Blut

  • 20.9.1994

    Drückt in den Wendungen, mit denen heute nicht selten Reflexionen eingeleitet werden, wie „ich denke“ oder „ich würde sagen“ nicht eine Konsequenz aus der Logik der Schrift sich aus, die heute zu einer Gestalt der Selbstausbeutung geworden ist? Als Erbschaft der Logik der Schrift findet jeder im eigenen Innern eine Autorität vor, der niemand mehr entweichen kann, und vor der jede Äußerung durch den Vorbehalt des „ich denke“ oder „ich würde sagen“ vorsorglich sich exkulpiert. Während die Philosophie, und später auch mit dem Dogma die Theologie, dieser Autorität sich unterwirft, sie als Maß des eigenen Denkens akzeptiert, ist es die Prophetie, die im „Spruch des Herrn“ die Wolken der Logik der Schrift als Blitz durchschlägt. Erhob nicht der Logos, das „Wort Gottes“, den Anspruch, die Verkörperung dieses „Spruchs des Herrn“ zu sein?
    Wann und in welchem Kontext ist das kreisende Schwert des Kerubs zum zweischneidigen Schwert geworden? Hat das etwas mit dem Ursprung der Weltreiche (und mit dem Schwert, mit dem Alexander den gordischen Knoten durchschlagen hat) zu tun?
    Im Begriff der Spekulation steckt ein dezisionistisches Element (wie in seiner Anwendung aufs Geldgeschäft ein schicksalhaftes): das Abbrechen der Reflexion. Es käme darauf an, auch die Spekulation (und ihr Produkt, das Absolute) der Reflexion zu unterwerfen.
    Das Absolute ist der Korken auf der Flasche, in der der Geist gefangen ist.
    Wie sind Deklination und Konjugation auf einander bezogen, verhalten sie sich nicht invers zu einander? Diese inverse Beziehung begründet das projektive Element (das Moment der logischen Selbstbegründung) der Sprache: die Deklination lähmt die Sprache, die Konjugation macht sie blind. Die „verandernde Kraft“ des Wortes „ist“, der Kopula, gründet darin, daß sie das verbale Element (den Ausdruck der Tätigkeit) in ein begriffliches umformt, es zu einer dinglichen Eigenschaft des Subjekts macht. Das Sein verwandelt das Handeln in ein Geschehen (macht die Ethik zur Ontologie).
    Drückt nicht die Beziehung der beiden Dreiecke im Bild des Sterns der Erlösung, der am Ende als Antlitz sich enthüllt, die Beziehung von Deklination und Konjugation aus (läßt die Beziehung von Deklination und Konjugation am Angesicht sich ablesen)?
    Eine der wichtigsten Funktionen der Logik der Schrift (der Urteilslogik) ist die ihr einbeschriebene Exkulpationsautomatik (Zusammenhang der Grenze der Beweislogik mit dem Schuldverschubsystem).
    Die Urteilslogik ist der Kern der Logik der Schrift; in der Objektivität hat sie sich mit den subjektiven Formen der Anschauung verankert.
    Die christliche Theologie hat die Kritik der Logik der Schrift selber wieder der Logik der Schrift unterworfen.
    Der Zusammenhang der Offenbarung mit der Kritik der Logik der Schrift manifestiert sich im Namen der „hebräischen“ (Schrift)-Sprache. Zum Kontext der Kritik der Logik der Schrift gehören insbesondere die Symbole der Schlange, des Kelches und später auch des Kreuzes (bezieht sich nicht das Kreuzessymbol auf das Deklinationssystem?).
    Liegt das Konstruktionsprinzip des Turmbaus zu Babel in der Logik der Schrift?
    Die Naziparole „Blut und Boden“ hat ihren Grund in der mythisierten (heroisierten) Opfertheologie, sie ist eine Konsequenz aus der Subsumtion der Opfertheologie unter die Logik der Schrift.
    Das „Praestet fides supplementum, sensuum defectui“ ist der genaueste Ausdruck der Rezeption des Dingbegriffs in der Theologie. Das Ding ist kein Gegenstand der Sinne, sondern Produkt der projektiven Kraft der transzendentalen Logik. Die katholische Theologie hat sich bis heute aus diesem Bann nicht befreien können.
    Sprache und Gestik: Deutsch wird mit der Hand in der Hosentasche gesprochen (sie ist gefangen in ihrer reinen Sprachlogik); das wäre in keiner der romanischen Sprachen möglich (die ohne ihre sinnliche Realisation stumm wären). Der Ursprung des Deutschen liegt in der Kanzleisprache, die Luther zur Sprache der Bibel gemacht hat. Der Versuch, in der deutschen Sprache aus der Sprachlogik auszubrechen, führt direkt in den Kannibalismus (Hitler), während er in der italienischen Sprache in die Operette führt (Mussolini).
    Die deutsche Sprache ist die Sprache des „Grauens um und um“, erkennbar an der Funktion und grammatischen Ausgestaltung des bestimmten Artikels.

  • 6.9.1994

    Gründe zur Skepsis bei Duchrow:
    – In den Bemerkungen über Luther bemerkt er nicht, daß ein Unterschied besteht zwischen der Kritik des (in die Fundamente der Gesellschaft mit eingebauten) „Wuchers“ und der (bloß moralischen) Verurteilung des „Wucherers“: zwischen dem Problem und seiner Personalisierung; vgl. hierzu das Verhältnis Jesu zur „Steuerfrage“ und seine Beziehung zu den „Zöllnern“.
    – Schließt nicht die Personalisierung gesellschaftlicher Probleme immer ein projektives Element mit ein; ist sie nicht nur verständlich im Kontext von Exkulpationsstrategien?
    – Ist nicht die Personalisierung ein Teil der Verdinglichung, und ist diese nicht ein christliches Erbe (das Ferment der Selbstzerstörung des Christentums)?
    – Gibt es Wirtschaftsstrukturen, die zum Leben, und Wirtschaftsstrukturen, die zum Tode führen, läßt sich das so „klar“ trennen?
    – Was versteht er unter der „Gottesfrage“ und unter einem „funktionierenden Gott“?
    – Bezeichnet nicht die „Nische im Perserreich“ genau die Falle, in die Duchrow hineinrennt? Es unterstellt ein Stück Absicht und Planung (und hängt so mit der projektiven und zugleich paranoiden Logik der Personalisierung zusammen), während es die Irrationalität der Realität bestätigt.
    – Erst die Logik der Verdinglichung macht eine spontane Aktion zum Gegenstand einer Organisation (Verwaltungsdenken). Wiederholen sich darin nicht zwangshaft die Strukturen der Entstehung der Kirchen, des Dogmas und der Bekenntnislogik (Zusammenhang mit der Vergegenständlichung als und durch Geschichte)?
    – Verweist nicht der häufige Gebrauch des Begriffs „Zeichen“ auf den Zusammenhang des symbolischen Politikverständnisses mit der Bekenntnislogik (auf die Konstruktion des Schuldverschubsystems)? Das „Zeichen setzen“ drückt das Einverständnis mit dem Wertgesetz aus. „Zeichen“ sind die Buschtrommeln im Dschungel der entfremdeten Welt; sie sprengen nicht das Gesetz der entfremdeten Welt. Dagegen hilft nur eine rückhaltlose, von allen apologetischen Zwängen freie Erkenntnis. Jonas ist nicht nach Ninive gegangen, um alternative Gemeinschaften zu begründen, er hat nicht einmal zur Umkehr aufgefordert, sondern nur verkündet: In vierzig Tagen wird Ninive zerstört.
    Zusammenhang von Projektion und Paranoia.
    Die Trennung von Realität und Sprache, Produkt der Urteilsform, gründet in den subjektiven Formen der Anschauung. Beide gründen im Gewaltmonopol des Staates, zu dessen Ursprungsgeschichte sie gehören. Die Befreiung von den sieben unreinen Geistern und die Lösung der sieben Siegel ist die konkrete Kritik des Gewaltmonopols des Staates und der Trennung von Sprache und Realität (die Bedingung der Erfüllung des Worts).
    Die „invisible hand“ ist der Inbegriff der Gewalt, die hinter unserm Rücken sich aufrichtet (des Weltbegriffs, der „Sünde der Welt“). Deren Reflexion ist die einzige Möglichkeit, nicht zum Opfer ihrer Verstrickungen zu werden.
    Ist die „invisible händ“ nicht die Hand, die das „mene, tekel u pharsin“ an die Wand schreibt?
    Bleibt die Kritik der „Geldvermehrungswirtschaft“ nicht abstrakt, wenn man zugleich die Umsatzsteigerungen als Rechtfertigung alternativer Wirtschaftsformen benützt? Wer die Alternativen so am Realitätsprinzip mißt, ist schon in dem System gefangen, das er zu kritisieren meint.
    Die Freude, die Duchrow den „Gemeinschaften“ zuschreibt, hängt mit dem Zeichensetzen logisch zusammen: sie gleicht der Euphorie, die zur Verdrängung der Agonie gehört (Ende der Bekenntnislogik).
    Ist der Blutacker (hakeldama) das Symbol der Subsumtion des Ackers unters Tauschprinzip? Adam: mit dem Acker wird auch der Mensch unters Tauschprinzip subsumiert (gemeinsamer Ursprung der „Befreiung“ des Ackers aus seiner theologischen Bindung, der Schuldknechtschaft und Sklaverei, und der Lohnarbeit). Hängt nicht das faschistische „Blut und Boden“ mit dem hakeldama zusammen, und was drückt es eigentlich genau aus? Ist dieses Blut nicht das Blut der „Helden“, die den eigenen Boden verteidigt und fremdes Land erobert haben: Grund der staatlichen Eigentumsnahme? Und was hat das mit Judas Iskarioth, dem Verrat Jesu und mit den Hohepriestern zu tun? War nicht die erste Leugnung Petri die Leugnung vor der Magd des Hohepriesters?
    Skinheads: die Engel des Hegelschen Weltgerichts. Deshalb gehören Friedhof- und Gräberschändungen zur Einübung rechtsextremer Gewalt.

  • 23.8.1994

    Ist die Logik der Schrift idealistisch und männlich: die Sünde der Welt?
    Die Existenz der Kirche ist der Beweis dafür, daß die Sünde wider den Heiligen Geist in dieser Welt nicht vergeben wird.
    Die Vorstellung einer homogenen Zeit ist ein Produkt des Seitenblicks; zu ihrer Ursprungsgeschichte gehört die Geschichte der Verinnerlichung des Schicksals und der Scham. Hiermit hängt es zusammen, wenn in der Johannes-Apokalypse die prophetische Verknüpfung des Taumelbechers mit dem Kelch des göttlichen Zorns ergänzt wird durch den Unzuchtbecher. Dokumentiert wird diese Geschichte in der Geschichte des Ursprungs der Raumvorstellung, in dem Prozeß, in dem der Raum zur subjektiven Form der äußeren Anschauung geworden ist (von der griechischen Winkelgeometrie, der Entdeckung der Orthogonalität, zum modernen Inertialsystem). Es sind die subjektiven Formen der Anschauung, die zur Bindung der Erkenntnis an die Urteilsform keine Alternative mehr zulassen, und die dann das Sprachverständnis bis in den Kern verhext haben (Trennung der Welt da draußen von der Sprache in meinem Kopf, die doch diese Welt da draußen zugleich fürs Bewußtsein organisiert: das Kelch-Symbol und sein Sprachgrund).
    Liegt nicht das Problem der Blutsymbolik im Problem des Kelchs. Wenn das Blut in den Taumelkelch, in den Kelch des göttlichen Zorns mit hereingenommen wird (wenn es zu den subjektiven Formen der Anschauung und zum Reich der Erscheinungen keine Alternative mehr gibt), wird dieser Kelch zum Becher der Unzucht. Darauf bezieht sich das Paulus-Wort, daß, wer diesen Kelch unwürdig trinkt, sich das Gericht trinkt: Die Opfertheologie hat den Kelch des göttlichen Zorns zu einem Becher der Unzucht gemacht. Die Sünde der Welt reicht bis in den Kern der christlichen theologischen Tradition herein.
    Daß der Menschensohn zur Rechten des Vaters sitzt, heißt das nicht, daß die Erfüllung des Wortes und die Befreiung der göttlichen Barmherzigkeit zusammenfallen?
    Die Reflexion der Sexualmoral, die mit Adornos erstem Gebot der Sexualmoral: der Ankläger hat immer unrecht, beginnt, führt unmittelbar in die Herrschaftskritik: in die Heiligung des Gottesnamens.
    Beim gegenwärtigen Stand der Aufklärung gibt es zu Jer 3134 keine Alternative mehr. Zielt nicht Reinhold Schneiders „Allein den Betern kann es noch gelingen“ auf dieses Ziel, auf die Erfüllung des Wortes; und enthält es nicht die einzig noch zulässige Version des Gebets?
    Was die drei jüdischen Heroen der Wissenschaftskritik, Marx, Freud und Einstein, verbindet (und das „Scheitern“ in ihren Konstrukten vorprogrammiert), ist ein positivistisches Moment:
    – bei Marx der Rekurs aufs Tauschprinzip, ohne das die Kapitalismuskritik nicht möglich gewesen wäre,
    – bei Einstein der Rekurs aufs Relativitätsprinzip, ohne den das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht formulierbar gewesen wäre, und
    – bei Freud die Verwerfung des Gedankens an die Realität der Erinnerung von Frauen und Kindern an sexuellen Mißbrauch; nur so war es möglich, das Hysterie- und damit das Neurose-Konzept der Psychoanalyse auf eine „solide“ begriffliche Grundlage zu stellen.
    Bezeichnet nicht der Naturbegriff die sieben Plagen und der Weltbegriff die sieben Donner (die Johannes nicht aufschreiben durfte)?
    Hätte Hegel den Übergang vom Sein zum Nichts anstatt als Werden als Vergehen begriffen, so wäre die Hegelsche Logik schon an ihrem Ende gewesen. Aber war das nicht die Situation, in der Heidegger sich vorfand, der versucht hat, diesem Vergehen dadurch zu entkommen, daß er es zur Zeit neutralisierte? Und ist nicht Heidegger, im Gegensatz zu Hegel, der ein sehr protestantischer Philosoph war, ein sehr katholischer Philosoph? Hegel war der Philosoph des Taumelbechers und des Bechers des göttlichen Zorns, Heidegger der des des Bechers der Unzucht.
    Verhalten sich nicht Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit bei Heidegger wie das Vorhandene und das Zuhandene oder wie Unmittelbarkeit und Reflexion? Die Eigentlichkeit ist die starr festgehaltene Unmittelbarkeit, die Uneigentlichkeit die gleiche Eigentlichkeit als Gegenstand der Reflexion, und das Ganze nur ein taktisches Verfahren, das Objekt der Ontologie dadurch emphatisch aufzuheizen, daß es der Reflexion entzogen wird, und so die Ontologie gleichsam unangreifbar zu machen (Konstruktion des automatisierten Denkverbots).
    Die christliche Idee der Liebe ist zu einem Attribut des Herrschafts- und Besitztrieb geworden, wie auch die Bekenntnislogik Gott selbst zum Gegenstand dieses Herrschafts- und Besitztriebs gemacht hat (Domestikation Gottes durchs Opfer: Religion als Religion für andere).
    Wenn im neuen Weltkatechismus von der „Natur des Menschen“ gesprochen wird – und es wird sehr oft davon gesprochen -, dann folgt mit Sicherheit eine Gemeinheit, deren einziger Zweck darin besteht, das Vormundschaftsrecht der Kirche abzusichern.
    Hegel hat den Bann des Weltbegriffs reflektiert, er hat ihn nicht gelöst.
    Sind nicht die sogenannten Anziehungskräfte Produkte der Zeitdilatation, der Relativierung der Gleichzeitigkeit.
    Reversibel sind die Richtungen des Raumes nur für die Reflexion, nicht real.
    Die Finsternis über dem Abgrund ist der Gegenstand der Trauerarbeit (und die Trauerarbeit die Tätigkeit des über den Wassern brütenden Geistes).
    In ihrer gegenwärtigen Phase produziert die Aufklärung das Chaos, aus dem die zuküntige Welt zu erschaffen wäre. Oder anders: Heute produziert die Lokomotive den Abgrund, auf den sie mit wachsender Geschwindigkeit zurast. Gilt hierfür das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden?

  • 21.8.1994

    Liegt nicht zwischen physis und natura, zwischen Zeugung und Geburt (in der man „das Licht der Welt erblickt“), die Gebärmutter: die Barmherzigkeit, die Hysterie?
    Im Endeffekt hat das Christentum die Unsterblichkeit von der Auferstehung: das Wort von seiner Erfüllung getrennt.
    Ist es nicht das Selbst, das in der Hegelschen Philosophie überall seine Duftmarken setzt (und darin nicht die Sache, sondern – wie das Geld in den Waren – nur sich selbst wiedererkennt)?
    „Es (das Allgemeine in seiner Besonderung, in dem Urteile und der Realität) erhebt auf jeder Stufe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts und verliert durch sein dialektisches Vorgehen nicht nur nichts, noch läßt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich und bereichert und verdichtet sich in sich.“ (Logik II, S. 502, Hervorhebungen H.H.) Wird hier nicht der Erkenntnisprozeß als einer der Ausbeutung beschrieben, und erinnert die Beschreibung nicht zugleich an die „Arbeit“ des Geldes und der Banken?
    Ist nicht der euklidische Beweis das Modell und das Paradigma jeglichen Beweises, und worauf gründet er: Entspricht die Orthogonalität im geometrischen Beweis den Zeugen im Gerichtsbeweis, repräsentiert sie die Andern, die Gesellschaft, die Welt im Subjekt (und was haben die Märtyrer, die Blutzeugen, mit der Orthodoxie zu tun)?
    Unmittelbarkeit und Reflexion (oder Vergegenständlichung und Instrumentalisierung) sind durch die Orthogonalität (durch die Hereinnahme des Blicks des andern) auf einander bezogen.
    Wodurch unterscheidet sich die demonstratio von der monstratio? Was hat die Demonstration (und insbesondere sein historischer Ursprung: der Sieges-/Triumphzug und die Fronleichnams-Prozession) mit dem Beweis zu tun?

  • 16.8.1994

    Ist nicht die christliche Lehre von der unsterblichen Seele nur wahr im Kontext der Lehre von der Auferstehung, und verhält sich nicht die Seele zur Auferstehung wie das Wort zu seiner Erfüllung?
    Hat die Vorstellung, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels wiederkommen wird, etwas damit zu tun, daß am Ende der Himmel wie eine Buchrolle sich aufrollen wird (und ist darin nicht das Problem der Logik der Schrift bezeichnet)?
    Ist nicht die am zweiten Tag geschaffene Feste, die die oberen von den unteren Wassern trennt und dann von Gott Himmel genannt wird, das Realsymbol der Logik der Schrift?
    Es hängt mit der Logik der Schrift und ihrer realsymbolischen Beziehung zum Himmel zusammen, wenn der Ursprung und die erste Entfaltung der Astronomie zu den historischen Konstituentien des Staates (der Organisation einer Gesellschaft von Privateigentümern) gehört. Haben die Wolken, auf denen der Menschensohn kommen wird, nicht auch eine politische Bedeutung?
    Hat der Menschensohn in den Wolken etwas mit dem Bogen in den Wolken zu tun (Zusammenhang mit der Blutsymbolik)?
    Die Heroen, die in der Schrift verewigt wurden, wurden an den Himmel versetzt (ihre säkularisierten Nachfahren sind die Stars).
    Wissenschaftskritik: die Hysterie der Alma Mater und die Idee der Barmherzigkeit.
    Jüdische Heidegger-Schüler waren Karl Löwith, Herbert Marcuse und Günther Anders (Stern), aber auch Hannah Arendt. Unterscheiden sie sich nicht doch erheblich von den Philosophen, die aus dem Neukantianismus kamen?
    Das Absolute ist die projektiv verschobene Erinnerung an den verdrängten Tod (der gekreuzigte Gott).
    Prophetie: der Blitz aus den Wolken der Logik der Schrift, ist das Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht (das Votum für die Armen und die Fremden).
    War nicht die falsche Übersetzung von Joh 129, zusammen mit der Opfertheologie und der Vergöttlichung Jesu, der Blitzableiter (die Selbstimmunisierung gegen die Prophetie)?
    Hat Off 132 (Panther, Bär und Löwe) etwas mit Hos 137f (und Dan 74ff) zu tun?
    Das Wort „Laßt die Toten ihre Toten begraben“ gilt für die ontologische Tradition unserer Theologie.
    Die Philosophie, und in ihrem Kern die Ontologie, ist die institutionalisierte Verletzung des Bilderverbots. Sie gehorcht (und verfällt) der Logik der Schrift.
    Tertullian hat das „homousia“ mit consubstantialis übersetzt. Aber sind das nicht zwei verschiedene Dinge: ob der Sohn das gleiche Wesen wie der Vater hat, oder ob Vater und Sohn eine gemeinsame Substanz haben? Hängt das zusammen mit anderen logisch-begrifflichen Verschiebungen, z.B. der von den hypokeimenoi zu den personae in der Trinitätslehre? Kann es sein, daß diese Verschiebungen mit den (die innere Logik und den Bedeutungszusammenhang der Begriffe verändernden) begrifflichen Verschiebungen von physis zu natura (und von kosmos zu mundus) zusammenhängen? Gründet die lateinische Version in einem Rechtsverhältnis (einem in Geburt oder Adoption begründeten Erbschaftsverhältnis) der Personen zur gemeinsamen Substanz, während die griechische Version auf die Mitteilung des eigenen Wesens an den Sohn durch Zeugung (auf eine gleichsam biologische Vererbung) zurückweist? Steht zwischen physis und natura, kosmos und mundus der Staat (das Römische Reich und die Substituierung der Kosmologie durch Politik)?
    Wenn die Welt der Inbegriff aller Begriffe (und die Natur der Inbegriff aller Objekte) in Urteilen ist, das Ich aber „der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist“ (Hegel, Logik II, S. 220), wird dann nicht die Einheit der Welt durchs Du widerlegt? Ist der Weltbegriff monologisch und deshalb das Überzeugen unfruchtbar?
    Ursprung des Neutrum: Hat die Trennung von Natur und Welt die Geschlechtsbezogenheit der zweiten Person gelöscht?
    Alexander, Konstantin und die Dogmenentwicklung: Das Urteil zerschlägt den Knoten, der zu lösen wäre.

  • 14.8.1994

    Die Beziehung des Dings zu seinen Eigenschaften ist ein Reflex der Eigentumsbeziehungen, in denen das Ding sich konstituiert.
    Die Anschauung begründet das Gesetz der Eigentumsbeziehungen.
    Was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen: Heute wird es per Fernsehen farbig ins Haus geliefert, und die Menschen ersticken unter der ihnen abgenommenen Last.
    Das Stalinsche Konzept vom Sozialismus in einem Land ist gescheitert, übrig geblieben ist nur das Prinzip des einen Landes: der Nationalismus oder die Bekenntnislogik.
    Gibt es eigentlich ein Äquivalent der Bekenntnislogik im Dingbegriff? – Wenn die Verdinglichung undurchdringlich und unaufhebbar wird, gibt es keine Alternative mehr zur Bekenntnislogik; dann gibt es nur noch die geschlossene Front der Richtenden und die kollektiven Rechtfertigungszwänge. Die Urform der Rechtfertigungszwänge aber ist die Form des Raumes, die Orthogonalität (im Bereich der Lehre die Orthodoxie). Darin gründet die logische Gewalt der Raumvorstellung und des Dogmas.
    In der Kollektivschuld-Diskussion war die Reflexion nahe an der Erkenntnis dieses Zusammenhangs; sie ist noch einmal abgewehrt worden durch die Erfindung der Kollektivscham.
    Der Ursprung der Raumvorstellung ist dokumentiert in dem Satz: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.
    Kann es sein, daß das Rätsel der Blutsymbolik sich löst im Namen des Blutackers: hakeldama. Darin steckt adama, der Acker, aus dem Adam, der Mensch, gebildet ist. – Erinnert nicht die faschistische Formel „Blut und Boden“ an den Blutacker?
    Wo liegt der Unterschied zwischen dem Verrat und der dreifachen Leugnung? Welche Jünger werden in der Abendmahlsgeschichte genannt (neben Judas und dem Jünger, den der Herr liebte), und an welchem Zeichen wird der, der Ihn verrät, erkannt („der, welcher mit mir die Hand in die Schüssel taucht“)?
    Es gibt kein Gerede, das nicht Ausdruck von Rechtfertigungszwängen ist; auf dem Feuer des Geredes werden die Vorurteile ausgekocht.
    Zur Logik der Schrift: Erst die Schrift konstituiert Öffentlichkeit. Und das immanente telos der Öffentlichkeit ist das Inertialsystem, das die Dinge entblößt.
    Die Entblößung hat mit der Subsumtion unter die Vergangenheit, mit dem prädikativen Urteil zu tun. – Das Prädikat ist die säkularisierte Prophetie.
    Philosophie heute, ist das nicht der Versuch, die Niagara-Fälle hochzuschwimmen?
    Verhält sich das Werk Kafkas zur Logik der Schrift wie das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zum Inertialsystem?
    Kritik der Linguistik oder die Logik der Schrift.
    Heiligung des Gottesnamens: Die Logik der Schrift verwandelt jeden Namen, auch den Gottesnamen, in eine Objektbezeichnung; deren Repräsentant in der Bibel ist elohim, der gleiche Name, mit dem auch die Götter der Völker benannt wurden. Das Tetragrammaton, das nicht ausgesprochen werden durfte (und im Christentum, entsprechend der Vokalisierung nach adonai, mit „Herr“ übersetzt wurde, bevor es in den Namen Jehovas oder Jahwähs von der Logik der Schrift eingeholt wurde), war die Selbstbezeichnung Gottes, das Subjekt des prophetischen Worts („Spruch des Herrn“). – Entsprach nicht dieser Selbstbezeichnung Gottes die Fremdbezeichnung des Volkes: Hängt das Tetragrammaton mit dem Namen der Hebräer, der zugleich der Name des Volkes und der Name seiner Schrift war, zusammen (Abraham war ein Hebräer, und Moses berief sich beim Pharao auf den „Gott der Hebräer“)? Bezeichnen die Gottesnamen in der Bibel nicht unterschiedliche Stellungen zur Objektivität, die nur gemeinsam den Gottesnamen bilden, der die Erkenntnis besiegelt und dessen Heiligung den Juden wie den Christen geboten wurde?

