Benjamin

  • 30.5.1994

    Mit der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit (mit dem Inertialsystem) setze ich auch die Gegenwart als vergangen: Das ist die Voraussetzung des gesamten historischen Abstraktionsprozesses. (Der Historismus setzt die Ausdehnung des Raumes über das ganze Universum voraus: Das Interesse an der Astronomie ist das Interesse an der logischen Durchgestaltung des Natur- und Geschichtsverständnisses, es ist identisch mit dem Interesse des Staates an seiner Selbstbegründung, mit seinem Legitimationsintersse.) Der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit korrspondiert das Heideggersche Vorlaufen in den Tod“: Ich setze mich als gestorben (und mache so die Todesangst gegenstandslos).
    Liegt die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum nicht darin, daß der Begriff des Eigentums auf die Anerkennung durch andere (das Recht und den Staat) abzielt, während der Besitz nur das Nutzungsrecht des Dings bezeichnet?
    Hängt das Suffix „-tum“ (in Eigentum, Reichtum, Christentum etc.) mit dem Ursprung des Dingbegriffs zusammen?
    Wurde die Todesstrafe, als sie abgschafft wurde, nicht in das reine Funktionieren der gesellschaftlichen Mechanismen, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt, verlegt (Vergesellschaftung als kalte Exekution der Todesstrafe)?
    Zur Begründung der Sprachphilosophie gehört die Umkehr des Satzes „Der Ursprung ist das Ziel“: Das Ziel ist der Ursprung. Das Matriarchat liegt nicht vor dem Patriarchat, sondern ist ein Teil der in der Katastrophe des Ursprungs des Patriarchats aufblitzenden Utopie: Der Gedanke daran, daß es auch anders sein könnte.
    Double-bind-Falle Dritte Welt: Wir zwingen ihr die Verhältnisse auf, die die Barbarei hervorrufen, die wir dann zugleich verurteilen.
    Die Illusion, Richter über die Geschichte zu sein, gründet darin, daß wir uns selbst von den Untaten, die wir in der Vergangenheit verurteilen, heute durch Delegation an andere (an Gefängnisse, Schlachthäuser, Irrenhäuser und an die Diktaturen der Dritten Welt) freisprechen. Wir machen uns die Hände nicht mehr schmutzig.
    Wir brauchen die Sünde der Welt nicht mehr „auf uns (zu) nehmen“, sie lastet auf unsern Schultern.
    Sind wir nicht der Verführung erlegen, uns als „Spätgeborene“ als Erben derer, die je gesiegt haben, der Herrschenden, zu begreifen. So sitzen wir uns selber im blinden Fleck.
    Kohl ist in der Tat ein Historiker, aber einer, der sein Handeln im Blick der „Geschichte“ (die einmal ihr Urteil fällen wird) sieht. Die Logik dieses Konstrukts ist der Grund seines politischen Handelns und seines demagogischen Talents. So einer kann in der Tat durch „reines Zusehen“ (durch Aussitzen) Politik machen und durch Zuwarten die Opposition in die Fallen locken, in denen er sie dann unschädlich machen kann. Kohl ist der zum reinen Punkt zusammengeschrumpfte und dann wieder aufgeblasene Hegel. Sein karrierewirksamste Qualifikation: Er beherrscht die Technik des kontrafaktischen Urteils.
    Zum kontrafaktischen Urteil:
    – Hegels Kritik des Sollens und der Satz aus der Rechtsphilosophie („das Wirkliche ist vernünftig …“),
    – Nietzsches Essay „vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (Kritik der Machtanbetung des Historikers, die Lehre von der ewigen Wiederkunft und vom Übermenschen),
    – Benjamins geschichtsphilosophische Thesen,
    – die Konversion Rosenzweigs (die Kritik des Historismus und der Stern der Erlösung),
    – kontrafaktische Urteile und ideologische Geschichtsschreibung (Kollektivscham, Exkulpationsstrategien und Geschwätz),
    – die Selbstverblendung der Politik in Deutschland (im „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“), Kohls Demagogiekonzept und die Instrumentalisierung des kontrafaktischen Urteils: Ick bün all do.
    Der, der wiederkommt, muß das unbedingt derselbe sein, der einmal da gewesen ist?
    Die Materie ist der Reflex der Totalisierung des Raumes im Objekt (wie unterscheiden sich die Beziehungen der Zeit und der Materie zum Raum?).
    Die Römer haben dem Staub den Namen der Mutter gegeben (Materie), damit jedoch die Erinnerung an die messianischen Wehen verdrängt. Aber diese „Mutter“ war tot, und so sind die Mütter zu Hexen, zu Herrscherinnen des Totenreichs, geworden.
    Im Griechischen heißt die Materie „hyle“ (Holz, Wald); hängt das damit zusammen, daß der Naturbegriff im Griechischen auf das Zeugen anstatt auf die Geburt verweist? Im Christentum wurde das Zeugen in die Trinitätslehre mit hereingenommen und vergöttlicht.
    Wenn die Propheten schon im Mutterschoß berufen waren, heißt das nicht auch, daß sie im Namen der Barmherzigkeit berufen worden sind? Wie diese Barmherzigkeit aussieht, ist der Verkündigungsgeschichte zu entnehmen, dem Magnificat („die Mächtigen stürzt er vom Thron“).
    Was in der Sprachlogik des Hebräischen, in ihrer Grammatik, fehlt, erscheint in ihr als Symbol (die Schlange). Versuch, die griechische und die hebräische Sprache anhand des Modells dieser Beziehung zu vergleichen?
    Die Heiligung des Gottesnamens setzt die Kritik des Dogmas (und der Bekenntnislogik) voraus und schließt sie mit ein.
    Die subjektiven Formen der Anschauung sind die Pforten der Hölle. Gründet nicht
    – der Raum in der Beziehung von Vorn und Hinten (in der Abstraktion vom Angesicht),
    – das Geld in der von Rechts und Links (in der Abstraktion von der Barmherzigkeit) und
    – die Bekenntnislogik in der von Oben und Unten (in der Abstraktion vom Himmel)?
    Und bilden sie nicht genau in dieser Folge den Verblendungs-, Schuld- und Herrschaftszusammenhang?
    Ist nicht durch den Begriff der Schöpfung im Deutschen die Schöpfungslehre zu einem Teil des Trinkens aus dem Kelch geworden, und ist dieser Schöpfungsbegriff nicht eher aufs Kreditwesen bezogen als auf die Theologie? Ist er nicht eine logische Konsequenz aus dem Weltbegriff (aus dem Begriff einer creatio mundi ex nihilo)? Aber: die Schöpfung ist geschaffen, nicht geschöpft (und die Erschaffung ist etwas anderes als die Erschöpfung). – Aus welchen sprachlichen Wurzeln stammen das hebräische bara, das lateinische creare und das griechische ktizo?
    Die Kirche hat den Staub vergesellschaftet und die Wehen privatisiert (nach und aufgrund der Rezeption der griechischen Philosophie).

  • 21.5.1994

    Sind die Pforten der Hölle die der Scham?
    Hodie si vocem ejus audieritis: Es ist ein Unterschied, ob man diesen Satz mit „wenn ihr seine Stimme hört“ oder mit „wenn ihr auf seine Stimme hört“ übersetzt.
    Wer ohne den Trieb, die Welt zu ändern, den Intellekt verteufelt, appelliert an den Bauch und an die Macht.
    Die Demut der Materie: Der Objektbegriff ist das verdrängte Erbe des Gotteslamms, das die Sünde der Welt auf sich nimmt. Das Kreuz, an das es geschlagen wird, enthält alle drei Arten der Todesstrafe
    in sich: das Enthaupten (Johannes), das Kreuzigen (Jesus) und das Steinigen (Stephanus), während das Verbrennen erst in seiner Konsequenz und außer ihm liegt. Nur weil das Christentum der Reflexion des Feuers sich entzogen hat, mußte es die Juden, die Ketzer und die Hexen verbrennen.
    Das ungeheure Bild des Rocks aus Fellen: Erinnerung an
    – das goldene Vlies und die Argonauten,
    – den Rock Jesu am Kreuz, über den die Soldaten das Los geworfen haben,
    – die Geschichte der Scham und der aufgedeckten Blöße (und den Ursprung des Weltbegriffs),
    – den Hinweis bei den Kirchenvätern, die in diesem Rock die Kirche symbolisiert sahen.
    Und hat der Rock aus Fellen etwas mit dem Gotteslamm zu tun?
    Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit enthält (vor dem Hintergrund und im Kontext der hegelschen Bemerkung über die „empirischen Erscheinungen der Fortpflanzung des Lichts) den Beweis, daß die Aufklärung an ihrem Ursprungsort, in der Geschichte der Naturwisenschaft, zu dem Scheffel geworden ist, hinter dem das Licht verschwunden ist.
    Liegt nicht dem Konzept der creatio mundi ex nihilo, der Beziehung des Schöpfungsbegriffs auf den Weltbegriff, der Prozeß der Verinnerlichung der Scham zugrunde?
    Der Hinweis des Eleasar von Worms auf die symbolische Bedeutung der Dornen und Disteln, die er als das Gesetz der Profangeschichte versteht, wird deutlicher noch, wenn man ihn allgemein auf das Gesetz des Profanen (das die Gewalt und die Herrschaft von Menschen über Menschen mit einschließt) bezieht. So schließt er sich mit dem Theologisch-politischen Fragment Walter Benjamins zusammen. Hier ist das Bindeglied, das die Dornen und Disteln mit den subjektiven Formen der Anschauung (der Abstraktion vom Gesehenwerden), primär mit der Form des Raumes und mit dem Inertialsystem (der Leugnung des Angesichts), verknüpft.

