Benjamin

  • 22.11.92

    Das Horn ist ein Symbol der Macht. Hängt es damit zusammen, daß Opfertiere gehörnte Tiere sind?
    Den Sünden der Welt korrespondiert die Schuld der Natur: Neigen wir deshalb dazu, auch in der Theologie von der „Schuld der Welt“ zu sprechen, gleichsam eine falsche Fährte zu legen? Mit den Sünden der Welt sind wir als Subjekte angesprochen, mit der Schuld der Welt nur als Objekte, die einem Schicksal unterworfen sind: der Begriff Schuld der Welt macht die aktiven Sünden der Welt zum bloß passiv erlittenen Schicksal.
    Ist nicht der theologische Begriff des Übernatürlichen abgeleitet von dem der Metaphysik, gleichsam nur von der Logik transponiert ins Magische.
    Heißt nicht im Griechischen, was wir heute Begriff nennen, Logos? D.h. war nicht die Philosophie in ihrem Ursprung grammatisch-logisch determinierte Sprachphilosophie? Ist nicht die Verdinglichung des logos zum Begriff der Beginn des Objektivationsprozesses?
    Wie hat sich die Philosophie durch Übersetzung der Vätertheologie, des Dogmas, von der griechischen in die lateinische Sprache verändert? Wie verhält sich beispielsweise persona zu prosopon und hypostasis?
    Demagogie ist heute keine besondere Art des Umgangs mit der Sprache mehr, sondern ein Ingrediens der Institution der Öffentlichkeit. Die Interpretation der „Fakten“ – und es gibt keine Fakten ohne das Bedürfnis nach Interpretation – ist zu einer reinen Machtfrage geworden: Heute ernennt die Regierung nicht mehr nur ihre Beamten, sondern auch die Begriffe, mit denen die Dinge benannt werden, so als wären sie Titel, denen man die Dinge per Gesetz zuordnen könnte. Die Gewalt steckt in der Sprache, und über die Sprache ist sie zu einem Teil, wenn nicht zur Grundlage der Kommunikation geworden. Das macht die Habermassche Kommunikationstheorie, insbesondere den Konsensbegriff, der auf die Legitimierung der Erpressung hinausläuft, so problematisch.
    Hat das In-die-Ferse-Stechen etwas mit der Lähmung zu tun (als Ersatz fürs Einsperren)? Und wie verhält sich der Hinweis auf die Ferse im Fluch über die Schlange zu den Flügelschuhen des Hermes? Jakob der Fersenhalter ist zugleich Jakob der Betrüger, der erste, der von der List Gebrauch macht. Entspringt hier die später ins Bewußtsein eingebaute Automatik der List der Vernunft? Weshalb wurden den Frauen in China die Füße verstümmelt, und weshalb tragen die Frauen im „zivilisierten“ Europa Stöckelschuhe? Und weshalb ist es im Fluch über die Schlange der Nachkomme der Frau, und nicht der des Mannes (der Erbe, der Stammhalter)? Gründet hier (im vaterlosen Nachkommen) das Symbol der Jungfrauengeburt: Die Jungfrau wird einen Sohn gebären, und sein Name wird sein Immanuel, Gott mit uns?
    Ist das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit der Stich in die Ferse?
    Parvus error in principio magnus est in fine. Ist nicht dieser kleine Fehler im Ursprung der Theologie, die Rezeption des Weltbegriffs, der Ursprung und nicht die Folge der Parusieverzögerung?
    Die Astrologie ist am Ende dadurch „überwunden“ worden, daß das Subjekt in der Astronomie sich selbst an die Stelle dieser Schicksalsmächte setzt (Verinnerlichung von Herrschaft: von Saturn und Jupiter bis zu Venus und Merkur sind die Planetenmächte, die paulinischen Archonten, ins Subjekt eingewandert).
    Das aufgedeckte Antlitz ist das Gegenteil der Nacktheit (und wird nur unterm Zeichen des Antichrist als solche erfahren: im Antlitz des Hundes).
    Wut ist der verweltlichte Zorn, die Person das traumatisierte Antlitz und seitdem beleidigungsfähig, Quelle der Wut.
    Der Weltbegriff erzeugt den Schein eines angst- und schuldfreien Lebens. Aber dieser Schein ist wirksam nur auf der Herrenseite (der „Sonnenseite“) der Welt. Ihm entsprechen auf der Objektseite die Angst- und Schuldkomplexe, die nicht mehr aufgelöst, nur noch – mit den bekannten Folgen – verdrängt werden können.
    Zum Problem der benennenden Kraft der Sprache: Benjamins Bemerkungen über das Gestische bei Kafka und die metaphorische Stelle in dem Kraus-Essay mit heranziehen.
    Jede Naturphilosophie verfällt ihrem Objekt insoweit, als sie zwangsläufig verkennt, daß das metaphorische Element das eigentliche Erkenntnismedium ist, das man verfehlt, wenn man es wörtlich nimmt. Sobald sie die Natur „ad literam“ (wie Augustinus die Genesis) nimmt, verstrickt sie sich in die Logik der Verdinglichung, verfällt sie ihrem Bann.
    Ist nicht die Kirche ein verwesender Leichnam, gleichsam ein Lazarus, der „schon riecht“. Aber dann wurde er doch von Jesus zum Leben erweckt.

  • 03.11.92

    Konstruktionsfehler der Welt, oder die Welt als Inbegriff der Selbstzerstörung:
    – Die Ökonomie kann die Armut,
    – das Recht die Gemeinheit und die Gewalttat,
    – die Theologie den Atheismus,
    – die Medien können die Lüge,
    – die Naturwissenschaften den Tod der Sinnlichkeit (Physik) und die Zerstörung des Lebens (Chemie)
    nicht nur nicht mehr ausschließen: sie produzieren sie. Die Welt ist die Institutionaliserung des Hinter dem Rücken und der Inbegriff der Leugnung des Antlitzes, die Sünde wider den Heiligen Geist. Gibt es überhaupt noch eine Alternative zur Übernahme der Sünden der Welt?
    Die Welt: das ist die Trennung des Sehens vom Gesehenwerden, und damit die Zerstörung des Angesichts. Die nur noch der mathematischen Logik gehorchende Vorstellung des Raumes ist das Zentrum und das Einheitsprinzip der zerstörenden Gewalt der Welt (Ersetzung der Gegenwart durchs Gesetz der Gleichzeitigkeit). Aber hier wird dann die Frage interessant: Welche Richtung gehört zur Lichtgeschwindigkeit? Ich vermute, es ist die, die vom Objekt des Sehens ausgeht: die Provokation des Täters durch das Opfer (der „Lichtreiz“ im Auge des Sehenden, auch wenn sich daraus das Sehen überhaupt nicht mehr herleiten läßt). Oder: die Lichtgeschwindigkeit gehört zu einem System, in dem das Opfer (das Objekt) schuldig ist, und nicht der Schuldige bestraft wird, sondern die Strafe den Schuldigen provoziert.
    Im Recht ist die Sünde vor der Schuld, theologisch die Schuld vor der Sünde (vgl. die paulinische Theologie, die hier immer antisemitisch mißverstanden wurde, und das „Antlitz des Hundes“: Was schaust du mich so an: Du kriegst gleich einen in die Fresse).
    Der Begriff der Persönlichkeit drückt die individuelle (der der Person die allgemeine) Anerkennung durch die Welt aus, der Begriff des Antlitzes die Anerkennung durch Gott.
    Der Begriff der Natur faßt die Schöpfung an ihrer schwächsten Stelle.
    Wenn die Kirche zum steinernen Herzen der Welt wird, dann wird es Zeit, auf das Schreien der Steine zu hören.
    Zu Benjamins Wort über die Opfer der Vergangenheit in den geschichtsphilosophischen Thesen: Erst wenn wir aufhören, die Auferstehung nur für uns zu erhoffen und verdrängen, daß sie alle Opfer der Vergangenheit betrifft; erst wenn wir diese Verdrängung aufheben, wird die Vergangenheit für uns durchsichtig und mit ihr der Schuldzusammenhang, der das Böse dem Wiederholungszwang unterwirft. Erst wenn wir das Entsetzen, die Qualen und die Schmerzen der vergangenen Opfer in unsere Gebete mit aufnehmen.
    Wenn die Kirche Maria Magdalena die Büßerin nennt und bei der Befreiung von den sieben unreinen Geistern mit fasziniertem Entsetzen nur daran denkt, wie schlimm sie es wohl getrieben haben muß, so sagt das mehr über die Kirche als über Maria Magdalena.
    Die Übersetzung des ho airon mit „Hinwegnehmen“ kann nur auf die Zukunft sich beziehen; für die Vergangenheit kann es nur als „Auf-sich-Nehmen“ verstanden werden, und dieses Auf-sich-Nehmen fällt unters Nachfolgegebot. Dazu gibt es keine Alternative mehr. Das ho airon im Sinne von Hinwegnehmen als eine vollendete Tat auffassen: das ist die Sünde wider den Heiligen Geist.
    Ist die Trinitätslehre vielleicht auch ein Versuch, die Genealogien vom Wiederholungszwang zu befreien?
    Nach den ersten Anschlägen der raf (z.B. nach dem Kaufhaus-Brand in Frankfurt) sahen die Politiker keinen Anlaß, über die Probleme des Vietnam-Krieges und das Verhältnis der Industrie-Nationen zur Dritten Welt zu diskutieren, während nach den Pogromen der letzten Monate alle Welt nur noch über das Asylantenproblem spricht. Das unterscheidet das Verhältnis der Politik zum rechten von dem zum linken Extremismus: Diesmal sitzen die Sympathisanten und die Mescaleros in der Regierung. Wenn die Taten der Rechten von der Linken kämen, wir hätten längst wieder Krisensitzungen der Regierung und Sympathisantenhetze in den Medien.
    „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Und sie schämten sich.“ Ist nicht das Nacktsein ein anderer Ausdruck fürs Schuldigsein? Nur das begründet die Scham. Heißt das aber nicht, daß sie schon vorher schuldig waren, und die Sünde diese Schuld nur aufgedeckt, sie bewußt gemacht hat? Diese Umkehrung der Beziehung von Sünde und Schuld wird durch das felix culpa ein wenig verstellt, das hiernach in der Tat felix peccatum heißen müßte. Die das Recht und die Urteilsmoral (Sexualmoral) begründende Kausalverknüpfung von Sünde und Schuld ist ein Ingrediens der Exkulpierungsstrategien und des Schuldverschubsystems, die durch den Weltbegriff sich konstituieren und stabilisieren. Es ist nicht ohne Bedeutung, wenn im Psalm 109 zuerst die Schuld der Väter und dann die Sünden der Mütter genannt werden. Vgl. hierzu den Gesamtzusammenhang, von Morgenstern, Venus, Jesus und Luzifer.
    Franz von Baader hat einmal – in den Fermenta cognitionis – die Hegelsche Philosophie „das Auto da Fe der bisherigen Philosophie“ genannt (Schriften Franz von Baaders, ausgewählt und herausgegeben von Max Pulver, Leipzig 1921, S. 84). Hat Hegel nicht in der Tat das Feuer vom Himmel geholt, aber es brennt noch nicht. Die Erfahrung dieses Brennens, für die das Bild vom brennenden Dornbusch steht (vgl. hierzu das von Gerschom Scholem zitierte Wort des Eleasar von Worms), ist der Kern der theologischen Erfahrung. Kritik der Welt als Fähigkeit zur Schuldreflexion ist der Anfang der Erfahrung dieses Brennens. Und die zur Zeit in Deutschland grassierende Xenophobie, dieses entsetzliche faschistische Potential, das hier hochkommt: man sollte es einmal vor dem Hintergrund von Sodom, Jericho und Gibea sehen.
    Lot: involutus, colligatus (ins Dunkel gehüllt; zusammengelesen, aufgesammelt),
    Moab (Sohn der älteren Tochter Lots): de patre (vom Vater),
    Ben-Ammi/Ammon (Sohn der jüngeren Tochter Lots): Sohn meines Verwandten/populus ejus (sein Volk).
    Lots Weib und Lots Töchter sind namenlos.
    In der Hexenverfolgung rächen sich die Väter für die ebenso unerträglich wie undurchsichtig gewordene eigenen Schuld an den Sünden der Mutter. Lassen sich nicht in den Projektionen der Verfolger die verdrängten Probleme in der Geschichte des Ursprungs der Naturwissenschaften erkennen? Die Schreie der Opfer müssen als Schrei der Steine endlich ins Ohr dringen. Nur so läßt sich das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen.

  • 31.10.92

    Ähnlich wie die mathematische Naturwissenschaft zum Sternendienst und der Weltbegriff zur Idolatrie verhält sich das Opfer zur kapitalismusbegründenden Institution der Lohnarbeit, der Subsumtion der Arbeitskraft unters Tauschprinzip. Hier liegt der Grund für Benjamins Wort vom Kapitalismus als Opfer ohne Dogma. Der Begriff der Verweltlichung der Welt bezieht sich auf die fortschreitende Durchsetzung der Systemprinzipien: des Trägheits- und des Tauschprinzips, die aufs genaueste das fundamentum in re des Hegelschen Postulats bezeichnen, daß „das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken“ sei (Phänomenologie des Geistes, stw, S. 23).
    Im Begriff der Welt konstituiert sich das Anderssein als Substanz, überlebt der Tod das Leben.
    Es wäre wichtig, Affirmation und Kritik der Idolatrie, des Sternendienstes und des Opfers in der Konstruktion des Hegelschen Systems aufzuzeigen.
    Die gegenwärtige Weltphase ist eine Phase der Beschleunigung des Vergessens.
    Physik und Ökonomie (Inertialsystem und Geld, Trägheitsprinzip und Tauschprinzip): Was ist (beim Gordischen Knoten) Joch und was ist Deichsel? Was am Gordischen Knoten durchschlagen wird, ist erkennbar an seinem Produkt: die endgültige Definition der Grenze der Zivilisierten zu den Barbaren; hier entspringen der Weltbegriff und der Säkularisationsprozeß, und hier stabilisiert sich ein Bewußtsein, das dann ohne den Materiebegriff nicht mehr auskommt. Die Grenze zu den Barbaren, zum Begriff der Materie oder des Objekts, bezeichnet präzise die Schnittstelle, an der der Knoten durchschlagen wurde.
    Von den drei Totalitätsbegriffen der transzendentalen Logik: Wissen, Natur und Welt, die dann in der Abfolge der Systeme des deutschen Idealismus abgearbeitet wurden, erscheinen zwei im Stern der Erlösung unter anderem Namen, nämlich das Wissen als Mensch und die Natur als Gott. Nach der Umkehr, in der sie wechselseitig aufeinander sich beziehen, werden aus den drei Totalitätsbegriffen die theologischen Begriffe Schöpfung, Offenbarung und Erlösung. Aber gleichzeitig erscheinen Wissen, Natur und Welt auch in systematischer Funktion: als Nichtwissen, aus dem die Naturen von Mensch Welt Gott hervorgehen, die dann unterm Bann des Weltbegriffs zunächst jedes in isolierter Verschlossenheit, ohne Reflexion im anderen, in Erscheinung treten.
    Zu Gog und Magog: Die Gargarenser (Gogarener), die nach Ranke-Graves mit dem Volk Gog bei Ezechiel identisch sind, sind der den Amazonen zugeordnete Männerstamm: Sind das nicht die freien Männerhorden, die nach Heinsohn die Privateigentumsgesellschaft: den Staat, begründen?
    Wenn Haman ein Agagiter (Amalekiter) ist und gleichzeitig der erste Antisemit und der Erfinder der Endlösung, welche Bedeutung haben dann Ahasveros, Esther und Mordechai?
    Mit der Implantierung des Unschuldstriebs (hervorgegangen aus der falschen Übersetzung des Joh 129) ist das Christentum vollends böse geworden. Der Unschuldstrieb ist nämlich nur zu halten über die Dynamik von Exkulpation, Rechtfertigung und Projektion: den Fremdenhaß (Sodom vor der Zerstörung). Das Schuldverschubsystem kommt ohne Sündenböcke nicht aus.
    Zur Geschichte und Kritik des Nominalismus: Es gibt keinen Begriff der Wahrheit ohne die Fähigkeit zur Schuldreflexion. Wer das leugnet, verfällt zwangsläufig der Eigendynamik des Schuldverschubsystems, die in Xenophobie und Antisemitismus endet.
    Der Weltbegriff definiert und stabilisiert die dem jeweiligen Stand der Entwicklung angemessene Gestalt des Schuldverschubsystems und macht sie zugleich unsichtbar.
    Zur Korrektur der Metzschen politischen Theologie: Das Votum für die Armen bezeichnet nur eine Seite der Prophetie; dazu gehört die andere: das Votum für die Fremden, das anhand der für das gegenwärtige Weltverständnis zentralen Geschichten Jerichos und Sodoms zu bestimmen wäre.
    Daß die unreinen Geister in Jesus den Sohn Gottes erkennen, findet sein spätes Echo in den Grab- und Friedhofsschändungen der Rechten: Sie sind die letzten, die an die Auferstehung der Toten glauben und daran (gegen diesen Glauben) ihren Mut beweisen wollen.
    Im Angesicht Gottes und nicht hinter seinem Rücken, das heißt auch: Sich unter das Wort stellen, und nicht sich darüber erheben: d.h. die Prophetie bloß zu apologetischen Zwecken, als Steinbruch fürs Dogma, benutzen.
    Die Moral als Maßstab des Urteils fällt unter das Gesetz des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen, es gehört zur Geschichte des Sündenfalls, der Verweltlichung der Moral. Zu explizieren an der Sexualmoral, deren politische (prophetische) Bedeutung neutralisiert wird durch die Urteilsbeziehung im Kontext einer kasuistischen Moral. Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral: der Ankläger hat immer unrecht“ verweist auf den Bereich, in dem Moral allein sich begründen läßt: nämlich als Richtschnur des (eigenen) Handelns, während das Urteilen (das Richten) Gott vorbehalten ist. Politisch aber wird die Sexualmoral in seiner Beziehung zu der anderen Seite des Sündenfalls, zum „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren, und sie schämten sich“, in seiner Beziehung zu dieser Scham, die den gleichen geschichtlichen Index hat wie die Politik. Verletzt wird diese Scham durchs Obszöne, dessen Begriff eher auf Kriege, auf Knäste, auf die Existenz der Armut, auf Fremdenfeindschaft und Antisemitismus (bezeichnend, daß das sodomitische Modell der Fremdenfeindschaft in der Geschichte Sexualmoral auf den Verkehr mit Tieren bezogen worden ist: war das „Sexualobjekt“ der Leviathan?), aber auch auf staatliche Institutionen wie den Staatsanwalt und die Polizei sich beziehen läßt, als auf den unmittelbaren sexuellen Bereich.
    Bezieht sich das Jesuswort: „ich bin gekommen, Feuer vom Himmel zu bringen, und ich wollte, es brennte schon“, auf das „kreisende Flammenschwert“, dessen Erkenntnis in der Geschichte der Astronomie, zuletzt im kopernikanischen System, sich vorbereitet? Und hängt das, was im zweiten Schöpfungsbericht als „kreisendes Flammenschwert“ benannt wird, mit dem, was dem Produkt des zweiten Tages im ersten Schöpfungsbericht: der Feste zwischen den Wassern, die Gott dann Himmel, schamajim, nennt, zusammen?
    Von der Nachkommenschaft Abrahams heißt es, sie werde zahlreich sein wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meer. Hängen diese Sterne und dieser Sand zusammen wie der Himmel und das Meer? Sind nicht die Sterne und der Sand (der „Staub“ des Fluches über die Schlange und über Adam nach dem Sündenfall, aber auch die „Wüste“) die ersten Objekte des historischen Objektivationsprozesses (kopernikanisches System und Relativitätsprinzip, Inertialsystem und die newtonsche dynamische Begründung des kopernikanischen Systems, Ursprung des Materiebegriffs)? Und sind diese Sterne und dieser Sand nicht auch ein anderer Name für die „Enden der Welt“: die Grenzen des „Missions-“ und Taufauftrags? Aber am Ende wird das Meer nicht mehr sein, und der Himmel wird sich aufrollen wie eine Buchrolle.
    In Hegels Philosophie kommt wohl der Begriff des Anderen, nicht aber der des Fremden vor.
    Hängt auch das mit dem Verhältnis von Sünde und Schuld (Ps 10914) zusammen, daß die Propheten vom Mutterleibe an berufen sind, Jesus aber vom Vater gezeugt ist, er zugleich die „Sünden der Welt auf sich nimmt“ und den Willen des Vaters tut?

  • 25.10.92

    Zu Metz (S. 113): Der Begriff der „Information“ sollte etwas kritischer gesehen werden (vgl. auch den Exkurs 3; auch den Begriff der „Tatsache“, sowie die Fichtesche und Goethesche „Tat“). In gleichem Zusammenhang ein Hinweis auf die Gefahr, daß die Kirche zum steinernen Herzen der Welt wird, und diese Gefahr (und ihre Begründung) ist ins Auge zu fassen.
    S. 120: Überredung und Überzeugung; dazu Benjamin: Überzeugen ist unfruchtbar.
    Die Aufklärung – und das reicht über Kant bis hinein in die Hegelsche Philosophie – hat den Sündenfall, das Essen vom Baum der Erkenntnis, als Symbol ihres eigenen Ursprungs angesehen. Daraus hat Wittgenstein das Resume gezogen: Die Welt ist alles, was der Fall ist (die Frucht vom Baum der Erkenntnis).
    Daß die Verweltlichung der Welt sich christlichen Ursprüngen verdankt, ist wahr. Aber daraus lassen sich keine apologetischen Folgerungen ableiten, sondern im Gegenteil: Mit der Einsicht in diesen Zusammenhang verfällt die Möglichkeit der Apologetik insgesamt.
    Woher kommt der Name der Hellenen, und woher der der Griechen; kommen im NT nur die Griechen, oder auch die Hellenen vor?
    Ist Saulus, der Benjaminite, der Wolf, der als Paulus das Schafsfell übergezogen hat? Hat dieses Schafsfell etwas mit dem „goldenen Vlies“ (das goldene Fell des Widders, den Phrixos in Kolchis dem Zeus opferte, Objekt der Argonautenfahrt) zu tun, und sind beide nicht gleichsam nur Steigerungen des Feigenblattes?
    Die Elektrodynamik sagt mehr über das Inertialsystem als über das Licht, das Werk des ersten Schöpfungstages.
    Ist die Trinitätslehre ein später Reflex der Feste zwischen den Wassern, die Gott am zweiten Tage gemacht und dann schamajim genannt hat, ein Amalgam von Feuer und Wasser (von jüdischer und griechischer Tradition: zu dem Zecke, die griechische Tradition aufzuzehren, um das Feuer vom Himmel zu holen, von dem er „wollte, es brennte schon“)?
    Nach Ranke-Graves ist das Volk Gog (Ez 38 und 49) identisch mit den Gargarensern (Griechische Mythologie, S. 456), die als Nachbarn der Amazonen deren männlicher Partnerstamm waren (S. 452). Sind die Amazonen Magog?

  • 21.10.92

    Wenn Christus die Sünden der Welt nicht auf sich, sondern hin-weggenommen hat, dann darf die Kirche in der Tat keine öffentliche Reue zeigen (und dann wäre ihre Konfliktunfähigkeit, insbesondere die Unfähigkeit, mit den Häresien anders als durch Verurteilung sich auseinandersetzen, theologisch begründet). Aber eben damit, mit ihrer eigenen Exkulpierung, bürdet die Kirche dem vergöttlichten Jesus eine Last auf, die er zu tragen nicht in der Lage ist: ihre eigene Verdrängungslast. Die Unfähigkeit der Kirche zur öffentlichen Reue ist der Beweis ihrer Unerlöstheit (und der Grund ihrer Sprachlosigkeit).
    Eine Welt, von der die Sünde hinweggenommen wäre, wäre damit schuldlos, erlöst. Und Weltkritik wäre nicht nur unbegründet, sondern Zweifel an der Erlösungstat Jesu: an seiner Göttlichkeit. Aber diese Vorstellung ist in einem entsetzlichen Maße irrational, mehr noch: irrationalisierend, verdummend, Grund der Verblendung, Keim und Kristallisationskern des blinden Flecks, zu dem mittlerweile, das Bewußtsein insgesamt verstellend, das Christentum zu werden droht.
    Am christlichen Bekenntnis klebt mit dem Blut von Juden, Ketzern und Heiden seit den Anfängen des Pakts mit der Politik auch das der Armen. Zu reinigen ist es nur durch Erinnerungsarbeit (durch Reue, Umkehr: durch Herrschaftskritik, deren Adressat die nach der Vergesellschaftung vom Herrschaft das Subjekt selber ist).
    Alle Häresien stehen im Banne des gleichen Weltbegriffs (des gegenständlichen Korrelats der Vergesellschaftung von Herrschaft), dessen Sanktionierung die Ursünde der Kirche war.
    Wenn Rosenzweig die Sprache die „Morgengabe des Schöpfers an die Schöpfung“ genannt hat, so schließt das die Fähigkeit zur Schuldreflexion mit ein. Die Fähigkeit zur Schuldreflexion ist der Grund der Sprache, und durch sie zeichnet sich der Mensch vor aller übrigen Kreatur aus. Kirche ist die Gemeinschaft derer, die die Sünden der Welt auf sich nehmen: die Gemeinschaft der Schafe oder der Knechte Gottes.
    Es ist das Schaf, das stumm ist (das stumm zur Schlachtbank geführt wird); erst durch die Übernahme der Sünden der Welt wird das stumme Schaf zum Logos, wird es der Sprache mächtig (und fähig, die Siegel zu lösen).
    Das Gegenbild zum Kalb ist der Löwe, zum Lamm der Wolf, zum Kind die Schlange (die Natter).
    Der Begriff der Welt bildet sich im Prozeß der Verinnerlichung der Schicksalsidee, und das Hegelsche Weltgericht ist der letzte Abkömmling und die letzte Erinnerung an den Mythos und die ihm zugrundeliegende Schicksalsidee.
    Woher stammt die Legende, daß Petrus mit dem Kopf nach unten gekreuzigt wurde, und was drückt sich darin aus?
    Das Opfer ohne Lehre (Benjamins Definition des Kapitalismus) ist der reine Vollzug, dessen Begriff nicht zufällig an den des Strafvollzugs erinnert, merkwürdigerweise aber trotzdem – oder gerade deswegen? – bei den „Eigentlichkeits“-Theologen so beliebt ist (Produkt der transzendentalen Logik, nachdem das kritische Moment darin gelöscht wurde: Ontologie als Isolationshaft im Gefängnis der apriorischen Objekt- und Urteilslogik).
    Zum Problem der intentio recta: Verschlossen ist der intentio recta insbesondere die Idee einer Zukunft, die anders wäre als die Vergangenheit; sie trifft aus systemlogischen Gründen nur auf eine Zukunft, die wie die Vergangenheit sein wird. Deshalb heißt Umkehr Erinnerungsarbeit, und diese Erinnerungsarbeit hat es mit den sieben unreinen Geistern, von denen bis heute allein Maria Magdalena befreit wurde, mit den sieben Siegeln der Apokalypse, zu tun. Nur das Lamm, das die Sünden der Welt auf sich nimmt, kann die sieben Siegel lösen.
    Die Vorstellung der homogenen Zeit beruht darauf, daß die Zukunft längst von der Vergangenheit (wie der Hase vom Igel) eingeholt, wenn nicht überholt ist.
    Steckt nicht in dem prophetischen Wort, daß der Geist die Erde bedecken wird wie die Wasser den Meeresboden, die bereits aus der Schöpfungsgeschichte bekannte Beziehung von Geist und Wasser. Nach der Apokalypse wird am Ende das Meer nicht mehr sein. Ist nicht der Geist gleichsam die Aufzehrung des Wassers, Produkt der Übernahme der Sünden, und die Befreiung des Feuers („und ich wollte, es brennte schon“), das im Himmel (schamajim) durch die oberen Wasser gebunden ist?
    Wenn man berücksichtigt, daß die von J.B. Metz (S. 18 u.ö.) angezogene Stelle aus 2 Kor nicht auf die Welt, sondern auf die göttlichen Verheißungen (die Thora) sich bezieht, dann stützt das die der Metzschen genau entgegengesetzte These, daß das Christentum die jüdische Antwort auf eine neue Situation ist, daß die göttlichen Verheißungen auch mit dem Ursprung des Weltbegriffs und der ihm korrespondierenden gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit (in denen der Mythos als verinnerlichter und vergegenständlichter sich fortsetzt) nicht aufgehoben sind, und daß Er genau dieses Weiterbestehen der jüdischen Tradition, der Thora, garantiert (durch die Übernahme der Sünden der Welt).
    Der Behemoth ist keines der apokalyptischen Tiere. Er ist als grasfressende Wassertier eher das Symbol der unerlösten Menschheit und Welt.
    Wieviele werden Lehrer, weil sie hoffen, auf diesem Wege die Traumata ihres Schülerlebens aufarbeiten zu können: Aber, wie es scheint, geht das nur zu Lasten der Schüler, deren Lehrer sie dann werden, und auf die sie ihre eigenen Traumata überwälzen. Gilt dieser Satz nicht auch für die Priester, für die gesamte kirchliche Hierarchie?
    Was veranlaßt die Leute, ihren Besuchern Fotos aus ihrem letzten Urlaub zu zeigen? Steckt dahinter nicht eigentlich das Bewußtsein, daß der Urlaub doch keiner war, sie es aber nicht wahrhaben wollen, deshalb Fotos machen, um damit ihre Besucher zu erpressen, die dann als Spätzeugen den „geglückten Urlaub“ doch noch bestätigen sollen?
    Gilt nicht heute das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, nur noch durch seine Umkehrung hindurch, wobei es selbst jedoch gültig bleibt. Und wie steht’s dann mit dem achten Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten? Ist hier die doppelte Umkehrung durch den Weltbegriff bedingt, durch das Verhältnis des Aufdeckens der Blöße (der gegenwärtigen Gestalt des Weltgerichts, das die Medien vollstrecken) zur Übernahme der Sünden der Welt?

  • 14.10.92

    Nach dem Sohar sind Tohu und Bohu der Abgrund (mit der Finsternis darüber) und die Wasser (über denen der Geist Gottes brütet).
    Die Kirche ist das steinerne Herz der Welt; aber garantiert dieses steinerne Herz, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen? Vgl. Ranke-Graves: Hebräische Mythologie, S. 52f.
    Adorno hat einmal festgestellt, daß Philosophie heute deshalb von den Studenten nicht mehr verstanden werde, weil sie aus jedem Satz nur noch heraushören, wofür oder wogegen er sei. Ich glaube, das drückt aufs genaueste aus, was das Bild vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen im Zusammenhang mit dem Sündenfall bezeichnet.
    Der gordische Knoten war der Knoten, mit dem das Joch an die Deichsel des Ochsenkarrens gebunden war. Was ist das Joch, und was ist die Deichsel?
    Man kommt der Sache näher, wenn man die transzendentale Logik, den transzendentalen Apparat insgesamt, als eine Gottesfurcht-Vermeidungs-Maschine begreift. Zentrale Bedeutung bei dem Versuch, das zu reflektieren, hat der Weltbegriff.
    Die Idee der Schöpfung ist eine apokalyptische Idee. Das transzendentale Subjekt muß sich über den unendlichen, tantalischen Prozeß an das unerreichbare Ende der Zeit setzen, um die Vergangenheit als Totalität und sich als Subjekt (d.h. die Welt als Deckel auf der toten, vergangenen Natur) konstituieren zu können. Das Instrument, mit dessen Hilfe das allein gelingt, ist die Mathematisierung des Raumes (die Reversibilität der Richtungen und die Orthogonalität ihrer Beziehungen); das impliziert die Vernichtung der Schöpfungsidee und hat die Konstituierung des Objekt- und Materiebegriffs zur Folge (das „Staub bist du, und zu Staub wirst du wieder werden“, zu dem gleichen Staub, den die Schlange frißt, von dem sie sich nährt: das Objekt steht in einer – durch das Ende der Zeit vermittelten – orthogonalen Beziehung zum Begriff; Orthogonalität als Kern der Urteilstheorie, Zentrum der Ontologie und der Orthodoxie, Grund der „verandernden Kraft des Seins“). Vorbild dieser ebenso verhängnisvollen wie skandalösen Erkenntnisbegründung ist die Dogmatisierung des Bekenntnisses (und ihres Kerns: die Entfaltung der Trinitätslehre, der Christologie und der Opfertheologie), die Begründung der Orthodoxie. Ist Petrus der Stein, der hier zu Staub zermahlen wird?
    Die Lauretanische Litanei wäre mal wieder neu zusammenzustellen. Erhalten bleiben würde allein Maria Magdalena (die „Büßerin“), alle anderen, vom Sanctus Karl (Marx) über Sanctus Sigmund (Freud) und Sanctus Albert (Einstein) zu den Sancti Martyres Franz (Kafka und Rosenzweig) und vom Sanctus Walter (Benjamin) zu den Sancti Max et Teddy (Horkheimer und Adorno) kämen neu hinzu.
    Wenn Nietzsche die jüdische und christliche Religion als Sklavenreligion denunziert, so hat er damit einen realen Sachverhalt sehr präzise beschrieben: die zentrale Bedeutung des Knecht-Gottes-Motivs. Aber dieses Knechtsein ist der Grund der Freiheit, dessen, was Autonomie bloß meint, nicht erreicht. Nicht zufällig läßt die Denunziation als Sklavenreligion keinen anderen Ausweg als den in die Lehre von der Ewigen Wiederkehr des Gleichen und in den Willen zur Macht. Beide zementieren den Deckel, mit dem die Vergangenheit endgültig verschlossen wird.
    Die Ängste, die die ersten Meldungen über die Greuel des Judenmords nach dem Krieg in Teilen der katholischen Bevölkerung ausgelöst haben, und die sich in Sätzen wie: „Das wird sich einmal rächen“ ausdrückte, scheinen sich heute im Zustand der katholischen Theologie in Deutschland, in der Verwirrung, der Konfliktunfähigkeit und den nicht mehr auflösbaren Problemen, zu erfüllen.
    Enthalten nicht die bei Neonazis so „beliebten“ Gräber- und Friedhofschändungen eine andere Bestätigung des franziskanischen Satzes „Unus daimon plus scit quam tu“? Schon im NT waren es die Dämonen, die ihn als erste erkannten.
    Das Problem des Lachens hängt mit dem des Bekenntnisses, und beide mit dem Realgrund der Dämonenlehre zusammen.
    Jedes Urteil partizipiert am Weltgericht: Das Sein ist der Inbegriff dieser Partizipation (Antizipation des Endes der Zeit, das das Prädikat, den Begriff, vom Objekt trennt). Die Begriffe Welt und Natur konstituieren sich zusammen mit dem des Wissens („nur Vergangenes wird gewußt“), und alle drei sind Abkömmlinge der Schicksalsidee.
    Das Sein, die Kopula im Urteil, trennt und verbindet Begriff und Gegenstand ähnlich wie die Orthogonalität die Dimensionen des Raumes, seine Beziehung zur Zeit und die Beziehung beider zur Materie. Auch die Begriffe Welt und Natur stehen in einer Art Orthogonalitätsbeziehung (wie Raum und Zeit). Erst die Naturwissenschaft, dieses System von Orthogonalitätsbedingungen (zu denen vorab das Inertialsystem und die Erhaltungssätze gehören), hat die Ontologie begründet. (Welche grammatische Funktion haben die Hilfszeitverben Sein, Werden und Haben, und welche Beziehung zu Raum und Zeit drückt sich ihnen aus?)
    Das Dogma vom Bann des Inertialsystems befreien: Das tollere (qui tollit) kann im Hinblick auf die peccata mundi als Hinwegnahme verstanden werden, wenn es futurisch, nicht als Bezeichnung einer schon abgeschlossenen Handlung, verstanden wird. Das Gleiche gilt für die Opfertheologie: Mit dem futurischen Sinn ist das Nachfolgegebot in beide mit hereinzunehmen. Unter dieser Voraussetzung wird auch die Mysterientheologie Odo Casels sinnvoll und verständlich, wenn sie nicht als Mysterium der Wiederholung einer vergangenen Handlung, sondern als Mysterium einer noch nicht abgeschlossenen, noch nicht vollendeten Handlung verstanden wird. Und das „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ kann nur unter Einschluß des Nachfolgegebots richtig verstanden werden, nicht als folgenlose Erinnerung. Denn daran kann kein Zweifel sein: Diese Welt ist nicht so, daß man auch nur mit dem geringsten Schein von Recht von ihr sagen könnte, die Schuld sei bereits von ihr hinweggenommen. Aber ohne die Hinwegnahme der Sünde der Welt ist auch die Erlösung der Menschen nicht denkbar. Darin liegt die unermeßliche Bedeutung des Täufersatzes (sowie der Gethsemanegeschichte und des Satzes „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“).

