Die Welt ist (auch in ihrer prophylaktischen Gestalt in der Antike) das Produkt der Neutralisierung des Raumes, der Utopisierung der Umkehr.
Was Günther Anders unter dem Titel „prometheische Scham“ beschreibt, läßt sich an den „Geräten“, an der Ding- und Warenwelt, nur leichter demonstrieren, sein Ursprung liegt in der Bekenntnistheologie: in der Christologie und Opfertheologie. Hier gewinnt das Phänomen Ludendorff erst sein volles Gewicht (vgl. Lyotards Analyse des vollkommenen Verbrechens: Exkulpierung durch Schuldverschiebung und Abschaffung des Zeugen).
Anders S. 42: Ist diese „Klimax der Dehumanisierung“ nicht die Folge der Bekenntnislogik: der Neutralisierung der Umkehr in einer Welt, die die Möglichkeit der Umkehr ausschließt (Moral im Gravitationsfeld des Inertialsystems)?
Die Warenwelt ist eine Parodie der Auferstehung (Konsequenz und Voraussetzung des christologischen Naturbegriffs, der die Auferstehung leugnet und ohne Umkehr exkulpiert).
Daß man Elektronengehirne „füttern“ muß (Anm. zu S. 61), ist auch insoweit das Tüpfelchen aufs i, als es genau zu der Geschichte von Adam, der Schlange und dem Staub paßt.
S. 65: Scham und die drei Dimensionen des Raumes.
S. 66: Die heute so oft beschworene „Identität“ ist ein unreflektierter Scham-Effekt: Sie bleibt im Bannkreis des Schuldzusammenhangs.
In der 2. Anm. zu S. 69 beschreibt Anders die Fundamentalontologie Heideggers als Aktion (als Ergebnis) einer systematischen Schambekämpfung, den Versuch des sich schämenden Ich, die Schande seines Es-Seins zu überwinden und Es-selbst zu werden (Grund der „Eigentlichkeit“?).
„Und sie warfen das Los über seine Kleider“: Die Geschichte der aufgedeckten Blöße reicht von der Erkenntnis der Nacktheit nach dem Sündenfall („da gingen ihnen die Augen auf“), vom Feigenblatt und Tierfell, das Gott den Menschen gab (im Mittelalter als Typos der Kirche begriffen), über die Geschichte von Noe, Ham, Sem und Japhet (Entdeckung des Weins, Trunkenheit und Blöße, Aufdecken der Blöße und Ursprung der Knechtschaft) zur Verlosung der Kleider bei der Kreuzigung Jesu: Zum Kreuzestod gehörte das Aufdecken der Blöße, die öffentliche Schande des Gekreuzigten. Diese Blöße wurde nicht mehr zugedeckt: Vergesellschaftung der Knechtschaft.
Der Entdeckung der Nacktheit und das Aufdecken der Blöße ist ein Teil der Geschichte der Veranderung (und der Herrschaft): der Geschichte der Ontologie. (Ist es ein Zufall, daß der Entdecker der Scham sich Anders nennt? – Aber sein Begriff der prometheischen Scham wäre zuzuspitzen zu einem der christologischen Scham. NB: Beachte das dreifache „zu“; was hat die Präposition mit dem Präfix zu tun?)
Im Paradies waren die Menschen nackt, und sie schämten sich nicht. Aber nach dem Sündenfall, da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. Ist dieses Augen-Aufgehen und die Implantierung der Scham nicht der Naturgrund der Verblendung, auf den das Blinden-Heilen Jesu sich bezieht? Auch den Jüngern in Emmaus gingen dann die Augen auf: aber das war Teil einer prophetischen Erkenntnis (die nicht die Blöße aufdeckt, sondern der Scham-Reflexion fähig ist).
S: 71 nennt Günther Anders die Scham „ein metaphysicum, die Verkörperung der im Universalienstreit behandelten Dialektik von res und universale.“ Er erinnert hier zugleich an das Gemeine, das im Allgemeinen (universale) steckt (ohne jedoch diesen Aspekt im Ursprung und in der Praxis des über die Universitäten betriebenen Objektivierungsprozesses hier zu bestimmen). Hier stößt er an den Grund des Weltbegriffs.
Es scheint in der Tat insbesondere im Katholizismus heute eine Scham-Akkumulation zu geben, die eine Folge des Verschwindens des theologischen Gedankens (infolge der Gewalt des Weltbegriffs) ist. Die Theologie ist nicht mehr nur „klein und häßlich“, sondern schlicht verschwunden; und die Gefahr scheint zu bestehen, daß wir nur noch erinnerungslos Abschied nehmen, weil wir nichts mehr begreifen.
Verweist das eben zitierte Benjamin-Wort (wonach die Theologie heute „klein und häßlich“ ist, und sich nicht darf blicken lassen) nicht auch auf die theologische und kunstphilosophische Differenz zwischen Benjamin und Adorno, die sich u.a. in den Begriffen Kunstphilosophie und Ästhetik ausdrückt?
War nicht das Grundmotiv des Turmbaus zu Babel, wie aller Turmbauten seitdem, das Man-selbst-sein-Wollen, das in der Fundamentalontologie so entsetzlich verendet (über die Schamlosigkeit: den Exhibitionismus der Türme).
Die Skyline von Frankfurt aus der Eigenlogik des Bankwesens herleiten.
Zur Kritik der Existenzphilosophie: Die Existenz ist in sich selber vollständig gesellschaftlich vermittelt; und die Existenzphilosophie verzweifelt nur daran, dieses Rätsel zu entschlüsseln. Das Existenzdenken steht in der Tradition des cartesischen „cogito, ergo sum“, nur leicht variiert: Ich bin, also bin ich.
Nachdem Dalila ihn verraten hatte, wurde Simson von den Philistern gefesselt, ihm wurden die Augen ausgestochen, und dann wurde er ins Gefängnis geworfen, wo er die Mühle drehte.
Auch das Schlimmste muß reflexionsfähig bleiben. Die Vorstellung, daß das Qualitative, wenn es reflektiert wird, zerstört wird, ist falsch.
Ist nicht auch die Josefs-Geschichte (der Bund mit Pharao, dessen Nachfolger dann aber Josef nicht mehr kannten) ein Stück Kirchengeschichte? Aber wer sind dann Ephraim und Manasse?
Benjamin
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20.04.93
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15.04.93
Der interessanteste und der entscheidende Teil der kantischen Kategorientafel ist der dritte. Der erste und zweite Teil definieren die Brille, durch die hindurch der dritte gesehen wird, während der vierte dieser Brille die objektive Realität verschafft. Das Entscheidende ist das Moment der Gefangenschaft im System (der Isolationshaft), das dadurch zustande kommt, daß, wohin man sich auch wendet, man keinen Ausweg findet; der Ausweg ist versperrt durch das Prinzip der Reversibilität der Richtungen im Raum. Diesem Prinzip der Reversibilität verdankt sich die Struktur der homogenen Zeit: Die Reversibilität ist der Ausdruck der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Die Geschichte vom Hasen und Igel drückt das aufs genaueste aus.
Was ist das Neue beim Noe:
– die Sintflut mit der Verheißung, daß sie nicht noch einmal kommen wird und mit dem Bogen als Bestätigung;
– das neue Essensgebot: mit der Erlaubnis des Fleischessens (das das Töten von Tieren mit einschließt);
– der Weinanbau: Noe ist der Erfinder des Weinanbaus und der erste Trunkene;
– Sem, Ham und Jafet, das Aufdecken der Blöße und der Ursprung der Knechtschaft.
Haben Sem und Jafet etwas mit der Unterscheidung der semitischen und indogermanischen Sprache zu tun? Ham (zu dessen Söhnen Kanaan gehört) ist der Vater des Knechts beider. Was bedeuten die Namen Sem, Ham und Jafet?
Luther hat „dem Volk aufs Maul geschaut“: Hat seine Bibel-Übersetzung die Schrift dem Volk nur mundgerecht gemacht? Liegt nicht die Erinnerung an die Doppelbedeutung des Gerichts nahe?
Hängen die Prä- und Suffixe mit dem Nominalisierungsprozeß der Verben zusammen? Während die Suffixe in der Regel den Nominalisierungsprozeß abschließen, besiegeln, nehmen die Präfixe die Präpositionen in das Verb mit herein, ordnen damit die Verben den Deklinationen (dem Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang der casus) zu.
Kommt dem Präfix be- nicht insofern eine Sonderstellung zu, als es den Mechanismus selber ausdrückt: die Identität von Empörung und Unterwerfung und die Identifikation mit dem Aggressor (das genaue Äquivalent des Raumes in der Sprache). Wenn ich ein Haus bewohne, beherrsche ich es durch meine eigene Unterwerfung unter seine Gesetze (Zusammenhang mit dem englischen to be?).
Anwendung auf den Begriff des Bekenntnisses (Prinzip der Instrumentalisierung der Religion: es macht sie „bewohnbar“). Ist das Schuldbekenntnis die Umkehrung des Zwangsbekenntnisses?
Wie verhält sich die Bekehrung zur Umkehr? Auch das reflexive Sich-Bekehren ist nicht identisch mit der Umkehr: Hier tut man sich nur selber an, was einem sonst von außen angetan wird. Sind nicht die Naturwissenschaften die Bekehrung der Natur (hier liegt der Grund des christologischen Naturbegriffs)?
War nicht Alexander, der Schüler des Aristoteles, auch der erste große „Bekehrer“ (der den Barbaren die Zivilisation gebracht hat)? Als er den gordischen Knoten durchschlug und Asien unterwarf, war das nicht die prophylaktische Verwandlung der Umkehr in die Bekehrung?
Man muß die Gewalt der Sprache von der Sprache der Gewalt unterscheiden. Was heißt Sprachgewalt?
Walter Benjamins Erörterungen zum Begriff der Gewalt, seine Unterscheidung zwischen der rechtsetzenden und rechterhaltenden Gewalt (und der göttlichen, befreienden Gewalt), ist weder deduktiv abzuleiten, noch unterliegt sie der empirischen Überprüfung, sondern sie hat eine Schlüsselfunktion: sie erschließt neue Erfahrungsbereiche. Aber wenn einer nicht bereit ist, diesen Schlüssel auf seine Erkenntnisse anzuwenden, kann er ihn nur noch als unbrauchbar verwerfen; aber das ist dann sein Problem und keins des Textes von Walter Benjamin. Walter Benjamin hat als erster das transzendentallogische Problem des Rechts begriffen: daß auch das Recht (im Kontext von Begriffen wie Welt, Natur und Materie) ein Instrument zur Organisation von Erfahrung ist, dessen Begründung ohne Rekurs auf Gewalt (die ohnehin in den Fundamenten der transzendentalen Logik mit drin steckt) nicht möglich ist. Derrida ist ein Rutengänger der Philosophie, aber er vermag die Goldadern, auf die er stößt, nicht selber auszubeuten. -
30.03.93
Reichtum ist, was alle andern dem Reichen schulden.
Der Gnadenschatz ist das von der Kirche verwaltete Erbe, daß Jesus durch seinen Tod erworben (oder produziert?) hat.
Nordafrika und Irland: Die Selbstbegründung des Christentums in der Provinz verdankt sich zunächst handelskapitalistischen (Nordafrika ist kanaanäisch) und dann agrarischen Bedingungen (vermittelt durchs irisch-schottische Mönchswesen). Die Scholastik trägt bereits frühkapitalistische Züge. Sie erweist sich am Ende als zweiter, diesmal regressiver Durchlauf des Mythos.
Die Rosenzweigsche Todesangst hat insofern etwas mit Getsemane zu tun, als sie, indem sie das All (das Universum) sprengt, sich in den drei Bruchstücken des Alls als Grund des Mythos wiedererkennt (Mensch, Welt, Gott).
Das Inertialsystem ist die Vergegenständlichung der Hegelschen List.
Zum Satz von Binden und Lösen gehört die apokalyptische Geschichte vom Millenarium. Das Millenarium selber bezeichnet die Zeit der Bindung. Aber diese Zeit ist auf tausend Jahre begrenzt: Für diese Zeit gilt das Wort vom Weizen und vom Unkraut.
Liefern die alten Dogmatiken (von Brinktrine oder Diekamp) gleichsam den Stoff für das Volkslied „Es klappern die Mühlen am rauschenden Bach“?
Ist nicht die gegenwärtige Welt ein Produkt der Instrumentalisierung des Sündenfalls (ein Produkt der Selbstreferenz der Instrumentalisierung)?
Im Angesicht und Hinter dem Rücken: Muß man nicht heute auch die andere Bedeutung (deren Realsymbol das Fernsehen ist) mit hereinnehmen, daß die neue Unmittelbarkeit, als restlos produzierte und in sich vermittelte, ihre eigenen säkularen Mysterien in sich verbirgt: um sie begreifen zu können, müßte man die Vorgänge hinter dem eigenen Rücken begreifen; deshalb die zwanghafte Neigung zur Paranoia, die das Fernsehen produziert (und in den Projektionsangeboten, die es liefert, zugleich ausbeutet). Dieser Geheimbereich, der in der Stasi der DDR sichtbar geworden ist, ist allgegenwärtig; sein Wachstum kann (wie das der Banken oder das des Militärs) als Maß des Fortschritts angesehen werden. Aber das Fernsehen ist nicht nur der Schein des verlorenen Angesichts, die Ausbeutung und Vermarktung seines Verlusts: es ist eine Station (wenn nicht die letzte) auf der Bahn seines Sturzes, die von den Gesetzen der Scham bestimmt wird („und sie erkannten, daß sie nackt waren“).
Wäre die Theologie seit Augustinus ohne das Konzept des Fegfeuers überhaupt zu retten gewesen: ohne die Instrumentalisierung und Relativierung der Dämonenfurcht? Das Fegfeuer ist Ausdruck des Katzenjammers nach dem augustinischen Konzept des seligen Lebens (Kater nach der Trunkenheit).
Merkwürdiger Eindruck: Der Hinweis Teilhard de Chardins, daß alle Tiere Produkte hypertropher Selbstinstrumentalisierung (mit Zentralorganen wie Hörnern, Zähnen, Klauen, Hufen) sind, läßt sich aufs deutlichste demonstrieren an der Mimikri, an der vollständigen Anpassung an die Umwelt (Zeichnung und Farbe der Schmetterlinge, Federkleid der Vögel): an dem Eindruck, daß die Wahrnehmung der Umwelt (die Farben der Äste, Blätter, Blüten) in die Produktion des eigenen Gesehenwerdens mit einfließt. Erinnert das nicht an das „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“, an die Selbstwahrnehmung im Blick der andern? Gibt es einen Zusammenhang von Selbstinstrumentalisierung und Scham, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung? Aber wer blickt sie an?
Junge Tiere blicken intelligent, neugierig, aufmerksam; alte Tiere blicken dumm, verschlossen, enttäuscht, depressiv.
Wie der Benjaminsche Begriff der Aura scheint dieses Phänomen mit der Objektivität des Angesichts zusammenzuhängen, die zerstört, zersprengt wird durch die kantische subjektive Form der Anschauung: den Raum.
Die allverbreitete Verbrechensfurcht ist die projektive Verarbeitung der eigenen Schuldgefühle, die vom Besitz sich nicht ablösen lassen. -
18.03.93
Nach Raymond Bogaert „Grundzüge des Bankwesens im alten Griechenland“ wurden Eingänge (Einzahlungen) im Genitiv, Ausgänge (Auszahlungen, Kredite) im Dativ bezeichnet (S. 11). Kann es sein, daß Genitiv und Dativ Links und Rechts (die Seiten) bedeuten? Und sind Genitiv und Dativ die sprachlichen Repräsentanten des Tauschs? Die Banken verwalten das Tauschprinzip wie die Planeten das Inertialsystem.
Die Anschauung abstrahiert von der eigenen Verstrickung ins Angeschaute; das Produkt dieser Abstraktion ist die Form des Raumes. Und sie überantwortet damit das Angeschaute den Gesetzen der Projektion (Barbaren, Natur, Materie).
Die ersten Privatbanken sind von Sklaven gegründet worden, generell liegt ihr Ursprung im Bereich des Opferwesens und der Tempelwirtschaft. Das Bankenwesen ein Begleitinstitut der Lohnarbeit, die den Systemcharakter des Geldes begründet? Die Bankentürme in der Skyline Frankfurts stehen in der Tradition des Turms von Babel.
Die Tradition des Opfers und ihre Verinnerlichung in der dogmatischen Theologie gehören zu den Fundamenten des Bankenwesens.
Die Instrumentalisierung des Opfers macht sich gemein mit dem Mord und leugnet das Antlitz (Kruzifix und Münze).
Sein, Haben und Werden, das sind die objektiven, naturhaften (den Naturbegriff begründenden) Hilfszeitverben. Ist nicht das Sein die veranderte Gegenwart, das Haben und das Werden die zukünftige Vergangenheit und vergangene Zukunft? Vergleiche die beiden Bildungen „Ich werde gehabt haben“ und „Ich werde geworden sein“ (aktives und passives Futur II).
Wann sagte Jesus: Bei Gott ist kein Ding unmöglich? Mt 1926, Mk 1027 und Lk 1827: Nach dem Wort über den Reichen, das Kamel und das Nadelöhr.
Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Im Sechstagewerk nutzt er dann den Himmel als Namen für die Feste, die die Wasser oben von den Wassern unten scheidet, und die Erde zur Hervorbringung der Pflanzen und Tiere. Die Finsternis über dem Abgrund nennt er nach der Erschaffung des Lichts Nacht, und die Wasser, über denen der Geist Gottes schwebt, trennt er durch das Firmament (Schuld und Segen).
Wer das Leben aus den Leiden und Taten der Atome und Moleküle herleiten will, verhält sich ähnlich wie der, der das Wachsen der Bäume aus dem darin investierten Kapital herleitet.
Die Merkaba ist sprachlichen Wesens, und wer sie entschlüsselt, begreift den Ezechiel.
Zu dem Siebengestirn Cohen, Rosenzweig, Bloch, Benjamin, Lukacs, Horkheimer und Adorno den Orion finden. (Vgl. Hi 3831, auch 99 und Am 58)
Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sind die Bedingungen der Möglichkeit sowohl der dinglichen, körperlichen Existenz: der Vergangenheit der Dinge, als auch des Feuers: der dinglichen Gegenwart der Zukunft (entsprechen der Vergangenheit in Ding und Raum die Zukunft in Feuer und Licht?).Adorno, Banken, Bäume, Benjamin, Bloch, Bogaert, Cohen, Einstein, Geld, Horkheimer, Lohnarbeit, Lukacs, Philosophie, Rosenzweig, Sprache, Theologie, Tiere, Wasser -
25.02.93
Nach Walter Burkert treten die Initiationsriten mit dem Aufkommen der Schriftlichkeit und mit der Stadtkultur zurück, „um schließlich zu verschwinden – vollständig erst in unserer Zeit der atomisierten Gesellschaft“ (S. 47). Aber was sind Erstkommunion und Firmung anders als Initiationsriten?
Zu Christine Kuby: Woran anders wird die „Schwere der Schuld“ gemessen als an der Stärke der Racheimpulse? Der Umgang mit den Gefangenen der raf ist längst ein Indiz für die Verkommenheit unserer Justiz.
Die Vorstellung, daß das „Herrschaftsgebot“ der Genesis eine der Ursachen der Geschichte der gesellschaftlichen Naturbeherrschung sei, ist, abgesehen davon, daß sie sich durch eine genaue Lektüre des Textes widerlegen läßt (das vegetarische Nahrungsgebot, mit dem es zusammensteht, schließt das Töten aus), ist nicht nur falsch, sie bestätigt im genauesten Sinne eines double bind genau das, wogegen sie protestiert: das Schuldverschubsystem, das als logischer Kern dem Ursprung und der Geschichte der Naturbeherrschung zugrunde liegt. Sie ist ein Teil jenes Syndroms, demzufolge Religion jeder für sich nur noch als Seelenbalsam und für andere als ein System von Moralvorschriften und Handlungsanweisungen begreift: als Religion für andere, Religion als Herrschaftsmittel. Aber wird diese Religion fatalerweise nicht gerade dann bestätigt, wenn man aus ihr glaubt austreten zu können? Und ist nicht Petrus/Kephas der Typos einer Religion, die nur noch Religion für andere ist: Fundament einer Kirche, die zum steinernen Herzen der Welt geworden ist? Es ist ein System des Sich-wechselseitig-in Schach-Haltens, in dem dann, nach einem Adorno-Wort, heute jeder Katholik so schlau ist, wie früher nur ein Kardinal. Das Modell und die reale Verkörperung dieses Systems ist der Staat, seine innere Struktur das Recht.
Läuft nicht unser Autoritätssystem, wenn es auf Texte angewandt wird, nach dem Modell Heilige oder Hure (mit der merkwürdigen Analogie der patriarchalischen Beziehungen zu Texten und zu Frauen)? Wäre es nicht sinnvoller, gerade in alten Texten die Erfahrung, daß da etwas drinsteckt, was nur durch Reflexion wiederzugewinnen ist, mit der Erfahrung der Unzulänglichkeit dieser Texte zusammenzudenken? Das hatte Walter Benjamin im Sinn, als im Hinblick auf Franz Rosenzweig sagte, er habe es vermocht, die Tradition auf dem eigenen Rücken zu befördern anstatt sie seßhaft zu verwalten. Merkwürdig, daß alle Offenbarungsreligionen ihren Absolutheitspunkt in der Vergangenheit (in den Heiligen Schriften und den damit verbundenen Ereignissen) haben.
Bezeichnet nicht das „leer, gereinigt und geschmückt“ in der Parabel von den sieben unreinen Geistern auch das Bild von der Vergangenheit, das wir im Kopf haben? Grund unserer Erinnerungsunfähigkeit?
Weltanschauungskriege sind Vernichtungskriege (nach den christlichen Vorläufern in den Kreuzzügen, Pogromen, Ketzer- und Hexenverfolgungen in säkularisierter Gestalt zuerst im Krieg der Nazis „gegen den Bolschewismus“), weil sie die Nutzung des Schuldverschubsystems, dessen Resultat eine „Weltanschauung“ ist, auch durch Strafen (die dann Vernichtungsstrafen sind) in der Realität verankern wollen. Es handelt sich offensichtlich um eine Zwangsfolge nicht mehr reflektierter (weil nicht mehr reflexionsfähiger) Herrschaftssysteme. Nicht zufällig werden sie als Reinigungsaktionen (Endlösung der Judenfrage als Reinigung der Welt von den Juden, ethnische Säuberungen in Bosnien) begriffen; sie weisen zurück auf den lateinischen Weltbegriff: mundus.
Ist eigentlich die Frage, ob es Menschen ohne Schrift, vorschriftliche Gesellschaftsformationen, gibt, so sinnlos? Die Vorstellung, daß „die Wilden“ Produkt einer Regression, eines Rückfalls sind, hilft vielleicht im Verständnis des Ursprungs der Schrift weiter als äußerliche, banale Erfindungstheorien.
Sind die ersten Opfer in der Bibel nach den Opfern Kains und Abels die des Abraham und des Melchisedech?
Wäre die Lessingsche Parabel von den drei Ringen heute nicht durch eine andere zu ersetzen: Jeder sitzt im Gefängnis seiner Geschichte, aber die Schlüssel dazu haben jeweils die anderen? Die Hauptaufgabe liegt bei den Christen; nur ihnen ist gesagt worden: was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein.
Die Kritik der Naturwissenschaften hätte damit zu beginnen, daß man nachweist, daß in den Naturwissenschaften das Licht nicht mehr vorkommt, Licht und Finsternis bedeutungslose Begriffe sind: es ist unmöglich, in naturwissenschaftlichem Kontext das Licht zu rekonstruieren. Nur noch gleichsam deiktisch läßt sich der Berührungspunkt bezeichnen: das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Die Rekonstruktion des Lichts über diesen „Berührungspunkt“ läßt die Naturwissenschaften nicht unberührt.
Sind in den drei Versuchungen Jesu (vgl. z.B. Mt 41ff) die drei Totalitätsbegriffe mit angesprochen: Wissen, Natur und Welt:
– Im Vertrauen auf die Behütung durch die Engel, „damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt“, das Wissen,
– in der Verwandlung von Steinen in Brot der Naturbegriff und
– im Herrschaftsversprechen und in der Anbetung des Teufels der Weltbegriff?
Wäre das Neue Testament nicht erst dann richtig zu verstehen, wenn man, anstatt es unmittelbar ins Deutsche zu übersetzen, es zunächst ins Hebräische übersetzen würde?
Ist die Rede von einer Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der kommenden Welt vergeben wird, nicht eine Erläuterung der Geschichte vom Binden und Lösen? Dann wäre das Binden die Sünde wider den Heiligen Geist, und das Binden, das vorgibt, das Lösen zu sein, die Selbstverfluchung.
Ist es nicht in der Tat, die Tat, die die Tatsachen schafft, auf die sich dann das Wissen bezieht, das als Absolutes die Vollendung des Andersseins des Selbst repräsentiert? Und ist das Absolute des deutschen Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) nicht die Bindung der rechten Hand Gottes?
War nicht das Christentum bis heute die Anbetung und die Ausnützung des Scheiterns der messianischen Kraft Jesu (und in der Mystik das Verliebtsein in dieses Scheitern)?
Gibt nicht die Situation in einem Fahrstuhl, in dem keiner den andern anschaut, einen aufschließenden Hinweis auf das Problem des Angesichts?
Zur Theorie des Rechtsradikalismus: Nur weil wir uns das Beste versagen müssen: gut zu sein, schlagen wir andere tot.
Politischer Aschermittwoch: Auch das war eine Erfindung von Franz Josef Strauß: Politik als Unterhaltung, und das als neue Qualität der Politik (nicht mehr zu trennen von der „Politikverdrossenheit“). Kern der seitdem irreversibel sich ausbreitenden parteipolitischen Ghettobildungen: nichts ändern, aber die Anhänger bei Laune halten (und süchtig machen). -
10.02.93
„Haus des Urteils“ und „letztes Gericht“ (Eisenmann/Wise, S. 241): Bezeichnen diese Begriffe nicht den Raum (als Form und Symbol der Verstockung gegen die Umkehr)?
Zu Young, Beschreiben des Holocaust: Die Kritik an Peter Weiss (S. 118ff, wo er den marxistischen Ansatz von Peter Weiss kritisiert) und an Tadeusz Borowski (S. 170ff) bezeichnet genau die Grenzen des Youngschen Versuchs. Zu der folgenden Textpassage (von Tadeusz Borowski): „Erst jetzt erkenne ich, welcher Preis für die Errichtung der alten Kulturen bezahlt wurde. Die ägyptischen Pyramiden, die Tempel und die griechischen Statuen -welch ein abscheuliches Verbrechen! … Die Antike, das gewaltige Konzentrationslager, …“ schreibt Young: „So hat sich im Kopf des Schriftstellers nicht allein die Zukunft (!), sondern auch die Vergangenheit, sein kulturelles Erbe, in ein großes KZ verwandelt“. Wäre etwa die Verwandlung der Zukunft in ein großes KZ nicht so schlimm wie der verzweifelte Blick auf die Entstehungsbedingungen des „kulturellen Erbes“? Und spielt sich der beschriebene Sachverhalt nur „im Kopf des Schriftstellers“ ab? Ist der Begriff der Normalität, der dem Werk Youngs zugrundezuliegen scheint, überhaupt noch zu halten? Und trennt nicht Auschwitz in der Tat das „kulturelle Erbe“ von der Wahrheit?
Der christliche Begriff der Buße konnte sich von dem der Umkehr ablösen und gegen ihn verselbständigen nur dadurch, daß die Welt (in der Konsequenz der Opfertheologie und unter Verletzung des Nachfolgegebots) als entsühnt begriffen und damit die Sünde entpolitisiert, privatisiert wurde. Dem theologischen Begriff der Rechtfertigung (der an die Stelle der Forderung, gerecht zu werden, tritt) setzt die vorhergehende Rechtfertigung der Welt -Grund des Bekenntnisbegriffs und dann jeder Ideologie – voraus. Und dieser Begriff des Bekenntnisses verewigt den ungerechten Zustand der Welt und macht ihn unkenntlich.
Mit der Vorstellung des unendlichen Raumes schützt sich die Subjektivität gegen die Reflexion des sie begründenden Herrschaftsmoments. Ebenso wie die Vorstellung des Raumes sind auch die Begriffe Natur und Welt, die sich im Medium des mathematisierten Raumes überhaupt erst konstituieren, selbstreferentiell und damit fast unreflektierbar.
Wäre das Rosenzweigsche Konstrukt nicht doch einmal anhand folgender Thesen zu überprüfen:
– Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung,
– der Begriff des Wissens die Offenbarung und
– Naturbegriff die Erlösung?
In welcher Beziehung stehen dazu:
– Adornos Kritik der Verdinglichung,
– sein Konzept des Eingedenkens der Natur im Subjekt und
– das auf Benjamin sich berufende Konzept der vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte?
Zur Jotam-Fabel (Ri 97ff): Der König steht in der Figur des Dornbuschs (und, nach Jürgen Ebach, Kains). Ist darin nicht auch ein Stück Messias-Kritik enthalten, die das kritische Element in den Evangelien (die Unkraut- und Kain-Tradition in ihm) antizipiert? Welche Bewandnis hat es dann mit dem Ölbaum, dem Feigenbaum und dem Weinstock? Ist nicht die Jotam-Fabel mehr als nur eine moralische Fabel: eine prophetische Fabel?
Sind die Entdeckung des Winkel und die Entfaltung der Geometrie der Fläche bei den Griechen nicht ein Abfallprodukt der Entdeckung der Schrift, die ebenfalls auf die Fläche sich bezieht (Zusammenhang mit der Schrift als verstummte und deshalb tradierbare Sprache)?
Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkommt: Die in der Schrift verstummte Sprache will wieder laut werden.
Ist nicht die christliche Theologie in ihrer dogmatischen Gestalt mehr als Hurerei: die Vergewaltigung der Schrift? -
19.01.93
Das Entscheidende an der Vorstellung des Atoms ist der leere Raum, in dem es vorgestellt wird.
Genügt es noch, den „Glauben an“ durch die „Treue zu“ zu ersetzen?
Überzeugen ist unfruchtbar: Und zwar deshalb, weil das Überzeugen des andern nur mit Hilfe von Beweisen möglich ist, und die Ambivalenz des Beweises aus dem Überzeugen nicht herauszubringen ist. Das Überzeugen appelliert an die Gemeinschaft der subjektiven Formen der Anschauung und des Bekennens, an die Gemeinschaft der Intersubjektivität. Weil alle darin sich geborgen fühlen möchten, kann keiner mehr mit sich alleine sein: das ist der Preis des Überzeugens. Modell des Überzeugens ist die logische Automatik der sich (in sich selbst, in den Objekten und in den Köpfen der Menschen) fortzeugenden Form des Raumes (die für Sokrates und den Sklaven die gleiche ist). In der Logik des Überzeugens gründet die Verführungskraft des Bekenntnisses, die von den Konfessionen bis hinunter zu den Hooligans und den Skins, in denen das Bekennen in die Gestalt der Erscheinung selber hereingenommen wird (als Maske, als persona in reinster Form), sich ausbreitet und – wie der Raum die Dinge – alles durchdringt (Erscheinung an sich).
Jesus, der Freund der Zöllner und Dirnen: Sind nicht die Dirnen das Kirchenvolk, und beziehen sich nicht darauf die Sätze: Gehe hin und sündige fortan nicht mehr, und: Ihr wird viel vergeben werden, denn sie hat viel geliebt. Aber wer sind die Zöllner (Matthäus/Levi war ein Zöllner)?
Der Streit um die Gesamtschule vor fünfzehn Jahren war ein Ersatzkrieg um die unaufgearbeitete Vergangenheit.
Handelt es sich in dem „super hanc petram“ um ein räumliches oder um ein instrumentales „super“?
Sind nicht die Prä- und Suffixe im Deutschen eine Folge der Weichheit, der Nachgiebigkeit dieser Sprache, ihrer Charakterlosigkeit, und das Produkt ihrer allerengsten Anpassung, ihrer Fähigkeit, sich an die vom Inertialsystem beherrschte Vorstellungskraft anzuschmiegen?
Das Inertialsystem leugnet das Licht und mit ihm das Angesicht; es überzieht die sinnliche Welt mit einem Grauschleier, der nicht mehr abzuwaschen ist; das erzeugt den paranoiden (auch dem Antisemitismus und der Fremdenfeindschaft zugrunde liegenden) Reinheitstrieb.
Sind die Prä- und Suffixe die Bazillen und Viren der vom Inertialsystem beherrschten (und ihrer benennenden Kraft beraubten) Sprache?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem durch Prä- und Suffixe gebildeten Sprachleib der indogermanischen Sprachen und der sumerischen („agglutinierenden“) Sprache? Und unterscheiden sich die semitischen Sprachen u.a. dadurch von den indogermanischen, daß sie weitgehend auf die Nutzung von Prä- und Suffixen verzichten (dreikonsonantischer Wortstamm)? Sind die Prä- und Suffixe (und die damit zusammenhängende Durchorganisation der flektierenden Sprachen) Ausdruck der Herrschaft der Subjektivität in der Sprache, des Herrendenkens (Ursprung und Ausbreitung der Neutra und Rückwirkung der Neutra auf die Gesamtstruktur der Sprache)?
Die subjektiven Formen der Anschauung als Medien der Intersubjektivität sind die entfremdeten, der Reflexion entzogenen und somit blind herrschenden Repräsentanten der Gesellschaft im Subjekt.
Das „Du sollst Vater und Mutter ehren“ ist die Aufforderung zur Reflexion der in den Formen der Anschauung neutralisierten und verdinglichten Generationsbeziehungen (zu den Topoi der Lehre vom Antichrist gehört auch der vom unlösbar gewordenen Generationenkonflikt, der u.a. in der Ökonomie, in den Naturwissenschaften, dann aber auch im Natur- und Weltbegriff sich neutralisiert, jedoch nicht gelöst wird).
Der Familienmythos und die Familienbande konstituieren sich mit der Unterdrückung des Generationenkonflikts, der dann extern, als Arbeitswut oder als gesellschaftlicher Konflikt, ausgetragen werden muß. Der präziseste Ausdruck des Scheins der Unlösbarkeit dieses Konflikts in der Struktur des Subjekts sind die subjektiven Formen der Anschauung.
Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären: Dieser Fluch gründet nicht in der bösen Tat, sondern im Rechtfertigungszwang, in den die böse Tat den Täter versetzt; und er gilt nicht nur fürs einzelne Subjekt, sondern auch für „Gesamtpersonen“ im Sinne Schelers (für Deutsche und für Christen).
Die Lösung des siebten Siegels ist die Lösung des Knotens der Zeit: der Ambivalenz von Ruhe und Bewegung (Begriff und Verb). Der Kelch als Zornes- und Taumelkelch rührt an diese Kehrseite des Sabbats, der Kehrseite der Idee der ewigen Ruhe.
Ist die Fundamentalontologie das siebte Siegel (vor dessen Lösung die sechs anderen Siegel zu lösen sind)? -
16.01.93
Ein Haus hat nur vier Wände, nicht wie eine Kiste sechs, dazu den Fußboden und die Decke, das Dach. Die oberen und unteren Flächengrenzen (der Boden und das Dach) sind durch ihre objektive Beziehung zur Schwere, die auf sie von außen auftrifft, von den seitlichen, zur Richtung der Schwerkraft parallelen Begrenzungen des Hauses eindeutig zu unterscheiden.
Erst ein Denken, das aus dem Bann der Herrschaft heraustritt: Herrschaftskritik in sich mit aufnimmt, eröffnet auch den Himmel wieder. Erst die vollständige Umkehr sieht den Himmel offen.
Der mathematische Raum subsumiert alles, auch die obere Welt, unter die Vergangenheit. Deshalb ist dort kein Himmel, an dem nichts vergangen ist, sondern, in den Bildern der Herrschaftsmetaphorik, nur das Subjekt, das den Himmel usurpiert und als dessen subjektive Form der Anschauung der mathematische Raum sich konstituiert.
Die transzendentale Logik Kants hat durch die subjektiven Formen der Anschauung das Moment der Tätigkeit aus dem Urteil (durch Verdinglichung des Verbs zum Prädikat, zum Begriff) herausgenommen und in den subjektiven Akt des Urteils, ins Urteilen, verlegt (zurückgenommen): Sie hat das Urteilen selbst als (die Objektivität verändernde) Tätigkeit, die Theorie als Moment der Praxis, begriffen. Deshalb heißt das Subjekt Subjekt, hat es eine Bezeichnung angenommen, die vordem dem Subjekt im Urteil zukam. Das Subjekt des Urteils wurde durchs Objekt ersetzt (durch das Produkt der objektivierenden Tätigkeit des Urteilenden). Hier wurde das erkennende Urteil durchs richtende, der intellectus durch den Verstand ersetzt. Ziel war nicht mehr die adaequatio intellectus et rei, sondern die Übereinstimmung des Begriffs mit dem Gegenstand, die apriori hergestellt war: Konsequenz des auf die Logik übergreifenden Trägheitsprinzips. So hat das Inertialsystem auch die Philosophie ergriffen und verändert: Die Geschichte der Objektivierung der Dinge war die Geschichte ihrer Subjektivierung.
Die kantischen synthetischen Urteile apriori sind Produkt der Herrschaft des Trägheitsprinzips übers Urteil. Durchs Trägheitsprinzip wird das Subjekt als Objekt in die Form des Urteils mit hereingenommen. das Urteil selber neutralisiert und die benennende Kraft der Sprache zerstört.
Begriff und Trägheitsprinzip: Die Austreibung der Tätigkeit (des Subjekts) aus dem Urteil (in der Konsequenz der Logik des Begriffs und der bewußtlosen Rezeption des Trägheitsprinzips) vollendet sich in der Hypostasierung der Kopula: in der Ontologie. Eine Zwischenstufe war die Umwandlung der Moral, die durch die Wertphilosophie aus einem Element der Selbstverständigung und einer Anleitung zum Handeln zu einem Objekt des passiven Zuschauens gemacht und in eine Urteilslehre transformiert wurde. So ergreift das dem Zuschauen und Urteilen korrespondierende Trägheitsprinzip alles, was in den Bannkreis des Objektivierungsprozesses hereingerät (Modell Fernsehen).
Stephanus sah den Himmel offen, während Paulus nur in den dritten Himmel entrückt wurde.
Nicht die naturwissenschaftliche Aufklärung, die selbst nur eine andere Gestalt des Mythos ist, sondern die Offenbarung ist das Maß, an dem der Mythos gemessen werden muß.
Die Gründe, aus denen Theologen glauben, den Nachweis führen zu müssen, daß mit dem Weltbegriff im Johannes-Evangelium nicht der Kosmos gemeint sei, sind ein Teil jenes Argumentationszusammenhangs, durch den sich die Theologie um Kopf und Kragen geredet hat.
Die Neutralisierung von Himmel und Erde zur Welt ist die Erbsünde der Theologie.
Die Geschichte des Gottesbegriffs unterm Nominalismus ist der Beweis dafür, was aus der Gottesidee zwangsläufig wird, wenn sie mit der Idee verbunden wird, daß Gott die Welt erschaffen habe. Es ist die gleiche Welt, die nach dem Johannes-Evangelium „euch (d.h. jeden, H.H.) haßt“, ihre „Schöpfung“ wäre demnach eine sadistische Handlung Gottes (diese Konsequenz hat die Gnosis gezogen, als sie diesen Gott als Demiurgen erkannte; falsch war nur die Identifizierung dieses Demiurgen mit dem jüdischen Gott: in Wahrheit war er der Staat). Die Lehre von der creatio mundi wäre nur zu halten, wenn der Logos gemäß dem geschichtskritischen Logozentrismus-Konzept als Begriff gefaßt wird, dessen Geschichte in die des Staates verflochten ist. Dieser Gott wäre der Feind des Heiligen Geistes. Darauf, so scheint mir, ist der Satz zu beziehen, daß die Sünde wider den Heiligen Geist die einzige ist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird (Hinweis auf die Bedeutung der Sündenvergebung im Evangelium, die Dämonenaustreibung und deren Zusammenhang mit der Übernahme der Sünden der Welt). Aber ist dann nicht diese Theologie insgesamt ein Teil der Sünde wider den Heiligen Geist? Bewegt sich diese Theologie nicht in dem gleichen Zirkel des Selbstwiderspruchs, der durch das „ja aber“ und durch kühne apologetische Konstruktionen immer weniger zu bewältigen ist? Das Netz, in das sich die Theologie verstrickt hat, wird immer enger, die Erstickungsängste werden immer akuter.
Der Satz „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ bezieht sich auf die (damals) zukünftigen Generationen: wir sind sein Objekt und unser Leben ist Produkt der (von uns) verratenen Zukunft.
Am Zustand der Sprache ist der Stand der Dinge zu ermessen; nach ihrem Tod und Begräbnis (wo war Lazarus begraben?) ist die Sprache in Verwesung übergegangen, und von ihr gilt das Wort „Herr, sie riecht schon“.
Ist nicht die Schöpfungsgeschichte, das Sechs-Tage-Werk, die Geschichte der Bildung des Antlitzes als Seines Ebenbildes: und liegt nicht hier der Grund des Sabbat, ist sein Grund nicht im Werk des ersten Tages, im Licht, gelegt worden? Vor diesem Hintergrund gewinnen das Öffnen der Augen (der Erkenntnis der Nacktheit) nach dem Sündenfall und das Senken des Blicks nach dem Brudermord beim Kain (mit dem Hinweis auf das Lauern der Sünde als Dämon an der Tür) ihre wirkliche Bedeutung. Ist nicht das auf die Kirche bezogene Wort von den Pforten der Hölle, die sie nicht überwältigen werden, ein Echo des Lauerns des Dämons an der Tür?
Die Geschichte der Beziehung von civitas dei und civitas terrena (und d.h. die Geschichte der Kirche) wäre an den beiden Gestalten des Henoch zu demonstrieren. Von Adam her gezählt ist der kainitische Henoch der dritte (Tag des Hervorgehens der Pflanzen und Bäume: des „organischen Lebens“, seiner Selbstinstrumentalisierung), der setische Henoch der siebente in der Geschlechterfolge (an welchem Tag Gott ruhte von all seiner Mühe). Hat die Umkehr der Reihenfolge der drei auf Kain/Kenan folgenden Generationen etwas mit der Beziehung von Abel und Set, mit Set als Abel redivivus, zu tun?
Der schlimme Satz von dem guten Gewissen, das in Deutschland als sanftes Ruhekissen gilt: Ich befürchte, die KZ-Schergen haben gut schlafen können, weil sie unfähig waren, die Leiden ihrer Opfer auch nur in Gedanken nachzuvollziehen. Jedes gute Gewissen hat etwas von dieser Unfähigkeit, ist in sich selber pathologisch, Produkt der Selbstexkulpation und Reflex der falsch „entsühnten“ Welt. Es entspringt aus der Verdrängung der Gottesfurcht.
Merkwürdig am Christentum sind seine Ursprünge in der Provinz: in Galiläa, Nordafrika, Irland und heute in Südamerika.
Die Geschichte kann nur dann zum „große(n) Becken, in welchem der Mensch von aller Schuld reingewaschen wird“ (Rosenzweig: Hegel und der Staat, S. 97) werden, wenn sie Naturgeschichte ist. Und als solche hat Marx die Hegelsche Weltgeschichte dann auch entschlüsselt.
Wenn Benjamin (in der Einbahnstraße) schreibt, daß die entscheidenden Schläge heute mit der linken Hand geführt werden, hat das etwas mit den „linkshändigen Benjaminiten“ im Buch der Richter zu tun? -
19.12.92
Die Apriorität des Geldes unterscheidet sich von der des Raumes durch das gesellschaftliche Element, durch ein Moment des passiven Glaubens und durch das einer passiven Moral, einer Herrschaftsmoral. Vermittelt sind dieser Glaube und diese Moral durch den Weltbegriff. Hier liegt der logische Grund des Bekenntnisses, der Bekenntnislogik, deren Beziehung zur transzendentalen Logik zu bestimmen wäre (Konstituierung des Objekts und Verinnerlichung des Opfers). Die Lücke hat die Philosophie nur unter Zuhilfenahme der (christlichen) Theologie schließen können, die dadurch in den Bannkreis der Philosophie mit hereingezogen worden ist.
Die kantischen subjektiven Formen der Anschauung definieren aufs genaueste den theologischen Begriff der Todsünde.
Die allen gemeinsame Natur war das Totenreich, und der Seelenbegriff der dazugehörige Gespensterglaube.
Was mit der Sünde wider den Heiligen Geist gemeint ist, ist in den Abschiedsreden Jesu im Johannes-Evangelium aufs genaueste bezeichnet.
Fremdenfeindschaft ist des Medium der Selbstzerstörung des Urbanen.
Das Dogma und der kirchliche Kleinglaube: Hier liegt der Grund für das benjaminsche Wort von der Theologie, die heute bekanntlich klein und häßlich sei und sich nicht dürfe blicken lassen.
Gibt es nicht bei den Sakramenten diese polaren Beziehungen: Taufe und Firmung, Buße und Eucharistie, Priesterweihe und Ehe, mit der Ausnahme nur des letzten: der Krankenölung, der letzten Erinnerung an die Salbung des Messias.
Nur im dreidimensionalen Raum stellt sich durch die Umkehr in jeder Dimension am Ende die Identität des Objekts, seine Anfangsorientierung (Grundlage der Identität der Zeit) wieder her.
Hat nicht die Trennung von Licht und Finsternis mit Vorne und Hinten, die der Wasser oberhalb von den Wassern unterhalb mit Oben und Unten, und die der Wasser unterhalb und des Trockenen und die Hervorbringung der Pflanzen mit Rechts und Links zu tun (und weshalb ist diese Scheidung die letzte)? Dann haben die Lichter am Himmelsgewölbe mit Vorn und Hinten, die Erschaffung der Fische und der Vögel mit Oben und Unten, und die der Tiere und der Menschen mit Rechts und Links zu tun.
Worin bestand die Buße der Menschen und des Viehs in Ninive? „Und die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus, und alle, groß und klein, zogen Bußgewänder an. Als die Nachricht davon den König von Ninive erreichte, stand er von seinem Throne auf, legte seinen Königsmantel ab, hüllte sich in ein Bußgewand und setzte sich in die Asche. Er ließ in Ninive ausrufen: Befehl des Königs und seiner Großen: Alle Menschen und Tiere, Rinder, Schafe und Ziegen, sollen nichts essen, nicht weiden und kein Wasser trinken. Sie sollen sich in Bußgewänder hüllen, Menschen und Tiere. Sie sollen laut zu Gott rufen, und jeder soll umkehren und sich von seinen bösen Taten abwenden und von dem Unrecht, das an seinen Händen klebt.“ (Jon 35ff)
Die Kirche als steinernes Herz der Welt: Sie ist hilflos und ohnmächtig gegen die Ausdehnung der Raum- und Zeitvorstellung, die die Welt versteinern läßt.
Das Inertialsystem definiert das Abstraktionsgesetz, durch das Innen und Außen untrennbar sich vermischen, die Natur sich verdoppelt, gegen sich selbst sich verselbständigt (Grund der Reproduzierbarkeit). Es ist zugleich die Schiene wie auch das Konstruktionsgesetz der Lokomotive, die auf jener Schiene dem Abgrund zurast. Gelegt wurde die Schiene mit dem Futur II, durch das die indogermanischen Sprachen sich von allen anderen Sprachen unterscheiden. Kern der Lokomotive ist, was seit dem Ursprung der Philosophie Substanz heißt (das Korrelat des deklinierbaren Nomens).
Wann beendet Gott den christlichen Karneval, wann legt er die drei Masken ab? -
08.12.92
„Tradition ist für ihn (sc. Halbwachs, H.H.) keine Form, sondern eine Verformung der Erinnerung. Dies ist der Punkt, an dem wir Halbwachs nicht folgen können.“ (Assmann, S. 45)
„Die Tatsache, daß nur Individuen auf Grund ihrer neuronalen Ausstattung ein Gedächtnis haben können, …“ (S. 47)
„Durch Erinnerung wird Geschichte zum Mythos. Dadurch wird sie nicht unwirklich, sondern im Gegenteil erst Wirklichkeit im Sinne einer normativen und formativen Kraft.“ (S. 52)
Das „gemeinschaftsstiftende und stabilisierende Totengedenken“ (S. 63) erinnert eher an die obszöne „Versöhnung über Gräbern“ (Kohl in Bitburg und Verdun) und an rechtsradikale Gräberschändungen als an das wirkliche Gedenken der Toten, das an der Idee der Auferstehung sich orientiert (der uneingelösten vergangenen Hoffnung). Der Hinweis auf Mao Tse Tung sollte an den Ursprung und die konkrete gesellschaftlich-politische Bedeutung von Mausoleen erinnern.
Im Zentrum der Vorstellung des „kulturellen Gedächtnisses“ scheint wirklich die Idee einer Vergangenheit zu stehen, an die man sich halten kann. Und genau diese Vergangenheit gibt es nicht, es sei denn als Deckbild objektiver Verzweiflung.
Wer die Beziehung zur Vergangenheit im Alten Ägypten und im mittelalterlichen Judentum so vergleicht wie Assmann (S. 69), hat wirklich nichts begriffen.
Interessant und weitreichend der Hinweis, daß der Staat zu den Bedingungen der Unsterblichkeitslehre im Alten Ägypten gehörte: „Ohne den Staat zerfallen die Rahmenbedingungen sozialer Erinnerungen; damit sind auch die Wege zur Unsterblichkeit blockiert.“ (S. 71)
„Nichts liegt näher, als die Annahme, daß die Ägypter als das Volk mit dem (nächst den Sumerern) längsten Gedächtnis aufgrund ihrer lückenlosen(!), in die Jahrtausende zurückreichenden(!) Tradition ein ganz besonders differenziertes und ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein entwickelt hätten.“ (S. 73) Fallen wir nicht mit dem angeblich langen Gedächtnis der Ägypter auf ein Konstrukt herein, das auch unserem Naturbegriff zugrundeliegt. Die Entdeckung der Tiefenzeit war zweifellos auch ein Versuch, den gegenwärtigen Zustand durch Einbindung in eine möglichst unendliche Vergangenheit zu stabilieren (zu „entzweifeln“). Von der Vergangenheit (von den Toten) soll keine Beunruhigung mehr ausgehen (das wäre der Sieg der Welt).
„Vergangenheit, die zur fundierenden Geschichte verfestigt und verinnerlicht wird, ist Mythos, unabhängig davon, ob sie fiktiv oder faktisch ist.“ (S. 76) Das ist Ausdruck und Folge der Verinnerlichung des Opfers.
Die Bemerkung, daß die Vernichtung des europäischen Judentums unter der Bezeichnung Holocaust Mythos geworden sei (S. 76), wird vor dem Hintergrund seiner Mythos-Definition endgültig böse.
Im Kontext „Historikerstreit“: „Man muß sich nur darüber klar werden, daß Erinnerung nichts mit Geschichtswissenschaft zu tun hat.“ (S. 77)
„Mythos ist die zur fundierenden Geschichte verdichtete Vergangenheit.“ (S. 78)
Zur Vorstellung einer homogenen Zeit gehört die andere Vorstellung, daß die Welt zu jeder Zeit den gleichen Gesetzen unterworfen ist. Diese in die Vergangenheit projizierte Voraussetzung hat Lyell in geologischem und paläontologischem Zusammenhang erstmals ausformuliert (vgl. St. J. Gould: Die Entdeckung der Tiefenzeit). Die gleichen Zusammenhänge machen die althistorischen Untersuchungen gelegentlich so unerträglich. In weltgeschichtlichem Kontext wird vergessen, daß die die Welt beherrschenden Gesetze nicht einfach nur gegeben, sondern auch von Menschen gemacht sind, und daß es nicht die gleiche Welt ist, die Homer mit Abraham und beide mit uns verbindet.
Ist nicht der „Kanon“ eine Art Referenzsystem, aber eines mit der Tendenz zur Verkörperung: zur Inkarnation.
Der methodologische Hauptteil beim Assmann dient nicht der Explikation des Problems, sondern seiner Verwischung, Verdrängung. Professoren-Wissenschaft: Er lebt und denkt in einer Welt, deren Grenzen von jenen bestimmt wird, die zugleich die Fachkarrieren bestimmen. So werden Außenseiter apriori ausgeschlossen (und nicht einmal mehr erwähnt: das betrifft sowohl Velikovsky und seine Nachfolger als auch Rosenzweig, Lukacz, Benjamin).
War die griechische Philosophie die Ausbreitung des Denkens nach allen Seiten und das Christentum der Versuch, die Höhen und Tiefen zu vermessen (Verwechslung von Gottesfurcht und Herrenfurcht als Folge der theologischen Rezeption des Weltbegriffs, abzusichern nur durch Trinitätslehre und Opfertheologie)?
Hegel hat die Opfertheologie verdrängt und ist an der Trinitätslehre erstickt. So war die Hegelsche Philosophie nicht das „Auto da Fe“ (Baader), sondern bloß der Selbstmord der bisherigen Philosophie. Allerdings – im gleichen Sinne, wie man von einem perfekten Mord spricht – ein perfekter Selbstmord.
Die christliche Sexualmoral, mit der Veurteilung der sexuellen Lust, entspringt genau an der Stelle, wo die Urteilslust aus dem Kontext des Sündenfalls herausgenommen und neutralisiert wird: im Ursprung des Weltbegriffs (in seiner theologischen Rezeption).
Das Rätsel Heidegger und die Lösung der sieben Siegel der Sakramente (Taufe, Firmung, Buße, Eucharistie, Priesterweihe, Ehe, letzte Ölung).
Die Vorstellung, daß kanonische Werke bestimmte „Werte verkörpern“ (Assmann), ist eine ausgesprochen autoritäre Vorstellung.
Hat der musikalische Begriff des Kanon etwas mit dem literarisch-„kulturellen“ zu tun?
Ist nicht der „Komplexitätsschub“ im griechischen fünften Jahrhundert (S. 123) eine Verharmlosung eines weit ausgreifenderen Sachverhalts (Krise des Mythos, Ursprung der Philosophie und des Weltbegriffs)?
Identität als kulturelle Identität, Ich-Identität, kollektive Identität (S. 127).Assmann, Baader, Benjamin, Christentum, Gould, Halbwachs, Hegel, Kohl, Lukacs, Lyell, Mao, Musik, Philosophie, Rosenzweig, Sexualmoral, Velikovsky -
01.12.92
Die Hegelsche Philosophie wird erst dann ganz begriffen, wenn man in ihr das Moment der selbstzerstörerischen Selbstreferenz erkennt, mit der Welt als Subjekt und dem Weltgericht als Substanz; das Absolute erweist sich als ein durch das Gericht sich konstituierendes und erhaltendes Absolutes. Dieses Absolute ist die reine Inkarnation dessen, was die Prophetie den Taumelkelch, den Kelch Seines Zorns nannte.
Nicht die Überlebenden (die Geschichte, das Ausland oder die Welt), die Toten werden uns richten.
Es ist die Schuld der Väter, die die Sünden der Mutter als reine schuldbeladene Materie objektiviert und damit unaufhebbar macht.
Die Sünden der Welt auf sich nehmen, heißt die Hoffnung aus der trüben Mischung von Herrschafts- und Eigeninteressen herauslösen.
Im Gegensatz zur verdinglichenden Gewalt des Lachens hat das Weinen eine lösende Kraft.
Wir sind in einem sehr viel tieferen und weit schlimmeren Sinne Hegelianer als wir es wissen: Das Ich ist herabgesunkenes Kulturgut, eine Emanation des Hegelschen Absoluten, und so benimmt es sich auch. Die Natur, die die Idee als das Absolute frei aus sich entläßt, ist die fremdenfeindliche Mordlust, Erbe der christlichen Opfertheologie, als deren bewußtlose Projektionsfolie der moderne Naturbegriff sich erweist. Natur ist Xenophobie.
Gegen Baader: Die Hegelsche Philosophie ist nicht das Auto da Fe der bisherigen Philosophie, sondern nur der errichtete Scheiterhaufen, der auf den zündenden Funken wartet.
Das Ne-Utrum ist die Leugnung der Differenz zwischen den oberen und den unteren Wassern. Deshalb steht am Anfang der Philosophie der Satz „Alles ist Wasser“. Hier konstituiert sich das „Alles“, ohne das es die Philosophie nicht gegeben hätte.
Die Geschichte der Philosophie und ihre Potenzierung in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung ist in dem gleichen Maße, in dem sie die Geschichte des Erkenntnisprozesses ist, auch die eines universalen Verdrängungsprozesses. Eine nicht unwesentliche Rolle in diesem Gesamtprozeß spielt die christliche Theologie.
Ist nicht Hegels Wort vom Aberglauben des Verstandes ebenso ambivalent wie das von der falschen Zärtlichkeit für die Welt?
Benjamins Wort, daß die Theologie heute klein und häßlich sei und sich nicht dürfe blicken lassen, ist inzwischen vom Fortschritt überholt. Die Theologie ist zum Opfer des Weltgerichts geworden, und diese Abtreibung und Zerstückelung der Theologie wird von der Kirche nach draußen projiziert und (als Sünde der Abtreibung) an den Frauen verfolgt.
Die Philosophie ist das Flechten von Schurzen aus Feigenblättern, das aber mit der gleichzeitig sich beschleunigenden Entblößung nicht Schritt halten kann. Die Geschichte des Feigenblatts endet in der Hegelschen (oder auch der Heideggerschen) Philosophie, der vollendeten Entblößung. Philosophie ist der vergebliche Versuch, die Blöße zu bedecken, die sie selber produziert. Sie ist Teil der Geschichte der Exkulpationsrituale. Die Welt ist eine Fortentwicklung des Feigenblatts.
Diskussion des Zeitbegriffs, der Vorstellung der homogenen Zeit, an der Hegel richtig das Moment des Sollens bemerkt, des – wie Baader es nannte – tantalischen Strebens, sich an das grundsätzlich unerreichbare Ende der Zeitreihe zu setzen. Indem ich mich der Zeit bediene, sie instrumentalisiere, unterwerfe ich mich ihr. Das verhext die gesamte Chronologie, sowohl die der Menschheits- als auch die der Naturgeschichte. In den Verstrickungen des logischen Aberglaubens des Verstandes hat sich das Subjekt verfangen. Das Heideggersche Geschick des Seins ist die späte Rache der mit dem Ursprung des Begriffs verinnerlichten Schicksalsidee.
Wenn es zum Herrendenken keine Alternative gibt, ist der Aufruhr der Rechten unvermeidbar. Und wenn es nur den auf Selbstexkulpation, nicht auf Gerechtigkeit abgerichteten Rechtsstaatspositivismus gibt, dann ist der Staat gegen rechts hilflos.
Das Zölibat ist der zwangslogisch in der Rezeption des Weltbegriffs begründete und insoweit durchaus konsequente Versuch, die Übernahme der Sünden der Welt, den Kern einer theologisch verstandenen Keuschheit und in dem Sinne das Zentrum des Christentums, durch eine neutralisierte und biologisch verdinglichte Keuschheit zu ersetzen. Seine Zwangslogik ist die der säkularisierten Projektions- und Entschuldungsmechanismen. Deshalb ist das Zölibat die schlimmste Verletzung des Keuschheitsgebots.
Auch die Sexualmoral ist Produkt der Neutralisierung. Das Ne-Utrum, das darin enthalten ist, setzt die Verdrängung des politischen Sinns der Sexualmoral voraus und stabilisiert sie.
Die Unzucht des Seins: Die Kopula heißt nicht umsonst Kopula: die Vergewaltigung der Erkenntnis durch die Urteilsform. Welt ist ein obszöner Begriff, und die vergewaltigte Schöpfung heißt Natur.
Wenn die Sonne im Westen untergeht, zieht sie einen roten Vorhang vom Osten her über den azurnen Himmel, hinter dem sich die Finsternis öffnet, in der die Sterne erscheinen. -
30.11.92
Der Satz des Thales „Alles ist Wasser“ ist ein prophetischer Satz. Er beschreibt das Schicksal der gesamten Philosophie.
Mit dem Satz „ens et unum convertuntur“ wurden das Neutrum und der Weltbegriff abgesichert.
Ist der Dualis die Vorstufe des Neutrum, ist das ne utrum durch Negation aus dem Dualis hervorgegangen? Und kann es sein, daß der Dualis in einer kritischen Beziehung zum Akkusativ steht, daß er das Moment des verteidigenden (gegen die identifizierende Gewalt des Akkusativ gerichtete) Denken noch in sich enthält? Hängt das lateinische Akkusativ-m (-um, -am) mit dem hebräischen Dualis-m (-jim) zusammen? Und ist die Negation, die den Dualis in das Neutrum umgewandelt hat, durch die Futurbildungen (durchs Herrendenken) in die Sprachstruktur hereingekommen: durch das Abschneiden der Utopie, durch die Sünde wider den Heiligen Geist (die Sünden der Welt als Folge der Sünde wider den Heiligen Geist)? Und dieses Negative, diese Negation drückt sich in einer Fülle von Strukturen aus: vom Weltbegriff über den Begriff des Seins bis hin zu den subjektiven Formen der Anschauung; theologisch wird es durch die Schlange und durch die Teufelsnamen, vom Ankläger über den Verwirrer bis zum Dämon, symbolisiert. (Beziehen sich darauf nicht auch die drei Versuchungen Jesu; und sind die drei Leugnungen nicht prophetische Hinweise darauf, daß die Kirche diesen Versuchungen erliegen wird?
Hängt der Ursprung des Neutrum mit all seinen Konnotationen mit der Geschichte der Entdeckung des Winkels in der Geometrie zusammen? Und steckt nicht in allen mit orthos zusammengesetzten Begriffen, von der Orthogonalität bis hin zur Orthodoxie, etwas von dieser neutralisierenden, verweltlichenden Gewalt (hängen etwa der Turmbau von Babel und der Name des Pharao mit dem Problem der architektonischen Beherrschung der Raumverhältnisse zusammen)?
Kann es sein, daß der Name des Pharao mit dem Prozeß der Neutrums-Bildung zusammenhängt, so daß es kein Zufall wäre,
– wenn die Anpassungstheologen wie Küng und Drewermann auf ägyptische Konzepte zurückfallen, und
– daß die Unsterblichkeitstheologie in Ägypten ihren Ursprung hat.
Gewinnen vor diesem Hintergrund nicht die Ägypten-Geschichten von Abraham und Sara über den Josefs-Roman bis zu Exodus-Geschichte einen anderen Sinn? Ägypten: das Sklavenhaus mit den Fleischtöpfen.
Beziehen sich drei inhaltlichen Bestimmungen des Hebräer-Namens: Kleinviehnomaden, Sklaven und Söldner, nicht auf die drei Völker: Babel (Ur in Chaldäa), Ägypten und die Philister?
Sind Idolatrie, Sternendienst und Opferdienst Hilfsmittel zur Begründung und Durchsetzung indogermanischer Sprachstrukturen, Hilfsmittel zur Durchsetzung jenes hypostasierenden und objektivierenden Denkens, das vermittelt ist über die Bildung des Futur II und des Neutrum, sowie der Kasus Genitiv und Dativ? Das Ganze im Kontext von Herrschaftsgeschichtlichen Zusammenhängen: Städtegründung, Ursprung der Institutionen des Priester- und Königtums, des Tempels (Religion und Wirtschaft), Ursprung der Schrift und des Geldes.
Was bedeutet der Wortstamm in dem Volksnamen mizrajim, und woher kommt und was bedeutet der Name der Philister?
Gegen Velikovsky und seine Nachfolger: Nach Auschwitz sollte es eigentlich möglich sein, auch gesellschaftliche Naturkatastrophen sich vorzustellen. Das Problem und Schwierigkeit scheint nur darin zu liegen, daß unser Bewußtsein mit einer Gewalt von Rechtfertigungszwängen beherrscht und durchdrungen ist, die durch den naiven Gebrauch des Weltbegriffs in den historischen Prozeß verflochten sind, daß es dadurch in einer Weise gehemmt und behindert ist, die es außerordentlich schwer macht, diese Hemmnisse real zu durchschauen. Da ist der Velikovskysche kosmische Konkretismus leichter zu akzeptieren.
Steckt in dem Benjaminschen Wort, daß heute alle entscheidenden Schläge mit der linken Hand geföhrt werden, ein verstecktes Zitat aus dem Buch der Richter?
Nochmal Jericho, Sodom und Gibea: Alle drei Städte wurden zerstört, aber auf verschiedene Weise:
– Jericho durch die Posaunen-Prozession um die Mauern der Stadt,
– Sodom durch Feuer und Schwefel und
– Gibea durch die restlichen elf Stämme Israels (mit der Stadt wurden zugleich die Frauen und Kinder der Benjaminiter vernichtet).
Ähnelt das Ergebnis der Zerstörung Gibeas nicht dem Ursprung Roms: die Bildung einer frauenlosen Männerhorde, die erst durch Frauenraub ihr Fortbestehn sichern können; außerdem ist Benjamin ein reißender Wolf, und Romulus und Remus wurden durch eine Wölfin ernährt.
Müssen wir nicht in der Begründung des Wortes „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, in diesem Nichtwissen endlich uns selbst wiedererkennen, anstatt dieses Bewußtsein unter den Rechtfertigungszwängen, die dieses Nichtwissen selber begründen, zu verdrängen. Christ kann nur sein, wer das Erschrecken über dieses Nichtwissen erfahren hat. Und ist auf das Wort im letzten Satz des Buches Jona noch Verlaß; sollten wir nicht endlich lernen, rechts und links wieder zu unterscheiden? Wenn man dem Buch Tobias glauben darf, wird Ninive am Ende doch zerstört. Aber zuvor wird Tobias, der die Toten begrub, von der Blindheit geheilt.
Woher kommt der Name Anatolien (die Weisen haben den Stern in Anatolien gesehen)?
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie