Bekenntnislogik

  • 10.08.1996

    Daniel Goldhagen zitiert auf S. 87 ein Flugblatt aus dem Rheinland (aus dem 19. Jhdt.), in der es heißt, „die Welt überhaupt“ werde von dieser Frage (der Emanzipation) angerührt. Erinnert diese Wendung nicht tatsächlich an den Zusammenhang des Antisemitismus mit der Geschichte des Weltbegriffs?
    Der Faschismus ist Ausdruck einer Zwangslogik, deren Bann allein durch Reflexion zu brechen ist. Adornos Satz, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleiche, die sie gleichwohl falsch abbildet, trifft genau diesen Sachverhalt.
    Hängen die Sätze „Ich bin das Licht“ und „Ihr seid das Licht der Welt“ mit dem Licht des ersten Schöpfungstags zusammen, zu dessen Vorgeschichte der Geist über den Wassern gehört? Und bezieht sich hierauf die Wahl des ersten Tages als dies dominica, als Herrentag, sowie der Satz, der Menschensohn sei Herr des Sabbats (was nicht auf seine Abschaffung, sondern auf seine Erfüllung zielt)?
    Erst ein Volk, das sich aus dem Bann, bloß Volk (bloß Schicksalsgemeinschaft) zu sein, löst, das auf Erden löst, was dann im Himmel gelöst sein wird, entrinnt der Gefahr des Antisemitismus (was liegt zwischen dem Lösen des sechsten und des siebten Siegels?).
    Liegt nicht das innere Problem des Christentums, wie auch die Lösung des Rätsels der Apokalypse und ihrer Beziehung zur Prophetie, darin, daß es nicht mehr nur um die Beziehung zweier Seiten (Innen und Außen, Im Angesicht und Hinter dem Rücken), sondern um die Konstellation der sechs Seiten eines Objekts (hat dieser Hinweis etwas mit der Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos und mit der des Übergangs von der Eucharistielehre zum Inertialsystem zu tun)?
    Muß man nicht bei der Entschlüsselung der Geschichte von den zehn ägyptischen Plagen davon ausgehen, daß die Plagen, wie sie hier beschrieben sind, aus der Sicht des Pharao sich darbieten (so wie für ihn JHWH der Gott der Hebräer ist)? Und wurde eigentlich das „Scheusal Ägyptens“ schon geopfert?
    Das Problem der Verhärtung des Herzens Pharaos verweist auf das Problem des pathologisch guten Gewissens, auf die Ursprungsgeschichte der Bekenntnislogik (und damit des Weltbegriffs, des Herrendenkens, des Staates). Vgl. dazu die Geschichten
    – der drei Jünglinge im Feuerofen (Daniel),
    – des Martyriums der sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk),
    – der Sara und des Dämons Asmodai (Tob) und
    – der Maria Magdalena und der sieben unreinen Geister.
    Oder insgesamt: Das Christentum schließt den Frieden mit der Welt aus.
    Hat die Konstellation, in der die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos sich löst, etwas mit der Konstellation zu tun, in der die Beziehung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zur Planckschen Strahlungsformel durchsichtig wird?
    Haben die drei ersten Plagen etwas mit den kantischen Totalitätsbegriffen zu tun, und kommt die Natur aus dem Wasser und die Welt vom Lande (die Tiere der Apokalypse)?
    Wer waren die „ägyptischen Zauberer“, und von welchem Punkt an konnten sie, was Moses und Aaron taten, nicht mehr nachmachen, wann sagten sie. Das ist der Finger Gottes?
    Das Wort „Der ich bilde das Licht und schaffe die Finsternis …“ ist an Seinen „Gesalbten Cyrus“ adressiert.
    War nicht am Ende des Krieges die schlagartige Verdrängung dessen, was man vorher gewußt hat, der Preis für die „Bewältigung“ der Vergangenheit durch bloßen Gesinnungswechsel, durch Eintritt in die Gemeinschaft aller, die die Vergangenheit nur zu verurteilen brauchten, um sich davon loszusagen? Verdrängt werden mußte neben dem eigenen Anteil an dieser Vergangenheit insbesondere auch, was man über die Beteiligung der anderen wußte: Selbst die Verdrängung (die kollektive Amnesie) gehorchte noch den in der Nazizeit eingeübten Gesetzen der Komplizenschaft (steckt nicht im Begriff der Gesinnung ein kollektiver, bekenntnislogischer Anteil: Paradigma der Gesinnung ist die nationale Gesinnung).
    Die im Umkreis der Habermas-Schule gängige Kritik der Postmoderne trägt ausgesprochen projektive Züge. Und ist nicht in der Tat die habermassche Kommunikationstheorie ein postmodernes Konstrukt, das sich von der französischen Postmoderne nur dadurch unterscheidet, daß sie kein Bewußtsein davon hat, daß sie es nicht weiß?
    Einer der Effekte des Inertialsystems ist die Irreversibilität der Zeit. Die Reversibilität aller Richtungen im Raum ist die Basis und die Voraussetzung dieser Irreversibilität der Zeit; ohne die irreversible Zeit wäre die Ausdehnung des Raumes, wären die räumlichen Beziehungen der Orte im Raum nicht definiert. Sie macht so die Grenze zur Vergangenheit zu einer absoluten, sie ist zugleich das Instrument der Instrumentalisierung der Erinnerung, der Löschung der Kraft des Eingedenkens.
    Die Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit ist das logische Prinzip, das die Vergangenheit absolut setzt und sie der Erinnerung, dem Eingedenken entzieht. Diese Logik arbeitet mit der instrumentalisierten Form der Erinnerung, die das Eingedenken ausschließt. Darauf, auf die Kritik dieser instrumentalisierten Erinnerung, zielte Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ (nicht das Eingedenken der „gequälten Natur“, so Habermas).
    Ist nicht das Inertialsystem die Form einer Beziehung zur Objektivität, die auf einer kollektiven Amnesie (auf den „subjektiven Formen der Anschauung“) sich gründet und sie zugleich reproduziert? Sind nicht die subjektiven Formen der Anschauung der Reflex des „stummen Inneren der Gattung“ im Subjekt? Und gehört die Selbstreflexion im Spiegel des Auslands zur Logik dieser durchs Inertialsystem festgeschriebenen Beziehung zur Objektivität, die mit dem Wort, daß nur Gott ins Herz der Menschen sieht, nicht mehr anfangen kann?
    Das Inertialsystem ist der Reflex des Selbsterhaltungsprinzips, es ist in sich selbst herrschaftsgeschichtlich, und d.h. durch die Geschichte des Staats als der Organisationsform einer Gesellschaft von Privateigentümern, als Organisationsform einer Gesellschaft, die auf der Grundlage der Geldwirtschaft auf dem Prinzip der Selbsterhaltung sich gründet, vermittelt.
    Welche wirklichen „Erfolge“ hat die Weltraumforschung (neben der Erfindung der Teflonpfanne) aufzuweisen? Zu nennen wäre:
    – zunächst einmal ihr rüstungstechnischer Beitrag zur Entwicklung von Waffensystemen (die Raketen sind nutzbar als Trägersysteme);
    – hinzu kommt ihre „ökonomische“ Funktion auf der Grundlage der Satelliten-Technik, die neben der Wetterforschung insbesondere die Globalisierung der Telekommunikation gefördert hat (und mit ihr die Globalisierung der Marktgesetze, zu deren Folgen auch die fortschreitende „Privatisierung“ aller ökonomischen und kommunikativen Einrichtungen, nicht zuletzt des Fernsehens: ihre Subsumtion unters Wertgesetz, gehört).
    Wer das bereschit am Anfang der Genesis mit „im Prinzip“ übersetzt, kommt der Sache sehr nahe: Gemeint ist ein „logischer“, kein zeitlicher Anfang, nur wäre dieser Begriff der Logik genauer zu bestimmen: Er gehört zur Logik des Namens, nicht des Begriffs.

  • 2.8.96

    Credo, quia absurdum: Die Bekenntnislogik entspringt in einer Konstellation, in der ich selbst mich mit den Anderen identifiziere, „vor denen“ ich „das Bekenntnis ablege“: mit der Welt, die das Bekenntnis nicht versteht. Die Bekenntnislogik ist die Logik des Schuldverschubsystems: sie lädt der Welt die Sünde auf, anstatt die Sünde der Welt auf sich zu nehmen, und beruhigt sich in dem Glauben, daß Jesus, das „Lamm Gottes“, die Sünde der Welt „hinweggenommen“ hat. Die Bekenntnislogik ist die Umkehrung der Versöhnung. – Steht das Verhältnis der Kirchen zu ihren Vergangenheiten bis hin zu Auschwitz nicht unter dem Gesetz dieser Bekenntnislogik, der Logik der Konfessionalisierung und damit der systematischen Verweigerung der Erinnerung, des Eingedenkens? Im Kontext der Bekenntnislogik werden Vergangenheiten immer nur überwunden oder bewältigt, nicht erinnert. „Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt …“ (Mk 838): Steht nicht die Bekenntnislogik unter dem Gesetz dieser Scham? Und die Konsequenz: „dessen wird sich auch der Menschensohn schämen“ bezeichnet einen einfachen logischen Sachverhalt, sie ist nicht Ausdruck eines Rachetriebs (nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir), zu dem sie erst auf der Grundlage der Bekenntnislogik wird. Die Salbung in Bethanien (Mk 143ff, vgl. Bedenbender in TuK 67, S. 51): Ist sie nicht Totensalbung und die Salbung des Messias (des Gesalbten) zugleich? Ton Veerkamp zitiert in TuK 67, S. 53 die drei Stellen in der hebräischen Bibel, an denen das Verb nippasch, „aufatmen, beseelen“ vorkommt. Die eine bezieht sich auf David (2 Sam 1614), eine weitere auf Gott, der am siebten Tage „aufatmete“ (Ex 3117) und die dritte auf Ex 2310, „wo der Sohn der Dienstmagd und der Fremde ‚beseelt‘ werden“. Der letzte Vers lautet vollständig: „Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun, am siebten Tage aber sollst du feiern, damit dein Rind und dein Esel ruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremdling aufatmen können“ (Übersetzung nach Zürcher Bibel). Verweisen Rind und Esel auf Joch und Last, der Sohn der Sklavin und der Fremdling auf den Sohn Marias und die Heiden? Hat nicht die Bemerkung Ton Veerkamps, daß „am Schabbath … unsere Maschinerie relativiert (wird)“ und „die strukturlose Zeit … die tödliche Bedrohung aller Menschheit (ist)“, auch „erkenntnistheoretische“ Konsequenzen: rühren sie nicht an das Problem des Inertialsystems, an die Vergegenständlichung der Zeit, die Konstituierung der Vorstellung des Zeitkontinuums durch Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit: durch dein Blick von außen auf die Dinge (den Seitenblick, den Blick des Andern. den verandernden Blick)? In dieser Konstellation liegt die ungeheure Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, das an die innere Grenze dieses Systems rührt und auf die Sphäre verweist, die dem „Seitenblick“, dem verandernden Blick, sich entzieht. Die Natur kann den Begriff nicht halten: sie löst sich auf mit der Erkenntnis des Namens; die Welt kann das Objekt nicht halten: sie ist der Inbegriff der Verblendung, die mit der Auferstehung der Toten und im Leuchten Seines Angesichts vergeht.