  • 07.10.92

    Zu den sieben Siegeln der Apokalypse: Welche Funktion hatten in jener Zeit die Siegel (Zeichen der Teilhabe an der Macht des Königs, persönliche Bekräftigung der Geltung eines Vertrages, eines Dokuments), lag sie nicht zwischen Unterschrift und Personalausweis? In welcher Beziehung standen sie zum Eigennamen? Haben die Öffnung (das Brechen) des Siegels und die Lösung eines Knotens (eines Problems, eines Rätsels) etwas miteinander zu tun? Ist nicht der Begriff des Begriffs und sind die damit zusammenhängenden, davon abgeleiteten Begriffe wie Raum und Zeit, Welt, Natur, Materie, Person, Bekenntnis nicht alle Siegel (die die Wahrheit versiegeln)?
    Es gibt keine Erklärung der Gemeinheit ohne Zuhilfenahme der Antisemitismus-Analyse.
    Ist nicht auch das Marquardtsche Votum für Israel, das Leute wie Micha Brumlik und Edna Brocke so anspricht, zwar wahr, aber zugleich konkretistisch entstellt (etwas, woran man sich halten kann)?
    Ich bin garnicht so ganz sicher, ob die Natur die Menschen überlebt, ob das nicht ein Schein ist, den die Natur selber erzeugt (der gleiche Schein, aus dem in der Hegelschen Logik das Wesen hervorgeht). Welt und Natur sind Momente in der Generationenbeziehung, sind Momente im Kontext der Genealogien (auch der Schöpfungsbericht gehört zu den toledot). Das auf eine Formel gebracht zu haben, ist die Bedeutung der Trinitätslehre. In ihrer dogmatischen Gestalt ist die Trinitätslehre das Siegel, mit dem die Schöpfung zu Welt und Natur verschlossen wurden. Von innen begriffen, und d.h. von ihrer dogmatischen Umhüllung befreit, wäre die Trinitätslehre der Beginn des Kommens der zukünftigen Welt.
    Die jüdische Mystik, die Kabbalah, ist Schöpfungsmystik, die christliche müßte Auferstehungsmystik sein.
    Israel ist der Augapfel Gottes, Teil seines Angesichts, sein verletzlichstes Teil. Aber die Kirche bewacht und hütet das versteinerte Herz der Welt.
    Die Patriarchen: Marx, Freud und Einstein; die Sühne Jakobs: Cohen, Rosenzweig, Lukacz, Bloch, Benjamin, Scholem, Horkheimer, Adorno, Kafka, Kraus, Schönberg (wer fehlt noch?).
    Die Instrumentalisierung des Opfers in der christlichen Opfertheologie, die Verdrängung der Täufer-Theologie (durch die falsche Übersetzung des tollere): der Versuch, die Wunde ohne den Schmerz zu haben, Ursprung der Anästhesie.
    Die subjektiven Formen der Anschauung, Raum und Zeit, sind Abkömmlinge und Repräsentanten der invisible hand in unserem eigenen Innern. Die Umkehrbarkeit der Richtungen im Raum gehört zu den Prämissen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, die dann aber am Ende zu Protest gehen, nämlich mit dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Und das Licht, das Werk des ersten Schöpfungstages, ist auch die erste Manifestation der Umkehr und der Beginn der Erschaffung des Angesichts, das am sechsten Tage mit dem Menschen im Bilde Gottes, als sein Ebenbild, als Mann und Frau erschaffen wird.
    Die Naturwissenschaft gehorcht dem Prinzip des Von allen Seiten hinter dem Rücken, sie ist der Inbegriff der Ausweglosigkeit.

  • 05.10.92

    Besuch der Frankfurter Buchmesse gestern:
    – Beim Pfeiffer Verlag wegen Rosemary Radford Ruether: Brudermord und Nächstenliebe, und beim Christian Kaiser Verlag wegen Charlotte Klein: Theologie und Antijudaismus, vorgesprochen; in beiden Fällen die gleiche Antwort: keine Nachfrage, Neuauflage aus Rentabilitätsgründen nicht zu vertreten. Aber beide Titel sind restlos verkauft: woher wissen die Verlage, daß die Nachfrage erschöpft war? Mein Hinweis auf die in Festreden immer wieder beschworene verlegerische Verantwortung (die insbesondere bei Titeln gelten sollte, die die Verstrickung der Theologie in die Vorgeschichte von Auschwitz theologisch thematisieren) löste nur Abwehrreaktionen aus; die Frage, ob nicht vielleicht Zensur oder Pressionen von Betroffenen mit hereinspielen, wurde mit Empörung zurückgewiesen.
    – Bei der EVA, Hamburg, Karten mit dem Satz von Ulrich Sonnemann:
    „Zukunft ist von außen wiederkehrende Erinnerung; daher hat die Gedächtnislosigkeit keine“.
    Damit wird das Futur II (und mit ihm die blind sich reproduzierende Ökonomie und die ganze Naturwissenschaft) als Inbegriff der Zukunftslosigkeit bestimmt: Hat das nicht nicht doch etwas mit der Idee der Auferstehung der Toten zu tun, mit der zukunftsbegründenden und die Toten erweckenden Kraft der Erinnerung? Wenn die Theologen (die Christen) wirklich je an die Lehre von der Auferstehung der Toten geglaubt hätten, dann sähe die Theologie (das Christentum) anders aus.
    Das ho airon in Joh 129 schließt ebenso wie das tollere in der Vulgata eine Übersetzung mit auf sich nehmen statt hinwegnehmen nicht aus; es erzwingt keineswegs ein Verständnis, das eine opfertheologische, durch das stellvertretende Sühneleiden und den Kreuzestod hergestellte Schuldlosigkeit der Welt (oder der Natur) begründen würde. Das Hinwegnehmen war das Tor, durch das die Philosophie (als Medium der Verinnerlichung des Mythos) Einlaß in die Theologie gefunden hat. Jesus hat die Sünde der Welt (tän hamartian tou kosmou) auf sich genommen, nicht die Schuld der Welt hinweggenommen.
    Wie hängen das Symbolum und die Trinitätslehre, und – man muß schon sagen: das Verschwinden JHWH’s, mit der Funktion des Weltbegriffs in der christlichen Tradition zusammen?
    Mit der Hypostasierung der Welt wird die Schuld unaufhebbar; und genau das wird genutzt als Exkulpationsmotiv. Das ist der Grund der Sexualmoral (die Projektion der unaufhebbaren Schuld in die Erinnerung der Natur im Subjekt).
    Der Naturbegriff erzwingt die Vergöttlichung Jesu, und er widerlegt sie zugleich: die Christologie ist ein Erinnerungsmal des undurchschauten Naturbegriffs.
    Zur Sintflut: Haben hier, mit der Öffnung des Raumes ins Unendliche, die Bedingungen sich so verändert, daß die Wasser oberhalb sich nicht mehr halten konnten, sich zwangsläufig zu Wolken und Regen kondensierten (verdinglichten), mit der Folge, daß es danach dann den Regenbogen gab (die Farben stellen noch heute die Erinnerung vor Augen, daß die Dimensionen des Raumes, nicht vollständig umkehrbar sind; in der Physik wiederentdeckt mit der Entdeckung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit). Auf welche physikalischen und astronomischen Veränderungen verweist diese Sintflutgeschichte (gesellschaftlich verweist sie u.a. auf den Ursprung der Zivilisation: von Herrschaft, Hierarchie und Gewalt, das Fleischessen, den Weinanbau und die Trunkenheit; vorausgegangen ist eine Rettung der Tiere, die für die Tiere auch der Anfang einer Katastrophe war)? Gibt es einen Zusammenhang mit der Velikovsky-Heinsohnschen Venustheorie?
    Johannes Scottus (Fünftes Buch, S. 310) bringt die Vorstellung ins Spiel, daß der Sonnenstrahl aus dem Meeren und Flüssen sowie aus allen Wasseransammlungen und irdischen Pfützen Stoff an sich zieht und damit Nahrung in seine Natur aufnimmt.
    Sind die Nahrungsgebote (vom Paradies bis zur Eucharistie) vielleicht verzweifelte Versuche der Gottheit, zu retten, was nicht zu retten ist?
    Ps 4915: Rießler übersetzt „Sie gleichen Schafen, die für die Unterwelt der Tod schon weidet“, die Einheitübersetzung: „Der Tod führt sie auf seine Weide wie Schafe, sie stürzen hinab zur Unterwelt“. (Vgl. Schaf und Lamm: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe; auch Mt 936 und die in der Anmerkung dazu genannten Stellen.)
    Angesichts des unendlichen Raumes gibt es zur concupiscentia keine Alternative.
    Was haben die Wasser (zweiter Schöpfungstag, Sintflut, Thales) mit den Urteilen zu tun? Ps 367: Deine Urteile sind tief wie das Meer. Vgl. Jes 5720: Die Bösen aber gleichen einem aufgewühlten Meer. Wird mit der Trennung der Wasser oberhalb von den Wassern unterhalb das Gute vom Bösen getrennt (beide bleiben namenlos, bis sie durch den Baum der Erkenntnis sich enthüllen, und zugleich die Scham begründen). Ist das Schicksal als der Schuldzusammenhang des Lebendigen (Benjamin) nicht der Inbegriff des urteilenden, richtenden Denkens und Erkennens (des Begriffs, durch den die Schuld ins Objekt projiziert wird)? Die platonische Idee des Guten gehört zu den Konstituentien des Weltbegriffs; und das scholastische Verum wird durch die Zusammenstellung mit dem Unum und dem Bonum depotenziert.
    Es stimmt, daß sich die Erbschuld über die concupiscentia fortpflanzt; aber das primum concupiscibile ist die Unsterblichkeit.
    Der banale Vers, den Adorno in den Minima Moralia ironisch zitiert: Der Leib liegt auf dem Kanapee, die Seele schwingt sich in die Höh, ist so absurd vielleicht doch nicht, wie er zunächst klingt. Könnte er nicht als Bild der Erinnerungsarbeit gehört werden: Ich lege mich selber aufs Kanapee und setze mich hinter mich, lasse die Assoziationen kommen und prüfe sie dann selber auf ihren Erinnerungs- und Wahrheitsgehalt. Diese Anwendung der tiefenpsychologischen Anamnesetechnik verschiebt die Elemente der Freudschen Theorie, sie stellt insbesondere eine Beziehung her zwischen dem subjektiven („psychologischen“) Verdrängungsapparat und der Objektivität des Weltbegriffs, der so als der Ursprung jeglicher Verdrängung sich enthüllt, die historisch-gesellschaftlichen Konnotationen des subjektiven Verdrängungsapparats erkennbar macht.
    Die Zerstörung des Namens durch den Begriff: Dabei ist daran zu denken, daß der Begriff aus dem Prädikat stammt, durch Hypostasierung daraus gewonnen wird, dann aber – mit der Verdinglichung und Instrumentalisierung des Objekts – an die Stelle des Namens tritt.
    Man muß die beiden Sätze zusammenhören:
    – Einmal ist keinmal, und:
    – Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.
    Sie rühren an den Ursprung und Kern der Philosophie, denn das, was in der Philosophie und seitdem Wissen heißt (und für dessen Allgemeinheit der Satz „Einmal ist keinmal“ gilt), dem braucht man nicht zu glauben.
    Liegt dem Futur II nicht ein Wiederholungszwang zugrunde; und d.h.: gründet nicht das Futur II in einer welthistorisch wirksamen Verdrängung?
    Das Weltgericht ist der Begriff, mit dem Hegel das Schicksal in seiner Philosophie benennt.
    Die Erstgeburt Adams ist Kain, nicht Abel. Aber diese Bezeichnung der Erstgeburt als Mörder (und nicht Opfer) begründet nicht, daß dann die Erstgeburt zu opfern ist.
    Die Philosophie ist Produkt der gesellschaftlichen Reflektion des Selbstbewußtseins von Privateigentümern; darin gründet der Begriff des Allgemeinen und die Philosophie als politischen Philosophie. Und der Übergang vom Mythos zur Philosophie spiegelt den den Übergang vom Objekt zum Subjekt von Herrschaft (und nicht die Versöhnung).
    Zur Institution des Privateigentums und der darin gründenden Emanzipationsgeschichte: Zu den Begriffen der Meinung, der Gemeinheit und des Allgemeinen wird man den Ursprung des Rechts (das im Interesse der Absicherung des Privateigentums die Beziehungen zwischen Privateigentümern regelt) mit hinzu nehmen müssen. Hier fällt die Selbstreflektion der Philosophie mit der Selbstbegründung des Staates zusammen.
    Das Futur II ist ein Erzeugnis der Schrift, zumindest hat es mit der Schrift einen gemeinsamen Ursprung.
    Die Philosophie hat das Feste verflüssigt und das Flüssige verdinglicht.
    Radikalisierung durch Neutralisierung: Die Leidensunfähigkeit, die Johannes Scottus den Seligen attestiert, könnte damit zusammenhängen, daß er es nicht erträgt, daß zur Seligkeit nach Augustinus der Anblick des Leidens der Verdammten in der Hölle dazu gehören soll. Aber es gibt kein Glück ohne Befreiung und Entfaltung der Leidensfähigkeit. Und genau das ist mit der Tabuisierung der Lust und mit der Diskriminierung der Sexualität abgeblockt, verhindert worden.
    Johannes Scottus, 5. Buch, S. 312: Folie, vor der die Welt als gerechtfertigt sich darbietet und das Böse in die Sexualität verschoben wird. Hier schlägt der mythische Gehalt dieser Theologie voll durch (Zusammenhang mit dem sexualmoralischen Grund des Objektbegriffs).

  • 28.09.92

    Wie hängen Grund, Begründung und Schuld mit einander zusammen? Ist der Grund die inverse Schuld?
    Gegen die falsche Bewertung der Sexualmoral (zentrales Argument gegen das Zölibat): Das gefährlichste Organ des Menschen ist nicht der Phallus, sondern die Zunge (erst der Weltbegriff exkulpiert die Zunge und belastet des Phallus).
    Der Bann der Sexualmoral ist nur zusammen mit dem des Weltbegriffs aufzulösen. Sexualmoralische Begründung des Objektbegriffs (Kristallisationskern der transzendentalen Logik und des Weltbegriffs): Der Objektbegriff (und die mit ihm verbundene Vorstellung der unendlichen Ausdehnung des Raumes) neutralisiert die Differenz von Himmel und Erde, universalisiert sie zur „Welt“; der Begriff der Welt (des Universums) als Repräsentant der Subjektivität im Objekt macht Herrschaft durch Subjektivierung und Vergesellschaftung (durch Identifikation mit dem Aggressor) unkritisierbar (und entzieht so der Theologie den Erkenntnisgrund). Durch die Sexualmoral wird das Kritikbedürfnis auf ein scheinbar herrschaftsfreies Objekt, in Wahrheit jedoch auf das ins Dunkle gerückte Objekt von Herrschaft (auf die Materie) abgelenkt. Der Objektbegriff, Produkt der Neutralisierung des Namens und Ursprung und Repräsentant der Gewalt des Begriffs, ist selber der Inbegriff dieses Dunklen (Herrschaft erzeugt die ihr korrespondierenden Dunkelzonen, die Schattenwelt, ohne die sie kein Licht hat).
    Zum achten Gebot: Wo treten falsche Zeugen auf?
    – Im Verhör Jesu,
    – beim Verfahren gegen Stephanus,
    – in der Geschichte der Susanna (Buch Daniel).
    Die Confessio als Zeugenschaft ist der eigentliche Ort der Unzucht (Verinnerlichung der Idolatrie). Und die Virginitas ist eine Ersatzbildung der mißlingenden Vermeidung des falschen Zeugnisses (des falschen Bekenntnisses). Die Biologisierung der Virginitas und die Instrumentalisierung der Confessio gehören zusammen.
    Der Andere: ist das nicht die falsche Identifizierung des Fremden mit dem Armen unter der Herrschaft des Weltbegriffs (und in seiner reallogischen Konstituierung und Begründung)? Das prophetische Votum für die Armen und die Fremden depotenziert die neutralisierende (und bewußtlos verwirrende) Kraft der Welt, des Weltbegriffs: es entzieht dem Sein die verandernde Kraft. Kommt heute nicht alles darauf an, zu verhindern, daß diese neutralisierende, verandernde und verwirrende Kraft der Welt endgültig den Sieg davonträgt (es wäre der Sieg über die Armen und die Fremden, und über alle Toten)?
    Randalierer und Krawalle: das hört sich so an, als ob es sich um Leute handelte, die nur Lärm machen und dazu höchstens noch einiges kurz und klein schlagen, aber sonst relativ harmlos sind. Verschwiegen, verdrängt wird das zentrale Moment der gegenwärtigen Ausländerfeindschaft: die obszöne Mordlust, die sich noch an der folgenlosen Empörung über ihre Taten aufgeilt (und die tagtäglich in der Öffentlichkeit: in der Politik und in den Medien zur Schau getragene Empörung ist folgenlos).
    Zu prüfen wäre, welche Rolle bei den derzeitigen Pogromen der Alkohol spielt, und ob es hiernach noch vertretbar und zulässig ist, Trunkenheit weiterhin als strafrechtlichen Milderungsgrund anzuerkennen. Trunkenheit ist ein Männerdelikt, und Trunkenheit ist ein Zivilisationsdelikt (Zusammenhang von Potenzzweifel, Komplizenschaft, falscher Schuldverarbeitung: Kampf gegen den „inneren Schweinehund“, Abbau von Hemmungen). Trunkenheit ist ein Stabilisator der Herrschaftslogik (Taumelbecher). Trunkenheit hat subjektiv (bei der Begründung des autoritären Charakters) eine ähnliche Funktion wie objektiv (im Zusammenhang der Selbstbegründung des Staates) die Strafe im Recht (als Manifestation des Gewaltmonopols des Staates). Vgl. die biblischen Bedeutungen von Wein und Trunkenheit.
    Die Verdunkelung der Materie (im Kontext der Etablierung des Weltbegriffs, Reflex des Gewaltmonopols des Staates) ist der Preis für die Zivilisation.
    Der substantivische Tod wird am Ende mit weichem „d“, das adjektivische tot mit hartem „t“ geschrieben. Der Eine ist der Abschneidende, das Andere bezeichnet das Abgeschnittene.
    Adornos „erstes Gebot der Sexualmoral: der Ankläger hat immer Unrecht“ ist ein spätes Echo des jesuanischen „wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“. Hierzu gehört das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“: Heißt das aber nicht, daß, wer steinigt, selber versteinert: zu Stein (Kephas) wird? Ist Petrus und die darauf errichtete Kirche das steinerne Herz der Welt (das „steinerne Herz der Unendlichkeit“ in der „Dialektik der Aufklärung“, mit der Philosophie als Kristallisationskern des historischen Gesteinsbildungsprozesses), dessen Voraussicht die Angst im Garten Gethsemane (Antityp des Gartens Eden) und die Bitte „Laß diesen Kelch an mir vorüber gehen“ allein begründet; ist es dieses Herz, das am Ende in ein fleischernes umgewandelt werden wird?
    Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam: einer der ambivalentesten Sätze der Schrift; einer der Sätze, die in den Kontext des Kelchsymbols gehören. Doppelbegriff der Kirche: das Gebäude (Nachfolger von Tempel und Turm) und die Gemeinde.
    Komplizenschaft und Identifikation mit dem Aggressor oder Prinzip Mescalero: In der Regel zeigen insbesondere die, die bloß das Glück hatten, nicht erwischt worden zu sein, mit besonderer Empörung und besonders tiefem Abscheu auf die, die erwischt wurden. So erweist sich diese (und nicht nur diese, sondern bei genauer Betrachtung jede) Empörung als eine Manifestation der klammheimlichen Zustimmung.
    Zum Begriff des Lösens: gelöst wird der Knoten, das Siegel, und gelöst wird die Fessel, mit der der Gefangene gebunden wurde.
    Zur Geworfenheit und zum Vorlaufen in den Tod: Die Heideggersche Philosophie findet sich als Ontologie zwangsläufig in der Isolationshaft wieder, aus der die Philosophie aus eigener Kraft nicht herauskommt. Das Vorlaufen in den Tod ist ambivalent: Es ist die Identifikation mit dem Aggressor und zugleich das verzweifelte Pochen an der Zellentür, die nur mit Hilfe des Engels Theologie aufzusprengen wäre. Nicht zufällig erinnert der Titel Fundamentalontologie an die Verliese, die in den Fundamenten der Burgtürme sich befanden, und der Begriff der Geworfenheit an das Verfahren der Verbringung der Gefangenen in diese Verliese.
    Uta Ranke-Heinemann verkennt, daß die historische Kritik nur die Vorarbeit ist, die dann aber helfen sollte, den prophetischen Kern der Texte freizulegen. Franz Rosenzweig hat das Sigel R (das den Redaktor bezeichnet) als Rabbenu (unser Lehrer) dechiffriert.
    Kafkas Satz „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“ gibt einen Hinweis darauf, wie die Idee der Auferstehung der Toten noch sich halten läßt. Und zu Benjamins Satz „Hoffnung ist uns nur um der Hoffnungslosen willen gegeben“: Wir verraten die Hoffnungslosen nochmal (und endgültig), wenn wir die Hoffnung, die wir nur für sie hegen dürfen, verraten. Die Prophetie hat ein fundamentum in re, unabhängig davon, ob das, worauf sie abzielt, eintreten wird oder nicht (vgl. den letzten Satz in Blochs „Geist der Utopie“).

  • 22.09.92

    Kann es sein, daß die mittelalterliche Theologie sich die wichtigste Erkenntnisquelle selber zugestopft hat, als Johannes Scottus Eriugena verurteilt wurde? Es hat große Anstrengungen (und unvertretbare Opfer) gefordert, bevor das scottische Thema der „Einheit des Ewigen und des Gewordenen“ (S. 276ff) durch Bloch, Benjamin, Horkheimer und Adorno wiederdentdeckt wurde. Habermas hat’s immer noch nicht begriffen. Dieses Thema rührt an den Grund des Weltbegriffs, indem es den „Schöpfungsanfang“ nicht, wie es der Weltbegriff fordert, an den zeitlichen Anfang setzt, sondern – in der weltlichen Perspektive der Kreatur – ihm (und seiner Voraussetzung, der Idee des Ewigen) ein Gewordensein konzediert: er wird somit in jene geschichtliche Perspektive gerückt, in der dann der Ursprungsbegriff sein Wahrheitsmoment genauer bezeichnet und festhält.
    Merkwürdiger Begriff der Natur beim Johannes Scottus Eriugena. Was drückt sich in dem Titel „De divisione naturae“ aus? Leitbegriff seiner Spekulation ist der der Natur, aber nicht als einheitlicher Begriff (nicht als Totalitätsbegriff), sondern als an getrennte Bedeutungen aufgeteilter. Vergleiche damit den Naturbegriff und seine Funktion bei Franz Rosenzweig (Grund und hypokeimenon des Systems, aus dessen Umkehrung erst die Wahrheit hervorgeht). Naturbegriff in der Bibel (nur in den Apostelbriefen, und hier auf dem Niveau: „Lehrt euch nicht selbst die Natur, daß, wenn ein Mann langes Haar hat, es eine Schande für ihn ist“ – 1 Kor 1114)? Oder: ist der Naturbegriff durch den Weltbegriff vermittelt, und was entspricht ihm dann in der „Vorwelt“, in der Geschichte vor dem Ursprung der Philosophie und vor der Entstehung des Römischen Reiches?
    Zitiert Thomas von Aquin noch den Johannes Scottus Eriugena? Welche Rolle spielt in dieser Geschichte des Johannes Scottus Eriugena der Pseudo-Dionysius Areopagita (und der Maximus Confessor, Hauptinterpret des Ps.-Dionysius), oder welche Rolle spielt Johannes Scottus Eriugena in der Geschichte des Pseudo-Dionysius? Wann und von wem wird Dionysius Areopagita zum erstenmal erwähnt und zitiert, und wann und von wem Johannes Scottus Eriugena?
    Erstaunlich beim Johannes Scottus Eriugena seine stupende Gelehrsamkeit, sein souveräner Umgang mit lateinischen und griechischen Autoren (Plato, Aristoteles, Augustinus, Boethius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Basilius, Dionysius Areopagita, Maximus); er kennt die Differenzen zwischen der lateinischen und der griechischen Theologie, er ist in der Lage, etymologische Beziehungen zwischen lateinischen und griechischen Begriffen zu erkennen.
    War nicht die Hexenverfolgung, die endgültig das Antlitz der Erde zerstört hat, eine Konsequenz aus der Verurteilung des Johannes Scottus Eriugena? Und war nicht die Verurteilung des Johannes Scottus Eriugena der Preis für die Gründung der Universitäten (Beziehung zur Leugnung des Heiligen Geistes).
    Das Sein ist der Ursurpator des Namens, und seine verandernde Kraft bezieht sich auf die benennende Kraft der Sprache. Heideggers Philosophie ist der Versuch, diesem Usurpator des Namens die Würde des Namens zu verleihen (das Sein zum Namen zu ernennen).
    Der Naturbegriff verkörpert den ungeheuerlichsten Widerspruch, der nur deshalb nicht gesehen wird, weil seiner Verdrängung die Autonomie des Subjekts sich zu verdanken scheint. Der Naturbegriff ist die logisch überdeterminierte Projektionsfolie des blinden Flecks, in dem das Subjekt sich selber steht. Der harte Satz gilt: In der Natur kommt das Subjekt nicht vor, und soweit es vorkommt, muß es sich gegen die Natur behaupten.
    Dem Geburtsfehler der Philosophie, der Ontologie, entspricht der der christlichen Theologie: die Beziehung des Schöpfungsbegriff auf die Welt, die Idee, daß Gott die Welt aus (dem) Nichts erschaffen hat. Hierdurch wurde der Staat (das Herrendenken) gegen Kritik abgeschirmt, zugleich die zentrale Stellung der Sexualmoral im religiösen Selbstverständnis begründet (Grund und Folge des Naturbegriffs: so hängt die Stellung der Sexualmoral mit dem Ursprung des Weltbegriffs zusammen). Grund ist das Nichtbegreifen der Täufer-Theologie: die zentrale Stellung der Übernahme der Sünde der Welt (Begründung der Taufe und der Umkehr). Nur so wäre der Weltbegriff der Schöpfungslehre entzogen (und die Urhäresie: die Gnosis, aus der die ganze Geschichte der Häresien sich ableiten läßt, vermieden) worden. Der Weltbegriff gehört in die Christologie, hierhin aber als historischer, als Prozeßbegriff (Säkularisation, Verweltlichung).
    Es käme heute darauf an, die paulinische Theologie durch die des Täufers zu berichtigen oder zu ergänzen (vgl. auch das Martyrium des Erzmärtyrers Stephanus, an dem Paulus beteiligt war, mit dem Tod des Johannes, nachdem er den Herodes zur Rede gestellt hatte). Steht nicht die alternative Bewegung heute in der Täufer-Tradition; das führt auf die Frage: wer waren Herodes, Herodias und Salome?

  • 13.09.92

    Wenn die Schlange „auf dem Bauche kriecht“, drückt sich darin nicht auch ein Verhältnis zu den Herrschenden, zu den Vornehmen, aus? Steckt darin nicht die Anerkennung hierarchischer Ordnungen? Stehen nicht aller Tiere unter Herrschaftsnarkose? Und ist die Schlange deshalb „das klügste aller Tiere“, weil sie die vollständige Unterwerfung repräsentiert?
    Der biblische Begriff der Umkehr ist nur verständlich im Kontext der Idee der Auferstehung der Toten. In diesem Zusammenhang nochmal nachlesen, in welchem Kontext die Umkehr von Mensch Welt Gott im „Stern“ sich begreift.
    Natur- und Weltbegriff sind Totalitätsbegriffe, die unsere Erfahrung organisieren. Der Naturbegriff usurpiert den Schöpfungsbegriff und leugnet die Idee der Auferstehung der Toten; der Weltbegriff usurpiert das Jüngste Gericht und leugnet die Idee der Schöpfung. Die ungeheure Bedeutung des paulinischen „Kauft die Zeit aus“. Durch den unreflektierten Gebrauch der Begriffe Welt und Natur werden die Schöpfung und die Idee der Auferstehung aus dem Bereich des Denkbaren ausgeschlossen. Aber ohne die Idee der Auferstehung der Toten ist auch die der Wahrheit nicht mehr denkbar.
    Starke und schwache Verben: Gesonnen und gesinnt. Hängt die Unterscheidung mit der von Name und Begriff zusammen, drückt darin ein Unterschied der Beziehung zum Objekt sich aus? (Der Duden ebnet die Differenz ein, indem er schwache Verben, nur weil auch ein Vokal sich ändert, mit zu den starken (= „unregelmäßigen“) Verben rechnet; vgl. insbesondere die sogenannten Modalverben, die „Präteritopräsentia“:
    – dürfen: es ist mir erlaubt,
    – können: die Kräfte, die Mittel reichen aus,
    – mögen: es kommt meiner Neigung entgegen,
    – müssen: ich bin gezwungen,
    – sollen: es wird von mir erwartet,
    – wollen: ich verspreche zu tun,
    – wissen: ich unterwerfe meine Erfahrung den Kriterien der Beweisbarkeit, oder: ich unterwerfe mich der Kontrolle der Anderen (die mich zum Anderen für Andere macht; Katalysator ist der Begriff des Seins, die „verandernde Kraft des Seins“);
    sie binden den transzendentalen Apparat an seinen Naturgrund im Subjekt zurück, geben ihn selber als ein Stück gegenständlicher Natur vor und repräsentieren die Formen der Bedienung, des Gebrauchs dieses Apparats, (den subjektiven Grund der „Tatsachen“); sh. Duden, Ziffer 216: sind das nicht Entfremdungs- oder Vergesellschaftungsverben, Verben, die die Subjektlosigkeit des Subjekts bezeichnen, gleichsam Repräsentanten der Welt oder der Natur, einer Autorität, des Schicksals, des Triebs, des Verstandes oder des Willens im Subjekt: Produkt des begrifflichen Banns, der Zerstörung des Angesichts, und Schuldgrenze zur Welt?).
    Die Präteritopräsentia: Setzt sich mit ihnen das Subjekt (anstelle der Tat) als vergangen, daher ihre grammatische Konstruktion? Sind sie die subjektiven Reflexionskategorien des Weltgeistes, gemeinsam mit dem Weltbegriff entspringende Reflexionsbestimmungen?
    Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird die unmittelbare Präsenz des gesehenen Objekt rekonstruiert; durch die Projektion ins Inertialsystem hingegen wird so etwas wie eine Präteritopräsenz hergestellt. Entsprechen dem in der Sprache die Modalverben?
    Transzendentallogischer Zusammenhang von Welt, Wissen und Natur mit der subjektiven Form der äußeren Anschauung (dem Raum und seiner Dreidimensionalität)?
    Ist der Konjunktiv (der heute ausgetrieben wird) die letzte Zufluchtsstätte des Subjekts in der Sprache?
    Wie hängt das Nomen „Würde“ mit dem Konjunktiv des Verbs „Werden“ zusammen (ähnlich wie der Infinitiv Sein mit dem gleichnamigen Possessivpronomen 3. Person Singular masculinum)?
    „Die Würde des Menschen ist unantastbar“: Dieser Satz ist eine Tautologie und als solche schlicht nichtssagend: sie fällt nicht unter den Begriff der antastbaren Objekte, oder: auch die schlimmsten Verhältnisse (z.B. die Isolationshaft) lassen die Würde des Menschen unberührt. Der Satz soll aber offensichtlich den Eindruck erwecken, als solle damit die Maxime definiert werden, wonach die Würde des Menschen nicht angetastet werden darf. Dann jedoch dürfte es bestimte Urteile und auch Formen des Strafvollzugs, die zu oft den Satz bestätigen, daß Gemeinheit kein Tatbestand des Strafrechts ist, nicht geben.
    Gemeinheit als Erziehungsmedium: Heißt nicht für unsere Justiz Resozialisierung die Austreibung des Mitleids, die Fixierung ans Eigeninteresse? Das aber ist der Grund der Rückfallmechanik. So gerät unser Rechtswesen immer mehr in eine Verfassung, in der sie nur noch ihre eigene Existenzgrundlage: das Verbrechen, reproduziert.
    Wenn ich einen Imperativ durch einen Indikativ ersetze, dann verwandle ich ein Sollen in ein Sein, eine moralische Handlung in ein schicksalhaft ablaufendes Geschehen: ich verrate die Moral, um die Philosophie zu retten.
    Der Grundstein des babylonischen Turms ist das Sein, die Ontologie das dynamische Zentrum der Sprachverwirrung. Mit dem Namen des Seins zitiere ich Gewalt, den Ursprung des Gewaltmonopols des Staates. Aber insoweit ist auch die raf eine ontologische Sekte.
    Es ist eine Verharmlosung, den Nationalsozialismus nur als Rassismus zu verurteilen; so reduziert man ihn auf ein Bekenntnissystem, auf eine Konfession, und verbleibt im Bann der Logik, der er entspringt. Im Banne dieser Logik sind der Antisemitismus und die Trinitätslehre als Bekenntnisse gleichwertig und austauschbar. Zu verstehen ist er nur als Generalprobe des Antichrist.
    Die Frage, ob zwar nicht Jesus, wohl aber das Christentum den Teufel mit Beelzebub austreibt (vgl. die Geschichte mit den sieben unreinen Geistern), ist vielleicht doch sehr ernst zu nehmen. Und ebenso die Pharisäer, Schriftgelehrten und Hohepriester, m.a.W. die, die Johannes „die Juden“ nennt, werden vom Grunde her mißverstanden, wenn man sie nur als historische Exemplare einer vergangenen und überwundenen Epoche ansieht: Gemeint ist die Kirche (mit ihren real existierenden Pharisäern, Schriftgelehrten und Hohepriestern).
    Wäre der Islam nicht verständlicher, wenn es stimmt, daß die Sprache des Koran, das Arabische, kein Futur kennt? Das islamische Schöpfungskonzept, wonach Allah in jedem Augenblick die Welt neu erschafft, schließt jede Zukunftsgarantie aus, setzt das Geschaffene der vollen Schöpfungsmacht eines Gottes aus, dessen Pläne undurchschaubar sind, und begründet ein Lebensgefühl, in dem der Zufall zentral ist (wie es dann auch im Namen des „Islam“ sich ausdrückt: Im Christentum ist der Zufall eine zu enträtselnde Chiffre der göttlichen Vorsehung, im Islam eine nur durch Unterwerfung zu ertragende Manifestation der göttlichen Schöpfungsmacht).
    Die Materie ist das Für-andere-Sein der Dinge; insofern hängt der Begriff der Materie mit der Geschichte der Sexualmoral und mit der ihres Objekts zusammen.
    In der Kirchengeschichte hat es zwei pornographische Epochen gegeben: die pornokratische Phase der Papstgeschichte und die kasuistische Phase der Moraltheologie. Beide Phasen sind Phasen der Herrschaftsgeschichte (die erste unmittelbar, die zweite als Teil der Vergesellschaftung von Herrschaft). Beide sind Ausdruck der Verzweiflung an der Theologie. Die befreite Sexualmoral wird eine sein, die als Herrschaftsmittel gänzlich unbrauchbar geworden ist, weil sie sich im Hinblick auf die Idee der Auferstehung begreift. „Stark wie der Tod ist die Liebe“.
    Adornos Satz: „Die Deutung von Geist als Gesellschaft erscheint demnach als metabasis eis allo genos, unvereinbar mit dem Sinn der Hegelschen Philosophie allein schon darum, weil sie sich gegen die Maxime immanenter Kritik verfehle …“ (Drei Studien zu Hegel, S. 31) wäre zu berichtigen: Die Deutung von Geist als Gesellschaft läßt sich aus der Hegelschen Logik entwickeln, aus dem Satz: „Das Eine ist das Andere des Anderen.“ Dieses Für-andere-Sein steckt im Innern des Geistes als dessen gesellschaftliches Wesen drin und ist der materialistische Analyse und Interpretation fähig.
    Benjamins Satz: „Glücklich ist, wer seiner selbst ohne Schrecken inne wird“ enthält die Konsequenz, daß die Idee des Glücks die -nicht durch Rechtfertigungszwänge blockierte – volle Erinnerung der Vergangenheit (oder die Übernahme der Sünde der Welt) und die Idee der Auferstehung der Toten mit einschließt. (Vgl. hierzu das Bild der Lokomotive: diese Lokomotive kann nicht gestoppt, sondern nur aufgelöst werden; sie ist ein Phantom, aber ein reales.)
    Wenn Maria als Mittlerin aller Gnaden angesprochen wird, dann kann das eigentlich nur im Sinne des Liedes „Christi Mutter stand mit Schmerzen …“ verstanden werden. Gefährlich wird die Marienverehrung nur im Kontext der Mutterideologie, der schon in der Geschichte von der Hochzeit zu Kana die Grundlage entzogen wurde, als Jesus sagte: „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen“, worauf Maria nicht ihm antwortete, sondern (in einer Form, die den Eindruck erweckt, sie habe ihn verstanden) die Diener der Gastgeber anweist: „Tut alles, was er euch sagt“.
    Die Geschichte der Zivilisation ist die Geschichte der Verinnerlichung des Opfers: Das wäre aufzuarbeiten anhand der Geschichte des Naturbegriffs.
    Heidegger hat die Moral verraten, um die Philosophie zu retten.
    Es gibt Gerüche, die Erinnerungen wachrufen; es gibt aber auch Gerüche, die Verdrängungshilfe leisten.

  • 09.08.92

    Schließt die Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken (Grund der Beziehung von Sprache und Mathematik) nicht die Lehre von der Auferstehung der Toten mit ein? – Das Vergangene ist dann nicht nur vergangen.
    Benjamins Definition des Kapitalismus als Kult ohne Dogma ist zu berichtigen: Die Stelle des Dogmas nehmen die Naturwissenschaften und die dazu gehörenden Begriffe der Welt und der Natur ein. Was in diesem Kontext „Bekenntnis“ heißt, ist nur das Deckbild (das Feigenblatt oder das Tierfell) über dem realen Bekenntnis, dem der Gottes- und Selbstverleugnung. In den Naturwissenschaften ist gleichsam der Schock als Dauerzustand präsent: ein Schock, dem niemand mehr glaubt sich aussetzen zu können, weshalb alle sich verstecken; zugleich glauben alle, davon verschont zu sein, da er ja nur die Natur trifft; die Stelle, an der sie selber sich als getroffen erfahren würden, ist narkotisiert: Ursprung des Personbegriffs.
    Einstein und das Ende der empirischen Physik: seit dem Ende der Entwicklung der Quantenphysik, die in eine Sackgasse führte, weil sie das Erkenntnisgesetz von Objektivation und Instrumentalisierung nicht durchbrochen hat, gibt es keinen theoretischen Fortschritt mehr. Ausgeblieben ist insbesondere die Aufschlüsselung des Planckschen Strahlungsgesetzes (als Zustandsbestimmung des durch Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit berichtigten Inertialsystems), die rückwirkend die Naturwissenschaften insgesamt in ein anderes Licht gerückt hätte.
    Benjamin: „Die Grundkonzeption des Mythos ist die Welt als Strafe (…). Die ewige Wiederkehr ist die ins Kosmische projizierte Strafe des Nachsitzens: Die Menschheit hat ihren Text in unzähligen Wiederholungen nachzuschreiben.“ (I/3, S. 1234, zit. nach Burkhardt Lindner: Engel und Zwerg, in Lorenz Jäger/Thomas Regehly (Hgg.) „Was nie geschrieben wurde, lesen“, Bielefeld 1992, S. 236) Auch die katholische Transsubstantiationslehre und das katholische Verständnis der Eucharistie hängen mit der Lehre von der ewigen Wiederkehr zusammen; sie sind Ausdruck der gleichen Verzweiflung: Der Kreuzestod Christi muß täglich wiederholt werden, weil niemand mehr an die Wirksamkeit des ersten, realen Kreuzestodes glaubt.

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