystems: Er exkulpiert das Subjekt, indem er die ganze Schuld aufs Objekt verschiebt, gleichsam die Levinas’sche Asymmetrie vom Grunde her leugnet. Die christliche Gnaden- und Rechtfertigungslehre, die Individualisierung der Sündenvergebung, die durch die Logik der subjektiven Formen der Anschauung automatisiert wird (und seitdem der Religion als Vermittlung nicht mehr bedarf), hat dem vorgearbeitet. In der säkularisierten Welt hängt die Sündenvergebung nicht mehr vom Sündenvergeben ab, nur noch vom Haben oder Nicht-Haben: Wer hat, dem ist schon vergeben (und der hat es nicht nötig zu vergeben), und wer nicht hat, dem kann auch nicht mehr vergeben werden (wer ist er überhaupt, daß er sich anmaßen könnte, uns zu vergeben, damit auch wir ihm vergeben?).
„Niemand kann zwei Herren dienen“: Wir haben das Sündenvergeben (die Erlösung) dem Geld überlassen. So ist das Geld unser Gott geworden: Es ist der Schöpfer einer durch es selbst entsühnten Welt, der Welt, in der wir leben, einer Welt, die alle schuldig spricht, die an der magischen Substanz des Eigentums nicht teilhaben. -
26.10.1996
Eine Überschrift in der FR von heute: „Grams-Eltern wenden sich an EU-Kommission“. Erst im Text heißt es dann korrekt, daß die Eltern von Wolfgang Grams (die keine „Grams-Eltern“ sind) vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg (die keine „EU-Kommission“ ist) Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben haben. Inzwischen scheinen nicht mehr nur in der BILD-Zeitung Überschriften auch dem Zweck zu dienen, den Text der Meldung, auf den sie hinweisen, zugleich zu vernebeln. Läßt sich nicht am vorauseilenden Gehorsam solcher „Versprecher“ der Zustand der Öffentlichkeit und die Existenz eines durch die Naturkräfte der Bewußtseinindustrie erzeugten und gesteuerten öffentlichen Unbewußten erkennen? Die Nazis hatten den Spruch: „Keiner soll hungern und frieren“, den der Volksmund dann so ergänzte: „Wer’s doch tut, kommt ins KZ“. Ist nicht mit der Verdrängung der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen auch die Wahrnehmungsfähigkeit verdrängt worden, die in dieser aufhellenden Ergänzung sich ausdrückte? Das Feindbild ist ein Naturheilmittel, weil es eine Naturkraft ist; es gehört zu den Konstituentien des Naturbegriffs selber, zu dessen sprachlichen Korrelaten der Name der Barbaren und das Neutrum gehören, und deren Logik in der Geschichte des Objektbegriffs und in der Konstituierung und Entfaltung der subjektiven Formen der Anschauung sich vollendet. Zielte nicht hierauf Adornos programmatisches Wort vom „Eingedenken der Natur im Subjekt“? Als das Christentum den Namen des Logos mit dessen griechischer Tradition in eins setzte, hat es sich in seinem Verhältnis zum Kreuzestod auf die Seite der Täter gestellt. Das war der Beginn der zweiten Kreuzigung, der Instrumentalisierung des Kreuzestodes durch die Opferthologie. Läßt das Christentum insgesamt als ein Akt des Tikkun sich begreifen, der Rettung durch Identifizierung mit dem Feind, einer Rettung, die durch den Verrat, den Abfall, hindurchmuß? War nicht die Bubersche „Begegnung“ eine Ersatzhandlung für das, was den Christen eigentlich notgetan hätte: die Reflexion der Naturkräfte, von denen das Christentum sich bis heute nicht hat befreien können? Das Dogma ist die Wahrheit, aber im Stande einer durch die Dogmatisierung (die Bekenntnislogik) verdrängten und ausgegrenzten Reflexion. Durch die Vorstellung einer „Teilhabe am innertrinitarischen Prozeß“, die die Theologie insgesamt verhext, ist der imperative Gehalt der Theologie, der allein eine Theologie im Angesicht Gottes zu begründen vermöchte, ästhetisiert und neutralisiert worden. So wurde aus der Nachfolge die imitatio, aus der Übernahme der Sünde der