  • 1.8.96

    Stephanus sah die Himmel offen und „den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 756). Wenn sich heute die Himmel öffneten, was würden wir sehen? Meine Entscheidung, Benediktiner zu werden, war – außer durch meine Beziehung zu Wolfgang Mias, die dann eher zu einem Hemmnis geworden ist – im wesentlichen auch durch zwei Bücher bestimmt: durch Henri Bremond: Das wesentliche Gebet (Regensburg 1936), und durch Theodor Filthauts Darstellung der Mysterientheologie (Die Kontroverse über die Mysterienlehre, Warendorf 1947). Die Geschichte der Säkularisation war auch die Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung des Nominalismus, der Depotenzierung der erkennenden Kraft der Sprache, die auf die Kraft des Namens zurückweist, die Substituierung und Ersetzung der erkennenden Kraft der Sprache (des Namens) durch eine Gestalt der Erkenntnis, die glaubt und vorgibt, der Sprache äußerlich zu sein. Die Vorstellung, daß das Erkennen der Sprache eigentlich nicht bedarf, weil es unmittelbar auf Objekte sich richtet, während die Sprache erst ins Spiel kommt, wenn es darum geht, diese Erkenntnis an andere zu vermitteln; diese Vorstellung, die unterstellt, daß Sprache nur der Kommunikation, nicht jedoch der Erkenntnis dient, ist nicht widerspruchsfrei zu begründen. Sie entspringt zwei getrennten, jeder für sich inkonsistenten, dann aber, und zwar nicht real, sondern ästhetisch, durch Spiegelung, sich wechselseitig begründenden und legitimierenden Zusammenhängen: dem naturwissenschaftlichen und dem ökonomischen. Beide, so scheint es, begründen einen Begriff der Objektivität, der zu seiner Konstituierung der Sprache nicht mehr bedarf. Bezieht sich hierauf nicht das Gebot der Heiligung des Gottesnamens, dessen Erfüllung allein den Bann zu sprengen vermöchte? Johannes: Sein Vater ist Sacharja, seine Mutter Elisabeth; Jesus: Vater Joseph, Mutter Maria. Definition des Rechts: Organisation des Rachetriebs. Deshalb bezieht sich das Strafrecht generell auf Handlungen, auf Taten, nur im Falle des Mords auf den Täter: den Mörder. Das Recht kennt nur Strafe, keine Wiedergutmachung: Ihm geht’s nicht um die Opfer, sondern nur um die Restitution des Gewaltmonopols des Staates, um die Erhaltung einer Ordnung, die im Selbsterhaltungsprinzip gründet (zitiert nicht Susannah Heschel in ihrem Aufsatz in TuK Nr. 70, S.33ff, einen evangelischen Theologen, der erklärt, die christliche Ethik kenne keine Wiedergutmachung?). Was begriffen ist, ist definitiv; was verstanden ist, ist dialog- und diskursfähig. Ist nicht die pax Augusta die Grundlage des herrschaftsfreien Diskurses: eine Gewaltordnung? Auch der Verfassungspatriotismus ist ein auf Gewalt gegründeter Patriotismus. Zum Problem der Väter in den Evangelien siehe auch die von Bedenbender zitierte Mk-Stelle (deren Signifikanz B. nicht gesehen hat): Mk 1028ff, TuK 67, S. 19. Hat das Verschwinden der Väter („Laßt die Toten ihre Toten begraben“) etwas mit der Zerstörung Jerusalems zu tun? Und ist nicht das, was man den Antisemitismus in den Evangelien genannt hat, Ausdruck der Verzweiflung angesichts einer heraufziehenden Katastrophe, die sich nicht mehr aufhalten ließ, nicht aber ein Hinweis auf eine angebliche Mitschuld „der Juden“ an einem „Gottesmord“? Gehört nicht auch die Wahrnehmung hierher, daß der Begriff der „Vaterstadt“ nur im Kontext des Wortes erscheint, daß in ihr kein Prophet etwas gilt? (Wie kommt Nathanael, der einzige Apostel, den Jesus einen „wahren Israeliten“ nennt, zu der Frage, ob denn aus Nazareth etwas Gutes kommen könne?) Kinder und damit „Erben“ Gottes können nicht Kinder und Erben von Vätern sein? Feigenblatt: War nicht die Bekenntnislogik die Ursprungsform der theoretischen Objektivierung, mit dem Opfer als Kern des Objektbegriffs? Und gehört zur Bekenntnislogik nicht die Logik der Verurteilung, Grund der Distanz zum Objekt, das so der Erkenntnis durch Mimesis, durch Identifikation entzogen wird? Gehört nicht zu den Voraussetzungen des Verurteilungsmechanismus, der den Faschismus-Diskurs beherrscht, seine Nutzung als Feigenblatt, die ungeheure Verdrängungsleistung nach dem letzten Krieg (die die Bekenntnislogik erstmals unverhüllt hat hervortreten lassen)? Und stellt Daniel Goldhagen nicht diesen Verurteilungsmechanismus in Frage, wenn er die Nachkriegsverdrängung in Frage stellt? Eine der Konsequenzen aus diesem Verurteilungsmechanismus ist Habermas‘ Kommunikationstheorie, die mit der Verwerfung der Idee einer Kritik der Naturwissenschaften die Reflexion dieses Verurteilungsmechanismus ausgeblendet hat. Die Dialektik der Aufklärung ist dann auch konsequenterweise nur verdrängt, nicht wirklich aufgearbeitet worden. Die Sprache der Dialektik der Aufklärung war die Sprache der Verzweiflung, die erst im Munde der Schüler der Frankfurter Schule (die keine Schule war) zu dem Jargon geworden ist, den heute alle nur noch herauszuhören scheinen. Die Verurteilungslogik zündelt bloß, wo es darauf ankäme, selber durch das Feuer hindurchzugehen. Simon von Cyrene, der Jesus das Kreuz tragen geholfen hat, war der Vater des Alexander und des Rufus (Rufus ist ein lateinischer Name; er bezeichnet einen Rothaarigen). In Röm 1613 läßt Paulus einen Rufus grüßen „und seine und meine Mutter“: War Simon von Cyrene der Vater des Paulus?

  • 30.7.96

    Schwindel: ein physischer und ein logischer Sachverhalt; Zusammenhang von Hören und Sehen, Fall und Rotation (Planeten). Der Schwindel und die „Wege des Irrtum“, der Taumelkelch. Das Inertialsystem erzeugt den Schein des Schutzes vor diesem Schwindel, er verschafft den Begriffen Grund durch Verankerung in der Identität des Anschauens, der sichtbaren Dinge. Seitdem steht alle Identität unter dem Bann des Anschauens.
    Im Johannes-Evangelium gibt es den „Fürsten dieser Welt“: – 1231: „Jetzt … wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden“, – 1430f: „Nicht mehr viel werde ich mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt. Über mich vermag er nichts, …“ – 167f.11: „Wenn ich nicht ginge, würde der Beistand nicht zu euch kommen … Wenn er dann kommt, wird er die Welt überführen: … des Gerichts, weil der Fürst dieser Welt schon gerichtet ist.“
    Wer ist damit gemeint: Der Caesar oder eine Engelsmacht (wenn beide sich überhaupt unterscheiden lassen)? Ist die Engelsvorstellung nicht politischen und astrologischen Ursprungs zugleich (und sind die Horoskope säkularisierte Engelsbotschaften)? Und unterscheiden Engel und Dämonen sich nicht eigentlich nur dadurch, daß, während jene auf das Endziel, die Rettung der Welt, sich beziehen, diese auf Interessen der Selbsterhaltung?
    Zur Zweideutigkeit des Begriffs der Autonomie: Die Autonomie, die dem Selbsterhaltungsprinzip korrespondiert, gründet im Eigentum (der Nicht-Eigentümer ist nicht autonom), die andere Autonomie in der Distanz zur Selbsterhaltung (oder in der Fähigkeit zur Schuldreflexion): in der Freiheit zur Barmherzigkeit, zur Identifikation mit dem Anderen.
    Die zweite Gestalt der Autonomie findet ihre biblische Verkörperung in der Idee des Heiligen Geistes. Als Verkörperung des verteidigenden („parakletischen“) Denkens ist der Heilige Geist die Verkörperung einer Freiheit, die dem Rechtfertigungszwang entronnen ist.
    Ist nicht das Auto, dessen Kosten insgesamt die der „Anschaffung, Aufzucht und Erhaltung“ eines Kindes entsprechen dürften, und das auch einer ähnlichen „Zuwendung“ bedarf, das Symbol der Abschaffung der Zukunft? Hierbei entspricht der Geschwindigkeitsrausch („Freie Fahrt für freie Bürger“) dem Trieb, in der Gegenwart verharren zu können, der Zukunft zu entfliehen (Kult des Komparativs: Höher, schneller, weiter; zum Fetisch Auto gehört der Olympia-Kult). Sind nicht die Siege im Sport, insbesondere auf dem Fußballplatz, Exerzitien der schrecklichen Siege, deren Opfer wir alle einmal sein werden? Ist nicht das Ziel allen Sports das Präsens, das keine Zukunft mehr kennt (der Indikativ, der keinen Konjunktiv mehr kennt)? Bezieht sich nicht der Satz, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden, auf dieses Präsens. Oder anders: Ist dieses Präsens das schwarze Loch, das alles Licht in sich aufsaugt, aber keins mehr ausstrahlt? Wie hängen die Formen der Deklination (die Casus) mit den Formen der Konjugation (den Zeiten und Modi: mit Präsens und Vergangenheit, Aktiv und Passiv, Indikativ und Konjunktiv, mit Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II, am Ende mit Infinitiv und Imperativ) zusammen? Hat nicht das nunc stans, das geheime Ziel der Lehre von der ewigen Wiederkunft, mit Nietzsche als absolute Parodie des Ewigen sich enthüllt? Nur daß es in einer Logik, die das Ewige mit dem Überzeitlichen verwechselt, hierzu keine Alternative gibt. „Ehe Abraham ward, bin ich“: ist dieser Satz nicht doppeldeutig? Er verweist einerseits auf eine vergangene Zukunft, die bis heute noch nicht eingeholt ist, während das „ehe“ auf eine Vorangehendes, Früheres, Erstes verweist, durch deren Kritik hindurch die Idee des Messias überhaupt erst zu gewinnen wäre. In messianischem Kontext ist das Erste das Letzte. Was „vor aller Zeit“ ist, ist keine Vergangenheit, sondern die Zukunft. Dieser Anfang wird das Ende sein. Deshalb ist der erste Akt der Schöpfung das Fallen, eine Katastrophe, das tohuwabohu, die Finsternis über dem Abgrund, während der zweite, noch nicht abgeschlossene der des Rettens ist. Der Anfang dieses zweiten Akts ist der über den Wassern brütende Geist. Aus wieviel Siebener-Gruppen besteht die Apokalypse (wenn man die Schreiben an die Engel der sieben Gemeinden in Asien mitzählt)? Kann es sein, daß es insgesamt elf sind, und bezieht sich darauf das Jesus-Wort an Petrus (das fast unmittelbar auf den Satz vom Binden und Lösen folgt), daß wir nicht nur siebenmal sondern siebenundsiebzigmal vergeben sollen (Mt 1822)?
    Läßt sich die Nachkriegsentwicklung in der Bundesrepublik nicht daraus herleiten, daß nur die, die mitgemacht haben, lebenstüchtig waren, während die, die nicht mitgemacht haben, zu sehr mit sich selbst (mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Probleme) befaßt und für die anderen Dingen nicht frei waren? Hat nicht der leichte Gesinnungswechsel nach dem Krieg die Bekenntnislogik, der er sich bediente, endgültig gegen die Tradition, aus der sie einmal erwachsen ist, immunisiert und damit erst wirklich faschistisch gemacht? Hier liegt der Ursprung des Mechanismus, zu dem es keine Alternative mehr zu geben scheint, der bewirkt, daß heute der Kampf gegen den Faschismus zum Kampf gegen die Erinnerung wird: Die reflexartige Verurteilung des Faschismus, die das Erinnern ausschließt (das Entsetzen soll nicht „konserviert“ werden), macht auch den Kampf gegen den Faschismus blind gegen das wirkliche Verhängnis, das fortbesteht, sie macht ihn am Ende selber faschistisch. „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“ (Zwi Rix, zit. na Henryk M. Broder): Gehört nicht zur Anamnese der Rache die Einsicht, daß nicht die Opfer, sondern nur die Täter rachsüchtig sind; und liegt darin nicht die wirkliche politische Gefahr? Läßt sich nicht die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos auf die Gechichte des Christentums anwenden (und liegt das einzige Hemmnis nicht in den aus genau dieser Anwendung ableitbaren Folgen dieser Geschichte)? Und sind wir nicht heute in der Phase der Finsternis? Worauf bezieht sich das Wort vom Greuel der Ägypter; ist dieses Greuel (die Materie des Opfers) eins in den Augen der Ägypter oder in den Augen Israels (das Greuel der Ägypter selbst, das Prinzip Mizrajim)? In jedem Fall rührt das am dritten Tag nach dem Auszug vorgesehene (dann aber nicht erfolgte?) Opfer an die „heiligsten Güter“ Ägyptens.
    Ist es nicht doch ein wenig arglos, wenn Ton Veerkamp darüber klagt, daß die gegenwärtige Theologengeneration an der Schrift nicht interessiert sei? Braucht nicht jeder Staat sein Militär, um in seinen Bürgern die paranoiden Ängste zu erzeugen und zu pflegen, deren er zu seiner Absicherung gegen ein etwaiges Erwachen der politischen Vernunft bedarf?
    Auch wenn Tertullian selber nicht heilig gesprochen wurde: Ist er nicht gleichwohl die Verkörperung jenes Paradigmenwechsels, der dazu führte, daß an die Stelle des Märtyrers der Confessor getreten ist? Hat nicht Tertullian das Martyrium in die Confessio transformiert, und war das nicht der Grund der donatistischen „Häresie“? Dazu würde es passen, wenn es stimmt, daß Tertullian einmal gesagt hat, daß Frauen, wenn sie in den Himmel kommen, dort zu Männern (gleichsam „befördert“) werden. Hat er sich hierbei auf die Antwort bezogen, die Jesus den Sadduzäern gegeben hat, als sie ihn wegen der Frage der Auferstehung auf die eine Frau, die mit sieben Männern verheiratet war, ansprachen (und erinnert diese Geschichte nicht an zwei andere Geschichten: an die der Sara und des Dämon Asmodai im Buche Tobit, wie auch an die der Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde <überhaupt an die „sieben unreinen Geister“, die in das „leere, gereinigte und geschmückte Haus“ zurückkehren>; wie wurde übrigens die Sara von ihrem Dämon befreit)? Bei Mk wird an die Befreiung der Maria aus Magdala von den sieben Dämonen anläßlich des Gangs zum Grabe (am „ersten Tag“) und der Auferstehung erinnert (169), bei Lk im Zusammenhang mit der ersten Nennung der Frauen aus Galiläa, die Jesus begleiteten (82).

  • 26.7.96

    Das Ende des Messianismus manifestiert sich im Werk des Paulus, nicht bei den Evangelisten (TuK 70).
    Ist die paulinische „Rechtfertigung durch Glauben“ nicht der Ausdruck einer tiefen Verzweiflung darüber, daß das Wort und das Handeln (die Thora, das Gesetz und das Tun) nicht mehr zusammenzubringen sind?
    Waren die Evangelien nicht u.a. deshalb notwendig, weil nach Paulus das Christentum – aufgrund der Abstraktion von der Lehre Jesu – zu einer magischen Religion (zu einer Opfer- oder Mysterienreligion) zu werden drohte?
    Ist nicht das Wort von dem einen Sünder, über dessen Bekehrung im Himmel mehr Freude herrscht als über 99 Gerechte, ein antipaulinisches Wort: Ist nicht dieser eine Sünder der, der über das Gesetz und die Thora, über das Bewußtsein der Sünde, zur Gottesfurcht gelangt ist, die Paulus, der einigemale auf sein „ruhiges Gewissen“ verweist, auch den Christen ersparen möchte?
    Das Fleisch, oder die Gewalt der Sünde über mich, ist nur durch Reflexion und Umkehr, nicht durch Verurteilung und durch Verdrängung, nicht durch Tabuisierung, zu brechen.
    Kommt der Name der Barmherzigkeit bei Paulus überhaupt vor, und verdeckt nicht die Rechtfertigungslehre genau diese Lücke? Gibt es eine Stelle, die der im Jakobusbrief, daß die Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert, entspricht?
    Hat Paulus nicht das Christentum zu einer Schutzhütte vor den Unbilden des Römischen Reiches gemacht? Hier ist der Messianismus gestorben und begraben worden, ist das Christentum zu einer magischen Religion geworden.
    Während die Synoptiker nur die leeren Stellen der paulinischen Theologie auffüllen, ist das Johannes-Evangelium antipaulinisch: der Kampf gegen die Komplizenschaft der Herrschenden (deren V-Mann Paulus war, als er noch Saulus hieß) mit den Römern. In der Konsequenz dieser johanneischen Intention liegt die Apokalypse (kann es sein, daß das „Tier vom Lande“, das „zwei Hörner (hat) wie ein Lamm“, aber „spricht wie ein Drache“, vielleicht doch an Paulus erinnert?). Dieser Johannes schreibt immerhin unter dem Namen des „Donnersohns“, des gleichen Jüngers, den „der Herr liebhat“.
    Wenn man im Römerbrief die „Beschneidung“ als Bekenntnis liest, kommt man der Wahrheit näher.
    Der Antisemitismus und vor ihm der kirchliche „Antijudaismus“ gründen in Vorurteilsstrukturen, die durchsichtig werden, wenn man auf das projektive Element in ihnen aufmerksam wird, auf die Mechanismen der Selbstentlastung durch Schuldverschiebung. Beide, der Antisemitismus und der Antijudaismus, sagen nichts über die Juden, aber sehr viel über die Antisemiten und die antjüdischen Christen. Der „eliminatorische Antisemitismus“, auf den Daniel Goldhagen verweist, dessen Buch bereits soviel Hühnerhof-Aufregung verursacht hat, bevor es in Deutschland überhaupt erschienen ist, gründet in genau diesem Mechanismus. Und, bei allen Mängeln, die das Buch haben mag, beweist nicht diese Reaktion, daß es einen Nerv getroffen hat?
    Zu den großen Partien bei Paulus gehört der Satz, daß die ganze Schöpfung auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet; dazu gehören die Elementarmächte; dazu gehört nicht zuletzt sein Begriff des Glaubens, wenn man ihn als Asyl des Messianismus begreift. Unerträglich hingegen ist der apologetische Grundton fast aller paulinischen Briefe (sein „Theologisieren“).
    Ist nicht der Hierarchie-Begriff eine zwangsläufige Folge der Subsumtionslogik (in der der Begriff, der die Dinge unter sich begreift, selber in einer Subsumtionsbeziehung zu „höheren“ Begriffen sich wiederfindet)? Läßt er nicht aus der neuplatonischen Emanationslehre sich herleiten, in der Elemente der Licht- und der Herrschaftsmetaphysik trübe sich mischen, und die selber zu den kosmologischen Konsequenzen der Rezeption der Sündenfall-Theologie zu gehören scheint? Hierarchische Strukturen sind Konstrukte der Selbstreproduktion der Subsumtionslogik des Begriffs, die in der Moderne in den subjektiven Formen der Anschauung auf ihren Grund in der Subjektivität zurückgeführt werden; aufzulösen sind sie allein durch die logische Kraft des Namens.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind das logische Äquivalent der Finsternis über dem Abgrund: Unter ihrem Zwang erkenne ich nur noch, was ich in die Dinge hineinlege, nicht mehr, was sie an sich selbst sein mögen. Es hilft nichts, den kantischen Agnostizismus zu kritisieren; hier wird sehr präzise und konkret die vorletzte der ägyptischen Plagen, die allgemeine Finsternis, aufgedeckt.
    Am ersten Schöpfungstag hat Gott nicht die Finsternis durch das Licht vertrieben, sondern eine Hilfe geschaffen, einen realsymbolischen Hinweis darauf, daß die Finsternis nicht alles ist.
    Quoad nos ist die Finsternis das Erste. Aber sind die Christen nicht „das Licht der Welt“ (und zwar nicht durch Restauration irgendwelcher Vergangenheiten, sondern durch Errettung der vergangenen Hoffnung)?
    Verwechseln wir nicht die Heiligen mit den Helden? (Auf diese Verwechslung bin ich bei meiner Erstkommunion gestoßen worden, durch ein Buch, das ich geschenkt erhielt, und das mir durch die Enttäuschung, die es mir beim Lesen bereitete, die Augen geöffnet hat: „Helden und Heilige“. Ich hatte vorher Märtyrer-Geschichten gelesen, aus denen ich gelernt hatte, daß Christsein nicht am Triumph und Sieg der Helden, an ihrem Nachruhm, sondern allein an der Bereitschaft der Heiligen, Leiden und Niederlagen auf sich zu nehmen, auch wenn außer Gott keiner es sieht und anerkennt, sich messen läßt. Das hat mich vorbereitet auf den Vers von Reinhold Schneider.)
    Wer die Gewissenserforschung nur tief genug treibt, wird an einen Punkt kommen, an dem er zum Propheten wird.
    Kann es sein, daß ich an den „Kern der Sache“ nicht herankomme, weil ich ihn nur vor Augen, nicht im Ohr habe?
    Vor dem Gesetz: Hat nicht Kafkas Erzählung einen Mangel; sind es anstatt des einen nicht mindestens sieben Tore, die uns den Weg zum Gesetz verstellen?
    Was heute zur Verzweiflung treibt, ist genau das, was die Verzweiflung vertreiben soll: daß das Leben vor der Glotze endet.
    Ist nicht die chronologische Verwirrung und die Verwirrung der Namen (von Personen und Völkern), die beide zusammenhängen, eine zwangsläufige Folge des Positivismus im neunzehnten Jahrhundert, nach dem Zerfall der idealistischen Systeme? Sie wurde vorbereitet im kopernikanischen System, das, nach seiner dynamischen Begründung durch Newton, durchs Gravitationsgesetz, den Zusammenhang von Sprache und Erinnerung durch Verdinglichung der Erinnerung zum astronomischen Gesetz zerrissen, den Sprachgrund in den Sachen neutralisiert, das Ungleichnamige gleichnamig gemacht hat.
    Trägt nicht die Formulierung (Ton Veerkamp): „Kommt der Messias nicht (bald), hat Paulus ein Problem, ein unlösbares Problem“ (TuK 70, S. 24), die Züge einer Projektion? Nicht Paulus, sondern die gesamte christliche Theologie hat in der Geschichte der Moderne „ein Problem, ein unlösbares Problem“ bekommen. Und heißt dieser Paulus nicht eigentlich Luther?
    War es nicht Paulus, der den Sündenfall zum Absoluten gemacht (und das Christentum zweitausend Jahre vor die Wand gejagt) hat (und hat das nicht die paulinische Tradition begründet)? Als Paulus die Erlösung zur reinen Gnade machte, hat der den Satz vom Binden und Lösen geleugnet, eine Tradition begründet, in der die Kirche als hierarchische Verwaltungsorganisation und die Theologie als Theologie hinter dem Rücken Gottes nur noch binden, nicht mehr lösen konnten.
    War nicht Bubers Übersetzung von Gnade mit „Huld“ eine sehr schlimme christliche Übersetzung, die endgültige Verdrängung dessen, woran die scholastische Lehre von der „heiligmachenden Gnade“ letztmals erinnerte, Ausdruck der Regression der Gnadenlehre durch Einbindung in einen autoritären Kontext? Eine Gnade, die bloß rechtfertigt, nicht gerecht („heilig“) macht, ist ein Palliativ.
    Kommt es nicht im Ernst darauf an, den Begriff der Heiligkeit aus der Tabuzone der Eigentums- und Herrschaftssicherung, aus den Verstrickungen seines nationalen Mißbrauchs, zu befreien?
    Die Idee der Auferstehung lebt von dem ungeheuerlichen Gedanken, daß es ein Leben gibt, das vom Tod (von den Strukturen und Institutionen, die ihn verkörpern) im Kern nicht berührt wird. Nur Gott sieht ins Herz der Menschen, während der Tod sein gegenständliches Korrelat im Staat hat. Der Staat ist in der Tat der Statthalter des Gerichts in der Welt; aber „die Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht“ (Jak 213). Ist das nicht der zentrale Einspruch des Jakobus gegen die paulinische Theologie (und gehört dieser Einspruch nicht auch zur Kontroverse um die Beschneidung)?
    Vielleicht hätte es, wenn es Paulus nicht gegeben hätte, das Christentum nicht gegeben. Und vielleicht war nur über diesen „Irrweg“ (Jak 520) eine Tradition zu retten, die anders untergegangen wäre?
    Der Glaube ist die Gestalt, in der die Wahrheit den Weltlauf überlebt. Dieser Glaube aber hat unter dem Bann der Rechtfertigungslogik sich als Keim einer Logik entwickelt, die zur Logik des Vorurteils geworden ist (bezieht sich hierauf das Symbol des Tieres vom Lande, das zwei Hörner hat wie ein Lamm, aber spricht wie ein Drache?).
    Bezeichnen nicht alle antisemitischen Stereotype, vom Hostienfrevel über die Brunnenvergiftung zum Ritualmord (der Wiederholung des Gottesmords) Tatbestände, die den Antisemiten kennzeichnen:
    – der Hostienfrevel die Verdinglichung, die Logik des Fundamentalismus,
    – die Brunnenvergiftung die Bekenntnislogik als Wurzel des Nationalismus und
    – der Ritualmord (der Gottesmord) die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie?
    Rührt Auschwitz nicht an die Idee der Auferstehung, stellt Auschwitz nicht Ostern in Frage?
    Muß nicht, wer heute noch glaubt, Christ sein zu können, entweder sehr viel verdrängen, oder aber die Kirchengeschichte und die Theologie gegen den Strich bürsten, auf jeden Fall endgültig Verzicht leisten auf jede Form der Apologetik? War es nicht immer schon leichter, aber auch verhängnisvoller, Ereignisse wie Kreuz und Auferstehung auf die eigene Seele zu beziehen anstatt auf den Zustand der Welt?
    Ist nicht Helmut Gollwitzer, als er glaubte, gegen Gerschom Scholems Bemerkungen über den christlichen „Messianismus“ sich verteidigen zu müssen, in eine offene Falle hineingelaufen? Und sind nicht auch die Reflexionen von F.W. Marquardt, denen ich den Hinweis verdanke, daß es Helmut Gollwitzer war, an den der Brief Gerschom Scholems gerichtet war, noch sehr hilflos; können wir uns, kann irgend ein Christ sich freisprechen von dem, was Scholem zu Recht so scharf anspricht? – Müßten nicht in jede Reflexion über den Messianismus dieser Text von Scholem, aber auch seine übrigen Untersuchungen zum Thema (insbesondere über die Geschichte des Sabbatai Zwi, die auch eine Untersuchung über Paulus und das Christentum ist), mit einbezogen werden? Gehorcht nicht auch noch das Verschweigen dieser (im Kern mit Auschwitz zusammenhängenden) Untersuchungen den Rechtfertigungszwängen, die Auschwitz hinterlassen hat, und aus denen Gollwitzer wie auch Marquardt nicht herausgekommen sind (und hat nicht Auschwitz vom Grunde her das Problem der Rechtfertigung in dem Sinne selber neu gestellt, daß der Holocaust dieses Problem theologisch gegenstandslos gemacht hat)?
    Wie kommt es, daß bis heute kein Theologe das Blasphemische, das z.B. an den Kriegsgräberstätten (die die Toten nochmals schänden) sich wahrnehmen läßt, beim Namen genannt hat? Sind nicht diese „Gedenkstätten“, die die Toten instrumentalisieren und mißbrauchen, Gedenkstätten eines Nationalismus, den die Toten, die er produziert hat, überhaupt nicht interessieren, außer als Mittel zur Reproduktion der Logik, der der Nationalismus sich vedankt. Nur die Lüge, sie seien „für die Nation“ (für Führer, Volk und Vaterland, so hieß es damals) gestorben, während sie in Wahrheit für ihnen fremde Zwecke verheizt worden und elend verreckt sind, soll erhalten bleiben: fürs nächste Mal? Aber sind diese Gedenkstätten nicht eigentlich Gedenkstätten einer Opfertheologie, deren säkularisiertes Ritual sie zelebrieren? Die Symbolik, die diesem Ritual zugrundeliegt, ist eine Blutsymbolik: danach heiligt das Blut, das hier verströmt ist, den Zweck, für den es vergossen ist: die Nation, das „heilige Vaterland“, das zwar keiner mehr so zu nennen wagt, das aber der Sache nach weiter besteht.
    Vor diesem Hintergrund kann ich mit der anderen Blutsymbolik, daß wir durch das Blut des am Kreuz geopferten Gottessohns von Sünden rein gewaschen werden, nichts mehr anfangen. Ich meine, die Reflexion dieser Symbolik dürfe nicht länger mehr verdrängt werden. Ich weiß nicht, welche Folgen es haben wird, wenn wir das Paradigma einer Versöhnung durch Blut weiterhin akzeptieren. Vielleicht hilft der Hinweis auf den Satz Jesu, daß er von diesem Weinstock erst im Reiche Gottes wieder trinken wird. Hat nicht die Blutsymbolik etwas mit dem schrecklichen Verdrängungsakt, den das Kriegsende für die Deutschen bedeutete, die danach im Ernst überzeugt waren, nichts gewußt zu haben, zu tun? (Und was passiert, wenn an diese Verdrängung gerührt wird?)
    Schweigen die Götter wirklich in einer Welt, in der, soweit ich sehe, bis heute kein Theologe Anstoß daran genommen hat, daß die „Kriegsgräberfürsorge“ auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht nur nicht beendet wurde, sondern zu einer endlosen Geschichte zu werden droht? (Welche Rolle spielt eigentlich der Israel-Nationalismus einiger Theologen bei der Restauration des deutschen Nationalismus?)
    Ideologie ist Rechtfertigung: Beide stehen unter dem Bann der Schuld, den sie nicht zu sprengen vermögen. Die Rechtfertigung reagiert ex post, während die Gotteserkenntnis an das ante, an den Geist der Weissagung heranzukommen trachtet.
    Gehört nicht die Identifizierung des Fleisches mit der Beschneidung in den Scholem-/Gollwitzer-/Marquardt-Komplex?
    Vor einem Schaufenster, in dem u.a. Objekte archaischer „Kunst“ angeboten werden, überfällt mich der Gedanke: „Da halte ich mich lieber ans Original“, und denke an Klee. – Ist der Gedanke nicht ungeheuerlich, daß ein Bild von Klee das Orginal und die archaischen Objekte bloße Nachahmungen sind?