  • 17.5.1994

    Die Logik der Scham, das Anderssein, der Weltbegriff und die Ausbildung und Entfaltung der Raumvorstellung (das Aufdecken der Blöße oder das Sklavenhaus Ägypten):
    – Sie waren nackt, aber sie schämten sich nicht; da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
    – (Sintflut, Arche) Noah, der Weinbau, die Trunkenheit und die aufgedeckte Blöße, Ham und die Knechtschaft (gehört die Ham/Kanaan-Geschichte zur Vorgeschichte der Kafkaschen Erzählung „Das Urteil“?).
    – Erkenntnis der Nacktheit und Ursprung des Weltbegriffs: Scham als verinnerlichter Blick des Andern; in diesem Blick und als Inbegriff der Logik seiner Objektivation konstituiert sich der Weltbegriff.
    – Der Raum als die zwangshafte Rekonstruktion des verinnerlichten Blicks des Andern; die kopernikanische Wende, die Vernichtung des Angesichts Gottes durch den „unendlichen Raum“ (Abwehr, Verdrängung des Angeblicktwerdens), Grund der kantischen Erkenntniskritik.
    – „Kollektivscham“ als kollektive Isolationshaft, die Unfähigkeit zu trauern und die zweite Schuld; Kollektivscham und Xenophobie, Ausländerfeindschaft und neue Rechte. Der Begriff der Kollektivscham hat die Erinnerung mit der Welt versöhnt und somit zur Folgenlosigkeit verdammt (und dieses Land zum „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“ gemacht).
    – Das Fernsehen (die institutionelle Aufspaltung des Sehens durch Trennung des Sehens und Gesehenwerdens) oder die Blinden und die Lahmen (2 Sam 56ff, Mt 115).
    – Die Logik der Scham und die Ausbildung und Entfaltung der Logik des Raumes.
    – Ist die am zweiten Tag geschaffene Feste, die die oberen von den unteren Wassern (die Prophetie von der Philosophie) trennt, das kosmische Realsymbol der Scham?
    – Scham und Verdinglichung, Ursprung der Exkulpationsmechanismen, Scham und Gewalt: Ist die Scham die Materie des Absoluten?
    – Die Philosophie ist mit der Verinnerlichung des Schicksals entstanden (Ursprung des Begriffs), die mathematische Naturwissenschaft mit der der Scham (Ursprung der subjektiven Formen der Anschauung, der Raumvorstellung).
    – Scham und Schuldverschubsystem (Exkulpation durch Projektion: Prinzip der Anklage, Grund des Objektivationsprozesses), Ursprung des katholischen Mythos (der traditionellen Höllenlehre: stammt der Satz, daß zum Glück der Seligen im Himmel die Anschauung des Leidens der Verdammten dazugehört, den Nietzsche auf Thomas von Aquin zurückführt, nicht schon von Augustinus? Vgl. das Nietzsche-Zitat bei Jürgen Ebach: Apokalypse, in: Einwürfe 2, S. 45).
    – Die Scham als gemeinsamer Grund des Mythos und der Kunst (der Ästhetik). Konstruktion der Farben (die Sintflut und der Bogen am Himmel).
    – Sind die sekundären Sinnesqualitäten nicht stellvertretende Opfer für das eigentliche Opfer: die benennende Kraft der Sprache (der Logos), und liegt dem nicht die Ersetzung des Hörens durch den Gehorsam (die säkularisierte Gestalt des Islam, mit der augustinischen „Wörtlichkeit“ als Vorstufe des Koran) zugrunde? – Wäre das Gehorsamsgebot nicht endlich beim richtigen Namen zu nennen: als Heiligung des Gottesnamens? Das Credo hat das Niederfahren Gottes beim Turmbau zu Babel zu einem Akt der Kirche gemacht: sie zieht ihn in ihre Verstrickungen (in die Verstrickungen der Bekenntnislogik, der Logik des Absoluten) mit herein. Ist nicht die Kirchengeschichte die endlose Ausdehnung der descensio ad inferos?
    – Scham, Sexualität und Urteil (Begriff der Erbsünde). Als Urteilslogik ist die transzendentale Logik eine Logik der Scham (und bedarf zu ihrer Begründung der transzendentalen Ästhetik: der Logik der Abstraktion vom Gesehenwerden).
    – Die Scham und die Zerstörung der benennenden Kraft der Sprache (oder die Heiligung des Gottesnamens).
    – Scham hat einen Adressaten, Scham ist Scham vor einem anderen: Mit dem Weltbegriff ist dieser Andere verinnerlicht worden. Gibt es Stufen der Scham (Entschlüsselung der sieben unreinen Geister)? Die Geschichte der drei Leugnungen ist in die Geschichte der Scham verstrickt.
    – Die Kollektivscham und die Pforten der Hölle (oder Kollektivscham und Naturbegriff).
    – Die Grenze zwischen Natur- und Weltbegriff ist eine Schamgrenze, starr und gleichsam orthogonal verbunden mit dem Ursprung und der Geschichte der Sexualmoral.
    – Der Weltbegriff unterläuft die Herrschaftskritik und begründet die Sexualmoral durch Herstellung von Komplizenschaft (er unterwirft die Herrschaftskritik dem Schuldverschubsystem; die Theologie hat dieses Schuldverschubsystem im Dogma kanonisiert: mit der Opfertheologie und dem Konstrukt der „Entsühnung der Welt“, begründet in der falschen Übersetzung von Joh 129).
    – Durch die Einbeziehung der Übernahme der Sünde der Welt ins Nachfolgegebot wird das „wörtliche“ Verständnis ins prophetische Verständnis transformiert (Wahrheit der Lehre von der Transsubstantiation), gewinnt die Sprache ihre benennende Kraft zurück (apokalyptische Enthüllung).
    – Scham und Sprache: Sollte mit der Heiligung des Gottesnamens die Anonymität des Angeblicktwerdens aufgehoben (der Mensch in den Anblick Gottes gerückt) werden? Die Anonymität gründet in der Abstraktion der Form des Raumes (Zusammenhang mit der Geschichte der drei Leugnungen).
    – Steckt im kantischen Begriff des Erhabenen die Erinnerung an den leeren Weltenraum, und gründet darin die Assoziation des „moralischen Gesetzes in mir“ mit dem „gestirnten Himmel über mir“?
    – Die Scham, das Feigenblatt und der Rock aus Fellen.
    – Wie hängt die Logik der Scham mit der des Feuers zusammen (auch die Scham brennt wie Feuer)? Gründet das Feuer im Namen des Himmels (und im brennenden Dornbusch: in der brennenden Innenerfahrung der Profangeschichte) in dem, was die Scham objektiv bezeichnet?
    – Der brennende Dornbusch als brennende Innenerfahrung der Profangeschichte setzt die Gotteserkenntnis (die Selbstoffenbarung Gottes) in Beziehung zur Bewegung der Profangeschichte (vgl. Walter Benjamin, Theologisch-politisches Fragement: „Das Profane ist zwar keine Kategorie des Reiches, aber eine Kategorie, und zwar der zutreffendsten eine, seines leisesten Nahens“). Der brennende Dornbusch ist
    – „Absolutum est prius relativo secundum esse, et est posterius secundum dici“ (Thomas von Aquin, S.Th. I 2, q. 16.4 ad 2). Der newtonsche „absolute Raum“ hat seine Wurzeln in der Scholastik; er findet seine Vollendung in der Hegelschen Idee des Absoluten.
    – Die Verstrickung der Theologie in die Dialektik der Aufklärung ist symbolisiert in der Geschichte von den drei Leugnungen. Leugnet nicht die aus der Philosophie rezipierte Idee der Anschauung Gottes das Angesicht Gottes?
    – Die subjektiven Formen der Anschauung entspringen in der (praktischen) Abstraktion vom Gesehenwerden, sie sind ein Produkt der Schamverarbeitung. Mit dem Ursprung der Naturwissenschaften wurde der Blick des andern tabuisiert, verdrängt, gelöscht; als Produkt projektiver Schuldverschiebung erscheint er dann wieder in dem bösen Blick, der den Hexen nachgesagt wurde: So gehört die Geschichte der Hexenverfolgung zur Geschichte des Ursprungs der Naturwissenschaften. Der wirkliche böse Blick aber ist der, den die Naturwissenschaften auf die Dinge werfen; dieser Blick hat eine eingebaute Exkulpationsautomatik: es ist der Blick des Herrn (des Absoluten).
    – Das „naturwissenschaftliche Weltbild“, die kopernikanische Wende als Katalysator des gesellschaftlichen Fortschritts, hat die (intellektuellen und moralischen) Hemmnisse beseitigt, die der „freien Entfaltung“ des Kapitalismus im Wege standen.
    – Der Herrenblick oder das verinnerlichte Babylon und die projektive Verschiebung des „Grauens um und um“ (Jeremias). Gehört heute nicht die descensio ad inferos zu den Prämissen theologischer Erkenntnis?
    – Ergänzung zum Stern der Erlösung: Die Philosophie verschweigt nicht nur den Tod, sondern seit ihrem Bündnis mit der Theologie hat sie ihn instrumentalisiert: War das nicht der Kelch (der Kelch der Opfertheologie), von dem Jesus wünschte, er möge an ihm vorübergehen? Mit der Instrumentalisierung des Kreuzestodes wurde die Strafe der Steinigung (zur subjektiven Form der äußeren Anschauung und zum Prinzip der Verdinglichung) vergeistigt (und der Feuertod zur Strafe für Juden, Ketzer und Hexen).
    – Es genügt nicht, daß die Christen sich irgendwo im Stern der Erlösung wiederfinden, es käme darauf an, den Stern der Erlösung ins Christliche zu übersetzen (nach Walter Benjamin: die Tradition auf dem eigenen Rücken weiter zu befördern, nur daß Christen sie überhaupt erst auf die eigenen Schultern heben müssen).
    – Merkwürdig, daß aus einem Buch, das die Lösung der sieben Siegel zum Gegenstand hat, ein „Buch mit sieben Siegeln“ geworden ist.
    – Der Name Gottes bildet sich in der Lösung der sieben Siegel, in der Lösung des Banns, den der Raum auf Mensch und Welt legt.
    – Der Prototyp der neuen Gestalt der Religionskriege war der Weltanschauungskrieg der Nazis gegen Rußland, und der war schon ein Vernichtungskrieg („Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“).
    – Leben wir nicht heute nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß? Aber diese Kälte ist die des steinernen Herzens. Dagegen wäre der Satz zu setzen: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und ich wollte, es brennte schon“ (Lk 1249).
    – Zum letzten Satz des Buches Jona: Wer rechts und links nicht mehr unterscheiden kann, unterscheidet sich nicht mehr vom Vieh (sh. Behemoth), das deshalb in die Buße Ninives ebenso wie in die Barmherzigkeit Gottes mit hereinzunehmen ist.
    – Daß niemand das Licht unter den Scheffel stellt, stimmt nicht: Die moderne Aufklärung hat es getan, weil sie das Licht mit dem Scheffel verwechselte. So ist sie zum Scheffel über dem Licht geworden.
    – Das Lachen instrumentalisiert die Scham, macht sie zur Waffe.
    – Die Waffen der Schlange: ihr Blick und das Gift (gleicht sich die Sprache der Politiker nicht immer mehr dem Blick der Schlange an?).
    – Zu Jes 271: Ist der Leviatan, „die flüchtige Schlange, … die gewundene Schlange“, Produkt der Mimesis an den Grund der Raumvorstellung (die erste Gestalt des „Korpuskel-Welle-Dualismus“, Reflex dessen, daß jede Gerade im Raum sowohl Trägheitsbahn als auch Rotationsachse ist – daß beide Bewegungen die Zukunft mit der Vergangenheit kurzschließen, indem sie die Gegenwart ausschließen: „Das Tier, das du gesehen hast, war und ist nicht und wird (wieder) heraufkommen aus der Unterwelt und geht hin ins Verderben“, Off 178)?
    – Gibt es eine Beziehung der astrologischen Planetentheorie und der kirchlichen Sakramentenlehre zur Logik der Scham (Venus und Eucharistie)?
    – Schicksal und Scham: Die Verinnerlichung des Schicksals (und der Ursprung des Begriffs) mußte abgesichert und stabilisert werden durch den projektiven Namen der Barbaren; die Absicherung der Verinnerlichung der Scham (und des Ursprungs der Naturwissenschaften) erfolgte über den projektiven Namen der Wilden (war die kopernikanische Wende der Anfang eines kosmologischen Kolonialismus und die kantische Philosophie der Beginn des kritischen Selbstbewußtseins davon?).
    – Hat die Scham mit der Eitelkeit zu tun, mit dem Nichtigen?
    – Die gleiche Logik der Scham, die die Raumvorstellung konstituiert, liegt auch der Bekenntnislogik zugrunde (über die Logik der Scham hängt der Greuel der Verwüstung mit der Sünde Adams zusammen: der Greuel der Verwüstung ist aus der Sünde der Welt ableitbar).
    Woher kommt konkret der Name Palästina, welchen historischen Weg hat er genommen? Wie lange hat es die Philister gegeben, wer waren ihre Nachfahren, und haben nicht die Römer dann das Land Israel Palästina genannt?
    Wie wäre es mit dem schönen Titel: Ein Vorschlag zur Güte?

  • 15.5.1994

    Stimmt es eigentlich, daß auch der Behemoth eine „lebenswidrige Chaosmacht“ ist? Immerhin ist das „weiße Nilpferd“ als Göttin u.a. Schutz für Schwangere und Gebärende, während nur das „rote Nilpferd“ verfolgt wird als Chaosmacht. Kann es nicht sein, daß auch das „rote Nilpferd“ für Ägypten nur deshalb eine Chaosmacht ist, weil es die Barmherzigkeit, die es im Sklavenhaus nicht geben darf, repräsentiert? Im Buch Hiob frißt der Behemoth „Gras wie das Rind“, wird er der „Erstling des göttlichen Schaffens“ genannt. Hingewiesen wird eigentlich nur darauf, daß er niemals Objekt der Herrschaft sein wird: „Wer dürfte ihm in die Augen greifen, mit Stricken ihm die Nase durchbohren?“ – In welcher Beziehung steht der Behemoth zum apokalyptischen Tier aus der Erde?
    Hat Walter Benjamin mit dem Hinweis darauf, daß die jüngst vergangene Mode jeweils das Veraltetste ist, nicht eine Spur gelegt, der nachzugehen wäre?
    Weshalb durfte der Verfasser der Johannes-Apokalypse die „Worte der sieben Donner“ (104) nicht aufschreiben?
    Ist die Salome-Johannes-Geschichte die Umkehr der Judith-Holofernes-Geschichte?
    Todesstrafen im NT: Johannes und das Schwert, Jesus und das Kreuz, Stephanus und die Steinigung.
    Zu Hegels Naturphilosophie (in der Enzyklopädie): Steckt sie nicht voller Lichtpunkte, die an die Jenenser Ursprungsphase der Hegelschen Philosophie erinnern, die aber unterm Bann des Systems gleichsam einem Sprechverbot unterworfen werden. Wenn Hegel im Hinblick auf die „empirischen Erscheinungen der Fortpflanzung des Lichts“ von zwei Sphären spricht, bricht da nicht die dialektische Logik auseinander in eine unvermittelte Unmittelbarkeit und eine Vermittlung, deren Produkt ein An-sich ist, das mit der unvermittelten Unmittelbarkeit nicht mehr identisch ist? Die zwei Sphären rütteln am Systemgrund der Hegelschen Philosophie.
    In der Idee des Absoluten benennt Hegel den Preis, der am Ende für die christliche Tradition des Begriffs der Anschauung Gottes zu zahlen ist. Wenn die Kirche mit der Opfertheologie und mit der traditionellen Interpretation von Joh 129 Jesus mit der Last allein gelassen hat, hängt das nicht auch damit zusammen, daß die Kirchen die Fluch über Adam (den Staub) generalisiert, die Frauen aber mit den Schmerzen der Geburt ebenfalls allein gelassen: aus den messianischen Wehen sich herausgestohlen haben?
    Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben: Trinkt den Kelch, aber werdet nicht trunken, verfallt nicht der (trunken machenden) Paranoia, seid arglos: Sprengt das Universum. Ist die Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Sprache heute an die Sprengung des Zeitkontinuums gebunden, an eine Umkehr, in der der Name Gottes sich restituiert?
    Zur Frage der Chronologie: Kann es sein, daß die Schrift in ein Nacheinander verwandelt hat, was eigentlich im Bilde einer gleichsam orthogonalen Gleichzeitigkeit zu begreifen wäre (Abraham, Moses, David)?
    Sind die Planeten (ihre Eigenschaften und Bahnen) räumliche Fixierungen von Zeitdimensionen?
    Satan, Teufel und Dämonen: Repräsentieren die Dämonen in dem vom Ankläger und Verwirrer konstituierten Kontinuum den Objektbegriff? Hat die Jesaia-Stelle über den Leviathan (271: die flüchtige Schlange, … die gewundene Schlange) etwas mit der Beziehung von Teufel und Satan (und mit der Richtungs- und Achsenfunktion der Dimensionen im Raum) zu tun? War das personalistische Teufelsverständnis des katholischen Mythos dämonisch?

  • 27.4.1994

    Sünde als Voraussetzung der Erkenntnis: Diese Erkenntnis wird durchs moralische Urteil (durch die Exkulpations-Logik des Schuldverschubsystems) zum Geschwätz neutralisiert.
    Die grammatischen Begriffe sind insgesamt geronnene Handlungen, Verbalabstrakta; deshalb die Suffixe -ativ/-itiv (nominare: Nominativ, accusare: Akkusativ).
    Woher stammt der Genetiv/Genitiv (oder der Infinitiv)? Hat er etwas mit dem generare (erzeugen) zu tun, und ist der Genitiv Repräsentant des Zeugungs- und Adoptionsverhältnisses in der Sprache (Ableitung von Herrschaft und Besitz aus der Hurerei)? Im Griechischen wird das bar (Sohn des) durch den Genitiv wiedergegeben. Und hat nicht in der Tat jedes Herrschafts- und Besitzverhältnis eine sehr tief reichende libidinöse Komponente? Liegt hier der Ursprung der biblischen Schwurpraxis (mit der Berührung der Lenden des Vaters, des Herrn), oder auch die Lösung des Problems der Beziehung des Schwurs zur Zahl Sieben (Beerscheba): Zusammenhang des Schwurs mit den Siegeln?
    Im Hebräischen ist der Genitiv ein Nominalobjekt, der Akkusativ ein Verbalobjekt. Ist die Entfaltung des Deklinationssystems in den indogermanischen Sprachen eine Konsequenz der Neutrumsbildung und durch diese mit dem veränderten System der Konjugationen (der veränderten Beziehung der Verben zur Zeit) verbunden? Und verweist die Ursprungsgeschichte dieses Deklinationssystems auf die Geschichte Israels mit Kanaan (ist die Sprache wie das Land Kanaan Privateigentum und Gegenstand des Wertgesetzes, oder ist sie Gottes Eigentum)?
    Ist der Baal die Urgestalt des Absoluten?
    Die grammatischen Begriffe sind hypostasierte Adjektive, ihre Hypostasierung eine Folge der Trennung von Ding und Sache.
    Die grammatischen Begriffe der indogermanischen Sprache sind Funktionsbegriffe, die der hebräischen Sprache, soweit sie nicht aus analoger Anwendung der indogermanischen Grammatik sich herleiten, haben die materiellen sprachlichen Bildungselemente als Grundlage (daher der Name der „hebräischen“ Schrift und Sprache?).
    Bezeichnet das „Filius meus es tu, hodie genui te“ den Ursprung des Genitiv?
    Definition der Ellipse: Geometrischer Ort aller Punkte, bei denen die Summe der Abstände zu den beiden Brennpunkten sich gleichbleibt. In der Konstruktion der Ellipse wird gleichsam der Radius des Kreis in seine zwei Richtungskomponenten (in das Sehen und Gesehenwerden) aufgespalten: Schlüssel zum Verständnis der elliptischen Planetenbahnen?
    Zu den griechischen Sternensagen: Sind vielleicht die griechischen Mythen insgesamt Sternensagen (und historische Sagen zugleich)? Und haben wir nicht durch das Tabu über die Astrologie (über das Problem ihrer logischen Konstitution) den Schlüssel zu den Mythen verloren? Ist die Astrologie der Turm, der bis an den Himmel reicht (Turmbau zu Babel, Ursprung des Mythos und der Herrensprache)? Und sind Spuren davon nicht noch in den divinatorischen Traditionen (die der Römische Imperialismus dann als Gefahr wahrgenommen und verboten hat) enthalten (Haruspizien, Auguren: Leberschau und Vogelflug)?
    Wäre es nach Erfindung des Fernsehens nicht an der Zeit, zu Platons Höhlengleichnis endlich die Konstruktion der Höhle zu entschlüsseln? Ist die platonische Höhle ein Bild der Hölle, von der es in der Bibel heißt, daß ihre Pforten sie (die Kirche) nicht überwältigen werden?
    Ist nicht der technische Fortschritt eingebunden in ein System von Entsprechungen; sind nicht die Gestalten der Naturbeherrschung ebenso Formen der Herrschaft in der Gesellschaft und Gestalten der Selbstverblendung in der Theologie im Kontext des Herrendenkens?
    In Küng und Drewermanns Ägyptophilie ist die Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens aufgebrochen, der Wunsch nach Wiederherstellung des Sklavenhauses.
    Kontrafaktische Urteile gehorchen der Logik des Stammtischs; sie leben von der fatalen Gnade der späten Geburt (dem Privileg des Besserwissens). Sie sind die ohnmächtigen Erben der Magie, die, wenn sie ihrer Ohnmacht bewußt wird (und den Drang zu handeln in sich verspürt), faschistisch wird.
    Wenn Kohl das Urteil der Geschichte reklamiert, dann gründet das in seinem Glauben an die Kraft der kontrafaktischen Urteile.
    Die historische Bibelkritik wird zwangsläufig antisemitisch, wenn sie das Problem der prophetischen Geschichtsschreibung, der Beziehung von Prophetie und Geschichte, oder auch das Problem der Grenzen der objektivierenden Erkenntnis in der Geschichte, verdrängt (vgl. Nietzsche, Rosenzweig, Benjamin).
    Wenn sich Biblische Texte des „Alten“ wie des „Neuen“ Testaments) dem historisch-kritischen Blick in verschiedene Quellen auflösen, so gründet das in dem gleichen Gesetz, nach dem im Stern der Erlösung das All nach seiner Konfrontation mit der Todesfurcht in seine Elemente auflöst. Die Quellentheorie ist das Opfer der gleichen Logik, die Franz Rosenzweig durch Reflexion zu durchdringen und zu begreifen versucht hat. Die Rosenzweigsche Reflexion der Todesfurcht ist die Antwort auf ihre philosophische Instrumentalisierung, deren direkte Produkte die Opfertheologie, das Dogma und die Bekenntnislogik sind: Seit ihrem Ursprung hat sich die Theologie geweigert, den Kelch zu trinken, auf den die Getsemane-Geschichte sie so deutlich verweist. So ist sie zur Theologie hinter dem Rücken des lieben Gottes geworden.
    Am Brotbrechen haben ihn die Jünger in Emmaus erkannt, aber den Kelch wird er erst im zukünftigen Gottesreich mit ihnen trinken.

  • 9.4.1994

    Haben die zwölf Stämme Israels (und die zwölf Apostel) etwas mit dem Tierkreis zu tun (und die sieben Schöpfungstage sowie die sieben Diakone etwas mit dem Planetensystem)? Hängt das Wort an Abraham, seine Nachkommenschaft werde zahlreich wie die Sterne sein, damit zusammen (und die hierarchische Organisation des kirchlichen Christentums mit dem Diakonat)? Sind die Zwölf und die Sieben nicht beide Totalitätssymbole, die den Totalitätsbegriffen Welt und Natur korrespondieren: die Zwölf bezeichnet den räumlich-weltlichen (Tierkreis, die Stämme Israels, die Apostel), die Sieben den zeitlich-naturhaften Aspekt (Planeten, das Schöpfungswerk, die sieben Diakone, die sieben Siegel). Gibt es eigentlich eine Beziehung der sieben kanaanäischen Völker zu den Planeten (oder zu den sieben Siegeln)? Kanaan als Grund oder das Allgemeine dieser Völker bezeichnet auch die Händler: Ist der Merkur der Grundplanet? Die Differenz zwischen Theologie und Herrschaftsmystik liegt in der Idee der Auferstehung. Die Mystik, zu deren historischen Voraussetzungen in der Tat die Philosophie gehört, fällt in die Geschichte der drei Leugnungen: Insbesondere die zweite Leugnung, in der die Magd mit den Umstehenden über Petrus redet, bezeichnet eine Stufe, in der jeder für sich die Welt ist, die dann alle bewußtlos, unreflektiert unter sich begreift. In der dritten Leugnung, in der die Umstehenden von der Magd sich emanzipiert haben und auf Petrus eindringen, wird das Objekt in das Subjekt mit hereingenommen; das Medium der Mystik kontrahiert sich zum Absoluten (zum Inertialsystem): das Modell dieser dritten Leugnung, die Subjektivierung des Objekts und die Vergesellschaftung der Erkenntnis und des Wissens (in der der Begriff der Welt sich in sich selbst konstituiert), ist die transzendentale Logik, die kantische Philosophie ihre erste Reflexionsgestalt. Nur die Kirche kennt kanonisierte Heilige (und das Institut der Heiligsprechung): sie sind die Nachfahren der Helden, und die Legenden Rückbildungen des Epos in den Mythos. Durch die Welt (durch die Absperrung von der benennenden Kraft der Sprache) wird der Mensch zum Tier: Nicht durchs Denken, sondern durch die davon noch unterschiedene Sprache unterscheidet sich der Mensch vom Tier (während er durch die subjektiven Formen der Anschauung wieder in den Bann der Animalität: der Selbsterhaltung hereingezogen wird). Im Indizienbeweis (sowie generell im juristischen wie im wissenschaftlichen Beweisverfahren) wird versucht, eine Lücke zu schließen, deren Offenhaltung das Grundinteresse der Theologie ist (hierauf bezieht sich das Wort, daß „die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden“). Diese Lücke wird im einsteinschen Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit offengehalten, während die Kopenhagener Schule in ihrer Interpretation der Mikrophysik (Unbestimmtheitsrelation, Komplementarität, Korpuskel-Welle-Dualismus) sie zu wieder zu schließen versucht (und die Spur dieses Versuchs, die sich nicht verwischen läßt, der falschen Theorie als Prestige gutschreibt): Die Physik hat sich durch ihre selbstgesetzten Prämissen (durchs Inertialsystem) gegen die sinnlich-übersinnliche Welt verschlossen. Und die Fundamentalontologie ist die Selbstreflexion dieses Status. Ist nicht die Rehabilitierung der unio mystica (Grözinger gegen Scholem, sowie in der Sache auch gegen Rosenzweig, Benjamin, Bloch, Horkheimer und Adorno) der Versuch einer Abschirmung der Mystik gegen ihre gesellschaftliche Selbstreflexion, deren Ansätze in der Kabbala, aber auch bei Jakob Böhme, Baader und Molitor doch eigentlich unübersehbar sind? Ziel dieser Mystik war nicht die unio mystica, sondern die Heiligung des Namens. Sie war determiniert durch das Bewußtsein, daß die unio mystica das Keuschheitsgebot (das in der christlichen Tradition, unter dem Zwang der Logik des Weltbegriffs jedoch auch in den anderen „Weltreligionen“, anstatt im genaueren Sinne theologisch immer nur sexualmoralisch verdinglicht angewandt worden ist) verletzt.

  • 30.3.1994

    Die Kritik des Systems ist notwendig als Kritik der Verstrickung des eigenen Denkens ins System. Insbesondere die Totalitätsbegriffe zeigen systemische Züge.
    Merkwürdige Geschichte: Der Begriff des Glaubens wurzelt im Begriff der Treue. Diese Treue ist zum Glauben erst unter der Herrschaft der Bekenntnislogik geworden. Erst die Nazis haben die Treue wiederentdeckt, aber als säkularisierte und personalisierte Treue (zu der sie übrigens im Systemzusammenhang von Glauben und Bekenntnis geworden ist).
    Enthält nicht der Satz aus Benjamins Passagenwerk, daß es nichts Veralteteres gibt als die jüngstvergangene Mode, einen Hinweis auf das zentrale Problem der Erinnerungsarbeit: auf den Zusammenhang des Ältesten mit der Gegenwart? Ist die Vorstellung, daß die drei räumlichen Dimensionen im Hinblick auf ihre Beziehung zur Zeit äquivalent sind, nicht bloßer Schein? Wird sie nicht insbesondere durch die Schwere widerlegt?
    „Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße“: Was heißt das? Drücken sich darin nicht zwei verschiedene Formen des Besitzens aus (zwei Formen des Besitzens, die nur Gott zugesprochen werden dürfen)? Sind es diese Formen des Besitzens, die im Inertialsystem vergewaltigt und falsch identifiziert werden? Am Inertialsystem wäre zu demonstrieren, daß die Begriffe Wissen und Erkennen nicht deckungsgleich sind (daß es ein gegen das Erkennen sich sperrendes, widersetzendes Wissen gibt: Grund des Positivismus, das Problem der physikalischen Erkenntnis).
    Joh 129, Maria Magdalena und die sieben Siegel, oder: die Kritik des Inertialsystems (Erkenntnis des Tieres: hier braucht es Weisheit und Verstand).
    Ist eigentlich Joh 129 der einzige Bezugspunkt der Apokalypse im Johannes-Evangelium?
    Ist die (von der in den anderen Sprachen abweichende) Geschlechtszuordnung von Sonne und Mond im Deutschen die Besiegelung der Trennung von Ding und Sache, der vollständigen Verkehrung?
    Gibt es eine Geschlechtszuordnung von Städten im Deutschen (die Anwendung des bestimmten Artikels auf die Städtenamen)? Der Gattungsbegriff Stadt ist feminin, aber die einzelnen Städte wie Köln, Berlin, Frankfurt u.ä. sind (wie die erste und zweite Person) geschlechtsunabhängig. Hat die Verschiebung der Deklination in den bestimmten Artikel (in dieses deiktische und substantialisierende Sprachelement) den Namen erst wieder freigesetzt, vom Begriff getrennt? Gilt das, was hier für die Stadtnamen gilt, nicht allgemein für Namen (auch die Namen von Ländern, Firmen, Betrieben, sofern sie nicht im Namen ein institutionelles oder ein dem äquivalentes begriffliches Element enthalten, wie die Post, die Bundesbahn, die AEG: Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft u.ä.). Namen von Bergen, Flüssen sind nicht geschlechtsneutral (Berge sind männlich, Flüsse: die westlichen sind maskulin, die östlichen feminin?). – Warum kann man „die Eintracht“, „die Borussia“, „der VfL“, aber nicht im gleichen Sinne (wenn man den Verein und nicht die Spieler meint) „die Bayern“ sagen (im Hinblick auf die Wortbedeutung „Eintracht“ oder „Verein“ oder auf die feminine Wortbildung „Borussia“)? Ist die Geschlechtsneutralität der Namen eine Folge dessen, daß in den indoeuropäischen Sprachen das Neutrum zu einem Geschlecht geworden ist? Zweite Neutralisierung: Parodie auf die Theologie des Namens? Umgekehrt: Ist das Neutrum ein Abkömmling des Namens (und die Materie der Schwamm, der die benennende Kraft der Sprache aufsaugt)?
    Die Löschung des Namens und die Zerstörung des Angesichts gehören zusammen mit der an der Entflammung gehinderten Entzündung (Zusammenhang mit der Theorie des Feuers). Produkt der Entzündung, die nicht zum Feuer sich befreit, ist das Ich (die Identität, die Person). Ursprung dieser Entzündung ist die Urteilsform, der Schwelbrand ist der der Empörung. Ist nicht die Idee des Absoluten die Narbe an genau der Stelle, an der die benennende Kraft ausgebrannt (die Sprache gelöscht) wurde, die gleiche benennende Kraft, die im Namen Gottes gründet (und sich erfüllt). Hierauf bezieht sich das Wort vom Bekenntnis des Namens. – An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß der Tempel in Jerusalem nicht das Haus Gottes, sondern das seines Namens war.
    Vater unser, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name: Wurde nicht mit der Zerstörung der Himmel die Kraft des Namens, die benennende Kraft der Sprache gelöscht (und nur in dem Buch, zu dem die Himmel sich aufrollen, erinnert und aufbewahrt)? Wie ist die Heiligung des Gottesnamens noch möglich ohne die Restituierung des Anfangs der Schöpfung, ohne die Erinnerung der Himmel? – Ist der Singular Himmel nicht der Reflex und das Pendant der Idee des Absoluten in der Theologie (wurde der Plural nicht durch die Idee des Absoluten getilgt, und damit zugleich der Name gelöscht): Grund der Geschlechtsumwandlung von Sonne und Mond im Deutschen?
    War nicht die newtonsche Sonne noch Ausdruck der regierenden (männlichen) Gewalt, und ist die Sonne nicht zum passiven (feminisierten) Objekt erst im Absolutismus: mit dem Übergang von Politik in Verwaltung (zusammen mit der Privatisierung und Vergesellschaftung von Herrschaft, der Verbürgerlichung des Königtums), geworden. Die Sonne wurde feminin und der Mond maskulin, als Herrschaft endgültig gegen die Religion sich verselbständigte, im Prinzip der Trennung der irdischen von der himmlischen Sphäre, im Mond, sich festmachte.
    Hat nicht das Christentum den Sonntag zum Ruhetag gemacht, und d.h. nach dem griechischen Modell in der Idee des Absoluten (der noesis noeseos) die Identität von Herrschaft und Muße hergestellt, die dann in der subjektiven Form der äußeren Anschauung, im Raum (im Systemzentrum des Inertialsystems), sich vergegenständlichte. Erinnerung an China: Herrschaft durch Nichtstun. Dagegen steht die kräftige Erinnerung Hermann Cohens, daß die Attribute Gottes Attribute des Handelns und nicht des Seins sind, und Erinnerung von Immanuel Levinas daran, daß die Ethik und nicht die Ontologie die prima philosophia ist.
    Der Himmel ist maskulin, und die Erde feminin. Das aber heißt, daß in der deutschen Sprache der Mond dem Himmel und die Sonne der Erde zugeordnet sind.
    Hängt nicht die Geschlechtszuordnung von Sonne und Mond im Deutschen mit der Bildung und Funktion der bestimmten Artikel zusammen?
    Wie verhält es sich
    a. mit den Planeten: hier scheint nur die Venus feminin zu sein, und
    b. mit dem Gattungsbegriff Stern, der im Deutschen maskulin ist, und wie in den anderen Sprachen, insbesondere im Griechischen (astron n.) und Lateinischen (stella f.; sidus, -eris n.)?
    Wie verhält sich das Ganze zum Sündenfall, nach welchem Adam dazu verurteilt wurde, den Staub zu produzieren, den die Schlange frißt (genauester Ausdruck der neutralisierenden Gewalt des Patriarchats, die am Ende auch das Neutrum selber ergreift: im Greuel am heiligen Ort)?
    Der zum Nominativ (zur Bezeichnung des Substantivs) entmächtigte Name wird über den Neutralisierungsprozeß hinaus nochmals neutralisiert, und wird so zum Absoluten, zum schwarzen Loch, in dem der Name gelöscht wird.
    Ist nicht der Greuel am heiligen Ort die letzte Steigerung der Unfähigkeit, Rechts und Links zu unterscheiden, auf die am Ende des Jonasbuches hingewiesen wird. Produzenten des Greuels am heiligen Ort sind: das Inertialsystem, das Tauschprinzip (die Geldwirtschaft) und die Bekenntnislogik (Instrumentalisierung des Kreuzestodes: Inbegriff der Exkulpations- und Gemeinheitsautomatik).
    Das Zeichen des Tieres an der Stirn und an der Hand: Ist das nicht der Hegelsche Begriff? In der Apokalypse nochmal genauer die Attribute des Drachen und der Tiere ansehen (Hörner, Köpfe, Kronen).

  • 24.3.1994

    Drücken die heutigen Kommunikations- und Diskurstheorien, die nicht einmal mit den Informationstheorien auf einen gmeinsamen Nenner sich bringen lassen, nicht doch nur noch einen Mangel aus: daß es im Kontext von Kommunikation, Diskurs und Information den Zusammenhang von Sprache und Erkenntnis nicht mehr gibt. Grund ist die Unfähigkeit zur Reflexion, das starre Festhalten am Objektbezug der Sprache, die in diesem Bezug sich aufgelöst hat. Habermas‘ eigene Abgrenzung von Horkheimer, Adorno und Benjamin, sein Verzicht auf den Wunsch, auch die Natur an der Idee einer richtigen Gesellschaft teilhaben zu lassen, drückt das aufs genaueste aus.
    Der Weltbegriff entfaltet heute eine nach innen, gegen die Sprache und gegen jeden nicht positivistisch eingeschränkten Erkenntnisbegriff gerichtete Sprengkraft (ähnlich wie in der Gesellschaft gegen die Armen und die Fremden).
    Selbstreferenz des Weltbegriffs: Er ist zum Inbegriff des Gerichts über die Richtenden geworden. Das ist die Wahrheit der noesis noeseos, der Idee des Absoluten.
    Newtons Begriff des absoluten Raumes (Grund der Selbstreferenz des Weltbegriffs), der die Idee des Absoluten an die Vorstellung des Raumes als subjektive Form der äußeren Anschauung bindet, ist bis heute unaufgelöst.
    Die Orthodoxie ist das Kreuz, das die Kirche auf sich genommen hat; die Unfähigkeit, das durch Reflexion ins eigene Selbstverständnis mit aufzunehmen, ist der Kelch, den sie getrunken hat: Grund der Verstockung im Herrendenken, der Versteinerung des Herzens, die heute erstmals auf die Gläubigen übergreift.
    Wenn bei Hegel die Idee die Natur frei aus sich entläßt, so ist das ein Akt des Exhibitionismus, der zwangshaft sich entladenden Urteilslust. Grund ist die Weigerung oder das Unvermögen, die Sünde der Welt auf sich zu nehmen. .
    Ulrich Sonnemanns Satz, die Zukunft sei von außen wiederkehrende Erinnerung wird wahr, wenn er um ein Geringes berichtigt wird: Wenn Erinnerungsarbeit nur tief genug in die Vergangenheit eindringt, trifft sie zwar nicht auf die Zukunft, wohl aber auf ihr genauestes Spiegelbild (den Gegenstand der Prophetie). Dieser Satz findet seine Begründung in Joh 129. Die Sünde der Welt ist die Decke, die über der Zukunft liegt; und nur wer sie auf sich nimmt, vermag den Schleier zu lüften (darin gründet der Begriff der prophetischen Erkenntnis), während das Theologumenon von der „Entsühnung der Welt“ (die Opfertheoplogie und die Vorstellung vom Opfertod Jesu) mit der abgeschlossenen Vergangenheit (in die keine menschliche Macht zurückreicht, die wie die Natur nicht sich ändern läßt) auch die Zukunft verschließt. So hängen Erinnerung, Sündenvergebung und die Idee der Auferstehung der Toten zusammen. Und hierauf bezieht sich der Satz, daß die Pforten der Hölle sie (die Kirche) nicht überwältigen werden.

  • 3.3.1995

    Ist nicht Gunnar Heinsohn Opfer seines eigenen historischen Objektivitätsbegriffs geworden? Seine These, daß Hitler die Judenvernichtung angeordnet habe, um mit den Juden die Erinnerung an das Tötungsverbot zu tilgen, ist von der Motivation her wahr; nur gilt diese Motivation für den Antisemitismus insgesamt, und Hitler unterscheidet sich von den Antisemiten sonst durch durch das Maß an Konsequenz, durch den pseudomessianischen Akt: Er legitimiert sich als Führer dadurch, daß er in vollem Bewußtsein der Konsequenzen die Verantwortung für diesen Antisemitismus übernimmt; er nimmt „die Sünde der Welt“ auf sich (er nimmt den Tätern die Schuld ab, in die er sie doch zugleich verstrickt). Es geht in der Tat nicht um die Juden; eine Erinnerung tilgt man nicht, indem man die Träger dieser Erinnerung vernichtet. Zur beabsichtigten Wirkung der „Endlösung“ gehört sowohl die Binnenwirkung der Komplizenschaft (der „Treue“: wer in diese Taten verstrickt ist, kommt davon nicht mehr los) als auch die Außenwirkung des Terrors („wat denn, icke mir uffhängen lassen, lieber gloob ick an’n Sieg“) mit dazu: die irrationale Kommunikation der Gewalt als Verdrängungshilfe, ohne die das Tötungsverbot nicht aufzuheben ist. Ohne den gesamtgesellschaftlichen Resonanzboden, der selber zu dechiffrieren wäre, allein durch den Rekurs auf die Absicht und den Willen Hitlers wäre diese Tat nicht möglich gewesen. Dieser „Resonanzboden“-Effekt hat am Ende des Krieges, als das Konstrukt in der Niederlage implodierte, den ungeheuren Rechtfertigungsdruck erzeugt, der die Nachkriegsgeschichte in Deutschland beherrscht (und alle Voraussetzungen des Wiederholungszwangs in sich birgt). Selbst der Erklärungsbedarf steht unter diesem Rechtfertigungszwang und müßte ihn in die Reflexion mit aufnehmen, wenn er wirklich zur Befreiung beitragen soll. Ich habe das Gefühl, daß die heinsohnsche Form der Verarbeitung des apokalyptischen Aspekts dieser Geschichte (Entschärfung der Apokalypse durch Neutralisierung, durch Reduktion auf die Erinnerung an eine längst vergangene Naturkatastrophe, als hätten wir nicht das Objekt für das Studium der Apokalypse in der jüngstvergangenen gesellschaftlichen Naturkatastrophe vor Augen).
    Gunnar Heinsohn scheint alle bisherigen „Auschwitz-Theorien“ nur als Konkurrenz zum eigenen Konzept wahrzunehmen; und es gehört schon einiges dazu, allen bisherigen Reflexionen über Auschwitz (so u.a. den Studies in Prejudice, der Dialektik der Aufklärung, oder etwa dem Werk Hannah Arendts) bloß „Ratlosigkeit“ zu attestieren, um dann sein eigenes Werk als die gleichsam endgültige Lösung des Problems zu empfehlen. Wäre nicht eher von einer gemeinsamen Anstrengung zur Aufklärung des wahrhaft Unbegreiflichen ausgehen. Denn unbegreiflich bleibt diese Tat (wie auch die Welt, in der sie möglich war) für jeden, für den die Moral das sich von selbst Verstehende ist. Das Problem ist eher: Wie müßte die Welt aussehen, wenn man sie unter der Voraussetzung dieses Prinzips zu verstehen versucht; eine Welt, die dem Bann der Ontologie entronnen ist, und deren prima philosophia die Ethik wäre?
    Durch seinen Beitrag zur Chronologie-Revision („Die Sumerer gab es nicht“), zur Ursprungsgeschichte des Geldes („Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft“), und jetzt zur Erforschung des Antisemitismus („Was ist Antisemitismus“ und „Warum Auschwitz“) hat Gunnar Heinsohn Wesentliches zur Selbstaufklärung der Gegenwart beigetragen. Kann es sein, daß es nur noch einer kleinen Korrektur seines Konzepts bedarf?
    Zu Heinsohns Bemerkungen über den Totenkopf wäre an Benjamin zu erinnern, der im Totenkopf die Urallegorie erkannt hat. (Gibt es nicht Gesichter, in denen dieses leere Grinsen des Totenkopfs geronnen, als Charaktermaske eingezeichnet ist? Sind es nicht die „schneidigen“ Profile, die unter Offizieren verbreitet waren, und dann in der SS zum Züchtungsziel der nordischen Rasse geworden sind?)
    Tucholskys Satz „Alle Soldaten sind Mörder“ ist zweifellos eine Übertreibung; aber gibt es nicht im Bereich des Soldatischen ein Magnetfeld, das seine Anziehungskräfte vor allem auf einen disziplinierten Mordtrieb ausübt, auf die, die zur Ausübung dieses Triebs die institutionelle Deckung (den „Befehl“) brauchen? Und ist es nicht gerade dieser disziplinierte Mordtrieb, der so empfindlich auf den Vorwurf in dem Satz Tucholskys reagiert?
    Die Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung, die nicht zufällig mit der Astronomie beginnt (sowohl in der Antike, als auch in der modernen Welt), ist ein Teil des Gattungsprozesses der Menschheit.
    Das Angesicht steht für die Fähigkeit, sich mit anderen zu identifizieren, für die Empathie und Barmherzigkeit, dafür daß niemand weiß, ob er selbst anders wäre als einer, den er zu verurteilen geneigt ist, wenn er ernsthaft in seine Situation sich hineinversetzt. So hängt das Angesicht mit Urteil zusammen: Es ist nicht nur die Tötungshemmung, die Emanuel Levinas in ihm erkennt, sondern vielmehr und vor allem eine Urteilshemmung, die zugleich deutlich macht, daß es eine Erkenntnis gibt, die den Rahmen des Urteils sprengt. Auf diesen Sachverhalt bezieht sich das Prophetenwort vom Rind und vom Esel: Diese Urteilshemmung macht die Unterscheidung von Last und Joch erfahrbar.
    Die homousia ist das neutralisierte homologein, Produkt der Hellenisierung der Theologie, Anfang der Theologie hinter dem Rücken Gottes. Dieser Neutralisierung verdankt sich der Begriff des Bekenntnisses.
    Gründet das Neutrum im Menschenopfer?
    Waren nicht die Astrologie und die Alchimie gleichsam Häresien zu einer naturwissenschaftlichen Orthodoxie, die aus ihnen (durch symbolischen Elternmord) sich entwickelt hat? Wie alle Häresien sind sie nur verurteilt, verdrängt und verfolgt, nicht aber aufgearbeitet worden. Während die Astrologie gleichsam die politische Außenseite der Naturwissenschaft repräsentiert, repräsentiert die Alchimie ihre mystische Innenseite. Beide bezeichnen Knotenpunkte der Begriffsgeschichte von Schicksal und Scham.
    Der Begriff der Kollektivscham hat den Rechtfertigungszwang, der im Kern der modernen Aufklärung enthalten ist, nur verstärkt, anstatt ihn zu reflektieren.
    Der Objektbegriff ist der Pflug, vor den Rind und Esel gespannt sind.
    Hodie, si vocem eius audieritis: Dieses Heute tritt ein, wenn der Bann der Natur gelöst ist (mit der Einung des Gottesnamens): Wenn aus den Blinden und Lahmen die, die tun und hören, geworden sind.
    Definition der Kommunikationstheorie: Theorie der Signale, mit denen Isolationshäftlinge sich untereinander verständigen (oder auch, nur getrennt davon, ihre Wächter).
    Dauer, Folge und Zugleichsein: Gründet nicht die Dauer in der Beziehung von Vorn und Hinten, die Folge in der von Rechts und Links und das Zugleichsein in dem von Oben und Unten (im Verhältnis der Fläche zu der zu ihr gehörenden Normalen)? Ist nicht die Orthogonalität zweier Geraden in einer Fläche zu unterscheiden von der Orthogonalität der Normalen zur Fläche? Kann es sein, daß diese beiden Formen der Orthogonalität sich zueinander verhalten wie die Orthodoxie des Symbolums zu dem der Konfession?

  • 01.03.94

    Walter Benjamins Definition „Schicksal ist der Schuldzusammenhang des Lebendigen“ wirft auch ein Licht auf Joh 129. Der Weltbegriff ist aus dem des Schicksals hervorgegangen, er ist das Produkt der Vergegenständlichung dieses Schuldzusammenhangs: deshalb haben Tiere eine Welt. Es käme jedoch darauf an, den Bann des Schicksals, den Schuldzusammenhang, durch Reflexion zu brechen; nur durch „Übernahme der Schuld der Welt“, die dazu die Voraussetzung ist, ist die Welt zu humanisieren.
    Charakter ist das Ensemble der Eigenschaften des verdinglichten Subjekts (weil Verdinglichung auf die Logik des Lachens zurückweist, ist der Charakter der erste Gegenstand der Komödie).
    Das Lachen gehört zu den Konstuentien der Mathematik, des Ding- und des Weltbegriffs (nicht zu denen des Begriffs der Sache). Ist das Lachen (zusammen mit der Mathematik, dem Ding- und dem Weltbegriff: die Vorstellung einer namenlosen Sprache) Gegenstand der Theorie des Feuers? Der Name des Dings ist ein Deckname fürs unkenntlich gemachte Tier.
    Positiv denken heißt sich mit der Rücksichtslosigkeit der gnadenlosen Welt (mit der Rücksichtslosigkeit der Dinge) gemein machen.
    Der Weltbegriff bannt die Menschen in die Rolle des Zuschauers und des ohnmächtigen Objekts zugleich (das Fernsehen ist der institutionalisierte Hohn über die Zuschauer, die nicht mehr zu durchdringende Wand zwischen mir und den anderen: das kollektive Gefängnis, in dem alle Insassen und Aufseher zugleich sind); er ist die perfekte Absicherung und das perfekte Alibi fürs Nichthandeln. Durch die Logik der Welt wird das verdinglichte (das bloß zuschauende, von der sprachlich fundierten Gemeinschaft des Handelns abstrahierende) Bewußtsein selber zum Ding.

  • 18.01.94

    Zu Orion und den Plejaden, „deren Verschwinden die Trockenheit anzeigt“, sh. Loretz, Ugarit, S. 164 (Anm. 535). – Kommen Orion und die Plejaden auch in „Saturn und Melancholie“ vor?
    Die Astrologie war eine an den Himmel projizierte Gesellschaftstheorie. Und das Verbot der Astrologie hängt sicherlich auch damit zusammen, daß mit fortschreitender Säkularisation die gesellschaftliche Reflexion mit einem Tabu belegt wurde.
    Der Name des Menschensohns ist antitotemistisch. Freud: „Totem und Tabu“ prüfen: Enthält es den Schlüssel zum Rätsel des apokalyptischen Tieres?
    Erst, wenn das „interesselose Wohlgefallen“, das kantische Prinzip der Kunst, aus der passiven in die aktive Form: in die Liebe übersetzt wird, wird die Grenze zur Theologie überschritten.
    Die Kabbalah unterscheidet sich von der christlichen Mystik dadurch, daß sie keine Vereinigungsmystik ist, daß sie die keusche Distanz zu Gott (die Distanz der Keuschheit) wahrt.
    Im Zuge seiner Hellenisierung hat das Christentum die Sprachwurzeln der Metaphorik durchschnitten; besiegelt wurde dieser Akt durch die Rezeption des Weltbegriffs: Liegt hier der Grund der Vereinigungsmystik, der Unkeuschheit der christlichen Theologie?
    Der Weltbegriff hat die Trunkenheit und die Unzucht im Kern, er ist in sich selber orgiastisch. Der Taumelbecher und die Hurerei bezeichnen eher ein logisches als ein moralisches Problem: einen herrschaftslogischen Sachverhalt (die „Sünde der Welt“).
    Die Probleme der Physik, der Naturwissenschaften, des Inertialsystems, sind allein mit Hilfe der drei evangelischen Räte zu lösen.
    Ist nicht die Josefs-Geschichte eine Erläuterung zu Hegels Satz, wonach die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern? Und gehört nicht die Josefs-Geschichte zur Urgeschichte der Marxschen Kapitalismus-Kritik?
    Nach Walter Benjamin ist die jeweils jüngst vergangene Mode das Veraltetste. Ist das nicht ein Kehrbild des anderen Sachverhalts, daß im historischen Prozeß das Allerälteste, der Anfang, sich nicht immer weiter von uns entfernt, sondern immer näher an die Gegenwart heranrückt?
    In der Konstitution und Begründung der subjektiven Formen der Anschauung steckt nicht nur ein psychologisches, sondern ein kosmologisches und politisches Problem zugleich.
    Hat das Bild von den vier apokalyptischen Reitern etwas mit dem anderen Bild von dem wie eine Buchrolle sich aufrollenden Himmel zu tun?
    Das Hosanna in excelsis im Sanctus ist falsch: Hier wird ein Hilfeschrei als Jubelruf mißverstanden.
    Oswald Loretz (S. 169) sieht in Ps 19A einen Widerspruch darin, daß, nachdem die Himmel und das Firmament laut die Herrlichkeit ihres Schöpfers verkünden, dann in V 4 – so Loretz – „folgende gegenteilige Behauptung aufgestellt“ wird:
    Keine Worte, keine Sprache,
    nicht vernimmt man ihren Laut!
    Er unterschlägt dabei, daß unmittelbar davor der Vers steht:
    Tag dem Tag sprudelt Worte,
    Nacht der Nacht kündet Wissen.
    Könnte es nicht sein, daß die Sprache dem Tag und (ebenso wie das Denken und das Wissen und gemeinsam mit ihnen) die Stummheit, die Lautlosigkeit, der Nacht zuzuordnen sind, daß das Wissen dem Schlaf entspricht, am Traum partizipiert? Ist das Wissen die „Kunde der Nacht“, die die Tage (siebenfach) voneinander scheidet (die Finsternis über dem Abgrund und das Warten auf die Morgenröte und den Hahnenschrei)?

  • 13.12.93

    Natur als „Inbegriff gegebener Gegenstände“. (Kritik der reinen Vernunft, S. 635) Diese Erläuterung ist der Definition, die Kant an anderer Stelle gibt, äquivalent, wo er Natur als das „dynamische Ganze der Erscheinungen“ bezeichnet. In der durch die Urteilsform verhexten Welt bezeichnet die Natur alle Gegenstände von Urteilen, die Welt alle Urteile über Gegenstände. Der Weltbegriff entzieht den Naturbegriff, und mit ihm den Gegenstandsbegriff, der kritischen Reflexion.
    Ethik als prima philosophia: Wenn Kant die Metaphysik der Natur von der Metaphysik der Sitten dadurch abgrenzt, daß er die eine als das Reich des Seins vom andern als dem Reich des Sollens trennt, dann vergißt er, daß das Sein in diesem Kontext als Nichtsein des Gesollten sich bestimmen läßt: Beide stehen nicht beziehungslos nebeneinander, beide sind (durch eine Grenze, die Rosenzweig erstmals als Grenze des Todes begriffen hat) auf einander bezogen, und die Reflexion dieser Beziehung wäre die zentrale Aufgabe der Philsophie (der „Stern der Erlösung“ ist ein philosophisches Buch). Wer das Sollen nur als Sollen bestimmt, neutralisiert und liquidiert es (wie Hegel es in der ungeheuren Konsequenz seiner Logik getan hat).
    Das Sein wird zum undurchdringlichen Sein erst durch seine Beziehung zur benennenden Kraft der Sprache: Indem es sie auf verdinglichte Objekte bezieht, neutralisiert es die Sprache zum Begriff, die dann verfügbar, instrumentalisierbar wird. Nur durch die Kritik des Begriffs, durch die Kritik des Weltbegriffs hindurch, ist es in das Licht der Erlösung zu rücken.
    Daß das Nichts etwas Reales, Bestimmtes ist, läßt sich (wie bei Rosenzweig) anhand der Todesfurcht bestimmen, aber auch
    – durch eine genauere Analyse der Vorstellung des Zeitkontinuums (seiner Bedeutung für die Konstruktion des Inertialsystems und die Begründung des naturwissenschaftliche Erkenntnisprozesses) und
    – anhand einer Untersuchung der Geschichte der Banken im Hinblick auf die Geschichte der Armut, der Ausbeutung und Unterdrückung in der Welt (Geldwäsche wäre eine Definition der Bankentätigkeit insgesamt; diese Leistungen der Banken sind vergleichbar denen der Schlachthäuser, der Kliniken, der industriellen Produktionsstätten und der Irrenanstalten: sie rücken die Grundlagen und Folgen unserer privatisierten Existenz aus dem Blickfeld).
    Pecunia non olet? Müßten Vegetarier nicht auch das Geld verweigern? Und hat der Hostienkult im Mittelalter nicht ebenso wie mit der Etablierung des Objektbegriffs etwas mit der neuen Entwicklung der Geldwirtschaft (und mit den gleichzeitigen Änderungen im Fleischverzehr, sowohl hinsichtlich der Mengen des Fleischverzehrs als auch der dazugehörigen Essenssitten: der Erfindung von Messer und Gabel) zu tun?
    Zur Rehabilitierung des Wunders: Humanität beginnt dort, wo man nicht mehr sich darauf beschränkt, nur das Mögliche zu denken, sondern den Schritt vollzieht, auch das Unmögliche zu denken.
    Die Antwort Jesu an Johannes („Die Blinden werden sehend, …“: Beschreibt sie nicht aufs genaueste den Umkreis der Erfüllung des Wortes, die Franz Rosenzweig als den Ort des Wunders bezeichnet und in den Kontext der Umkehr gerückt hat?
    Durch das Gravitationsgesetz hat Newton den Kosmos in eine imaginäre Maschine verwandelt, die nicht zufällig das Bild vom Uhrwerk nach sich gezogen hat. Gehört die Erfindung mechanischer Uhren (die dann an Kirchtürme und in die Dome verbracht wurden) zur Vorgeschichte des Inertialsystems?
    Eines der zentralen Momente der prophetischen Utopie ist das Bild vom Tierfrieden. Aber das ist nicht mehr zu verstehen ohne die Weltkritik der Apokalyptik.
    Hängt halacha mit lechem und haggada mit gadol zusammen? Und sind sie somit nicht auch Verkörperungen der Beziehung von Gericht und Barmherzigkeit? Und ist nicht mit der Übernahme der Sünde der Welt die Gerechtigkeit in der Barmherzigkeit: das Gesetz in der Gnade aufgehoben? Weshalb Jesus zur Rechten des Vaters sitzt, von dannen er kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten.
    Die jüdische Vergangenheit und das Gesetz ist im Christentum nicht überwunden, sondern aufgehoben, aber als Utopie aufgehoben, nicht als Realität (gegen die Kirche): Aufgehoben in der Idee des Parakleten. Johannes hat nur die Umkehr gepredigt, Jesus die Frucht der Umkehr: den Parakleten, den Geist.
    Wer Jenseits des Todes mit Nach dem Tod verwechselt, schneidet die Erlösung an der Wurzel ab, befördert die Finsternis über dem Abgrund. Das Verhältnis Jesu zum Täufer ist geweissagt in dem Satz vom Geist Gottes über den Wassern.
    Die Lösung der sieben Siegel ist die Lösung des Rätsels des Sechstage-Werks.
    Dem Menschensohn ist Herr des Sabbats: D.h. er ist der Herr des Sechstage-Werks und des Exodus.
    Wodurch unterscheidet sich das Himmelreich vom Gottesreich, und weshalb unterscheiden deutsche Übersetzungen in der Regel auch sprachlich zwischen Himmelreich und Reich Gottes (während im Griechischen beide Namen gleich, durch die reine Genitivkonstruktion, nicht durch ein zusammengesetztes Wort, gebildet werden: basileia tou ouranou und basileia tou theou). Geschichtsphilosophie der Wortbildungen:
    – im Hebräischen scheinen Wortzusammenfassungen in erster Linie Namensbedeutung zu haben (Jehoschua, haschamajim),
    – im Griechischen und Lateinischen bezeichnen sie Tätigkeiten (pantokrator, pontifex),
    – im Deutschen (ohne Parallele in anderen Sprachen?) Eigentums-und Herrschaftsbeziehungen (Hausbesitzer); entspringen diese Konstrukte nicht in Genitivbildungen, und partizipieren sie nicht an der Zweideutigkeit des Genitivs (g. subjectivus und objectivus)? – Vgl. die Bemerkung Walter Benjamins hierzu im „Ursprung des deutschen Trauerspiels“.
    Haben die Wortzusammensetzungen im Indogermanischen etwas mit der selbstreferentiellen Struktur dieser Sprachen, mit der noesis noeseos, mit ihrer Beziehung zum Herrendeknen und mit der Bildung des Neutrum (und dem Ursprung des Begriffs) zu tun? Steckt nicht in der Beziehung der indogermanischen Substantivbildung zur hebräischen Namensbildung ein Hinweis auf die geschichtsphilosophische und metaphysische Relevanz des Problems?
    Steckt in Mirjam das jam (Meer)? Und hat jam (Meer) etwas mit majim (Wasser) zu tun: Gibt es im Hebräischen Umkehrbildungen: jam und majim, bara und arab, negev und begin?
    Ist die Wüste die Umkehr der Schöpfung, und die ägyptische Magd die Umkehrung des hebräischen Sklaven?
    Sind Vor- und Zuname (auch die Bildung „Jesus Christus“) Abkömmlinge und Denkmale der Trennung von Natur und Welt, Objekt und Begriff: Produkte der Urteilsform?
    Zwischen den Feigenblättern (zu deren Bedeutung Johannes Scotus Eriugena wichtiges gesagt hat) und den Röcken aus Fell, mit denen Gott Adam und Eva bekleidete, liegen die Verfluchungen der Schlange, Evas und Adams. Aber erst nach dieser Bekleidung mit Fellen erfolgt die Vertreibung aus dem Paradies. (Gen 37.21f) Haben diese „Felle“ etwas mit dem Ursprung des Weltbegriffs zu tun (sind die Felle der Tiere nicht Verkörperungen der Scham, Ausdruck ihrer Beziehung zu ihrer Welt, der Mimesis an die „Außenwelt“: des Bannes, unter dem alle Tiere stehen)? Drückt in diesen Fellen (ebenso wie nach Johannes Eriugena in den Feigenblättern) etwas Sprachliches sich aus; bezieht sich das Fell nicht auch wie der Fluch auf die Beziehungen der Geschlechts-Differenzierung der Substantive, insbesondere auf den Ursprung und die Bedeutung des Neutrum (der Schlange)?

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