Welt deren Hinwegnahme, aus der Gottesfurcht die erbaulichen Formen der Frömmigkeit. Diese Vorstellung hat die theologischen Erkenntniskräfte wie die Spinne die in ihren Netzen gefangene Beute gelähmt. Metz‘ Wort, daß man nach Auschwitz nicht mehr so Theologie treiben könne, als habe es Auschwitz nicht gegeben, ist, wie mir scheint, nur durch Reflexion der Verwurzelung der Theologie in der Philosophie, nicht durch Abstraktion von dieser Beziehung, einzulösen. Die Reflexionen Rosenzweigs über das Verhältnis von Theologie und Philosophie im Stern der Erlösung, sind hier hilfreich. Das göttliche Attribut der Barmherzigkeit, das im Imperativ, nicht im Indikativ steht, rührt an das sprachlogische Problem des grammatischen Geschlechts. Die Erinnerung daran ist im hebräischen Namen der Barmherzigkeit, der der Name der Gebärmutter ist, aufbewahrt. Das erinnert zugleich an den sprachlogischen Zusammenhang der Beziehung von Indikativ und Imperativ mit dem des grammatischen Geschlechts: an den genetischen Zusammenhang des Indikativs mit dem Ursprung des Neutrum. Es ist das gleiche Sprachproblem, das auch der Idee einer Theologie im Angesicht Gottes zugrundeliegt, an die Forderung, die dem Begriff der Lehre innewohnt: den imperativen Gehalt der göttlichen Attribute in den Indikativ zu übersetzen (und nicht, wie es das Dogma tut, durch den Indikativ zu neutralisieren, oder ins Ästhetische zu übersetzen). Allein die Schuldreflexion vermag den Bann zu brechen unter dem die Theologie seit der Rezeption der philosophischen Idee der Unsterblichkeit der Seele steht. Verweist nicht die Geschichte vom Sündenfall, wenn man in ihr die Schlange als Symbol des Neutrum, und ihre Geschichte mit Adam und Eva als ein Bild der Neubestimmung des grammatischen Geschlechts, des Männlichen und des Weiblichen, durch das Neutrum, begreift, auf das Problem des grammatischen Geschlechts? Läßt sich dieses Problem des grammatischen Geschlechts nicht an der Sprache Kants demonstrieren, wenn er den Erkenntnisbegriff sowohl in femininer als auch in neutrischer Bedeutung verwendet (die Erkenntnis, das Erkenntnis)? Das, so scheint mir, rührt an eines der tiefsten Probleme der kantischen Philosophie; die Sprachlogik, die darin sich ausdrückt, scheint aus logischen Struktur der Probleme sich herleiten zu lassen, die den Zwang der philosophischen Revolution, deren Ausdruck Kants Werk ist, begründen. Es rührt an eine Schicht in der kantischen Philosophie, die von seinen Nachfolgern dann konsequent verdrängt worden ist: an den Ursprung der drei Totalitätsbegriffe (Wissen, Natur und Welt; zu Natur und Welt vgl. den großartigen Definitionsversuch Kants in der Kritik der reinen Vernunft, im ersten Abschnitt der Antinomie der reinen Venunft). Nicht zufällig standen Fichte, Schelling und Hegel unter dem Systemzwang, diese Begriffe – nach Verdrängung der Reflexion ihres logischen Ursprungs – nacheinander abzuarbeiten.
Wie wäre die Frage, welcher Teil eines Menschen zum Regieren der wichtigste ist, eigentlich zu beantworten angesichts einer Regierung, die Entscheidungen, die allein von den Interessen ihrer Klientel bestimmt sind, während die Argumente, die sie öffentlich begründen sollen, schmückende Rhetorik und von Waschmittel-Reklame nicht mehr zu unterscheiden sind, nur noch „durchsetzt“ und Probleme, die dieses Verfahren zwangsläufig produziert, nur noch „aussitzt“? Ist nicht die Folge ein Begriff von Öffentlichkeit, der Erfahrungen, Kritik und Reflexionsfähigkeit, das eigentliche Element demokratisch-bürgerlicher Beteiligung, auf ähnliche Weise ausschließt wie RAF-Prozesse, die u.a. die Aufgabe zu haben scheinen, dieser Logik den Charakter einer rechtlichen Norm zu verleihen, das Selbstverständnis der Angeklagten?