  • 23.7.96

    Ist nicht das Gleichnis vom Unkraut im Weizen auch eine prophylaktische Warnung von der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung? Zwei biblische Themen sind z.Zt. zentral: – Das eine geht aus vom letzten Satz des Jakobus-Briefes; es bezieht mit ein das Wort von dem einen Sünder, dessen Bekehrung mehr Freude im Himmel hervorruft als 99 Gerechte; und es bezieht mit ein Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde (sowie die andere Geschichte von den sieben unreinen Geistern). – Zum anderen gehören der Kelch-Begriff, der Schlaf der Apostel in Getsemane sowie das „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, als Grundlage aber die Geschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos. Was den Stern der Erlösung von der gesamten christlichen Theologie damals (und heute noch) unterscheidet, ist die Vergegenwärtigung der Offenbarung, ihre Errettung vorm Vergangensein, die durchgeführte Kritik der ihr Objekt zum Objekt (oder Gott zum stummen und blinden Autisten) vergegenständlichenden Theologie, während Martin Buber dem eigenen dialogischen Prinzip zum Trotz hilflos am Prinzip der Vergegenständlichung festhält, deshalb nur eine angepaßtere Version des Erbaulichen liefert.
    Innen- und Außen-Kommunikation, oder Gericht und Barmherzigkeit: Jeder Autor hat seine Zensoren im Kopf, die seine ersten Adressaten sind, vor denen er bestehen möchte. Dazu mögen u.a. sein „Partner“, seine Eltern, seine Lehrer, seine Freunde, insbesondere auch seine Kinder gehören. Wenn er schreibt, sind sie anwesend, hören zu, machen Einwände; wenn etwas gelungen ist, scheinen sie sich sogar zu freuen. Aber sind nicht auch, und zwar auf eine sehr viel beunruhigendere Weise, die andern anwesend, die er nicht kennt, deren Einwände wie auch deren Zustimmung er nicht kennt, die er gleichwohl antizipieren muß: das namenlose Kollektiv seiner Leser, seine wirklichen Adressaten, für die er schreibt? Ist nicht der Abgrund, der ihn von diesem Adressaten trennt, und den er durch sein Schreiben überbrücken möchte, der Abgrund der Sprache, des Namens? Hat Levinas‘ Satz, daß die Attribute Gottes nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen, den er mit dem Hinweis auf die Barmherzigkeit begründete, etwas mit diesem Abgrund zu tun? Gehört nicht Adornos Wort vom „Licht der Erlösung“ in den gleichen Zusammenhang? Hat nicht das real existierende Christentum mit der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele den Impuls der Gotteserkenntnis, der in allen steckt, durchs Selbsterhaltungsprinzip verwirrt und vergiftet? Hat es nicht zugleich den Blick auf die Welt versperrt und verdunkelt?
    Es gibt keine Kollektivschuld (so wie es kein kollektives Objekt des moralischen Urteils gibt), wohl aber eine kollektive Schuldverdrängung: die Verweigerung der Erinnerung durch das Instrument der Verurteilung. Die Schuldverdrängung führt in das, was Ralph Giordano die „zweite Schuld“ genannt hat, die dann allerdings in der Tat zur Kollektivschuld wird. Gleicht die Beziehung der zweiten zur ersten Schuld nicht der der zweiten zur ersten Natur? Wird nicht die erste Natur (als „Erscheinung“) erst im Lichte der zweiten sichtbar? Hat nicht das Christentum im dogmatischen Prozeß den Verurteilungsmechanismus ausgebildet und eingeübt (im „Kampf gegen die Häresien“), zusammen mit der Ausbildung und Einübung der Bekenntnislogik? Wer einen Schuldigen verurteilt, bekennt sich zu den „Werten“, die der Schuldige verletzt hat: Er entzieht sich damit dem Urteil, ändert aber nichts. War es nicht dieser Verurteilungsmechanismus, mit dem die Philosophie aus dem Bann des Mythos sich befreit hat, aber um den Preis der Logik des Begriffs? Die Erfindung der Philosophie war begleitet von der Erfindung der Barbaren. Das Christentum hat diese Erfindung differenziert, ebntfaltet und verfeinert, und zwar in dem Prozeß, auf den Geschichte der drei Leugnungen verweist: durch die weiteren Erfindungen der Juden, der Heiden und der Wilden. Schuldverdrängung und Schuldverschiebung funktionieren nur als kollektive Mechanismen; sind diese Mechanismen nicht der Kern der Bekenntnislogik und der Massenbildung zugleich? Autonome, spontane Solidarität wäre Solidarität ohne Komplizenschaft (ohne das Wechselspiel der kollektiven Absicherung). Bezeichnet nicht die Opfertheologie genau dieses Moment der Komplizenschaft in der Bekenntnislogik (die Bindung, den gesellschaftlichen Kitt der Religion)? Im Anfang wurden die Tiere in Horden, nicht durch Einzelne erlegt, die dann zur Versöhnung des Opfers bedurften. Der erste einzelne Jäger („Held der Jagd“, so Buber) war Nimrod? Gründet nicht der Totemismus im Raub der jungen Tiere, die – über die symbiotische Beziehung zu diesen Tieren – den Anfang der Domestikation bildete? War die christliche Opfertheologie das Instrument der Domestikation des Messianismus? Es war in Antiochien, wo die Christen erstmals sich Christen nannten. Die Sekten nutzen die Apokalypse als Angsterzeugungs-Instrument, um die Schafe in die eigenen Hürden zu treiben. Aber ist nicht umgekehrt die Apokalypse, als Mittel der Angstbearbeitung, auch eine Erkenntnishilfe? Es gibt drei subjektive Formen der Anschauung, den Raum, das Geld und die Bekenntnislogik, die sich durch wachsende Distanz von der Natur unterscheiden. Der Raum ist noch ein „Naturprodukt“, während das Geld auf den Selbsterhaltungs- und Eigentumstrieb der Menschen verweist, die Bekenntnislogik hingegen aufs Schuldverschubsystem und seine objektkonstituierende Kraft. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Ist der Plural („ihnen“, „sie“) nicht wesentlich? Ist das Augen-Aufgehen und die Erkenntnis der Nacktheit nicht ein kollektiver Akt (und sind die „subjektiven Formen der Anschauung“ nicht das Produkt dieses kollektiven Akts)? Steckt nicht in jedem gegenständlichen Sehen das Bewußtsein und der Anspruch eines gemeinsamen Tuns (das dann im Fernsehen sich erfüllt)? Und bedarf es nicht einer zusätzlichen Reflexion, um zu bemerken, daß es keine Garantie gibt, daß das, was ich sehe, von den anderen genau so gesehen wird, wie ich es sehe?

  • 20.7.96

    Ist der biblische Schöpfungsbericht eine Kampfschrift gegen die Herrschaft Babylons? Der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, ist ein Bollwerk gegen den Weltbegriff, gegen den universalen Eigentumsbegriff, der mit dem Ursprung des Staates, mit der Begründung einer Gesellschaft von Privateigentümern, mit gesetzt ist. „Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße“: Dieser Satz begründet die andere Eigentumsordnung, die die Thora entfaltet, insbesondere den Einspruch gegen ein unbeschränktes Eigentumsrecht an Grund und Boden und an einem Glied des Volkes Israel. Der biblische Begriff der Heiligkeit drückt genau diese Einschränkung des Eigentumsbegriffs aus (am Dornbusch: „ziehe die Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, worauf du stehst, ist heiliges Land“ <Ex 35>, dagegen bei der Landnahme: „jeden Ort, darauf eure Fußsohle treten wird, gebe ich euch“ <Jos 13>).
    Wer die Schöpfung (die auch auf Raum und Zeit sich erstreckt) als einen Vorgang in Raum und Zeit sich vorstellt, schließt die Möglichkeit der Herrschaftskritik vom Grunde her aus.
    Hegel begreift nur, wer begreift, daß der Weltbegriff vom Grunde her mit dem des Staates verbunden ist und den Staat nicht überlebt. Hegels Weltgericht beschreibt präzise das Lebensprinzip des Staates, nicht aber das, was die Theologie das Jüngste Gericht nennt. Das Weltgericht ist das Gericht der Sieger über die Besiegten. Dagegen steht der Satz im Jakobusbrief: Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht. Das rührt an den zentralen Einwand gegen Hegel: Das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht.
    Hegels Satz, daß die Natur den Begriff nicht halten kann, ist ein analytisches Urteil: Wenn die Natur der Inbegriff aller Objekte ist, so ist sie das Substrat des Begriffs, vermag ihn aber nicht zu halten, da sie ihn außer sich hat.
    Wer den Messianismus leugnet, leugnet auch noch die Hoffnung, die uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben ist. Ist der Benjaminsche Satz, der hier zitiert wird, nicht eine Erläuterung (oder eine Verschärfung) des letzten Satzes des Jakobusbriefs?
    Wenn das Bestehende die Kraft der Selbstlegitimation hat, so gründet das in der Logik des Weltbegriffs.
    Beginnt nicht der nationalistische Grund der Logik des Bestehenden heute zu einer Logik der Selbstzerstörung zu werden (Jugoslawien, Nordirland)? Verweist dieser nationalistische Grund der Logik des Bestehenden nicht auf die Bekenntnislogik, aus der sie hervorgegangen ist? Deshalb ist die Entkonfessionalisierung der Kirchen wichtiger als die Ökumene, die vergeblich versucht, die ungleichnamigen Hierarchiebegriffe der christlichen Kirchen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
    Zur Herrschaftslogik gehört das Prinzip der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Dieses Prinzip droht heute aus einem theoretischen (wissensbegründenden) zu einem praktischen Prinzip zu werden: Als theoretische hat sie die Kraft der Erinnerung zerstört, als praktische zerstört sie die Vorstellungskraft für das, was wir anrichten.
    Ist nicht der aktuellste Satz in den Evangelien der aus Matthäus: Was ihr auf Erden lösen werdet, wird auch im Himmel gelöst sein?
    Fällt nicht das Konstrukt der „Entsühnung der Welt“ unter das Marxsche Verdikt: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern. Das Fatale dieses Konstrukts liegt darin, daß es die „andere Interpretation“ der Welt schon für eine Änderung der Welt hält, während die „Änderung“ nur im Subjekt stattfindet, in einer Exkulpation, die es vom Bewußtsein der Schuld (nicht von der Schuld, die es nur aus dem Blickfeld verbannt) „befreit“: Hegels „Bewußtsein der Freiheit“ verweist auf diesen Zusammenhang. Der Weltbegriff selber birgt in sich eine Exkulpationsautomatik, die darin gründet, daß sie von der Last der Reflexion befreit. Exkulpiert wird der „Urheber“ der Welt, der Staat, der von der Kraft der Selbstlegitimation des Bestehenden in erster Linie profitiert.
    Die Bekenntnislogik macht das Subjekt zum Objekt von Herrschaft, indem sie Herrschaft ins Innere des Subjekts mit hereinnimmt, sie so aus dem Blickfeld rückt.
    Die Bekenntnislogik ist postdogmatisch, ihre Sprachlogik ist die der lateinischen Sprache und Grammatik.
    Läßt die Geschichte der drei Leugnungen an den geschichtlichen Brechungen der kirchlichen Theologie sich demonstrieren: an den theologischen Revolutionen, für die die geographischen Namen der jeweiligen „Grenzen der Welt“: Nordafrika, Irland und Südamerika stehen (Tertullian und Augustinus, die irischen Mönche und Johannes Scottus Eriugena, die Befreiungstheologie)?

