Berkeley

  • 27.01.92

    Die kopernikanische Wendung hat das, was Adam Smith in der Ökonomie die „invisible hand“ genannt hat, in der Natur als eine Instanz etabliert, die sich dann bei Kant als das transzendentale Subjekt enthüllt.
    Die auftrumpfende Bescheidenheit des deutschen Idealismus.
    Ist ein „Kronzeuge“, der in den Händen eines vom Verfassungsschutz beauftragten Therapeuten war, überhaupt noch in der Lage, die Aufgabe eines Kronzeugen wahrzunehmen?
    Das Verhältnis von Idee und Begriff hat Teil an dem Verhältnis von „Im Angesicht“ und „Hinter dem Rücken“. Nur durch seine Beziehung zu den Ideen gewinnt der Begriff seine benennende Kraft.
    Das „liberum arbitrium“ ist Indiz für eine Gesellschaft, die rechts und links nicht mehr unterscheiden kann. Die Wahlfreiheit setzt Verhältnisse voraus, in denen ich frei wählen kann, ob ich ein Auto, einen Fernseher oder eine Waschmaschine kaufe; und er setzt ein Weltverständnis voraus, in dem ich mich im Raum frei nach allen Seiten wenden (und bewegen) kann, in dem die Freiheitsgrade des Raumes für mich (unter den Prämissen der Geldwirtschaft, und sei es der Schuldknechtschaft) real geworden sind. Das „liberum arbitrium“ hat sowohl die Geldwirtschaft als auch das Inertialsystem zur Voraussetzung.
    Die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele ist insoweit falsch, als sie die Vorstellung mit enthält, daß man für sich allein selig werden könne. Sie genetisch von der Hades-Vorstellung nicht zu trennen.
    Mit jeder Häresie hat die Kirche auch ein Stück ihrer selbst verurteilt. Und jede Häresie war ein Hinweis auf ein Unaufgelöstes in der Kirche selbst, das sich dann mit der Verurteilung der Häresie auch verhärtet hat, unkenntlich gemacht wurde. Sofern es doch wahrgenommen wurde, blieb diese Wahrnehmung punktuell, folgenlos.
    Gibt es außer im Buch Jona noch andere Schiffskatastrophen in der Schrift (außer bei Paulus auf dem Wege nach Rom).
    Ist die Gottesknecht-Vorstellung nicht auch ein Hinweis auf den Charakter und die Bedeutung der „hebräischen“ Schrift?
    „Das Heil kommt von den Juden“: das sagt Jesus zur Samariterin.
    Hängt die „Erschaffung“ der Seetiere damit zusammen. daß nur der Vater den Tag und die Stunde kennt?
    Die Mathematik und die Naturwissenschaften verhärten sich, bevor die Stimme das Ohr erreicht.
    Der Begriff der Materie enthält die Erinnerung an die Geschichte des Mordes und der Opfer.
    Nietzsches Lehre von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ ist die moderne (verinnerlichte) Variante des antiken Sternendienstes: Die Anbetung des sinnlosen Kreisens der Planeten. Es ist das Herrendenken, das zwangsläufig in den Götzen- und Sternendienst hineinführt, und in dessen Bannkreis kein Weg herausführt. Insofern gehören der Wille zur Macht und die Idee der ewigen Wiederkehr des Gleichen zusammen.
    Es ist der ungeheure Anspruch des Christentums, daß durch das Leben und den Tod Jesu die Sünde der Welt hinweggenommen ist. Und es ist dieses Exkulpationsversprechen, dieses Versprechen, schuldfrei leben zu können, das die Menschen immer noch ans Christentum bindet. Aber der Grund und die Bedeutung dieses Versprechens wird durch die Theologie nicht mehr eingelöst. Es hat keinen rationalen Hintergrund mehr. Und das ist die Situation, in der die Drewermänner ihr Geschäft machen können.
    Drewermanns Kirchenkritik ist nicht prophetisch, sondern wird durch die Struktur des Schuldverschubsystems bestimmt, das ohne Projektion nicht funktioniert.
    Die Kirche hat ihr Herrschaftssystem u.a. dadurch begründet und etabliert, daß sie das Mitleid von den real Armen und Bedrängten auf sich selbst umgeleitet hat. Das war nur möglich im Rahmen und auf der Grundlage des Schuldverschubsystems. Sie hat damit in sich selber und in den Gläubigen den Keim des Selbstmitleids eingepflanzt. Ein Opfer dieses Selbstmitleids ist Drewermann, der diese Mechanismen phantastisch beherrscht und das für Psychotherapie hält. Ist nicht Drewermann Ausdruck einer Gefahr, die ihre Wurzeln nicht in ihm, sondern in der Kirche hat, und deren erstes Opfer selber ist?
    Drewermann versucht die vermeintlich exkulpatorische Kraft des Bekenntnisses (die es erst durch die Annahme des Bekenntnisses seitens des Opfers wird) durch Privatisierung zu retten. Er hat etwas von einem Theologen der freien Marktwirtschaft (ein Ludwig Erhard der Kirche: auch sein Konzept war nur eine Währungsreform).
    Gibt nicht Kohl der raf im Nachhinein recht, wenn er den ermordeten Rohwedder in die Tradition der Göringschen Treuhand-Gesellschaft stellt (übrigens der gleiche Kohl, der selber von jenem Herrn Ries gesponsert worden ist, der selbst ein Nutznießer der ersten Treuhand-Gesellschaft war).
    Es kommt darauf an, die erkenntniskritische Tradition, die von Berkeley über Locke und Hume bis Kant und Ernst Mach die Naturwissenschaft kritisch begleitet hat, endlich auf den Punkt zu bringen, an dem sie greift.
    Gibt es ein Konsens-Ideal ohne Feindbild? Ist der Konsens ein erstrebenswertes Ziel (sofern nicht die eigene wissenschaftliche Karriere davon abhängt)? Würde es nicht auch mit dazugehören, daß man begreift, daß es Fragen gibt, zu denen es keine konsensfähige Antwort gibt? Kant hat das reflektiert in seinen Antinomien der reinen Vernunft. Das Problem, das Kant hier angesprochen hat, ist eigentlich nie wirklich aufgearbeitet worden, auch von Hegel durch Harmonisierung eher verdrängt als gelöst worden. Die Hegelsche Verarbeitung war an den affirmativen Gebrauch der List gebunden („das Eine ist das Andere des Anderen“); genau damit hat Hegel das verbleibende kritische Moment neutralisiert.
    Darin liegt die große Bedeutung des Begriffs der Gottesfurcht, daß er in die Lage versetzt und den Grund dafür liefert, daß auch Schuld Gegenstand der Reflexion ist, und daß auch Diskonsens auszuhalten und zu ertragen ist. Die Fragen, die die Kantischen Antinomien der reinen Vernunft aufwerfen, sind dann (z.B. hinsichtlich des Raumes zugunsten der Verstellung seiner unendlichen Ausdehnung) nach dem Prinzip Bequemlichkeit gelöst worden, nicht nach dem Anspruch der Vernunft.

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