Adorno hat einmal die Situation eines Gesprächs in einem Eisenbahnabteil beschrieben, in der man, um einen Streit zu vermeiden, sich gezwungen sieht, den Anschauungen eines Mitreisenden nicht zu widersprechen, die imgrunde auf einen Mord hinauslaufen. Gehört diese Situation nicht zum Bild des Zuges, der in den Abgrund rast? Und beschreibt sie inzwischen nicht etwas vom Zustand der Öffentlichkeit insgesamt? Die Bundesanwaltschaft als Verkörperung des Inertialsystems (als eines Konstrukts aus Verachtung, Hohn und Zynismus), und das von ihr verkörperte Anklage- und Beweisverfahren als Verfahren der reinen Objektkonstruktion (mit der Idee des Objekts als eines Konstrukts, zu dem es keine kommunikative Beziehung mehr gibt, das nur noch Objekt eines apriorischen Urteils ist: sind nicht die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen der Versuch, dieser Konstruktion die Gewalt einer objektiven, sinnlich erfahrbaren Realität zu verleihen)? Die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos beschreibt einen objektiven, nicht nur einen moralischen Sachverhalt. Aber gilt das nicht für die Prophetie insgesamt? Ägyptische Finsternis (ist „Finsternis Mizrajims“ nicht deutlicher?): die Entfaltung des blinden Flecks der Logik zur Totalität. -
23.10.1996
Kyffhäuser: Sitzt nicht der Kaiser, der die Welt regiert, heute tatsächlich im Herzen der versteinerten Verhältnisse, im steinernen Herzen der Welt (und ist das nicht der Stein, der Off 1821 zufolge beim Untergang Babylons ins Meer geworfen wird)?
Zur lateinischen Trinitätslehre: Person ist ein Rechts-, kein theologischer Begriff.
Doppelte Buchführung: Die Christen haben den Kreuzestod zu einem buchhalterischen Akt gemacht; mit dem Neuen Testament waren Moses und die Propheten abgegolten und erledigt, sie wurden im Alten Testament archiviert. Haben sie nicht mit dieser Archivierung Jesus selber, das Wort, zum Verstummen gebracht?
Hat nicht die doppelte Buchführung mit der Logik der Bilanzierung das Zeitverständnis verändert? Ist nicht seitdem die Vergangenheit endgültig vergangen, so daß es keine Bücher mehr gibt, die einmal aufgeschlagen werden? Hier ist das Rentabilitätsprinzip unkritisierbar, zu einem Stück Natur, gemacht worden, das dann in den Naturwissenschaften in der Tat als Natur sich konstituierte.
Ist nicht die Bekenntnislogik ein Produkt der Subsumtion der Tradition unter das Gesetz der Selbsterhaltung? Die Bekenntnislogik hat die Kirchengeschichte zu einem Teil der Weltgeschichte gemacht, die dem Prinzip der abgeschlossenen Vergangenheit gehorcht (der Sprachlogik des indoeuropäischen Perfekt).
Theologie als Sprachkritik, ist das nicht die Konsequenz, die aus dem Namen des Logos zu ziehen wäre?
Das indoeuropäische Perfekt (das Prinzip der abgeschlossenen Vergangenheit) ist die Grundlage des Begriffs, seiner Trennung von dem gegen ihn sich verselbständigenden Objekt.
Gehört nicht die Konstituierung der Öffentlichkeit, deren Denkmäler in Rom zu sehen sind, zur Ursprungsgeschichte der lateinischen Sprache? Und hat nicht das „klassische Latein“ tatsächlich in dieser Periode, die im Kollosseum und in den Foren ihre Denkmäler hinterlassen hat, sich entfaltet und konsolidiert? Die Entstehung des Publikums ist das Werk Roms, seiner Herrschafts- und Sprachgeschichte.
War die Trinitätslehre nicht auch ein Hilfsmittel der Zivilisierung der caesarischen Erbfolge (die durch die Militärputsche destabilisiert zu werden und außer Kontrolle zu geraten drohte)?
Der Caesarismus hat die Solidarität mit den Toten, die in der Lehre von der Auferstehung der Toten einmal gemeint war, aufgekündigt und das Christentum aufs Prinzip der Selbsterhaltung vereidigt. Die Ego-Pomp des päpstlichen Barock in Rom ist ein spätes Echo der Logik des Caesarismus, seiner theologischen Rezeption in der Trinitätslehre. Die Opfertheologie, die den Kreuzestod instrumentalisiert hat, hat die Solidarität mit dem Gekreuzigten aufgekündigt.
Stellt nicht der Name des Forums, der später den Markt bezeichnet, die Beziehung des Caesarismus zum steinernen Herzen der Welt her?
Ist nicht die Feindbildlogik, die auf ein symbiotisches System von Verkörperungen (von apriorischen Feindbild-Objekten) verweist, ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels der Astrologie (des Rätsels, dessen irdische die himmlische Lösung zur Folge hat)? Sind nicht auch die Planeten Verkörperungen dieser Logik, die sie an das blinde und sinnlose Kreisen auf den Wegen ihres Irrtums fesselt?
Ist der Objektbegriff der Abgrund, in den der vom Himmel gestürzte Satan (phosphoros, Luzifer, der Morgenstern) eingesperrt ist (Off 201ff), und ist die Reflexion der Feindbildlogik der Schlüssel, der diesen Abgrund zu öffnen vermag? -
21.10.96
Das Verwaltungsrecht ist ein Subsumtionsrecht (mit interner Beweisführung durch Belege: Dokumente, Urkunden, Akten), während das Strafrecht ein Reflexionsrecht ist (Beweis durch externe Zeugen, Indizien, Geständnis).
Der Angeklagte wird zum Feind, wenn sein Selbstverständnis als Angriff erfahren und deshalb ausgegrenzt und unterdrückt wird. Gegen einen Angeklagten, in den das Gericht sich nicht hineinversetzen kann, kann eigentlich kein Prozeß mehr geführt, er kann nur noch bekämpft werden.
Ist nicht die Kälte und die vergiftete Atmosphäre in RAF-Prozessen nur ein konzentrierter Ausdruck dessen, was den Weltzustand heute insgesamt kennzeichnet?
Natürlich ist das Ziel politischer Prozesse Herrschaftssicherung und nicht Gerechtigkeit.
Löst sich nicht das Problem, weshalb die Judenvernichtung mit den zusätzlichen Exzessen der Gemeinheit, der Brutalität und der Demütigungen erfolgte, in einem Strafrecht, das auch die mehrfache lebenslängliche Strafe kennt: in dem ein Leben nicht ausreicht, um den rechtsstaatlichen Rachetrieb zu befriedigen? Exzessive Strafen sagen nichts mehr über den, über den sie verhängt werden, sondern nur noch über die, die sie fordern oder verhängen.
Hat nicht jedes Bekenntnis einen Empörungskern, den es dann über Opferkonstrukte abarbeiten muß; und liegt darin nicht ihre Kraft der „Sündenvergebung“?
Der neutestamentliche Gottesname Vater hat die Kritik an den irdischen Vätern zur Grundlage und thematisiert und benennt sie. Die Kirche hat die irdischen Väter zum Modell des Vatergottes gemacht und damit den Gottesnamen (durch den Seiten- und Herrenblick auf den Namen) in einen Begriff transformiert. Diese Transformation erscheint in den Evangelien bereits in dem Gebrauch des Namens des Gottessohns durch die Dämonen und den römischen Hauptmann.
Die kopernikanische Wende, deren Vorgeschichte bis in die antiken Kosmologien hineinreicht, hat die Erfahrungsgrundlage dessen, was in der Unterscheidung von Himmel und Erde sich ausdrückte, zerstört. Der Akt dieser Zerstörung (den die kantischen subjektiven Formen der Anschauung besiegeln) ist rekonstruierbar: Seine Grundlage ist der Seiten- und Herrenblick auf die Dinge.
Der Seiten- oder Herrenblick ist nicht irreal, er ist nicht ohne fundamentum in re; aber im Kontext seiner Kritik läßt sich zwingend begründen, weshalb zur Prophetie das Votum für die Armen und die Fremden gehört.