  • 9.7.1994

    Rühren die Probleme des Konjunktiv und des Dativ daher, daß die Logik des Grundes und die der Modalität nicht mathematisierbar sind? Wie verhält sich das Urteil (die Kopula) zur mathematischen Gleichung?
    Was hat die Hysterie mit dem Heiligen Geist zu tun? (Sie ist nicht die Sünde wider Heiligen Geist, wohl aber eine ihrer projektiven Folgen im Objekt.)
    Die Kirche verdankt sich der blasphemischen Tathandlung der Vergegenständlichung und Instrumentalisierung des Kreuzestodes. (Hat nicht in der Tat Paulus „zwei Hörner wie ein Lamm, und redet wie ein Drache“?)
    Sind Leviatan und Behemoth Symbole des Gerichts und der Barmherzigkeit?
    Ethik als prima philosophia: sie wäre zu begründen mit Adornos Satz, wonach heute alle sich ungeliebt fühlen, weil keiner mehr zu lieben vermag. Das Tor für die Fähigkeit zu lieben ist in Joh 129 bezeichnet. Es ist gerade die „Sünde der Welt“, daß alle sich ungeliebt fühlen (die Welt wäre zu konstruieren als das projektive Korrelat des Sich-ungeliebt-Fühlens: welche Attribute wären Gott zuzuschreiben, wenn er „die Welt“ erschaffen hätte und nicht den Himmel und die Erde). Rechtfertigungsbedürftig (und Gegenstand der Apologetik) ist nur, wer nicht liebt; und der verdinglichte Glaube ist zum Inhalt der lieblos gewordenen Wahrheit geworden.
    Die Negative Dialektik: Adornos Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenloses Weltgericht Hegels.
    In seiner Antwort auf die Frage des Täufers, ob er es sei, der da kommen soll, hat Jesus nicht gesagt: Ich bin der Sohn Gottes, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch mich ist alles geschaffen, und nichts, was geschaffen ist, ist ohne mich geschaffen. Sondern: Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, … den Armen wird die frohe Botschaft verkündet.
    Hat nicht Paulus die Kirche auf die linke Seite Gottes geführt, und Jesus an der Rechten allein gelassen? Hat nicht er das Christentum opfertheologisch reformuliert (Begründung des Begriffs der Bekehrung ohne Umkehr), und es so welt- und anpassungsfähig gemacht?
    Stephanus sah den Himmel offen, aber Paulus war in den dritten Himmel entrückt (und wußte hierbei nicht, ob im Leibe oder außer dem Leib).
    Gehört nicht der hakeldama, der Blutacker, (als deren Ende) in die Geschichte des Landkaufs (Abraham, Jakob, David), und ist er nicht eine Potenzierung des Fluchs über den Acker (im Blut wird der Fluch beim Namen genannt)? In diese Tradition gehört der faschistische Slogan von „Blut und Boden“ (das Blut, das vom Acker schreit: ist nicht der Grund und Boden der kapitalisierte Acker?).
    Ist die Tenne des Arauna der Berg Moriah, die Stelle der Bindung Isaaks?
    Ist der Staub, zu dem Adam wird und den die Schlange frißt, der dem Tauschprinzip (der unendlichen Teilbarkeit des Geldes) unterworfene Acker? Erinnert daran nicht das Realsymbol der Wüste (der Ort der Essener, der Eremiten und Mönche)?

  • 24.6.1994

    Zur Theorie des Feuers und zur Unterscheidung von Völkern („Heiden“) und Nationen:
    – Jer 5158 („Die breite Mauer Babels wird bis auf den Grund zerstört und seine hohen Tore verbrannt werden, sodaß Völker sich quälten für nichts und Nationen fürs Feuer sich abmühten“) und
    – Hab 213 (mit der Umkehrung: „Völker arbeiten fürs Feuer, und Nationen mühen sich ab für nichts“).
    Kann es sein, daß die Erschaffung der Pflanzen am dritten und der Tiere am sechsten Tag (die beide „aus der Erde hervorgehen“) auf einen sprachlichen Sachverhalt verweisen? Kann man die Pflanzen den Verben und die Tiere den Nomen (den „Substantiven“: mit der Schlange, dem „klügsten aller Tiere“ als Neutrum) zuordnen? Vgl. dazu:
    – die beiden Nahrungsgebote (und ihre gesellschaftliche Zuordnung zu Freiheit und hierarchischer Herrschaft) und
    – die Opfer Abels und Kains (Gott nahm das Opfer Abels, ein Tieropfer, an, während er das Opfer Kains, der von den Früchten des Feldes opferte, nicht ansah).
    Ist nicht jedes Opfer ein „Tieropfer“, während das Früchteopfer an die Wurzel der benennenden Kraft der Sprache rührt (und zielt nicht die Konstellation von
    – Rache: das Blut Abels schreit zu Gott, und der kainitische Lamech rächt sich siebenundsiebzigmal, und
    – Vergebung: das Kreuzesopfer ist nach Karl Thieme das erste, das nicht nach Rache schreit, sondern um Vergebung bittet, und Jesus fordert Petrus auf, nicht siebenmal sondern siebenmal siebzigmal zu vergeben,
    auf das Verhältnis von Zerstörung und Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Sprache)?
    Das Problem der Opfertheologie ist ein Sprachproblem, die Geschichte der Opfertheologie ist die Geschichte des Nominalismus.
    Ist der Bruch, der im Katholizismus mit dem ersten Weltkreig eingetreten ist (und nach dem zweiten sich vollendet hat), nicht an der Stelle eingetreten, an der die Gemeinheit endgültig eingebrochen ist und die Theologie überschwemmt hat?
    Das Transzendentale und das Transzendente sollten nicht verwechselt werden: Das Transzendentale verbleibt im Bann der Subjektivität (der subjektiven Formen der Anschauung).
    Welcher Jakobus gehört zu den „drei Säulen“: der Zebedäussohn oder der Herrenbruder?
    Die Zebedäussöhne sind die Donnersöhne, aber Johannes, einer der beiden Donnersöhne, darf, was die sieben Donner verkünden, nicht aufschreiben.
    Das Wort, wonach Gott „die Welt erschaffen“ hat, kommt nur bei Paulus, und zwar zuerst in Athen und dann im Römerbrief, vor.
    In jeder Abstraktion steckt ein Stück Wut, und was hat es mit dem furor teutonicus auf sich?
    Das Heil kommt von den Juden, aber Jesus war gesandt zu den verlorenen Stämmen Israels. Wann ist der Name „Jude“ entstanden, und was drückt er aus? Was bedeutet es, wenn die Kirche gegen die jüdische Tradition und Kanonbildung die Makkabäerbücher, das Buch Judit u.a. in ihren Kanon mit aufgenommen hat (Berichtigung der Thesen von Hyam Maccoby durch Eisenmann/Wise als Lösungsansatz: Differenzierung der Konstellation Pharisäer, Sadduzäer, Herodianer, Essener; Einbeziehung der „Essener“ in die makkabäisch-zelotische Tradition)?
    Wer war Alexander Jannai?
    Führt nicht Adornos Konzept der vollständigen Säkularisation aller theologischen Gehalte in seiner Anwendung auf die christliche theologische Tradition (die selber schon ein Säkularisationsprodukt ist, in die Geschichte der Säkularisation eingebunden ist) in eine double-bind-Falle?
    Mit der Feststellung der Identität von träger und schwerer Masse in der Allgemeinen Relativitätstheorie hat Einstein den Punkt in der Physik bestimmt, auf den Joh 129 sich bezieht: Die Konstruktion der Last, die in der Vergegenständlichung des Vergangenen gründet.
    Der Dingbegriff gründet im Opfer; deshalb ist der Satz: Barmherzigkeit, nicht Opfer, der Kern der Kritik der Verdinglichung.
    Heute verstecken sich alle in ihrem Winkel und murmeln vor sich hin: Ich habe doch nichts getan.

  • 8.5.1994

    Die theologische Tradition hat Joh 129 durch die Pluralisierung der Sünde der Welt neutralisiert; durch das Verb „Hinwegnehmen“ hat sie das Wort des Täufers zu einem Instrument der Projektion und des Schuldverschubsystems gemacht; so ist es zum Prinzip der Selbstzerstörung und zur Quelle der Greuel der Verwüstung geworden.
    Berufung im Mutterschoß (bei Jesaias und Jeremias, auch in der Jesus-Geschichte): Ist das die Berufung aus der Gebärmutter, aus der Barmherzigkeit. Macht der Barmherzige sich zum Mutterschoß Gottes, und hängt das zusammen mit dem „in Schmerzen wirst du gebären“ und dem Begriff der messianischen Wehen? „Abgewichen sind die Gottlosen vom Mutterschoße an, es irren vom Mutterleibe an die Lügenredner.“ (Ps 584)
    Ist die „Rechte Gottes“ seine Gebärmutter (der Ort der Barmherzigkeit)? Beziehen sich hierauf (auf den zur Rechten sitzenden Sohn) die messianischen Wehen?
    Es ist die Barmherzigkeit, die die Prophetie auf die Aktualität verweist, und unbarmherzig geworden ist die Philosophie durch den Begriff, durch dessen Beziehung zur Zeit, die in der Löschung der Aktualität durch die Beziehung zum tode ti gründet.
    Karl Thieme, der darauf hingewiesen hat, daß Hitler nicht der Antichrist gewesen sei, wohl aber die Generalprobe, war der einzige, der in den 50er Jahren eine Umfrage einer katholischen Monatszeitschrift (Wort und Wahrheit) zum Thema „Heiligung der Welt“ mit dem Hinweis auf die Gegenstandslosigkeit dieses Worts beantwortet hat: Es gibt nur die Heiligung des Gottesnamens, aber keine „Heiligung der Welt“. In der jüdischen Tradition war das Motiv der Heiligung des Gottesnamens mit der Idee des Martyriums, der Zeugenschaft, verbunden: der Zeugenschaft eher für die göttliche Barmherzigkeit als für das Gericht, und wenn für das göttliche Gericht, dann für ein Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht und seine in der Regel christlichen Repräsentanten.
    Ist dieses Zeugnis nicht das Zeugnis, mit dem der Vater und der Sohn sich wechselseitig bezeugen?
    Kritik der Metzgertheologie: Die Erlösungsbedeutung des Bluts, die Reinigung der Seele im Blut des Erlösers, darf nicht biologistisch verstanden werden, sie gründet vielmehr im Kontext der Nachfolge, im Kontext der Idee der Blutzeugenschaft, des Martyriums (in unserm Anteil an den messianischen Wehen). Dagegen gründet die Metzgertheologie in dem Theologumenon, daß Jesus die Welt entsühnt habe (mit dem zugehörigen Erfüllungskonstrukt: daß in ihm die Prophetie sich erfüllt), in dem gleichen Zeitverständnis, das auch dem Inertialsystem zugrunde liegt und durch den Begriff einer absoluten Vergangenheit die Exkulpation an die Welt delegiert: den Weltbegriff als Grund des Begriffs und des gesamten Objektivationsprozesses konstituiert. Die Opfertheologie wird in der gleichen Bewegung magisiert, in der die Prophetie (oder die Idee einer Theologie im Angesicht Gottes) durch Historisierung neutralisiert wird.
    Nur wenn ich den Weltbegriff zur Grundlage mache, kann ich die Vergangenheit zum Steinbruch für meine Phantasiekonstruktionen machen, kann ich mir eine religiöse Kuschelecke in einer Welt, die ich doch nicht ändern kann, einrichten.
    Der Name des Menschensohns enthält auf einen doppelten Hinweis:
    – Er bezeichnet den Sohn Adams, den, der die Sünde Adams als sein Erbteil auf sich nimmt; und
    – er ist antitotemistisch: am Anfang der Ahnenreihe steht kein Tier, kein Behemoth und kein Leviathan, sondern der Mensch.

  • 3.5.1994

    Die Lahmen und die Blinden (politische Aspekte des Inertialsystems): Wer heute die „Prophets of Deceit“ fortschreiben und auf den gegenwärtigen Stand bringen wollte, dürfte sich nicht mehr nur an der Figur des Agitators orientieren, sondern müßte die Reflexion auf die Struktur der politischen Öffentlichkeit, auf die veränderte Form ihrer Beziehung zur realen Politik mit einbeziehen. Wichtiger als eine Analyse der Reden der Schönhubers und Freys wäre eine Analyse der Selbstdarstellung der etablierten Parteien, die „ihre Politik“ nur noch verkaufen wollen, auf einen öffentlichen Diskurs der realen Probleme und Ziele jedoch längst verzichtet haben. In diesem Kontext wird Politik zur Sache von Verwaltung und Karriere, mit der Folge
    – der Konstituierung einer zunehmend nicht-öffentlichen Politik: der fortschreitenden Abschirmung der politischen Entscheidungsprozesse gegen ihre öffentliche Diskussion,
    – der Personalisierung von Sachfragen (öffentlichkeitswirksame „Korruptionsfälle“ verstellen den Blick auf die inhaltlichen Fragen der Politik),
    – der Lähmung und Selbstverblendung einer immer mehr den Trägheitsgesetzen des Apparats gehorchenden Politik.
    Die Lahmen und die Blinden: SPD und CDU.
    Ist nicht das Geheimnis des Erfolges von Helmut Kohl die Fähigkeit zur öffentlichkeitswirksamen Darstellung des Nichtstuns, der politischen Trägheit, zu der es ohnehin keine Alternative mehr zu geben scheint? Ist er nicht der Darsteller einer Politik, die so von vorgeblichen Sachzwängen beherrscht ist, daß es wirklich nur noch darum geht, wie man sie trotzdem so präsentieren kann, als ginge es um politische Ziele?
    Die Gerechtigkeits-Blindheit des Rechts drückt sich in dem Satz aus, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist.
    Anwendung des Paradigmas der Lahmen und Blinden auf die Naturwissenschaften: Kernforschung und Weltraumfahrt.
    Ist nicht der Kern dieses Paradigmas die Verklammerung des kirchlichen Machtapparats mit der zwanghaften Selbstverblendung der Theologie: der Greuel der Verwüstung oder Greuel am heiligen Ort?
    Sind nicht die kantischen subjektiven Formen der Anschauung die Repräsentanten der Lahm- und Blindheit im Subjekt, die Agenten der Lähmung und Verblendung des verdinglichten Subjekts? Erinnert nicht die Trennung von Natur und Welt an das Paradigma der Lahmen und Blinden (die Natur lähmt, und die Welt macht blind)? Ist nicht die Trennung von Natur und Welt Produkt jener exkulpatorischen Logik, die das Schuldverschubsystem zur Grundlage hat, die dann zur Absicherung der Opfertheologie bedarf.
    Der Dativ und das „Es gibt“. Der kantische Begriff des Gegebenen (eine der Wurzeln des Begriffs der Erscheinung) enthält über das Es im „Es gibt“ den Hinweis auf den anonymisierten Gesamteigentümer der Welt. Nur weil es dieses „Es gibt“ gibt, weil es den Dativ gibt, gibt es Meinungen.
    Wenn der Infinitiv Sein etwas mit dem Possessivpronomen (3. m. sing.) zu tun hat, dann hat auch der Name des Wassers mit Interrogativpronomen „Was“ (mit der Frage nach dem Wesen, nach der Sache) etwas zu tun. Frage: Wie hängt das Interrogativpronomen mit dem Possessivpronomen zusammen? Hat es etwas mit dem Kommerz, mit dem Akt des Kaufs zu tun?
    Bezieht sich die Vertreibung der Taubenhändler und der Geldwechsler aus dem Tempel auf den Greuel am heiligen Ort, den Greuel der Verwüstung?
    Muß die Kirche, wenn sie beansprucht, das „wahre Israel“ zu sein, nicht auch die Prophetie auf sich beziehen?
    Haben die Lahmen und Blinden etwas mit den Namen des Satans und des Teufels zu tun: Ist nicht der Ankläger der Lähmende, der Verwirrer der Verblendende (vgl. den apokalyptischen Gebrauch der beiden Namen: neben der Synagoge des Satans gibt es den Teufel als Vater der Lüge)?
    Ist nicht die Blutmetaphorik (im Kontext des Kelchsymbols) eine bewußte Verletzung (Aufhebung?) des noachidischen Gebots?
    Wird nicht ein zentrales kirchen- und dogmengeschichtliches Problem mitgelöst, wenn es gelingt, die Geschichte der Fälschungen (zusammen mit dem Phänomen der Eponymie) im Mittelalter anstatt personalisierend auf Priestertrug und Machtgier auf objektive gesellschaftliche Kräfte, auf die Zwangslogik der Profangeschichte, zurückzuführen? Liegt hier nicht auch der Schlüssel zur Lösung des Problems des Nominalismus (und des Problems der benennenden Kraft der Sprache)?
    Der Begriff lebt vom Namen und vergewaltigt ihn zugleich. Die Gewalt der Urteilsform, die objektiv in der Astronomie sich konstituiert. Sind nicht die Todesstrafen allesamt Symbole der Urteilsform: von der Steinigung über das Schwert, das Hängen, das Verbrennen bis hin zur Kreuzigung. Die Juden haben gesteinigt, die Römer haben (nach Rezeption einer persischen Tradition) gekreuzigt, die Christen haben verbrannt.
    Bezeichnet Kanaan gegenüber dem Hebräischen ein logisches oder ein historisches Prius?
    Ist nicht der Bruch zwischen Natur und Geschichte der Abgrund, in dem die benennende Kraft der Sprache untergangen ist und aus dem Natur und Geschichte als getrennte Bereiche sich erheben?
    Zu den drei Weisen aus dem Morgenland gehören der Balthasar, der mit dem Daniel etwas zu tun hat, der Melchior, der an den melech, die Königstradition, erinnert, und der Caspar: Wer ist das (hat Kasper des Puppenspiels etwas mit ihm zu tun)?
    Die drei Leugnungen Petri lassen sich den räumlichen Dimensionen zuordnen:
    – die erste (die Magd des Hohepriesters spricht Petrus an) enspricht der Beziehung vorn/hinten, Im Angesicht und Hinter dem Rücken,
    – die zweite (die Magd spricht mit den Umstehenden über Petrus) der Beziehung rechts/links, dem objektivierenden Denken und dem darin mit eingeschlossenen Verhältnis des richtenden Urteils zum verteidigenden Denken, und
    – die dritte (die Umstehenden sprechen Petrus an) der Beziehung oben/unten: hier enthüllt sich das objektivierende Denken als vergesellschaftetes Herrendenken, als reine Verkörperung der Wut, die ihrem Objekt keinen Ausweg mehr läßt.
    Interessant sind
    – die zweite Leugnung: als Paradigma des Ursprungs des objektivierenden Denkens, und
    – die dritte Leugnung: die Genesis der Wut (der Selbstverfluchung),
    beide sind Folgen einer Theologie hinter dem Rücken Gottes (der ersten Leugnung).

  • 26.02.94

    Ez 23 und 24:
    – Die Hurerei mit Assur ist real, die mit Babylon läuft über das Bild an der Wand.
    – Was bedeutet in 24 das Blut auf dem Felsen (das nicht im Sand versickert und nicht vom Staub bedeckt wird) als Symbol der Blutschuld. Hat es etwas mit dem nt’lichen Bild vom Haus auf dem Felsen, im Gegensatz zum Haus im Sand, zu tun? Ist die Kirche der Fels der Blutschuld, und hat der Fels etwas mit der Leugnung zu tun? Ist die Leugnung der Grund, auf den das Haus gebaut ist, und der Fels das steinerne Herz der Welt?
    Das Ende des „Stern der Erlösung“ enthält den entscheidenden Einspruch gegen die Gnosis: Nicht die Erkenntnis ist die Erfüllung, sondern das Leben, das durch Erkenntnis ermöglicht wird. Gibt es für die Idee der seligen Anschauung Gottes, dessen Ursprung wahrscheinlich die aristotelische theoria ist, einen biblischen Beleg? Das Neue Jerusalem bedarf der Sonne nicht mehr, weil Gott selbst die Stadt erleuchtet; aber er erleuchtet die Stadt, er wird nicht selber angeschaut. Ist die Idee der seligen Anschauung Gottes, wenn sie von ihrem telos, vom richtigen Leben, getrennt wird, der Kern der Sünde der Welt, die Kraft, die das Herz versteinern macht? Wie verhält sich das zu 1 Kor 1312: „Wir sehen jetzt mittels eines Spiegels in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich völlig erkennen, wie auch ich völlig erkannt worden bin.“?
    Kann es nicht sein, ja ist der Gedanke nicht geradezu logisch zwingend, daß, wenn es einem Pfarrer gelungen wäre, den Oskar Schindler zur kirchlichen Sexualmoral zu bekehren, er seine Tat nicht hätte vollbringen können?
    Was hat es eigentlich mit der Hallstimme auf sich (die auch im NT sich findet), und seit wann gibt es sie nicht mehr?

  • 16.01.94

    Zur Beziehung von Scham und Blut sh. Vermes, Anm. 31, S. 260: Rabbi Nachman ben Isaak: „Wer seinen Nächsten in der Öffentlichkeit beschämt (erröten läßt), der ist, als hätte er Blut vergossen.“
    Anwendung von Mt 634: „Darum sorgt nicht für den anderen Morgen, denn der morgige Tag wird wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat“, auf die Schöpfungsgeschichte, das Sechstagewerk, und auf den „Tag des Herrn“. Geza Vermes rührt, ohne es zu bemerken, an den Grund der Prophetie, wenn er dazu darauf hinweist, daß Jesus „ein Mensch (war), für den die Gegenwart, das Hier und Jetzt, von einmaliger und unendlicher Wichtigkeit war“ (S. 264).
    Zur Bestimmung des Staubs (zu dem Adam wird, und den die Schlange frißt): Das Heideggersche „Man“ ist eine Emanation der Welt: die präziseste Bestimmung dessen, was die Propheten Unzucht nannten. Bezeichnend, daß das unpersönliche Man dann doch als männlich (und als Verkörperung des Universalen) erfahren wird.
    Das Geschwätz ist eine Erfahrungsverhinderungsmaschine (es gehorcht der dem Rechtfertigungszwang unterworfenen Bekenntnislogik).
    Wenn Israel der Augapfel Gottes ist, ist dann nicht der Antisemitismus (wie vor ihm der kirchliche Antijduaismus) ein Versuch, Gott blind zu machen: daß er’s nicht mehr sieht?
    Wenn der Antisemitismus Gott erblinden macht, hat dann das Christentum Ihn gelähmt? Drückt sich das darin aus, daß der erhöhte Jesus „zur Rechten des Vaters“ sitzt?
    Die Botschaft Jesu an den Täufer im Gefängnis („Blinde werden sehend und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote werden auferweckt und und Armen wird die frohe Botschaft verkündet, und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt“, Mt 115) ist apokalyptisch (Zusammenfassung der Lösung der sieben Siegel und e contrario eine spiegelbildliche Beschreibung des apokalyptischen Weltzustandes).
    Als Zedekia, der letzte (vom König von Babel eingesetzte) König der Juden, nach Babel verbracht wurde, „schlachtete man (die Söhne Zedekias) vor seinen Augen; den Zedekia aber ließ er blenden und in Ketten legen. So brachte man ihn nach Babel“ (2 Kön 257). Hat diese Geschichte etwas mit Auschwitz zu tun: Ist „der König der Juden“ seitdem geblendet und in Fesseln, blind und lahm? Vgl. auch die „Blinden und Lahmen“ bei der Eroberung Jerusalems (2 Sam 56ff) und in der Botschaft Jesu an den Täufer („Die Blinden werden sehend, die Lahmen gehen, …“ Mt 115). -Ist hier die Richtung bezeichnet, in der das mit dem Lösen Gemeinte gesucht werden muß?
    Es gibt keine Erkenntnis, die nicht auch in Beziehung zur Gotteserkenntnis steht, und hier gilt der Satz: Der liebe Gott (und nicht der Teufel) steckt im Detail.
    Zu Geza Vermes: Der Nachweis, daß die Lehre der Kirche mit der Lehre Jesu nicht übereinstimmt, reicht nicht mehr. Zu ermitteln und herauszuarbeiten wäre die reale historische Beziehung beider zueinander; eine hierher passende Bemerkung zu den Elefanten: Ist nicht das Langzeitgedächtnis, soweit es von der Erinnerungsfähigkeit zu unterscheiden ist, und d.h. das Langzeitgedächtnis, dessen Objekt man nur ist, Ausdruck einer sehr tiefen Verletzung?
    Zur Unterscheidung von Mythos und Aufklärung: Wenn das Schicksal, nach der Benjaminschen Definition, der Schuldzusammenhang des Lebendigen ist, ist dann die Welt (und das wäre ebenfalls eine Definition) der Schuldzusammenhang des Toten (aber dieser Schuldzusammenhang ist einer, der in dem des Lebendigen gründet, und dessen realsymbolische Widerspiegelung das apokalyptische Tier ist)? Für uns sind nicht mehr die Götter unsterblich, sondern unsterblich ist nur noch die Sterblichkeit der Sterblichen: der Tod. Darin gründet der Naturbegriff.
    Vornehm und anständig, oder der Kern des Verblendungszusammenhangs: Der Vornehme spiegelt sich im Blick von unten, der Anständige im Blick von oben. Gemeinsam verstellen sie der Erkenntnis den Weg. Wenn die Vornehmen mit den Anständigen sich verbünden, siegt die Natur, wird die Welt gemein.
    Zur Raumvorstellung: Oben und unten bezeichnen das Verhältnis von Schöpfung und Auferstehung, rechts und links das von Gericht und Barmherzigkeit, und vorne und hinten das von Im Angesicht und Hinter dem Rücken.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie