Blut

  • 28.01.92

    Hängt die Unterscheidung von Rechts und Links nicht auch mit der von Plus und Minus (Erfindung der Null als Voraussetzung des Inertialsystems) und mit dem Schuldenproblem in der Geldwirtschaft zusammen (Schuldknechtschaft, doppelte Buchführung)? Erst mit der Vorstellung des unendlichen (homogenen und isotropen) Raumes setzt sich die Herrschaft des Tauschprinzips endgültig durch, wird der letzte Widerstand beseitigt. Im Inertialsystem werden die Dinge von allen Seiten von hinten betrachtet, und mit dem Gravitationsgesetz ist in jeder Richtung unten, gibt es kein Oben mehr, das die Gegenbewegung zum Fall anzeigen würde. Seitdem sind die Gottesfurcht und die Gnade (die Barmherzigkeit) grundlos geworden, und ist die Welt alles, was der Fall ist.
    Die Reversibilität der Richtungen im Raum ist die Grundlage der mathematischen Gleichung. Und die Gleichheit ist eigentlich die von Vergangenheit und Zukunft, die vermittelt ist durch die Vorstellung des unendlichen, homogenen und isotropen Raumes. Hierbei bedeutet die „Unendlichkeit“ des Raumes letztlich, daß die Endlichkeit der Dinge kein Ende hat, und daß alles, was ist, endlich ist.
    Muß nicht die Interpretation der Mikrophysik im Sinne der Kopenhagener Schule (oder zumindest ihrer deutschen Varianten) metaphysiziert, theologisiert werden, um den Widerspruch zu verdecken, der eigentlich einer des (physikalischen und gesellschaftlichen) Systems ist.
    Sind nicht die aristotelischen Topoi (seine Lehre vom natürlichen Ort der Dinge) notwendige Elemente seiner Metaphysik, d.h. einer Metaphysik, die den Begriffsrealismus zur Grundlage hat. Auch der Unbewegte Beweger ist ein topologischer Begriff, die Vergeistigung des Falles, Produkt jenes Kurzschlusses, der das Denken des Denkens vergöttlicht, indem er es zum Gegenstand der Theoria, des Schauens, macht (Ursprung der christologischen Logik).
    Was wir aufgrund einer schlechten Übersetzung die Schriftgelehrten nennen, sind in Wahrheit die Schreiber gewesen, die allerdings zugleich auch Schriftgelehrte waren. Die Trennung beider Funktionen, der Kopisten von den Scholaren, ist mittelalterlichen Ursprungs und setzt die Kanonisierung der Schrift (und der anderen Autoritäten) voraus. War nicht Esra ein „Schriftgelehrter“?
    Die Elemente der Selbstinstrumentalisierung im Tierreich: Der Mensch hat diese Mittel der Selbstinstrumentalisierung (die Hörner, Klauen, Zähne, aber auch die Fisch- oder Vogelgestalt) in seinem Verstand verinnerlicht und in der Hand universalisiert. Sind nicht die Fische und Vögel auf eine sehr viel mathematischere Weise lateral-symmetrisch als beispielsweise die Säugetiere und erst recht die Menschen?
    Bei den Pflanzen ist vorne, rechts und oben identisch: sie kennen eigentlich nur oben und unten (Blüte und Wurzel; sie wurzeln im Grunde und „streben zum Licht“). Bei den Tieren wird die Unterscheidung von vorne und hinten bzw. rechts und links erkauft durch die Unfreiheit noch oben, während für den Menschen oben, rechts und vorne getrennte Dimensionen sind.
    Die Subjektivierung der sekundären Sinnesqualitäten ist nur ein Aspekt der Sache: Die Subjektivierung der räumlichen Dimensionen ist der verdrängte Grund des gesamten Subjektivierungsprozesses. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“: Diese Scham ist der erste Ursprungsreflex des unendlichen Raumes; er hat zur Voraussetzung die Erkenntnis des Guten und Bösen, die Vorform der instrumentalisierenden, vergegenständlichenden Erkenntnis.
    Für die Fische ist das Wasser das Medium der vollendeten Öffentlichkeit: die Fische kennen keine Scham und keine Privatsphäre; die Vögel dagegen haben ihre Nester und ihr Federkleid. (In welcher Beziehung stand die Vogelschau zur Unterscheidung von Rechts und Links?)
    Die Fische und die Vögel bewegen sich in einem dreidimensionalen Medium: im Wasser und in der Luft.
    Weshalb werden bei der Sintflut die Tiere gerettet und dann zu Nahrung freigegeben?
    Im Angesicht, das ist etwas anderes als von Angesicht zu Angesicht. Der Satz „Laß dein Angesicht leuchten über uns“ drückt eher aus, was mit dem „Im Angesicht“ gemeint ist.
    Wer eine Sache hinter ihrem Rücken untersucht (wer „über“ eine Sache forscht), muß mit der Verdachts- und Beweislogik arbeiten und dann auch „hinter“ der Sache nach dem Grund suchen. Alle Hypostasierungskonzepte (imgrunde die ganze Philosophie, die Suche nach den archä) verdanken sich dieser Logik und treiben sie in die Dialektik hinein. Diese Hypostasierungslogik ist ein Motor der naturwissenschaftlichen Aufklärung, sie wirkt nach bis hinein in die Kopenhagener Schule: Die Hypostasierung der „Rätsel“ der Mikrophysik dient nur der Stabilisierung dieser Logik, die ihre letzte Stütze in der Vorstellung des unendlichen Raumes hat. Und diese Logik ist die Herrschaftslogik.
    Wer „eine Frage in den Raum stellt“, sucht keine Antwort, sondern eine „Lösung“: Grundlage des Verwaltungsdenkens (Zusammenhang mit dem Personbegriff).
    Was hat der Caesar, der wie der König (der Gesalbte) in der Heros- und Opfertradition steht, mit der Durchsetzung des Raumes und des Weltbegriffs zu tun, mit der Gewalt, die beide repräsentieren? Wo liegt der Unterschied zwischen der königlichen und der kaiserlichen Gewalt (Zusammenhang mit dem Fernhandel, der Stabilisierung des internationalen Marktes, mit dem Pantheon und der neuen Gestalt und Funktion der Religionen)?

  • 05.12.91

    Zu Ferdinand Ebners Bemerkung, das „Ich bin“ sei der erste Satz, das Urwort der Sprache (S. 141), ist berichtigend auf den Namen Adams (abgeleitet von adama – Acker: Zusammenhang von Acker und Erde: ist der Acker Erde als Eigentum, steckt das Moment des Eigentums in adama und Adam?) hinzuweisen. Die Sprache konstituiert sich nicht in der idealistischen Selbstbeziehung des Ich, sondern in der Fähigkeit zur Selbstreflexion der irdisch-gegenständlichen Schuld- und Eigentumsbeziehung: im Bewußtsein, Staub zu sein und wieder zu Staub zu werden. – Hängt der Name des Mannes isch (und der andere Name des Menschen Enosch/Henoch) mit dem des Feuers zusammen (wie der Name des Himmels)? Und steckt in Enosch das ani (Ich/nicht) und das isch (Feuer)?
    Und verweist der Name Adams nicht auch auf die hervorbringende Kraft der Erde (am dritten und am Anfang des sechsten Schöpfungstages), aber als eine vergangene und so vom Menschen angeeignete, daß er deshalb die Tiere benennen, aber auch die Erde (den Acker) als Natur in den Schuldzusammenhang der durch ihn (durchs Eigentum und durchs Selbsterhaltungprinzip) konstituierten Welt mit hereinziehen kann? Mit der Erkenntnis des Guten und Bösen (die das Zu-Staub-Werden des Adam und das Staubfressen der Schlange zur Folge hat) ist der Keim gelegt für den Ursprung des Staates (den Prozeß der Verweltlichung und die Trennung von Welt und Natur).
    Das kantische Objekt ist Staub. (Noch einmal Nelly Sachs lesen!)
    Wann wurde die Erde zum Acker? – Der zweite Schöpfungsbericht unterscheidet sich vom ersten dadurch, daß hier in der Idee des Paradieses die Erde zum Garten des Menschen gemacht wird: So wird sie danach zum Acker. – Wie verhält sich der „Blutacker“ (Hakeldama, darin ist adama enthalten) zum adamitischen Acker, oder zu dem Acker, von dem das Blut des Abel zu Gott schreit?
    Heißt es beim Verbot zu schwören: Eure Rede sei ja, ja, nein, nein; oder heißt es: Eure Rede sei ja oder nein? Man wird ausschließen dürfen, daß Jesus hier die Grundsätze der Informatik und das herrschende Identitätsprinzip lehren wollte.
    Zum Weltbegriff: Die Welt spricht sich durch die Exkulpationsmechanismen, die in ihren Begriff eingebaut sind, selber schuldig, ihr Begriff ist ein realer Inbegriff der Projektion.
    NB: Es genügt nicht, der Weltgeschichte eine Naturgeschichte entgegenzusetzen, sondern es kommt darauf an zu begreifen, daß das eine ohne das andere nicht zu denken ist und beide unter einem Bann stehen. Wie die Planeten um die Sonne, so kreist unser Natur- und Geschichtsverständnis um das (ebenso leere wie – nicht leuchtende, sondern – scheinerzeugende) Zentrum der transzendentalen Logik und Ästhetik: um das Prinzip und den Inbegriff der Subjektivität.
    Wird das adamitische Wesen des Menschen in den Bekenntnisreligionen verdrängt (durch die persona: die Maske, den Charakter), oder kommt es hier auf seinen Begriff? – Ist der Charakter das Animalische, von Adam Benannte im Menschen? Ist Adam das Grundwort der Sprache?
    Ist die Erinnerung der Natur im Subjekt adamitisch?

  • 10.11.91

    Nicht nur, daß das Auge sonnenhaft ist, die Farben sind augenhaft.
    Verschwindet im Herbst der Unterschied zwischen Blüte und Blatt, wird der ganze Wald zu einer blühenden Landschaft, die dann aber abstirbt (oder einschläft)? Oder sind die Herbstfarben die Farben des Feuers (gelb, rot und braun), während die Farben der Blüten die des Himmels oder des Lichts sind (blau, rot, gelb und weiß). Goethe konstruiert die Farben aus der Beziehung von Dunkel und Hell (Finsternis und Licht), die Differenzen kommen daher, was als Inneres oder als Äußeres gesetzt wird: Hell über Dunkel (Morgen) oder Dunkel über Hell (Abend).
    schamajim ist der Himmel, majim das Wasser. Gibt es zwischen beiden Worten einen Zusammenhang (vgl. den Schöpfungsbericht: das Wasser gleichsam als Nebenprodukt des Himmels, mit der Finsternis und dem Geist Gottes über den Wassern).
    Die Beziehung von außen und innen ist ein vielfältig sich durchdringendes System. Die Grenze zwischen Außen und Innen ist die Haut, die Oberfläche der Dinge, wobei das Innere der Dinge von dem Äußeren nicht zu unterscheiden ist. Die Undurchsichtigkeit und Undurchdringlichkeit der materiellen Dinge: Ist beim Wasser das ganze Innere Oberfläche, nur Grenze zwischen Außen und Innen, weder reines Außen noch reines Innen. Das Wasser leistet Widerstand gegen die Bewegung eines in ihm sich bewegenden Objekts, und das Licht wird im Wasser gebrochen (ist hier die Beziehung zum Himmel, der vielleicht die „ganze Erde“ wie ein Brechungsmedium umgibt, das keine Rückschlüsse zuläßt darauf, was „in“ oder „hinter“ dieser Brechung sich tut?. Und ist das Problem der Seeungeheuer, der Fische, darin begründet, daß das Wasser nur Außenseite, ohne ein Inneres, ist?).
    Beziehung des Wassers zum Geld: Wie das Wasser ist das Geld (der Tauschwert) flüssig und unelastisch zugleich; mit der Erfindung des Geldes (der Gesetze, des Gewaltmonopols des Staates) wird das Schöpfungschaos (der vorgeschichtliche Schuldzusammenhang) in der geschichtlichen Welt evoziert, heraufbeschworen, zusammen mit den Herrschaftsinstitutionen (dem Schöpfungsdrachen als Endzeitdrachen). Der Ursprung des Geldes im Kontext der Schuldknechtschaft (Sklaven, outlaws, Kleinviehnomaden, Söldner) hat sein spätes Echo in Hegels Satz, daß „die bürgerliche Gesellschaft in all ihrem Reichtum nicht reich genug (sei), der Armut zu steuern“ (Philosophie des Rechts).
    schamir sind die Dornen. Und wie heißen die Disteln, der Dornbusch?
    Ist das Wasser mit dem Bekenntnis vergleichbar, in dem auch das Außen und das Innen ununterscheidbar sind (die ins Innere durchgedrungene Oberfläche)?
    Das Innere eines Baumstamms ist die verstockte Erinnerung an seine Lebensdauer (und an die äußeren Bedingungen seines vergangenen Lebens).
    Das Innere einer Wohnung, die sich abschirmt gegen die Außenwelt, heute aber durch ein Versorgungssystem damit verbunden ist: Wasser, Strom, Abfluß, Wärme, Telefon, Radio, Fernsehen, bis hin zu den (irrsinnigen) Möglichkeiten, die Arbeit, die Bankverbindungen, die Einkaufmöglichkeiten ins Innere zu verlegen, die Bindungen an die Außenwelt so zu gestalten, daß das Innere in eine gleichsam embryonalen Zustand zurückversetzt wird. So ernähren wir den Fisch, der uns ernährt. Der Glaube, daß wir uns durch dieses System vor dem Chaos retten können, ist purer Schein (wie heute jedes Bekenntnis): wir exportieren das Chaos nur nach außen; in eine „Außenwelt“, deren Existenz wir mit Hilfe des Bekenntnisses der Wahrnehmung entziehen und leugnen. Dieses System funktioniert nur noch auf der Grundlage der Opfer, die in den Schlacht- und Zuchthäusern, vor allem aber in der sogenannten Dritten Welt, in den „Schuldnerländern“, aus unserem Blickfeld entfernen.
    (Der Mülleimer hat ein Inneres und das Schloß hat ein Inneres, ebenso sind der Himmel und die Hölle Innenräume). Außen und Innen sind unzureichende Deckbegriffe für Im Angesicht und Hinter dem Rücken: Diese bezeichnen den Sachverhalt präziser. Außen und Innen unterliegen der Zweideutigkeit des Raumes: Im Raum ist Rechts und Links nicht zu unterscheiden (Jonas: Ninive, die große Stadt); das Schicksal ist der Inbegriff der Außenwelt als Innenwelt.
    Sind nicht alle Siege (zuletzt auch der über den „Kommunismus“) Pyrrhus-Siege, nur daß wir es noch nicht erkennen? Stößt das, was wir auszustoßen meinen, nicht in Wirklichkeit uns aus? Und produzieren wir nicht selber die Hölle, der wir so verfallen?
    Die genaueste Definition des „Volkes“ ist der Begriff der Schicksalsgemeinschaft. Im Kern des Schicksals steckt jedoch heute die Bekenntnislogik. „Im Namen des Volkes“ (gibt es diese Wendung eigentlich auch in anderen Rechtssystemen?): das hat eine besondere Beziehung zum „deutschen“ Volk, wenn man daran denkt, daß der Name der Deutschen selbst „das Volk“ bezeichnet (was heißt eigentlich „Amalek/Amalekiter“? – „populus lambens“, das „leckende Volk“: das staubleckende Volk – Ps 729, Jes 4923; das hündische Volk – 1 Kön 2119, 2238; Lk 1621). So wird der Rechtsspruch zum Schicksalsspruch; im Namen des Schicksals (und des Rechts) kehrt sich der Objektivierungsprozeß (der Säkularisationsprozeß) gegen seinen eigenen Ursprung.
    Ist die Theologie das Schicksal Gottes (Leugung des Gottesnamens, Theologie als Geschichte der Leugnung des Gottesnamens; was bedeutet der Name „Gott“?): damit der Kern und das Medium der Selbstverfluchung?
    „Die Welt ist alles, was der Fall ist“: Das reicht bis in das Spiegelungssystem des Massenbegriffs, der Materie, hinein. Die gesamte Bewegung des Kosmos ist eine Bewegung des permanenten Fallens. Das Kreisen des Mondes und der Planeten ist (wie der Reproduktionsprozeß der Gesellschaft) resultierend aus Trägheit und Fall.

  • 31.10.91

    Rätsel Paulus: Allein bei ihm „kosmologische“ oder „naturphilosophische“ Spekulationen: „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tage seufzt und in Geburtswehen liegt“ (vgl. Röm 818ff), sowie: „Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit … hat (seine Kraft und Stärke) an Christus erwiesen, den er von den Toten auferweckt und im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben hat, hoch über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften und über jeden Namen, der nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen genannt wird.“ (Eph 117ff) „So sollen jetzt die Fürsten und Gewalten des himmlischen Bereichs durch die Kirche Kenntnis erhalten von der vielfältigen Weisheit Gottes, nach seinem ewigen Plan, den er durch Christus Jesus unseren Herrn, ausgeführt hat.“ (ebd 310) „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.“ (ebd. 612) – Ist die paulinische Theologie „kabod“-Theologie, Herrlichkeits-Theologie? Und hat sie die damit gemeinsamen Probleme? Ist das „über jeden Namen“, mit dem er den „Platz zu seiner Rechten“ bezeichnet, nicht wie die kabod-Theologie insgesamt zu ergänzen durch die schem-, die Namens-Theologie (hängt der Unterschied zwischen beiden mit dem zwischen den Gottesnamen zusammen, d.h. ist der Unterschied einer in der Namens-Theologie)? Steht die paulinische Theologie unter dem Gesetz der Objektivation (deshalb Paulus der erste, der die Theologie Jesu durch eine Theologie über Jesus ersetzt, deshalb Bekenntnis-Theologie, deshalb frauenfeindlich)? Paulus war nur in den dritten Himmel entrückt (Kor 212), während Maria Magdalena von den sieben unreinen Geistern befreit wurde (Mk 169, vgl. Mt 1243ff, Lk 1124ff).
    Gegen den christlichen (paulinischen: von der Bekenntnislogik nicht ablösbaren) Missionsbegriff: Es kann und darf nicht mehr unsere Aufgabe sein, „Überzeugungsarbeit“ zu leisten; denn die führt genau in jene Mechanismen herein, aus denen die Idee der Wahrheit herausführen soll. Die Bekenntnislogik steckt den anderen nur deshalb ins Ghetto hinein, weil sie selber freiwillig sich hineinbegeben hat: die Kirche ist das Urghetto.
    Sind solche Dinge wie die Göttlichkeit Jesu, die Opfertheologie, der spätere Naturbegriff und der Ursprung der Kunst Konsequenzen der kabod-Theologie, die eigentlich eine Theologie des „unglücklichen Bewußtseins“ ist, das den Ursprung seines Unglücks und seiner Verzweiflung in den Inbegriff der Herrlichkeit umlügt? Der Begriff des Schönen entspringt genau an diesem Punkt.
    Ist kabod die Rückseite Gottes, die Moses schauen durfte?
    Ist der Name Paulus vom römischen Bürger Saulus nach seiner Bekehrung gewählt worden, um damit auszudrücken, daß er der „Geringste“ sei, gleichsam der Vertreter, der Repräsentant der Armen und der Fremden; mit der dann nicht ungefährlichen Wendung, wonach die Kirche den Armutstitel für sich in Anspruch genommen, ihn den realen Armen entwendet und damit zum Symbol gemacht hat, an das die Mechanismen des Selbstmitleids, der Bekenntnislogik gleichsam zwanglos sich anschließen konnten? Dazu würde die im Katholizismus dann zur Orthodoxie erhobene kabod-Theologie und die Verwerfung der schem-, der Namenstheologie passen. Und die Geschichte der Kirche wäre dann die bewußtlose Abarbeitung der kabod-Theologie (die die naturwissenschaftliche Aufklärung mit einschließt): im Nachhinein gesehen, die Geschichte der drei Verleugnungen.
    Das Ich ist ein Produkt der sieben unreinen Geister.
    Wäre das „Schwerter zu Pflugscharen“ nicht zuerst auf die Kerubim mit dem kreisenden Flammenschwert zu beziehen?
    Die Grund-Beziehung und die Zweck-Beziehung sind nicht voll identisch. Wird die Grund-Beziehung durch die Zweck-Beziehung ersetzt, so erfüllt das genau den Tatbestand der Instrumentalisierung. Der Satz „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren“ wird unwahr, wenn man ihn umkehrt: Um mein Leben zu retten, will ich es verlieren. Das Verfahren der Umkehr, der Verwandlung von Grund-Beziehungen in Zweck-Beziehungen ist auf der Subjekt-Seite die List, objektiv die Gemeinheit. Gegen das Prinzip der Umkehrbarkeit steht das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
    Die Schuldknechtschaft und die Reversibilität von Grund- in Zweck-Beziehungen. Durch die Verräumlichung der Natur werden alle Dinge dem Kausalitätsprinzip unterworfen, der Zweckbegriff subjektiviert, die Natur für subjektive Zwecke verfügbar gemacht. Grund ist die Reversibilität aller Prozesse im Raum, diese Reversibilität wiederum ist der Grund der Gemeinheitsautomatik und die Vernichtung des parakletischen Denkens. Sie ist die Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden kann.
    Das proton pseudos des Inertialsystem ist die Vorstellung, die Prozesse in ihm seien (wie die Richtungen im Raum) umkehrbar. Diese Vorstellung ist durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit widerlegt. Sie ist ebenso falsch wie die Vorstellung, das Im Angesicht und das Hinter dem Rücken seien nicht unterscheidbar. Diese Vorstellung ist der ontologische Grund der Gemeinheit (und den wollte sich die Kopenhagener Schule nicht aus der Hand schlagen lassen).
    Die Lokomotive, die dem Abgrund zurast, ist führerlos, es gibt in ihr nur noch Passagiere, Heizer und Schaffner; die Mitfahrenden werden abgelenkt durch das Angebot, dem eigenen Untergang zuschauen zu dürfen. Sind wir nicht durch das Schauspiel so fasziniert, daß wir nicht mehr in der Lage sind, den Punkt überhaupt noch ins Auge fassen zu können, von dem aus das Ganze vielleicht doch noch zum Halt, wenn schon nicht zum Wenden zu bringen wäre?

  • 15.10.91

    Erkenntnis des Guten und Bösen (Sündenfall, Essen vom Baum der Erkenntnis; Turmbau zu Babel, Verwirrung der Sprache): Für die Getthoisierung heute (für das Front-Denken) ist entscheidend. daß „Aussagen“ nicht mehr nach ihrem sachlichen Gehalt, nach ihrer benennenden Kraft, beurteilt werden, sondern nach dem Freund-Feind-Schema (nach der Bekenntnislogik): Wofür oder wogegen eine Aussage steht. Das Gebot der Feindesliebe (gegen das jedes, auch das christliche Bekenntnis verstößt) ist eine Bedingung der Wahrheit. Das Bekenntnis war seit je eine Waffe (die, indem sie nach außen angewandt wurde, ihre zerstörerische Kraft auch nach innen entfaltete). Es ist eine Mordwaffe, an der Blut klebt, das sich nicht mehr abwischen läßt.
    Die Orthodoxie ist der theologische Reflex der Orthogonalität (die Orthogonalität ist der mathematische Ausdruck von Zwang, Bedingung und Grundlage der „Freiheitsgrade“ des Raumes, ebenso wie der im Geldwesen begründete Zwang zur Arbeit Bedingung und Grundlage der bürgerlichen Freiheit: aber die Freiheiten sind nur formal, nicht inhaltlich gleich; die Entdeckung des Winkels und die des Begriffs gehören zusammen – vgl. Thales und Pythagoras).

  • 27.09.91

    Was steckt hinter der Erklärung zur Bezeichnung Seraphim, daß saraf „feurig, und d.h. giftig“ bedeute? Gehören der Chaosdrache und die Meeresungeheuer in das noch ungeschiedene Wasser (vor der Trennung durchs Firmament)? Ist die Schlange der aus den oberen Wassern gestürzte Drache (Venus, Luzifer), muß sie deshalb auf dem Bauche kriechen und Staub fressen, und verwandelt sich dadurch das unrsprünglich feurige Element in ein giftiges (Lösung des Rätsels der Chemie)?
    Beelzebul, Herr der Fliegen: ist das nur ein Spottname, ein Spitzname, oder erinnert das doch an den Ursprung der Fliegen (Insekten); vgl. auch die ägyptischen Plagen, die Heuschrecken, Fliegen, Skorpione.
    Silvia Schroer beruft sich zwar auf Elisabeth Schüßler-Fiorenza, übersieht dabei aber, daß das, was sie (und in mancher Hinsicht die feministische Beschäftigung mit der jüdischen Bibel überhaupt) macht, sich doch erheblich von der feministischen Exegese des NT unterscheidet: die Suche nach der matriarchalischen Schicht unterhalb des biblischen Patriarchats steht in der Tradition der protestantischen Bibelkritik; sie behandelt den monotheistischen Aufklärungsprozeß wie ein neutralisiertes Bekenntnis und gerät damit in den Bann der nationalistischen Geschichtsschreibung und in die Nähe des Antisemitismus. Grund ist, daß sie den Zusammenhang von neutralisiertem Bekenntnis (der Abschirmung des Bekenntnisses gegen seine gesellschaftlichen Voraussetzungen) und Sexismus nicht begreift, was zur Folge hat, daß ein Titel wie der von R. Radford Ruether: Frauen für eine befreite Gesellschaft, hier nicht mehr denkbar wäre; das utopische Element scheint ins sogenannte Alte Testament nicht mit herübergerettet werden zu können; deshalb wird hier alles zur Rechtfertigung (und damit zur Ideologie).
    Wenn eine Rettung der Utopie möglich ist, dann über die Rettung und Kritik der Bilderwelt in der Apokalyptik; Voraussetzung wäre, daß das sprachliche Wesen der Bilder (Fall, Empörung, Umkehr) begriffen, ihre dingliche Gegenständlichkeit kritisiert wird. Die Hure Babylon ist das Patriarchat. Und die Bilder sind Elemente des kritischen Begriffs von Herrschaft.
    Die Privatsphäre enthält die Erinnerung an den Tempel, und dieser die Erinnerung ans Paradies (Schutz der Scham). Vor den Toren stehen die Kerubim und das kreisende Flammenschwert. Ist aber das Paradies nicht auch der Uterus, und die Vertreibung aus dem Paradies die Geburt, auf die der Satz aus der Sündenfallgeschichte zu beziehen ist: Mit Schmerzen sollst du deine Kinder gebären? Die Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies ist noch nicht abgeschlossen.
    Gehören die beiden Geschichten nicht zusammen: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, und: Mit Schmerzen sollst du deine Kinder gebären?
    Läßt sich die Lücke, die das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit im Inertialsystem bezeichnet, nur durch ein System von Rotationen schließen (mit einem System innerer und äußerer Spannungen, vom Fall bis zu den elektrodynamischen Prozessen)?
    Zu den kantischen Antinomien der reinen Vernunft: Der Rechtsstaat ist gegen das vollkommene Verbrechen (das mit den Mitteln der Beweislogik nicht mehr nachweisbar wäre) nicht zu sichern; und der technische und gesellschaftliche Fortschritt hat unter anderem zur Folge, daß die Möglichkeit und Chance des vollkommenen Verbrechens sich erhöht (bis hin zu dem Punkt, an dem der Rechtsstaat sich selbst als das vollkommene Verbrechen enthüllt).
    Zusammenhang von Gemeinheitsautomatik und Paranoia: Ist nicht das Weltsystem soweit entwickelt, daß es aus sich selbst bereits die Paranoia erzeugt? Konstruktion der erfahrungsbildenden Kraft der Paranoia (ihrer transzendentalen Logik). Der Weltbegriff ist selber paranoid und deshalb Paranoia-erzeugend.
    Die babylonische Sprachverwirrung endet im Schweigen Wittgensteins („die Welt ist alles, was der Fall ist“). Und das Schweigen Wittgensteins rührt an den Grund der seit der babylonischen Sprachverwirrung wirksamen Verdrängung.
    Im Briefwechsel zwischen Hooke und Newton weist Hooke darauf hin, daß ein freier Fall aus großer Entfernung nicht direkt aufs Zentrum zuläuft, sondern generell eine Abweichung aufweist, die dann in eine elliptische Bahn übergeht (Ivo Schneider, S. 46). Läßt sich aus den Planetenbahnen Richtung und Geschwindigkeit der Ursprungsbahnen rekonstruieren (oder aus den Mond-, Sonne-und Planetenbahnen insgesamt deren Ursprungsbahnen)? – Newton selbst hatte angenommen, daß der Fall in Spiralbahnen übergeht: Hängt die Struktur der „Spiralnebel“, der Galaxien, mit dem astronomischen Dopplereffekt zusammen?
    Gegen Marx weist Heinsohn zu Recht darauf hin, daß das Geld nicht gleichsam aus Vereinfachungsgründen, zur Erleichterung des Tauschhandels, erfunden wurde (Erfindung eines allgemeinen Tauschmittels, um nicht mehr Ochsen gegen Anzüge tauschen zu müssen), sondern das Geld war eine unzureichende Antwort auf eine gesellschaftliche Naturkatastrophe: auf die Probleme der Schuldknechtschaft als unbeherrschbar gewordene Folge der Einführung des Privateigentums.
    Das Schicksal Jakobs bei seinem Onkel Laban ist das typische Schicksal eines Mannes, der in Schuldknechtschaft geraten ist und seine Schuld abarbeitet. Und der Verkauf des Erstgeburtsrechts von Esau an Jakob: Ist das nicht auch eine Abgeltung des Kinderopfers, das das Schicksal des Erstgeborenen war? Hatte nicht auch Esau einen Vorteil aus dem Verkauf des Erstgeburtsrechts? War es diese „Schuld“ des Erstgeborenen, die Jakob dann bei Laban abarbeiten mußte? Ist nicht der Götzendienst – so wie heute Religion generell – die Ideologisierung der Schuldknechtschaft: das Sich-Abfinden mit der Schuldknechtschaft (und der Kampf gegen die Idolatrie Grundlage und Folge des Aufbegehrens gegen das System der Schuldknechtschaft)?
    Die Fleischtöpfe Ägyptens und die Hurerei Babylons sind zwei Seiten der gleichen Sache. Ägypten ist hierbei das erste naturwüchsige staatskapitalistische System, und die Geschichte des Ursprungs dieses Systems ist aufgezeichnet in der Josephsgeschichte in der Bibel.
    In Ägypten sind es die Priester, die als einzige ihr Land behalten, in Israel die Leviten, die kein eigenes Land zugewiesen bekommen. Der Stamm Levi muß vielmehr von den übrigen Stämmen mit unterhalten werden, und die levitischen Städte werden dann zu Asylstädten in denen jene, die ohne eigene Schuld Mörder geworden sind, Asyl und vor der Blutrache Schutz finden können.

  • 20.09.91

    Theorie des Feuers (gibt es in der Schrift eine Erinnerung an den Ursprung des Gebrauchs des Feuers?).
    Off 1318: Hode hä sophia estin. ho echon noun psäphisato ton arhithmon tou thäriou. arhithmos gar anthropou estin. kai ho arhithmos autou hexakosioi hexäkonta hex. – Ist es die Zahl eines oder des Menschen? Weisheit und Verstand werden dann in Off 179 zitiert und erläutert: auf Rom bezogen.
    Der Drache, das Tier aus dem Meere und das Tier vom Lande: wie verhalten sich diese drei zur Struktur von Herrschaft, Schuld und Verblendung?
    Die Schrift macht das hic et nunc gegenstandslos und das Eine zum Anderen des Anderen (oder sie befreit den Gegenstand vom hic et nunc, von seinem Namen, und begründet die verandernde Kraft des Seins).
    Der Fisch ist ein Christus-Symbol (ichthys = iesous christos theou uios sotär), aber ebenso das Lamm (der Widder?). Jedoch der Fisch aufgrund seines Namens, das Lamm, weil es stumm zur Schlachtbank geführt wird. Das Lamm liefert Wolle und Fleisch, die Kuh Milch und Fleisch, das Schwein nur Fleisch (das Schwein wird durch Domestizierung nackt).
    Gibt es eine Evolutions-Synopse, die die Erdentwicklung, die Entwicklung der Pflanzen und die der Tiere synoptisch, in ihrem gleichzeitigen Verlauf, darstellt?
    Die Sonne beherrscht den Tag und das Jahr, der Mond die Nacht und den Monat.
    Der Sabbat ist der Tag des Saturn, nicht der Sonne. Der Sonnentag ist der erste Tag, der der Erschaffung des Lichts. Die Wochentage, die auch mit dem Schöpfungswerk (dem Hexaemeron) zusammenhängen, stammen wahrscheinlich aus dem Sternendienst, sie orientieren sich an den „Planeten“, den beweglichen Sternen:
    – Sonne
    Licht (Tag und Nacht)
    – Mond
    Gewölbe mitten im Wasser, scheide Wasser von Wasser (Himmel)
    – Merkur
    Wasser sammle sich, das Trockene werde sichtbar (Land, Meer)
    das Land lasse Grün, Pflanzen mit Samen, Bäume mit Samen und Früchten wachsen (das Land brachte … hervor)
    – Jupiter
    Lichter am Himmelsgewölbe, um Tag und Nacht zu scheiden (als Zeichen und zur Bestimmung von Festzeiten, Tagen und Jahren); Gott machte die beiden großen Lichter (das größere soll über den Tag, das kleinere über die Nacht herrschen) und die Sterne; Gott setzte die beiden Lichter ans Himmelgewölbe (sie sollen über die Erde hin leuchten, über Tag und Nacht herrschen, Licht von der Finsternis scheiden)
    – Mars
    das Wasser wimmele von lebendigen Wesen, Vögel über der Land am Himmelsgewölbe; Gott schuf …; Gott segnete sie (fruchtbar, vermehren, bevölkern)
    – Venus
    das Land bringe alle Arten von lebenden Wesen hervor (Vieh, Kriechtiere, Tiere des Feldes).
    Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich, sie sollen herrschen über Fische des Meeres, Vögel des Himmels, das Vieh, die ganze Erde und alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf … (als sein Abbild, als Abbild Gottes, als Mann und Frau). Gott segnete (seid fruchtbar, vermehrt euch, bevölkert die Erde, macht sie euch untertan, herrscht über Fische, Vögel, Tiere). Nahrungsgebot (vegetarisch).
    So wurden Himmel und Erde vollendet und ihr ganzes Gefüge.
    – Saturn
    Gott vollendet das Werk, das er geschaffen hatte.
    ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte.
    segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig, denn an ihm ruhte Gott, nachdem er … geschaffen hatte.
    Hängt die Finsternis (die Scheidung des Lichts von der Finsternis) mit dem Gravitationsfeld zusammen? Und hängt die Mathematik mit den Zeugungen zusammen?
    Wehalb durfte am Freitag kein Fleisch, wohl aber Fisch gegessen werden (Venus/Drachen: apokalyptisches Mahl des Leviatan)? Der Freitag ist der Tag der Kreuzigung, der Donnerstag der des Abendmahls.
    Zum Zeichen des Tieres an Hand und Stirn: Was bedeuten Hand und Stirn? (Off 1316ff; zu Zeichen vgl. Gen 415, 912; zu Hand Deut 68; zu Stirn Ez 94 und Off 94).
    Er ging hinaus und weinte bitterlich: das Weinen ist Trauerarbeit. Das Weinen bezieht sich auf den Trotz, in der Geschichte der drei Verleugnungen auf den in der Selbstverfluchung sich vollendenden Trotz. Das Weinen ist Ausdruck der Einsicht und des Bekenntnisses: Ja, das bin ich gewesen, das habe ich getan.
    Wenn ich noch die Zeit und die Kraft dazu hätte, würde ich gerne
    – einen Kommentar zur Hegelschen Logik schreiben. Arbeitstitel: Die Hegelsche Logik und das Inertialsystem.
    – Oder eine Kritik der Heideggerschen Philosophie. Arbeitstitel: Die Fundamentalontologie oder das Herrendenken als Selbstverfluchung.
    Kann es nicht sein, daß ebenso wie Abraham in der Genealogie vor die Könige (mit dem Einschub der Parodie auf beide: das Richterbuch) gesetzt wird, auch die Schöpfungsgeschichte, das Hexaemeron, im Rahmen der (nachdynastischen) Auseinandersetzung mit dem Sternendienst, an den Anfang gesetzt wurde?
    Welche Rolle spielen eigentlich Lot, Ismael und Esau in der Vätergeschichte?
    Ist Melchisedech, der „König von Salem“, ein Nachfahre des David? Welche Abraham-fremden Vorfahren gibt es in der Genealogie Davids (und Jesu): die Frauen?
    – Tamar die Kanaaniterin (Mutter des Perez),
    – Rahab die Frau aus Jericho (Mutter des Boas),
    – Rut die Moabiterin (Mutter des Obed),
    – Batseba die Hethiterin (Mutter des Salomo)?
    Schon der Vorläufer des Personbegriffs, die hypostasis (das hypokeimenon oder die Substanz), das Zugrundeliegende, der Träger der Eigenschaften (wie die Person Träger des damit neutralisierten Namens ist) ist vom Bekenntnisbegriff (und der Bekenntnislogik, die die Logik der Verdinglichung ist) nicht zu trennen. Das Bekenntnis drückt genau die Trennung des Subjekts vom Prädikat, des Trägers (Dings) von seinen Eigenschaften aus; diese Trennung ist der Grund der Verdinglichung, sie verwandelt die dann sich bildende Beziehung in eine Schuldbeziehung. So zieht der Personbegriff auch den Namen in diese Schuldbeziehung mit herein (und neutralisiert seine benennende Kraft, verwandelt ihn in einen singulären Begriff: in eine singuläre Eigenschaft, die die Person dingfest macht; im Spitznamen drückt sich diese verdinglichende, fertigmachende Gewalt als Gelächter, deren letztes Objekt die Person ist, aus).
    Empörung gibt es nur im Kontext der Personalisierung (Personalismus und Wertethik). Grundsatz der Personalisierung: An sich ist die Welt in Ordnung, aber leider gibt es ein paar Bösewichter (Prinzip der Idolatrie: Vergöttlichung der Bösewichter).
    Personalismus und Wertethik ratifizieren die Zerstörung der Idee des Glücks. Benjamins Satz „Glücklich ist, wer seiner selbst ohne Schrecken inne wird“ bezieht sich auf ein Selbst, das sich allein im Angesicht Gottes konstitituiert.
    Der Personalismus ist ein Ableger der christlichen Sexualmoral, die ihn zugleich stabilisiert; diese ist der Grund dessen, was seitdem „persönliche Verantwortung“ heißt: Zentrum einer Moral, die als Urteilsnorm das moralische Urteil durch Setzung des korrespondierenden Objekts: der Person, konstituiert. Hier liegt der Grund und der Ursprung des historischen Verdrängungsprozesses, Produkt einer auf den ersten Blick geringfügigen Verschiebung: der Vorstellung, die Erbsünde werde durch die Sexuallust (anstatt durch durch die sexualmoralische Urteilslust) auf die nachfolgenden Generationen übertragen. Das einzige Gegenmittel ist das Nachfolgegebot, das dem sexualmoralisch begründeten Feinddenken den Boden entzieht. (Zusammenhang von Sexualmoral, Objektivation und Verdinglichung, Personalisierung und Verinnerlichung des Opfers, Verschiebung des Mitleids vom Opfer aufs Selbst). Neubestimmung des Schuldbegriffs im Kontext des Nachfolgegebots (Befreiung vom Projektionszwang).
    Personalisierung ist die letzte Möglichkeit, unter Verkennung der realen Beziehungen zwischen Welt und Person (der Weltgrundes der Person) Rachephantasien auszuleben. Die Verdrängung der Frage, was nach dem revolutionären Akt kommt, brutalisiert den revolutionären Akt, macht ihn terroristisch; ihr subjektiver Grund sind Heile-Welt-Phantasien (das Unheil kann nur von Bösewichtern kommen: so aber hat’s seit je die Kirche gelehrt). Die Säkularisierung der falschen Theologie, die Beibehaltung des Bekenntnisprinzips (mit Feinddenken, Ketzerverfolgung und -nicht zuletzt – Frauenfeindschaft) ist nur ein Indiz dafür, wie tief das christliche Erbe sitzt, wie sehr es uns in Fleisch und Blut übergangen ist; sie ist aber nichts weniger als eine geglückte Aufhebung des falschen Christentums. Der Atheismus, die Gottesleugnung, ändert die Welt nicht, versperrt nur der Reflexion die letzte Chance, das Moment der Unwahrheit im Weltbegriff zu begreifen.
    Der Personbegriff drückte einmal die Anerkennung durch andere aus, die Hegel zufolge im Kampf um Leben und Tod errungen wurde und (ebenso wie das Eigentum, die Rechtsfähigkeit) die Person zur Person machte; in der verwalteten Welt ist die Person zum Knoten im Netz geworden, in dem sie gefangen ist und aus dem sie nicht mehr herauskommt: ist sie zu einer bloßen Funktion des Staates geworden, dessen Gewaltmonopol sie hilflos ausgeliefert ist, sofern sie nicht durch Eigentum geschützt ist. In dem Schimpfwort „diese Person“, das seinen logischen Ort im nachbarlichen Gerede hat, drückt sich die Wahrheit der vorfaschistischen Wertethik aus: als Person ist sie ungeschützt den Werturteilen ihrer Umwelt ausgeliefert; ohne Personbegriff kein Feinddenken: Horkheimers Wort über die Ambivalenz des Christentums gründet im christlichen Gebrauch des Personbegriffs (ohne den Personbegriff in der Trinitätslehre würde es keinen Grund für Apologetik und Theodizee geben; die damit systemlogisch verbundene Gottesidee ist ohne verteidigendes, apologetisches Denken nicht zu halten: Umkehrung der so neutralisierten Idee des Heiligen Geistes; es ist nicht unwichtig zu wissen, daß Tertullian, der den Personbegriff in die lateinische Theologie eingeführt hat, Jurist war: der Gedanke ist nicht abzuweisen, daß der Personbegriff hier nur noch das gemeinsame Verfügungsrecht der drei göttlichen Personen über die eine Wesenheit, die homoousia, ausdrückt).
    Der Bekenntnisbegriff sowie Form und Inhalt des christlichen Dogmas bilden ein System, das jedoch nur dann zu begreifen ist, wenn das System als ganzes gleichsam als sein eigener Umkehrpunkt begriffen wird. Die Bekehrung dieses Systems, seine Rettung vor dem Instrumentalismus, läßt sich begründen aus dem Nachfolgegebot; ihre Realisierung wäre die Wahrheit des Satzes „Schwerter zu Pflugscharen“.
    Gegen Heinsohn: Das Opfer ist kein Mittel der Katastrophenbewältigung, sondern eines der Schuldbewältigung: es will (wie das Experiment in der Physik) eine Untat durch Wiederholung ungeschehen machen. Und die Idolatrie (auch der Sternendienst und das Bilderwesen) ist ein Mittel der Komplizenschaft: der Rechtfertigung von Herrschaft.
    Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Bezeichnungen Barbaren und Hebräern? Wenn, dann würde das genau die Differenz zwischen der hellenischen und der israelitischen Tradition ausdrücken: der Unterschied zwischen der projektiven Fremdbezeichnung und der reflexiven Selbstbezeichnung (sie „lebten als Fremde im Lande“ – ist der „hebräische Sklave“ ein „fremder“ Sklave?). Ist die Teilung bei Eber die zwischen Hellenen (im weitesten Sinne) und „Barbaren/Hebräern“ (der erste historische Ausdruck der Klassengesellschaft), die Teilung, in der sich die Hebräer auf der anderen Seite wiederfinden (und „Abraham der Hebräer“ sollte „ein Segen für die Völker“ werden)? Der verzweifelt scharfsichtige Nietzsche hatte Recht: die jüdisch-christliche Religion ist eine Sklaven-Religion (aber der „Wille zur Macht“ ist die falsche, die faschistische Konsequenz daraus: jedoch die einzige, wenn die jüdisch-christliche Tradition verworfen wird). Die Söhne Ebers waren Peleg (Teilung) und Joktan, Peleg gehört zum Stammbaum Jesu. Zwischen den Genealogien Joktans (Gen 1026) und Pelegs (Gen 1118) liegt der Turmbau zu Babel (Gen 111ff).
    Nochmal zu den Söhnen Ebers: Ist der Teil der Nachkommenschaft Ebers, der vor der Sprachverwirrung benannt wird und wohl im Arabischen wohnt, eine Abspaltung, in der sich die Ursprache (die Sprache vor der Sprachverwirrung) erhalten hat? Oder hat Eber mit Abraham und seine Söhne mit den Söhnen Abrahams (und insbesondere Joktan mit Ismael) zu tun (wo sind ihre Siedlungsgebiete: die Söhne Joktans von Mescha, wenn man über Sefar kommt, bis ans Ostgebirge – Gen 1030 – und die Söhne Ismaels von Hawila bis Schur, das Ägypten gegenüber an der Straße nach Assur liegt – Gen 2518; ist nicht die Jakobsleiter in der Jakobsgeschichte das Gegenstück zum Turmbau von Babel)?
    Die barbaroi sind die „Stammelnden“, nur die Hellenen sind sich selber verständlich. Ist nicht in der Prophetie der „Taumelkelch“ ein Bild für das, was im Hellenismus (im griechischen Mythos und in der Philosophie, in dem, was Nietzsche im Dionysischen, der Innenseite des Apollinischen, begriffen hat) dann sich entfaltet? Im Hegelschen Absoluten, in dem „kein Glied nicht trunken ist“ (vgl. hierzu auch Kants Antinomien der reinen Vernunft und Hegels Bemerkungen dazu), kehrt das wieder. In der philosophisch instrumentierten Trinitätslehre ist dieser „Taumelkelch“ ins Christentum eingewandert. Und der zentrale Begriff war wohl der der homoousia, den Konstantin in Nizäa durchgesetzt hatte.
    Das Stammeln der Barbaren ist in der Schrift Wort geworden. Und die Aufgabe der historischen Bibelkritik scheint es zu sein, die Bibel aus ihrer falschen Verständlichkeit in dieses Stammeln zurückzuübersetzen, aus dem heraus sie vielleicht einmal wirklich verstanden werden kann. (Ist Hebräisch eine Objektsprache? Und verweist die Unterscheidung von Hellenen und Barbaren auf den Turmbau zu Babel?)
    Die Sprache des NT ist Griechisch: die damalige „Weltsprache“ und die Sprache der Philosophie. Aber das neutestamentliche Griechisch ist weder das eine noch das andere, es stammelt gleichsam in beiden Sprachen. Zu begründen ist das neutestamentliche Griechisch eigentlich nur durchs Nachfolge-Gebot: als ein erster Versuch, in der Sprache der Welt die Schuld der Welt auf sich zu nehmen. So hat es auch sprachlich die Gestalt des Gottesknechts angenommen (Jes 421-9, 491-7, 504-11, 5213-53).
    In Heideggers Fundamentalontologie wird der Taumelkelch zur Droge; davon ist die Kirche süchtig geworden.
    Maß, Zahl und Gewicht (Waage): sind das nicht Raum, Zeit und Materie (vgl. Hegels Logik, Quantität)?
    Zu Maß, Zahl und Gewicht (die Produkte der Abstraktion und des Vergleichens, von Augustinus als Hinweis auf die Trinitätslehre verstanmden): Liegt der Ursprung des „Gewichts“ im Geldwesen (das Geld als Einheit von schwerer und träger Masse; babylonische Tempelwirtschaft und Astronomie / Astrologie, Schuldknechtschaft; moderne Astronomie und Gravitationslehre als Stabilisator der Mechanik; Kopernikus und Newton waren Münzbeamte)?
    Die Welt, auch die physikalische, ist die Wolfswelt.
    Der „Schrecken Isaaks“ ist der Schrecken des „Er lacht“. Die tiefe Zweideutigkeit, die Dämonie des Lachens, in dem Freude und Hohn kaum voneinander sich trennen lassen, klingt hier an. Zuletzt erscheint das in der verkehrten (unbekehrten, mit dem christlichen Begriff der Sexualmoral zusammenhängenden) Vorstellung des Augustinus, daß zur Glückseligkeit der Seligen im Himmel der Anblick der Leiden der Verdammten in der Hölle gehört. Hier ist einer der christlichen Ursprünge des Faschismus; hier sind die Seligen im Himmel schon auf der Bahn zum KZ-Wächter. In jeder Law and Order-Mentalität steckt etwas davon.
    Der positivistische Ansatz in Loretz‘ Hebräer-Buch hängt nachweislich zusammen mit der Unfähigkeit, das Moment der Gemeinheit im wissenschaftlichen Objektivismus (und in der vergesellschafteten Welt) zu reflektieren.
    Die Josephs-Geschichte beschreibt den Vorgang der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals im Kontext des Staatskapitalismus, während die ökonomisch-religiösen Institutionen in Babylon solche der Privatwirtschaft gewesen zu sein scheinen. Das Königtum und die Tempelwirtschaft sind Instrumente eines Handelsbürgertums, das so die Grundlagen des Handels: das Geld und das Vertragswesen, absicherte (dagegen ist der Dekalog von Grund auf antikapitalistisch).
    Pyramide und Mausoleum: Zusammenhang von Staatskapitalismus und Totenkult.
    Der Ursprung der Idee, die Welt müsse zivilisiert werden, ist griechisch (Alexander); und der Ursprung der Idee, sie müsse befriedet werden, römisch (Cäsar / Augustus). Beides kehrt wieder in der spätchristlichen Verbindung von Mission und Kolonialismus (die Asylanten von heute sind die Nachfahren der Hebräer).
    Ebenso, ja mehr noch wie im Wörterbuch steckt die Weltgeschichte in der Grammatik (Genitiv / Dativ; mit dem Ablativ verschwindet der Sprachgrund der Gnadenlehre). Der Weltbegriff selber ist Teil einer grammatischen Struktur, eines grammatischen Konstrukts, des gleichen Konstrukts, durch das der Begriff in der Sprache verankert wurde (das prädikative Urteil, die damit zusammenhängenden Strukturen der Deklination und Konjugation), während die Mathematik sich aus der Sprache und gegen die Sprache entfaltete (Beziehung von Mathematik und prädikativem Urteil; Verstärkung der Gewalt des prädikativen Urteils durch die Mathematik: Was bedeutet der Begriff Mathematik?).
    Die Metaphysik setzt die Physik, die Gegenstandswelt, voraus. Deren Konstruktion setzt wiederum die Astronomie voraus.
    Die Heideggersche Philosophie ist ein Reflex der verdinglichten Objektwelt: die auftrumpfende Ohnmacht des Subjekts, der zwangshaft sich selbst reflektierende Instrumentalismus, der das Bewußtsein, Instrument zu sein (der „Uneigentlichkeit“), unter taktischer Verwendung der selber instrumentalisierten Bekenntnislogik (des Dezisionismus) zur „Eigentlichkeit“ aufspreizt.

  • 09.09.91

    „Ein unreiner Geist, der einen Menschen verlassen hat, wandert durch die Wüste und sucht einen Ort, wo er bleiben kann. Wenn er aber keinen findet, dann sagt er: Ich will in mein Haus zurückkehren, das ich verlassen habe. Und wenn er es bei seiner Rückkehr leer antrifft, sauber und geschmückt, dann geht er und holt sieben andere Geister, die schlimmer sind als er selbst. Sie ziehen dort ein ein und lassen sich nieder. So wird es mit diesem Menschen am Ende schlimmer werden als vorher.“ (Mt 1243ff, Lk 1124ff) Aber es gilt auch: „Seid also wachsam! Denn ihr wißt nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.“ (Mt 2442) und „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet.“ (Mt 2641) – „Als Jesus am frühen Morgen des ersten Wochentages auferstanden war, erschien er zuerst Maria Magdalena, aus der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte.“ (Mk 169)
    Beschreibt die Geschichte mit dem Tiefschlaf Adams und der Er-schaffung Evas aus einer Rippe einen innersprachlichen Vorgang, ein Hinweis auf den Ursprung der Sprache (nach der Namengebung das Du; Objekt und Adressat)? War die Benennung der Tiere ein Reflex der Benennung Adams, so bildet sich jetzt mit dem Du das Ich (vgl. den „Tiefschlaf“ Abrahams: „große, unheimliche Angst befiel ihn“ – Gen 1512).
    Spenglers Hinweis, daß in der modernen Welt die Musik die Stelle einnimt, die in der alten Welt die Statue einnahm, gibt Sinn, wenn man an die Bedeutung der Statue denkt: die Abgeltung des Menschenopfers und die Erinnerung ans Opfer. Die Musik ist die Abgeltung des Opfers der Sprache und die Erinnerung an dieses Opfer (die Erinnerung ans verinnerlichte Opfer). Insoweit ist die Musik auf eine ganz vertrackte Weise christologisch (antimythisch).
    Zum Begriff der Hebräer: „der Hebräer Abram“, seine Begegnung mit dem Pharao und Abimelech, dem Philisterkönig; bei welchen der zehn Plagen beruft sich Moses auf den „Gott der Hebräer“? An welchen Stellen in den Philisterkriegen werden die Israeliten von wem Hebräer genannt (Hebräer als Fremdbezeichnung, während die Selbstbezeichnung Israeliten ist – Zusammenhang mit der Abimelech-Geschichte bei Abraham und Isaak)? – Wer hat wann hebräisch gesprochen (die Schrift ist hebräisch, nur Zitate sind aramäisch)? – Steckt der Name Sara in Israel drin, ist Israel von Sara abgeleitet? Weshalb sind die Verwandten Abrahams keine Hebräer, sondern Aramäer?
    Ist nicht die Tatsache, daß auch Levi als ein besonderer Stamm erscheint, ein Hinweis darauf, daß auch soziale Schichten in der Schrift völkerähnlichen Status haben können? In Indien ist dieses Verhältnis im Kastenwesen gleichsam geronnen und fixiert worden. Sprechen die indischen Kasten auch unterschiedliche Sprachen?
    Was drückt sich darin aus, daß der Jahwist sowohl archaischer als auch jünger ist als der Elohist?
    Spricht nicht die Geschichte vom Handel Abrahams mit Jahwe über die Strafe gegen Sodom (was war die Sünde Sodoms?) dafür das Hinkelammert mit seiner Interpretation der Opferung Isaaks recht hat?
    In der Exodusgeschichte und in der Geschichte der Philisterkämpfe erweist sich die Selbstbezeichnung Israel als die Innenerfahrung dessen, was von außen Hebräer heißt. Hieran läßt sich die Differenz griechischen Geschichte aufzeigen: Während die Griechen nur den Unterschied zwischen der aktiven Selbst- und Fremdbezeichnung (Hellenen und Barbaren) kannten, handelt es sich bei den Juden um den Unterschied zwischen der passiven Selbst- und Fremdbezeichnung (Israeliten und Hebräer). – Grund zur Hoffnung, scheint mir, liegt darin, daß die Deutschgesinnten in aller Regel kein Deutsch können: Nur so ist der Sonderfall, daß ein Volk für sich nur die passive Fremdbezeichnung kennt (während der Gebrauch des Volksnamens als passive Selbstbezeichnung selbstzerstörerisch ist) nicht nur ein Verhängnis. Der Name der Deutschen ist nicht mehr als Name, nur noch als Reflexionskategorie verwendbar.
    Ist die raf eine biblische Zelotenbewegung?
    Das Objekt ist der besiegte Feind.
    Wer sind die Völker Kanaans, von den Hetitern bis zu den Jebusitern (Ursprung in den Genealogien)?
    – Gen 1519: Keniter, Kenasiter, Kadmoniter, Hetiter, Perisiter, Rafaiter, Amoriter, Kanaaniter, Girgaschiter, Hiwiter, Jebusiter;
    – Ex 317: Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter;
    – Ex 2323: ebenso
    – Ex 2328: Hiwiter, Kanaaniter, Hetiter;
    – Num 1329: Anakiter, Amalek, Hetiter, Jebusiter, Amoriter, Kanaaniter;
    Gottesnamen:
    – … aber unter meinem Namen Jahwe habe ich mich ihnen (sc. Abraham, Isaak und Jakob) nicht zu erkennen gegeben (Ex 63)
    – vor Pharao, vor Beginn der Plagen: „der Gott der Hebräer … und Jahwe ….“ (Ex 52)
    – Erste Plage (Wasser in Blut): „Sag zum Pharao: Jahwe, der Gott der Hebräer, hat mich zu dir gesandt …“ (Ex 716)
    – zweite Plage (Frösche): „So spricht Jahwe“ (Ex 726)
    – dritte Plage (Stechmücken): „… der Finger Gottes“ (Ex 815)
    – vierte Plage (Ungeziefer): „So spricht Jahwe“ (Ex 816)
    – fünfte Plage (Viehseuche): „So spricht Jahwe, der Gott der Hebräer“ (Ex 91)
    – sechste Plage (Geschwüre): ohne (Ex 98)
    – siebte Plage (Hagel): „So spricht Jahwe, der Gott der Hebräer“ (Ex 913)
    – achte Plage (Heuschrecken): „So spricht Jahwe, der Gott der Hebräer“ (Ex 103)
    – neunte Plage (Finsternis): ohne (Ex 1021)
    – zehnte Plage (Tod der Erstgeburt): ohne (Ex 1229)
    Melchisedech ist der König von Salem, die Opferung Isaaks fand auf dem Berge Morija statt.
    Die Geschichte vom Traum mit den sieben fetten und den sieben mageren Jahren hat ihre Erfüllung in der Geschichte von den sieben fetten Jahren, in denen der Pharao sich die Überschüsse der Ernte des Landes aneignet, und den sieben mageren Jahren, in denen Joseph die Armut des Landes ausnützt, um die Bauern ins Eigentum des Pharao zu überführen, nachdem sie ihr Geld, ihr Vieh und schließlich ihr Land gegen das Getreide in Zahlung gegeben haben. Das ganze erinnert an den Satz Hegels, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug ist, der Armut zu steuern, oder auch an die Geschichte von der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals. – Gab es in Ägypten Gefängnisse, und aus welchem Grunde? War es ein Ort für Schuldgefangene, für Straftäter, für politische Häftlinge?
    Was reimt sich auf Dorn: Horn, Korn, Born, Zorn, vorn.
    Schneisen durch den Dschungel der neuen Unübersichtlichkeit?
    Andere führen ihren Hund spazieren, ich führe meinen Gott spazieren; aber der holt mir nicht jeden Knüppel zurück.
    Ist es nicht so, daß die Kirche dort, wo sie zu lösen vorgibt, bis heute immer nur gebunden hat, und das aus eben jenem Kleinglauben, der sich heute zur realen Verzweiflung und zur Selbstverfluchung auswächst?
    Die spezielle Relativitätstheorie rückt das Zentrum des Systems in jene Lücke im System, auf die das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit hinweist, d.h. auf ein im strengen Sinne systemtranszendentes Element.
    Es gibt auch eine historische Anwendung des Inertialsystems, deren Strukturgesetz wird einerseits durch die transzendentale Logik Kants, andererseits durch die Hegelsche Logik des Begriffs beschrieben.
    Der Unterschied zwischen der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals und der antiken Schuldknechtschaft scheint darin zu liegen, daß, während diese sich aus der Eigenlogik der wirtschaftlichen Entwicklung ergab, jene etwas Gewolltes und bewußt Angestrebtes war, wobei jedoch auch hier der Wille sich am Ende nur als ein Moment im System erwies.
    In welcher Beziehung steht der Turmbau zu Babel zur Regenbogengeschichte?
    Der Beweiszwang entspricht dem Bekenntniszwang, beide vertreiben die Erkenntnis, die Einsicht aus der Wahrheit. Das ist der Grund für das Mißlingen jeglicher Apologetik.
    Die moderne Astronomie versündigt sich gegen das Herrschaftsgebot der Genesis, indem sie nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel versucht sich untertan zu machen. Allerdings hat hier die Theologie in der Geschichte der Dogmenentwicklung die nötige Vorarbeit geleistet. – Gott hat den Menschen nach seinem Bilde erschaffen; der Mensch hat den ganzen Kosmos dem Bilde der Erde nachgebildet (und so dem Totalitätsbegriff der Natur unterworfen).
    Titelvorschlag: Objektivation und Instrumentalisierung?
    Wie steht es mit den Realien zu den Geschichten Rut, Judit, Ester, Tobit, Hiob, Jonas? Sind die historischen Überlagerungen vergleichbar mit denen der Abraham-Geschichte? (Nach Franz von Baader hat die Schrift insgesamt apokalyptische Bedeutung.)
    Die Gleichnamigmachung des Ungleichnamigen (die babylonische Sprachverwirrung) in der Theologie.
    Idolatrie und Opfer gehören zur Genese des Eigentumsbegriffs. Und diese Geschichte des Eigentumsbegriffs wird fundiert und abgesichert durch Geschichte und Struktur des Weltbegriffs. Die Phasen dieser Geschichte lassen sich ablesen an den Gestalten der Kulturen (der Religionen und der Kulturen, bevor sie durch den Säkularisationsprozeß neutralisiert und musealisiert worden sind). Religionen sind geronnene Formen der subjektiven Verarbeitung der Eigentums- und Rechtsgeschichte. Der heutige Atheismus ist darauf zurückzuführen, daß die Verdrängung heute soweit gediehen ist, daß man glaubt, diese Verarbeitung nicht mehr nötig zu haben.
    Bei Heinsohn hängt die Naturkatastrophentheorie, aus der er dann die Genese des Opfers (den Ursprung des Monotheismus und des Geldes) ableitet, erkennbar mit seinem Ökonomiebegriff zusammen, aus dem er die genetischen Zusammenhänge weiterhin heraushalten möchte. Deshalb braucht er die Naturkatastrophen als Mittel der Erklärung.
    Ist die lateinische Version des christlichen Dogmas römische Rechtsmystik (Person- und Eigentumsmystik)? Wenn die Person durch ihr Verhältnis zu anderen Personen und zum Eigentum definiert wird, und diese Verhältnis als allgemeines sich im Geld vergegenständlicht, dann gab es für das Christentum keine andere Form der Auseinandersetzung mit dem Mythos als die der Überwindung (nicht der Reflexion, die durch den geschichtlichen Kontext versperrt war). Die Reflexion des Mythos hätte zwangsläufig dem Dogma den Boden, den Grund entzogen. Durch die bloße Überwindung des Mythos hat dieser sich im Dogma (nachdem er unkenntlich geworden ist) reproduziert.
    Entspricht das, was Hinkelammert als Schuldenautomatik analysiert, dem, was heute in der Astronomie „schwarze Löcher“ heißt?
    Arbeit ist die Sühne für die Schuld, nicht Eigentümer zu sein; der Eigentümer ist der Erlöste; und Sünde ist alles, was dem Streben nach Eigentum im Subjekt selbst im Wege steht. Deshalb ist heute Mitleid, Empathie Sünde.
    Die Opfertheologie stützt den Eigentumsbegriff und den Rechtsstaat.
    Die endgültige Trennung von Begriff und Objekt gründet in der Verselbständigung des Objekts, die durch die reinen Formen der Anschauung vermittelt ist. „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren.“ In diesem Zustand ist der Islam geblieben, weil er das Verhältnis der Arbeit zum Sündenfall (Arbeit als säkularisierter Kampf gegen den Sündenfall) nicht kennt. (Vgl. die Hegelsche Bemerkung über den prosaischen Charakter der modernen Kleidung in seiner Ästhetik.)
    Das „die Schuld der Welt auf sich Nehmen“ schließt den Abstieg zur Hölle mit ein.
    Die Welt ist die Welt des potentiellen Eigentums (nach universaler Ausbreitung des Tauschprinzips), die Natur die der gegenständlichen Objekte (Produkt der unendlichen Ausdehnung des Raumes).
    Daß sich Hegel zufolge der Begriff in der Natur nicht halten kann, reproduziert sich im Absoluten als die Trunkenheit aller seiner Glieder.
    „Sein Erlauten“ (Buber) statt „Spruch des Herrn“: Buber ist nicht selten (sowohl in der Bibel-Übersetzung als auch in seinen theologischen Schriften) der Verführungskraft einer Archaik erlegen, die auf feudale Verhältnisse zurückweist; deren Erbe ist aber ist die Verwaltung, nicht die Theologie.
    Büchner: „Wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.“ – „Ich fühle mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte.“ – „Mit einem Lachen ergriff der Atheismus in ihm Platz.“

  • 26.08.91

    Max Webers Probleme bei der Darstellung der Verhältnisse in der Alten Welt, insbesondere sein Begriff des Idealtypus, sind Folgen seines Geschichtskolonialismus, d.h. Folgen der Anwendung von Kategorien, die definiert sind nur im Rahmen der zeitgenössischen politischen Ökonomie. Die Brüche in der (nur sich „annähernden“) Darstellung sind Folge des projektiven Gebrauchs der Begriffe, deren unreflektierte Anwendung auf die Ursprungsgeschichte zwangsläufig zu Fehlern und Mißverständnissen führt (bis hin zu antisemitisch verwertbaren Konstruktionen). Das Ganze ist Folge seines unhistorischen (durch den Endzweck seines Rationalisierungsbegriffs vorgeprägten) Weltbegriffs. (Vergleich Weber / Lukacs und Planck /Einstein?)
    Die Historisierung der Welt, die Einbindung der Welt in den historischen Prozeß, führt darauf, daß der Antisemitismus in diesem Weltbegriff verankert und jedenfalls keine bloße Gesinnungsfrage ist.
    „An den Wassern zu Babylon saßen wir und weinten …“ (Ps 1371).
    Hängt die Reinlichkeitsneurose deutscher Frauen, der Zwang, jede Spur von Staub zu tilgen, mit ihrer Feindschaft mit der Schlange, die dazu verurteilt wurde, Staub zu fressen, zusammen?
    Wenn die Entwicklung ihrer eigenen Logik weiter folgt, ist nicht auszuschließen, daß auch die Rechtsversicherung zu einer Pflichtversicherung – wie die Kranken-, die Haftpflicht- und die vorgesehene Pflegeversicherung – wird. – Anwendungsbeispiele für die Staubgeschichte (Adam: Staub bist du und zu Staub wirst du wieder werden; zu dem Staub, den dann die Schlange frißt?
    Die Mühlen als Symbol des Todes (vgl. Benjamins Wahlverwandschaften) passen in diese Staubgeschichte herein.
    Die Bedeutung des Inertialsystems scheint darin zu liegen, daß die Betrachtung „hinter dem Rücken“ allseitig wird (komplettiert wird zum System wie der Kapitalismus durch das Institut der Lohnarbeit, die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip, durch die Begründung eines Marktes für Arbeit, Güter und Kapital), das aber zugleich den genauen zeitlichen Charakter dieser Sicht mit einschließt, nämlich die Subsumtion unter die Vergangenheitsform.
    Der Objektivationsprozeß ist der Sturz. Und wenn die Naturwissenschaft die Welt im Zustand des vollendeten Sündenfalls abbildet, dann deshalb, weil über die Naturwissenschaft die Welt in diesen Sturz, dessen Bahn durch das Herrendenken vorgezeichnet ist, mit hereingezogen worden ist.
    Sind die Äste, Zweige, Blätter der Bäume, auch ihre Blüten und Früchte, nicht sozusagen Luftwurzeln (Luft- und Lichtwurzeln)? -Wie verhält sich der Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens? Im gleichen Kontext bezeichnet das Erkennen auch das Zeugen. Kann es sein, daß die gleiche Frucht, die die Frucht des Lebens gewesen wäre, durch die Trennung vom Baum zur Frucht der Erkenntnis wurde, der Erkenntnis des Guten und Bösen, d.h. des richtenden Urteils; war der Sündenfall nur ein falscher Gebrauch? Was Anfang war, ist hier zum Ende geworden; es muß sein Ende erst wieder einholen, ehe es in den Anfang zurückkehren kann. Blochs Bemerkung, daß der Anfang am Ende sein wird, könnte damit zusammenhängen (vgl. auch Ebachs „Ursprung und Ziel“).
    Kann es hiernach sein, daß auch die Physik auf die Umkehr harrt? – Der Umkehrpunkt in der Physik läßt sich bezeichnen: er liegt im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
    Zur Konzeption des Inertialsystems gehören die drei Elemente: Raum, Zeit und Materie; diese drei Elemente spiegeln sich in der Dreidimensionalität des Raumes, sie haben etwas mit dem Werden der Vergangenheit zu tun. Ist die Dreidimensionalität des Raumes, in dem sich dann die Dinge (von den Photonen bis zu den Sternen) nicht nur bewegen, sondern auch als Dinge konstituieren, nicht auch bloßer Schein, der mit Gewalt durchgesetzt wird und dabei die entscheidenden Differenzen verdrängt und unterdrückt. Ist nicht der Raum selbst in die Bewegung mit hereingezogen, Objekt einer Bewegung, deren Subjekt zu sein er vortäuscht.
    Über diese Bewegung des Raumes gibt Aufschluß die Geschichte der Banken, des Geldes, des Finanzkapitals.
    Das Inertialsystem ist insgesamt ein selbstreferentielles System, und die Mechanik (unter Voraussetzung der metrischen Komponenten des System, Raum Zeit und träge Masse) reine Mathematik. Erst im Prozeß der Vergegenständlichung von Raum und Zeit, der Verräumlichung der Zeit, kristallisiert sich als ergänzendes metrisches Moment die träge Masse aus, die dann als äußerliches Ding in dieses System hereinkommt: und zum reinen namenlosen Objekt wird.
    In der Bindung des Weltkonzepts an die Anschauung vollendet sich die Erkenntnis, daß „sie nackt sind“. Aber die Scham wird übermächtig (trifft vor allem die Tiere) und überschwemmt das ganze System. Die menschen verbergen ihr Angesicht und das Angesicht der Erde ist nicht mehr auffindbar.
    Hat die Erfindung der Sumerer etwas zu tun mit dem letzten, verzweifelten Versuch, angesichts des Erkenntniskontinuums, das da war, den fernen Blick zu retten, der nicht zu retten gewesen wäre, wenn man die Sumerer gleich als die Chaldäer erkannt hätte. Und der Spenglersche Versuch einer Kulturmorphologie, der Versuch, die Einheit der Weltgeschichte zu sprengen und durch die Einheit eines abgehobenen kulturmorphologischen Modells zu ersetzen, das dann dem Gesetz der ewigen Wiederkehr unterliegt, scheint hiermit zusammenzuhängen. Der Zwang, die Sumerer zu einem besonderen Volk zu machen, rührt her von dem modernen Konzept der Einheit von Volk, Nation und Sprache, das so auf die Alte Welt nicht übertragen werden kann. Diese Bemerkung gilt u.a. auch für das „Volk“ der Hebräer. Einer der letzten – und vielleicht auch problematischsten – Ausläufer dieses Nationalbegriffs ist der Zionismus.
    Gibt es zu dem Cherub mit dem flammenden Feuerschwert, der die Pforten des Paradieses bewacht, in der jüdische Tradition (Talmud, Mischna oder Mystik) Hinweise oder Interpretationen?
    Ist die Idolatrie der Anfang des Objektivations- und Instrumentalisierungsprozesses, der sein Telos im Inertialsystem findet?
    Die neuere französische Philosophie ist auf das Probleme des Anderen, des Fremden abgestimmt; sie wäre durch das Votum für die Armen, durch die Verteidung der Armen, zu ergänzen.
    Kann es sein, daß der Konstruktionsfehler des Stern der Erlösung darin liegt, daß in der Konstruktion der Welt deren beide Elemente umgekehrt zu fassen sind: erst das B und dann das A (B=A, nicht A=B): so würde deutlicher, daß das A ein durchs B Provoziertes ist; oder daß Subjektivität (als Inbegriff des Allgemeinen) nicht das Erste und das Allgemeine nicht der Ursprung ist.
    Das tode ti des Aristoteles ist das Inertialsystem in nuce.
    Die Persönlichkeit ist für sich, was die Person an sich ist, nämlich ein Sein für andere. Deshalb ist die Persönlichkeit (als Ansehen) erlebbar, die Person nicht.
    Wie verhalten sich Welt und Natur zu Himmel und Erde? Die Welt ist ein Reflex der Natur, die Natur ein Produkt der Welt. Aber wie hängt das zusammen?
    Die jüdische Tradition vom verborgenen Gerechten verweist darauf, daß die Gemeinheit strafrechtlich nicht zu fassen, vom Recht nicht unterscheiden ist. Die Gemeinheit des antisemtischen Topos von der Doppelmoral der Juden liegt darin:
    – ihre Voraussetzungen sind durch ein Wirtschaftssystem vorgegeben, das immer mehr darauf hinausläuft, die Gemeinheit der Wahrnehmung zu entziehen; diese Voraussetzungen sind nicht von Juden geschaffen worden, diese sind Opfer des Systems;
    – aufgrund der rechtliche Sonderstellung, der die Juden weder aus eigenem Willen noch aus freiem Entschluß unterworfen wurden, insbesondere dadurch, daß nur jene Bereiche im Wirtschaftsleben auch für Juden offen waren, in denen es ohne die Doppelmoral nicht geht, kann ihnen die Doppelmoral nicht angelastet werden;
    – Nutznießer dieses Systems sind nicht die Juden, sondern die Raubkapitalisten (unter ihnen auch die Weberschen Puritaner, die ohne dieses System ihre Moral und Gesinnung nicht entfalten könnten), die die Schuldverschiebung (auf die Juden) als Mittel der Exkulpierung nutzen, hinter diesem Vorhang unbehelligt ihren Geschäften nachgehen können.
    Ohne die Herren, die sich der Hofjuden bedienen, würde es die Hofjuden nicht geben, und ohne jenes spekulative Geldgeschäft, das nicht nur den Bereich der Börsen und Banken kennzeichnet, sondern längst auch den Gesamtbereich der Produktion beherrscht, würde es den moralischen Kapitalismus, den Max Weber zu beschreiben versucht, nicht geben. Auch der Calvinismus als innerweltliche Askese war Ideologie im Sinne von Rechtfertigung.
    Die feinsinnige Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik läuft darauf hinaus, die Verantwortungsethik zu einer Gesinnungsethik zu machen, und sie von jener Verantwortung zu entbinden, die sich aus den Nebenfolgen ergibt. Das Ganze ist eine innere Konsequenz aus dem Rationalisiserungskonzept und aus der Rechtfertigung des Weltbegriffs, die damit zwangsläufig verbunden ist.
    Das Selbsterhaltungsprinzip, das bei den Menschen individuell ist, ist bei den Tieren an die Art gebunden. Liegt hier das Bindeglied zwischen Schlange, Inertialsystem, Venus und Babel, sowie dem Cherub mit dem kreisenden Flammenschwert, der Sintflut und dem Regenbogen?
    Abraham stammt aus Ur in Chaldäa, aber die Familie ist über Haran gezogen (einer seiner Brüder hieß Haran; ist der in Ur geblieben?). Haran liegt im assyrischen Herrschaftsbereich, näher bei Ninive als bei Ur.
    Kommen Sodom und Gomorra (und die drei anderen Städte, von denen zwei in den Untergang mit hereingezogen werden, eine den Namen ändert) außer in der Abraham-/Lot-Geschichte nochmal vor?
    Wenn Abraham (der Hebräer, der Fremde im Land) und Isaak (der Schrecken Isaaks) dem Jakob/Israel nachträglich vorgesetzt worden sind, welche Bedeutung hat es dann, daß die Frauen alle aus der (aramäischen) Verwandtschaft Abrahams genommen worden sind und alle Probleme mit der Geburt haben?
    Wer ist Lots Frau?
    Auch Sprachregelungen partizipieren an der benennenden Kraft der Sprache. Und der Weltanschauungskrieg, der auch ein Vernichtungskrieg war, war nur der Anfang. Der projektive Scharfsinn heute lebt von der dezisionistischen Gewalt der Sprache, indem er die eigene Sprachregelung unkenntlich und unangreifbar macht.
    Der Unterschied zwischen „hat gemordet“ und „ist ein Mörder“ ist der Unterschied ums Ganze. Die Rückverwandlung eines Verbs, eines Tätigkeitsworts, in eine Eigenschaft ist der Grund der philosophischen Logik; sie gelingt nur um den Preis der Verwandlung des Täters in ein Ding. Ohne diesen Trick würde es den Weltbegriff nicht geben, würde es Herrschaft nicht geben. Grundlage und Modell dieses Verfahrens (Grund der Hegelschen Reflexionsbegriffe) ist das Inertialsystem. Die gesamte Logik, das „Wer A sagt, muß auch B sagen“, reicht genauso weit wie diese Herrschaftslogik, die eine Verdinglichungslogik ist. Wenn ich dem Subjekt die Eigenschaft (das Prädikat) als feste Bestimmung anhefte, verdingliche ich das Subjekt; und die Härte dieser Verdinglichung zeigt sich daran, daß sie den Begriff besoffen macht (daß – Hegel zufolge – im Absoluten kein Glied nicht trunken ist).
    Jesus kann nur das „Ich bin’s“ sagen, weil er die Schuld der Welt auf sich genommen hat. Insoweit ist er auch der gefallene Morgenstern, der Erbe Luzifers, ist er „abgestiegen zur Hölle“).
    Bei den Griechen ist es Kronos, der seine Kinder frißt; weshalb ist es bei den Kanaanäern Ischtar, Astarte, der Moloch? Kann es sein, daß der griechische Mythos über den Schicksalsbegriff in die Philosophie hineinführt, weil er von Anfang an ein kosmologicher Mythos war? Der orientalische Mythos ist als ethischer Mythos dieser Auflösung nicht fähig, wird erst abgegolten durch die Ablösung des realen Kinderopfers.
    Das Christentum: das gefährlichste Experiment Gottes mit der Welt.
    Die narrative Theologie wäre ein Gegenkonzept zur prädikativen, zur Begriffstheologie, wenn sie ohne Willkür noch möglich wäre. Wenn es narrative Theologie noch gibt, dann steckt sie u.a. in den Berichten von Überlebenden aus Auschwitz. Alles andere ist Kunst und Schmücke Dein Heim.
    Der Begriff „allseitig“ und der Slogan „der Mensch im Mittelpunkt“ passen aufs genaueste zur dritten Leugnung: Wir sind umstellt.
    Wer die Psalmen Rachegesänge nennt, läßt die Grunderfahrung, die sich in den Psalmen ausdrückt, nicht an sich herankommen.
    Wann wurde das Symbolum zum Bekenntnis, wann wurde das Credo logisch umgeformt in ein Confiteor? – Mit dem Confessor?
    Maria Magdalena, die von den sieben bösen Geistern befreit wurde (Mk 169, Luk 82, vgl. auch Luk 1126): heißt das, daß sie die erste war, die vom Sternendienst befreit wurde (während in der Zahl der Aposteln noch der Tierkreis symbolisiert ist)? Umgekehrt: die Besessenen, deren böse Geister „Legion“ heißen (Mt 828, Mk 59, Luk 826), die dann in die Schweineherde getrieben werden, beziehen sie sich auf die ganze Sternenwelt (Abrahams Nachkommenschaft zahlreich wie die Sterne).
    Insbesondere die katholische Kirche entartet immer mehr zu einer Religion für den beliebigen Privatgebrauch.

  • 17.07.91

    Die Geschichte des Objektivationsprozesses ist eine einheitliche Geschichte, die von der Opfertheologie, vom Bekenntnis, bis hin zur Existenzphilosophie reicht.
    Erst die Säugetiere (oder schon die Saurier?) sind Warmblüter, d.h. sie sind nicht auf den Wärmehaushalt der sie umgebenden Natur angewiesen, sondern sie reproduzieren ihn selber. Das ist die Voraussetzung dafür, daß sie sich dann vom Jahresablauf emanzipieren.
    Bildet die Evolution des Lebens die Evolution, die Struktur und die Abfolge der Bildung des Kosmos ab?
    Rosenzweigs Verständnis des Islam ist begründet in der Logik seines Systems und daraus nicht abzulösen. Sollten wir nicht aufhören mit der Erwartung, daß Religionen sich verhalten wie Standesverbände, die auch Kritik nicht ertragen (mit Abwehr darauf reagieren)? Die Selbstbesinnung ist fällig für alle Religionen.
    Das „de mortuis nihil nisi bene“ läßt sich nicht auf die Religionen anwenden. (Die Religionen sind heute allesamt teils parfürmierte Mumien, teils stinkende Leichen – tourismusfördernde Folklore.)
    Das „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“, diese beiden Halbsätze sind im Mittelalter getrennt verkörpert worden durch den Dominikaner- und den Franziskanerorden.
    Theologie hinter dem Rücken und Theologie im Angesicht Gottes sind zwei verschiedene Aggregatzustände der Erkenntnis. Theologie hinter dem Rücken Gottes stabilisiert die verschuldete Welt, macht sich gemein mit der Schuld und blendet sie ab: ist der Kern und der Grund der Heuchelei. Sie vergrößert die Last, die auf dem Messias ruht.
    Wer die Wahrheit von der Beweislogik abhängig macht, begibt sich der Kraft zur Unterscheidung der Geister.
    Als ich Theologie studierte, auch in der Zeit des Noviziats, hatte ich mir eigentlich nie vorstellen können, einmal Priester zu werden, mich zum Priester weihen zu lassen. Aber ich hatte auch das – in meiner apokalyptischen Zeitstimmung begründete -Gefühl, daß es hierauf auch garnicht mehr ankomme.
    (FR-Serie über George Steiner: Von realer Gegenwart) … Da sieht man die spitzen Finger und den Papierkorb, da sieht man die Wölfe, die dem Lamm auflauern, da sieht man die Schlangen, die die Arglosigkeit der Tauben nur noch als Dummheit wahrnehmen (während es heute die Klugheit der Schlangen ohne die Arglosigkeit der Tauben schon nicht mehr gibt: sie in der Dummheit der Tauben den Beginn ihrer eigenen Dummheit anschauen.) Es ist zu offenkundig: Man fühlt sich angegriffen und glaubt sich durch Gegenaggression rechtfertigen zu können. In Wahrheit setzt die etablierte Zunft ihre Duftmarken, gibt Tabu-Hinweise für die eigenen Schüler. So erfüllt man aufs präziseste den tiefenpsychologischen Begriff der Abwehr.
    Nochmals zu dem Satz „seid klug wie die Schlangen …“: Die Welt gleicht sich immer mehr der Paranoia an, die sie falsch abbildet, und es kommt alles darauf an, dieser Paranoia nicht zu verfallen.
    Die Trennung von Futur und Imperfekt, von Zukunft und Vergangenheit, wird stabilisert durch das Plusquamperfekt. Sie verhindert das Verständnis der Prophetie und ist der Tod der Theologie. Sind die Bäume das Gestalt gewordene Plusquamperfekt, die Tiere das Futur und die Pflanzen das Imperfekt? (Gehört das Verbot von den Bäumen in der Mitte des Gartens zu essen, zum biblischen Nahrungsgebot?) Liegt hier der Grund, weshalb die Namengebung, die benennende Kraft Adams, sich nur auf die Tiere, nicht auf die Pflanzen sich bezieht?
    Erst die Kritik der Physik eröffnet den Problemstoff, der in der Bibel steckt.
    Die Bekenntnislogik ist das Medium der Vergesellschaftung des Herrendenkens. Die Vorbildtheorien gehören zur Bekenntnislogik.
    Mein Eindruck ist, daß Entziehungskuren für Katholiken eingerichtet werden müßten: sie sind alle süchtig, sie stehen alle unter der Droge Kirche.
    Das sogenannte naturwissenschaftliche Weltbild, das seine innere Konsistenz längst verloren hat, und nur noch deshlab weiterbesteht, weil keiner die Naturwissenschaften mehr versteht, ist ein Reflex des naturbeherrschenden Subjekts.
    Die entsetzliche Verwechslung der sogenannten künstlichen Intelligenz mit der menschlichen Vernunft ist nur möglich, weil das Fehlen der Spontaneität, der Erfahrung, der Verarbeitung von Erfahrung nicht mehr wahrgenommen wird. Aber das ist (nicht zufällig insbesondere an katholischen Hochschulen) nur deshalb möglich, weil von dem gleichen Effekt heute die Kirche lebt, sich durch die Reproduktion dieses Effekts (über ihren Bekenntnis-, Lehr- und Glaubensbegriff, nachdem sie das Nachfolgegebot endgültig verworfen hat) selber reproduziert.
    Die Bibel ist kein System. Der Versuch, sie dazu zu machen, hat in die Dogmatik, in die Trinitätslehre hineingeführt. Die Bibel ist vielmehr ein Wortfeld, gleichsam der Acker, dessen Bearbeitung uns auch aufgegeben ist. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Wort „Schwerter zu Pflugscharen“, angewandt auf Dogma und Bekenntnis, plötzlich eine sehr erhellende Bedeutung.
    Die Trinitätslehre ist die Form der Verpuppung der Wahrheit; sie hat, ohne daß die Theologen es bis heute gemerkt hätten, in der Hegelschen Logik, in seinem Begriff des Absoluten, sich selbst als leere Hölle zurückgelassen, ohne daß bisher der Schmetterling, der daraus entflogen ist, wahrgenommen worden wäre.
    Eine Sache zum Objekt machen, heißt, sie da fassen, wo sie schuldig ist: sie in den Anklagezustand versetzen.
    Ecce agnus dei, qui tollit paccata mundi:
    – Es heißt peccata mundi, nicht peccata hominum; es geht also nicht um die zurechenbare Schuld, sondern um die Schuld, in die man hineingerät: den Zustand und die Verfassung der Welt, in die man hineingeboren wird.
    – Und das tollit heißt nicht wegnehmen, sondern auf sich nehmen.
    Nach dem Nachfolgegebot ist es diese Schuld der Welt, die der Christ auf sich zu nehmen hat
    Der vom Nachfolgegebot befreite Bekenntnisbegriff liefert das Medium, in dem die Ausrede: „Die Andern tun’s auch“, möglich wird. Er kann so zur Entlastung von der eigenen Verantwortung genutzt werden, zur falschen und unwirksamen Exkulpierung. So gerät das Bekenntnis in den Wiederholungszwang des schlechten Gewissens. Die Logik des Bekenntniszwangs ist die Logik der Urteilslust aus schlechtem Gewissen: des Geredes, zu dem auch die Theologie heute verkommt. So induziert der Bekenntniszwang das Trägheitsprinzip in die Bekennenden und wird zum sozialen Kitt, der die Bekenntnisbedürftigen an die Gemeinschaften, an die sie gebunden sind, fesselt, aus denen sie nicht mehr herauskommen (auch wenn sie sich formal davon lösen). Das schlechte Gewissen, das dem Bekenntniszwang zugrundliegt (und durch ihn fixiert wird), objektiviert sich in dem vom Bekenntnis nicht abzulösenden Feindbild (primär im christlichen Antisemitismus).
    Adornos Bemerkung, daß die Welt sich immer mehr der Paranoia angleicht, die sie zugleich falsch abbildet, ist eine präzise Beschreibung des Grundes der Naturwissenschaft.
    Die Bekenntnislogik und die Logik des Inertialssystems konvergieren miteinander.
    Zum Problem der Benennung der Tiere:
    – Wenn die Katastrophe der Urzeit, an die Max Horkheimer zufolge die Tierwelt erinnert, näher bestimmt werden kann, dann dürfte sie mit der Benennung der Tiere durch Adam zusammenhängen.
    – Die Benennung der Tiere durch Adam steht im zweiten Schöpfungsbericht; im ersten werden die Tiere – je nach ihrer Art -durch Gott erschaffen.
    – In der Sintflut erhält Noah den Auftrag, die Tiere in Paaren mit in die rettende Arche zu nehmen.
    – Im Buch Hiob führt Gott dem Hiob am Ende die apokalyptischen Tiere vor Augen, mit dem zusätzliche Hinweis: Warst du dabei, als ich sie schuf? (Löst sich das Rätsel des Endes des Buches Hiob durch die doppelte Gestalt der Schöpfungslehre?)
    – Vgl. auch die Geschichte mit der Schlange beim Sündenfall (Staub fressen / zu Staub werden).
    Zum Sündenfall:
    – Adam hat den Tieren ihren Namen (ihre Bestimmung) gegeben, also auch der Schlange (der klügsten unter den Tieren): ist somit die Schuld der Schlange (die Schuld der Welt) die Schuld Adams?
    – Die Schlange „wird Staub fressen“, Adam „ist Staub und wird wieder zu Staub werden“: Frißt die Schlange Adam?
    – Das Weib dagegen ist in Feindschaft mit der Schlange, ihr Nachkomme wird der Schlange den Kopf zertreten.
    – Vgl. auch
    . Noach (Gen 9), die Arche und der Bund mit den Tieren,
    . die Nahrungsgebote,
    . Hiob / Apk,
    . Hos 220: endzeitlicher Bund mit den Tieren.
    – DdA: Tiere erinnern an Katastrophe in der Urzeit.

  • 27.06.91

    Heinsohns „Schuldknechtschaft“ ist der zentrale Begriff der Systemlogik des mythischen Zeitalters, Grundlage des Schicksalsbegriffs.
    Die Verinnerlichung des Schicksals, Voraussetzung der Philosophie und des politischen Selbst- und Weltverständnisses im Römischen Imperium, schließlich Grundlage des bürgerlichen Bewußtseins insgesamt, ist die reale Zeitenwende, auf die das Nachfolge-Gebot die der jüdischen Tradition angemessene Antwort gibt. Das Nachfolge-Gebot hat im Christentum den gleichen Stellenwert wie das Bilderverbot in der jüdischen Tradition (und schließt dieses mit ein).
    Zur Dialektik der christlichen Dogmenentwicklung gehört es, daß sie dem Bann, den sie gegen die Häretiker verhängt, selber dann verfallen ist. Das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ ist das Urteil über diese Dogmengeschichte. Das Dogma ist dann in der Geschichte zu einer Waffe geworden, an der Blut klebt, die Millionen Opfer gefordert hat. Die Aufforderung „Schwerter zu Pflugscharen“ greift tief in den Glaubensbegriff und in die Bekenntnislogik ein.
    Wer kann heute noch im Ernst an die Möglichkeit des seligen Lebens glauben, ohne in diese Hoffnung die Opfer von Auschwitz und die Opfer der Kirchengeschichte mit hereinzunehmen.
    Die Vergesellschaftung von Herrschaft und die Vergesellschaftung der Natur sind miteinander verbundene und nicht voneinander zu trennende Prozesse; sie haben den gleichen Verdrängungshintergrund: sie schließen den Gedanken an die Idee des seligen Lebens aus. Und beide zusammen ergeben den Säkularisationsprozeß. Die vergegenständlichte Natur ist ein Stabilisator von Herrschaft.
    Nenne mir einen, der an die Auferstehung der Toten glaubt: dann müßte er auch an die Auferstehung der in Auschwitz Gemordeten glauben, deren Gericht er dann zu erwarten hat. Ist er auf die Fragen, die ihm dann gestellt werden, vorbereitet?
    Wir leben heute in einer Zeit, in der die individuelle Gewissenserforschung sich auf die gesamte Menschheitsgeschichte erstrecken muß (dem theologischen Eiertanz ein Ende bereiten).
    Heute haben alle Angst, die realen Verheißungen des Christentums könnten wahr sein, deshalb basteln sich die einen ihre Privatversion des Christentums, während die anderen alles daran setzen, die Tradition unter Kontrolle zu halten, damit das nicht hochkommt, was das entfremdete Selbstverständnis, zu dem man keine Alternative sieht, erschüttern könnte. Der Zustand ist daran erkennbar, daß die Eucharistie, seit sie unter den magischen Bann geraten ist, zu einem Mittel der Entsensibilisierung geworden ist (wie weit sind Drogenabhängige Eucharistiegeschädigte?), und die Kirche zu einem Ort der toten Seelen. – Erst die Gottesfurcht vermag die Sinne wieder zu öffnen. Nach dem Krieg hat sich die Kirche nur noch als Exkulpierungsanstalt, als Hilfe bei der Gewissensentlastung angeboten (statt bei der Gewissensverschärfung: beim Erlernen des angstfreien Gewissensgebrauchs). Sie war nicht nur kontraproduktiv, sie ist so zur Droge geworden, und die Gläubigen süchtig.
    Die Boulevard-Presse übersetzt die Politik ins Private, schirmt die private Existenz gegen die störende Politik ab, macht das, was dann von Politik noch hereindringt, vollends irrational, verwandelt das Private in ein voyeurhaft entfremdetes und vergegenständlichtes Medium. Das verstärkt den Gemeinheitstrend.
    Das Nachfolge-Gebot, die Übernahme der Schuld der Welt und die benennende Kraft der Sprache sind miteinander verbunden.
    Zum Zeitalter der nationalistischen, chauvinistischen Geschichtsschreibung und ihrer Auswirkung auf das Prophetieverständnis: Es gibt auch einen kirchlichen Chauvinismus. Und mit wenigen Ausnahmen beherrscht sie die Kirchengeschichtsschreibung.
    Moralische Urteile („Werturteile“) sind Verdammungsurteile, sind Verurteilungen; sie schließen, wie das Recht, den Verurteilten von der Gemeinschaft der anständigen Menschen, zu denen man sich selber zählt, aus. Diese Anständigen sind – das hat Himmler in seiner berüchtigen Rede begriffen – zu Herren des Totenreichs geworden. Jede Empörung – und Empörung ist im Kern moralische Empörung – ist der Versuch, dieser Objektzone, diesem Totenreich, zu entrinnen; daher rührt die (seit je manipulierbare) Emphase der Empörung. Aber eben durch die Empörung verfällt man dieser Objektzone. Auch die Arroganz der Macht ist, wie es die „Ossis“ dann am eigenen Leibe erfahren haben (und an andere marginale Gruppen weitergeben), längst sozialisiert.
    Bedeutet Arroganz ein Verhalten, das durch Unansprechbarkeit, Unbelehrbarkeit, generelle Abweisung von Bitten, Fragen, Ersuchen gekennzeichnet ist? Gibt es einen Zusammenhang mit den zuerst wohl von Heidegger entdeckten „Fragen“ (Seinsfrage, Judenfrage, deutsche Frage)? Hängt auch Marquards „diskussionslose Unterwerfung“ (mit dem schiefen Vergleich der Unterwerfung unters Dogma mit der jüdischen Treue zur Tora) damit zusammen?
    Kann es sein, daß die Begründung der Mathematik nur astrologisch möglich ist?
    Zu Reinhold Schneider: „Allein den Betern …“
    – Geht es nur um „das Schwert ob unsern Häuptern“? Genau das hat nach dem Krieg in die „zweite Schuld“ hineingetrieben. Und zu der Zeit, als Reinhold Schneider das schrieb, war es über die andern längst niedergegangen.
    – „… und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen“? Käme es nicht allein darauf an, die Opfer dieser Welt von den richtenden Gewalten, deren Inbegriff diese Welt ist, zu befreien? Denn:
    a. Diese Welt ist der Inbegriff der richtenden Gewalten, und
    b. die diese Welt richtenden Gewalten sind die Anwälte der Opfer.
    Bezieht sich im Anfang der Genesis das „wüst und leer“ auf den „Himmel und die Erde“? – Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern: Der Chaos-Drache kommt nicht vor, an seiner Stelle sein Gegenbild, der Geist.
    Das Märchen-Motiv „Er ging hinaus in die weite, weite Welt“ hat heute seine Erfahrungsgrundlage verloren: Die Welt ist eng geworden.
    Heinsohns Hinweis auf den genetischen Zusammenhang der Geldwirtschaft mit der Schuldknechtschaft verweist auf die Verschmelzung von Schuld und Armut, das Objekt der prophetischen Kritik.
    Wie verhält sich die Urteilslust, die Lust am moralischen Urteil, zum Glück der Erkenntnis? Wenn man weiß, daß die Intention des Vergewaltigers nicht auf die sinnliche Lust, sondern auf die Lust an der Erniedrigung des Objekts abzielt, begreift man vielleicht etwas genauer den rationalen Kern der kirchlichen Sexualmoral (den die Kirche allerdings längst verraten hat).
    Das Selbsterhaltungsprinzip ist der Kristallisationskern für den Aggregatzustand der weltlichen Erkenntnis; die Transzendentalphilosophie Kants hat die Bedingungen dieses Aggregatzustands erstmals präzise beschrieben. Hier liegt der Ursprung des Objektivationsprozesses, der Trennung von Begriff und Objekt, der Ablösung des Objekts von sich selbst, seine Hereinnahme in die apriorische Struktur des Urteils. Vom Ursprung der Philosophie bis in die Ausbildung und Entfaltung der modernen Naturwissenschaften beweist dieser Objektivationsprozeß seine abstraktive Gewalt. Die ungeheure Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit liegt darin, daß es erstmals die Distanz des Systems zum Objekt im System selbst kenntlich macht und bestimmt.
    Aufgabe einer Philosophie, die aus Auschwitz die Konsequenzen zieht, wäre es, das Interesse der Erkenntnis auf das zu richten, was im Windschatten dieses Systems liegt, durchs System unterdrückt, verdrängt wird. Das haben Levinas und die französische Philosophie im Rahmen der anderen Rezeption Heideggers durch den Begriff des Anderen, der Differenz zu bestimmen versucht.

  • 20.06.91

    In dem Aufsatz „Feinde um unsretwillen“ (Verwegenheiten, S. 311 ff, hier S. 332ff) geht F.W. Marquardt auch auf „radikalere Versuche … in den USA“ ein, auf die „Holocaust-Theologie“, die „in Auschwitz und in der Entstehung des Staates Israel … zum Teil einen Zusammenbruch des christlichen Dogmas selbst (sieht), und nicht selten wird bereits die Forderung nach einer Revision des neutestamentlichen Kerygma selbst erhoben.“ Dagegen glaubt M. einwenden zu können: „Niemand von uns könnte und wollte die Verantwortung übernehmen für eine Zerstörung und Auflösung des christlichen Kerygma und Dogma, in denen unsere Identität als Christen gründet. Für sie tragen wir keine Verantwortung. Ihnen sind wir in gleicher Diskussionslosigkeit unterstellt (Hervorhebungen H.H.) wie Israel seiner Treue zur Tora …“ Hierzu einige Bemerkungen:
    – Hat das Dogma, das Bekenntnis (von dem nach der Kirchenspaltung, nach der Entstehung der Konfessionen, eigentlich nur noch im Plural gesprochen werden sollte) den gleichen Rang wie die Schrift (den Rang der göttlichen Offenbarung)?
    – Die These, daß wir insbesondere für das Dogma (aber auch für das Kerygma, wenn wir es annehmen) „keine Verantwortung tragen“, führt auf den zentralen Punkt: Das Dogma, die Orthodoxie in jeder Gestalt, ist gleichsam in einem Aggregatzustand überliefert, der gegen sein Objekt nicht indifferent ist und – das ist meine zentrale These – zu den Ursachen des kirchlichen Antijudaismus gehört. Die „Buße“, auf die M. verweist, sollte korrekterweise Umkehr heißen, und endlich in seiner moralisch-religiösen Bedeutung zugleich als erkenntniskritische und theologische Kategorie begriffen werden – die große Bedeutung des „Stern der Erlösung“ liegt darin, daß sie erstmals diese erkenntniskritische Bedeutung der Umkehr hervorgehoben hat -; das ergibt sich unmittelbar aus dem Nachfolge-Gebot, durch das wir gehalten und verpflichtet sind, die „Schuld der Welt“ auf uns zu nehmen: d.h. auch die uns durch die Welt, in die wir hineingeboren sind, auferlegte Last der Vergangenheit in unsere Verantwortung zu übernehmen. Wenn es eine Differenz der christlichen zur jüdischen Tradition gibt, dann liegt sie hier. Aber das Entscheidende ist, daß diese Differenz, ihre Bedeutung und Reichweite, nur im Lichte der jüdischen Tradition erkennbar ist, während die konfessionellen Aggregatsformen des Dogmas (aufgrund der Systemlogik des verdinglichten, instrumentalisierten „Bekenntnisses“) genau die Scheffel sind, die diese Lichtquelle verdecken.
    – Der Vergleich mit der jüdischen Treue zur Tora ist schlicht falsch; ohne Verletzung des Sinns der jüdischen Treue zur Tora läßt sich beides nicht auf eine gemeinsamen Ebene bringen und hier vergleichen (hier liegt die Falle, in die der kirchliche Antijudaismus seit den Kirchenvätern hineingetappt ist, und auf die nach meinem Verständnis das „et ne nos inducas in tentationem“ primär sich bezieht; die Versuchung ist die der projektiven Selbstentlastung; der Unterschied hängt mit dem zwischen dem Bilderverbot und dem Nachfolge-Gebot zusammen).
    – Das Dogma, das Bekenntnis, ist seit seiner Entstehung auch als Waffe genutzt worden, an der Blut klebt (das Blut von Juden, Heiden, Ketzern, Hexen). Wäre es nicht an der Zeit, das Propheten-Wort „Schwerter zu Pflugscharen“ jetzt endlich auch aufs Dogma anzuwenden?
    – Bilderverbot und Nachfolge-Gebot.
    – Objektivierung, Verdinglichung, Instrumentalisierung: das Land, das aus dem Meer der Schuld, dem flüssigen Element, über dem der Geist im Anfang (nach der ersten Buber-Rosenzweigschen Übersetzung) „brütet“, dem Wasser, der ersten archä der griechischen Philosophie, auftaucht?
    – Dritte Verleugnung („Das ist der Antichrist: wer den Vater und den Sohn leugnet“ – 1 Joh 222. Ist die dritte Leugnung die des Heiligen Geistes: „Wer aber etwas gegen den Heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt“ – Mt 1232?).
    – Entkonfessionalisierung statt Ökumene.

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