Als Feindbildgenerator ist der Staat nicht zu übertreffen; wer glaubt, dem Staat im Rahmen der Feindbild-Logik widerstehen zu können, ist schon gefangen. Diese Lehre ist zwanglos aus dem Versuch der Rekonstruktion und des Verständnisses des Antisemitismus (in dem der Schatten, den der Staat auf die Menschen wirft, zur Finsternis sich kontrahiert) zu gewinnen. – Kam nicht nach der Finsternis die Tötung der Erstgeburt?
Sollte man nicht endlich begreifen, insbesondere im Anblick des Prozesses gegen Monika Haas, daß es auch die Möglichkeit der instrumentellen Nutzung der Paranoia gibt; sind nicht hier (wenn der Triumph sie leichtsinnig macht) die Urheber und Anwender der Paranoia angreifbar und verletzbar?
Es gibt so etwas wie die „idealistische“ Selbsterzeugung des Rachetriebs. Dessen Paradigma ist der Antisemitismus, der in dem Augenblick seines Ursprungs, seiner Selbsterzeugung, für die von ihm Befallenen undurchschaubar wird (deshalb sind Antisemiten unbelehrbar – aber sind sie’s wirklich? Jak 520).
Ohne Öffentlichkeit gibt es keinen Weg ins Freie. -
19.10.96
Es kommt nicht darauf an, Schuldgefühle zu vermeiden oder loszuwerden, sondern sie reflexionsfähig zu machen, und es kommt nicht auf die Bewahrung der Identität, sondern auf die der Lernfähigkeit an. Wer, um seine Identität zu wahren, Schuldgefühle nur abwehrt, anstatt sie zu reflektieren, wird lernunfähig.
Wer Schuldgefühle nur abwehrt, für den wird jeder, der Schuldgefühle weckt, zum Feind (Logik des Antisemitismus; Tötung des Urvaters).
Als Habermas den Verfassungspatriotismus erfunden hat, hat er das Gewissen (und mit ihm den Quell seiner philosophischen Inspiration) an die Verfassung delegiert.
War nicht die kantische Unterscheidung eines femininen von einem neutrischen Erkenntnisbegriff (die/das Erkenntnis) ein Versuch, Erkenntnis vom Bann der Reversibilität freizuhalten?
Der Feind meines Feindes ist nicht in jedem Falle mein Freund; aber er ist nicht schon deshalb, weil er nicht mein Freund ist, mein Feind. Diese eindeutige Reversibilität gibt es nur auf der Grundlage der Logik des Feindbildes.
Die schwindelerregende Logik, die den gegenwärtigen Weltzustand beherrscht, läßt sich nur durch ein Feindbild auf einfachere Strukturen bringen, aber nur um den Preis der Selbstverblendung.
Die Bekenntnislogik gründet in dem gemeinsamen Nenner eines gemeinsamen Feindbildes. Die Selbstghettoisierung durch ein gemeinsames Feindbild ist das logische Modell der subjektiven Formen der Anschauung und der Isolationshaft.
Zum Projekt Selbstaufklärung gibt es keine Alternative mehr.
Wer heute im Ernst Kritik der politischen Ökonomie zu treiben versucht, kann sich nicht auf die Kritik der Ökonomie beschränken in der Erwartung, daß die politischen Konsequenzen sich daraus von selbst ergeben, sondern er muß die Kritik der politischen Ursprünge der Ökonomie (Ursprung der Ware in Raub und Eroberung: die Sklaven und die Frauen sind die ersten Waren) in die Reflexion mit einbeziehen. Ihr gegenwärtiger Ansatzpunkt wäre die heute epidemisch sich ausbreitende Xenophobie.
Der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos geht die Geschichte der ursprünglichen Akkumulation, der Aneignung des Eigentums an Grund und Boden und der Grundlegung des Sklavenhauses Ägypten durch Joseph voraus. So dialektisch ist die Bibel. Nur das Sklavenhaus Ägypten konstituiert sich als Sklavenhaus in dem Augenblick, als ein Pharao kommt, der sich Josephs nicht mehr erinnert: der die Ursprungsgeschichte des Sklavenhauses verdrängt. Diesen Pharao, der auch JHWH nicht kennt, und zu dem Moses dann im Namen des Gottes der Hebräer spricht, trifft die Geschichte der zehn Plagen und der Verhärtung des Herzens. Für ihn wird Moses zum Gott und Aaron zu seinem Propheten.
Ist nicht Mizrajim ein sprechender Name, dessen Verstummen im Griechischen (schon in der LXX) und dann in der christlichen Tradition Buber in seiner Bibelübersetzung ratifiziert.
Enthält der Name der Hebräer, in dem die Fremdheit und der Blick der andern Völker reflektiert wird, nicht die Forderung, diesen Blick auszuhalten und die Schuld, das Korrelat dieses Blicks, reflexionsfähig zu halten? Schon Abraham war ein Hebräer. Ebenso bekennt sich Jona vor den Schiffsleuten als Hebräer, und ebenfalls Judith im Lager des Holofernes. Jona verkündet Ninive den Untergang, Judith tötet den Holofernes.
Die giftige Atmosphäre im Hogefeld-Prozeß gehört zu den Naturqualitäten eines RAF-Prozesses.
Zum Zug, der in den Abgrund rast: Unsere Gerichte halten sich ans allgemeine Relativitätsprinzip Einsteins, wenn sie die beschleunigte Bewegung als einen der Ruhe äquivalenten Zustand ansehen (wenn sie die Bewegung des Zuges, die Außenwelt und den Abgrund leugnen): Ist der Zug ein Fahrstuhl, der außer Kontrolle geraten ist? Das allgemeine Relativitätsprinzip gründet in dem Theorem der Identität von träger und schwerer Masse, und es ist die Grundlage der Theorien vom Urknall und von den schwarzen Löchern. Verkörpert nicht das allgemeine Relativitätsprinzip das Gesetz der Katastrophe im Zentrum der Physik? Und ist die Logik dieses Prinzips nicht die gleiche Logik, die auch dem Schuldbegriff zugrunde liegt (der Konstellation von Feindbild-Symbiose, Abwehrmechanismen und Projektion)?
Verhält sich die spezielle Relativitätstheorie zur allgemeinen wie die Barmherzigkeit zum Gericht?
Das Feindbild konstituiert das Bild von der Schwere der Schuld (um die es im Kampf gegen die RAF jetzt allein noch zu gehen scheint).
Läßt der Jakobus-Satz, daß, wer einen Sünder vom Weg des Irrtums befreit, seine Seele rettet, nicht auf das Werk Horheimers und Adornos anwenden?
Wer das Böse nur verurteilt, gewinnt zwar für sich den Schein der Unangreifbarkeit, er trägt aber nichts mehr bei zur Auflösung des Banns des Bösen.
Sed libera nos a malo: Das Übel ist etwas, das uns zustößt, während wir im Namen des Bösen mitgemeint sind. Die Strafe befreit nicht vom Bösen, sie verewigt es (das Ideal der Strafe ist die Strafe für eine unendlich schwere Schuld). Dem Konzept der „Endlösung der Judenfrage“ lag die Vorstellung einer Erlösung der Welt durch Bestrafung derer, auf die die Antisemiten ihre eigenen Schuldgefühle projiziert hatten, zugrunde.
Die Fähigkeit in einen Angeklagten sich hineinzuversetzen, hängt im Falle der RAF von der Fähigkeit zur Reflexion der deutschen Vergangenheit ab: Sind nicht die Urteile in den RAF-Prozessen allesamt auch Versuche, auf diesem Wege die Vergangenheit endlich loszuwerden?
Die „kleine Verschiebung“, die die messianische Zeit von der Vorgeschichte trennt, ist die Verschiebung der Logik der Verurteilung von der Vergangenheit in die Gegenwart: Es ist die gleiche Verschiebung, die aus dem Weltgericht das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht macht: der Triumph der Barmherzigkeit über das Gericht.
Schmerz und Schrecken: Nicht der Schrecken lähmt, sondern der Schmerz, der den unaufgelösten Schrecken noch in sich enthält. Nur wer dem Schrecken standhält, entwickelt die Kräfte des Widerstands (die Kräfte, die in den Mechanismen der Empörung und Verurteilung bloß verpuffen; Empörung und Verurteilung führen auch dort noch zum Einverständnis mit dem Bestehenden. wo man glaubt, es zu bekämpfen).
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