  • 14.7.96

    Die Definitionskraft Kants ist phantastisch, aber was er logisch durchdringt und erhellt, ist erschreckend.
    Die Philosophie heute ist Teil eines Prozesses, der durchherrscht wird von Trägheitskräften: überlebende Schiffbrüchige, die an die Planken des zerstörten Schiffes sich anklammern (und sich immer noch für Kapitäne halten).
    Ist nicht die irische Neubegründung des Christentums eine Parallelerscheinung zum Islam: diese Neuversion des Christentums ist zur gleichen Zeit entsprungen und hat in der gleichen Zeit über Europa sich ausgebreitet. Das Neue, das hier sich herausgebildet hat, war ein Selbstverständnis, das als Legitimation des Königtums das Ende der Stammesgesellschaft ratifizierte, verbunden mit einer (im Kontext des theologischen Begriffs des Sündenfalls an der Schwere sich orientierenden) Neubestimmung des Naturbegriffs: Natur war alles, was unten ist. Hier liegen die Wurzeln sowohl der neuen Gestalt des Bürgertums als auch der neuen Natuwissenschaften, die nur über diese (theologische) Zwischenstufe sich haben etablieren können.
    Der Begriff der Eigentumsgesellschaft dogmatisiert die Oben-Unten-Beziehung (zum Eigentum gehört der Knecht, der es bearbeitet; die Hierarchie ist ein System von Knechten).
    Aufgrund des derzeitigen Erkenntnisstands wird man beim Hogefeld-Prozeß davon ausgehen müssen, daß die Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden in der Aktion in Bad Kleinen zum Opfer ihrer eigenen paranoiden Phantasien geworden sind. Weist nicht alles darauf hin, daß es die Aufgabe dieses Prozesses ist, diesen Phantasien, die schon damals durch die Erkenntnisse des V-Manns widerlegt gewesen sein müssen, nachträglich den rechtlichen Status der Erkenntnis zu geben? Daß das Gericht seine Aufgabe begriffen hat, mag man daran erkennen, daß alle Versuche, das Geschehen in Bad Kleinen im Prozeß aufzuklären, abgeblockt und unterbunden werden. Hierbei profitieren BAW und Senat offensichtlich davon, daß auch die Phantasie der Angeklagten und der Verteidigung an das, was wirklich passiert ist, nicht heranreicht, daß beide – ebenso wie die Öffentlichkeit insgesamt – das Undenkbare, das wirklich geschehen ist, nicht zu denken wagen.
    Die „Undenkbarkeit“ des Geschehens gründet in einem (urteils- nicht handlungs-)moralischen Sachverhalt. Der Nationalsozialismus hat erstmals mit nachhaltiger Wirkung von diesem Mechanismus Gebrauch gemacht: Wenn das, was man tat, so schlimm war, daß man jeden Versuch, das Geschehen öffentlich zu machen, als „Greuelpropaganda“ dementieren konnte, so war die Tat selber der beste Schutz gegen ihr Bekanntwerden (und gegen ihre Verurteilung). Der gleiche Mechanismus hat am Ende des Krieges der gesamten Bevölkerung als absolut wirksame Verdrängungshilfe gedient, und er hat es der Rechtsprechung nach dem Krieg erlaubt, die Nazi-Justiz insgesamt freizusprechen (mit Hilfe der gleichen Logik, die heute immer noch Trunkenheit als Schuldminderungsgrund anerkennt).
    Ein Staat, der sich selbst für beleidigungsfähig erklärt (der „verunglimpft“ werden kann), der den „Ehrenschutz“ ausdehnt (und das Militär unter Sonderrecht stellt), hat wirklich etwas zu verbergen, und seine Repräsentanten wissen es auch.
    Hat nicht der Begriff Rechtsstaat auch den Hintersinn, daß es sich um Staat handelt, in dem das Regieren immer mehr ins Verwalten übergeht: in ein Handeln, das durch Gesetze, nicht durch die souveräne moralische Reflexion (oder – frei nach Kant – durch die bestimmende, nicht die reflektierende Urteilskraft) sich bestimmt. Im Rechtsstaat tut jeder seine Pflicht, aber keiner weiß mehr, was er tut (so haben auch die Richter am Volksgerichtshof nur ihre Pflicht getan, nur daß sie nicht mehr wußten, was sie taten).
    Soldaten und Beamte tun ihre Pflicht, wissen aber nicht mehr, was sie tun: Die nationalsozialistische Durchmilitarisierung des Volkes, die ohne den Antisemitismus (die reinste Gestalt einer instrumentalisierten Bekenntnislogik) nicht möglich gewesen wäre, hat das ganze Volk in eine hierarchische Verwaltungsorganisation transformiert, mit dem einen Ziel: der Neutralisierung der moralischen Selbstreflexion und Selbstbestimmung, der Aufhebung der Tötungshemmung, der Etablierung des durchorganisierten blinden Gehorsams. Insoweit war der Faschismus eine gesellschaftliche Naturkatastrophe, die den Greuel der Verwüstung hinterlassen hat.
    Ist nicht der Faschismus das Modell für den Begriff einer „nachhaltigen Entwicklung“?
    Fragepronomen: Ist nicht das Wie eine falsche, den „Weg des Irrtums“ eröffnende Frage? Beantworten nicht die Namen der Planeten alle eher ein Wie als ein Was? Konstituiert das Wie die Sphäre, in der das Warum (die Frage nach der Ursache wie nach der Schuld, die den Naturbegriff und die Geschichtsschreibung begründen) entspringt? – Gibt es im Hebräischen das Wie und das Warum (das Warum begründet die Theodizee)? Welche Frageformen entspringen mit der Vergegenständlichung der Zeit (und welche Fragen erlöschen in der Idee des Ewigen)?
    Quod erat demonstrandum: In der Wissenschaft wird demonstriert, im Recht wird bewiesen; wie unterscheiden sich wissenschaftliche und juristische Urteile? Gibt es eine wissenschaftliche Entsprechung des Zeugen: Im Recht wird die Wahrheit bezeugt, in der Wissenschaft wird sie erzeugt?

  • 12.7.96

    Zur Kritik der Urteilskraft: Hat nicht Auschwitz der Idee des Erhabenen den Boden entzogen?
    Hegels Bemerkung, daß, was aus dem Grunde kommt, auch zugrunde geht, ist ein Ausdruck der absoluten Verzweiflung: Kant zufolge ist der Grund eine Reflexionsform des Zwecks. Für Hegel gibt es, anders als für Kant, keinen „Endzweck“; der ist in der Idee des Absoluten untergegangen und begraben.
    Der Begriff der Größe wird vor allem auf historische Personen angewandt, insbesondere auf Herrscherfiguren wie Alexander, Konstantin, Karl der Große, Friedrich der Große (und sein Vater: der große Kurfürst); merkwürdig, daß es im gleichen historischen Kontext auch ein weibliches Exemplar der Größe gibt: Katharina die Große. Dieses Attribut scheint insbesondere den Reichsgründern zuerkannt zu werden; welche Bewandnis hat es dann mit der Gründung des preußischen Staates (gegen eine in die Repräsentation des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eingebundene österreichische Herrscherin, und im Vorgriff auf die Gründung des Zweiten Deutsche Reichs)? Was zeichnete diesen Staat (der zum Modell der Hegelschen Staatsmetaphysik, der Verkörperung der Idee des Absoluten, geworden ist) vor anderen Staaten aus, und was verbindet ihn mit dem Untergang des Ersten Reiches? Dazu merkwürdig, daß Alexander und Karl inzwischen in Verdacht geraten, nur Phantomfiguren zu sein, als Verkörperungen einer Geschichtslogik, die ihre Objekte einem Verfahren der Ästhetisierung unterwirft, sich ins Irreale zu verflüchtigen scheinen.
    Mit dem mathematischen Begriff der Größe ist die Orthogonalität mit gesetzt. Kann es sein, daß der ästhetische Begriff der Größe, der der Idee des Erhabenen zugrunde liegt, durch einen der Orthogonalisierung vergleichbaren Effekt sich auszeichnet? Und kann es sein, daß die Vorstellung des dreidimensionalen Raumes ihre säkularisierende Wirkung darin hat, daß sie die Vollständigkeit der Fundierungsbedingungen der mathematischen Größen (nicht ihre Realisierungsbedingungen: die schließen einen subjektiven Akt, einen Akt der Setzung, der Konvention mit ein) in sich enthält (was darin sich manifestiert, daß sie im Prinzip bereits dem ästhetischen Begriff der Größe die Grundlage entzieht)? These: Der Begriff der historischen Größe und die Idee des Erhabenen gründen in einem noch vornewtonschen, naiven Verständnis der Schwere; sie stehen in einem logischen Zusammenhang mit der Geschichte und der Logik des Weltbegriffs (seiner Beziehung zum Begriff des Falls – vgl. Wittgesteins Definition des Weltbegriffs). Kann es sein, daß Größe und Erhabenheit (die beim Augustus sogar zum Namen geworden sind) als besondere ästhetisch-historische Kategorien die christliche theologisch-dogmatische Weiterbildung der Logik, den Begriff und die Realität der Orthodoxie, voraussetzen, auf ihrer Grundlage sich gebildet haben? – Die vorchristliche Welt kannte die „sieben Weltwunder“ (und die rechtsgründenden Taten der Heroen), aber – außer den erst in christlicher Erinnerung so genannten – keine „Großen“; dagegen stand die Logik des Mythos und des Schicksals, insbesondere das absolute Urteil der Hybris.
    Ist nicht das Attribut „der Große“ ein (dem Alexander aus durchsichtigen Gründen nachträglich zuerkanntes) „historisches“ Attribut?
    Vgl. die Reflexionen Lyotards zum Begriff des Erhabenen!
    Hat die Logik der Orthodoxie (die Bekenntnislogik) für die Geschichte der Theologie und des Dogmas die gleiche Funktion wie die durch die Orthogonalität als Norm determinierte Raumvorstellung für die Bildung der Vorstellung kontinuierlicher und diskreter Größen?
    In welcher Beziehung stehen das aristotelische Staunen und die „sieben Weltwunder“ zu den Wundern der Evangelien, waren sie so etwas wie eine gleichsam prophylaktische Vorkehrung, die dem fundamentalistischen Mißverständnis dieser Wunder Vorschub geleistet (ihren „symbolisch-typologischen“ Sprachsinn unkenntlich gemacht) haben? Und war nicht dieses fundamentalistische Mißverständnis eine der Ursprungsbedingungen des Dogmas?
    Die mathematische Größe bedarf des Maßes; das aber ist Produkt einer Konvention. Es gibt kein „natürliches“ Maß der Länge, der Zeit, des Gewichts, des Geldes.
    Wenn die moderne Sprachtheorie die Worte als konventionelle Symbole begreift, verwechselt sie die Sprache mit der Mathematik. Und ist nicht der Begriff der Konvention ein falscher Ausdruck für die verandernde Kraft des Urteils? Wer das Resultat dieser Veranderung zur Sache der Konvention macht, trennt die Sprache von ihrer Wurzel im Namen.
    Die verandernde Kraft des Urteils aber gründet in der Eigentumslogik (der der Staat und der Weltbegriff sich verdanken, und die dem Naturbegriff sein Objekt gibt): in der Beziehung der objektivierenden Kraft des Seins (der Kopula) zu der objektivierenden Kraft, die der staatlich geregelten und rechtlich sanktionierten Eigentumsordnung (der Trennung und Unterscheidung der Öffentlichkeit, der Sphäre des Eigentums anderer, von der Privatsphäre) sich verdankt.
    Zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Die Tatsache, daß die Lichtgeschwindigkeit eine „empirische“ Größe ist, macht ein durch Konvention definiertes Element (ein durch „konventionelle“ Maßbestimmungen mit definiertes Element) zu einem Systemelement, das die „Objektivität“ der Erkenntnis mit garantiert. Ist dieses Systemelement nicht eines, das in den Grund des Feuers hinabreicht? Deshalb ist die Bestimmung der Beziehungen des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu den Konstituentien der Mikrophysik so zentral. Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der durch Umwendung ins Äußere unkenntlich gemachte Knoten, der zu lösen wäre?
    Lust ist eine ins Ästhetische reflektierte, durchs Ästhetische vermittelte Empfindung. Das Korrelat der Unlust ist der Schmerz. Jede Empfindlichkeit ist pathologisch, der Schmerz ist real.
    Erscheint der historisch-ästhetische Begriff der Größe (des Erhabenen) auch bei Hegel? Vgl. auch die Weltgeschichtlichen Betrachtungen Jakob Burckhardts. Im Gröfaz („größten Führer aller Zeiten“) ist der Begriff der Größe explodiert (und zwar sowohl in den unmittelbaren Zielen und Folgen der nationalsozialistischen Politik, als auch in den Metastasenbildungen in den Diktaturen heute); seit Auschwitz gibt es kein Erhabenes mehr. Reflektiert sich das nicht in der Sprache der Nachgeborenen, die z.B. den Begriff der Anmut nicht mehr kennen („heute nennen wir das geil“), aber auch in der Neigung der Medien, das Interesse der Gesellschaft anstatt durch die Sache, durch Steigerung der Reize zu gewinnen (Sensation ist ein Empfindungsbegriff, der von der Last der Reflexion entbindet)?
    Ist nicht die Größe prima facie ein Attribut des Männlichen, und das Schöne (die „Anmut“, das „Liebliche“) eines des Weiblichen? Die Blume ist schön, der Baum erhaben? Hängt es nicht mit der Verwischung der Geschlechterdifferenz zusammen, wenn in der Sprache der Jugendlichen das Erhabene vom Wahn und das Schöne vom Sexuellen nicht mehr sich scheint trennen zu lassen? Sind nicht die Attribute, mit denen Jugendliche die Dinge heute benennen, ein Indiz des Weltzustandes? Verweist nicht die Differenz des Schönen und Erhabenen auch auf die Unterscheidung von Natur und Welt, ist nicht das Schöne ein Objektgefühl, das Erhabene ein Verstandesgefühl (das Absolute ist das an sich Erhabene)? Gehören nicht das Schöne wie das Erhabene einer Sphäre an, die im Urteil gründet (und nur dem Gefühl sich erschließt, aber einem, das den Anspruch auf Objektivität erhebt)? Der Faschismus, der zum absoluten Objekt der Verurteilung geworden ist, ist weder schön noch erhaben, eigentlich die Vernichtungsmaschine beider. In diesen Zusammenhang gehört Adornos Satz, nach Auschwitz Gedichte schreiben sei barbarisch (gegen den alle protestierten, die das Privileg nicht aufgeben wollten, sich weiterhin einen Reim auf diese Vergangenheit zu machen).
    Blumen sind schön, Bäume erhaben: Heißt das nicht auch, daß Blumen als Naturwesen, Bäume als Weltwesen apperzipiert werden? Was bedeutet dann die Wendung „durch die Blume sprechen“?
    Wer die Korrektur-Vorschläge der Kant-Herausgeber in den Anmerkungen der Kant-Ausgaben liest, bekommt einen Vorbegriff davon, wie der Duden einmal entstanden sein mag. Kaum eine „Verbesserung“, an der nicht mit Händen sich greifen ließe, daß nicht nur die kantische Sprachlogik sondern mit ihr entscheidende Motive seiner Philosphie nicht mehr verstanden wurden. Alle „grammatischen Fehler“, die hier „berichtigt“ werden, sind nicht nur keine, sie drücken in Wahrheit genau das aus, was seitdem an Kant verdrängt und vergessen wurde.

  • 11.7.96

    Zur den Krankheiten, von denen vor allem kirchliche Autoren befallen sind, gehört der von der Bekenntnislogik nicht abzulösende apologetische Ton (aber warum und wodurch unterscheiden sich Karl Thieme und Kornelis H. Miskotte, die doch beide auf Rosenzweig sich beziehen? Liegt der Grund dafür, daß Thieme gänzlich unapologetisch schreibt, darin, daß er Laientheologe war?). Bei der Verkündigung der Geburt des Johannes ist der Adressat der Vater, Zacharias, nicht Elisabeth, und der Ort ist der Tempel (Lk 15ff); bei der Verkündigung der Geburt Jesu ist Maria die Adressatin, nicht Josef (dem dann die Engel im Traum erscheinen); der Ort dieser Verkündigung ist „eine Stadt in Galiläa mit Namen Nazareth“ (Lk 126ff). Die einzige Stelle, an der der Name Josefs im Kontext des öffentlichen Wirkens Jesu erscheint, ist die bei dem öffentlichen Auftritt Jesu in Nazareth, wo die Leute fragen: Ist das nicht der Sohn des Josef (Mt: der Sohn des Zimmermanns; Mk: der Zimmermann, der Sohn der Maria). Bei Lk sind es dann die gleichen Leute, die ihn steinigen wollten (Lk 416ff). Greuel der Verwüstung: Wenn Heinsohn/Steiger den Begriff des Privateigentums durch den des Eigentums ersetzt sehen möchten, müßte das nicht Konsequenzen haben im Hinblick auf ihre Stellung zur Politik der Privatisierung von Unternehmen und Einrichtungen der öffentlichen Hand? Oder drückt sich darin nur die Einsicht aus, daß diese „Privatisierung“ in Wirklichkeit keine ist, sondern eine Form der Vergesellschaftung, bei der die Verantwortung ins Funktionale gerückt, und d.h. aufgehoben wird? Seit es in den entscheidenden Bereichen der Wirtschaft keine „Unternehmer“ mehr gibt, deren Tätigkeit durch die „Unternehmensführung“, durch ein Verwaltungsmanagement, ersetzt wurde, handelt nur noch das Wertgesetz als Vollstrecker der Imperative des Marktes. „Verantwortlich“ ist die Geschäftsführung allein den „Eigentümern“, die weder zur Produktion noch zu den Produzenten noch eine Beziehung haben, statt dessen nur noch das eine Interesse, daß die Rechnung stimmt. Das Eigentum, dessen Verwaltung ans Management delegiert wird, ist in der Tat kein Privateigentum mehr, sondern nur noch das Eigentum anderer (die Verschmelzung des Eigentumsbegriffs mit dem Weltbegriff). Die „Privatisierung“ von Betrieben der öffentlichen Hand ist nur ein weiterer Beleg dafür, daß die Politik in wachsendem Maße sich aus der Verantwortung stiehlt, nicht nur immer mehr Aufgaben an die Zwillinge der Multis, die transnationalen Verwaltungen delegiert, sondern zugleich selber zur bloßen Verwaltung der in diesen Formen des Eigentums verkörperten „objektiven“ Interessen (der Imperative des Marktes) degeneriert. Mit der heute sich durchsetzenden Form des Eigentums wird der kantischen Bemerkung, daß die Achtung vor dem Gelde aus der Vorstellung herrührt, was man damit alles machen könne, die Grundlage entzogen: Mit dem Eigentum anderer, einem gleichsam ontologisierten, „harten“ Eigentum, kann man nichts mehr machen: hier wird das Possessivpronomen der männlichen dritten Person singular zum Ausdruck der Universalität des Eigentums der Anderen, zum Äquivalent des Infinitivs „Sein“. Das ist der wirkliche Grund der gegenwärtigen „Sparpolitik“, die ihre apriorischen Objekte am „weichen“ Eigentum derer findet, die ihr Eigentum nur fürs Überleben, nicht aber mehr für seine würdigeren Aufgaben nutzen: als verpfändbares und belastbares Eigentum Grund der Geldschöpfung (oder müßte es „Gelderzeugung“ heißen?) zu sein. Wenn das Weltgericht das Jüngste Gericht ist, dann sind die Eigentümer die Richtenden und die Geretteten zugleich, während die bloß Besitzenden im Fegefeuer sich befinden und die Armen in der Hölle. Gibt es in der Schrift Hinweise auf die Trennung von Besitz und Eigentum, oder ist diese Trennung das Werk der Moderne, Grund der Trennung von Ding und Sache? Gehören zu den Gefühlen der Lust, die Kant zur Grundlage seiner ästhetischen Theorie, seiner Theorie des Schönen, macht, nicht auch die Sexuallust, die Urteilslust und die Mordlust? Bezog sich die Vorstellung, daß zur richtigen Gesellschaft vielleicht auch ein paar Unternehmer als Haustiere gehören könnten, nicht eigentlich auf den Staat, dessen Domestikation immer noch aussteht? Die Welt ist der Inbegriff jener Äußerlichkeit, die im Eigentumsprinzip gründet. Verweist das Wort Einsteins: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit; aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher“, nicht auf einen realen Zusammenhang? Hat die Vorstellung des unendlichen Raumes nicht in der Tat den Grund für eine Dummheit gelegt, von der das Attribut der Unendlichkeit nicht mehr zu trennen ist? Läßt sich das Verhältnis des einen zu den sieben anderen Geistern an dem Verhältnis des Eigentums zu seinen Denominationen demonstrieren? Zur Logik von Kants „Gefühl der Lust“: Die Lustgrenze ist die Feuergrenze (vgl. 1 Joh 216: das Wort von der Fleischeslust, Augenlust und Hoffahrt des Lebens, die nicht vom Vater, sondern von der Welt stammen; außer der Sexuallust gibt es die Urteilslust und die Mordlust, außerdem den Machttrieb). Sind die Planeten Verkörperungen der Lust? Zu den Denominationen der Hegelschen Logik gehören: die Geschichte, die Kunst, die Religion, die Philosophie, das Recht, die Natur, der Geist. Jede Verurteilung gründet in und partizipiert an der Eigentumslogik. Begriffe sind die Duftmarken des Hundes, der Eigentum heißt. Ist es nicht ein tiefer logischer Instinkt, der Hunden die Namen der Caesaren gibt (insbesondere Caesar und Nero)? Paul Celan hat Ende April 1970 in Paris, Jean Amery am 17. Okt. 1978 in Salzburg, Primo Levi am 11. April 1987 in Turin Selbstmord begangen.

  • 27.6.96

    Die Gnadenlehre ist das theologische Pendant der Mechanik, ihr Orientierungspunkt, das individuelle Seelenheil, das Korrelat des Trägheitsprinzips; abgeschnitten – und zwar durch die innere Logik des Weltbegriffs selber – wird die Beziehung des Seelenheils zur Praxis, zum Zustand der Welt im Ganzen. Die Frage, ob und wie die Idee des seligen Lebens denkbar ist, wenn sie von der Reflexion auf den Zustand der Welt getrennt wird, wird verdrängt. Die Frage ist nicht: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, sondern: Wie erhalte ich die Gnade, befreit zu werden zum befreienden Handeln. Es gibt keine Hoffnung für mich ohne Hoffnung für die Hoffnungslosen. Darauf ist der letzte Satz des Jakobus-Briefs und das Wort von der Freude im Himmel über die Bekehrung des einen Sünders zu beziehen. Der „Weg des Irrtums“ ist der Weltbegriff; auf ihn (und auf die Geschichte vom gordischen Knoten?) bezieht sich das Wort vom Binden und Lösen. Wird das Ganze nicht durch Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern befreit wurde, in einen apokalyptischen Zusammenhang gerückt? Hat nicht das Wort vom Binden und Lösen, in dem Erde und Himmel zitiert werden, etwas mit dem Satz: Der Himmel ist Sein Thron, die Erde der Schemel Seiner Füße, zu tun? Adorno hat mit dem Programm der „vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte“ nicht Benjamins Konzept, sondern sein eigenes beschrieben. Walter Benjamin hat sein Konzept in seinem „theologisch-politischen Fragment“ beschrieben: „Die Ordnung des Profanen hat sich aufzurichten an der Idee des Glücks. Die Beziehung dieser Ordnung auf das Messianische ist eines der wesentlichen Lehrstücke der Geschichtsphilosophie. Und zwar ist von ihr aus eine mystische Geschichtsauffassung bedingt, deren Problem in einem Bilde sich darlegen läßt. Wenn eine Pfeilrichtung das Ziel, in welchem die Dynamik des Profanen wirkt, bezeichnet, eine andere die Richtung der messianischen Intensität, so strebt freilich das Glückssuchen der freien Menschheit von jener messianischen Richtung fort, aber wie eine Kraft durch ihren Weg eine andere auf entgegengesetzt gerichtetem Wege zu befördern vermag, so auch die profane Ordnung des Profanen das Kommen des messianischen Reiches.“ (Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, es 103, 1965, S. 95f) Kritik des Weltbegriffs heißt für die Kirchen u.a. Entkonfessionalisierung (eine Bekennende Kirche wäre eine entkonfessionalisierte Kirche: Der Faschismus, der Antisemitismus, der Sexismus, nicht zuletzt auch die ihnen zugrundeliegende verwüstende Gewalt der Ökonomie, der Kapitalismus, diese Dinge sind Verkörperungen eines status confessionis, an den das Formelbekenntnis nicht mehr heranreicht; Dialektik der Beziehung von Orthodoxie und Häresie?)

  • 24.6.96

    Bundeswehr: Die Schule der Nation ist die Schule der Gemeinheit. Deshalb braucht sie einen besonderen Ehrenschutz.
    Gibt es unter dem Apriori der Bemessung des Lohnes nach der Arbeitszeit überhaupt so etwas wie einen „gerechten Lohn“?
    Schnittblumen: Ist es nicht das Schematismus-Kapitel, das, indem es das Verfahren angibt, mit dem den Begriffen Inhalt verliehen wird, die Begriffe von ihrer Wurzel trennt und reversibel macht? Nur Namen sind nicht reversibel. Das Verhältnis des Begriffs zum Namen ist das der Unterdrückung und Ausbeutung: ein Herrschaftsverhältnis.
    Spiegeln sich nicht die realen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse in den sprachlichen? Und schließt nicht die Gotteserkenntnis die Kritik dieser Herrschaftsverhältnisse, der realen wie der symbolischen, mit ein? Ist der Sprachkosmos die Seele des realen Kosmos?
    Der Satz, daß sich Leistung wieder lohnen muß, bezieht sich auf das Geld, das „arbeitet“ und dessen Leistung sich wieder lohnen soll, und nicht auf reale Leistungen. Sonst müßte es auf Krankenschwestern, Müllwerker, Bergarbeiter u.ä. sich beziehen.
    War nicht die in den beiden Weltkriegen entfesselte Gewalt rechtssetzende Gewalt, Teil eines Modernisierungsschubs? Wird nicht heute die Verletzung von Menschenrechten mit der Würde des Rechtsstaats begründet?
    Der Name, das Angesicht und das Feuer:
    Grundlage einer Theorie des Namens wäre die Kritik der Theologie (der Bekenntnislogik),
    Grundlage einer Theorie des Angesichts wäre die Kritik der Natursissenschaften (des Inertialsystems) und
    Grundlage einer Theorie des Feuers die Kritik der politischen Ökonomie (des Geldes).
    Hat nicht Heideggers „Vorlaufen in den Tod“ etwas mit dem apokalyptischen Hinweis zu tun, daß es eine Zeit geben wird, in der die Menschen den Tod suchen und ihn nicht finden werden?
    Welcher christliche Junge hat nicht aus der Potiphar-Geschichte die Lehre gezogen: Vor Weibern muß man sich hüten. Wie ist diese Geschichte von Mädchen erfahren worden?
    Gehört nicht die Sentimentalität der Josephs-Geschichte (seine Brüder verachteten und haßten ihn, aber er hat nach seiner Karriere im Ausland ihnen am Ende großzügig verziehen und geholfen) zur Vorgeschichte der Verhärtung des Herzens Pharaos?
    Liegt nicht der Grund dafür, daß wir geneigt sind, die Schrift als Sammlung von Vorschriften, als Handlungsanweisung und nicht als Erkenntnishilfe, zu nutzen, in der Bedeutung, die die Sexualmoral im Christentum gewonnen hat, über deren Reflexion ein Tabu liegt, seit sie von der politischen Moral abgetrennt wurde? Hat nicht der evangelische Rat der Keuschheit sowohl mit dem Feuer (das er vom Himmel holen wollte, und von dem er wollte, es brennte schon) als auch mit der politischen Ökonomie etwas zu tun? Ist nicht unser Verständnis der evangelischen Räte insgesamt das Produkt einer vollständigen Verwirrung?
    Rechtfertigungszwang: Hat nicht die christliche Theologie seit je die Schrift als Projektionsfolie zur eigenen Entlastung genutzt (auch eine Form der Instrumentalisierung, die sich der Erkenntnis in den Wege stellt)?
    Ist nicht der Jakobusbrief die offene Tür, der Beweis, daß die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen werden?
    Karl Thieme hat in der Gestalt des Lazarus einen Typus der Juden gesehen (sein Verständnis der Erweckung des Lazarus gründet darin). Was bedeutet das für die Geschichte vom armen Lazarus: sind dann nicht die Reichen ein Typus der Kirche (und würde der Hinweis auf Moses und die Propheten damit nicht deutlicher)? Hat die Geschichte vom armen Lazarus (dessen Wunden die Hunde belecken) etwas mit der rabbinischen Geschichte vom Messias, der als Bettler vor den Toren Roms sitzt (und die Verbände seiner Wunden einzeln öffnet und erneuert), zu tun?
    Ist nicht die transzendentale Logik Kants, die unterm Apriori der subjektiven Formen der Anschauung steht, die Entfaltung des Satzes: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren? Die Heiligen sind nicht nackt, sondern bekleidet (nur daß die „weißen Kleider“ gegen die Ariel-Reklame nicht mehr ankommen); nackt war nur der Gekreuzigte.
    Hat nicht der Reinlichkeitszwang, der (zusammen mit dem Tabu über dem Tod) ein Grundprinzip jeder Reklame ist, etwas mit den Rechtfertigungszwängen, unter denen wir stehen, zu tun?
    Baum der Erkenntnis: Welche logischen Beziehungen gibt es zwischen der transzendentalen Logik, dem Begriff der Erscheinungen, den sie begründet, und der Sexualmoral? Wird nicht das Reich der Erscheinungen, das Gesamt der „nackten Tatsachen“, durch die gleiche Schamgrenze definiert (von den Dingen, wie sie an sich sind, getrennt), die der Sexualmoral ihre logische Konsistenz verleiht (und die zugleich die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem definiert)? Und verschiebt nicht die transzendentale Logik (oder genauer: die transzendentale Ästhetik, die subjektiven Formen der Anschauung, die die Dinge gleichsam entkleiden) diese Schamgrenze vom Handeln ins Objekt, das den Begriff als Feigenblatt zur Bedeckung seiner Scham auf sich zieht? Ist die transzendentale Logik die instrumentalisierte Heuchelei, der säkularisierte Pharisäismus?
    War nicht die Sexualmoral ein Instrument der Konstituierung und Legitimierung des naturbeherrschenden Subjekts, damit ein Instrument der Herrschaftsgeschichte überhaupt? Sie hat die Mächte der Verurteilung (des „strengen Gerichts“) auf den Weg gebracht und die der Empathie (der „Barmherzigkeit“) unterminiert.
    Sind die sieben Völker Kanaans der Typus der Bourgeoisie, die Ursprungsgestalt der sieben unreinen Geister?

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie