Dritte Person: Wer die „zwischenmenschlichen Beziehungen“ privatisiert, sie auf Beziehungen zwischen erster und zweiter Person reduziert (auf das Schema der „Begegnung“), macht Gott zur dritten Person, zu einem, über den man reden kann. Er macht die Theologie zur Theologie hinter dem Rücken Gottes. In dieser Konstellation sind die Menschen zwar „nett zueinander“, das aber nur, weil sie entschlossen die Folgen dieses Nettseins nicht mehr wahrnehmen. – Vgl. hierzu Walter Bindemann „… Gutes tun und leihen …“ (in Füssel, Segbers „… so lernen die Völker des Gerechtigkeit“, S. 259ff): Anstatt aus den Texten über das Leihen und Zinsnehmen die Verhältnisse, aus denen sie stammen, herauszulesen, werden sie unmittelbar auf die Gegenwart, auf die sie nicht passen, angewandt. Vergessen wird, daß zwischen den biblischen Texten und uns zweitausend Jahre Christentum liegen.
Macht nicht Walter Bindewald die Feindesliebe zu einer Gesinnungsfrage, weil er das Strukturproblem (das gesellschaftliche Problem), das in diesem Gebot steckt, und auf das dieses Gebot die Antwort ist, nicht sieht?
Der Glaube an die magische Macht der Verurteilung, der dem Satz „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ zugrunde liegt, ist ein Teil der Bekenntnislogik (des Feigenblatt-Syndroms). Er verhindert heute das Begreifen dessen, was unterm Nationalsozialismus in Deutschland geschehen ist, und versperrt so den einzigen Weg, auf dem die Wiederholung des Grauens sich ausschließen läßt. – Die Diskriminierung des „Negativismus“ der kritischen Theorie steht unter dem Bann einer säkularisierten Bekenntnislogik; deshalb brauchte Habermas seinen „Verfassungspatriotismus“: um dem Bekenntnis einen Inhalt, der Bekenntnislogik ein Objekt zu geben.
Am Modell eines Naturschutzes, der heute der Verwaltung übertragen wird, lassen sich das Konstrukt und die Folgen der Ideologisierung des Unschuldstriebs demonstrieren: Die Wachteln, die Libellen und der Enzian werden ideologisiert, um den Allmachtsphantasien der Verwaltung das Alibi und den nötigen Freiraum zu verschaffen.
Mit dem Schwur wurden in der altorientalischen Welt Verträge besiegelt; deshalb waren die Tempel der Ort, an dem Verträge abgeschlossen wurden: im Angesicht der Götter, die als Zeugen angerufen wurden. Der Schwur besiegelte die wechselseitige Selbstbindung zweier Partner (war die hierbei zwangsläufige Instrumentalisierung der Götter nicht das Objekt des prophetischen Vorwurfs der Idolatrie und der Hurerei?). Mit der Anrufung des Gottes wurde sein Gericht auf den herabgerufen, der den Vertrag verletzte. Der Staat hat dieses Instrument der Sanktionierung der Vertragsverletzung in der Ausbildung des Rechts dann rationalisiert und selber instrumentalisiert.
Die subjektiven Formen der Anschauung, das Geld und die Bekenntnislogik konstituieren die private Welt. Ist nicht das Private der Spiegel des nationalistisch gewendeten Politischen?
Bindemann
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25.4.96
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